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Es lag sehr lange zurück, dass Bill Conolly und ich Darkmans Hinrichtung beigewohnt hatten. Kurz vor seinem Ende aber hatte Darkman mir versprochen, dass wir uns wiedersehen würden. Dieses Versprechen löste er auch ein und verwandelte das einst berühmt-berüchtigte Zuchthaus Dartmoor in eine Hölle auf Erden: Darkman war zwar gehängt worden, aber er war noch sehr lebendig. So kam es in den Mauern des verlassenen Gefängnisses zum tödlichen Showdown zwischen uns ...
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Verflucht, gehängt und doch lebendig
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Verflucht, gehängt und doch lebendig
von Jason Dark
Es lag sehr lange zurück, dass Bill Conolly und ich Darkmans Hinrichtung beigewohnt hatten. Kurz vor seinem Ende aber hatte Darkman mir versprochen, dass wir uns wiedersehen würden. Dieses Versprechen löste er auch ein und verwandelte das einst berühmt-berüchtigte Zuchthaus Dartmoor in eine Hölle auf Erden: Darkman war zwar gehängt worden, aber er war noch sehr lebendig. So kam es in den Mauern des verlassenen Gefängnisses zum tödlichen Showdown zwischen uns ...
Als Darkman gehängt wurde, läuteten die Glocken, denn es war für viele Menschen eine große Befreiung, den Mörder endlich im Jenseits zu wissen.
Den ganzen Tag über hatte die Spannung fast greifbar über dem alten Zuchthaus Dartmoor, dem in der Nähe liegenden Sumpf und den kleinen Orten gelegen. Jeder wusste über die Hinrichtung Bescheid. Sei es durch die Berichterstattung in den Zeitungen oder durch Mundpropaganda.
Darkman wusste, was auf ihn zukam. Er ertrug es mit Gelassenheit. Den Henker fürchtete er nicht. Er würde ihn sogar angrinsen, und er würde so aus dieser Welt gehen, wie man ihn kannte.
Ein Mann mit grauweißen Haaren, einer hohen Stirn, einer dicken, fleischigen Nase und einem schmalen Mund. Aus zwei Gründen hieß er Darkman. Zum einen hatte er seine Opfer nur in der Nacht heimgesucht und getötet, zum anderen wegen seiner Sonnenbrille, die er immer trug und sie selbst bei der Hinrichtung nicht abnehmen wollte. Zumindest nicht freiwillig, denn sie war sein Markenzeichen. Er trug die Brille auch in seiner Zelle, sogar in der Nacht, das jedenfalls wurde behauptet. Niemand hatte bisher versucht, sie ihm abzunehmen.
Wer in Darkmans Nähe kam, der verhielt sich still oder zog sich aus seinem Umkreis zurück, denn jeder spürte die Aura, die von diesem Mordgeschöpf ausging: ein böses Omen, ein unsichtbares Strahlen. Gewalt und Mord.
Darkman war an seinem letzten Tag schon früh aufgestanden und saß in seiner Zelle. Die dunklen Gläser verdeckten wie immer seine Augen. Er hatte sich rasieren dürfen, sein Gesicht war glatt. Wer sein Alter hätte schätzen wollen, wäre in Schwierigkeiten geraten. Darkman konnte vierzig, aber auch sechzig Jahre sein. Darüber hatte er sich nie ausgelassen.
Hinter den alten Mauern von Dartmoor hatten sich schon immer die härtesten Schicksale abgespielt. Hier waren Menschen gehängt worden, andere hockten seit Jahrzehnten in ihren Zellen und durften sie nur verlassen, um im Sumpf zu arbeiten. Wie sie auch alle hießen und was sie auch getan hatten, jeder von ihnen hatte sich in seiner Zelle ein kleines Stückchen Heimat geschaffen. Das konnte ein Bild sein, ein Strauß Trockenblumen, eine Fotografie, ein Buch, irgendetwas, das ihn ablenkte oder begeisterte. Jeder – bis auf eine Ausnahme.
Darkman hatte nichts.
Kein Buch, kein Bild, überhaupt nichts Persönliches. Er hatte auch nie Besuch bekommen. Er war durch die Gegend gelaufen und hatte getötet. Rücksichtslos. Kinder, Frauen und Männer. Er hatte Kinder in den Sumpf getrieben und sich daran ergötzt, wie sie versanken. Und er war immer in der Dunkelheit gekommen. Lautlos, wie ein Schatten, und grausam, sehr grausam.
Aber sie hatten ihn erwischt, verurteilt, sogar verflucht, und dann die Todesstrafe ausgesprochen.
Hängen sollte er. HÄNGEN!
Der Mann auf der Pritsche beschäftigte sich mit diesem einen Wort, als er ins Leere starrte. Er fuhr mit der Hand an seiner Kehle entlang, wo sich die dünne Haut spannte, und sie spannte sich noch stärker, als er grinste.
Es war ein Grinsen, das einem schon Angst machen konnte, denn es war irgendwie wissend. Und als Darkman nickte, da sah es so aus, als hätte er einen Entschluss gefasst.
Er schaute auf seine kräftigen Hände mit den langen Fingern. Sie hatten so manche Kehle zugedrückt und die Schreie der Opfer oft genug erstickt. Aber er hatte auch mit Waffen getötet, mit Messern, mit Eisenstangen und so weiter.
Dafür sollte er jetzt hängen.
Es war ein Festtag für die Menschen. Und ein wenig konnte man sich ans Mittelalter erinnert fühlen, als Hinrichtungen und Hexenverbrennungen beinahe wie Volksfeste waren.
Und auch heute würde man feiern, und das Personal im Zuchthaus würde aufatmen.
Darkman aber lächelte. Wobei sich seine Lippen wieder sehr schnell strafften, als er durch die dicke Tür die Stimmen hörte. Die Männer mussten schon direkt vor ihr stehen, sonst hätte er sie nicht vernehmen können.
Für einen Moment war er unsicher. Kamen sie schon jetzt, um ihn zu holen? Nein, es war noch nicht die festgesetzte Zeit. Und die hielten sie immer ein. Er konnte die Stunden gut schätzen, obwohl er keine Uhr trug. Die Klappe in der alten Tür würde nicht geöffnet. Dafür hörte er die Bewegung im Schloss, auch der Riegel wurde zur Seite gezerrt, dann sah er die vier Typen.
Wieder grinste er. Sie schienen noch Angst vor ihm zu haben, weil sie zu viert gekommen waren.
Dean Fletcher, einer der Wärterchefs, stand auf der Schwelle. Er war groß und wuchtig. Ein brutaler Mann, wie man sagte, und sein Gesicht sah aus, als wäre es aus Stein gehauen. Dieser Fletcher sollte angeblich mit jedem Gefangenen fertig werden, aber heute hatte er noch zwei Kollegen mitgebracht, die hinter ihm warteten und ihm Rückendeckung gaben.
Der vierte Mann war der Pfarrer!
Darkman musste grinsen, als er ihn sah. Der Mann war noch jung, zu jung für einen solchen Job. Ihm fiel ein, dass der eigentliche Pfarrer erkrankt war, so musste ihn dieser hier wohl vertreten. Und das gefiel dem jungen Mann nicht. Sein Blick zeigte eine gewisse Furcht und Sorge.
Darkman hatte den Kopf nach rechts gedreht.
Vom Gang her wehte der Geruch eines Putzmittels in die Zelle. Er war scharf und bitter.
»Ist es schon so weit?«
»Nein«, sagte Fletcher.
»Dann lasst mich in Ruhe!«
»Ich habe dir hier einen Geistlichen mitgebracht.« Fletcher sprach weiter, obwohl der Gefangene lachte. »Es ist so Vorschrift, und wir werden sie einhalten.«
Darkman hörte auf zu lachen.
»Was soll ich denn mit dem? Ich habe doch gesagt, dass ich keinen ...«
Der junge Priester ergriff das Wort. »Es kann ja sein, dass Sie Ihre Taten bereuen möchten, bevor Sie vor dem Angesicht unseres Herrn stehen.«
»Herrn?« höhnte er. »Gott?«
»Ja.«
»Hau ab, du Seelenfänger! Ich bin mein eigener Herr und Gott. Hast du verstanden?«
»Sicher.«
»Du willst also nicht ein letztes Gebet sprechen?«, fragte Fletcher noch einmal.
»Nein, das will ich nicht.«
»Dann gehen wir.«
»Hoffentlich.«
Fletcher trat einen Schritt vor. »Beim nächsten Mal, Hundesohn, werden wir dich holen und dich zum Galgen schleifen. Ich bin gespannt, wie stark du dann bist.«
»Sehr stark.«
»Das haben schon viele gesagt. Aber dann habe ich sie heulen, brüllen und wimmern hören. Manche haben sich die Hosen vollgeschissen, eine Riesensauerei, die wir dann immer wegmachen mussten.«
»Ich werde dir den Gefallen nicht tun.«
»Abwarten.«
Darkman spitzte die Lippen, als wollte er den anderen küssen.
»Hau endlich ab!«
»Gern.« Fletcher kicherte. »Aber ich habe gewonnen. Wir alle haben gewonnen.«
»Meinst du?«
»Klar, denn bald bist du tot.«
»Ja ... tot ...« Keiner wusste, weshalb Darkman plötzlich kicherte, aber selbst der Geistliche bekam eine Gänsehaut, als er dieses Lachen hörte. Es verstummte plötzlich. Fletcher fluchte. Er hätte Darkman am liebsten getreten, aber er riss sich zusammen. Nicht im Beisein des Pfarrers. »Aber deine Hinrichtung, Hundesohn, die werde ich mir ansehen. Sogar mit großem Vergnügen, und ich werde innerlich jubeln, wenn ich dein Genick brechen höre.«
»Du kannst auch laut lachen, Fletcher. Es ist mir egal. Ich will euch nur nicht mehr sehen.«
»Das weiß ich.« Die Männer zogen sich zurück. Fletcher knallte die Tür zu. Manchmal fragte er sich, wo der Unterschied lag zwischen dem Wachpersonal und den Gefangenen gab. Dieses verdammte Zuchthaus machte auch normale Menschen böse, denn in diesen Mauern hauste der Geist des Todes und der Rache. Es wurde Zeit, dass man den Bau stilllegte. Gesprochen hatte man ja schon davon, aber dann war es doch immer wieder verschoben worden.
Fletcher schaute durch die Klappe noch einmal zurück in die Zelle. Darkman hockte dort und bewegte sich nicht.
»Bald bist du tot«, flüsterte Fletcher. »Bald bist du dreckiger Schweinehund tot ...«
Hatte Darkman ihn gehört? Eigentlich nicht. Trotzdem drehte er den Kopf zur Tür.
Er grinste.
Und dieses Grinsen gefiel dem Wärter überhaupt nicht. Hastig schloss er die Klappe wieder.
Darkman hatte sogar geschlafen, was von seinen wirklich guten Nerven zeugte. So erlebten die Wächter zum ersten Mal einen etwas benommenen Kandidaten, als sie seine Zelle betraten, um ihn für seinen letzten Weg abzuholen.
»He, was ist?«
»Jetzt kommst du mit!«
Noch immer verschlafen richtete sich Darkman auf. Tatsächlich trug er seine dunkle Brille. Sie war allerdings etwas verrutscht. Der Killer merkte es sofort und richtete sie wieder, sodass niemand in seine Augen schauen konnte.
Fletcher stand vor ihm. Er hatte sich gewaschen und rasiert, denn er roch nach Seife und Aftershave. Im Hintergrund wartete die Eskorte. Vier Wächter, deren Gesichter Darkman oft genug in den vergangenen Wochen gesehen hatte.
Er richtete sich auf, gähnte, schüttelte den Kopf und schaute hoch, als ihn Fletcher fragte: »Bist du bereit?«
»Wofür?«
»Um in den Tod zu gehen.«
»Ach so, ja. Klar, ich bin bereit. Aber gehe ich wirklich in den Tod? Gehe ich ...?«
»Steh auf!«
Darkman erhob sich. Er hustete noch. Dann bewegte er seinen Kopf, als wollte er die restliche Müdigkeit abschütteln. Wieder musste er gähnen. Er tat es lang und intensiv.
Die Männer, die auf ihn warteten, schwiegen und wunderten sich. So hatte noch nie jemand reagiert. Als Fletcher mit den Handschellen klimperte, schüttelte Darkman den Kopf. »Die brauche ich nicht. Ich werde freiwillig mitkommen.«
»Es ist aber Vorschrift.«
»Dann tu es!«
Seine Hände wurden auf dem Rücken gefesselt, und auch das ließ Darkman mit sich geschehen. Er dachte überhaupt nicht daran, sich zu wehren, aber die Brille behielt er auf.
»Hast du noch einen letzten Wunsch, wo du schon auf die Henkersmahlzeit verzichtet hast?«
»Den habe ich.«
Fletcher war so überrascht, dass er keine Antwort geben konnte, und so sprach Darkman weiter. »Ich möchte meine dunkle Brille aufbehalten.«
»Meinetwegen. Man wird dir sowieso eine Kapuze über den Kopf streifen. Aber warum ist das so wichtig?«
»Meine Sache.«
Fletcher grinste. »Ich könnte sie dir jetzt abnehmen, Darkman.«
»Ja, könntest du. Aber es wäre nicht gut für dich, Fletcher, nicht gut.«
Er hatte die Antwort gegeben, und Fletcher ließ sein Vorhaben sausen. Da hatte ein bestimmter Klang in der Stimme des Delinquenten gelegen, der ihm nicht gefallen wollte. Er jagte ihm sogar etwas Furcht ein, und so besann sich Fletcher wieder auf seine eigentlichen Aufgaben.
»Abführen!«, befahl er seinen Leuten.
Sie nahmen Darkman in die Mitte. Zwei gingen vor, dann kam er, zwei bildeten die Nachhut.
So verließen sie die Zelle und führten ihn nicht nach rechts, sondern diesmal nach links. Das war der Weg in den Tod. Die Straße der Tränen wurde sie auch genannt, denn sie hatte schon einiges erlebt. Tobende, schreiende Männer, die allesamt ihre Menschlichkeit verloren hatten und zu Tieren wurden oder zu Wesen, die sich auf einer noch niedrigeren Entwicklungsstufe befanden.
Sechs Todeszellen gab es in diesem Trakt. Drei auf jeder Seite des Ganges. Keine war jetzt mehr belegt, und Fletcher wusste auch nicht, wann der nächste Kandidat eingeliefert werden würde.
Hier roch es immer. Zumeist nach Desinfektionsmitteln, die andere Gerüche überdecken sollten. Bei vielen öffneten sich der Schließmuskel, andere übergaben sich, wieder andere konnten nicht mehr allein gehen, doch das alles traf auf Darkman nicht zu. Er hielt sich aufrecht. Nicht ein Schweißtropfen lag auf seiner Stirn. Darkman sah aus wie jemand, den das alles nicht berührte.
Damit kam Fletcher nicht zurecht. Er hatte die Führung der kleinen Eskorte übernommen. Er selbst schwitzte. Unter den Armen war er nass geworden. Er konnte nicht begreifen, dass einem Menschen sein eigenes Leben so wenig wert war. Dass er auf den Tod mit solcher Gelassenheit wartete.
Da war einiges nicht normal. Bei diesem Mörder stimmte nichts, bei ihm waren keine Gefühle vorhanden.
Fletcher dachte auch über die ungewöhnliche Bitte nach. Der Delinquent wollte die Brille mit den dunklen Gläsern aufbehalten. Ein seltsamer Wunsch. So etwas hatte der Wärter in seiner nicht eben kurzen Laufbahn auch noch nicht erlebt.
Verrückte Welt, dachte er.
Am Ende des Flurs befand sich die Eisentür. Sie war das Tor ins Jenseits. So jedenfalls wurde sie vom Personal genannt. Wer dieses Tor durchschritt, für den gab es kein Zurück mehr.
Fletcher schloss auf.
Im Gegensatz zum Gang, der hinter ihm lag, war der Raum, der sich jetzt vor ihm öffnete, beinahe schon eine Halle.
Er war zweigeteilt, und das kalte Licht der Lampen verteilte sich auf beide Hälften. Rechts saßen die Zuschauer. Man hatte harte Holzstühle zu Bankreihen aufgestellt. Dort saßen die offiziellen Vertreter des Staates, die bei jeder Hinrichtung anwesend sein mussten.
Aber es war auch genügend Platz für andere Zuschauer vorhanden, und an diesem Tag waren alle Stühle besetzt. In den umliegenden Dörfern hatte sich die Hinrichtung herumgesprochen. Viele wollten den Unhold sterben sehen.
Darkman, der den zweiten Teil dieses hallenartigen Raumes betreten hatte, blieb vor dem Eisengitter stehen, als wollte er sein Gesicht an dem Metall kühlen. Sie hatten nichts verändert. Schon vor hundert Jahren waren die Verbrecher in diesem Raum gehängt worden.
Einen Blick für den Galgen hatte Darkman nicht. Er schaute sich die Zuschauer an. Fletcher, der ihn vom Gitter wegziehen wollte, schaffte es nicht, denn Darkman schüttelte die Hand von seiner Schulter ab. »Da ist noch etwas«, sagte er.
»Was denn?«
»Ich habe mir die Gaffer angeschaut.«
»Und?«
»Ich verachte sie alle. Sie sind Idioten. Sie sind ...«
»Schon gut.«
»Bis auf einen!«
»Wieso?«
»Er sitzt hinten, in der letzten Reihe, ganz links.«
»Der junge Mann mit den blonden Haaren und dem blauen Pullover?«
»Genau der.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich weiß es nicht, Fletcher. Aber ich möchte gern seinen Namen wissen. Es ist mein allerletzter Wunsch.«
Der junge Mann hatte inzwischen bemerkt, dass über ihn geredet wurde. Er wusste aber nicht, wie er sich verhalten sollte und bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl. Dann sprach er seinen Nebenmann an, der dunkleres Haar hatte.
Der aber hob nur die Schultern und konnte ihm auch keine Antwort geben.
»Können Sie mal aufstehen, bitte, Sie – in dem blauen Pullover.«
Der junge Mann stand tatsächlich auf. »Was wollen Sie denn von mir?«
»Darkman will etwas wissen.«
»Von mir?«
»Klar.«
»Ich bin Student und ...«
»Deinen Namen!«, rief der Mörder. »Sag mir deinen Namen!«
Der Student zögerte. Er wollte nicht so recht. Er fühlte sich unwohl. Fletcher griff ein. »Es ist sein letzter Wunsch!«
»Gut, wenn das so ist. Ich heiße Sinclair. John Sinclair!«
»Sehr schön.« Darkman nickte. »Den Namen muss ich mir merken, denke ich. Ja, ich merke ihn mir.«
Keiner wusste, was das zu bedeuten hatte. Aber der Student hatte schon eine Gänsehaut bekommen. Er setzte sich wieder und flüsterte mit seinem Nebenmann.
Darkman trat vom Gitter weg. »So, jetzt bin ich zufrieden!«, erklärte er.
»Aber ich nicht«, sagte Fletcher leise. »Ich habe auch noch einen Wunsch. Ich will in deine Augen sehen!«
»Tu dir das nicht an!«, erwiderte Darkman.
»Doch!« Fletcher griff schon nach der Brille. Er rückte sie zur Seite. Er sah nur ein Auge, nur einen Teil davon – und stöhnte leise auf. Das konnten keine normalen Augen sein. Er hatte in kaltes Glas gesehen. Er hatte dem Tod im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge geschaut. Hastig setzte er dem Mörder die Brille wieder auf.
Durch eine Seitentür kam der Henker. Den Galgen hatte er schon überprüft. Der Knoten war perfekt geschnürt.
Die Prozedur konnte beginnen.
Draußen wurden bereits die Glocken geläutet.
Wenige Minuten später war Darkman tot. Zeugen meinten, sein Genick wäre mit einem besonders hässlichen und lauten Geräusch gebrochen, als sollte den Zuschauern klargemacht werden, dass Darkman nun endgültig tot war.
Aber ein Gefühl der Bedrückung blieb trotzdem bei allen zurück ...
Jahre später!
Dartmoor gab es zwar noch, aber es diente nicht mehr als Zuchthaus, sondern als Denkmal, das von Touristen besichtigt werden konnte. Busladungen Neugieriger wurden herangekarrt, selbst vom Kontinent aus konnten diese Touren durch den Südwesten der Insel, die auch Land's End und Stonehenge einschlossen, gebucht werden.
Die Moorlandschaft hatte sich kaum verändert. Nur wenige Wege führten hindurch zu den einsamen Häusern, den kleinen Dörfern, wo die Menschen ihrem normalen Tagwerk nachgingen.
Sie waren froh, dass dieses Zuchthaus nur noch eine Touristenattraktion war. Es gab keine Gefangenen mehr, die in den Sümpfen arbeiteten. Immer wieder hatten welche auszubrechen versucht.
Das alles aber gehörte der Vergangenheit an. Und doch sprach man immer wieder von dieser Vergangenheit. Es gab einfach zu viele Geschichten, die sich um das alte Zuchthaus drehten. Zudem waren Filme darüber entstanden, und der Stoff ging den Menschen nie aus. Auch die Touristen hörten gern zu. Einige übernachteten in der Umgebung, so wurde die Infrastruktur belebt. Es kam Geld in die Kassen, den Menschen ging es besser.
Aber die Erinnerungen ließen sich nie ganz abschütteln. Vor allen Dingen bei den Menschen nicht, die direkt mit dem Zuchthaus zu tun gehabt hatten.
Wie zum Beispiel Dean Fletcher, der Wärter. Er war längst pensioniert, doch die Ruhe eines Rentners war ihm nicht vergönnt.
Zu stark wirkten die Erlebnisse seines Berufslebens noch nach. Immer wieder kamen sie in ihm hoch. All die Gefangenen, all die Hinrichtungen, er konnte sie einfach nicht vergessen. Die Jahre hatten sich zu einem imaginären Film verdichtet, der immer wiederkehrte, ob er es nun wollte oder nicht.
Fletcher ging daran kaputt. Er wusste es. Aber er tat nichts dagegen. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben und versuchte, das Beste daraus zu machen. Da er schon immer gern ein Glas getrunken hatte, war der Alkohol für ihn der einzige Tröster, denn seine Frau hatte ihn verlassen. Sie war zur Tochter nach Exeter gezogen, die dort selbst eine kleine Familie hatte.
So blieb Fletcher allein zurück in dem Haus, das ihm vom Staat zur Verfügung gestellt worden war. Wegen seiner geringen Größe nannte er es aber nur die Wohnung.
Geld genug besaß er. Da hatte sich der Staat großzügig gezeigt. Satt wurde er immer, und das eine oder andere Bier konnte er sich auch leisten. Sogar den Whisky dazu.
An diesem Tag hatte das Wetter mal wieder verrückt gespielt. Eigentlich hätte die Sonne scheinen müssen, es war ja Sommer, aber trübe Regentage hatten sich zuletzt aneinandergereiht. Und mit dem Regen war der Nebel gekommen.
Bei diesem Wetter jagte man keinen Hund nach draußen.
Zwar war Fletcher kein Hund, aber er verließ sein Haus trotzdem, weil er nicht in der feuchten Bude herum hängen wollte. Die Kneipe lag nicht weit entfernt, sogar im Schatten der Kirche, was ihn aber auch nicht störte, denn mit dem Pfarrer verstand er sich gut. Der Mann begriff, was Fletcher quälte, denn er war früher Gefängnisseelsorger gewesen. Schon als junger Mann war der Pfarrer aushilfsweise nach Dartmoor gekommen und hatte später die Stelle behalten.
Es war noch nicht dunkel, aber im Nebel verschwammen die Konturen. Da sahen die Häuser aus, als wollten sie einfach verschwinden oder in andere Welten eintauchen. Wenn Autos fuhren, waren sie kaum zu hören, und das heisere Kläffen eines Hundes wurde stark verfremdet, auch wenn sich das Tier nur wenige Schritte von ihm entfernt befand.
»Halt die Schnauze«, murmelte Fletcher.
Er hatte sich in den Jahren nicht sehr verändert. Sein Gesicht sah noch immer aus, als wäre es aus Stein gehauen worden, nur hatte es jetzt mehr Falten. Und seine Lippen waren blass geworden, und die Augen blickten müde.
Aber die Erinnerung steckte noch in ihm, und die würde auch an diesem Abend nicht verschwinden, das spürte Fletcher mit einer jener Vorahnungen, auf die er sich schon immer hatte verlassen können. Da war es besser, wenn er nicht allein blieb und nach Zerstreuung suchte.
Die Glotze bot ihm das nicht. Sie konnte ihn zwar etwas ablenken, aber nicht gedanklich, dazu brauchte er eine Unterhaltung, ein Gespräch, in das er sich einbringen
konnte.
Er empfand die Luft als kalt. Den Kragen der Jacke hatte er deshalb hochgestellt.
Die Kirche war kaum zu sehen. Sie schien sich im dichten Dunst zu verstecken. Ein Auto überholte Fletcher. Laute Musik erreichte seine Ohren.
Fletcher fror. Das war für ihn ungewöhnlich. In seinen Knochen steckte keine Krankheit. Nein, dieses Frieren musste einen anderen Grund haben, den er aber nicht kannte. Es hing mit seiner Psyche zusammen, mit einer Ahnung, dass vielleicht irgendetwas passierte.
Um den Pub zu erreichen, musste er die Straße überqueren. Ein Radfahrer hätte ihm beinahe die Zehen abgefahren. Fletcher fluchte hinter dem Kerl her, der noch lachte.
Im Moment war die Straße leer. Er sah keine Lichter.
Keine Busse mit Besuchern, das Wetter war einfach zu schlecht.
Mitten auf der Straße blieb Fletcher stehen. Jemand kam ihm entgegen. Es wies nichts darauf hin, als würde der andere ihm ausweichen.
Die fremde Gestalt war größer als er. Sie trug eine graue Jacke, eine weite Hose, das konnte Fletcher sehen.
Zwei dunkle Augen.
Ein Gesicht, das so bleich war.
Er kannte es. Er erinnerte sich an die Augen und an die runden Brillengläser.
Darkman war wieder da!
Dean Fletcher hatte eigentlich schreien wollen, nur war er dazu nicht in der Lage. Er stand wie festgenagelt auf der Stelle, glotzte die Gestalt mit den dunklen Gläsern an und spürte plötzlich den eisigen Todeshauch, der ihn umwehte.
Und dann war Darkman wieder verschwunden!
Fletcher stöhnte auf. Er zitterte. Aber er schaffte es trotzdem, sich zu drehen, weil er den Rücken des anderen sehen wollte.
Aber den gab es nicht mehr. Darkman oder derjenige, den er für Darkman gehalten hatte, war verschwunden. Der dichte Nebel hatte ihn geschluckt.
Jemand hupte. Fletcher zuckte zusammen. Zwei Augen glotzten ihn an. Hell und trotzdem verlaufen. Dann bremste der Fahrer, sonst hätte er den Mann auf der Straße überrollt.
»Verdammt, Fletcher, was machst du denn hier? Warum stehst du mitten auf der Straße?«
Dean gab keine Antwort.
Er winkte nur ab. Mit schwerfälligen Bewegungen ging er den Rest der Strecke. Er wäre beinahe noch über den Bordstein gestolpert. Dann war er froh, sich gegen eine Hauswand lehnen zu können.
Das durch ein Fenster fallende Licht streifte an ihm vorbei. Es fiel nicht über das schweißnasse Gesicht mit den weit geöffneten Augen und der schweißbedeckten, glänzenden Haut.
Fletcher spürte einen widerlichen Geschmack im Mund. Die Zunge war pelzig und erinnerte ihn an einen feuchten Kloß. Das Herz schlug so schnell, als stünde es dicht vor einem Infarkt. Die Hände waren feucht. Fletcher sah sich nicht mehr in der normalen Welt, sondern hatte sich in der Vergangenheit verloren.
Darkman!