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Maureen Wilder war eine außergewöhnliche und schöne Frau. Sie lebte zurückgezogen, war kaum bekannt und nur in der Nacht unterwegs. Allerdings nie allein.
Mit Maureen im Wagen saß stets ihr Geliebter - ein Monster, unersättlich und gierig nach rohem Fleisch.
Dann aber entdeckte ein Arbeiter das Monster auf einem Schlachthof, und kurz darauf trat der Mann in einer Talk-Show auf. Maureen und ihr Geliebter entschlossen sich zu handeln, jeder mögliche Zeuge musste verschwinden. Und als es den ersten Toten gab, gingen Suko und ich auf die Jagd nach dem mörderischen Monster und faszinierenden Frau ...
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Seitenzahl: 193
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Geliebtes Monster
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Geliebtes Monster
von Jason Dark
Maureen Wilder war eine außergewöhnliche und schöne Frau. Sie lebte zurückgezogen, war kaum bekannt und nur in der Nacht unterwegs. Allerdings nie allein.
Mit Maureen im Wagen saß stets ihr Geliebter – ein Monster, unersättlich und gierig nach rohem Fleisch.
Dann aber entdeckte ein Arbeiter das Monster auf einem Schlachthof, und kurz darauf trat der Mann in einer Talk-Show auf. Maureen und ihr Geliebter entschlossen sich zu handeln, jeder mögliche Zeuge musste verschwinden. Und als es den ersten Toten gab, gingen Suko und ich auf die Jagd nach dem mörderischen Monster und faszinierenden Frau ...
Blut!
Die meisten Menschen mögen es nicht. Gehen ihm aus dem Weg, wenn eben möglich.
Auch Mehmet mochte kein Blut, obwohl er tagtäglich damit zu tun hatte. Mal acht Stunden, mal zehn oder zwölf, denn Mehmet arbeitete im Schlachthof, trotzdem war er froh, überhaupt einen Job zu haben. Um den nicht zu verlieren, hatte er keinem Kollegen je von seiner Aversion erzählt.
Mehmet wühlte in den Resten und Eingeweiden herum, die entsorgt werden mussten, dabei trug er natürlich lange Gummihandschuhe. Er gehörte nicht zu den Schlachtern, die die Tiere zerteilten oder ausnahmen. Er war der Mann für die widerlichen, oft dampfenden und stinkenden Reste, die er in die fahrbaren Kübel aus Metall schleuderte, um sie anschließend auf den Hof zu fahren.
Zu Beginn dieses Jobs hatte er noch mit Mundschutz gearbeitet. Das war vorbei, denn der Mensch gewöhnt sich an alles. Sogar die Mitglieder seiner Familie verzogen nicht mehr die Gesichter, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Außerdem brachte er des Öfteren Fleisch mit, natürlich auch vom Rind, aber um BSE kümmerte sich hier keiner. Selbst Mehmet dachte nicht daran, wenn er das Fleisch zubereitete. Er war einfach froh, dass das Theater um die Krankheit abgeflacht war, denn finanziell hatte er Einbußen erlitten. Die Firma hatte sich auch umgestellt. Man schlachtete mehr Schafe und Schweine. Das Geschäft lief wieder an, wenn auch ohne Überstunden.
Man arbeitete hier in zwei Schichten. Früher waren es drei gewesen, aber das war vorbei. Und Mehmet war für die zweite Schicht eingeteilt. Wenn er nach Hause kam, war es meist schon dunkel.
Wie viel Abfälle Mehmet schon in die Container geworfen hatte, daran dachte er nie. Oft genug sah er sich dieses blutige Zeug überhaupt nicht mehr an. Er kippte es weg und war mit seinen Gedanken immer bei den Weibern.
Ja, Frauen mochte er. Mehmet war ein scharfer Hund, der beinahe jedem Rock nachlief. Hin und wieder hatte er Glück. Da fand er dann eine Frau, die auf einen bulligen Mann mit Halbglatze und Sichelbart stand, der zwar erst fünfundzwanzig war, aber zehn Jahre älter aussah. Die Frauen waren stets willig gewesen, und er liebte sie auch im Freien.
Auf dem Hof, wo das Fleisch in die Kühlwagen geladen wurde, brannten die starken Lampen und schickten das Licht bis in jeden Winkel hinein. Auf dem glatten Untergrund wirkte es manchmal wie ein dunkler Spiegel, der in eine geheimnisvolle Tiefe zu locken schien, aber so dachten nur Menschen mit viel Fantasie, und dazu gehörte Mehmet nicht.
Er ging seinem Job nach. Er ließ sich durch nichts stören. Der Meister war mit ihm zufrieden, und als Mehmet die Sirene hörte, da freute er sich auf den Feierabend.
Noch die letzte Fuhre wegschaffen, dann konnte er Schluss machen. Auf dem Fließband rollten die letzten Eingeweide an, bedeckt von einer rotwässrigen Blutsoße.
Der geflieste Boden sah nicht anders aus. Viele kleinere Teile fielen neben das Band oder den Karren und machten die Fliesen glitschig. Die Arbeiter in ihren grobstolligen Stiefeln hätte das nicht gestört, doch aus Hygienegründen musste der Boden regelmäßig mit kochend heißem Wasser gesäubert und desinfiziert werden.
Das Band stoppte, als die Kiste mit Eingeweiden vor Mehmet hielt. Er schaute hinein. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sah, dass die Kiste nur halbvoll war. Das ließ sich zum Feierabend noch ertragen.
Der Wagen hinter ihm war sogar fast leer. Auch dieser Rest passte hinein.
Mehmet wischte seine behandschuhten Hände an der Lackschürze ab, obwohl dies gar nicht nötig gewesen wäre, dann wuchtete er die Kiste hoch, drehte sich und schleuderte den Inhalt in den Karren.
Er stellte die leere Kiste wieder auf das Band, schaltete es ein und schaute für einige Sekunden versonnen zu, wie sie weiterfuhr. Hinter der Kurve verschwand sie wieder durch den Spalt zwischen den beiden Gummiwulsten.
Er hörte das Husten. Hinter ihm stand der Greis. Sie nannten ihn so, weil er schon pensioniert war, aber jeden Abend zum Großreinemachen kam. Den Wasserschlauch hielt er schon in den Händen.
»Soll ich dich wegspritzen, Mehmet?«, fragte der grinsende Greis.
»Untersteh dich.«
»Dann hau ab. Du hast Feierabend.« Der Greis grinste zahnlos. »Los, verschwinde, ich will auch früh weg!«
»Wer wartet denn schon auf dich?«
»Ein alter Kumpel. Wir gehen heute saufen.«
Mehmet lachte. »Aber reißt keine Weiber auf, sonst ergeht es euch schlecht.«
»Was weißt du denn schon, du junger Knoblaucharsch? Gar nichts! Als ich so alt war wie du, da war ich bei den Weibern berühmt. Ich habe immer die mit den dicksten Titten gehabt. Das war noch was.«
»Ja, ja, die Vergangenheit verklärt alles.« Mehmet tippte gegen seine weiße, mit Blut bespritzte Kappe. »Mach es gut, Greis, wir sehen uns dann morgen.«
»Da habe ich frei.«
»Ho. Keine Kondition mehr?«
»Urlaub.«
»Ich gönn ihn dir.« Mehmet löste die Bremse an den Rändern und trat an die Vorderseite des Wagens, wo sich auch der Griff befand, ähnlich wie der an einem Tresen.
Er packte zu, stemmte dabei die Hacken gegen den Boden und schob den Wagen an. Darin hatte er Routine. Rollte das viereckige Ding mit seinen Gummirädern erst einmal, war das schon die halbe Miete. Im Hof konnte er den Wagen dann in den offenen Container hineinfahren, der während der Nacht abgeholt und entsorgt oder weiterverarbeitet wurde. Am Morgen stand er dann leer und sauber am selben Platz.
Während Mehmet den Wagen in den Hof schob, schaute er sich um. Es war zu einer Angewohnheit geworden, denn er wollte lieber Menschen sehen, nicht nur immer totes Fleisch.
Um diese späte Abendstunde hatte er damit kein Glück. Er war der einzige Mensch auf dem Hof. In dem Gebäude gegenüber, wo auch die Büros untergebracht waren, brannte nur noch hinter vier Fenstern Licht. Die anderen lagen im Dunkel. Die Sesselfurzer hatten es besser, die konnten früher nach Hause gehen, was vor allen Dingen im Sommer angenehm war.
Mehmet mochte sie nicht. Sie waren arrogant. Hin und wieder schlichen sie sich in die Halle hinein und glotzten aus kalten Augen in die Runde – wie Kontrolleure.
Er gab ›Gas‹. Der Wagen rollte schneller. Zudem war er auch nicht so hoch befüllt. Mehmet sah die Öffnung größer werden und auch das Metall der Schräge schimmern.
Alles war wie immer. Scheinbar.
Dass es diesmal nicht so war, erlebte er von einer Sekunde auf die andere, und er befürchtete, wahnsinnig geworden zu sein, denn das Verhängnis kam von oben ...
Der Bentley hatte nicht nur eine dunkle Lackierung bekommen, auch seine Scheiben waren so stark abgedunkelt worden, dass man kaum hineinschauen konnte.
Und genau das hatte die Besitzerin des Fahrzeugs so gewollt. Maureen Wilder verglich dieses Auto mit ihrem Leben. Auf der einen Seite normal, auf der anderen geheimnisvoll und düster, denn auch sie lebte in dieser Zweiteilung.
Der Wagen rollte durch London. Seine Reifen schmatzten manchmal über den Asphalt. Er war wie ein Schatten, den so leicht niemand stoppen konnte, es sei denn, die Fahrerin wollte es.
Die aber dachte gar nicht daran.
Sie fuhr vorsichtig und rücksichtsvoll und würde keiner Streife auffallen.
Maureen kannte ihre Ziele. Schon für Wochen im Voraus hatte Maureen sich festgelegt, und an diesem Abend wollte sie wieder dorthin fahren, wo sie schon lange nicht mehr gewesen war.
Doch ER gierte danach.
Maureen war eine Frau Ende Zwanzig. Verdammt hübsch. Sie sah aus wie eine gelungene Mischung aus Irin und Italienerin. Das wilde, kaum zu bändigende braune Haar zeigte einen rötlichen Schimmer. Das Gesicht mit den dunklen Augen, den ebenfalls dunklen Brauen darüber, den vollen Lippen und den allgemein weichen Zügen hatte noch etwas mehr Südländisches an sich. Maureen Wilder ließ sich nicht so leicht einschätzen. Das machte ihr nichts. Sollten sich andere den Kopf über sie zerbrechen, ihr machte es nichts.
An einer Ampel musste sie stoppen. In der Dunkelheit glühte das warnende Rot wie ein Höllenauge. Neben ihr hielt ein dunkler Sportwagen, in den sich vier junge Leute hineingequetscht hatten, die natürlich den Bentley anstarrten.
Maureen schaute geradeaus, auch als ER unruhig wurde. ER hatte den Wagen an der rechten Seite bemerkt.
»Sei ruhig. Die Menschen sind nichts für dich. Wir fahren woanders hin ...«
Maureen hatte nicht mal laut gesprochen, mehr geflüstert. Das hatte ausgereicht, denn die Bewegungen hinter ihr hörten auf. Zudem sprang die Ampel um, Maureen konnte endlich fahren und ließ den Wagen wieder anrollen.
Maureen lächelte dabei. Locker umfassten ihre Hände das Lenkrad und hielten es trotzdem sicher. Maureen war eine gute Fahrerin. Unfälle hatte es bei ihr nie gegeben, und sie hoffte, auch weiterhin so glatt durch das Leben zu kommen. Bisher jedenfalls war ihr alles sehr gut gelungen. Sie hatte Dinge zustande gebracht, von denen andere nicht mal zu träumen wagten. Und sie war mit Tatsachen konfrontiert worden, die sie aus der Masse der Menschen deutlich hervorhoben. Das wussten nur wenige Menschen, und die gesamte Wahrheit kannte sowieso nur Maureen.
Noch fuhr sie durch eine belebte Gegend. Von einer herbstlichen Abendstimmung war hier nicht viel zu sehen. Es herrschte genügend Verkehr, um die natürliche Umgebung durch den hellen Lichtschein der Autos und Reklamen zu stören. Dazwischen lag der feine Dunst wie ein Gespenst, in das die hellen Strahlen der Scheinwerfer hineinbohrten.
Maureen war etwas nervös. Sie kannte den Grund selbst nicht. Bisher war immer alles glattgegangen. Nichts war geschehen, was sie hätte beunruhigen müssen. Trotzdem fühlte sie sich nicht sicher. Irgendwann musste mal etwas schiefgehen, das war einfach das Gesetz der Serie, und gewisse Vorfälle hatte es schon gegeben, die sogar von den Zeitungen aufgeschnappt und aufgebauscht worden waren.
Auf dem linken Beifahrersitz lag die Schachtel mit den Zigaretten. Maureen streckte den Arm aus. Sie schüttelte die offene Schachtel so lange hin und her, bis eine Zigarette hervorrutschte. Sie klemmte sie zwischen die Lippen, zündete das helle Stäbchen an, paffte einige Wolken, wedelte sie zur Seite, bevor sie einen tiefen Zug nahm und den Qualm dann durch die Nasenlöcher nach draußen schickte. Normalerweise wäre sie gern zu Hause geblieben. Aber ER wollte nicht. Sein Wunsch war für Maureen Gesetz.
Unmerklich änderte sich die Umgebung. Die Häuser verloren an Licht, auch die Straßen sackten ab in eine graue Düsternis. Industriebauten beherrschten die Gegend. Auch die nahen Themsekanäle waren zu spüren, denn von ihnen wallte jetzt der Dunst dichter durch die Straßen. Über einigen Dächern schwebte ein heller Schein. Es gab auch Firmen, in denen am Abend oder in der Nacht gearbeitet wurde.
Der Bentley glitt weiter. Langsam, wie jemand, der nach etwas Bestimmtem suchte. Er war ein Fremdkörper in dieser Umgebung, die doch mehr von der Armut geprägt wurde. Das Leben schien erstickt zu sein in der grauen Umgebung, die kaum von irgendwelchen Lichtinseln durchbrochen wurde. Die Straßenlaternen schienen sich versteckt zu haben, als wären sie selbst darüber nicht glücklich, das viele Licht zu verteilen.
Sie ließ die Seitenscheibe nach unten fahren. Wind fauchte in den Wagen und zerriss die Rauchschwaden. Ein Lastwagen kam ihr entgegen. Plötzlich war die Straße vor ihr hell. Das Licht der anderen Scheinwerfer erfasste auch den Bentley, und Maureen dachte daran, in einem Käfig zu sitzen.
Die Helligkeit verschwand. Maureen war wieder allein. Hinter sich hörte sie das Grunzen und Schmatzen.
ER wurde unruhig.
Die Frau warf einen Blick in den Innenspiegel. Eine Bewegung sah sie nicht auf der Rückbank. Da hielt sich ihr Begleiter schon an die Regel. Und sie sprach ihn an, ohne sich umzudrehen. »Wir sind gleich da. Dann wird es uns bessergehen.«
Das Schlürfen ließ erkennen, wie zufrieden ER war.
Sie stoppte an einer Kreuzung. Einen Moment musste sie warten, dann fuhr sie nach links in die schmale Straße mit dem aufgerissenen Kopfsteinpflaster, sah die Fassaden der alten Bauten wie Reste aus einer längst vergangenen Zeit. Sie schaute in die düsteren Schlünde irgendwelcher Einfahrten, fuhr vorbei an billigen Kneipen und Kaschemmen und wusste, dass sie es bis zum Ziel nicht mehr weit hatte.
Sie drehte den Kopf, als sie wieder Unruhe aus dem Fond hörte. »Es geht in Ordnung. Es ist alles gut. Wir sind gleich da. Ich weiß ja, was in dir vorgeht ...«
ER verstummte wieder.
Maureen Wilder wischte sich über ihre Stirn. Die Nervosität war nicht gut, und sie wusste auch selbst nicht, wie es dazu gekommen war, denn sie selbst hatte dazu nichts beigetragen. In ihr steckte eine düstere Vorahnung, und wenn es direkt nach ihr gegangen wäre, dann hätte sie sofort kehrtgemacht und wäre wieder verschwunden.
Aber das konnte sie IHM nicht antun.
Der Schlachthof war bereits durch das offene Fenster zu riechen. Maureen mochte ihn nicht, aber sie konnte ihm auch nicht entwischen. Hin und wieder musste sie einfach herfahren.
Hinter ihr bewegte ER sich. Er turnte auf dem Sitz herum. Ein Schatten war zu sehen. Für einen Moment erkannte sie ihn ihm Innenspiegel, und Maureen zischte einen Befehl. Das für einen winzigen Moment aufgetauchte, unförmige Etwas verschwand wieder und war auch in den folgenden Sekunden nicht mehr zu sehen.
Das schlechte Pflaster blieb. Ein Schild leuchtete wie bleiches Fett. Es wies auf den Schlachthof hin. Von mächtigen Mauern flankiert, führte eine Straße direkt auf das Ziel zu. Früher war hier noch eine Bahn gefahren, die alten Schienen lagen noch. Wie schwarzblaue Arme waren sie in das Pflaster hineingelassen worden.
Maureen fuhr darüber hinweg. Die Hallen des Schlachthofs lagen zu beiden Seiten. Vor ihr waren sie durch eine Brücke miteinander verbunden. Über sie wurden die Tiere zum Platz des Sterbens getrieben, jedoch nicht um diese Zeit. Da brüllten keine Kühe mehr, da grunzten auch keine Schweine in Panik.
Man bereitete sich auf den Feierabend vor, was Maureen gut fand. Die Arbeiter waren nicht mehr so aufmerksam, sie wollten heim oder sich mit einem Bier den schlechten Geschmack aus der Kehle spülen.
Die Frau kannte sich aus. Sie fuhr nicht direkt auf das Gelände, sondern bog in eine schmale Gasse ab, die auf ein freies und mit Containern vollgestelltes Gelände führte.
Die hohen Wände der Container erinnerten an im Hafen liegende Schiffe. Noch langsamer ließ Maureen den Wagen rollen, bis sie eine bestimmte Stelle erreicht hatte. Dort stoppte sie.
Tief atmete sie aus.
Es ging ihr wieder etwas besser, denn sie hatte das Ziel ungesehen erreicht, und nur das zählte. Sie stellte den Motor ab und drehte sich auf ihrem Sitz.
Der Blick in den Rückraum war frei. Dort bewegte sich etwas auf dem Polster. Es stöhnte wieder, es schmatzte und knurrte dabei, und Maureen redete auf ihn ein wie auf ein kleines Kind.
»Es wird alles gut werden. Du brauchst keine Angst zu haben. Die Sache klappt ...« Ohne eine Antwort erhalten zu haben, stieg sie aus und öffnete die linke Fond-Tür.
Ein freudiges Jaulen erreichte ihre Ohren. Einen Moment später huschte etwas Dunkles, Großes aus dem Wagen, schaute sich nicht um und hüpfte blitzschnell in die Dunkelheit hinein, schon vergleichbar mit einem großen Gorilla.
ER tauchte ein in die Nacht und steuerte sofort sein Ziel an.
Maureen nickte zufrieden. Sie glaubte nicht daran, dass sie lange warten musste. Der Schlachthof lag nicht einmal eine Steinwurfweite von diesem Containerplatz entfernt. Genau dort würde ER alles finden, was ER brauchte.
Mit sich und der Welt einigermaßen zufrieden, zündete sich Maureen wieder eine Zigarette an. Die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs hatte sie ausgeschaltet. Kein Lichtschimmer sollte sie verraten, denn die hohen Containerwände deckten sie nur an den Seiten.
Maureen rauchte und wartete.
Sie dachte daran, wie es weitergehen würde.
Dabei lächelte sie ...
Etwas fiel auf den mit Resten gefüllten Wagen. Groß, massig und auch dunkel.
Ein Alien!
In der letzten Zeit dachte Mehmet immer wieder an die Aliens, die Außerirdischen, seit er den Film ›Independence Day‹ gesehen hatte. Er glaubte daran, dass sich die Aliens längst unter die Menschen gemischt hatten und sie beobachteten.
So wie jetzt!
Mehmet war zurückgewichen. Er konnte nichts mehr tun. Was er sah, ließ seinen Mund offenstehen. Er schaffte es aber nicht, einen Laut auszustoßen. Er konnte nicht schreien, nicht mal atmen. Der Schreck hatte ihn zur Salzsäule werden lassen.
Auf seinem Wagen hockte er.
Er?
Mehmet wusste es nicht. Er wusste nicht, ob er ein Er oder ein Es war. Jedenfalls war es eine schlimme Kreatur, die mit beiden Händen in den blutigen Resten herumwühlte. Er warf sie in die Höhe, rollte sie zusammen und stopfte sie sich gierig in sein weit aufgerissenes Maul.
Er fraß. Er schlang! Es war einfach widerlich, wie er sich mit Innereien und Gedärmen vollstopfte. Obwohl das Maul riesengroß war, konnte es die gewaltigen Mengen nicht fassen. Mehmet bekam nicht genau mit, ob die Gestalt nun kaute oder alles sofort hinunterschlang.
Für Mehmet gab es keine Zeit mehr. Alles schien eingefroren. Er kam mit sich und der Welt nicht mehr zurecht. Er hörte das Schmatzen, Schlürfen und Würgen. Er sah, wie der Alien den Kopf schüttelte und immer wieder seine Hände oder Krallen in die Masse hineinschob, obwohl er den Mund noch vollgestopft hatte.
Seine Gier war grenzenlos. Fressen, nur fressen. Satt werden. Noch mehr fressen. Alles hineinstopfen. Keine Grenzen mehr kennen. Ein Tier oder ein Untier?
Mehmet zitterte, als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen. Die nächsten Menschen waren nicht einmal weit weg. Er hätte nur zu schreien brauchen, um sie zu alarmieren.
Er tat es nicht.
Er konnte nur dorthin schauen, wo der Alien hockte und gierig alles in sich hineinstopfte, was er zwischen die Finger bekam. Das war kein Tier, das war kein Mensch, das war ein Mittelding aus beiden, wobei die braunen Krallen wie gebogene Messer wirkten und besonders gefährlich zu sein schienen.
Das Wesen hörte nicht auf zu fressen. Es hatte sich geduckt, ließ sich aber nicht stören und stieß immer wieder seinen Pranken in diese schleimige und blutige Masse hinein, um diese Masse einen Moment später hochzuwerfen und sich in das weit aufgerissene Maul zu stopfen. Der Alien hörte nicht auf. Er war einfach unersättlich!
Mehmet konnte nicht sprechen. Auch wenn ihn jetzt jemand angesprochen hätte, es wäre ihm unmöglich gewesen, auch nur ein Wort zu sagen. Ihm war furchtbar übel. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er fühlte sich wie jemand, der in einer Falle steckte, aus der es kein Entkommen mehr gab.
Durch seinen Kopf huschten zahlreiche Fragen, als bestünde jedes Wort aus einem Sägeblatt. Er fühlte sich selbst gefoltert, und eine Faust war dabei, sich immer wieder in seinen Magen zu senken und die Eingeweide noch tiefer zu drücken.
Zwar hatte er nicht den Boden unter den Füßen verloren, aber er fühlte sich so, und die Kehle saß zu. Es wäre ihm nicht möglich gewesen, um Hilfe zu rufen.
Das Wesen zerrte seine Hände aus den Resten. Es fraß nicht mehr. Er stöhnte und knurrte zugleich. Blut und Saft hatten sich vermischt und liefen gemeinsam an den Krallen entlang. Auch der Kopf und das, was bei ihm als Gesicht angesehen werden musste, waren nicht verschont geblieben. Blut und Schleim flossen in seine Augen hinein, über die leicht gebogene Nase hinweg und vermischten sich mit dem Geifer, der aus dem Maul drang. Ab und zu huschte die Zunge hervor, die dann wie eine Peitsche um den Mund schwang, um die schmierigen Reste abzulecken.
Dann stemmte sich das Wesen hoch.
Es glotzte Mehmet an!
Zum ersten Mal sah der Mann aus dem Schlachthaus direkt in die Augen des anderen. Er schüttelte sich, und seine Angst wuchs. Sie bohrte sich in seinen Körper. Mehmet konnte sich vorstellen, dass dieser Alien noch ziemlich ruhig war. Ganz in seiner Nähe stand das frische Menschenfleisch. Er musste das warme, dampfende Blut einfach riechen. Er würde seine mächtigen Zähne in den Körper hineinschlagen, Stücke hervorreißen und danach seinen Durst mit dem Blut stillen. Diese Vorstellungen durchzuckten das Gehirn des Mannes, aber es geschah nichts.
Der Alien glotzte Mehmet nur an.
Augen, die ebenfalls ungewöhnlich waren, weil sie keine Pupillen hatten. Diese Ovale waren mit einem hellen Licht oder mit einem weißen Hintergrund gefüllt, der sich nicht bewegte und einfach wie festgefroren schien.
Die nächsten Sekunden entschieden über Mehmets Leben.
Er selbst konnte nicht weg. Die Angst hatte ihn gebannt, und er zuckte zusammen, als sich das Wesen von seinem Platz löste. Es sprang plötzlich nach vorn, fuhr dabei die Krallen aus, als wollte es mit ihnen durch das Gesicht des Mannes fahren.
Mehmet schloss die Augen. Er wollte nicht zusehen, wenn sich die Spitzen in seinen Körper bohrten. Er öffnete den Mund. Der Schrei war nur mehr ein Ächzen. Dann hörte er ein klatschendes Geräusch, als der Alien den Wagen verlassen hatte.
»Jetzt!«, schrie es in Mehmet. »Jetzt ist es um dich geschehen ...«
Der Schmerz erfasste ihn nicht. Alles blieb, wie es war. Mehmet wusste auch nicht, wie lange er mit geschlossenen Augen auf der Stelle gestanden hatte. Ein Zucken durchlief sein Gesicht, erst dann schaffte er es, die Augen zu öffnen, und er bekam einen so starren Blick wie nie zuvor in seinem Leben.
Das Monster war weg!
Mehmets Gesicht bekam so etwas wie Leben. Unglauben zeichnete sich in seinen Zügen ab. Der Mund, der zuerst noch offen gestanden hatte, klappte wieder zu.
Er verstand es nicht.
Er konnte es nicht begreifen, aber er lebte, und so wollte es Mehmet genau wissen. Langsam hob er den rechten Arm an. Mit der Handfläche wischte er über sein Gesicht. Dabei krümmte er die Finger, um sich mit den Nägeln kratzen zu können.
Es war zu spüren. Er war auch froh über den leichten ziehenden Schmerz, der sich von seiner Stirn her nach unten ausbreitete und damit dem Weg des Nagels folgte.
»Ich lebe«, flüsterte der Mann. »Verdammt noch mal, ich lebe! Ich habe es überstanden ...«
Plötzlich brach es aus ihm hervor. Mehmet schrie, wie er noch nie zuvor geschrien hatte. Vielleicht als Kind, aber daran konnte er sich nicht mehr erinnern.
Erinnern aber würde er sich wohl immer an das gerade hinter ihm liegende Erlebnis. Für ihn war das Monster eine Mutation aus einer anderen Welt. »Und sie sind doch da!«, sagte er keuchend. »Verdammt noch mal, sie sind da!«
Es waren seine letzten Worte, bevor er davonrannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her ...
Um Maureen Wilders Füße verteilten sich drei Zigarettenkippen. Sie musste einfach rauchen, sie brauchte das Zeug, um die Nerven zu beruhigen, obwohl dies eine Täuschung war. Aber es tat ihr einfach gut. Das redete sie sich zumindest ein.
Wieder warf sie einen Blick auf die Uhr. Die Nervosität nahm noch zu. Er blieb viel zu lange weg. Er wollte sich nur Beute holen und dann zurückkehren.