John Sinclair Sonder-Edition 20 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 20 E-Book

Jason Dark

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Straße sah aus wie viele andere. Vielleicht ein wenig enger und düsterer. Menschen wohnten in den kleinen Häusern und ahnten nichts von dem schrecklichen Geheimnis.

Wer als Fremder die Straße betrat, erlebte das Grauen, und er kehrte niemals wieder zurück.

Die Straße wurde ein Fall für mich. Als ich sie betrat, gab es auch für mich kein Zurück mehr. Meine eigene gefahrvolle Vergangenheit wurde zu einer schrecklichen Gegenwart.

Längst vernichtete Dämonen standen wieder auf und stellten sich erneut zum Kampf ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 188

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

In dieser Straße wohnt die Angst

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Jnipco; stockfotoart

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2692-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.

Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.

Lesen Sie in diesem Band:

In dieser Straße wohnt die Angst

von Jason Dark

»Kreislauf?«, fragte die ruhige Männerstimme.

»Instabil, Doc!«

»Spritzen Sie, Anne!«

»Sofort, Sir.«

Schritte klangen auf dem gefliesten Boden des Operationssaals. Die Mannschaft war ein eingespieltes Team. Der Oberarzt sah sich die beiden Männer an, die bleich auf den Tragen lagen. Gab es noch eine Chance?

»Das Herz wird schwächer, Doktor. Es schlägt zwar noch, aber sehr, sehr unruhig.«

»Verdammt, auch das noch.« Plötzlich verlor der Arzt etwas von seiner Ruhe.

»Was können wir tun?«, fragte eine zweite Männerstimme. Sie klang noch jung.

»Beginnen Sie mit der Massage.«

»Das wird nichts mehr nützen.«

»Versuchen Sie es trotzdem!«, schrie der Arzt. »Ich habe hier das Sagen, merken Sie sich das!«

»Okay.«

Stille legte sich über den Raum, unter dessen Decke sich große Scheinwerfer befanden. Das Personal trug Schutztücher vor den Gesichtern, die Augen darüber wirkten seltsam gespenstisch.

Der Oberarzt wurde immer nervöser. Er spürte den Schweiß auf seiner Haut und hätte sich am liebsten die Kleidung vom Körper gerissen. Niemand sprach, nur das Summen der Maschinen war zu hören, und die Stimme des zweiten Arztes.

»Herzstillstand!«

Dann die weibliche Stimme. »Exitus!«

»Machen Sie weiter!«, schrie der Oberarzt. »Sie müssen. Die Männer hatten doch keine Ver …«

»Doc!« Plötzlich klang die Stimme der Frau schrill. »Doc, sehen Sie doch, der Patient, er löst sich auf.«

»Was?«, schrie der Arzt und rannte dann zu seiner Kollegin.

Die hatte sich nicht getäuscht. Der Patient löste sich unter ihren Fingern auf, und das Gleiche geschah mit dem zweiten. Auch er verschwand.

»Ich drehe noch durch«, flüsterte der Oberarzt. »Ich werde noch verrückt, ehrlich …«

Seine Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen, denn die beiden Tragen waren plötzlich leer. Von den Patienten sahen sie keine Spur. Die hatten sich tatsächlich in Luft aufgelöst.

Sekundenlang sprach niemand ein Wort. Und die Sekunden reihten sich zu einer Minute, in dem das Ärzteteam fassungslos im OP saß und dorthin starrte, wo die beiden Männer gelegen hatten.

»Was sagen wir?«, unterbrach die Frau das Schweigen.

»Erst einmal nichts«, erwiderte der verantwortliche Oberarzt. »Kein Wort darf aus diesem Raum dringen, verstanden?« Der Reihe nach sah er seinen Mitarbeitern in die Augen.

Er las darin ein stummes Einverständnis. Nur einer hatte noch eine Frage.

»Wie hießen die beiden Männer eigentlich, die hier so plötzlich eingeliefert wurden?«

Der Oberarzt hob den Kopf. »Bill Conolly und John Sinclair.«

***

Dabei hatte alles so harmlos begonnen!

Wie so oft im Leben dachte ich an nichts Böses, als ich an diesem Morgen in mein Büro fahren wollte. Ich war bereits an der Wohnungstür, als das Telefon läutete.

Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln drehte ich mich um, ging noch einmal zurück und griff nach dem Hörer. Es war mein Freund Bill Conolly, der mich zu dieser frühen Stunde anrief.

»Gut, dass ich dich noch erreiche, John. Du musst sofort herkommen!«

»Ist was mit Sheila oder Johnny?«

»Nein, nein, aber wir müssen wegfahren. Sir James hat bereits seine Einwilligung gegeben.«

»Worum geht es denn?«

»Um ein Skelett.«

Im ersten Augenblick wusste ich nichts zu erwidern. Dann fragte ich: »Hat man es bei dir gefunden?«

»Quatsch, aber mich hat ein Kollege aus Canterbury angerufen. Er hat ein paar Tage Ferien an der Küste gemacht und das Skelett gefunden.«

»Wieso ist das ein Fall für mich?«

»Das kann ich dir auch nicht sagen. Jedenfalls klang der Kollege sehr aufgeregt. Da scheint irgendetwas mit dem Ding nicht so recht zu stimmen.«

»Wenn du meinst.«

»Ich erwarte dich.« Bill hängte den Hörer auf. Seine Stimme hatte nicht lustig geklungen, anscheinend war es eine ernstere Sache. Vielleicht wusste Bill auch mehr, als er am Telefon zugeben wollte. Wie dem auch sei, ich würde fahren.

Da Sir James seine Einwilligung bereits gegeben hatte, würde auch Glenda Bescheid wissen. Sie konnte dann Suko informieren, wenn er im Büro eintraf.

Mit dem Lift rauschte ich nach unten in die Parkgarage, wo mein Bentley stand. Morgens und zu einer bestimmten Zeit am Abend herrscht hier Betrieb. Die große, unterirdische Halle war vom Dröhnen zahlreicher Motoren erfüllt, und ich steigerte den Lärm noch, als ich in meinen Wagen stieg und startete.

Gemächlich rollte ich die Auffahrt hoch und verließ die Garage. Es war eine Qual, sich durch den morgendlichen Verkehr zu wühlen. Da konnte ich Suko schon verstehen, dass er lieber mit seiner Harley fuhr, als sich auf ein Auto zu verlassen. Ich war leider gezwungen, mich hinter das Steuer zu setzen.

Staus und Ampelstopps zwangen mich, anzuhalten. Immer wenn ich stand, warf ich einen Blick in die Zeitung. Die Meldungen kannte man auswendig, der traurige Falklandkrieg war beendet. England atmete auf und schrie seine Freude hinaus, weil Lady Di einen Thronfolger geboren hatte. Jetzt war auch der Name bekannt geworden. William sollte der Kleine heißen. Da würden die Klatschzeitungen für Wochen wieder etwas zu schreiben haben.

Mich interessierte das alles nicht, ich hatte andere Sorgen, das Skelett, zum Beispiel, von dem mein Freund Bill Conolly gesprochen hatte. Irgendetwas musste damit sein, ich wusste es selbst nicht, aber wenn Bill so ernst sprach, da hatte er noch einen Trumpf in der Hinterhand.

Stop and Go! So ging es weiter. Und das quer durch London. Erst jenseits der Themse wurde es etwas besser. Da verschwand auch ein Teil des Benzingestanks, ich konnte ein Fenster öffnen und die etwas frischere Luft hereinlassen, die vom Fluss her wehte.

Irgendwann erreichte ich mein Ziel. Das Tor zum Grundstück der Conollys stand offen. Ihr Haus selbst lag auf einem flachen Hügel, es war ein Bungalow.

Ich lenkte den Bentley bis dicht an das Haus und stellte ihn vor der großen Garage auf einem kleinen Parkplatz für Gäste ab. Als ich ausstieg, stand der Reporter schon an der Tür und winkte. Die andere Hand hatte er auf den Kopf seines kleinen Sohnes Johnny gelegt.

»Onkel John, Onkel John!«, rief der Kleine. »Bleibst du jetzt länger bei uns?«

Er lief mir entgegen, ich bückte mich und fing ihn auf. »Nein, mein Liebling. Dein Daddy und ich müssen wegfahren.«

»Immer fahrt ihr los.«

»Das ist leider so, aber wir müssen auch arbeiten.«

»Und Mummy?«

»Die bleibt hier.«

»Nadine auch?«

»Natürlich, die auch.«

Ich hatte die Antwort kaum formuliert, als Nadine kam. Sie war eine Wölfin, aber in dem braunroten Körper lebte der Geist der Schauspielerin Nadine Berger. Sie hatte nach vielen Irrläufen den Weg zu uns gefunden und bei den Conollys eine zweite Heimat bekommen. Immer wenn ich sie sah, gab es mir einen Stich, denn irgendwie fühlte ich mich schuldig an ihrem Schicksal.

Die Wölfin sah mich aus Augen an, wie sie auch Nadine Berger gehabt hatte. Sie rieb ihren Kopf an meinem Bein, sodass ich in die Hocke ging und sie streichelte. Fünf Finger vergrub ich in ihrem herrlichen Fell, und die Wölfin stieß Laute aus, die sich wie bei einer zufriedenen Katze anhörten.

Bill Conolly wollte zwar nicht drängen, aber ich sah ihm an, dass er es eilig hatte, und stand deshalb auf. »Okay, Partner, keine Panik, wir sind schon unterwegs.«

»Möchtest du frühstücken?«, hörte ich Sheilas Stimme aus dem Haus. »Ich habe noch Kaffee da.«

Bill setzte zum Sprechen an. »John, ich …«

»Dein Mann hat etwas dagegen!«, rief ich zurück.

»Der soll sich unterstehen.«

Mit Nadine zusammen betrat ich das Haus. Sheila hatte bereits für mich gedeckt. Sie lächelte, als sie mich sah. Ich begrüßte sie mit einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange und nahm am Tisch Platz.

Der Reporter setzte sich mir gegenüber, während seine blondhaarige Frau das benutzte Geschirr in die Spülmaschine stellte. Zwei knusprige Brötchen und eine Toastscheibe hatte man mir gelassen. Das reichte. Wurst, Käse und Marmelade waren ebenfalls vorhanden, sodass mein Appetit noch größer wurde.

»Ich kann dir auch noch etwas nachbringen«, sagte Sheila.

»Um Himmels willen, dann springt dein Mann aus dem Fenster.«

Sheila warf Bill einen vorwurfsvollen Blick zu. »Lass John doch essen«, sagte sie.

»Mach ich ja.«

»Aber wie.«

»Streitet euch nicht, sagt mir lieber, wie es kommt, dass ich heute die Ehre habe, bei euch essen zu dürfen.«

»Es geht um das Skelett.«

Ich biss in ein Brötchen und nickte mit vollem Mund. »Das sagtest du bereits am Telefon, aber was ist so Besonderes an dem Knochenmann, dass sogar Sir James sein Einverständnis gegeben hat?«

»Es ist kein normales Skelett.«

»Sondern?«

»Ein violettes.«

Ich schluckte erst mal meinen Mund leer. Das war in der Tat eine nicht gelinde Überraschung. »Ein violettes Skelett? Und wo wurde es gefunden?«

»An einem Bach.«

»Von deinem Freund?«

»Ja. Allerdings ist er nur ein Bekannter. Er machte Urlaub in Minster. Als er den Knochenmann fand, da erinnerte er sich an mich, weil ich mich doch schon immer für solche Dinge interessiert habe. Das ist die ganze Geschichte. Jetzt sollen wir hinfahren und uns die Sache mal ansehen. Mehr nicht.«

Ich nickte und trank Kaffee. »Einen Verdacht hast du nicht zufällig?«

»Nein, wieso?«

»Hätte ja sein können, dass du dir einmal Gedanken gemacht …«

Bill winkte ab. »Das ist Zeitverschwendung. Ich bin dafür, dass wir hinfahren und uns den Knöchernen ansehen. Alles andere wird sich ergeben. Ich hoffe, du hast deine Waffen mit.«

»Ja, bis auf das Schwert.«

Bill verzog das Gesicht, als hätte er Essig getrunken. Er wusste genau, worauf ich anspielte. Desteros Schwert existierte nicht mehr. Die Klinge hatte sich aufgelöst, weil mein Bumerang sie zerstörte. Dadurch war Bill Conolly jedoch das Leben gerettet worden, denn ein gefährlicher Dämon, der Affenteufel, war nahe daran gewesen, Bill Conolly zu töten.

»Trägst du mir das noch immer nach?«

»Nein, aber damit kann man dich so herrlich ärgern.« Ich grinste und verteilte Butter auf die letzte Toastscheibe. »Sheila, das schmeckt fantastisch. Wenn ich da an mein mageres Junggesellenfrühstück denke, dann kann ich nur sagen, ein Unterschied wie Himmel und Hölle.«

»Heirate, und du …«

»Bill, wir gehen.« Mich unter die Haube zu kriegen, gehörte zu Sheilas Lieblingsbeschäftigungen, aber dagegen hatte ich etwas. Trotzdem gab Bills Frau nicht auf.

***

Zehn Minuten später konnten wir starten. Wir mussten in Richtung Canterbury fahren. Unser eigentliches Ziel lag auf einer Halbinsel. Sie nannte sich Isle of Sheppey, und dort befand sich auch der kleine Ort namens Minster, von dem ich bisher noch nichts gehört hatte.

Natürlich rechneten wir mit starkem Verkehr und wurden auch in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. Erst in der Nähe von Rochester ging es besser, dort konnten wir auf die Autobahn, die M2. Ab jetzt ging es besser.

Zum Glück brauchten wir nicht bis Canterbury durchzufahren, sondern konnten vorher abbiegen. So kamen wir auf das flache Land, nahezu in eine kleine Idylle.

Sogar das Autofahren machte hier Spaß. Der Himmel zeigte sich teils heiter, teils bedeckt, und die Temperaturen waren ebenfalls recht angenehm. Nicht zu heiß und nicht zu kalt.

Die Nähe des Meeres gab der Luft einen zusätzlichen frischen Touch. Die Halbinsel Sheppey hatte einige Buchten, die wie lange dünne Finger in die Landmasse hineinschnitten. Manchmal wand sich die Straße um die Buchten herum. Ich musste viel kurbeln, aber der Bentley schaffte auch die Kurven mit Bravour.

»Wo finden wir deinen Freund eigentlich?«, fragte ich Bill, als wir ein Hinweisschild mit der Aufschrift Minster entdeckten.

»In einem Gasthaus.«

»Du kennst den Namen?«

»Klar. Seahill.«

»Dann mal los.« Zehn Minuten später hatten wir den Ort erreicht. Ein an sich typisches Fischerdorf, wenn es auch nicht direkt am Meer lag, aber die ganze Atmosphäre erinnerte mich an die kleinen Orte, deren Bewohner von den Früchten des Meeres lebten.

Das Gasthaus hatten wir schnell gefunden. Es lag am Ortsende, ein wenig erhöht, und wer draußen saß, konnte das Meer sehen, dessen Wellen im ewigen Rhythmus gegen den Strand rollten und zu schaumigen Streifen gebrochen wurden.

Das Gasthaus hatte einen kleinen Parkplatz, auf den ich den Silbergrauen lenkte.

Als ich anhielt, sagte Bill: »Da sitzt er ja.«

»Wer? Dein Freund?«

»Ja.«

Man hatte auch vor dem Haus Tische aufgestellt. Sie leuchteten ebenso weiß wie die Stühle. Ein Tisch war nur besetzt. Dort saß ein dunkelhaariger Mann und las Zeitung, wurde allerdings aufmerksam, als der Bentley auf den Parkplatz rollte.

Der Mann faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Bill winkte ihm zu. Er war schneller bei ihm als ich, dann wurden wir miteinander bekannt gemacht.

Der Reporter hieß Roger Wilkins. Er war älter als wir, auch kleiner und hatte leicht Speck angesetzt. Das Haar war so gekämmt worden, dass es die kahlen Stellen verdeckte. Aus der oberen Tasche seiner Freizeitjacke ragte der dunkle Stiel einer Pfeife.

»Sie haben schnell reagiert, Bill. Alle Achtung.«

»Skelette interessieren uns eben.«

Wilkins nickte. Dann wandte er sich mir zu. »Und Sie sind also John Sinclair?«

»In Lebensgröße.«

»Man hört so einiges von Ihnen.«

Ich winkte ab. »Das meiste ist gelogen.«

Wilkins lachte. »Polizisten haben immer so eine nette Art, mal richtig tiefzustapeln.« Er zog die Nase hoch. »Aber was stehen wir hier lange herum? Wir wollen uns ja das Skelett ansehen.« Wilkins streckte den rechten Arm aus. »Wir müssen dorthin. Da gelangen wir an den Bach, wo ich es gefunden habe.«

»Ist es angeschwemmt worden?«, wollte ich wissen, während wir uns in Bewegung setzten und Wilkins in die Mitte nahmen.

»Das ist schwer zu sagen. Ich habe es gefunden, weil ich Ausschau nach Fischen gehalten habe. Hin und wieder werfe ich die Angel aus. Irgendwie beruhigt mich das, wissen Sie.«

»Und Sie haben keine Angst, dass Ihr schönes Skelett gestohlen wurde?«

»Nein.« Er sah mich an. »Wieso?«

»Es gibt noch andere Spaziergänger.«

Da lachte der Reporter. »Die Leute hier haben zu tun. Ich bin der einzige Urlauber, glaube ich.«

»Na denn.«

Wir bogen in einen schmalen Weg ein, der ein wenig bergab führte und zuerst von Büschen gesäumt wurde. Wenig später lösten Bäume das Buschwerk ab, und wir gelangten in einen kleinen Wald.

Die Sonne war hinter den blassen Wolken hervorgekommen. Einige Strahlen durchbrachen auch das Grün der Bäume und zeichneten lange Streifen auf den Boden.

Wilkins ging vor. Bevor wir den Bach sahen, hörten wir ihn bereits. Das Wasser gurgelte und schmatzte. Unter den Bäumen war der Weg feucht.

Es war ein idyllisches Plätzchen, das wir ansteuerten. Das Wasser floss ziemlich schnell, es schäumte über Steine und gurgelte an den beiden schmalen Ufern entlang.

Die Bäume wuchsen sehr nahe an das Ufer heran. Ihr Wurzelwerk hatte sich inner- und außerhalb des Bodens festgekrallt. Manche Wurzeln griffen wie lange, gebogene Arme bis zum Wasser hin und wuchsen auch zwischen den feuchten Ufersteinen.

Vielleicht wäre das Skelett noch weitergetrieben worden, doch das Wurzelwerk hatte es festgekrallt, nachdem es von einem Strudel herumgeschleudert worden war. Mit den Beinen zuerst war es festgeklemmt worden. Das helle Wasser des Waldbachs schäumte über die Knochen, drang in die Augenhöhlen und den offenen Mund.

Es bot einen makabren Anblick, und es schimmerte tatsächlich violett. Das lag nicht am hereinfallenden Licht oder am Schattenspiel der Bäume, das Skelett hatte eine violette Farbe.

»Das ist es also«, sagte Roger Wilkins und blieb stehen.

Auch wir blickten auf den Knöchernen. Dann knieten Bill und ich uns hin. Ohne uns abzusprechen, wusste der eine, was der andere vorhatte. Wir wollten das Skelett befreien. Bill zog an der linken, ich an der rechten Seite. Vorsichtig lösten wir die Knochen aus der Umklammerung des Wurzelwirrwarrs und gingen dabei sehr behutsam zu Werke, denn wir wollten nichts zerstören, sondern eine vollständige Beute haben.

»Hast du es?«, fragte Bill.

»Ja, okay, wir können es aufs Trockene ziehen.«

Am schrägen Uferhang legten wir den Fund nieder.

Unsere Finger glitten über die Knochen. Sie fühlten sich seltsam an. Nicht allein über die Farbe wunderten wir uns, sondern auch über die Beschaffenheit des Knöchernen. Normalerweise sind die Knochen von Skeletten hart, gleichzeitig auch spröde, aber diese hier kamen uns eher weich vor.

Bill hob den Kopf und sah mich fragend an. »Hast du so etwas schon gesehen, John?«

»Nein.«

Wilkins, der neben uns stand, sagte: »Deshalb habe ich Sie auch holen lassen. Mir kam das Skelett ebenfalls sehr seltsam vor. Ich habe es ja auch angefasst.«

»Vielleicht stammt es gar nicht von einem Menschen«, vermutete mein Freund.

»Darauf deutet nichts hin, mein Lieber. Die Form des Körpers entspricht der eines Menschen. Alles ist so angelegt und aufgebaut. Tut mir leid, ich sehe da keine andere Möglichkeit.«

»Und wie kommt die Farbe zustande?«, wollte Wilkins wissen.

»Wenn wir das wüssten, wären wir schlauer«, erwiderte ich und erhob mich aus der gebückten Haltung.

»Hast du einen Vorschlag, John?«, fragte mich Bill.

Ich hob die Schultern. »Eigentlich keinen berauschenden. Ich wäre dafür, dass wir den Knochenmann einpacken und mit nach London nehmen. Dort können wir ihn untersuchen.«

»Das ist nicht schlecht. Okay, dann fass mit an!«

Wir beide bückten uns, während Roger Wilkins sich bereits zum Gehen wandte. Der Rückweg gestaltete sich als wesentlich schwieriger. Wir mussten achtgeben, nicht auf den aus dem Boden wachsenden Wurzeln auszurutschen, konzentrierten uns deshalb nur auf das Skelett und nicht auf Bills Bekannten – bis wir den Schrei hörten. Sofort hielten wir inne.

Bill konnte an mir vorbeisehen, während ich mich mit dem Rücken zu Wilkins aufhielt.

»John!«, stöhnte der Reporter und wurde blass. »John, verdammt, das gibt es nicht.«

Jetzt drehte ich mich um. Beide ließen wir das Skelett los, denn was sich unseren Augen bot, war der kalte Horror.

Aus dem Nichts waren zwei Knochenhände erschienen, die die Schneide einer Sense umklammert hielten und die scharfe Seite an der Kehle des Reporters entlangzogen …

***

Wir sahen schon den dünnen roten Streifen und wussten beide, dass wir Wilkins nicht mehr retten konnten. Trotzdem versuchten wir es und starteten. Ich stand dem Mann am nächsten. Während ich lief, riss ich mein Kreuz hervor und streifte mir die Kette über den Kopf.

Ich sah deutlich das verzerrte Gesicht des Mannes, in dem das Entsetzen wie eingefroren stand. Er konnte sich nicht bewegen, und die in der Luft schwebenden Knochenhände hielten die Sense so hart und dicht am Hals des Mannes, dass Wilkins keine Chance bekam, dem Tod zu entgehen.

Drei Schritte brauchte ich noch, dann hatte ich ihn erreicht. So weit sollte es nicht kommen. Bevor ich etwas unternehmen konnte, löste sich Roger Wilkins vor unseren Augen auf!

Urplötzlich wurde seine Gestalt durchscheinend, einige Blutstropfen standen wie eine makabre Erinnerung in der Luft, dann verschwanden auch sie und mit ihm die Sense. Ebenso die beiden Knochenhände, die violett geschimmert hatten.

Ein letzter Sprung, und ich stand am Tatort und griff ins Leere. Dass jedoch etwas Magisches geschehen war, erkannte ich daran, dass sich mein Kreuz erwärmte, und die vier Insignien der Erzengel hell leuchteten, doch nur für einen Moment, dann war alles vorbei.

Bill Conolly rannte die letzten Yards und blieb keuchend neben mir stehen, während er sich furchtsam umsah.

Ich ging einen Kreis, versuchte dabei, mit meinem Kruzifix ein Rest Magie auszuloten, doch da blieb der Wunsch der Vater des Gedankens. Es war nichts vorhanden. Alles präsentierte sich normal. Die Sonne schien herrlich, Vögel zwitscherten in den Bäumen, und nichts wies daraufhin, was für ein grauenhaftes Ereignis hier geschehen war.

Wir sahen uns an. Ratlosigkeit und Furcht waren in unseren Gesichtern zu lesen. Jeder dachte vielleicht das Gleiche, dann schüttelte Bill den Kopf und flüsterte: »Habe ich mich geirrt?«

»Nein, das hast du nicht.«

»Dann ist Wilkins tatsächlich tot?«

»Ob er tot ist, weiß ich nicht. Wir können allerdings davon ausgehen, mein Lieber.«

»Verflucht, John, was ist hier los?«, flüsterte Bill. »Das kann ich einfach nicht begreifen.«

»Frag mich mal. Aber wir werden uns damit abzufinden haben.« Ich blickte den Weg wieder zurück und sah »unser« Skelett am Boden liegen. Mit ihm war nichts geschehen.

»Willst du immer noch nach London?«, fragte mich der Reporter. Ich hob die Schultern. »Wenn du einen besseren Weg weißt, dann sag ihn mir.«

»Keine Ahnung.«

»All right, dann fahren wir.«

»Und das Skelett?«

»Nehmen wir mit.«

Bill nickte und schritt den schmalen Pfad wieder hinunter. Sehr wohl schien ihm bei der Sache auch nicht zu sein, mir erging es nicht anders. Wir waren hier durch Zufall in einen teuflischen Kreislauf geraten, aus dem es wohl kein Entrinnen mehr gab. Wir würden aber allen Ehrgeiz daransetzen, um den rätselhaften und gefährlichen Fall aufzuklären, das schwor ich mir.

Als wir das Skelett aufhoben, war wieder alles normal. Es reagierte auch nicht. In seiner unmittelbaren Umgebung hatte sich ebenfalls nichts verändert, alles war so geblieben.

»Willst du es nicht mal mit dem Kreuz berühren?«, fragte Bill und blieb in der gebückten Haltung stehen.

»Und dann? Wer gibt mir die Garantie, dass es klappt und das Skelett nicht zerfällt?«

»Stimmt auch wieder.«

Ich wusste, was Bill beschäftigte. Sicherlich hatte er Angst davor, dass wir das Rätsel nicht mehr lösen konnten, wenn wir erst in London waren. Aber die Magie würde hier erhalten bleiben, davon war ich fest überzeugt. Zudem hatte ich mir vorgenommen, nach der Untersuchung sofort wieder zurückzufahren.

Wir waren beide froh, den kleinen Pfad hinter uns gelassen zu haben und dass dem Skelett nichts passiert war. Heil konnten wir auch mit ihm den Rest der Strecke zurücklegen.

Zum Glück sah uns niemand, als wir mit unserem Fund über eine Wiese schritten. Allerdings konnten wir nicht bis zum Wagen laufen. Der Bentley stand zu nah am Gasthaus. Der Wirt oder das Bedienungspersonal hätte nur aus dem Fenster zu blicken brauchen, um uns zu sehen. Aus diesem Grund ließ ich Bill in Deckung eines Weidenbuschwerks zurück und ging allein zum Wagen.

Es war gut, dass wir so reagiert hatten, denn vor der Tür stand der kleine Wirt. Er schüttelte Decken aus, sah mich und sprach mich sofort an. »Ihnen gehört der Bentley?«

»Ja.«

»Mister Wilkins sagte schon, dass er noch Besuch bekommen würde. Wo steckt er eigentlich?«

»Er ist unten am Bach.«

Der Wirt lachte und zeigte drei Goldzähne. »Der Angler aus Leidenschaft. Ich gönne ihm, dass er etwas fängt. Er hat sich schon ein paar Tage darauf gefreut.« Er staunte, als ich den Wagen aufschloss. »Wollen Sie schon wieder weg?«