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"Es gibt die Stimmen aus dem Jenseits! Man kann mit den Toten sprechen!" Das behauptete Mandy Alwood und lud mich zu einer ihrer Sitzungen ein.
Tatsächlich meldete sich eine Stimme aus der Dimension der Toten. Es war der Geist des hingerichteten Massenmörders Ed Greene. Seine Körper war auf dem elektrischen Stuhl verbrannt, aber sein Geist lebte weiter.
Greene gelang es, die Bewohner eines Hochhauses unter Kontrolle zu bringen, um sie nun der Reihe nach in den Selbstmord treiben zu können. Suko und ich wollten das um jeden Preis verhindern. Rasch aber mussten wir feststellen, dass unsere Maßnahmen nichts auszurichten schienen ...
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
SÜSSE SEHNSUCHT TOD
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
SÜSSE SEHNSUCHT TOD
von Jason Dark
»Es gibt die Stimmen aus dem Jenseits! Man kann mit den Toten sprechen!« Das behauptete Mandy Alwood und lud mich zu einer ihrer Sitzungen ein.
Tatsächlich meldete sich eine Stimme aus der Dimension der Toten. Es war der Geist des hingerichteten Massenmörders Ed Greene. Sein Körper war auf dem elektrischen Stuhl verbrannt, aber sein Geist lebte weiter.
Greene gelang es, die Bewohner eines Hochhauses unter Kontrolle zu bringen, um sie nun der Reihe nach in den Selbstmord treiben zu können. Suko und ich wollten das um jeden Preis verhindern. Rasch aber mussten wir feststellen, dass unsere Maßnahmen nichts auszurichten schienen ...
»Wir müssen das Zimmer abdunkeln«, sagte Mandy Alwood, als sie die Tür hinter mir schloss. »Das ist besser so.«
»Warum ist es besser?«
»Das sage ich Ihnen gleich.« Sie huschte an mir vorbei und ließ das Rollo herunter. Ich schaute zu, wie eine Lamelle auf die andere fiel, wie es immer dunkler wurde, bis kaum noch Licht in das winzige Zimmer drang. Eine Schande, dass man in dieser heruntergekommenen Gegend für eine solche Bude so viel Miete zahlen musste!
Mandy Alwood wohnte in diesem Hochhaus. Sie hatte mich eingeladen, um mir etwas Unheimliches zu präsentieren. Und sie war ziemlich nervös. Immer wieder strich sie ihre langen, dunklen Haare zurück. Dann deutete sie auf einen Sessel. »Nehmen Sie doch bitte Platz, Sie brauchen hier wirklich nicht zu stehen.«
»Danke«, sagte ich und musterte Mandy im Lampenlicht. Schwarze Haare hatte sie und einen ziemlich dunklen Teint. Sie trug eine schwarze Hose und ein schwarzes, weit geschnittenes T-Shirt. Sie sah aus wie ein Gruftie, war aber keiner, sondern arbeitete als Tänzerin in der Oper. Sie war hypersensibel und magisch begabt. Das jedenfalls hatte ich von meinem Freund Bill Conolly erfahren, der sie flüchtig kannte, weil er einen Bericht über sie geschrieben hatte. Er hatte mir Mandy empfohlen und ihr zugleich geraten, sich mit mir in Verbindung zu setzen.
Mandy strich wieder ihre Haare zurück. Sie fragte: »Einen Drink, Mr. Sinclair?«
»Wäre nicht schlecht, allerdings hätte ich da eine Bedingung.«
»Welche?«
»Seien Sie nicht so förmlich. Nennen Sie mich einfach John. Ist das okay?«
»Und wie.«
»Gut, Mandy, dann nehme ich gern einen Drink.«
»Was darf es sein?«
»Es kann auch etwas Alkoholfreies sein.«
»Wasser?«
»Ist genehm.« Zwar hatte ich Durst auf ein Bier, aber ich war im Dienst.
Ich bekam mein Wasser in einem roten Glas serviert, und auch Mandy hatte sich für Wasser entschieden. Ihr schmales Gesicht zuckte. Ein Zeichen, dass sie nervös war. Sie schob einen fahrbaren Tisch heran, parkte ihn rechts neben mir und nahm auf der anderen Seite des Tisches auf einer Stoffkugel Platz. Mit der freien Hand deutete sie nach vorn. »Da steht es.«
Ich stellte das Glas zur Seite und nickte. »Sie meinen natürlich das Radio auf der Kommode.«
»Ja.«
»Es sieht alt aus.«
Mandy kicherte leise. »Das ist auch alt. Wie die Kommode. Beides stammt noch von meiner Großmutter. Wenn Sie einen Sender suchen, dann müssen Sie noch an den Knöpfen drehen. Finde ich irgendwie stark.«
»Mehr nicht?«
»Doch«, sagte sie leise. »Und unheimlich.« Sie schüttelte sich. »Es ist für mich der Lautsprecher ins Reich der Toten.« Heftig winkte sie ab. »Ich will nicht zu viel darüber reden, deshalb sind Sie ja gekommen. Sie sollen es selbst erleben.«
»Darauf freue ich mich.«
»Man kann auch kein Radio von heute nehmen. Es muss schon ein gewisses Rauschen vorhanden sein, wenn Sie verstehen.«
Ich verstand zwar nicht, nickte aber trotzdem. Natürlich war ich über das Phänomen der Stimmen aus dem Jenseits informiert. Ich hatte es selbst schon erlebt, aber ich hielt mich mit meiner Meinung zurück. Außerdem sollte ich bei Mandy Alwood eine neue Variante dieses Phänomens erleben können.
Sie schwieg seltsamerweise. Als ich nach rechts schaute, da sah ich, wie sie sich entspannte. Zwar war ihr Körper gestreckt, die Hacken berührten den Boden wie als eine Stütze, und die Augen hielt sie geschlossen.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste auch nicht, ob es mir gefiel, aber es war ihr Spiel, und ich befand mich zunächst in der Rolle des Zuschauers.
Im Raum war es still. Ein ungewöhnlicher Geruch hing in der Luft. Ich war jedoch nicht in der Lage, ihn zu identifizieren, glaubte aber oder konnte mir vorstellen, dass es nach Strom ›roch‹, wobei Strom ja nicht riecht. Man spürt ihn aber, registriert Entladungen und elektrische Ströme.
Bisher tat sich nichts. Sie hatte das Radio noch nicht einmal eingestellt, und ich hörte auch keine Musik. Nach etwa zehn Minuten, die mir, dem Wartenden, sehr lang vorkamen, wollte ich Mandy aus ihrer Trance wecken, was nicht mehr nötig war, denn sie schlug von allein die Augen auf, streckte sich und richtete sich auf.
Dann stellte sie sich hin, fuhr sich durch die schwarzen Haare. Da sich der Körper dabei gestreckt hatte, konnte ich ihn mir genauer anschauen und musste zugeben, dass Mandy diesen dünnen Mannequins glich, die bei den großen Schauen über den Laufsteg stöckelten. Sie war sehr schlank, vornehm ausgedrückt, das kam sicherlich durch den Job als Tänzerin. Da mussten die Akteure alle gut durchtrainiert sein.
Sie stand auf und lächelte. »Das musste sein, John, ich mache es immer, bevor ich anfange.«
»Geht es Ihnen dann besser?«
»Ja, sehr viel besser.«
»Dann will ich nichts sagen.«
»Sie halten nicht viel von Yoga?«
»Weiß ich nicht. Ich habe auch keine Zeit, es auszuprobieren.«
»Die muss man sich nehmen, so wie ich.«
»Das kann schon sein, Mandy, aber hätten Sie mir gerade jetzt eine Lehrstunde gegeben?«
Sie lachte bei ihrer Antwort. »Nein, das nicht.« Kokett warf sie wieder die Haare zurück. »Später können wir darüber noch mal reden.« Ihre Stimme bekam einen anderen Klang. »Falls es ein Später gibt.«
»Wie meinen Sie das?«
Mandy winkte ab. »Ach, nur so. Kümmern wir uns endlich um die wichtigen Dinge.«
»Darauf warte ich.«
Zuerst knipste Mandy Alwood eine zweite Lampe an. Sie stand neben dem alten Radio und war so gebogen, dass der Schein auf das Gerät fallen konnte. Ein alter Holzkasten, dessen braunes Material an den Außenseiten blankgeputzt war. An der Frontseite, übergroß, war der Lautsprecher zu sehen. Viereckig und mit beigem Stoff bespannt. Ein Staubfänger. Darunter befand sich das Frequenzband mit den beiden Drehknöpfen an den verschiedenen Seiten. Mit dem linken konnten die Sender gesucht werden, mit dem rechten veränderte sich die Lautstärke. Das magische Auge leuchtete grünlich auf, wenn das Radio eingeschaltet wurde, und es zeigte an, wie gut der Empfang war.
Mandy löschte die Deckenleuchte. Jetzt brannte nur das eine Licht, und das Radio stand im Mittelpunkt.
»Kann es losgehen?«, fragte ich.
»Gleich, John, gleich.« Mandy holte sich noch einen Stuhl und stellte ihn vor den Apparat. Sie setzte sich hin und schaltete das Radio ein. Da ich zu wenig sehen konnte, erhob ich mich von meinem Platz. Mit leisen Schritten ging ich zu ihr. Es störte sie nicht, dass ich dicht neben ihr stehenblieb.
Mandy rieb mit den Handflächen über ihre Hosenbeine. »So«, sagte sie. »Jetzt kann es losgehen.« Sie drehte den Ton lauter, und ich hörte zunächst eine leise Musik, die allerdings von einem Rauschen unterbrochen wurde.
Mandy drehte am Frequenzknopf und legte ihr Ohr dicht an den Lautsprecher.
Das Rauschen wurde leiser, dann wieder lauter. Hin und wieder hörte ich Stimmen, dann quiekte es laut. Das magische Auge bewegte sich dabei, wie irre, und Mandy suchte weiter den Kurzwellenbereich ab, stoppte an einer bestimmten Stelle und sagte leise: »Es wird nicht mehr lange dauern.«
»Bis wann?«
»Bis er sich meldet.«
»Ich bin gespannt.«
»Das dürfen Sie auch sein, Mr. Sinclair.«
Um einige Millimeter bewegte sich der Zeiger noch nach links. Die junge Frau nickte. Dabei zog sie ihre schmalen Wangen noch mehr zusammen und atmete scharf durch die Nase.
»Haben Sie es?«
»Nicht ganz, aber das Rauschen ist schon da.«
»Das habe ich immer gehört.«
»Mag sein, John, aber das hier ist ein bestimmtes Rauschen, da müssen Sie mir schon vertrauen.«
»Tue ich doch immer.«
Sie reagierte nicht auf meine lockere Antwort. Das Licht fiel nur auf eine Gesichtshälfte, da sie den Kopf schiefgelegt hatte, und ich konnte sehen, wie gespannt die Haut war. Ihr Blick war starr auf die Verkleidung des Lautsprechers gerichtet. Mandy zeichnete mit der Zungenspitze ihre Lippen nach, nickte sich selbst zu und ließ den Kopf los.
»Okay?«
Mandy Alwood nickte. »Ja, das ist gut, auch das Rauschen ist optimal. Sie brauchen es nämlich. Es ist für die anderen so eine Art Begleitmusik, wenn Sie verstehen.«
»Zumindest kann ich es hören«, erwiderte ich locker.
Mandy hatte die Antwort nicht gefallen. »Nehmen Sie das hier überhaupt ernst?«
»Wäre ich sonst hier?«
»Stimmt auch wieder.« Sie tippte mich an. »Kommen Sie, John.«
»Wohin?«
»Weg vom Radio, wir können uns wieder setzen.«
Das tat ich noch nicht, sondern deutete wieder auf den Apparat. »Mal ehrlich, Mandy, finden Sie nicht, dass Sie den Apparat etwas zu leise eingestellt haben?«
»Nein, überhaupt nicht. Sie werden schon hören, dass es optimal ist. Die Stimmen dürfen keine laute Hintergrundmusik haben. So etwas würde sie nur stören und irritieren.«
»All right, Sie sind die Fachfrau.«
Wir gingen wieder zu unseren Plätzen. Mandy hielt den Kopf gesenkt, als wäre sie tief in Gedanken versunken. Dann drehte sie sich zu mir um und legte mir eine Hand auf das Knie. Den Tisch hatte sie weggeschoben. Da sie tiefer saß, musste sie zu mir hochschauen, was ihr nichts ausmachte. Und ich sah den Ernst in ihrem Gesicht. »Was Sie gleich erleben werden, John, ist kein Spaß, und ich will Ihnen auch ehrlich sagen, dass es mir Angst macht und mich beunruhigt. Aber ich muss es einfach tun.«
»Warum?«
»Es ist eine Botschaft.«
»Die eines Toten?«
»Ja.«
»Bisher haben wir noch nicht darüber gesprochen, wer dieser Tote ist, Mandy. Und so ganz unbeleckt von diesem Phänomen bin ich natürlich nicht. Ich habe Sie bisher auch nicht fragen wollen und warte darauf, dass Sie es mir selbst sagen. Von anderen Fällen weiß ich, dass sich hin und wieder Verwandte melden. Ist das bei Ihnen auch so?«
»Nein.« Sie lächelte bedauernd. »Das wäre schön.«
»Demnach scheint es kein großer Freund von Ihnen zu sein, mit dem Sie Kontakt aufgenommen haben.«
»Gott bewahre. Das ist er nicht.«
Da sie nicht mehr sagte, fragte ich weiter. »Wie heißt er denn?«
»Ed Greene. Er ist Amerikaner und sechsunddreißig Jahre alt.«
»Was ist er sonst noch außer tot?«
Sie ließ sich mit der Antwort Zeit, weil es sie doch anzustrengen schien. »Ja, er ist tot. Greene ist auch keines normalen Todes gestorben. Man hat ihn auf den elektrischen Stuhl gesetzt. Irgendwann in den fünfziger Jahren.«
»Was hat er getan?«
»Er war ein Massenmörder!«, flüsterte Mandy.
Ich sagte nichts, aber ich musste schlucken. Mit dieser Eröffnung hätte ich nicht gerechnet. Ich hatte wirklich an irgendeinen Verwandten gedacht, an einen alten Großvater oder Onkel, aber nicht unbedingt an einen Massenmörder.
»Warum sagen Sie nichts, John?«
»Weil ich leicht geschockt bin.«
»Das war ich zuerst auch. Beim ersten Kontakt, meine ich. Aber später dachte ich ›du gewöhnst dich daran‹, doch das war nicht der Fall. Immer wenn ich ihn höre, drehe ich fast durch. Es ist wirklich schlimm.«
»Dann lassen Sie es doch bleiben.«
Sie schüttelte den Kopf so stark, dass die Haare flogen. »Tut mir leid, das kann ich nicht. Es ist wie ein Zwang, und er wird immer schlimmer. Ich wusste mir nicht mehr zu helfen und habe nach jemandem gesucht, der mir helfen kann. Da bin ich durch Bill Conolly auf Dich gekommen. Ich möchte auch bald weg hier.«
»Warum?«
»Weil, weil ...«, sie schluckte, »weil dieses Haus einfach schlimm ist. Hier stimmt was nicht.«
»Können Sie da genauer werden?«
»Nein, John, kann ich nicht. Aber nicht, weil ich es nicht will, sondern weil ich es einfach nicht kann, verstehst du?«
»Ja, okay. Konzentrieren wir uns lieber auf diesen Ed Greene, den Massenmörder.«
Auf meine letzte Bemerkung erhielt ich keine Antwort, denn Mandy Alwood konzentrierte sich wieder auf das Geschehen aus dem Radio und nahm dabei eine halb liegende und halb sitzende Haltung ein, wobei sie den alten Apparat aber im Blickfeld behielt. Ich unterdrückte weitere Fragen und ließ alles auf mich zukommen. Im Zimmer gab es nur wenig helle Stellen. Die Schatten überwogen. Sie ballten sich zusammen. Auch das spärlich durch die Lamellen sickernde Licht konnte die Dunkelheit nicht vertreiben. Mandy Alwood war ruhig. Ich bewunderte sie. Sie hätte eigentlich nervös sein müssen, weil sie doch wusste, was auf sie zukam. Möglicherweise war sie aber auch deshalb so still, weil sie informiert war.
Das leise Rauschen aus dem Radio blieb als Begleitmusik bestehen. Ich nahm es zwar wahr, aber wie das so ist, man gewöhnt sich an alles, auch an das Rauschen und an das magische Auge, das mich anglotzte.
Es war keine Musik zu hören. Sender lagen nicht in der Nähe der eingestellten Frequenz. Sie schienen sich in einer weiten Ferne verloren zu haben.
Verhehlen konnte ich nicht, dass auch in mir die Spannung gestiegen war. Es mochte an der besonderen Atmosphäre liegen, die sich in diesen vier Wänden ausgebreitet hatte. Die Spannung war spürbar. Meine Kehle kam mir ausgetrocknet vor, deshalb griff ich zum Wasserglas und trank einige Schlucke.
Mandy Alwood blieb ruhig. Sie sah aus wie jemand, der schläft, aber sie schlief nicht. Nach wie vor hielt sie Augenkontakt mit dem alten Radio, dem Verstärker für die Geisterstimmen.
Einmal erschreckte ich mich, weil ich außerhalb der Wohnung ein lautes Niesen gehört hatte. Es wurde schnell wieder still, und ich gewöhnte mich an die Umgebung.
Dumpfe Luft umgab uns. Hin und wieder schien sie zu knistern. Oder bildete ich mir das nur ein? Ich setzte mich aufrecht hin, drehte den Kopf und ließ meine Blicke durch den Raum wandern. Einen sichtbaren Grund für das Knistern gab es nicht.
Plötzlich bewegte sich Mandy.
So schnell, dass sie regelrecht hochzuckte. Wie jemand, der aus einem schlimmen Traum urplötzlich in den Wachzustand gerissen wird. Sie stöhnte dabei auf, blickte in die Runde und sah mich an.
Ich wollte sie etwas fragen. Mandy kam mir zuvor, denn sie schüttelte den Kopf, deutete zum Radio und fragte mit leiser, aber für mich durchaus hörbarer Stimme: »Bist du da?«
Keine Antwort. Nur das Rauschen blieb.
»Bist du da? Melde dich bitte!«
Dann hörte ich die Antwort. »Hallo, Mandy, ich bin es wieder ...«
Ich konnte nicht vermeiden, dass sich auch auf meinen Rücken ein Schauer legte, denn die Stimme hatte ich mir nicht eingebildet. Sie war tatsächlich zu hören gewesen, und sie hatte das Rauschen überlagert.
Mandys Hände zuckten. Sie rieb über ihre Hosenbeine hinweg, und sie starrte nach vorn. Ich sah das Profil ihres Gesichts wie einen Scherenschnitt neben mir und sah auch, dass sie nickte. Sehen konnte der Frager sie bestimmt nicht, aber Mandy machte sich nichts draus. Sie war eben mit Leib und Seele dabei.
»Ja, ich bin wieder da.«
»Schön!«
Es war eine menschliche Stimme – okay, und ich hatte mich auf die Antwort schon vorher konzentriert. Der Klang dieser Stimme war sehr ungewöhnlich. Schrill, als stünde sie dicht vor dem Überkippen. Und dabei hatte sie noch geflüstert.
»Wie geht es dir, Mandy?«
»Gut – jetzt.«
»Hast du auf mich gewartet?«
»Ja.«
»Ich auch auf dich.«
»Etwas stört mich, Mandy. Ich spüre es. Etwas ist anders als sonst. Ich fühle mich unwohl.«
»Kannst du mich sehen?«, flüsterte sie in Richtung Radio.
»Nein ...«
»Ich habe Besuch.«
»Besuch? Warum? Wer ist es?«
»Ein Freund.«
»Was will er?«
»Hören!«
»Ich mag ihn nicht.«
»Du brauchst ihn ja nicht zu mögen, aber ...«
Diesmal ließ die Stimme Mandy Alwood nicht ausreden. »Er soll gehen, hörst du? Er soll verschwinden. Ich will ihn nicht in deiner Nähe wissen.«
»Aber er ist ein Freund.«
»Trotzdem!«
»Er will wissen, wer du bist.«
»Hast du ihm das nicht erzählt?«
Mandy verzog das Gesicht und tat, als würde sie sich quälen. »Doch, ich habe ihm deinen Namen genannt, aber er kann es nicht glauben, verstehst du?«
»Was kann er nicht glauben?«, wisperte die Jenseitsstimme.
»Dass du schon so lange tot bist. Er meinte, du wärst längst in anderen Sphären verschwunden, wo kein Kontakt mit uns Menschen mehr möglich ist. Hat er gesagt.« Mandy machte das wirklich geschickt. Sie lockte ihn aus der Reserve.
»Er irrt.«
»Sag es ihm.«
»Ich spreche ihn nicht direkt an!«, wisperte es aus dem Lautsprecher. »Ich sage nur, dass ich Ed Greene bin und dass man mich damals auf dem Stuhl gebraten hat.« Diesmal zeigte er noch eine andere Reaktion, denn er fing an zu kichern, was sich zwar anders anhörte als bei uns Menschen, im Prinzip aber das gleiche war. »Ja, man hat mich gebraten. Man hat mich als Massenmörder hingerichtet, und ich bin es auch gewesen. Ich habe sie alle fertiggemacht, denn ich liebe es, die Menschen sterben zu sehen. Es war wunderbar. Ich liebe den Tod, ich liebe alles, was mit dem Jenseits zusammenhängt.«
Ich stieß Mandy Alwood an. »Frag ihn doch, wo er sich jetzt aufhält. Tu es bitte.«
»He, Eddy ...«
»Ja!«
»Wo bist du jetzt?«
»Nicht mehr bei euch. Aber mir geht es gut. Alle haben gedacht, ich käme in die Hölle. Noch kurz vor meiner Hinrichtung haben mich die Zeugen verflucht und in die Hölle gewünscht, aber mir geht es gut, sehr gut. Ich habe hier viele Freunde getroffen und Bekannte.«
»Auch die Seelen der Opfer?« Ich hatte mich mit dieser Frage einfach eingemischt und wusste auch nicht, ob das gut oder schlecht war.
Jedenfalls erlebte ich eine Reaktion, die auch Mandy Alwood erschreckte, denn aus dem Radio drang uns etwas entgegen, das sich wie ein Wutschrei aus dem Jenseits anhörte.
Plötzlich spielte das magische Auge verrückt. Es zuckte wild. Von Ed Greene hörten wir nichts, aber das Auge platzte plötzlich weg. Kleine Splitter aus Glas landeten vor dem Radio, wo sie liegenblieben.
Mandy sprang auf. Sie lief auf das Radio zu, blieb aber schon nach einem Schritt wieder stehen, fuhr wieder durch ihre Haare und drehte sich zu mir um. Ihr Gesicht sah sehr blass aus. Beim Sprechen bewegte sie heftig den Mund. »Er ist weg!«, keuchte sie. »Verdammt noch mal, er ist weg. Er wollte nicht mehr.«
Ich stand ebenfalls auf und beruhigte sie. »Keine Angst, er wird zurückkehren, und das Radio ist auch noch in Ordnung. Nur das Glas des Auges ist zersplittert.«
Mandy starrte den Kasten an. »Warum ist er weg? Können Sie mir das sagen?«
»Das bin ich wohl schuld. Ich habe ihm eine Frage gestellt, die ihm nicht passte.«
»Nach den Opfern?«
»Ja.«
»Das hätten Sie nicht tun sollen, John.«
»Pardon, aber ich konnte es leider nicht wissen. Sie müssen mir schon verzeihen.«
»Ja, schon gut.« Mandy ließ mich stehen und ging auf das Radio zu. Sie drehte den Senderknopf, und wir beide schraken zusammen, als plötzlich laute Musik durch das Zimmer hallte. Mandy drehte sofort leiser. »Das ist es dann wohl gewesen«, sagte sie und hob die Schultern. »Schade.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie haben ihn vertrieben.«
»Aber nicht für immer.«
»Weiß man es?«
Ich nickte. »Da haben Sie recht. Man kann es nie wissen, aber ich sage Ihnen eines, Mandy. Wenn er zurückkehren will, dann kehrt er auch zurück.«
»Jetzt hasst er mich.«
»Finden Sie das so schlimm?«
»Ja«, erklärte sie mir. »Ich finde das schlimm. Ich war etwas Besonderes, denn ich hatte Kontakt aufgenommen.«
»Er war immerhin ein Massenmörder.«
»Trotzdem.«
Ich durfte Mandy nicht mit normalen Maßstäben messen. Sie war in ein Gebiet eingedrungen, das mehr als rätselhaft war und auch für Wissenschaftler ein Problem darstellte. Es hatte sie voll in ihren Bann gezogen, ihr auf der anderen Seite auch Angst eingeflößt, sonst hätte sie sich meinem Freund Bill nicht offenbart.
»Wissen Sie, wie ich mich fühle, John?«
»Nein, wie sollte ich?«
»Als wäre mein Körper, verstehen Sie, mein eigener Körper, elektrisch geladen. Überall rieselt es. Die Härchen auf meiner Haut kribbeln. Es kommt mir vor, als wäre etwas in mir.«
»Woran denken Sie denn da?«
»Ich kann es nicht genau sagen. Das kann er sein. Er hat die Grenze übersprungen und ist bei mir.«
Ich lächelte sie an. »Tut mir leid, Mandy, das kann ich nicht nachvollziehen, und ich glaube auch nicht daran.«
»Was glauben Sie denn?«
»Nun, dass er sich zurückgezogen hat. Ich bin davon überzeugt, dass ihn meine Frage sehr störte und er sich so schnell nicht mehr blicken lässt.«
»Er kommt nie mehr zurück.«
»Das glaube ich nicht. Aber wenn Sie so scharf darauf sind, Kontakte mit dem Jenseits zu knüpfen, Mandy, warum versuchen Sie es später nicht noch mal?«
»Das werde ich auch.«
»Und Sie haben bisher nur mit diesem Eddy Greene Kontakt gehabt und mit keinem anderen?«
»Nur mit ihm. Manchmal habe ich mich zwar gestört gefühlt, aber Eddy hat sich immer gemeldet. Er war derjenige, auf dessen Frequenz ich mich aufhielt. Wir haben uns unterhalten. Es war gut, aber ich bekam auch Angst.«
»Vor ihm?«
Sie fasste sich an den Kopf und schüttelte ihn. »Nicht direkt vor ihm, und ich weiß auch nicht, wie ich das alles erklären soll. Ich ... ich war völlig durcheinander.« Sie ließ den Arm wieder sinken und begann mit einer Wanderung durch das Zimmer. »Ich kam nicht mehr zurecht. Es war ein Einschnitt in mein Leben. Zuerst hat es mir noch Spaß gemacht, ich habe auch aus Spaß angefangen, dann wurde es zur Manie. Ich kam nicht mehr davon los, hatte plötzlich Angst und wollte deshalb mit jemandem darüber sprechen, der sich auskennt.«
»Das haben wir getan.«
»Aber Sie haben ihn vertrieben, John.« Sie starrte mich an und hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Das ist doch das Problem.«
»Weil er mich nicht gemocht hat. Das haben Sie selbst zu hören bekommen, Mandy.«
»Stimmt, John, stimmt alles.« Sie musste Wasser trinken, weil ihre Stimme abgesackt war. »Aber es muss doch einen Grund geben, dass er Sie nicht gemocht hat.«
Ich hob die Schultern. »Tja, was soll ich Ihnen da sagen, meine Liebe? Es gibt wohl auch im Jenseits oder dort, wo sich Ed Greene aufhält, Sympathie und Antipathie. Er muss eben gespürt haben, dass ich nicht auf Ihrer Wellenlänge liege und wir verschieden sind.«
»Das weiß ich nicht.«
Sie machte Licht, während ich zum Fenster ging, um zwischen zwei Lamellen hindurch in den dunkler werdenden Himmel zu schauen.
Das Radio spielte noch immer. Nur die Glasabdeckung des magischen Auges war zersprungen, weil die Energieleistung ungeheuerlich gewesen war.
»Sollen wir einen weiteren Kontakt versuchen?«, erkundigte ich mich bei Mandy.
»Nein!« Sie lief auf mich zu, schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall mehr, bitte.«
»Es muss ja nicht Ed sein.«
»Ich will es aber nicht. Es ist zu viel zu Bruch gegangen, was noch gekittet werden muss.«
»Und das schaffen Sie?«
»Ich hoffe es. Ich hoffe es wirklich stark, John.«
»Aber Sie wissen ja, wo Sie mich finden können, wenn irgendwelche Probleme auftauchen.«
Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte sie wieder. Mit beiden Händen strich sie über meine Brust. »Das hat sich angehört, als wollten Sie mich jetzt verlassen.«
»Das hatte ich vor.«