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Kuszew! So hieß der Kidnapper der jungen Frau, die eine Bekannte meines Freundes Bill Conolly war. Der mysteriöse Kuszew bestellte Bill zu einem einsamen Bunker. Würde der Reporter nicht kommen, sollte die Geisel sterben, so die Drohung des Verbrechers.
Bill zögerte nicht lange - und landete geradewegs in einer höllischen Falle. Kuszew kettete ihn an einen Schreibtisch und zwang ihn, die Memoiren des Schwarzen Todes zu schreiben. Seite für Seite nahm das Höllenskript nun Gestalt an...
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Höllenskript
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Höllenskript
von Jason Dark
Kuszew! So hieß der Kidnapper der jungen Frau, die eine Bekannte meines Freundes Bill Conolly war. Der mysteriöse Kuszew bestellte Bill zu einem einsamen Bunker. Würde der Reporter nicht kommen, sollte die Geisel sterben, so die Drohung des Verbrechers.
Bill zögerte nicht lange – und landete geradewegs in einer höllischen Falle. Kuszew kettete ihn an einen Schreibtisch und zwang ihn, die Memoiren des Schwarzen Todes zu schreiben. Seite um Seite nahm das Höllenskript nun Gestalt an ...
Er roch sie. Ihr Duft verteilte sich überall in der Wohnung wie ein unsichtbarer Schleier.
Er hatte das Schlafzimmer betreten und blieb neben dem Bett stehen. Er lächelte. Wissend, grausam. Er wusste, dass der Duft von teuren Parfüms und Deos bald dem harten Geruch von Schweiß und Angst weichen würde.
Das Spiel konnte beginnen!
Stress war für Claudine Otrano längst kein Fremdwort mehr. Seit Jahren verhielt er sich wie ein nicht von ihrer Seite weichen wollender Liebhaber, der sich mal stärker, mal schwächer um sie bemühte, in der Regel aber irgendwo gleich blieb.
Claudine arbeitete als Model. Nicht ganz oben in der Model-Liga, aber auch nicht ganz unten. Sie hielt sich im guten Mittelfeld und war zum Glück meist ausgebucht – von den großen Katalogen, das war sicheres Geld. Doch hin und wieder kamen ein paar Hochglanz-Jobs hinzu, wenn irgendwelche Modezeitschriften sie über ihre Agentur buchten. Das gab immer etwas mehr in die Kasse.
Seit vier Wochen war Claudine damit beschäftigt die neue Winterkleidung zu präsentieren, die die Interessenten später in einem dicken Katalog sehen würden, der in Deutschland erscheinen würde.
Claudine war erst sechsundzwanzig, für ein Model war sie dafür aber schon recht alt, deshalb geriet sie doch hin und wieder ins Grübeln, was ihre Zukunft anging. Sie wusste nicht zu sagen, wie lange sie in diesem Job noch gefragt war. Da konnte von einem auf den anderen Tag Schluss sein. Dabei hatte sie nichts anderes gelernt. Praktisch von der Schulbank weg war sie in das Geschäft eingestiegen und hatte sich durchgeboxt.
An diesem Nachmittag wirkte sie erschöpft, als sie in der Agentur hockte, verdünnten Zitronensaft trank und ins Leere starrte. Die Hektik spielte sich nebenan ab. Das Zimmer, in dem Claudine saß, war der Aufenthaltsraum, eine Oase der Ruhe.
Vor einigen Stunden war sie in Hamburg gestartet. Der Besuch in der Agentur war eigentlich nicht geplant gewesen, aber sie hatte ihn einfach gebraucht, um die Leere in ihrem Innern zu überwinden. Der letzte Job war erledigt, vor ihr lag der Sommer, und eine neue Arbeit war noch nicht in Sicht. Deshalb hatte Claudine einen leichten Durchhänger. Sie hoffte auf neue Angebote.
Claudine Otrano hing mehr auf ihrem Stuhl, als dass sie saß. Sie fühlte sich kaputt. Allein der Gedanke daran, das Gepäck schleppen zu müssen, das sie unten im Flur abgestellt hatte, ärgerte sie. Am liebsten hätte sie sich weit weg gewünscht. Irgendwo an einen Strand in der Karibik, wo man relaxen konnte.
Zur hellen Jeans trug sie ein grünes Top. Darüber eine schwarze, knapp sitzende Jacke. Das Haar, es war hellblond, kurz geschnitten, sah zerzaust aus. Zu oft war sie in ihrer Nervosität mit den Fingern durch die Strähnen gefahren.
Die ›Limonade‹ schmeckte ihr nicht. Claudine hatte Hunger, doch bei der Ernährung musste sie streng auf die Kalorien achten, sonst konnte sie den Job gleich an den Nagel hängen.
Als Claudine den Kopf drehte, schaute sie in einen Spiegel. Er hing an der Wand. Viele hatten schon vor ihm gestanden, und viele würden immer wieder vor ihm stehen. Er war so grausam und unbestechlich.
Eigentlich konnte sie sich über ihr Aussehen nicht beschweren. Aber das nette, sonst so jung wirkende Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Es war einer gewissen Erschöpfung gewichen.
Ränder unter den Augen. Eine Haut, die durch das viele Schminken gelitten hatte, das alles musste sie ertragen.
Claudine brauchte Ruhe. Viel Schlaf. Das alles würde sie sich holen, sobald sie abschätzen konnte, welche Jobs noch zu erwarten waren.
Dabei konnte ihr Isolde helfen. Die stellvertretende Chefin, eine Agenturtante, wie sie sich selbst bezeichnete. Immer quirlig, immer in Action. Die Frau mit dem offenen Ohr, auch wenn sie mal telefonierte. Dann hörte sie eben mit dem anderen zu.
Isolde klopfte nicht erst an. Sie stürmte in den Raum wie der berühmte Wirbelwind. »Hi, Süße, wieder da!«
Die übliche Begrüßung folgte. Küsschen rechts, Küsschen links, dann warf sich Isolde auf einen der Stühle mit der hellen Lederbespannung. »Heiß hier, nicht?«
»Kann man sagen.«
Isolde schaute Claudine aus ihren grünen Augen forschend an. Dabei hatte sie sich halb über den Tisch gelehnt. »Wie ist es gelaufen, Kindchen?«
Kindchen! Das sagte sie immer, dachte Claudine, und sie hasste diesen Ausdruck. Aber Isolde war schon fünfzig. Also konnte sie auch reden wie eine 50-Jährige. Keines der Models nahm es ihr übel.
»Gut.« Claudine hob die Schultern. »Eben wie immer.«
»Das freut mich für dich.« Isolde strahlte. »Aber jetzt bist du platt, wie?«
»So ähnlich.« Claudine trank einen Schluck von ihrem Wasser und ärgerte sich über ihre Nervosität. »Trotzdem wollte ich dich fragen, wie es aussieht für mich. Ich meine, gebucht für den neuen Sommerkatalog bin ich schon, aber was ist dazwischen? Es sind schließlich ein paar Monate Pause.«
»Ich weiß.«
»Das hört sich für mich nicht gut an.«
Isolde hob die Arme und holte tief Luft. »Was heißt hier, es hört sich nicht gut an. Du musst Geduld haben. Im Moment ist eine kleine Flaute eingetreten. Aber du kennst ja das Geschäft«, redete sie schnell weiter. »Das kann sich von heute auf morgen ändern. Brauchst dir also keine Sorgen zu machen.«
»Das sagst du.«
»Geht es dir denn schlecht?«
»Nein, das nicht. Nur hatte ich nicht vor, so viele Monate auf der faulen Haut zu liegen.«
»Brauchst du auch nicht, Claudine, brauchst du bestimmt nicht. Andere wären froh, wenn sie so ausgebucht wären. Da mach dir mal keine Sorgen, das wird alles schon klappen.«
»Ich verlass mich darauf.«
»Und du bleibst hier in London?«
»Klar doch.« Sie trank ihr Glas leer und stand auf. »Okay, ich lege mich erst mal hin. Schlafen, nur schlafen. Danach hören wir voneinander.«
»Sicher, Kindchen, sicher.« Auch Isolde war aufgestanden und begleitete Claudine zur Tür. Sie streichelte das Model dabei sanft. Wieder dachte Claudine daran, dass man Isolde zahlreiche Beziehungen zu Frauen nachsagte, doch das war ihr jetzt egal. Claudine verabschiedete sich ziemlich hastig.
Beinahe fluchtartig eilte Claudine durch das Büro nebenan, und ihre Stimmung erhielt einen weiteren Dämpfer. An der Wand, wo die Fotos der besten Models hingen, war ihres verschwunden!
Mit dem Lift fuhr die entnervte Claudine nach unten. Ihr Gepäck stand in der Portiersloge, wo der ältere Mann Wache gehalten hatte. »Es ist nichts weggekommen, Miss.«
»Danke.« Sie gab ihm einen Schein. Dann bat sie ihn, ein Taxi zu rufen.
»Wird erledigt.«
Claudine Otrano wartete in der Halle. Sie rauchte und hatte sich neben einen Standaschenbecher gestellt. Mit etwas verhangenen Blicken schaute sie den Rauchwolken hinterher, die nur langsam zerfaserten. Sie verglich diesen Vorgang mit ihrer Karriere, die sich wohl nun dem Ende zuneigte.
Draußen fuhr der Wagen vor. Der Portier half ihr dabei, die beiden Reisetaschen ins Freie zu tragen. Er lud sie dann auch ein und wünschte noch einen schönen Abend.
»Danke, wünsche ich Ihnen auch.« Claudine warf sich auf den Rücksitz und nannte ihre Adresse. Es war eines dieser neuen Häuser an der Themse, wo die Wohnungen zwar schön, luftig und groß, aber für die meisten auch unbezahlbar waren.
Ihr reichten zwei Zimmer mit Küche und Bad. Das konnte sie noch locker bezahlen, aber andere Wohnungen auf dem Flur standen leer. Zumindest war das noch vor einigen Wochen so gewesen.
Beinahe wäre sie bei der Fahrt eingeschlafen. Als der Wagen hielt, zuckte Claudine hoch, als hätte in ihrem Innern ein Wecker angeschlagen. Sie schaute sich etwas verwirrt um und hörte den Fahrer sprechen. »Ich denke, wir sind da, Miss.«
»Ach ja?« Sie entschuldigte sich und zahlte den Preis. Ein Trinkgeld bekam der Mann auch, der ihr beim Ausladen des Gepäcks half. Mit beiden Taschen an den Händen betrat Claudine das Haus, dessen Tür weit offenstand. Aus dem Erdgeschoss zog jemand aus. Junge Leute transportierten einen zerlegten Schrank durch den Flur nach draußen.
Claudine ließ sie vorbei. Danach fuhr sie mit dem Lift hoch in die dritte Etage, wo ihre Wohnung lag.
Ein weißer Flur. Beinahe wie in einem Krankenhaus. Aber der grüne Anstrich sorgte für Belebung, auch wenn er nur die Hälfte der Wände bedeckte. Sie blieb vor ihrer Wohnungstür stehen. Den Schlüssel hatte sie schon hervorgeholt.
Wenig später stand sie im kleinen Flur und erlebte das gleiche Gefühl wie immer, wenn sie von einer längeren Reise zurückkehrte. Die Wohnung war ihr einfach fremd, und sie würde es auch in den nächsten Stunden noch bleiben. Eine gewisse Gewöhnung brauchte sie schon. Zudem enthielt sie nicht viel an persönlichen Dingen.
Wegen der spärlichen Möblierung wirkte sie kahl. Daran änderte auch der Parkettboden nichts. An den hellen Wänden hingen nur wenige Bilder, und durch die große Scheibe im Wohnraum drang das allmählich dunkler werdende Licht der Dämmerung.
Das Gepäck hatte Claudine im Flur stehenlassen. Sie war in den Wohnraum gegangen, stand in dessen Mitte, überlegte, ob sie Musik hören sollte, und entschied sich dagegen. Zunächst wollte sie duschen und dann weitersehen. Die Ruhe würde schon zurückkehren, da machte sie sich keine großen Sorgen. Sie kannte sich schließlich aus, denn so war es immer gewesen.
Und doch kam ihr an diesem Tag etwas anders vor, obwohl sie nicht wusste, was es war. Das Model war fest davon überzeugt, dass sich die Atmosphäre verändert hatte. Sie kam mit ihr nicht zurecht. Normalerweise gab sie nicht viel auf etwas Imaginäres, hier aber dachte sie anders darüber. Es kam ihr vor, als sei ein Fremder in der Wohnung – oder bis vor kurzem gewesen. Und der Besuch schien etwas mitgebracht zu haben.
Ein wenig unsicher ging sie zwei kleine Schritte vor. Das Licht hatte sie nicht eingeschaltet. Es war hell genug, trotz der Dämmerung, und sie blickte sich um.
Spuren entdeckte sie nicht. Kein Schmutz auf dem Parkett. Nichts war verrückt oder durchsucht worden. Auf dem hellen Regal standen die wenigen Gegenstände noch so, wie sie zuvor gestanden hatten, auch die teure Musikanlage hatte niemand gestohlen. Es gab also keinen offensichtlichen Grund, unruhig zu werden.
»Ich bin überspannt, zu nervös«, schimpfte sich Claudine selbst aus. »Das kommt von diesem Job, der frisst mich irgendwann noch auf und ...«
Sie stoppte ihr Flüstern.
Etwas war passiert.
Ein Geräusch. Seltsam, aber auch normal. Das Schleifen einer Tür über den Boden. Claudine wusste, dass die Tür zum Bad schleifte, wenn sie geöffnet oder geschlossen wurde. Beim Eintreten hatte sie gesehen, dass die Tür geschlossen gewesen war.
Jetzt nicht mehr!
Etwas Kaltes rieselte wie eisige Hagelkörner über ihren Rücken. Sie stand auf der Stelle und versteifte sich. Wobei sie sich innerlich noch verkrampfte.
Dann drehte sie sich um. Lieber Gott, lass es nicht wahr sein. Mach, dass ich mich irre! So betete sie stumm.
Dann hörte sie die Geräusche.
Und Sekunden später erschien der Fremde in der Tür, wo er
stehenblieb, aber einen Satz sagte, der Claudine einen weiteren Angstschauer über den Rücken jagte.
»Jetzt beginnt das Spiel ...«
Warum schrei ich nicht? Warum renne ich nicht einfach weg? Warum stehe ich hier und starre diesen Typen an? Warum kann ich mich nicht bewegen? Wieso sage ich nichts?
Sie ärgerte sich über sich selbst und gestand sich ein, dass es ein verdammter Schock war, der sie starr gemacht hatte. Starr vor Angst. Der Eindringling bewegte sich nicht.
Er stand nur einfach da, als wollte er die verfließenden Sekunden genießen und sich alles genau anschauen, bevor er sich bewegte.
Auch Claudine sah ihn.
Sie wusste nicht, wie sie ihn beschreiben sollte. Gut, er war ein Mann, das sah sie. Er trug schwarze Kleidung, ein etwas helleres Hemd, sogar eine Krawatte. Sein Haar war dunkel, und trotzdem zeigte es einen rötlichen Schimmer. Eine hohe Stirn. Augen, die weit auseinander standen. Die schmale Nase, die wie ein Knochen aussah, über dem die dünne Haut nur wie zufällig lag. Das leicht spitze Kinn und die insgesamt gesehen doch ziemlich dünne Gestalt.
Kein Macho-Typ, kein Gegner der kompakten Sorte, und doch jemand, vor dem sich Claudine fürchtete. Es musste an der Aura liegen, die den Mann umgab. Sie hatte irgendetwas Schlechtes, über das sie sich nicht im Klaren wurde. Jedenfalls war sie so stark, dass Claudine nicht mal an Widerstand dachte.
Er hatte von einem Spiel gesprochen, das beginnen konnte. Welches meinte er damit?
Sie traute sich nicht zu fragen, zuckte aber zusammen, als er vorging. Er schlenderte auf sie zu, als wäre er der Besitzer oder Mieter der Wohnung und sie die Fremde. »Ja«, wiederholte er jetzt. »Das Spiel kann beginnen.«
»Spiel?«, flüsterte Claudine. Sie erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder.
»Ja, mein Spiel.«
»Aber warum?«
Er hob die Schultern. »Es ist nun mal so. Du bist mir aufgefallen. Ich habe dich auserwählt. Damit musst du dich abfinden.«
Der Schock bei Claudine hatte etwas nachgelassen, deshalb konnte sie den Kopf schütteln. »Abfinden? Nein, ich ...«
»Doch!«
Nur dieses eine Wort hatte er gesagt, aber Claudine fühlte sich im Innersten getroffen. Es hatte so endgültig geklungen, und sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
Dafür sprach der Unbekannte weiter: »Wir werden gemeinsam diese Wohnung hier verlassen und uns zu einem Ziel begeben, das ich dir noch nicht nennen werde. Aber für mich und meinen Plan ist es ungemein wichtig, das kann ich dir verraten.«
Claudine schüttelte den Kopf. »Bitte – was wollen Sie denn von mir?«
»Ich will nur dich.«
Sie regte sich über seine lässige Art auf und fluchte innerlich. »Warum denn mich?«, keuchte sie.
»Zufall. Es hätte auch eine andere treffen können.« Er stand jetzt dicht vor ihr und schaute sie an.
Claudine schaffte es nicht, ihm länger in die Augen zu sehen. Sie waren da, aber in diesem Blick lag etwas Grausames und zugleich etwas Bestimmtes, mit dem sie nicht zurechtkam. Es war der Blick des Siegers und der eines Menschen, hinter dessen Fassade das grausame Tier lauerte. Sie wusste, dass sie von ihm keine Gnade zu erwarten hatte. Er war konsequent. Es hatte nicht mal Sinn zu schreien. Hilfe würde sie nicht bekommen, das stand fest.
»Wer sind Sie überhaupt?«, flüsterte das Model schließlich. »Haben Sie keinen Namen?«
Der Mann winkte ab. »Schall und Rauch, meine Liebe. Nimm mich einfach hin.«
»Warum?«
»Weil ich der Stärkere bin und mich von meinem Plan nicht abbringen lasse.« Er lächelte sie kalt an und streckte ihr dabei die rechte Hand entgegen.
Claudines Körper zog sich zusammen. Sie fürchtete sich vor der Berührung, aber sie kam nicht weg. Er fasste sie an den Hals. Seine Finger waren so lang und kalt, als liefe durch seine Adern kein Blut, sondern eine andere Flüssigkeit.
»Wir werden jetzt gehen, Claudine.«
»Nein, ich will nicht ...« Plötzlich würgte sie. Der Mann hatte zugegriffen. Sie bekam keine Luft mehr, und sie schaute in das Gesicht des Mannes, in dem etwas Schreckliches geschah. Claudine konnte es nicht fassen. Sie wollte noch etwas sagen, aber der Schock war zu groß.
Ihr Beine gaben nach. Die Schatten kamen und huschten über die Frau hinweg.
Sie brach zusammen und wurde erst losgelassen, als sie auf dem Boden lag.
Claudine Otrano erwachte wieder und hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Es war einfach zu dunkel. Und nicht nur normal dunkel. Es war finster. Widerlich finster. Schwarz wie Tinte. Das alles glich einem Alptraum, der von einem Augenblick zum anderen über sie gekommen war. Sie dachte daran, dass es nicht wahr war, dass sie nur die Augen zu öffnen brauchte, um sich in ihrem Bett wiederzufinden. Nur musste sie dann feststellen, dass sie die Augen bereits geöffnet hatte und diese verfluchte Finsternis real war.
Das Model stöhnte nur. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie auf dem Boden hockte. Auf einer harten und auch kalten Unterlage. Allgemein war er kühl oder kalt, und das alles hatte auf ihrem Körper eine Gänsehaut hinterlassen.
Claudine hatte die Augen weit offen, trotzdem konnte sie nichts erkennen. Nicht mal die berühmte Hand vor Augen. Es war dunkel wie in einer Höhle.
Der Vergleich stimmte. Wie in einer Höhle. Ja, so musste man es sehen, man hatte sie in eine Höhle geschafft, wo das verdammte Spiel weitergehen würde.
Das Spiel!
Sein Spiel. Das Spiel des großen Unbekannten. Das Spiel eines grausamen Menschen, dem es nichts ausmachte, wenn andere Menschen durch ihn starben.
Der Gedanke daran war schrecklich. Bei ihr zog sich der Magen zusammen. Sie schaffte es kaum, Luft zu holen, und urplötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte das Wasser nicht mehr zurückhalten können, sie musste einfach weinen, und es hörte sich wirklich an wie ein verzweifeltes Schluchzen.
Wahrscheinlich minutenlang hockte sie auf dem Boden, bis der Tränenstrom versiegt war und Krämpfe ihren Körper schüttelten.
Aus der Tasche holte sie ein sauberes Tuch, wischte sich über das Gesicht und schnäuzte hinein. Wieder kam ihr zu Bewusstsein, dass sie auch weiterhin in der tiefen Dunkelheit hockte. Gefangen wie ein Tier, so menschenunwürdig und nutzlos.
Der andere konnte mit ihr machen, was er wollte. Spielen wollte er mit ihr. Das zumindest hatte er ihr angekündigt. Aber wie oft endeten Spiele tödlich!
Als Claudine daran dachte, floss die Furcht wieder über ihren Rücken und hinterließ dort einen Schauer. Sie wollte nicht sterben, sie war noch viel zu jung. Sie wollte leben und ...
Mit einer heftigen Bewegung fuhr sie noch im Sitzen herum – und schrie plötzlich auf, weil sie mit der rechten Schulter gegen einen harten Gegenstand geprallt war.
Claudine war für einen Moment verunsichert. Sie dachte an eine Mauer oder Wand, rieb ihre Schulter und streckte den Arm schließlich aus. Sehr bald schon ertastete sie das Hindernis. Es war lang, kalt und bestand aus Metall.
Ein Gitter!
Himmel, ein Gitter!
Wie bei einem Käfig. Plötzlich raste ihr Herzschlag. Claudine konnte nicht fassen, dass sie wie ein Tier in einen Käfig gesteckt worden war.
Die Berührung hatte sie aus ihrem traumatischen Zustand geholt und dafür gesorgt, dass sie nachdenken konnte. Claudine erinnerte sich an das Feuerzeug in der Hosentasche. Mit zitternden Fingern holte sie es hervor und ließ die kleine Flamme tanzen, als sie die halb erhobene Hand im Kreis bewegte.
Ein matter Glanz traf immer dann ihre Augen, wenn der Widerschein über die blanken Stäbe hinwegglitt, die sie als Viereck umschlossen hielten.
Ja, es war ein Käfig. Sie sah sogar eine schmale Gittertür, die aber war abgeschlossen.
Claudine löschte das Licht. Beim Aufstehen hielt sie sich an einem der Stäbe fest, weil ihre Beine zitterten. Sie bemerkte, dass der Boden unter ihren Füßen schwankte, oder bildete sie sich das nur ein?
Den rechten Arm hatte sie vorgestreckt und zündete das Feuerzeug. Die Flamme leuchtete ins Leere. Nein, nicht ganz, denn an der rechten Seite sah sie den Beginn eines dunklen Gegenstandes, von dem sie nicht wusste, was er darstellen sollte.
Vielleicht der Rand eines Tisches? Claudine konnte nichts mehr herausfinden, weil sie einfach zu ungünstig stand, aber die Angst war nicht gewichen. Noch immer ging sie davon aus, dass man sie in eine Höhle gesperrt hatte.
Warum?
Wer war der Unbekannte? Wo hielt er sich jetzt auf? Sie fing an zu zittern und zu frieren. Schweiß klebte auf ihrem Körper. Wieder stand sie im Dunkeln. Es gefiel ihr auch besser. Diese Gitterstäbe zu sehen, das machte sie einfach rasend.
Aber Claudine benutzte sie als Stütze, sonst wäre sie noch zusammengesackt. Sie brauchte das einfach. Es war ein Halt, er würde sie nicht schützen, aber er machte es ihr leichter.
Claudine weinte stumm. Sie zitterte nicht mal. Sie war plötzlich lethargisch geworden. Die Zeit spielte keine Rolle mehr für sie. Alles war so anders, so schrecklich, und sie wusste, dass sie aus eigener Kraft hier nicht mehr wegkam.
Bis sie das Lachen hörte und das Licht sah. Es stach grell von der Seite her in ihren Käfig hinein. So weiß und schattenlos wie das Licht eines Scheinwerfers. Der Strahl war nicht so breit, als dass er den gesamten Käfig ausgefüllt hätte, und er drang auch nicht von der Decke her auf sie zu, sondern von der Seite, von dort, wo sie die Kante des Möbelstücks entdeckt hatte.
Das Model drehte geblendet den Kopf. Wieder hörte sie das Lachen, und wenig später veränderte der Strahl seine Richtung. Er senkte sich und beleuchtete, als er erneut zur Ruhe kam, nur den unteren Teil des Körpers.
Das Lachen war verklungen, aber Claudine wusste genau, wo es aufgeklungen war. Sie kannte es auch. Es stammte von dem unbekannten Entführer, und sehr langsam drehte sie ihm den Kopf zu.
Sie sah tatsächlich einen breiten Schreibtisch, hinter dem der andere seinen Platz gefunden hatte. Er hockte dort wie ein Mensch, der genau wusste, dass ihm der Sieg gehörte. Sein Gesicht war nicht genau zu erkennen, denn es hob sich ebenso schwach ab wie der Körper.
»Na ...?«
Claudine schloss für einen Moment die Augen. Die Stimme sorgte wieder für Angst und hatte so überheblich geklungen und gleichzeitig auch, als wäre sie von einer Maschine angesprochen worden und nicht von einem Menschen.
»Du kannst ruhig reden, Claudine.«
Sie nickte mehrmals. Trotzdem fiel es ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Auch die Frage, die sie stellte, kam ihr letztendlich lächerlich vor. »Wo bin ich hier?«
»Oh – du bist bei mir.«
»Das, das ... weiß ich, aber ...«
»In meinem Versteck.« Auf weitere Einzelheiten ging der andere nicht ein. »Aber ich kann dir versichern, dass unser Spiel erst noch am Beginn steht.«
»Ich stecke in einem Käfig!«, flüsterte Claudine, um kurz danach loszuschreien. »In einem verdammten Käfig. Ich – ich bin zu einem Tier degradiert worden. Ich bin kein Mensch mehr, ich bin ein Tier! Tiere steckt man in Käfige, und auch dann ist es noch eine verfluchte Quälerei. Begreifst du das?«
»Natürlich. Aber was soll ich machen? Es ist wichtig für mich, für dich und für das Spiel.«
»Hör auf mit deinem verdammten Spiel!«, schrie sie. »Hör damit auf! Ich will es nicht hören. Ich kann es nicht mehr hören.« Speicheltropfen sprühten aus ihrem Mund und gerieten in das Licht des Scheinwerfers, wo sie zu reflektierenden Kügelchen wurden.
»Nein, Claudine, nein. Ich werde nicht aufhören, denn dieses Spiel ist wichtig für mich. Du bist erst der Anfang, aber es werden große Dinge folgen.«
»Ich habe damit nichts zu tun!«
Der Unbekannte lehnte sich zurück. »Aber sicher hast du das. Du bist der Starter.«
Claudine Otrano begriff nicht ganz. »Der, der was bin ich?«
»Der Starter.«
»Und weiter?«
»Das wirst du noch erleben«, erklärte der Mann. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf.