John Sinclair Sonder-Edition 201 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 201 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Es war der Titel, der Shao sofort in seinen Bann zog. TOTENWELT. Die Chinesin kaufte das Computerspiel und probierte es unverzüglich aus. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sie längst zum Spielball in einer dämonischen Intrige geworden war. Erst als sie erkannte, dass sie gar die Hauptfigur in diesem Spiel war, ging ihr ein Licht auf. Zu spät. Shao war bereits tief in die virtuelle Welt hineingezogen worden und musste nun einen nie zuvor geträumten Albtraum durchleben.
Die Legende der Sonnengöttin Amaterasu war zur schrecklichen Wahrheit geworden und sprengte endgültig die Grenzen jeglicher Vorstellungskraft, als Suko und ich gezwungen wurden, Shao in ihrer Totenwelt sterben zu lassen ...


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Seitenzahl: 185

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Shaos T‍o‍t‍e‍n‍w‍e‍l‍t

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Shaos T‍o‍t‍e‍n‍w‍e‍l‍t

von Jason Dark

Es war der Titel, der Shao sofort in seinen Bann zog. TOTENWELT. Die Chinesin kaufte das Computerspiel und probierte es unverzüglich aus. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sie längst zum Spielball in einer dämonischen Intrige geworden war. Erst als sie erkannte, dass sie gar die Hauptfigur in diesem Spiel war, ging ihr ein Licht auf. Zu spät. Shao war bereits tief in die virtuelle Welt hineingezogen worden und musste nun einen nie zuvor geträumten Albtraum durchleben.

Die Legende der Sonnengöttin Amaterasu war zur schrecklichen Wahrheit geworden und sprengte endgültig die Grenzen jeglicher Vorstellungskraft, als Suko und ich gezwungen wurden, Shao in ihrer Totenwelt sterben zu lassen ...

TOTENWELT!

In blutroten Buchstaben war der Titel auf den Karton der CD-ROM gedruckt worden. Wie ein Signal, das von einem Käufer auf keinen Fall übersehen werden sollte.

Das traf auf Shao voll zu.

Vielleicht wäre sie an dem Stand vorbeigelaufen, hätte es da nicht den Verkäufer der Buchhandlung gegeben, der die Masse der Bücher auf seinem Arm nicht mehr hatte halten können. Er hätte besser einen Wagen genommen, um sie zu transportieren, stattdessen wollte er sich beweisen, balancierte den Stapel, der zu hoch war und kippte. Langsam, wie in Zeitlupe, ganz so als wollte er den Träger ärgern und den Kunden ein Schauspiel bieten.

Keiner half. Auch Shao nicht, denn sie befand sich zu weit entfernt. Zwischen ihr und dem jungen Mann stand ein Regal mit CD-ROMs, und die Bücher ›räumten‹ nun in diesem Regal auf. Im Hintergrund klatschte jemand Beifall, und der junge Mann stand totenbleich auf der Stelle. Er schaute zu, welchen Schaden Bücher anrichten konnten. Er wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Ein Videospiel rutschte direkt vor Shaos Füße.

TOTENWELT!

Sie konnte es gar nicht übersehen. Die Schrift zeigte nach oben. Das Spiel lag da als hätte es hätte es auf Shao gewartet. Für die Dauer einiger Sekunden spürte Shao den Schauer. Eine Hitzewelle strömte von den Zehen hoch bis zum Kopf. Shao kam sich schon vor wie eine Frau in den Wechseljahren.

Tief atmete sie ein und stieß die Luft ebenso intensiv wieder aus. Dabei hatte sie die normale Welt um sich herum vergessen. Ihr Blick blieb wie gebannt am Titel der CD-ROM hängen. Sie schüttelte leicht den Kopf. Etwas störte sie. Zugleich strömten einige Dinge auf sie ein, denen sie nicht entgehen konnte.

Gab es da eine Verbindung? Eine Assoziation? Weshalb faszinierte sie dieser Titel so sehr, dass sie alles um sich herum einfach vergaß und sich nur darauf konzentrierte?

»Darf ich, Madam?«

Die zittrige Stimme des Mannes riss sie aus ihren schon tranceartigen Gedanken. Sie schaute hoch und dabei direkt in das Gesicht des jungen Verkäufers, der dabei war, die Dekoration wieder aufzubauen. Sein Gesicht war hochrot angelaufen. Die dünne Leinenjacke schlotterte an seinem hageren Körper, und seine beiden Hosenbeine sahen aus wie zwei leicht gebogene Röhren.

»Nein«, sagte Shao.

Der Verkäufer war vollends irritiert. »Wie meinen Sie, Miss?«

»Sie brauchen sich darum nicht zu kümmern.« Shao hatte sich schon gebückt und hob den Karton auf.

»O danke, dann ...«

Shao ging zurück und brachte ihre Beute aus der Reichweite des Verkäufers. »Es ist auch nicht mehr nötig, es an seinen Platz zu stellen, junger Mann. Ich werde es kaufen.«

»Ach.«

»Ja, kaufen.«

Er lächelte.

»Gut, ja, wirklich. Kaufen Sie es. Es ist sowieso das letzte Spiel. Da haben Sie Glück gehabt. Es wird auch nicht mehr hergestellt und kann nicht nachbestellt werden.«

»Warum denn nicht?«

»So recht weiß ich das auch nicht. Die Firma hat von einer limitierten Auflage gesprochen. Aber das ist ja auch nicht mein Bier.«

Shao nickte. »Da haben Sie recht, und ich habe Glück gehabt.«

»Wenn Sie sich dafür interessieren.«

Shao hatte die Antwort nicht gefallen. Sie runzelte die Stirn und fragte: »Warum haben Sie das so ungewöhnlich betont?«

»Nun ja, ich weiß auch nicht. Aber das Ding ist nicht eben gewaltfrei, wenn Sie verstehen.«

Die Chinesin mit den schulterlangen, dunklen Haaren schüttelte den Kopf. »Nein, ich verstehe nicht.«

»Ich kann Ihnen auch nur sagen, was ich gehört habe, denn ich selbst habe das Spiel noch nicht durchlaufen lassen. Es ist wohl ziemlich echt gemacht, und da geht es rund. Wie der Titel schon sagt, wird der Spieler in eine Totenwelt hineingeraten und mit Gefahren konfrontiert, die in Mord und Totschlag enden. Das wollte ich Ihnen nur gesagt haben, Miss.«

»Danke sehr für die Beratung. Ich werde mir ihre Worte zu Herzen nehmen und das Spiel mit meinem Partner mal durchchecken.«

»Gute Idee.«

»Mr. Summerton, was ist denn hier los?«

Der Verkäufer drehte sich um. Er schaute erschreckt in das strenge Gesicht einer Vorgesetzten, deren ausgestreckte Finger auf die Unordnung deuteten.

»Ein kleines Malheur, Mrs. Tenderly.«

»Sorgen Sie für Ordnung, aber schnell. Danach melden Sie sich bitte bei mir.«

Sie wollte gehen, aber Shao griff ein. Sie hatte am hochroten Kopf des jungen Mannes gesehen, was ihn erwartete, wenn diese Mrs. Tenderly Tacheles mit ihm redete. Ihr tat der Verkäufer leid. Zudem hatte sie immer ein Faible für Schwächere. »Ich möchte Ihnen noch sagen, Mrs. Tenderly, dass mich Ihr Mr. Summerton sehr gut beraten hat. Diesen Service erlebe ich nicht bei all Ihren Mitarbeitern hier. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich komme öfter her.«

»Ach? Meinen Sie?«

»Glauben Sie, dass ich lüge?«

Mrs. Tenderly, eine Frau um die Fünfzig, vertrocknet und dürr, quälte sich ein Lächeln ab. »Jetzt, wo Sie es sagen, erinnere ich mich, Sie schon hier gesehen zu haben.«

»Wunderbar. Wenn ich demnächst wiederkomme, möchte ich gern von Mr. Summerton beraten werden.«

Die Spinatwachtel lächelte säuerlich. »Die Wünsche unserer Kunden sind uns heilig«, erklärte sie dann.

Shao lächelte beiden knapp zu und bewegte sich in Richtung Kasse. Sie sah nicht, dass ihr der junge Verkäufer aus glänzenden Augen nachschaute, als wäre sie eine Person von einem anderen Stern. So etwas schien er noch nicht erlebt zu haben.

An der Kasse musste sie sich anstellen. Hier hielten sich die meisten Kunden auf, denn in diesem Bereich wurden auch Zeitschriften verkauft. Ein Areal für die Laufkundschaft.

Shao hatte Zeit genug, sich das Cover der CD-ROM anzuschauen. Es entsprach dem Titel. Es passte. Es war düster und strahlte etwas Unheimliches aus. Die Totenwelt war gut gezeichnet worden. Ein graubrauner Himmel, durch den sich an gewissen Stellen hellere Streifen zogen, als hätte sich dort Nebel festgefressen.

Die Landschaft darunter war karg und menschenfeindlich. Es gab kein Grün. Weder eine Pflanze noch einen Baum. Dafür aber mächtige Lebewesen, die wohl als Wächter in dieser Welt fungierten.

Riesige Vögel segelten durch die Luft. Für Shao nicht herauszufinden, welcher Gattung sie angehörten. Das konnten Adler oder Geier sein.

Ein Vogel war zu Boden geflattert. Er hockte auf einem Felsen. Vor ihm lag die Beute. Ob Mensch oder Tier war nicht zu erkennen, das hatte der Zeichner der Fantasie des Betrachters überlassen. Zudem war die Beute durch spitze Schnabelhiebe zerfetzt worden. Der Vogel selber hielt den Kopf gesenkt. Mit der Schnabelspitze holte er einen blutigen Klumpen Fleisch aus der Beute.

Ein nicht eben schönes Bild, aber richtungsweisend. So konnte der Käufer bereits bei seiner Betrachtung sehen, was ihn später erwartete. Und es musste viele Käufer gegeben haben.

»Hallo! Möchten Sie die CD-ROM kaufen?«

Shao schaute hoch. Wieder war sie fast weg gewesen, nur beschäftigt mit ihren Gedanken, aus der sie die Stimme der Kassiererin nun hervorgeholt hatte. »Ja, natürlich, entschuldigen Sie.«

»Macht nichts«, erklärte die Frau. »Es muss nur weitergehen.«

Shao zahlte und steckte die Sachen in ihre Leinentasche. Danach wendete sie sich dem Ausgang der Buchhandlung zu. Auch jetzt war sie noch in Gedanken versunken und dachte über den Kauf des Videospiels nach.

Okay, seit einiger Zeit hatte sie sich mit dem Computer beschäftigt. Sie hatte auch einige Kurse mit Erfolg absolviert und gehörte dank eines Internet-Anschlusses zu den Surferinnen. Für Computer-Spiele hatte sie bisher nicht viel übrig gehabt. Zu Beginn ihrer Arbeit hatte sich Shao einige gekauft, es dann aber gelassen, weil für sie persönlich andere Spielarten mit dem Computer doch interessanter waren.

Heute nicht.

Auf dieses Spiel war sie geflogen.

Sie vergegenwärtigte sich noch einmal, was da überhaupt passiert war. Auch jetzt noch glaubte sie daran, dass genau dieses Spiel für sie prädestiniert wäre. Es war ihr vor die Füße gefallen, als wollte es ihr sagen: »Los, kauf mich!«

Jetzt gehörte es ihr. Shao gab zu, dass sie von einer gewissen Nervosität befallen war. Von diesem Spiel ging eine Spannung aus, die sie bei anderen Käufen in dieser Richtung noch nie erlebt hatte. Es kam Shao vor, als wollte das Spiel mit ihr Kontakt aufnehmen.

Darüber musste sie am Abend unbedingt mit ihrem Partner Suko und auch mit John Sinclair reden. Zunächst aber wollte sie so rasch wie möglich nach Hause.

Am Piccadilly tauchte sie in die Unterwelt eines U-Bahn-Schachts ein. Hier war der Teufel los, denn zu dieser Zeit wurde London von den Touristen regelrecht überschwemmt. Auf ihre Bahn brauchte sie nicht länger als eine Minute zu warten. Der stählerne Wurm rollte heran und stoppte zischend. Die Türen schwangen auf, und es drängten sich Menschen aller Nationen auf den Bahnsteig.

Shao wartete ab, bis sie den nötigen Platz bekommen hatte, stieg in den Wagen und fand auch einen Sitzplatz nahe der Tür. Die Leinentasche legte sie auf ihre Knie, ohne sie jedoch loszulassen. Sie wollte sich die Tasche nicht durch einen schnellen Griff einer Diebeshand entwenden lassen.

Der Zug fuhr an.

In diesem Augenblick nahm ihr gegenüber ein älterer Mann Platz, der sie frech angrinste und dabei seine Blicke über Shaos rote Bluse gleiten ließ, die sie zur schwarzen Jeanshose und der dunklen Weste trug.

Die kurze Fahrt wurde zur Tortur, denn der Kerl sprach sie immer wieder an. Bis es Shao leid war und der Anmache durch ein rasches Aufstehen entging und stieg aus.

Eilig nahm sie die Stufen zur Oberwelt. Das Kribbeln hatte sich verstärkt. Der Zeitpunkt des ersten Ausprobierens rückte näher. Sie war froh, dass der Vormittag noch nicht vorbei war. So hatte sie Zeit, bis Suko kam. Dann war sie bestimmt schon so weit, dass sie mit ihm über das Spiel sprechen konnte.

Shao war gespannt.

Zugleich aber stieg noch ein anderes Gefühl in ihr hoch, und das ließ sich nicht verdrängen.

Es war die Furcht!

In ihrer Wohnung angekommen, atmete Shao tief durch. Als erstes ging sie in die Küche, öffnete dort das Fenster, sorgte für frische Luft und goss sich einen Tee auf.

Das Gefühl der Furcht oder starken inneren Unruhe blieb bestehen. Während der Tee zog, stand sie am Fenster, betrachtete den Himmel und verglich ihn mit dem auf dem Karton der CD-ROM.

Nein, die beiden waren nicht gleich. Dennoch kam ihr dieser hier bedrohlich vor, so wie er über London lag. Es war eigentlich ein Himmel, der auf ein kühles Wetter hindeutete. Das allerdings traf an diesem Tag nicht zu, denn es war eher warm und schwül.

Ein Vorzeichen? Ein Omen? War all das, was sie bisher an diesem Tag erlebt hatte, so etwas wie Schicksal?

Sie fing an zu grübeln. Automatisch rutschten ihre Gedanken ab in die Vergangenheit, als sie diese Welt für einige Zeit verlassen hatte, weil sie von Amaterasu, der Sonnengöttin, geholt worden war. Shao war das letzte Glied in der Kette dieser Ahnen. Sie war zu einem Phantom aus dem Jenseits geworden. Zur Frau mit der Maske und der Armbrust, die auch als Rächerin in Erscheinung trat.

Diese Zeit lag hinter ihr, aber sie war nicht vergessen. Zudem wusste Shao nicht, ob sie dieses Intermezzo abhaken konnte. Sie hatte es mal versucht, aber es war ihr nicht möglich gewesen. In ihr waren zu starke Spuren zurückgelassen worden. Außerdem hatte Amaterasu sie vielleicht nicht für immer und ewig aus dem Reich der Dunkelheit entlassen.

Die Dinge hatten sich verändert. Shimada existierte nicht mehr. Er hatte zu den mächtigsten Feinden der Sonnengöttin gehört und auch deren Fächer geraubt. Dem Samurai des Satans war der Kopf abgeschlagen worden, und derjenige, der es getan hatte, lebte ebenfalls nicht mehr. Sein Körper war vor einiger Zeit in der Wohnung nebenan, der von John Sinclair, mit einem Schwert auf den Tisch genagelt worden.

Waren die Dinge abgeschlossen?

Shao konnte es sich nicht vorstellen. Sie waren einfach zu tiefgreifend gewesen. Es hatte Einschnitte gegeben. Nicht nur bei ihr, auch bei ihren Freunden. Aber die und Shao verwalteten gewissermaßen das Erbe des Shimada-Mörders.

Die Krone der Ninja, die heilenden Handschuhe ...

Shao räusperte sich. Die anderen Gedanken hatten sie mit einer großen Wucht überfallen. Sie konnte sich dagegen nicht wehren, doch sie versuchte, darüber nachzudenken. Sie fragte sich auch, warum das gerade heute geschehen war.

Das musste einen Grund gehabt haben. Und dieser Grund konnte mit dem Kauf der CD-ROM zusammenhängen. War es wirklich Zufall gewesen, dass gerade ihr der Karton vor die Füße gerutscht war? Oder hatte das Schicksal sie bewusst ausgesucht?

Für Shao hätte es keinen Sinn gehabt, sich darüber Gedanken zu machen. Denn wenn es so gewesen wäre, was hätte sich denn geändert? Nichts, gar nichts. Sie konnte den Dingen nicht entgehen, die unweigerlich auf sie zukommen würden.

Suko im Büro anrufen? Ihm davon berichten? Wovon denn? Von ihren Gefühlen und Gedanken? Sie hatte keine Beweise. Sie schwamm gewissermaßen im luftleeren Raum. Es waren alles nur Gedanken und schwammige Folgerungen, aber keine Tatsachen. Außerdem wollte sie ihren Partner nicht unnötig in Unruhe versetzen. Es war noch nichts passiert. Was sie hier dachte oder folgerte, entsprach einzig und allein ihrer Vorstellungskraft und entbehrte bisher jeglichen Beweises.

Shao drehte sich vom Fenster weg. Der Tee war jetzt okay. Sie schloss das Fenster und schenkte die hohe, aber hauchdünne Tasse ziemlich voll. So hatte sie lange etwas von ihrem aromatischen Getränk.

Shao ging zurück ins Wohnzimmer. Ihr Gesicht zeigte dabei keine Entspannung. Es wirkte angestrengt, auf der Stirn war eine steile Falte zu sehen. Shao war eine Frau, die über gewisse Dinge nachdachte, dabei aber zu keinem Ergebnis kam.

Im Wohnzimmer stand auch der Computer. Shao hatte die CD-ROM neben den Computer gelegt. Sie schaute sich das Bild an.

TOTENWELT!

Schon der Titel klang reißerisch. Die Unterzeile ebenso. Sie versprach eine mörderische Horror-Reise durch ein Labyrinth des Schreckens.

Shao gehörte zwar nicht zu den Menschen, die Tage und Nächte vor dem Computer verbrachten, aber sie wusste schon, wie man mit diesen Spielen umging. Sie kannte die Kniffe und Tricks, die man brauchte, um Fallen zu umgehen und weiterzukommen.

Nicht nur die Diskette steckte in der Verpackung. Shao holte auch eine Beschreibung hervor und schlug sie auf. Sie wollte wissen, worum es bei diesem Spiel ging und ob es überhaupt so etwas wie eine Geschichte gab.

Die Chinesin beschäftigte sich mit der Kurzfassung. Gefunden werden musste das Grab eines mächtigen Dämons, das irgendwo in dieser Totenwelt versteckt lag. Wenn das Grab nach zahlreichen Hindernissen und Gefahren dann aber endlich gefunden war, würde der Spieler eine große Überraschung erleben. Das war im Prinzip alles.

Man musste Hindernisse überwinden und Kämpfe bestehen. Das alles war Shao klar. Vielleicht hatte sie als Spielerin auch Rätsel zu lösen, und auf sie würden mächtige Feinde lauern, wie schon auf dem Karton zu sehen war.

Riesenvögel, Monster, alles, was sich die menschliche Fantasie ausdenken konnte.

Man würde sehen ...

Shao wog die Diskette in der rechten Hand. Sie hatte den Computer eingeschaltet und lauschte dem leisen Summen, dem einzigen Geräusch in diesem Zimmer.

Sehr oft saß sie an diesem Platz. Kein Grund für sie, nervös zu sein. Sie war es trotzdem. Ihr Herz schlug schneller als gewöhnlich. Der Mund war ziemlich trocken. Nach einem Schluck Tee fühlte sich Shao besser.

Sie schob die Diskette ins Laufwerk. Die Maus lag griffbereit vor ihrer rechten Hand.

Abwarten.

Musik erreichte sie, dumpf und bedrohlich klingend. Noch im Hintergrund, aber sie schwoll an. Mit den lauter werdenden Tönen löste sich auch ein Bild, das herbeischwebte. Die Schrift schälte sich hervor – zitternd und blutrot.

Shao setzte sich bequemer hin und hatte ihren Rücken gegen die Lehne gepresst. Die Hand hatte zwar Kontakt mit der Maus bekommen, aber Shao wollte erst warten, bis die Schrift verschwunden war. Die wurde kleiner, bis sie letztendlich in einer dichten Wolke explodierte, als wäre schon jetzt die gesamte Welt in Fetzen geflogen.

Aber noch stand die Welt. Shao gelang es, zum ersten Mal einen Blick in diese virtuelle Szenerie zu werfen. Und sie war beeindruckt, denn die Welt vor ihr baute sich dreidimensional auf. Da kam etwas rüber von der Düsternis. Den großen, grauen Schatten, die das Verhängnis ankündigten.

Als sie nach der Maus griff und diese bewegte, da wanderte auch die Welt weiter. Sie drehte sich, zeigte neue Perspektiven, und Shao verfolgte den Pfeil auf dem Monitor, der sich selbstständig gemacht hatte. Sie spielte noch nicht mit ihm, sie ließ ihn wandern, lauschte der dumpfen Musik und schaute sich diese fremde Welt an.

Die bestand aus dunklen Farben. Braun und Grau herrschten vor. Eine Welt im Nirgendwo, denn es gab keine Grenzen, keinen Himmel, auch keine Erde. Es wurde dem Spieler nur ein erster Eindruck mit auf den Weg gegeben, damit er sich an diese Welt gewöhnen konnte.

Hin und wieder, wenn der Pfeil über bestimmte Stellen glitt, veränderte er sich.

Dann wurde aus ihm ein Gebilde, das aussah wie eine fliegende Untertasse und in einer hellen Farbe leuchtete.

Es waren noch keine Personen zu sehen. Auch keine Tiere oder irgendwelche Monster. Die Welt blieb düster und unheimlich unter den mächtigen Schatten, die vom Himmel fielen.

Hier war der Spieler gefordert, um das Spiel in Gang zu bringen. Shao konzentrierte sich. Die normale Welt um sie herum war verschwunden. Nur das Spiel war noch wichtig.

Als sich der Pfeil wieder veränderte, drückte sie den Kontakt. Auch die Untertasse verschwand, und ein anderes Bild baute sich auf.

Shao erkannte eine Lücke in der Felswand: eine Schlucht.

Das war schon mal ein Weg, von dem sie hoffte, dass er sie zu dem großen Ziel brachte.

Sie glitt in die Schlucht hinein. Das Spiel war wirklich gut gemacht. Als Zuschauerin überkam sie der Eindruck, mitten in der Schlucht zu sein und sie zu durchschweben. Die Musik hatte an Lautstärke gewonnen. Sie blieb aber auch weiterhin düster und hörte sich nun noch bedrohlicher an.

Shao war fasziniert. Es gab keinen Punkt, an dem sie das Bild hätte verändern können. Der Weg in die Schlucht ging weiter, und er würde sie irgendwann zu einem Ziel bringen.

Das Ende war nun zu sehen. Es zeichneten sich längere Schatten ab, die mit dem Boden verwachsen zu sein schienen.

Ein Gitter! Das Ende der Schlucht!

Aber der Spieler musste weiterkommen, das wusste Shao. Das Gitter ließ sich öffnen, davon war sie überzeugt, und sie konnte auch durch die Stäbe schauen, während der Pfeil an ihnen entlangfuhr und Shao den Punkt der nächsten Veränderung suchte.

Die musikalische Untermalung war leiser geworden, hatte aber so die Spannung bei Shao nur noch erhöht. Kleine Schweißperlen liefen ihr nun über die Stirn.

Hinter dem Gitter lag das erste Geheimnis. Sie glaubte nicht daran, dass sie nur durch eine tote Welt surfte. Ein Spiel wie dieses war mit Personen bestückt.

Mit dem Pfeil suchte sie das Gitter ab. Sie ließ sich Zeit dabei – und klickte, als sie die erneute Verwandlung in die kleine Untertasse wahrnahm.

War es so leicht?

Ja, das Gitter öffnete sich. Shao hörte die ächzenden und knarrenden Geräusche.

Es schwang unwillig zur Seite und sorgte damit für eine Veränderung der Perspektive. Shao sah, was sich hinter dem Tor befand.

Ein alter Friedhof?

Shao ließ die Maus los. Sie wollte diesen Eindruck in sich aufnehmen. Der Boden war dunkel und staubig. Aus ihm hervor ragten kantige Steine, die an Grabsteine erinnerten. Erst jetzt glaubte Shao daran, dass sie die Welt der Toten betreten hatte. Der Friedhof war von hohen Felsen umgeben.

Ihre Finger berührten wieder die Maus.

Die Reise ging weiter.

Shao sorgte dafür, dass sich der Pfeil über die Gräber hinwegbewegte. Sie lauerte jetzt auf den Punkt, an dem die Veränderung stattfand. Dort musste es dann weitergehen.

Aber es war auch Geduld nötig, denn zunächst passierte einfach nichts. Es ließ sich auch der Vogel nicht blicken, den Shao auf dem Titelbild gesehen hatte. Die Musik war nun kaum noch zu hören. Shao hätte sich wirklich darauf konzentrieren müssen, um sie überhaupt noch wahrnehmen zu können.

Das Grab im Hintergrund. Nicht weit von der felsigen Grenze dieses Gebiets entfernt. Der Pfeil verwandelte sich wieder. Shao biss sich auf die Unterlippe.

Sie drückte auf die Maus!

Das Bild verschwand. Nur eines blieb. Das Grab, das sich Shao ausgesucht hatte.

Glockenklang ...

Nicht hell, sondern alt und irgendwie gefährlich. Ein sehr dumpfes Geläut sorgte dafür, dass der Spieler auf etwas Neues vorbereitet wurde.

Shao starrte auf das Grab, den rissigen Untergrund und den verwitterten alten Stein.

Mehr war nicht passiert?

Sie zeigte sich schon ein wenig enttäuscht und wollte weitermachen, als die Musik sich noch mehr zurückzog, um einer anderen Geräuschkulisse Platz zu schaffen.

Schreie ...

Weit, sehr weit entfernt. Shao konnte sich sogar vorstellen, dass die Schreie aus der Erde, möglicherweise sogar aus dem Grab, erklangen.

Sie schluckte, feuchtete ihre Lippen an und räusperte sich die Kehle frei. Die Schreie hatten sie tatsächlich irritiert. Dann fasste sie sich wieder und sagte sich, dass jemand, der so schrie, dies nicht ohne Grund tat. Shao glaubte ihn zu kennen. Diese Person war eine Gefangene und wartete darauf, dass sie von dem Spieler endlich aus dem Gefängnis befreit werden würde.

Das wollte Shao auch tun.

Sie spielte mit der Maus. Schob sie vorsichtig hin und her. Dabei durchstreifte der Pfeil das Grab und dessen unmittelbare Umgebung. Shao brauchte den Zugang.

Die Wandlung fand dort statt, wo Grabstein und Boden zusammentrafen. Genau in diesem rechten Winkel.

Shao lächelte, drückte den Kontakt und wartete gespannt, was sich nun ereignete.

Das Grab zitterte.

Ein Rumoren aus der Tiefe. Sie konnte sich vorstellen, dass die Grabplatte plötzlich vor ihren Augen explodieren und in die Höhe geschleudert werden würde.

Aber nichts dergleichen geschah. Dafür bewegte sich der Grabstein. Er drehte sich nach links, dann kippte er zurück, und zugleich hob sich vor ihm auch ein Stück des Bodens an.

Das Grab war offen.

Ein Loch. Ein rechteckiger Ausschnitt. Sehr düster. Darunter lag die schwarze Tiefe.

Und Shao hörte die Schreie.

»Help! Help! Help ...«