John Sinclair Sonder-Edition 198 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 198 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Der Puppen-Galgen auf der Theater-Bühne zog Jane Collins an wie ein Magnet. Und es war ein makabrer Anblick: In einer der Schlingen hing eine große Puppe, bekleidet mit einem Leichenhemd! Ein Symbol? Ein Hinweis auf Janes frühen Tod?
Ehe sie sich versah, steckte ihr Kopf in der Schlinge, und ganz langsam verabschiedete sie sich von den Lebenden ...


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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Der PUPPEN-GALGEN

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Der PUPPEN-GALGEN

von Jason Dark

Der Puppen-Galgen auf der Theater-Bühne zog Jane Collins an wie ein Magnet. Und es war ein makabrer Anblick: In einer der Schlingen hing eine große Puppe, bekleidet mit einem Leichenhemd! Ein Symbol? Ein Hinweis auf Janes frühen Tod?

Ehe sie sich versah, steckte ihr Kopf in der Schlinge, und ganz langsam verabschiedete sie sich von den Lebenden ...

»Sie ist tot«, sagte der Mann.

»Ja, wie man sieht.«

»Hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde. Auf einmal war sie nicht mehr da. Zack, einfach weg.«

»Und was geschieht mit ihren Sachen? Den persönlichen Dingen, die sie besaß?«

»Das weiß ich doch nicht. Vielleicht kommen sie unter den Hammer. Oder man verbrennt den Kram.«

Der zweite Mann staunte. »Oh, all die Puppen und ...«

»Weiß ich auch nicht. – Los, den Deckel! Ist ja nicht die erste Tote, die wir einsargen.«

»Stimmt!«

Die beiden Männer pfiffen, als sie den Sargdeckel hochhoben. Einer bemerkte noch, dass es billiges Holz war.

»Spielt keine Rolle«, meinte sein Kollege. »Die Würmer fressen alles, ob der Sarg nun billig war oder ein Vermögen gekostet hat.«

»Stimmt auch wieder.«

Die Männer hatten den Deckel aufgehoben und traten mit ihm an die Sargwanne heran. Sie warfen noch einen letzten Blick auf die Frau. »Sie sieht selbst aus wie eine Puppe.«

»Kein Wunder. Die hat nur für ihre Puppen gelebt. Los jetzt!«

Sie senkten den Deckel, passten ihn genau an und befestigten ihn durch das Hochklappen der Riegel.

»So, das war's mal wieder.«

»Und wann wird die Frau abgeholt?«

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich morgen früh. Oder glaubst du, dass in der Nacht noch jemand kommt?«

»Bestimmt nicht.«

»Na dann – Abmarsch! Ich habe wahnsinnigen Durst.«

»Frag mich mal.«

Einer der beiden Männer schaltete noch das Licht aus, dann gingen sie. Es war jetzt dunkel – dunkel wie in einem Sarg ...

Die Stimmen waren verstummt. Den typischen Holzgeruch einer Schreinerei nahm sie nicht mehr wahr. Absolute Dunkelheit umgab sie jetzt, denn der Sarg schloss fugendicht.

Irielle Fenton schrie. Aber sie schrie nicht wirklich. Hätte sie es gekonnt, hätte man sie nicht in den Sarg gelegt. So dachten die Menschen, sie wäre tot. Das aber stimmte nicht. Sie lebte. Sie war nicht tot, auch wenn es den Anschein gehabt hatte.

Der Scheintod, ein altes Trauma des Menschen, hatte sie erwischt, und sie konnte nicht auf sich aufmerksam machen. Scheintot zu sein und lebendig in einen Sarg gelegt und dann begraben zu werden, das war die Hölle!

In einem Sarg lag sie bereits. In einem, der fugendicht schloss. Kein Streifen Helligkeit drang hinein. Irielle Fenton erlebte die absolute Finsternis. Sie durchlitt die ersten Sekunden der totalen Dunkelheit, und sie dachte für einen Moment daran, dass sie einen Traum erlebte, einen bösen, alles verzehrenden Alptraum. Sie lag auf dem Rücken und war steif, aber nicht tot.

Der Arzt hatte sich geirrt!

ICH BIN NICHT TOT!

Der innerliche Aufschrei glich einem verzweifelten Hilferuf, aber niemand konnte ihn hören. Nur die Schatten um sie herum. Und sie waren so schrecklich dicht.

Gott, ich lebe! Ich weiß, dass ich lebe. Warum wissen es denn die anderen nicht? Sie hätten es doch merken müssen. Allen voran der Arzt. Er hat mich einfach für tot erklärt, und jetzt bin ich eingesargt. Ich werde ersticken, irgendwann.

Ich werde mitbekommen, wie man mich wegträgt. Ich werde vielleicht noch hören, wie die Erde auf den Deckel fällt. Es wird die schaurige Musik sein, die mich in den endgültigen Tod schickt. Ich werde vielleicht aus meiner Starre erwachen und mir die Haare ausreißen. Ich werde wahnsinnig werden. Ich habe keine Chance mehr.

Ihre Gedanken verquirlten sich zu einem Wirrwarr, und die letzte Klarheit verschwand wieder. Etwas anderes ergriff von ihr Besitz. Das Gefühl der Angst, das sich in irgendeinem Teil ihres Körpers festgesetzt hatte, und jetzt, wo die äußeren Einflüsse verschwunden waren, freie Bahn bekam. Die Angst war wie eine Folter. Sie nagte an ihrer Seele, sie ließ sich nicht steuern. Sie ergriff von ihr Besitz. Sie schob sich in jeden Teil ihres Körpers hinein. Sie war wie ein Bohrer, der an verschiedenen Stellen angesetzt worden war, die jetzt ausstrahlten, sodass jede Faser ihres Körpers erwischt wurde.

Irielle Fenton konnte sich nicht bewegen. Sie war steif geworden und lag noch in derselben Haltung, wie man sie gefunden hatte. Aber sie lebte innerlich. Dort brannte das Feuer, und die Angst fing plötzlich an, Bilder zu schaffen.

Sie waren nicht existent, aber Irielle Fenton sah sie trotzdem. Feuer loderte in gewaltigen Flammen in die Höhe. Lange, rotgelbe Zungen, als wollten sie den Himmel aufreißen. Fratzen darin. Menschen, die sich in die Flammen hineinwarfen, die verbrannten. Sehr deutlich sah sie, wie ihre Körper schmolzen. Sie entdeckte die Fratzen. Sah die Mäuler, die Münder, die weit geöffnet waren.

Sie sah die brennenden Kreuze, die den Flammen ebenfalls nicht hatten trotzen können. Die Glut fand keinen Widerstand. Es gab kein Wasser, das sie löschte.

Die Glut wälzte sich über das flache Land, verbrannte Wälder und Felder und tötete die dort lebenden Tiere.

Das Feuer war die Allmacht. Es vernichtete. Es räumte auf. Es war das Jüngste Gericht, das durch die Welt toste und sich einfach nicht aufhalten ließ.

Es zerstörte das Leben, es wollte den Tod. Himmelhohe Rauchwolken begleiteten den prasselnden Feuersturm, der sich in alle Richtungen ausbreitete. Er schickte den Tod, die Vernichtung, und es stellte sich niemand dieser Feuersbrunst entgegen.

Der Feuersturm wurde von einem gewaltigen Brausen begleitet. Ein Geräusch, das in den Ohren der Frau wie die schaurigste Musik klang. Sie sah nur die imaginären Flammen, aber sie hörte nichts. Sie atmete keinen Rauch ein, und sie litt nicht unter der Hitze.

Und doch existierte Leben in dieser Feuerhölle!

Irielle sah eine Bewegung. Zuerst nur schemenhaft, sodass sich die Gestalt kaum vor den tanzenden Flammen abhob. Aber sie kam näher, und sie trat aus dem Feuer hervor. Hinein in den Sichtbereich der Frau.

Irielle erkannte, dass es ebenfalls eine Frau war, die durch die Flammen schritt, als wären diese kaum vorhanden. Sie fand ihren Weg mit einer schon unbeschreiblichen Sicherheit, ohne sich um das Feuer zu kümmern.

Und das Feuer kümmerte sich im Gegenzug auch nicht um sie. Es ließ sie laufen, es gab ihr sogar so etwas wie einen Schutz.

Näher und näher kam die Frau. Sie ging gelassen, setzte ein Bein vor das andere und behielt dabei ihr Tempo bei. Die Frau wusste genau, was sie wollte, und sie ließ sich von den heißen Feuerlohen auch nicht beirren.

So konnte nur eine Herrin der Flammen reagieren. Ein Feuerengel, der die brennende Welt für sich einnahm und immer besser zu sehen war. Sie kam näher, und Irielle sah den schlanken Körper, der von einem weißen Kleid mit Rüschen und Borden bedeckt war, das wirkte wie ein sehr kostbares Totenhemd.

Die Gestalt veränderte ihre Armbewegungen. Während sie lief, drückte sie ihren Körper zurück, legte den Kopf in den Nacken und schaute so in die Höhe, denn auch über ihr stand der Himmel in Flammen.

Sie sah hoch, sie beherrschte das Feuer. Sie lachte sogar, aber Irielle hörte nichts.

Die Scheintote erlebte das Näherkommen der Fremden, die ihr nicht mehr so fremd war. Nein, sie kannte die Person, sie kannte sie sogar sehr gut. Das war sie selbst. Genau, sie selbst. Es gab keine andere Person. Sie selbst hatte das Feuer beherrscht. Es war noch da, aber es war auch dabei, sich zurückzuziehen, und nur Irielle selbst blieb.

Sie beugte sich vor. Sie winkte ihrem Ebenbild zu. Sie lächelte, und die Scheintote glaubte sogar, eine Botschaft darin lesen zu können.

Es wird gut. Es wird alles gut ...

Noch einmal das Lächeln.

Dann war Irielles Ebenbild verschwunden. Es gab kein Bild mehr, das von ihrer Psyche gemalt worden wäre. Die verdammte, widerliche und tintige Schwärze in der Totenkiste blieb jedoch.

Vorbei waren die Bilder. Hineingelaufen in den Fluss der Erinnerung. Die Realität sah anders aus.

Schwarz, lichtlos – tot!

Irielle lag starr. Sie dachte, sie fühlte, sie schmeckte, nur eines schaffte sie nicht. Es war ihr nicht möglich, auch nur einen Finger zu bewegen.

Wie ein Eisblock blieb sie liegen. Eine starre Tote, die nicht tot war. Aber man hatte sie als Leiche behandelt, alle hatten das getan, auch der Doktor, ein alter Mann, der immer nach Schnaps roch. Medizin, wie er es nannte. Er hatte einen Totenschein ausgestellt. Danach war dann die unwürdige Behandlung erfolgt. Das Waschen der Leiche, das Überstreifen des Totenhemds, anschließend das Einsargen.

Warum wird man scheintot?

Sie konnte keine Antwort darauf geben. Sie lag nur im Sarg. Sie wusste genau, dass sie irgendwann richtig sterben würde. Die Angst würde sie schließlich umbringen, das Grauen war einfach nicht aufzuhalten.

Das Gefühl der brennenden Furcht kehrte zurück. Diesmal entstanden keine Bilder in ihrem Kopf. Es war alles anders. Die Angst war zu einem Druck geworden, der alle Bereiche ihres Körpers erfasste. Diesmal wurde das Gefühl nicht von irgendwelchen Bildern begleitet. Keine Vorstellungen von der Zukunft, die es für sie im Prinzip nicht mehr gab. Eine Person wie sie hatte die Zukunft hinter sich.

Die Enge des Sarges spürte sie nicht, obwohl die Arme die Sargwände berührten. Sie war ja doch eine Leiche. Zumindest für die anderen. In einigen Stunden würde man sie abholen und in die kleine Leichenhalle schaffen. Sie würde vielleicht noch das Läuten der Totenglocke hören. Danach begann die Beerdigung.

Aber kaum jemand würde hinter dem Sarg hergehen. Sie hatte allein gelebt, nur für sich. Keine Verwandten gehabt, so gut wie keine Bekannten, erst recht keine Freunde.

Zumindest keine, die lebten.

Andere gab es schon.

Wunderbare Freunde. Ihre kleinen Begleiter durch das Leben. Freunde, die ihr Trost spendeten, auch wenn sie nicht reden konnten. Aber sie hatte sich in sie verliebt. Sie waren einmalig auf der Welt. Wie Menschen, denn jeder Freund war für sie ein Unikat.

Puppen!

Wunderschöne Puppen. Etwas zum Spielen, zum Vorführen und Liebhaben.

Auch jetzt, im scheintoten Zustand, kreisten ihre Gedanken um die Puppen. Wer würde sie bekommen? Wer würde sie erben? Wer würde sie sich nehmen?

Sie kannte keinen, aber der Hass war da. Ja, sie hasste die Menschen, die versuchten, ihre Puppen zu berühren oder sie wegzunehmen. Dafür waren sie nicht geschaffen worden, und Irielle Fenton hatte noch vorgehabt, sie jahrelang zu verwöhnen, doch das war nicht mehr möglich.

Es hatte sie erwischt. Wie der Blitz aus heiterem Himmel. Plötzlich war sie in das Loch gefallen. In eine schwarze Tiefe, aus der es kein Entrinnen mehr gab.

Ewige Finsternis, in der es nur einen Gast gab, das Grauen.

Sie hätte geschrien, geweint, getobt, nichts war möglich. Sie musste auf dem Rücken liegen und das schleichende Grauen, das sich immer mehr verstärkte, ertragen.

Bis sie plötzlich etwas hörte!

Nicht im Sarg. Es war kein Geräusch, das sie verursacht hatte. Aber das Geräusch war vorhanden. Sie hatte sich nicht geirrt, zudem es noch einmal aufklang.

Plötzlich verdoppelten sich ihre Gefühle. Irielle Fenton drehte sich im Kreis, obwohl sie still lag. Als Scheintote wurde sie von einem Schwindel erfasst. Normal war das nicht, aber auch die Geräusche draußen waren nicht normal.

Sie wusste nicht, was sie noch fühlen sollte. Sie lag im Sarg, bewegungslos. Und trotzdem bewegte sie sich. Da kam sie sich vor, als hätte man ihr einen Stoß versetzt, der sie irgendwohin in einen leeren Raum katapultierte. Es fiel ihr nicht leicht, das eigene Gefühl zu beschreiben, aber sie wurde damit fertig, denn seltsamerweise rief das Außengeräusch eine gewisse Freude in ihr hervor. Und Freude verband sie mit dem Wort Rettung.

Jemand war da.

Jemand kam näher. Durch die dünnen Sargwände konnten die Schritte deutlich gehört werden. Sie bewegten sich durch die Schreinerei. Mal waren sie lauter, dann wieder leiser. Jedenfalls blieben sie auch in den folgenden Sekunden.

Die Scheintote kriegte alles mit. Die Schritte entschieden sich nach einer Weile für eine bestimmte Richtung, und die führten zum Sarg hin.

Irielle Fenton hörte es genau. Nichts gab es daran zu rütteln. Wer immer die Schreinerei betreten hatte, der hatte dies nicht ohne Grund getan.

Sie hörte, dass die Schritte vor dem Sarg stoppten. An der rechten Seite und zum Greifen nahe. Nur die dünne Sargwand trennte die beiden so unterschiedlichen Gestalten.

Warum war der Besucher gekommen? Um sie noch einmal zu kontrollieren? Nein, das glaubte sie nicht. Man hatte sie allein gelassen. Die Bestatter würden in der Kneipe sitzen oder in ihren Betten liegen. Was sollten sie noch hier?

Irielles Überlegungen stockten abrupt, als sich die unbekannte Person bückte. Sie sah nichts, aber sie ahnte, dass sich in den folgenden Sekunden einiges verändern würde.

Etwas pochte gegen den Sargdeckel. Nur für einen winzigen Augenblick. Aber das Holz verleitete zu Echos, und die wurden von der Scheintoten wahrgenommen. Etwas kratzte über den Deckel und wanderte dabei weiter. Vom Fuß- bis zum Kopfende. Ein leises Schaben, unterbrochen von leisen Trommelgeräuschen.

Jemand war gekommen, um ihr eine Botschaft zu übermitteln. Auf einmal bekam sie wieder Hoffnung. Was konnte ihr als Scheintote noch Schlimmes passieren? Nichts, gar nichts mehr! Vielleicht ein schneller, endgültiger Tod. Der wäre dann aber auch eine Erlösung. Dann hätte sie die verdammte Qual nicht mehr länger aushalten müssen.

Es wurde wieder still.

Da gab es nichts mehr. Die Geräusche waren verstummt. Auch keine Schritte mehr. Irielle Fenton spürte die Verzweiflung, die allmählich in ihr hoch kroch. Das alte Leiden kehrte zurück. Nichts hatte sich geändert. Die Angst war wieder da.

Bis zu dem Zeitpunkt, als sie die Geräusche abermals wahrnahm. Und diesmal an der anderen Sargseite. Hände schienen eine bestimmte Stelle zu suchen. Irielle verfolgte das Suchen der Hände, und sie konnte es plötzlich nicht glauben.

Da war ein bestimmtes Geräusch gewesen. Etwas hatte sie positiv gestört. Irielle wusste, wie es sich anhörte, wenn an den Schlössern hantiert wurde.

Jemand öffnete sie!

Irielle Fenton konnte es kaum glauben. Es war unfassbar. Da war jemand gekommen, um nach ihr zu schauen, und dazu musste der Sarg eben geöffnet werden.

Ein Freund? Ein Feind?

Sie konnte es beim besten Willen nicht feststellen und sich auch nichts Positives vorstellen. Wer sollte denn Interesse an einer Toten haben, die schon als Lebende kaum mit Menschen Kontakt gepflegt hatte?

Und doch hatte sie sich die Geräusche nicht eingebildet. Sie hörten auch nicht auf. Die Person machte sich weiter an der rechten Sargseite zu schaffen.

Dann war es geschafft. Ja, das spürte die Scheintote. Sie wusste genau, dass es nicht mehr lange dauern konnte, auch wenn der oder die Unbekannte zur linken Sargseite ging. Dort wurden die Schlösser jetzt ebenfalls geöffnet.

Noch blieb der Deckel geschlossen. Die Scheintote allerdings wusste genau, dass sie die längste Zeit in der Dunkelheit der Totenkiste gelegen hatte. Sie würde eine andere Dunkelheit erleben, die im Gegensatz zu dieser hier schon hell war. Hände wanderten über den Sargdeckel hinweg. Sie griffen an einer bestimmten Stelle zu.

Noch zögerte der Fremde.

Dann war es so weit.

Mit einem Ruck hob die fremde Person den Sargdeckel an und legte die Frau damit frei ...

Irielle wusste zwar, was da mit ihr geschehen war, aber natürlich konnte sie sich nicht bewegen. Sie lag einfach nur da und kam mit der neuen Lage noch nicht zurecht.

Die Augen hatte sie nicht ganz geschlossen. Es waren schmale Schlitze, durch die sie schauen konnte. Ansonsten blieb ihr Zustand gleich.

Sie schaffte es auch jetzt nicht, nur einen Finger zu bewegen oder mit den Zehen zu zucken. Sie lag im Sarg, und ihr Zustand glich dem einer Toten.

Angst war vorhanden, trotz der Veränderung. Sie konnte nicht viel erkennen, denn im Raum war es relativ dunkel, wenn auch nicht so schrecklich finster wie im Sarg.

Schatten. Mal schwarz, mal tief und dicht, aber an einigen Stellen auch wieder heller.

Jemand trat an Irielle Fenton heran. Das war für sie nicht zu sehen, nur zu spüren, und dieser Jemand blieb neben dem offenen Sarg stehen und bückte sich.

Er fasste sie an.

Seine Finger waren nicht kalt und nicht warm. Sie waren leblos. Sie wirkten taub, aber sie verstärkten den Druck, als sie über ihren Körper wanderten.

Es war ein Test, den Irielle über sich ergehen lassen musste. Sie wollte sich auch nicht dagegen wehren. Was auch immer passierte und was man alles mit ihr anstellte, es war alles besser, als lebendig begraben zu werden.

Nur so konnte sie es sehen, und es machte ihr auch nichts aus, dass die Finger an ihrem Körper hochwanderten und sich dabei dem Gesicht näherten.

Sie spürte sie am Hals.

Für einen Moment wartete sie darauf, gewürgt zu werden, aber das geschah nicht. Die Hände lösten sich und wanderten weiter, denn das nächste Ziel waren die Wangen der Frau.

Sie hatte sich ganz dieser fremden Person überlassen müssen, wobei sie nicht einmal wusste, wie die aussah – ob sie von einer Frau oder einem Mann abgetastet wurde. Den kräftigen Fingern nach zu urteilen, musste es ein Mann sein.

Noch etwas war ihr aufgefallen. Ein Geruch, der eigentlich nicht zu einem Menschen passte, auch nicht zu einer Schreinerei. Es roch so faul, so modrig. Es stank nach Verwesung oder viele Jahre altem Humus.

Sie wusste es nicht genau, aber es war auch für eine Scheintote befremdend, und sie fragte sich, wer ihr da wohl einen Besuch abgestattet hatte.

Den Druck der Finger an ihren Wangen hatte sie vergessen, weil sie zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war. Sie wurde wieder daran erinnert, als sich die Finger erneut in Bewegung setzten und dabei weiter über ihr Gesicht hinwegwanderten.

Sie suchten ein neues Ziel.

Jeden Druck bekam die Scheintote mit. Sie stand unter Strom, jedenfalls fühlte sie sich so. Erst dicht neben ihren Augen kamen die Finger zur Ruhe.

Das Ziel?

Irielle Fenton wartete zitternd ab. Die Angst war wieder da. Sie befürchtete, dass sich die Finger in ihre Augen hineinschoben.

Alles war möglich ...

Beide Augen wurden berührt. Noch lagen die Fingerkuppen starr auf den Augendeckeln. Der Druck fehlte, und er verstärkte sich auch nicht, denn etwas anderes geschah.

Von allein schaffte es die Scheintote nicht, die Augen wieder zu öffnen. Der Unbekannte half ihr. Sie sollte sehen und erkennen können. So bekam Irielle Fenton deutlich mit, wie ihre Augendeckel zurückgeschoben wurden.

Endlich freie Sicht!

Plötzlich reagierte sie fast wie ein gesunder Mensch. Sie hätte innerlich vor Glück aufschreien können, denn die Sicht war ihr auch als Scheintote nicht genommen worden. Sie konnte zur Decke schauen, die auf sie wie ein mit grauem Wasser gefüllter Teich wirkte.

Es gab kein Licht, aber es war trotzdem nicht stockfinster, denn in diesem Anbau der Schreinerei gab es auch Fenster. Zwar war die Nacht längst hereingebrochen, aber die Dunkelheit wurde aufgehellt durch das kalte Licht eines runden Mondes.

Totenglanz ...

Holz stapelte sich an den Wänden. Die Arbeiter hatten die fertigen Särge hochkant gestellt. Staub tanzte im Mondlicht. Das Metall der Maschinen und Särge gab einen etwas unheimlichen Glanz ab.

Aber wo steckte ihr Befreier?

Er war zur Seite getreten, damit sie ihn nicht sofort sah. Nur der Geruch war noch vorhanden. Er war nicht weniger geworden, er hatte sich auch nicht verstärkt, es war geblieben und schwebte jetzt über dem offenen Unterteil des Sarges.

Die Scheintote wartete auf Schritte und Geräusche, die sich dem Sarg näherten. Etwas musste geschehen. Der andere war nicht nur gekommen, um den Deckel anzuheben.

Seine Schritte wurden von einem Schlurfen untermalt, als er über den Boden ging, auf dem sich die zahlreichen Späne verteilt hatten. Irielle Fenton sah keinen Schatten. Nur auf die Geräusche hatte sie sich konzentriert, und plötzlich fiel der Schatten ihres Befreiers auf das Unterteil des Sargs.

Es war ein Mann. Aber zugleich eine düstere Gestalt, die ebenfalls dunkel gekleidet war. Die Düsternis reichte hoch bis zum Hals. Genau dort hörte sie auf, denn da zeichnete sich ein bleiches Gesicht ab. Es mochte auch deshalb so bleich wirken, weil seine Umgebung sehr dunkel war, doch das waren nur Gedanken am Rande.

Irielle Fenton konzentrierte sich auf das Gesicht. Sie hatte es nie zuvor gesehen. Eine derartige Gestalt existierte nicht in ihrem Umfeld.

Bleiche, hohle Wangen. Ein hart hervorspringendes Kinn. Eine hohe Stirn, die wegen der zurückgekämmten Haare noch breiter und höher wirkte. Die Augenbrauen wirkten wie mit einem Kohlestift gezeichnet. Die Pupillen waren so schwarz wie Teer. Eine schmale, leicht gebogene Nase, darunter ein breiter Mund mit dünnen Lippen, aber das alles nahm die Scheintote wie nebenbei wahr. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf die Augen, die normal groß waren, ihr aber übergroß vorkamen, sodass sie den Eindruck hatte, in den dunklen Pupillen zu versinken wie in unendlich tiefen Teichen.

Der Fremde schaute sie an. Er starrte nur auf ihr Gesicht, wie jemand, der einen anderen Menschen in Hypnose versetzen oder die Tiefen seiner Seele durchforschen will.

Etwas würde passieren, das stand fest. Der Fremde hatte den Sarg mit Absicht geöffnet. Aus einem bestimmten Grund.

Noch schaute er nur, und sein Blick blieb an ihrem Gesicht kleben, als er sie bewegte und ihr die Arme entgegenstreckte. Jetzt sah sie zum ersten Mal die Finger, die sie schon berührt hatten. Sie waren bleich, und es gab keinen Unterschied zur Farbe des Gesichts. Die Hände umklammerten beide Schulterseiten, aber sie hoben die Scheintote noch nicht an.

Warten ... genießen ...

Ja, Irielle Fenton glaubte fest daran, dass dieser unheimlicher Besucher diese Zeit mit ihr genoss.

Dann hörte sie sein Knurren. Es klang zufrieden. Auch das folgende Nicken wies darauf hin. Noch blieb er ruhig, aber in den folgenden Sekunden passierte bei ihm eine Veränderung.

Auf der Stirn zeichnete sich etwas ab. Es drang von innen her, vielleicht aus der Tiefe des Kopfes nach vorn, und es hatte einen rötlichen Schimmer bekommen.

Rot wie verwaschenes Blut ...