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Für manche Menschen war das Haus einfach nur unheimlich. Andere berichteten von schrecklichen Dingen, die hinter den Mauern passierten. Und einige schworen gar darauf, fürchterliches Schreien und Stöhnen gehört zu haben. Ob Lüge oder Wahrheit, Graystone Hall wurde auf jeden Fall von den meisten gemieden. Bis ein paar Jugendliche eine Mutprobe ablegen wollten - und nicht mehr zurückkehrten. Und schon bald sollte es auch für uns ein grauenvolles "Willkommen im Totenhaus" geben ...
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Willkommen im Totenhaus
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Willkommenim Totenhaus
von Jason Dark
Für manche Menschen war das Haus einfach nur unheimlich. Andere berichteten von schrecklichen Dingen, die hinter den Mauern passierten. Und einige schworen gar darauf, fürchterliches Schreien und Stöhnen gehört zu haben.
Ob Lüge oder Wahrheit, Graystone Hall wurde auf jeden Fall von den meisten gemieden. Bis ein paar Jugendliche eine Mutprobe ablegen wollten – und nicht mehr zurückkehrten. Und schon bald sollte es nun auch für uns ein grauenvolles »Willkommen im Totenhaus« geben ...
»Mutprobe?«, fragte Bernie Salsa, der den Motor abgestellt hatte, aber hinter dem Lenkrad sitzenblieb. Er drehte sich um und schaute Kelly Kidman und Simon Fowler an, die, händchenhaltend, verängstigt auf dem Rücksitz saßen.
Auf dem Beifahrersitz lachte Roy Walker kichernd, als hätte er einen Witz gehört. »Meinst du Graystone Hall?«
»Was sonst? Wir sind nicht weit weg. Und diese Nacht ist super für einen wunderbaren Besuch.«
»Klar, ich bin dabei!«
Kelly beugte sich vor. Sie schüttelte ihren Kopf so wild, dass die dunkelblonden Locken nur so flogen. »Nein!« Ihre Stimme klang schrill. »Da gehe ich nicht rein. Ich setzte nicht einmal einen Fuß auf die Außentreppe.«
»Und warum nicht?«, erkundigte sich Salsa locker.
»Hör auf, so cool zu tun. Du weißt genau, was über das Haus erzählt wird.«
»Das geht mir doch am Arsch vorbei!«
»Und mir auch«, erklärte Roy kichernd.
»Aber mir nicht!« Kellys Stimme klang bestimmend. »Ich denke anders darüber. Graystone Hall ist kein normales Haus.«
»Das weiß ich auch«, meinte Bernie. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann interessieren mich normale Häuser auch nicht. Aber Graystone Hall hat was, echt.«
»Nicht für mich!« Kelly blieb stur.
Salsa hob die Schultern. »He, Simon, was ist mit dir? Warum sagst du nichts? Hast du Angst, weil du neben Kelly sitzt?«
»Quatsch.«
»Was ist denn? Willst du mit?«
Fowler druckste herum. Er vermied es dabei, seiner neben ihm sitzenden Freundin in die Augen zu sehen. Kellys Meinung kannte er. Eigentlich dachte Simon ähnlich wie sie. Nur traute er sich nicht, das auch seinen beiden Freunden gegenüber zuzugeben. Sie hätten ihn ausgelacht und als Feigling dargestellt.
»Simon – Süßer«, sagte Roy mit Fistelstimme. »Alle warten auf deine Meinung.«
»Er hat keine«, meinte Bernie spöttisch.
»O doch, die habe ich.«
»Wir warten!«
»Denken wir doch mal logisch, Freunde ...«
»Ahhh – jetzt spricht der Physikstudenten ...«
»Lass ihn doch ausreden, Bernie!«, beschwerte sich Kelly.
»Also gut, wir hören.«
»Ja, die Sache ist die«, begann Simon, »warum sollten wir heute Nacht unbedingt in dieses alte Haus gehen?«
»Weil es cool ist!«, rief Roy Walker und hopste auf seinem Sitz auf und nieder.
»Und wenn wir es am Tag besuchen?«
»Am Tag? Das ist uncool«, krächzte Walker.
»Hör doch mit deinem Scheiß auf, du Idiot. Du hast doch wirklich nicht alle Latten am Zaun«, schimpfte Kelly.
Walker war sauer, und er suchte bei Salsa Hilfe. »Muss ich mir das gefallen lassen, Bernie?«
»Nein, im Prinzip nicht. Aber du bist wirklich keine Leuchte.«
»Das weiß ich selbst.«
»Gut, Simon, dann weiter.«
»Ich meine, dass wir uns die Bude auch am Tag ansehen können. In der Nacht sieht man sowieso nichts.«
Kelly schlug ihrem Freund auf den Oberschenkel. »Genau das ist es, Simon. Du hast völlig recht. Warum sollen wir da im Dunkeln herumtappen und irgendwo gegenlaufen? Es ist besser, wenn ihr tagsüber reingeht.«
»Du hast etwas vergessen«, sagte Bernie.
»Was denn?«
»Die Atmosphäre. Es geht einzig und allein um die Atmosphäre. Die hast du nur in der Nacht. Tagsüber kannst du die Bude vergessen. Aber in der Dunkelheit, zudem im Totenmonat November«, er senkte seine Stimme, »werden die Geister aus den Tiefen der Erde steigen und sich den Lebenden zeigen. Ist doch was – oder?«
Roy war begeistert. Das war er immer, wenn sein großes Vorbild Bernie etwas sagte.
Kelly Kidman winkte nur ab, und Simon saß grübelnd neben ihr.
»Mal sehen«, sagte Salsa.
»Was denn sehen?«, fragte sie.
»Stell dich nicht so an, Kelly.« Er drehte den Zündschlüssel. »Wir können hinfahren.«
»Du bist irre. Was willst du denn da sehen? Einen dunklen Umriss? Wir haben November. Wir haben eine düstere Nacht und keinen Mond am Himmel. Oder hast du Radaraugen?«
»Leider nicht. Aber es soll Geister geben, die in der Nacht leuchten. Stimmt's, Roy?«
Walker war immer froh, wenn ihn sein großes Vorbild einbezog. »Aber ja. Ich habe sie sogar schon leuchten sehen. War einfach geil, kann ich euch sagen.«
»Weingeister, wie?«, meldete sich Simon.
»Nee, nee, richtige. Ich habe auch damals das UFO entdeckt. Aber keiner wollte mir glauben.«
»Ist bei dir auch verständlich. Du kannst nicht einmal einen Luftballon von einem UFO unterscheiden.«
»Wenn du so weitermachst, kriegst du was auf deine Schnauze!«
»Roy, Ruhe!«, meldete sich der Fahrer. »Die Sache geht schon in Ordnung. Ein bisschen Fun muss sein.«
»Nicht auf meine Knochen.«
»Kosten heißt das«, stellte Kelly richtig. Sie konnte diesen Typen mit der Glatze nicht leiden. Aber sie waren nun mal mit ihm zusammen unterwegs. Jetzt mussten sie die Sache auch durchziehen.
Wie es sich für einen derartigen Bau gehörte, lag Graystone Hall ziemlich einsam. Praktisch in der Mitte zwischen zwei Dörfern, in denen die Zeit ebenfalls stehengeblieben zu sein schien. Das wussten die vier jungen Leute, denn sie wohnten hier und zogen am Wochenende los, um auf die Pauke zu hauen.
Meist ging es zum nächstgrößeren Ort. Dort gab es eine Disco, in der es ganz schön abging, denn hier wurde nicht nur getanzt, sondern hin und wieder auch gestrippt.
Das Ziel war noch nicht zu sehen. Um heranzufahren, mussten sie die Straße verlassen und in die Wildnis hinein, wie man es schön hieß. Nur Felder oder Wiesen.
Die Felder waren früher noch bestellt worden. Heute aber lagen die meisten brach, denn von der Ernte konnten die Bauern nicht leben.
Die Felder und Wiesen wurden von Feldwegen durchschnitten, als wären diese mit einem Lineal gezogen worden. Allerdings waren sie selbst tagsüber nur schwer zu erkennen, weil im Laufe der Zeit alles überwuchert worden war.
Über einen dieser Wege lenkte Bernie Salsa den alten Fiat. Der Wagen schaukelte auf und nieder. Jedes kleine Schlagloch spürten die vier Fahrgäste. Besonders Simon musste immer wieder den Kopf einziehen, um nicht ständig gegen die Wagendecke zu schlagen.
Kelly Kidman saß gespannt neben ihm. Hin und wieder zeigte sie ihre Zungenspitze. Mit ihr fuhr sie um den kleinen, herzförmig geschnittenen Mund herum. Ein Zeichen, wie nervös sie war. Ihr gefiel überhaupt nicht, was da ablief. Sie wäre am liebsten ausgestiegen und wieder zurückgelaufen.
Das traute sie sich in dieser finsteren Novembernacht aber auch nicht. Sie nahm sich nur vor, Graystone Hall auf keinen Fall zu betreten. Zu gut hatte sie die Geschichten in Erinnerung, die sich um den Bau rankten. Es gab sogar Menschen, die behaupteten, dass die Mauern von Graystone Hall aus Leichen bestünden. Das war natürlich Quatsch, aber schaurig hörte es sich schon an.
Sie fuhren weiter. Selbst bei eingeschaltetem Fernlicht war das Haus noch nicht zu sehen. Aber seine Nähe konnten die vier jungen Leute irgendwie spüren. Die Umgebung veränderte sich ein wenig. Sie blieb flach, doch auf dem Boden wuchsen jetzt nicht nur noch Unkraut oder dürres Buschwerk, sie sahen nun auch Bäume, die sich wie verkrüppelte Gestalten in die Höhe schoben und ihr Astwerk in alle Richtungen streckten.
»Furchtbar«, sagte Kelly leise. Sie drückte sich an ihren Freund.
»Was ist denn?«
»Die Bäume.«
»Wieso?«
»Schau sie dir an, Simon. Die sehen aus ... wie tot. Sie ... sie ... sind abgestorben, weil sie auf einem Boden stehen, dem sämtliche Kraft entzogen wurde. Er lebt nicht mehr, Simon. Er ist tot. Ebenso tot wie dieses verdammte Haus, zu dem ihr wollt.«
»Glaubst du, was du da gesagt hast?«
»Ja, ich spüre es.«
»Was denn?«
»Da kommt was auf uns zu. Da strahlt was ab, das weder Mensch noch Tier verschont.«
»Toll.« Bernie Salsa hatte alles mitgehört. »Und was soll uns da entgegenstrahlen?«
»Der Geist des Totenhauses.«
Salsa musste lachen. »Jetzt hast du selbst von Geistern gesprochen. Super, die werden wir bald zu sehen bekommen.«
Roy Walker kicherte und rieb dabei seine Hände. »Ich habe mal gehört, dass Geister Menschen fressen. Habe ich, ehrlich.«
»Dann werden sie dich als ersten holen«, sagte Kelly.
»Von wegen. Ich bin unverdaulich. Hast du das nicht gewusst? Mich kotzen die wieder aus.«
»Mahlzeit«, sagte Simon.
Bernie Salsa fuhr wieder etwas schneller.
Die Witze und lockeren Bemerkungen waren den Insassen vergangen. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Sie schienen verunsichert zu sein, was die Umgebung anging.
Niemand sprach darüber. Sie spürten es nur. Es mochte an den Bäumen liegen, die jetzt vermehrt auftraten, sodass sich die Lücken zwischen ihnen verringerten. Das bleiche Licht der Scheinwerfer ließ sie immer mehr aussehen wie alte, grau angestrichene Gerippe.
Dann sahen sie das Haus!
Nein, nicht direkt. Das Fernlicht wehte wie ein Schleier gegen die Fassade, als wollte sie es abtasten. Eine alte Treppe tauchte auf, umwuchert von Gestrüpp und hohem Gras. Das Haus war eigentlich nicht typisch für England oder Europa. Es hätte mehr in die USA gepasst, denn die gesamte Frontseite teilte sich in zahlreiche Balkone, die auf breiten, säulenartigen Stempeln standen..
Bernie Salsa traute sich auch nicht, näher an das Gebäude heranzufahren. Er stoppte. Danach stellte er den Motor ab, und in der ersten Stille blieben die sie unbeweglich sitzen. Und für einen Moment war nicht einmal ihr Atmen zu hören.
Kelly Kidman meldete sich als erste. »So, jetzt sind wir hier«, sagte sie. »Und was haben wir nun davon?«
Neben ihr hob Simon die Schultern. Das war ihm Antwort genug. Roy Walker musste sein vorlautes Maul wieder aufreißen. »Ist doch stark, oder?«
»Was ist stark?«
»Der Bau. Richtig gruselig. Da ... da ... flattert sogar noch Dunst in den beiden Scheinwerfern.« Er lachte. »Wau – Nebelschwaden, die aus dem Boden kriechen wie Totengeister. Ist doch was.«
»Schnauze!«, sagte Bernie nur.
»He, habe ich dir was getan?«
»Ja, du redest zu viel.«
»Und jetzt?«, meldete sich Kelly. »Was habt ihr vor? Sollen wir wieder umdrehen? Wäre am besten. Gesehen haben wir schließlich genug. Ich bin dafür, dass wir uns auf die Socken machen und wieder zurückfahren. Alles andere können wir uns sparen.«
Bernie blickte zurück. »So denkst du, wie?«
»Klar, hast du doch gehört.«
Er grinste breit, und sein dunkler Oberlippenbart verzog sich dabei. »Das glaube ich aber nicht, Kelly. Es ergäbe keinen Sinn, wenn wir drehen und verschwinden.«
»Ach ja?« Kelly reckte trotzig ihr Kinn vor. »Wie sieht denn deiner Meinung nach so ein Sinn aus?«
»Wenn ich schon ein Ziel vor Augen habe, dann will ich es zumindest anfassen können, sage ich mal.«
»Also reingehen?«
»Klar doch!«
Kelly bewegte sich nicht. Sie schaute in Bernies grinsendes Gesicht. Neben ihr atmete Simon Fowler heftig, doch er hielt sich mit einem Kommentar zurück. Da Roy Walker sowieso keine eigene Meinung hatte, blieb sie allein übrig. »Ihr könnt tun, was ihr wollt. Ich jedenfalls werde es nicht machen. Ich bleibe hier sitzen, versteht ihr das? Mich bekommt ihr nicht für Geld und gute Worte in den Bau. Es ist mir auch egal, ob ich als feige angesehen werde oder nicht, aber ich gehe nicht hinein, und in der Dunkelheit schon gar nicht.«
»Glaubst du die Geschichten?«, fragte Bernie.
»Sie sind bei mir zumindest nicht ohne Eindruck geblieben. Tagsüber hätte ich mit euch darüber reden können, aber in der Dunkelheit betrete ich es nicht – verstanden?«
»Wie du willst. Wir gehen!«
»Lieber nicht!«, warnte Kelly.
»Was sollte uns denn davon abhalten?«
Die junge Frau dachte einen Moment nach. »Ich kann es euch auch nicht sagen. Es ist ja nur ein Gefühl, versteht ihr. Es geht hier einiges nicht mit rechten Dingen zu. Ich habe nicht viel gesehen, keiner von uns hat das, aber ich glaube fest daran, dass Graystone Hall dem Untergang geweiht ist. Das ist wie bei Edgar Allan Poe. Ihr kennt vielleicht die Geschichte des Hauses Usher.«
»Ich habe den Film mal gesehen«, sagte Simon neben ihr. »Da spielte noch Vincent Price mit.«
»Genau, Simon. Erinnere dich gut. Mir kommt es so vor, als wären wir hier in eine Filmkulisse hineingeraten. Die gleichen bleichen Bäume, die gleiche unheimlich Atmosphäre, als hätten Geister und Gespenster einen Freibrief bekommen. Hier kann man einfach nur Furcht bekommen. Das Haus hat etwas, glaubt mir. Ich jedenfalls gehe keinen Schritt näher.«
Bernie Salsa lachte sie aus. Und Roy sprach von emanzipierten Röcken, die wieder Schiss bekommen hätten.
Kelly hörte nicht hin. Sie hatte sich zurückgesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt. Eine Geste, die Entschlossenheit ausdrücken sollte.
Simon Fowler schielte zu seiner Freundin hinüber. Auch ihm war nicht wohl zumute. Das stand auf seinem Gesicht geschrieben. Wäre er mit Kelly allein gewesen, hätten sie bestimmt schon kehrtgemacht. So aber musste er bleiben, und er wollte sich auch nicht vor den anderen beiden blamieren.
Draußen war es ziemlich windig.
Selbst die starren Zweige bogen sich, wenn die Böen sie erfassten, und direkt vor dem Haus geriet auch das Gestrüpp in tanzende Bewegungen, als wollte es die Ankömmlinge auf seine Art und Weise begrüßen.
»Dann kannst du ja hier auf uns warten«, schlug Bernie vor.
Kelly schloss für einen Moment die Augen. »Ihr wollt euch tatsächlich das Haus anschauen?«
»Deshalb sind wir hergekommen.«
»Bitte, ich bleibe.«
Salsa öffnete die Tür. Roy Walker folgte seinem Beispiel. Um sich selbst Mut zu machen, pfiff er irgendeine Melodie vor sich hin, als er ausstieg. Simon wollte den Wagen ebenfalls verlassen, zögerte aber und warf Kelly dabei einen fragenden Blick zu.
»Tu es nicht – bitte«, bat sie.
Das Gesicht des jungen Mannes mit der blassen Haut zuckte und verzog sich in die Breite. »Ich würde ja gern auf dich hören, Kelly, ehrlich, aber was sollen die anderen von mir denken?«
»Das kann dir egal sein.«
»Nein, Kelly, nicht mir. Das ... das ... kann mir einfach nicht egal sein. Ich will nicht als Feigling dastehen und mich verspotten lassen. Was meinst du, wie schnell sich alles herumspricht, wenn ich jetzt kneife. Ist nicht drin.«
Kelly Kidman schloss für einen Moment die Augen. Sie wusste nicht mehr, wie sie Simon überzeugen sollte. Auf ihre Gefühle würde er kaum hören, aber die waren vorhanden, und es waren, verdammt noch mal, keine guten.
Simon öffnete die Tür einen Spalt. »Ich gehe jetzt, und ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein werde.«
Fast hätte Kelly gelacht. »Was willst du versprechen, Simon? Etwas, das du nicht halten kannst?«
»Wieso?«
»Du wirst es nicht schaffen, glaube mir. Dieses verdammte Haus hat seine eigenen Gesetze. Da könnt ihr versuchen, was ihr wollt, Simon, es wird immer stärker sein.«
Er blickte sie an. »Verdammt, Kelly, ich würde ja ...«
Roy Walker zerrte die Tür jetzt ganz auf. »Kommst du nun, oder kommst du nicht?«
Simon Fowler wich Kellys Blick aus. »All right, ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich komme.«
»Dann aber flott.« In Walkers Augen schimmerte der Triumph. Er wollte auch noch etwas sagen, ließ es aber bleiben, als er Kellys wütenden Blick sah. Sie schaffte es auch nicht mehr, ihren Freund zurückzuhalten. Ohne es zu bemerken, faltete sie ihre Hände zum Gebet ...
»Endlich hast du mal nicht auf deine Tussi gehört«, sagte Roy, als er den Wagenschlag zugeworfen hatte. Fast im selben Augenblick aber zuckte er zurück, denn Simon war mit einer wilden Bewegung herumgefahren und hatte seine rechte Hand schon zur Faust geballt.
»Wenn du Zoff haben willst, rede weiter!«
»Nein, nein, will ich doch nicht!«
»Dann höre auch auf!«, erklärte Bernie, und Roy nickte wie ein gehorsamer Hund.
Sie entfernten sich einige Schritte vom Wagen, ohne allerdings den Bereich der Scheinwerfer zu verlassen. Die drei hatten den Eindruck, als gäbe ihnen dieses Licht einen gewissen Schutz.
Der Boden sah dunkel aus. Daran änderte auch das Licht nicht viel. Wie ein finsterer, leicht feucht gewordener Teppich lag er unter ihnen. Er war recht weich, und auf ihm verteilten sich kleine Äste und Zweige, die der Wind abgerissen hatte.
Es war kalt, und der Wind kam von vorn. Er blies in die Gesichter der drei jungen Männer und glitt auch unter ihre Kleidung. Die Schöße der offenstehenden Jacken flatterten im Wind. Die hin und wieder auftauchenden kahlen Bäume wurden ebenfalls geschüttelt. Da rieben oft genug Zweige gegen Zweige, und so entstanden unheimlich klingende Geräusche, als wollten irgendwelche geisterhaften Gestalten den Freunden klarmachen, dass sie froren.
Für sie war es eine andere Welt. Aber niemand wollte darüber reden. Sie hielten alle den Mund, und ihre Lippen waren dabei zusammengepresst. Die Augen mit den unsteten Blicken hatten sie nach vorn gerichtet und gaben sich ihren Gefühlen hin.
Hier war alles anders. Hier hatten sie eine andere Welt betreten. Das Haus, obwohl es sich noch im Schatten der Nacht versteckte, war einfach zu dominant. Es strahlte etwas ab, dem sie sich nicht entziehen konnten.
Graystone Hall hatte seine Geschichte, und es gab Geschichten über diese Geschichte. Und irgendwie spürten die drei jungen Männer, dass diese Geschichten nicht unbedingt erfunden waren.
Nach einer Weile gerieten sie immer stärker in den Bann des alten Baus. Keiner sprach mit dem anderen darüber, jeder stellte es für sich fest. So hatte Simon Fowler den Eindruck, als hätte das Haus mit ihm Kontakt aufgenommen. Er hörte keine Stimme, das nicht, und trotzdem bewegte sich da etwas in seinem Kopf.
Flüstern? Raunen? Eine rätselhafte Botschaft, die nur ihm allein galt? Er wusste es nicht. Er nahm es nur hin und hatte nicht mehr das Bedürfnis, sich zum Auto und seiner Freundin umdrehen zu müssen.
Die Normalität des Lebens war vergessen. Es gab für ihn nur Graystone Hall, dessen Macht und Einfluss sich mit jedem Schritt, der ihn näher an das Haus heranbrachte, verstärkte. Keiner von ihnen hätte jetzt noch die Kraft gefunden, sich umzudrehen und wieder in den Wagen zu steigen.
Das Haus lockte. Es war da. Es hatte mit ihnen Kontakt aufgenommen. Es griff nach ihnen und schickte ihnen Gefühle entgegen. Es war für sie wie ein Magnet, der sie zu sich heranholen wollte.
So gingen sie weiter.
Schritt für Schritt, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie hatten ihr Leben hinter sich gelassen. Das neue lag jetzt vor ihnen, und das schälte sich immer stärker aus dem Dunst hervor. Jetzt, als sie näher an das Haus herangekommen waren, erkannten sie, wie breit, hoch und mächtig es war. Sie selbst kamen sich so klein vor.
Das Haus sandte etwas aus. Es schickte ihnen seine Botschaft entgegen, die sie auch empfingen. Zuerst war es der Geruch. Nicht unbedingt normal, auch wenn er eine gewisse Feuchtigkeit beinhaltete. Da gab es noch etwas anderes, das sie störte, aber von ihnen hingenommen werden musste.
Das Haus ›sprach‹ mit ihnen!
Es meldete sich. Es schickte ihnen Gedanken, die durch ihre Köpfe irrten. Jemand hatte auf sie gewartet. Er meldete sich jetzt, aber sie verstanden keine Worte, keine Sätze. Es war einfach nur ein Durcheinander hinter der Stirn, aus dem sich ein Punkt jedoch sehr stark hervorhob.
»Kommt weiter ... kommt her ...«
Und sie gingen. Sie konnten nicht anders. Die drei jungen Männer kamen sich vor wie angeleint. Schritt für Schritt näherten sie sich der düsteren Fassade, und sie merkten auch, dass sich der Geruch änderte. Etwas anderes schwang darin mit, das die drei irritierte.
Es roch widerlich. Nach altem Fleisch. Nach vermoderten Leichen, nach tiefster Graberde. Sie hörten Geräusche. Ein schweres Ächzen und Stöhnen wehte ihnen entgegen. Nur waren keine Menschen zu sehen, die es hätten ausstoßen können.
Es gab nur das Haus.
Und genau das zog sie immer stärker an. Auch wenn sie es gewollt hätten, ein Rückweg wäre nicht mehr möglich gewesen. Das Haus hatte sie schon zu sehr in seiner Gewalt.
So gingen sie weiter. Keiner hatte mehr einen Blick für den anderen. Nur das Haus war wichtig. Sie achteten auch nicht einmal auf die Schreie hinter ihnen, die Kelly Kidman ausgestoßen hatte, um sie zurückzuhalten. Es war nicht wichtig, sie gingen weiter, immer weiter, begleitet vom schwächer werdenden Licht der Scheinwerfer.
Der Boden war jetzt noch weicher geworden. Als wäre er mit lockerer Graberde bedeckt. Über ihnen jagten die düsteren Wolken am Himmel, die der Wind vor sich her scheuchte.
Kellys Rufe waren verstummt, als die drei die alte Holztreppe erreichten, die eine Schneise in die breiten Balkone in Parterre geschlagen hatte.
Stufen, die alt waren. Die aus Holz bestanden. Es hätte braun und schmutzig sein müssen. Das traf aber nicht überall zu. Es gab genügend helle Stellen, und dort schimmerte das Holz wie altes Gebein.
Etwas zog sie an. Es war ein unsichtbarer Strom. Jeder von ihnen fühlte sich leicht. Sie blickten nach vorn und sahen die geschlossene Eingangstür.
Sie war ihr nächstes Ziel.
Gemeinsam betraten sie die Treppe. Weiche Stufen, Holz, das seine Härte verloren hatte. So hatten sie das Gefühl, nicht über normales Material zu gehen, sondern über tote, weiche Leiber, aus denen die Stufen gebildet worden waren.
Hin und wieder hörten sie seltsame Laute unter ihren Sohlen. Dann war es ihnen, als würde das Material stöhnen wie Menschen, die unter einer schrecklichen Qual litten. Dennoch gingen die Freunde die letzten Schritte und blieben vor der Tür stehen.
Nichts tat sich.
Sie sprachen nicht. Noch hätten sie zurück gekonnt, wenn alles normal gewesen wäre. Hier aber war nichts normal. Graystone Hall besaß seine eigenen Gesetze, und denen mussten sie folgen, ob sie wollten oder nicht. Hier lauerten die Dinge noch im Verborgenen, aber waren jetzt dabei, von den Lebenden Besitz zu ergreifen.
Die drei schauten sich an.
Keiner sprach.
In keinem Gesicht regte sich etwas. Niemand schaffte es, zu lachen. Ihr Humor war verschwunden. All die Lockerheit hatten sie verloren.
Der Leichengestank blieb. Er drang ihnen entgegen. Die alten Holzteile waren damit gefüllt, und auch aus dem Boden floh der Geruch. Trotzdem machten sie sich keine Gedanken darüber. Wahrscheinlich hatten sie alles andere verdrängt. Sie wussten, dass sie, wenn sie Graystone Hall betreten wollten, die Tür öffnen mussten – nur genau war gar nicht nötig!
Es begann mit einem Knarren, das sich schlimm anhörte, obwohl es gar nicht mal so laut war, in der Stille jedoch viel stärker zu hören war. Altes Holz beschwerte sich. In den vergammelten Scharnieren kratzte der Rost, und die Tür öffnete sich immer weiter, als wäre jemand dabei, sie nach innen zu ziehen, der sich bewusst nicht zeigte.
Immer weiter öffnete sich die Tür. Wer immer dafür die Verantwortung trug, er wollte sie einladen und ihnen so viel Platz schaffen, dass sie nebeneinander über die Schwelle treten konnten.
Sie taten es. Soldaten, die im Gleichschritt gingen. Sie blieben zusammen, atmeten sogar gleichzeitig, setzten zuerst die rechten, dann die linken Beine vor, überschritten die Schwelle und betraten Graystone Hall, das sie förmlich in sich hineinsaugte.
Das Dunkel schnappte zu.