John Sinclair Sonder-Edition 202 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 202 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Ein Zehntel des Verdienstes - so lautete vor Jahrhunderten das ungeschriebene Gesetz.
Aber dieses Gesetz war auch heute noch nicht vergessen, sondern man hatte es auf dämonische Weise pervertiert. Gebt dem Teufel, was des Teufels ist! Daran hielt sich nun ein geheimnisvolles Geistervolk - die Trolle. Bloß bestanden ihre Abgaben weder aus Geld noch aus den Früchten des Feldes. Nein, sie brachten dem Teufel Menschen dar! Babys, um ganz genau zu sein!
In Benson City, Nebraska, war dieses Grauen über die Menschen, über die Mütter und Väter gekommen, und mein alter Freund Abe Douglas hatte mich in seiner Not um Hilfe gebeten. Schnell aber mussten wir begreifen, dass unsere Chancen diesmal gegen null gingen!


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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Höllenstadt

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Höllenstadt

von Jason Dark

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Ein Zehntel des Verdienstes – so lautete vor Jahrhunderten das ungeschriebene Gesetz.

Aber dieses Gesetz war auch heute noch nicht vergessen, sondern man hatte es auf dämonische Weise pervertiert. Gebt dem Teufel, was des Teufels ist! Daran hielt sich nun ein geheimnisvolles Geistervolk – die Trolle. Bloß bestanden ihre Abgaben weder aus Geld noch aus den Früchten des Feldes. Nein, sie brachten dem Teufel Menschen dar! Babys, um ganz genau zu sein!

In Benson City, Nebraska, war dieses Grauen über die Menschen, über die Mütter und Väter gekommen, und mein alter Freund Abe Douglas hatte mich in seiner Not um Hilfe gebeten. Schnell aber mussten wir begreifen, dass unsere Chancen diesmal gegen null gingen!

Das Schreien ihres Säuglings riss Martha Caine aus dem Schlaf!

Das war nicht ungewohnt für die Mutter, auch wenn der kleine Morton erst vor sechs Wochen zur Welt gekommen war. Aber diesmal hatte sich das Schreien anders angehört. Es steckte voller Angst und Panik, und Martha war sofort alarmiert. Obwohl sie sich auch fragte, ob kleine Kinder tatsächlich ihre Angst durch Schreien ausdrücken konnten.

Sie und der Junge waren allein im Haus. Der Vater arbeitete häufig nachts. Er war bei der Bahn beschäftigt und hatte Wechselschicht. So trug Martha die Verantwortung.

Längst hatte sie sich aufgerichtet und saß jetzt auf der Bettkante. Ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck, als hätte sie Essig getrunken. Zugleich wunderte sich die Frau über sich selbst. Normalerweise wäre sie aufgestanden und in den Nebenraum gehetzt, in dem das kleine Bettchen stand. In dieser Nacht aber war alles anders. Eine Riesenhand stoppte sie!

Morton schrie weiter, jetzt jedoch anders.

Nicht mehr so laut und schrill. Er jammerte mehr, als wollte er seine Gefühle durch diese bestimmten Laute zum Ausdruck bringen. Ein wehleidiges Jammern, tief in seinem Innern geboren, Seelenqualen ausdrückend, fast ohne Pause, als liefe ein Uhrwerk ab, das jemand aufgezogen hatte.

Martha fühlte sich ähnlich. Sie hätte gern losgeschrien. Stattdessen hockte sie auf dem Fleck und krallte ihre Hände in den Stoff des dünnen Nachthemds.

Ich bin die Mutter! Ich muss für mein Kind sorgen! Ich muss es vor Gefahren beschützen. Es ist ein Teil von mir. Aus meinen Leib entsprungen. Ich bin verpflichtet, ihm zu helfen.

Sie tat es nicht. Und sie wunderte sich darüber, weshalb sie es nicht tat, und stand dicht vor einer Zerreißprobe. Angespannte Nerven. Die Angst als Begleiter neben ihr. Der kalte Schweiß auf dem Gesicht und dem Körper. Das Wimmern des Kindes. Eine schreckliche Melodie, die wie eine Säge in ihr Herz schnitt.

Dann war es vorbei.

Nichts mehr.

Kein Auslaufen, kein Aufbäumen, einfach nichts. Ins Leere gelaufen. Vergangen, verklungen. Stattdessen umfing sie wieder die Stille der Nacht.

Diese Stille!, schoss es ihr durch den Kopf. Diese verfluchte Stille! Sie war noch schlimmer als das Schreien ihres Kindes. Sie drückte, sie belastete. Sie war die berühmte Ruhe vor dem Sturm, und sie brachte den kalten Schauer mit, der über Marthas Rücken rieselte. Eingeschlafen – endlich. Morton war endlich eingeschlafen. Sehr gut. Es muss ein Traum gewesen sein, den er durchlitten hatte. Kurz, aber heftig. Er hatte sich gefürchtet und war aufgewacht, doch das war jetzt vorbei.

Glücklicherweise.

Martha Caine lächelte. Sie atmete tief durch. Warum sollte es Kindern anders ergehen als Erwachsenen? Auch sie träumten, auch sie hatten Gefühle, und die mussten sich freie Bahn verschaffen. Träume waren ganz natürlich.

Ruhe, alles war okay. War es das wirklich?

Nein, Martha Caine konnte das nicht bestätigen. Die Säge bedrohte noch immer ihr Herz! Und die Furcht steigerte sich ins Unermessliche.

Martha Caine stand auf. Sie hatte kaum eine halbe Minute auf der Bettkante gesessen, doch ihr war es wie eine Stunde vorgekommen. Sie war total verschwitzt.

Es waren nur drei Schritte bis zur Tür. Das Zimmer des Kleinen lag direkt neben dem Schlafzimmer der Eltern.

Martha hatte die Tür bereits erreicht und wollte den Knauf umfassen, als sie stoppte. Gestoppt wurde. Eine gewaltige Zange packte sie von zwei Seiten!

Es war Wahnsinn, es musste eine Täuschung sein, das wollte sich Martha auch einreden – doch sie schaffte es nicht. Das war keine Täuschung, kein Irrtum – die Geräusche existierten tatsächlich. Geräusche – keine menschlichen Laute! Was da aus dem Zimmer ihres Sohnes drang, war einfach furchtbar. Kein Babyschreien, nein, etwas anderes, das Martha an eine bestimmte Szenerie erinnerte.

Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Innere eines Schweinestalles, in dem sich nur ein Tier befand. Ein gemästetes Schwein. Es bewegte sich unförmig durch den eigenen Dreck, schleifte beinahe mit dem Bauch über den Boden und grunzte laut.

Und genau dieses Geräusch vernahm die Frau aus dem Kinderzimmer!

Ihre rechte Hand berührte noch immer den Knauf. Aber sie drehte ihn nicht. Haut und Metall waren wie ineinander verklebt. Solch widerlichen Laute konnte doch kein Kind abgegeben haben. Laute, die bei ihr Angst und Ekel erzeugten.

Das Grunzen blieb. Es klang abgehackt. Zwischendurch schien der andere immer erst noch Luft holen zu wollen. Ein ekliges Tier, riesig und verfressen.

Nein, das ist nicht mein Kind. Das kann es nicht sein. Bestimmt nicht. Die Geräusche sind nicht echt.

Aber das Weinen vorhin war echt gewesen!

Martha Caine war durcheinander. Sie kam jetzt überhaupt nicht mehr mit den Dingen zurecht. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten. Das war nun nicht mehr nötig, denn plötzlich war das Grunzen verstummt.

Aus, vorbei. Stille war eingetreten. Von einer Sekunde zur anderen. Martha freute sich nicht darüber, denn die Belastung blieb. Es war keine Stabilisierung eingetreten, nur eine Pause.

Aber die dauerte nicht lange.

Aus dem Kinderzimmer hörte sie einen harten Knall. Martha wusste sofort, was es gewesen war. Das Fenster, eines dieser alten Schiebefenster, war geöffnet worden und dann fest zugeschoben.

Deshalb der Knall!

Sie hatte das Fenster nicht geöffnet, das wusste sie genau. Es war geschlossen gewesen, das hatte Martha noch vor dem Zubettgehen festgestellt.

Morton war ein Baby. Er konnte nicht aufstehen und das Fenster hochschieben. Das musste jemand anders getan haben. Von außen. Einer, der eingedrungen war.

Ein Dieb. Oder ein Tier?

Sie dachte an das Grunzen und schüttelte sich. Ihr war plötzlich kalt geworden, obwohl ihr der Schweiß ausbrach.

Martha hörte nichts mehr. Sie lauschte an der Tür. Es war und blieb still. Im Zimmer dahinter lastete die Stille so tief wie in einem Grab.

Noch hielt sie den Knauf fest. Sie musste ihn bewegen, um die Tür zu öffnen. Das tat sie auch. Eine kurze Drehung. Alles klappte prima. Sie konnte das Zimmer betreten.

Dunkel war es, aber nicht zu finster. Außerdem kannte sie sich aus. Das kleine Bett stand links von der Tür. Rechts vom Eingang lagen die Regalbretter. Ihr Mann Dick hatte sie in einem Baumarkt gekauft. Er wollte daraus Möbel für seinen Sohn basteln. Ansonsten gab es nur den Wickeltisch und den schmalen Schrank, in dem all das untergebracht war, was das Kind benötigte.

Martha Caine ging noch einen Schritt weiter. Danach blieb sie wieder stehen und lauschte. Sie wollte den kleinen Morton atmen hören, dann wusste sie wenigstens, dass er lebte. Doch sie hörte nichts.

Sie kannte ihren Jungen. Er war gesund. Er atmete stets ruhig. Da war kein Röcheln, kein gefährlich klingendes Husten. Bisher jedenfalls, doch jetzt atmete er nicht mehr.

Martha überlegte. Mit der rechten Hand strich sie über ihr braunes Haar. Es war kurz und fransig geschnitten und lag wie eine Kappe auf ihrem Kopf. Martha war keine Schönheit, eine Durchschnittsfrau mit allen Vor- und Nachteilen, wie Dick immer sagte. Aber er liebte sie trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen.

Wäre er doch bei ihr gewesen, um sie zu trösten! So aber musste sie es allein durchstehen, und sie traute sich noch nicht näher an das Kinderbett heran, sondern starrte auf das Fenster, in dessen Ausschnitt sich die dunkelblaue Farbe der Nacht abzeichnete. Ein beinahe voller Mond stand am Himmel, als würde er die Erde mitsamt ihren zahlreichen Lebewesen beobachten.

Am Fenster bewegte sich nichts. Und doch hörte sie ein Geräusch. Von der linken Seite her. Genau dort lag ihr Sohn in seinem Bett. Er hatte sich bewegt, sich umgedreht und dabei ein Geräusch erzeugt, mit dem Martha ebenfalls nicht so zurechtkam.

Es hatte sich angehört wie ein Schmatzen oder wie ein Schnalzen.

War das normal?

Martha konnte die Frage weder bejahen noch verneinen. Sie war zu sehr durcheinander. Es hätte sein können. Nur hatte sie nichts davon. Um es sehen zu können, musste sie das Licht einschalten und zum Bett gehen.

Genau davor fürchtete sie sich!

Es gab für sie keinen normalen Grund. Allein die Erinnerung an das Vergangene hatte sie bisher davon abgehalten. Auf der einen Seite drängte die Neugier in ihr hoch, auf der anderen fürchtete sich die Frau vor der vollen Wahrheit.

Die Zwickmühle bestand weiterhin. Martha aber brauchte eine Entscheidung. Eine dritte Möglichkeit, sich wieder in das Schlafzimmer zurückzuziehen, kam für sie nicht in Betracht.

Also schauen.

Überaus langsam drehte sie sich nach links. Um den Lichtschalter zu erreichen, musste sie den Arm ausstrecken. Dabei machte sie die Finger lang. Sie zitterten, aber das war ihr in diesem Moment egal. Wichtig allein war das Licht.

Kein grelles Licht, sondern ein weicher Schein. Herbeigezaubert durch die fröhlichen und hellen Farben.

Der Schein verteilte sich, erreichte auch das Bett des Kindes.

Martha war in der Nähe des Schalters stehengeblieben. Sie hielt den Blick gesenkt. Ihre Augen waren halb geschlossen. Die Lider bewegten sich zuckend. Noch traute sie sich nicht, dorthin zu schauen, wo ihr kleiner Sohn lag.

Erst nach einem tiefen Atemzug fand sie den Mut, reckte sich und riss den Mund auf.

Kein Schrei! Nicht mal ein Stöhnen. Überhaupt kein Laut. Eine schreckliche Starre hatte die Frau überkommen. Es war nicht zu erklären. Sie konnte es nicht fassen. Für sie war es einfach nur grauenhaft und unbegreiflich.

Morton lag nicht mehr in seinem Bett!

Er war verschwunden, geraubt worden, von einem Kidnapper ausgetauscht gegen ein widerliches Etwas, einen Wechselbalg ...

Für Martha war es unmöglich, überhaupt etwas zu denken. Die Frau fühlte sich wie einbetoniert. Sie konnte nicht reden, nicht denken, kaum atmen. Sie war eine Gefangene ihres Schicksals, denn was die da zu sehen bekam, war einfach unglaublich.

Für Martha war das, was da in ihrem Bett lag, ein Gegenstand, jedenfalls kein Kind!

Eine Abart. Ein widerliches Etwas. Ein Wechselbalg eben. Sie dachte an die weiche, helle und wunderschön glatte Haut ihres eigenen Sohnes. Das konnte der andere nicht aufweisen. Was da auf dem Kissen lag und sich zuckend bewegte, war etwas völlig anderes. Eine widerliche Kreatur, ein Monster oder ein monströses Etwas.

Martha Caine hatte es noch nicht genau gesehen. Überhaupt wunderte sich die Frau über sich selbst. Dass sie noch in der Lage war, die Nerven zu behalten. Normalerweise hätte sie losschreien oder durchdrehen müssen, aber sie trat stattdessen näher an die Wiege heran. Sie schob dabei ihre Füße über den Boden und lauschte dem schabenden Geräusch.

Neben der Wiege blieb sie stehen. Sehr bedächtig senkte Martha den Kopf. Wie fremdgesteuert. Nichts lag jetzt noch zwischen ihr und dem Kinderbett.

Alles war gut zusehen, und vor allen Dingen dieses schreckliche Etwas. Der widerliche Wechselbalg. Etwas größer als ihr eigener Sohn. Ein brauner, ölig schimmernder und durch Falten und Runzeln gezeichneter Körper, als wäre dieses Ding schon sechzig und mehr Jahre alt. Hinzu kam der Kopf mit den großen Ohren, der flachen Stirn, dem breiten Maul und der ebenfalls platten Nase, aus deren Löchern zwei helle Schleimfäden drangen.

Das Ding lag auf dem Rücken. Die Augen zuckten völlig unkontrolliert.

Der Ekel war in Martha Caine hochgestiegen. Dass Ekel auch bitter schmecken konnte, erlebte sie in diesen schrecklichen Momenten zum ersten Mal in ihrem Leben.

Der Wechselbalg glotzte sie an!

Martha wunderte sich darüber, dass sie dem Blick überhaupt begegnen konnte, trotzdem, der Ekel ließ sich nicht unterdrücken.

Wer war dieses Ding?

In der letzten Zeit war viel über Außerirdische geschrieben und geredet worden. Roswell war wieder in aller Munde. Fast jeder dritte Amerikaner hatte schon ein UFO gesehen, und es gab nicht wenige, die angeblich mit den Aliens Kontakt gehabt hatten.

Menschen wurden von den Fremden entführt, untersucht, wieder zur Erde zurückgeschafft, und waren später die Stars in vielen Talk-Shows, wenn sie ihre Erlebnisse vor einem Millionenpublikum zum Besten gaben.

Auch hier?

Das konnte sein. Alles war möglich. Jemand hatte Morton geraubt, ihn mitgenommen, um ihn zu untersuchen. Es gab die verrücktesten Dinge auf der Welt. So gab es einen Geschäftsmann, der schon Grundstücke auf dem Mond verkaufte.

Martha Caine wunderte sich über ihre Gedanken. Zugleich fühlte sie sich unterlegen, und die Angst vor diesem nackten Wechselbalg mit den krummen, öligen Beinen und den ebenfalls krummen Armen nahm permanent zu.

Er tat ihr nichts. Er streckte ihr nur die kleinen Arme entgegen. So hatte auch Morton reagiert. Doch die Bewegung dieses Wechselbalgs kamen ihr anders vor.

Sie wirkten nicht hilflos wie bei Morton, der gern aus dem Bett geholt werden wollte, sondern so, als wollten sie nach Martha schlagen.

Die Frau wusste nicht, was sie tun sollte. Sie traute sich auch nicht, das Wesen anzufassen und aus dem Bett herauszuholen. Es würde bestimmt nach ihr schnappen wollen, wie es auch jetzt der Fall war. Sein Mund öffnete sich und klappte wieder zu. Wie bei einem Frosch, der nach Fliegen schnappte.

Martha schüttelte den Kopf. Sie stöhnte jetzt. Abgehackt verließen die Laute ihren Mund. Schweiß lag auf ihrer Stirn. Er brannte sogar in die Haut hinein. In den Augen zeichnete sich die Panik ab. Sie stand dort wie eingefroren.

Martha merkte kaum, dass sie mit kleinen Schritten zurückging. Erst als sie dabei gegen die Kante der offenen Tür stieß, wurde es ihr bewusst. In ihrem eigenen Körper lebte sie wie eine Fremde, und fremd war ihr auch die Umgebung geworden. Das Haus hatte sich in einen Eiskeller verwandelt, in dem sie selbst nicht mehr leben konnte.

Martha trat wieder in das Dunkel des Schlafzimmers hinein. Der Mond glotzte durch das Fenster. Sie selbst kam sich vor wie eine mondsüchtige Person, denn die Bewegungen wurden nicht mehr von ihrem Gehirn gesteuert. Alles lief automatisch ab.

Das Licht füllte den Raum aus. Gnadenlos war der große, viereckige Spiegel. Er warf das Bild einer völlig verzweifelten Frau zurück, die an allen Stellen ihres Körpers zitterte und nicht mehr wusste, was sie tun sollte. Während der vergangenen Minuten war Martha Caine um Jahre gealtert. Mit beiden Händen klammerte sie sich am Rand des Waschbeckens fest.

Als hätte man ihr einen Befehl erteilt, so blieb sie stehen und starrte sich selbst an. Ihr Gesicht war nass. Die Haut zuckte. Die dunklen Augen hatten einen trüben Glanz bekommen.

Noch immer glaubte Martha Caine, neben sich zu stehen. Nur langsam erholte sie sich von dem Schock.

Martha war erst jetzt in der Lage, nachzuvollziehen, was eigentlich geschehen war. Sie und ihr Mann waren so stolz auf den Nachwuchs gewesen. Morton war ihr Sonnenschein gewesen – ja, gewesen, denn jetzt gab es ihn nicht mehr.

Man hatte ihn entführt. Man hatte ihn seinen Eltern brutal entrissen und gegen einen widerlichen Wechselbalg ausgetauscht.

Diese Erkenntnis war einfach zu viel für Martha. Dabei hatte sie Glück, dass ihre Hände noch den Rand des Waschbeckens umklammert hielten, denn die Beine gaben nach.

Sie kam gegen das Zittern in den Knien nicht an. Gleichzeitig wurde ihr schwarz vor Augen, und sie sank vor dem Waschbecken zusammen. Die Erinnerung an das schreckliche Erlebnis war durch den gnädigen Schleier der Ohnmacht vorerst gelöscht worden ...

Aber sie kehrte zurück, als Martha wieder erwachte!

Dass ihr kalt war, nahm sie kaum zur Kenntnis. Ihr Kopf war voller furchtbarer Erinnerungen an das Geschehen. Daran hatte auch die kurze Ohnmacht nichts ändern können. Martha Caine wusste genau, dass sie nicht lange in diesem Zustand verbracht hatte, und sie hatte sich auch nichts getan und körperlich keinen Schaden erlitten, als sie zusammengesackt war.

Sie lag vor dem Waschbecken auf dem Boden und atmete schwer. Das Muster der Kacheln verschwamm vor ihren Augen. Die Zunge lag pelzig im Mund; Durst quälte sie.

Es war still um sie herum. Nur in ihrem Kopf summte oder brummte es. Die Erinnerungen verschwammen. Irgendetwas in Marthas Unterbewusstsein wehrte sich dagegen. Was sie durchlitten hatte, war einfach zu grausam und unwahrscheinlich, als dass es bald schon verarbeitet sein würde.

Die Kälte nahm zu, und Martha fühlte sich unwohler. Sie konnte nicht liegenbleiben. Aufraffen, sich erholen, stehen, vielleicht auch nachdenken, obwohl es ihr schwerfallen würde.

Mit einer unendlich müde erscheinenden Bewegung hob sie den rechten Arm an. Der Rand des Waschbeckens lag glücklicherweise nicht zu hoch. So konnte sie ihn umfassen und sich daran festhalten. Als sie sich daran hochzog, kam sie sich vor wie eine alte Frau. Sie keuchte, und ihre Augen waren längst feucht geworden.

Geschafft! Martha blieb vor dem Waschbecken stehen und wurde mit ihrem Spiegelbild konfrontiert. Erschreckt zuckte sie zusammen. War das noch die achtundzwanzigjährige Frau, die ihr da entgegenschaute? Sie sah alt aus, sehr alt. Das Gesicht eingefallen, die Haut grau, und das lag sicherlich nicht am Licht. Ränder unter den geröteten Augen. Spuren von Tränen an ihren Wangen, blasse, zittrige Lippen, die Haut dünn wie Papier.

Martha schüttelte den Kopf. Ihr wurde übel. Sie atmete durch den offenen Mund, bekam sich wieder unter Kontrolle und spürte, dass sie etwas tun musste. Ein flüchtiger Gedanke galt ihrem Mann Dick, der im Moment irgendwo mit einem Güterzug unterwegs und nicht zu erreichen war. Er würde erst in einigen Stunden eintreffen.

Sie drehte sich um. Dabei ging ihr Blick zum Fenster. Es war noch immer dunkel draußen. Ein Vorbote der Morgendämmerung schimmerte hinter der Scheibe. Am Himmel sah sie den kalten Mond stehen wie eine vergessene Laterne.

Der Blick nach draußen hatte ihre Erinnerung angeregt. Plötzlich sah sie wieder das vor Augen, was ihr den tiefsten Schrecken ihres bisherigen Lebens eingejagt hatte.

Der Wechselbalg im Kinderbett!

Wie ein Faustschlag erwischte sie dieser Gedanke. Er war böse und brutal. Sie kam nicht damit zurecht. Es widersprach jeglicher Logik. Es war einfach nur furchtbar und noch schlimmer, weil ihr eigenes Kind verschwunden war.

Geraubt – weg! Von wem auch immer. Jemand hatte es geholt und gegen einen Wechselbalg eingetauscht. Martha Caine hätte schreien können. Sie wunderte sich, dass sie es nicht tat. Verzweifelt suchte sie nach Gründen. Dachte nach, wühlte in ihrem Gedächtnis, dachte an Aliens, an Außerirdische, somit auch an einen Kreislauf des Wahnsinns, in den sie hineingeraten war.

Vorbei. Es gab Morton nicht mehr. Er hatte ... er war ... würde ... Furchtbar! Martha ballte die Hände. Glühende Lava strömte durch ihren Körper, und dann brach der Schrei aus ihr hervor. Sie musste es tun, sie musste sich Luft verschaffen und trommelte dabei mit den Fäusten so lange gegen die Wand, bis ihr die Hände wehtaten. Danach sank sie zusammen, schüttelte sich wie ein nasses Tier und weinte. Die furchtbare Vorstellung, ihren kleinen Sohn nicht wiederzusehen, brachte sie um den Verstand. Irgendjemand hatte ihn geholt, und Martha Caine wusste nicht, wer es gewesen war.

»Dick«, flüsterte sie den Namen ihres Mannes vor sich hin. »Verdammt noch mal, Dick, wo bist du? Jetzt, wo ich dich brauche, bist du nicht da, verflucht!« Sie weinte wieder, diesmal waren es Tränen der Wut. Stunden mussten noch überstanden werden, bis Dick zurückkehrte. Eine lange Zeit in einem Haus, vor dem sich Martha fürchtete.

Ja, sie hatte Angst!

Dieses Haus gehörte ihr nicht mehr. Jemand anders hatte es einfach in Besitz genommen. Kein bestimmter, kein erklärbarer Grund, aber es war vorhanden, das wusste sie genau. In ihrem Magen blieb der Druck. Das Bad erinnerte sie immer mehr an eine Zelle. Sie musste raus, weg, aber nicht weglaufen. Sie würde im Haus bleiben. Das wiederum kam ihr jetzt wie eine feindliche Insel vor. Sie fürchtete sich vor dem Bau, auf den sie einst so stolz gewesen war. Jetzt steckte er voller dunkler Geheimnisse und Gefahren.

Mit der linken Hand wischte sie sich Haarsträhnen aus der klebrigen Stirn.

Martha Caine verließ das Bad. Sie ging nicht so sicher wie sonst, sondern stützte sich mit den flachen Händen an der Wand ab. Als wäre sie dabei, sich im Dunkeln durch ein fremdes Gelände zu tasten. Die Frau ging gebückt, sie war innerlich gespannt. So bewegte sich jemand, der einen Angriff erwartete.

Im Flur blieb sie stehen. Hier brannte kein Licht. Dennoch war es nicht stockfinster. Der Schein fiel noch durch die offene Badezimmertür und erreichte auch den schmalen Wandspiegel.

Vor ihr endete der Flur an der Haustür. Dort ging es auch zur Küche. Deren Tür war nicht geschlossen. Der dunkle, offene Spalt reichte vom Boden bis fast unter die Decke. Martha wusste nicht, ob sie die Küchentür offengelassen hatte oder nicht. Gedanken und Erinnerungen waren zu sehr durcheinandergewirbelt worden.

Um sie herum ertönten merkwürdige Geräusche.

Zuerst glaubte sie an Einbildung. Die Laute waren einfach zu fremd gewesen. Sie hörte das Knistern, das Schmatzen und auch leise Schlürfen plötzlich überdeutlich. Das bildete sich Martha nicht ein, und sie wusste auch, woher die Geräusche drangen.

Aus der Küche!

Ihr Herz schlug wahnsinnig stark. Sie spürte die Schmerzen, die beinahe ihre Brust zerrissen. Der Schweiß brach ihr wieder aus. In der Küche befand sich ein Fremder. Jemand war einfach eingedrungen.

Martha atmete hektisch. Das Luftholen schmerzte. Sie spürte den Druck in der Brust. Die Furcht setzte ihr arg zu, und sie fühlte sich kaum noch als Mensch.

Normal wäre es gewesen, wenn sie das Haus fluchtartig verlassen hätte. Aber Martha Caine war eine Mutter. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ihr Kind zu finden, und diese Tatsache sorgte für die Überwindung ihrer Angst.

Morton war wichtig. Keiner sonst. Der Junge musste leben. Er war noch so klein, so nett, so lieb, einfach wunderbar. Sie durfte ihn nicht im Stich lassen.

Eine Waffe! Ich brauche eine Waffe. Es gab wohl eine, die aber hielt Dick unter Verschluss. Ein alter Revolver. Er hatte ihn von seinem Großvater geerbt.