John Sinclair Sonder-Edition 195 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 195 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Sie hieß Elfie Gazzow, war Krankenschwester, und sie hatte drei Patienten die Kehle durchgeschnitten. Dafür hatte man sie rechtskräftig verurteilt. Doch Elfie, die auch bekannt war als ‚die Frau mit den heilenden Händen‘ und tatsächlich Menschen geholfen hatte, fühlte sich unschuldig. Es gelang ihr zu fliehen, und sie kehrte zurück an den Tatort. Hier, im Krankenhaus, wollte sie furchtbare Rache nehmen für das vermeintliche Unrecht, das man ihr angetan hatte. Und ihr eines ihrer Opfer war ausgerechnet mein Boss, Sir James Powell ...


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Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Krankenschwester

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Die Krankenschwester

von Jason Dark

Sie hieß Elfie Gazzow, war Krankenschwester, und sie hatte drei Patienten die Kehle durchgeschnitten. Dafür hatte man sie rechtskräftig verurteilt. Doch Elfie, die auch bekannt war als ›die Frau mit den heilenden Händen‹ und tatsächlich Menschen geholfen hatte, fühlte sich unschuldig. Es gelang ihr zu fliehen, und sie kehrte zurück an den Tatort. Hier, im Krankenhaus, wollte sie furchtbare Rache nehmen für das vermeintliche Unrecht, das man ihr angetan hatte. Und ihr eines ihrer Opfer war ausgerechnet mein Boss, Sir James Powell ...

Von einem Augenblick zum anderen veränderte sich Mitchell Cramers Gesichtsfarbe. Der Teint des Zuchthausdirektors war nie besonders rosig gewesen, aber diese überfallartige Totenblässe konnte keinen natürlichen Ursprung haben.

Das wusste auch Cramer selbst, der sich plötzlich fühlte, als wäre er von zahlreichen Messern durchbohrt worden, die man von vier verschiedenen Seiten in seinen Körper gerammt hatte.

Er riss den Mund auf.

Er wollte schreien, das half immer irgendwie. Außerdem würde er seine Sekretärin im Vorzimmer alarmieren, denn er fühlte sich zu schwach, um die Telefonanlage in Betrieb zu setzen.

Cramer schrie nicht!

Die Schmerzen waren so stark, dass sie seine Kehle zuschnürten. Er saß auf dem Stuhl, hielt die Hände gegen den Magen gepresst und spürte den Schweiß, der in Strömen aus seinen Poren schoss.

Wie eine Figur saß er auf dem Stuhl. Den steifen Oberkörper nach vorn gedrückt. Die Luft noch immer anhaltend, denn auch das Atmen fiel ihm schwer.

In seinem Leib wühlte, kratzte und tobte es. Die Messer schienen sich in Rührwerkzeuge verwandelt zu haben, die sich pausenlos drehten.

Der Druck hinter seinen Augen war so stark geworden, als würden sie jeden Moment aus den Höhlen treten. Aus dem offenen Mund sickerte Speichel. Er fand den Weg über das Kinn des Mannes und tropfte schließlich auf das linke Hosenbein.

Dann ebbten die Schmerzen ab.

Cramer holte wieder Luft.

Im nächsten Augenblick erwischte es ihn erneut. Da raste die nächste Glutwelle durch seinen Körper, schoss hoch bis zur Kehle und erreichte den offenen Mund.

Eine dicke Flüssigkeit füllte den Mund, die genau in dem Augenblick hervorbrach, als der Oberkörper des Mannes nach vorn kippte.

Der Blutstrahl fegte aus dem Mund des Mannes und klatschte als rote Lache auf den Schreibtisch.

Das passierte in der Sekunde, als die Sekretärin die Tür zum Chefbüro öffnete ...

Elfie Gazzow kicherte, als ihr die Wärterin die Tür aufhielt. »Los, geh schon hinein!«

»Nein.« Die Gefangene blieb stehen.

»Soll ich Verstärkung holen?«

»Das brauchen Sie nicht, Mutter Teresa«, erwiderte Elfie kichernd und amüsierte sich über den roten Kopf der Wärterin. Sie wusste sehr genau, dass die Wärterin diesen Spitznamen nicht mochte. Damit konnte man sie wild machen, aber das hatte Elfie nicht vor, denn sie sagte nur: »Ich bin nicht mehr lange genug hier, um Verstärkung zu benötigen.«

»Die brauchst auch nicht du, sondern ich.«

»Auch nicht mehr.«

»Was soll das heißen, dass du nicht mehr lange genug hier bist?« Die Wärterin schaute die Gefangene scharf an. »Wirst du verlegt? Meinetwegen ...«

»Nein, das nicht. Ich komme frei.«

Mutter Teresa wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Was hast du da gesagt? Du kommst frei? Du, die Krankenschwester, die zugleich eine dreifache Mörderin ist?«

Elfie reckte ihr Kinn vor. »Ich habe kein Geständnis abgelegt.«

»Du warst es trotzdem.«

Elfie Gazzow hob die Schultern. »Wie du meinst, Mutter Teresa.« Dann hob sie den rechten Zeigefinger an und wirkte jetzt wie eine Lehrerin. »Aber du wirst erleben, dass man mich noch braucht. Sehr sogar, das garantiere ich dir.«

Die Wärterin hatte keine Lust mehr, mit dieser Person zu diskutieren. Sie mochte Elfie nicht, denn sie hatte bei ihr immer den Eindruck, dass sie ihr Person überlegen war. »Geh jetzt in die Zelle und halte Ruhe.«

»Gern.« Elfie spitzte die Lippen wie jemand, der einer anderen Person eine Kusshand zuwirft. Dann trat sie über die Schwelle, drehte sich aber nicht um und schreckte auch nicht zusammen, als hinter ihr die Tür mit einem lauten Geräusch zufiel.

Sie wusste genau, dass sie noch beobachtet wurde. Betont langsam drehte sie sich um und öffnete dabei ihren verschlissenen Bademantel, unter dem sie nackt war. So blieb sie gegenüber der Tür stehen, legte beide Hände unter ihre großen Brüste, präsentierte sie regelrecht, um sie dann schaukeln zu lassen. Sie wusste, dass die Wärterin darauf abfuhr. Zugeben würde sie es jedoch nicht. Sie war eine heimliche Beobachterin, die die eingesperrten Frauen lieber aus einem Versteck beim Duschen betrachtete.

Elfie gönnte ihr noch etwa fünf Sekunden den Anblick ihres Körpers, dann drehte sie sich wieder um. Die Wärterin würde davon träumen, mit der Gefangenen eine Nacht in der Zelle zu verbringen, allein, um dort die Freuden einer exklusiven Liebe zu erleben.

»Fuck me«, sagte Elfie nur und streifte den alten Bademantel völlig ab. Sie zog sich um. Die frische Wäsche hätte zu einer Oma gepasst, aber nicht zu einer dreißigjährigen Frau. Aber Dessous gab es im Knast nicht, und der sollte für Elfie Gazzow aufgrund von Indizienbeweisen für die nächsten zwanzig Jahre ihr Zuhause werden.

Angeklagt war die Krankenschwester Elfie Gazzow wegen dreifachen Mordes. Begangen an Patienten, für deren Wohl sie zu sorgen hatte. Den Männern waren die Kehlen mit einem scharfen Messer durchgeschnitten worden, und man hatte schließlich Elfie Gazzow als Täterin überführt und in den Knast gesteckt.

Eigentlich hätte man sie im Krankenhaus besser brauchen können als im Gefängnis. Elfie war ein Phänomen, sie war berühmt und als Frau mit den heilenden Händen im gesamten Land ein Begriff. Deshalb hatte ihr Prozess auch so hohe Wellen geschlagen. Es hatte viele Menschen gegeben, die auf ihrer Seite standen, auch jetzt noch, denn sie war ein wissenschaftliches Phänomen, wie einmal jemand zu ihr gesagt hatte. Das war nicht irgendjemand gewesen, sondern ein bekannter Professor, der sich über Elfies Heilungen nur hatte wundern können.

Zwei Wochen hatte sie schon in der Zelle verbringen müssen. Eine Woche davon mit einer anderen Gefangenen, einer älteren Frau, die nach zehn Jahren entlassen worden war. Völlig verbraucht, am Rande ihrer Kraft. Sie würde sich für den Rest ihrer Tage im normalen Leben nicht mehr zurechtfinden. Elfie würde es nicht so ergehen, das hatte sie sich fest vorgenommen, und das wusste sie auch.

Natürlich war auch im Knast bekannt, wer hier einsaß. Vom obersten Chef bis hin zur jüngsten Gefangenen hatte es sich herumgesprochen, und es gab zahlreiche Frauen, die engeren Kontakt zu Elfie suchten, um sich von ihr ihre Wehwehchen heilen zu lassen. Doch Elfie hatte sie allesamt abblitzen lassen. Sie wollte allein bleiben und in Ruhe gelassen werden, und sie war davon überzeugt, dass ihre Zeit kommen würde, so oder so.

Über die Unterwäsche hatte sie das graublaue Kittelkleid gestreift. Wie eine Putze sehe ich darin aus, dachte sie, als sie die obersten Knöpfe an der Leiste offen ließ, damit das Kleid nicht zu sehr spannte. In den Spiegel wollte sie nicht schauen, da würde sie sich nur noch mehr ärgern. Deshalb zog sie den Vorhang vor das Waschbecken, neben dem auch die Toilettenschüssel stand.

Heute ist Freitag, dachte sie. Und damit habe ich auch meine zweite Woche hier beendet. Es wird Zeit, dass etwas geschieht. Mehr als einen Monat wollte sie es in der Zelle nicht aushalten. Sie schaute zum Fenster, sah die Gitter, auch den bunten Vorhang, der aber war zurückgeschoben. Ihre ehemalige Zellengenossin hatte ihn genäht und angebracht.

Elfie konnte auf diese bürgerlichen Erinnerungen gut und gerne verzichten. Sie brauchte auch keine Bilder irgendwelcher Menschen, die ihr nahestanden. Sie war sich selbst genug, und sie hing gern ihren Gedanken nach. Das Alleinsein schreckte sie nicht. Es waren nur die Mauern und das vergitterte Fenster, das sie nicht mochte, aber das war ja nicht für ewig.

Etwas war anders – heute zumindest. Elfie spürte es genau. In ihrem Körper steckte die Unruhe. Das Kribbeln war wie eine Botschaft, und es hörte auch nicht auf. Es begann in den Füßen, stieg höher, wanderte bis zum Kopf, wo es sogar ihre Gedanken beeinflusste. Sie lächelte, aber sie fletschte dabei die Zähne, und so wirkte das Lächeln mehr wie das eines Raubtiers, das kurz davor stand, Beute zu reißen.

Sie ging hin und her.

Die Ausmaße der Zelle kannte sie genau. In einer Woche lernt man jeden Winkel kennen, wenn man allein ist. Außerdem hatte ihre Mitinsassin alles mitgenommen, was ihr gehörte. Elfie selbst wollte in diesen Raum nichts Persönliches aufstellen. Es war doch nur für eine Übergangszeit.

Vor der Tür blieb sie stehen. Die Klappe in Augenhöhe war von der anderen Seite her zugeschoben worden.

Elfie Gazzow lauschte. Das hatte sie bisher selten getan. Es geschah auch nicht aus einem Gefühl der Neugierde heraus, sondern mehr aus einem Wissen, dass sich für sie einiges ändern würde.

Heute schon ...

Noch war nichts Besonderes zu hören. Außerdem klangen die Laute sehr dumpf, aber die unterschiedlichen Schrittfolgen konnte sie schon auseinanderhalten. Sie wusste genau, wann eine Wärterin an ihrer Zellentür vorbeiging oder eine Mitgefangene.

Jemand lachte schrill.

Das war Wanda, die Verrückte. Die lachte immer. Sie hatte auch gelacht, als sie ihren Geliebten vom Balkon geschubst hatte. Dafür musste sie einige Jahre sitzen, auch wenn sie damals bei der Tat unter dem Einfluss von Drogen gestanden hatte. Den Dealer hatte man tot in Wandas Dachwohnung gefunden.

Wanda kam näher.

Sie brachte nicht nur das Lachen mit, sondern auch stets dieses dumpfe Donnern, denn sie konnte es einfach nicht lassen, mit der Faust gegen jede Zellentür zu schlagen.

Manchmal bekam sie Antwort. Dann war sie aber schon weitergegangen und lachte wieder.

Gegen Elfies Zellentür schlug sie nicht, denn die scharfe Stimme einer Wärterin hielt sie zurück.

»Lass es!«

In Elfies Augen leuchtete es auf. Sie hatte genau gehört, wer da gesprochen hatte.

Purdy Fox, die Chefin in diesem Trakt!

Wenn sie kam, brannte die Luft. Und Elfie wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Purdy diesmal zu ihr wollte. Darauf stellte sie sich ein, ging zurück bis zu ihrem Bett und setzte sich darauf nieder, folgsam wie eine Klosterschülerin.

Die Fox näherte sich der Zellentür. Ihre Schritte wurden schnell und hart gesetzt, wie die eines Mannes, und Purdy Fox wäre wohl gern ein Mann gewesen, aber bei ihr überwog doch das Weibliche. Mit ihrem roten Haar fiel sie überall auf. Hin und wieder trug sie es offen, zumeist aber streng zurückgekämmt, um die Blicke mehr auf ihr Gesicht zu lenken, wo die Augen smaragdgrün schimmerten.

Elfie Gazzow hatte ein gutes Gefühl, als die Fox vor ihrer Tür stoppte. Sie wusste sehr gut, dass etwas Besonderes eingetreten war, sonst hätte sich die Chefin des Trakts nicht persönlich herbemüht.

Die bekannten Geräusche klangen auf. Da drehte sich der Schlüssel im Schloss, da wurde die Klappe zurückgeschoben, und der Ausschnitt des Gesichts erschien in der Öffnung. Die Fox sicherte sich durch den Blick erst einmal ab. Sie kam auch nie allein. Draußen wartete stets eine zweite Wächterin.

Purdy Fox zog die Tür auf und betrat die Zelle. Nach einem Schritt bereits blieb sie stehen, und wie immer legte sie ihre Hände hinter dem Rücken zusammen. So schaute sie sich um.

In dieser Haltung wirkte sie tatsächlich wie ein Feldwebel.

Auch Elfie hatte sich erhoben. Sie kannte die Prozedur, und sie wollte auch nicht provozieren. Beide Frauen schauten sich an, wobei sich die Gefangene in einer so sicheren Lage fühlte, dass sie den Mund zu einem scharfen Lächeln verzogen hatte.

Auch diesmal hatte Purdy ihre roten Haare streng zurückgekämmt. Im Nacken bildeten sie den ›Evita Peron‹-Knoten, der durch den gleichnamigen Film wieder in war. Das Gesicht der Frau war immer glatt. Sie hatte einfach diese Haut. Daran hatte auch der Dienst hier im Knast nichts ändern können. Die Nase war klein, der Mund voll, und eigentlich war ihr Gesicht weich. Aber Purdy konnte knochenhart und auch zynisch sein.

»Welch eine Ehre«, sagte Elfie spöttisch. »Madame persönlich. Himmel, was ist los?«

»Wir werden gehen.«

»Ach. Wohin denn?«

»Weg von hier.«

»Geduscht habe ich schon. Aber wenn Sie noch einmal mit mir unter die Dusche steigen wollen ...«

»Reden Sie keinen Unsinn, verdammt! Wir verlassen die Zelle und auch den Knast.«

Die Krankenschwester lächelte, aber nur innerlich. Da breitete sich der Triumph aus, und sie dachte daran, dass sie Teresa nicht zu viel versprochen hatte. Sie kam also raus. Das war schon mal gut, aber noch wusste sie nicht, wohin sie gebracht werden sollte, und deshalb fragte sie: »Soll ich verlegt werden?«

»Nein, wir kehren wieder hierher zurück. Aber ich werde Sie in ein Krankenhaus bringen.«

»Warum das?«

Purdy Fox ließ sich nicht beirren und sprach weiter. »In das St. Vincenz Hospital.«

Auf einmal musste Elfie lachen. Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. Sie riss den Mund auf, und das Gelächter hallte durch den kleinen Raum. Es war nur ein kurzer Anfall, der einfach hatte sein müssen, ein Kommentar ihrer Gedanken und Vorstellungen, denn so ähnlich hatte sie sich die Dinge zwar vorgestellt, aber nicht erwartet, dass sich ihre Wünsche so schnell erfüllen würden.

Ausgerechnet in das St. Vincenz Hospital. Das war ihre berufliche Heimat gewesen, dort hatte sie angeblich die drei Morde begangen. Und jetzt sollte sie wieder zurück?

»Hören Sie auf zu lachen!«, fuhr die Fox sie an.

Elfie lachte trotzdem weiter, allerdings nicht mehr so laut, und sie schüttelte auch den Kopf. »Es ist komisch, das werden Sie bestimmt verstehen. Aber was soll ich dort? Was will man von mir? Der Fall ist angeblich aufgeklärt, obwohl viele meiner Kollegen und Kolleginnen an meiner Schuld zweifeln. Wird mein Fall wieder aufgerollt? Ist man zu der Einsicht gelangt, sich geirrt zu haben?«

»Das nicht, Gazzow.«

»Was ist dann der Grund?«

»Jemand will Sie sprechen, und Sie sollen einem Menschen einen Gefallen tun.«

»Auch das noch. Wer ist es denn?«

Plötzlich verlor Purdy Fox ihre Sicherheit. Sie schaute zu Boden, schüttelte den Kopf und machte den Eindruck einer Frau, der es nicht angenehm war, die Wahrheit zu sagen. »Mr. Cramer möchte, dass Sie zu ihm kommen.«

Elfie zwinkerte.

Dann lachte sie leise. »Moment mal. Sie sagten Mr. Cramer?«

»Ja, das sagte ich.«

Die Gefangene streckte ihren rechten Arm aus und legte dabei die Finger zusammen. Es fiel auf, dass sie eine sehr lange Hand hatte. »Sie meinen doch nicht etwa den Cramer?«

Die Fox nickte. »Doch, den meine ich. Mitchell Cramer, unseren Direktor und Chef hier.«

Elfie unterdrückte das Lachen nur mühsam, aber ihr Gesicht lief rot an. Die Fox merkte, was mit der Frau vorging, sie ärgerte sich darüber, aber sie tat nichts und schluckte ihre Wut hinunter. »Was will er denn von mir? Was ist passiert?«

»Er ist krank.«

»Tut mir nicht mal leid.«

Purdy Fox überging die Bemerkung. »Und er möchte, dass Sie ihm helfen und ihn heilen, das ist alles.«

»Ich?« Elfie lachte. »Ausgerechnet ich?«

»So ist es.«

»Warum denn?«

»Das wissen Sie selbst.«

»Ja, aber ich möchte es noch einmal von Ihnen hören. Es tut so gut, wissen Sie.«

»Er vertraut Ihren Händen.«

»Ah!«, rief Elfie und öffnete weit ihre Augen. »Sie meinen sicherlich den heilenden Händen.«

»Wie auch immer«, erklärte die Fox. »Er will Sie an seinem Krankenbett sehen.«

»Dann scheint er den Ärzten nicht zu vertrauen. Oder sie konnten ihm nicht helfen.«

Purdy zog die Stirn kraus. »Ich verstehe das selbst nicht. Wie auch immer. Ich bin bei Ihnen, wenn wir zum Krankenhaus fahren, und das tun wir jetzt gleich.«

»Das ist gut. Ich müsste mich nur umziehen und ...«

»Nein, das ist nicht nötig. Sie bekommen im Krankenhaus einen Kittel ...«

»Dann bin ich wieder Schwester Elfie. Wie schön.«

Purdy Fox schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich aber keine falschen Hoffnungen. Sie werden den Chef behandeln und dann hierher zurückkehren, um weiterhin Ihre Strafe abzusitzen. Und eines weiß ich auch. Während der Behandlung werden Sie nie allein sein. Sie bleiben unter Kontrolle. Es wird stets ein Arzt in Ihrer Nähe sein, und ich halte mich ebenfalls im Zimmer auf, wenn es so weit ist, und dann sehen wir weiter.«

»Ja, das denke ich auch.«

Die Fox nickte und trat zur Seite. »Sie können jetzt die Zelle verlassen, Elfie. Aber keine Dummheiten. Wagen Sie nicht einmal, daran zu denken.«

»Wer bin ich denn? Keine Angst, Purdy, ich werde alles genau tun, was Sie von mir verlangen.«

»Das ist auch in Ihrem Interesse. Kommen Sie jetzt!«

»Gern.« Elfie Gazzow verließ die Zelle, und sie lächelte dabei. Schon provozierend langsam schritt sie an der Wächterin vorbei und lächelte sie eisig an. »Habe ich Ihnen und nicht allen hier gesagt, dass meine Chance kommt?«

»Ja, das haben Sie. Aber es ist nur eine kleine Unterbrechung, keine Entlassung.«

»Sind Sie sicher?«

»Völlig!«

»Ich auch.«

»Was heißt das?«, erkundigte sich die Beamtin, als sie bereits den Flur halb durchschritten hatten.

Elfie schaute nur kurz zur Seite. »Das werden Sie alles noch erleben, Purdy. Sie mögen schon viele Gefangene betreut haben, aber so eine, wie mich, hatten Sie noch nie.«

Mehr sagte Elfie Gazzow nicht. Aber es hatte ausgereicht, um Purdy Fox eine Gänsehaut über den Körper zu jagen ...

Die Schmerzen! Diese wahnsinnigen Schmerzen, die Sir James Powell plötzlich überfallen hatten, sodass er das Gefühl hatte, sein Magen wäre zusammen mit den Eingeweiden zerrissen worden. So plötzlich und überfallartig waren sie gekommen, obwohl er eigentlich damit hätte rechnen können, denn in den beiden vergangenen Wochen war es ihm schon nicht besonders gegangen. Immer wieder hatten ihn die Schmerzen im Leib erwischt, aber er hatte darüber nie gesprochen und diese Alarmsignale auf eine Verstimmung des Magens geschoben.

Bis es zu viel wurde und er zusammengebrochen war. Glücklicherweise in seinem Club, wo schnell Hilfe zur Stelle war. »Ab ins Krankenhaus!«, hatte der Notarzt nur gesagt.

Die Fahrt, die Schmerzen, die Bilder, die Sir James nur mehr verwaschen wahrnahm. Er hatte den Eindruck, seine Eingeweide würden explodieren, und der neben ihm sitzende Arzt begann bereits mit einer ersten Untersuchung. Er stellte Fragen, die Sir James nur knapp und sehr mühsam beantworten konnte, aber der Arzt, der ihn auch vorsichtig abgetastet hatte, wusste Bescheid.

Über sein Handy nahm er Kontakt mit dem Krankenhaus auf. Das alles bekam Sir James noch mit. Er wurde nicht bewusstlos. Aber die normale Welt lag für ihn eingepackt in einen Schleier.

Sir James hörte auch zu, was der Arzt sagte. Viel konnte er nicht verstehen, denn die Schmerzwellen waren einfach zu schlimm, aber er hatte zweimal den Begriff Blinddarm verstanden. Wenn es sich um einen Durchbruch handelte, dann würde es knapp werden.

Das wusste auch der Fahrer, denn er hatte Blaulicht und Sirene eingeschaltet. Das Wimmern toste durch die Ohren des Patienten, und das farbige Licht huschte wie ein geisterhafter Gruß an dem Fahrzeug entlang, als raste der Wagen durch einen farbigen Nebel.

Sir James riss die Augen auf. Er trug noch seine Brille. Er sah das Gesicht des Arztes. Der Mann nickte ihm zu. Er sagte auch etwas, aber der Superintendent konnte ihn nicht verstehen. Er sackte plötzlich weg, denn eine erneute Schmerzwelle legte sich über seinen gesamten Körper und fraß ihn auf.

Aus. Vorbei ...

Nichts mehr bekam er mit. Nicht die Einlieferung ins Krankenhaus. Nicht das Hineinfahren in den OP, wo schon alles für eine Notoperation hergerichtet worden war.

Ärzte und Helfer arbeiteten im Team und perfekt zusammen. Das Leben des Patienten musste gerettet werden.

Fast eine Stunde rang Sir James mit dem Tod. Dann hatten es die Ärzte geschafft. Sie waren erschöpft, und als sich der Oberarzt die Handschuhe abstreifte, in den Spiegel schaute, da schüttelte er den Kopf. »Was ein Blinddarm so alles anrichten kann, wenn er geplatzt ist«, sagte er nur, bevor er sich die Hände wusch.

Elfie Gazzow lächelte, als der Wagen stoppte und sie aussteigen konnte. Man hatte ihr nicht nur Purdy Fox als Begleiterin mitgegeben, sondern auch Teresa. Hinzu kamen der Fahrer und der Beifahrer. Zwei Männer, die es gewohnt waren, auf Schwerverbrecher zu achten und auch eine dementsprechende Ausbildung hinter sich hatten.

Elfie durfte aussteigen. Die Hände ›schmückten‹ Armreifen aus Metall. Beinahe vorwurfsvoll streckte sie sie der Fox entgegen, die den Schlüssel eingesteckt hatte. »Soll ich so meine ehemalige Arbeitsstätte betreten?«

»Nein.«

»Dann bitte!«

Purdy Fox holte den schmalen Schlüssel aus der Tasche und löste die Handschellen.

Inzwischen schaute sich Elfie Gazzow um. Es tat unwahrscheinlich gut, mal wieder die Luft und den Geruch der Freiheit einzuatmen. Sie waren bis dicht an das Gebäude herangefahren, das in einem parkähnlichen Gelände stand, wo im vergangenen Jahr auch neue Zufahrtswege angelegt worden waren.

Auch im Krankenhaus hatte man modernisiert, und das alte Gemäuer hatte einen frischen Anstrich erhalten. Den Bau umstanden neue Wohnhäuser und Apartmentblocks wie Festungen aus der Zukunft. Auch zum Fluss hin war gebaut worden, sodass sich in den Glasflächen oft genug das Wasser der Themse spiegelte, wenn die Sonne günstig stand.

Nicht zu dieser Jahreszeit. Die Wintersonne hatte sich verkrochen und traute sich kaum über den Horizont hinaus. Der Himmel zeigte eine graue Farbe, die wie verschmiert aussah. Wolken hatten sich über oder in andere Wolken hineingeschoben und diese Gebilde gebaut. Ein trüber Tag, an dem es nach Schnee roch und der kalte Wind aus Richtung Osten blies.

Sie waren nicht bis vor das Hauptportal gefahren, sondern standen an einem Seiteneingang. Hierher wurden keine Patienten zur Notaufnahme gebracht, es war der Ausgang für die Toten und der Eingang für das Personal. In einem so großen Krankenhaus starben immer wieder Menschen. An manchen Tagen war der Leichenwagen sogar Dauergast, und auch jetzt parkte eines dieser dunklen Fahrzeuge nur wenige Schritte entfernt.

Hin und wieder hatte auch Elfie ihren Arbeitsplatz von hier aus betreten, und jetzt ging sie mit zügigen Schritten ebenfalls darauf zu, konnte aber noch nicht hineingehen, weil sie erst die Träger vorbeilassen musste, die einen geschlossenen Sarg schleppten und in den Leichenwagen schoben.

Elfie lachte, als sie Purdys Gesicht sah. Die Frau war ein wenig blass geworden. Sie mochte wohl keine Särge.

»Das wird Ihnen auch mal so ergehen, Purdy. Freuen Sie sich über jeden Tag, an dem Sie noch leben. Die Zeit ist oft kürzer, als man denkt.«

»Da haben Sie ja Ihre Erfahrungen.«

»Sicher. Ich habe in meinem Job viele Menschen sterben sehen.«

»Klar. Sie haben ja nachgeholfen.«

»Das waren nur Indizien.«

»Ich glaube den Richtern.«

»Müssen Sie ja, Purdy.« Elfie Gazzow sagte es lächelnd. »Sonst kämen Sie mit Ihrem Gewissen nicht zurecht, falls Sie überhaupt eines besitzen. Oft daran zu denken, dass man Unschuldige hinter Gitter gesteckt hat, ist auch nicht das Wahre.«

»Halten Sie den Mund, verdammt!«

»Ist Ihnen das Thema unangenehm?«

»Gehen Sie endlich!«