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Blut - Jane Collins sah das Blut und das Gesicht. Hager, böse, verzerrt. Ein breiter Mund mit verzogenen Winkeln, ein spitzes Kinn. Und das Blut! Es sickerte aus den Mundwinkeln. Aus den Augen. Es war überall. Verließ die Nasenlöcher und rann aus dem Mund. Ein Gesicht aus dem Albtraum, das Jane Collins trotzdem faszinierte. So machte sich die Detektivin auf die Suche nach ihm.
Es wurde ein Weg in die Hölle. Und ich, John Sinclair, stand vor einem der größten Probleme meines Lebens ...
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Seitenzahl: 197
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Blutgesicht
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Blutgesicht
von Jason Dark
Blut – Jane Collins sah das Blut und das Gesicht. Hager, böse, verzerrt. Ein breiter Mund mit verzogenen Winkeln, ein spitzes Kinn. Und das Blut! Es sickerte aus den Mundwinkeln. Aus den Augen. Es war überall. Verließ die Nasenlöcher und rann aus dem Mund. Ein Gesicht aus dem Albtraum, das Jane Collins trotzdem faszinierte. So machte sich die Detektivin auf die Suche nach ihm.
Es wurde ein Weg in die Hölle. Und ich, John Sinclair, stand vor einem der größten Probleme meines Lebens ...
Das Blutgesicht schwebte heran. Es bewegte sich lautlos. Es kam aus einer anderen Welt, die mit einer dichten Schwärze gefüllt war. Lange, braune Haare umwehten das Gesicht, das keiner Frau, sondern einem Mann gehörte. Die Haarflut wippte auf und nieder, faltete sich hinter dem Kopf und fiel wieder zusammen.
Dann öffnete sich der Mund. Er zog sich dabei noch mehr in die Breite, um Platz für die Zunge zu schaffen, die ihren Weg nach draußen fand. Eine spitze Zunge. In verschiedenen Farben schimmernd. Von rosig bis zum fast schon dunklen Violett. Ein widerliches Bild. Einfach abstoßend und ekelerregend.
Ein fürchterliches Bild, ein schrecklicher Traum, aus dem die Detektivin Jane Collins plötzlich erwachte. Allerdings auch, weil sie die Berührung an der Wange gespürt hatte.
Jemand war gekommen und hatte sie angefasst. Jane sah die Person nicht, da sie an ihrer linken Seite stand und sie selbst nur nach vorn schaute. Aber berührt worden war sie.
Lady Sarah Goldwyn war gekommen.
»He, Jane, was ist denn los mit dir? Was hast du? Schläfst du schon am späten Vormittag? Das ist bei dir wirklich selten.«
Jane nickte und atmete tief durch. »Ich weiß«, flüsterte sie mit kratziger Stimme. »Das ist auch selten.« Sie hob die Schultern, weil sie plötzlich fror. »Aber ich muss tatsächlich eingeschlafen sein. Einfach so, verstehst du?«
»Ja, das habe ich gesehen.« Die Horror-Oma verließ ihren Platz und setzte sich auf einen Stuhl. Aus dieser Position konnte sie die Detektivin anschauen. Sie tat es und schüttelte dabei den Kopf. »Weil es so selten ist, habe ich mich gewundert. Ich hatte gerufen. Du hast mich nicht gehört. Dann bin ich zu dir hochgekommen und sehe dich in einem Sessel sitzend schlafen. In der Tat ungewöhnlich.«
Jane zuckte mit den Schultern. »Was soll ich machen? Ich war irgendwie kaputt. Von der Rolle.«
»Du hast nicht gut ausgesehen, Jane.«
»Ach. Wie meinst du das?« Die Detektivin versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Der Traum wirkte bei ihr noch nach, denn das Gesicht schwebte immer wieder hoch, als würde es aus irgendwelchen Fluten steigen, um sich ihr zu zeigen.
»Das ist schwer zu sagen. Man sieht es einem Menschen ja an, ob er entspannt ist oder ob er im Schlaf leidet. Bei dir hatte ich eher den Eindruck, als würdest du leiden. Stimmt das?«
Jane Collins ließ sich Zeit mit der Antwort. Ihre Lippen waren trocken geworden. Sie leckte darüber hinweg, um sie zu befeuchten. »Nicht eben leiden«, gab sie zu, »doch der Traum war schon da. Und er war auch nicht gut oder positiv ...«
»Schlimm?«
Jane nickte.
»Wie schlimm?«
Die Antwort gab die Detektivin mit leiser Stimme. »Es war ein Gesicht, Sarah. Ein böses, ein widerliches Gesicht. Hager, düster, mit unheimlichen Augen. Und blutig.«
»Wie bitte?«
»Ja – blutig.«
Sarah sagte zunächst nichts. Sie wollte Jane nicht durcheinanderbringen und wartete darauf, dass sie etwas sagte, doch die Detektivin schwieg. Sie blickte an Sarah vorbei zum Fenster hin, als könnte sie das Gesicht hinter der Scheibe sehen, gegen die sich die graue Dämmerung des späten Nachmittags drückte.
»War das Gesicht denn verletzt? Hast du irgendwelche Schnittwunden sehen können?«
»Nein, das nicht.«
»Es hat trotzdem geblutet?«
»So ist es. Das Blut rann aus dem Mund, der Nase. Sogar aus den Augen, glaube ich. Ich stehe noch immer unter diesem Eindruck. Es war ein schlimmer Traum.«
Sarah Goldwyn lächelte. Sie spielte dabei mit einer der vier Ketten, die um ihren Hals hingen. In ihre Augen trat so etwas wie ein beruhigender Blick. »Sei doch froh, Jane, dass es nur ein Traum gewesen ist. Alles war ein Traum.«
»Das stimmt schon.«
»Dann wirst du ihn vergessen.«
Jane schluckte und räusperte sich. Wieder fror sie. Der braune Pullover war ihr plötzlich nicht mehr warm genug. Ihre Kälte kam von innen. Sie war eine Folge des Traums. »Ich glaube nicht, Sarah, dass ich ihn vergessen kann.«
»Nicht sofort, Jane.« Sarah hob wie abwehrend die Hände. »Später, verstehst du? Wenn die Zeit ins Land gegangen ist. Dann wirst du vergessen.«
»Irrtum, Sarah, auch dann nicht.«
Die Horror-Oma wollte lächeln, was ihr nicht so ganz gelang.
»Ich fürchte, dass ich dich nicht verstehe, Jane. Okay, auch ich habe schon schlimm geträumt. Du ebenfalls. Wir wissen beide, dass sich auch manche unserer Träume bewahrheitet haben. Doch ...«
»Sorry, Sarah, aber ich habe von einem Gesicht geträumt, das existiert.«
Die Horror-Oma war überrascht. »Du kennst es also? Dir ist die Person bekannt, zu der das Gesicht gehört?«
»Ja.«
»Wie heißt sie?«
»Es ist ein Mann«, sagte Jane leise und sinnierend. »Jemand, den ich auch namentlich kenne. Er heißt Nathan Lassalle.«
»Nein! Der Maler?«
»Genau der!«
Sarah blies die Wangen auf. Ihre Fingerkuppen glitten schneller über die Kugeln einer Kette hinweg. »Nun, das ist wirklich ein Hammer«, kommentierte sie locker. »Das ist doch dieser Maler, dessen Ausstellung du besucht hast.«
»Genau der.«
»Von ihm hast du geträumt? Hat er denn bei dir einen so großen Eindruck hinterlassen?«
»Anscheinend. Er hat mich verfolgt. Das heißt, mich hat sein Gesicht verfolgt.«
»Moment, Jane. Ein Blutgesicht. Ich denke nicht, dass dieser Nathan Lassalle mit einem blutigen Gesicht in der Weltgeschichte herumläuft. Das nehme ich dir nicht ab.«
»So etwas habe ich auch nicht behauptet. Ich war in seiner Ausstellung, wo ich ihn auch kennengelernt habe. Sein Gesicht war normal, nicht blutig. Doch dieses Blutgesicht, das ich in meinem Traum sah, entsprach genau dem des Nathan Lassalle. Nur war es eben auf diese schreckliche Art und Weise gezeichnet. Es hat mir wirklich Angst eingejagt, obwohl ich einiges gewohnt bin.«
»Dann muss es schlimm ausgesehen haben.« Sarah erhob sich, ging zu Jane und blieb dicht vor ihr stehen. Sie lächelte auf die Detektivin herab und rieb dabei deren Hände, als sollten sie gewärmt werden. »Sei froh, dass es nur ein Traum gewesen ist.«
Jane erwiderte das Lächeln der älteren Frau nicht. »Nur ein Traum?«, murmelte sie.
»Ja, ein Traum!«
»Ich weiß nicht, Sarah, ob ich dem zustimmen kann. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Aber es war ein Traum!«
»Ja, das schon!« Jane nickte. »Nur weißt du selbst, dass Träume auch hin und wieder in Erfüllung gehen können. Ich sehe ihn als einen Wahrtraum an.«
»Dann glaubst du daran, dass sich dieser Traum tatsächlich erfüllen könnte?«
Jane überlegte und wiegte den Kopf. »Ich rechne damit.«
Das wiederum begriff die Horror-Oma nicht. »Seit wann bist du so pessimistisch?«
»Keine Ahnung. Ich denke einfach so. Nicht nur das. Ich glaube sogar daran, dass mir dieses Blutgesicht noch einmal oder mehrere Male begegnen wird. Da hat es jemand auf mich abgesehen und mir so etwas wie eine Warnung geschickt.«
»Der Traum würde deiner Meinung nach also wahr werden?«
»Ich wäre nicht überrascht, wenn es geschähe.«
Sarah räusperte sich. Sie ließ Janes Hände los, trat wieder zurück und begann mit einer Wanderung durch das Zimmer. »Hat dieser Maler denn einen so großen Eindruck auf dich gemacht, dass du selbst im Traum davon nicht loskommst?«
»Muss er wohl«, gab Jane zu.
»Du fandest ihn faszinierend?«
»Ja und nein.«
»Was heißt das denn wieder?«
Sie wiegte den Kopf. »Es ist alles so schwer zu sagen, Sarah. Natürlich war Lassalle ungewöhnlich. Du würdest mir zustimmen, wenn er dir über den Weg läuft. Er ist ein Künstler. Er ist ein Macher, wie auch immer. Er ist auf eine bestimmte Art und Weise faszinierend und besitzt eine entsprechende Ausstrahlung.«
»Positiv oder negativ?«
»Ha.« Jane sprang in die Höhe. »Genau das ist es, worüber ich nachdenke, Sarah. Ich kann es dir nicht sagen. Ich behaupte einfach, dass er eine besondere Ausstrahlung besitzt. Sie ist da. Die Aura umschwebt ihn.« Jane ballte die linke Hand zur Faust. »Man kann ihn nicht fassen, verstehst du? Bis zu einem gewissen Punkt kommt man an ihn heran, dann fällt der Vorhang.«
»Das ist genau das, was Frauen zumeist neugierig macht.« Sarah lachte. »Ich bin selbst eine Frau. Ich war auch mal jung, obwohl du es dir kaum vorstellen kannst. Aber die Gefühle der Menschen haben sich nicht verändert. Ich kenne auch derartige Männer, die etwas ausstrahlen. Die man nicht besitzen möchte, die aber trotzdem faszinierend sind und bei denen man kaum Widerstand leistet, wenn sie sich mit einem näher beschäftigen wollen. Ist es so?«
»Du hast es erfasst.«
»Wunderbar, Jane. Mögen sich die Zeiten auch verändert haben, die Menschen sind die gleichen geblieben. Hinzu kommt, dass er Künstler ist. Sie sind oft aufregende Menschen. Man glaubt ihnen ihre Marotten. Man ist sogar dankbar, dass es sie gibt. Sie können so extrovertiert sein, wie sie wollen, irgendwo gibt es immer eine Basis des Verständnisses.«
»Kann sein.«
»Hast du denn auch so gedacht?«
Jane schaute zu Boden. »Eigentlich nicht.«
»Dann sag mir doch, was bei eurer ersten Begegnung vorgefallen ist? Wie kam er auf dich zu? Wie hast du ihn erlebt?«
»Düster, wenn ich ehrlich sein soll. Geheimnisvoll. Er schaute mich an, als wollte er auf den Grund meiner Seele blicken. Er ist ein unheimlicher Mensch. Einer, der gut in irgendwelchen Tiefen gewohnt haben kann und aus ihnen wieder in die Höhe gestiegen ist. Er kann Menschen in seinen Bann ziehen.«
»Er oder seine Bilder, Jane?«
»Beides.«
»Gut, das musst du mir erklären.«
»Ich kann ihn nicht einschätzen, was seinen Beruf angeht. Er malt nicht abstrakt, sondern konkret. Sehr realistisch, würde ich behaupten. Seine Bilder vermitteln dem Betrachter eine düstere Welt. Er malt in dunklen Farben ...«
»Was denn? Porträts? Landschaften? Stillleben ...?«
»Alles.«
»Oh – dann scheint er mir wirklich gut zu sein.«
»Das ist er auch«, bestätigte Jane. »Seine Bilder sind nicht tot. Sie leben. Wenn man vor ihnen steht und sie betrachtet, bekommt man den Eindruck, als würde etwas von ihnen auf den Betrachter zukommen. Etwas Unsichtbares. Eine Aura, die das Bild verlässt. Man hat das Gefühl, in das Gemälde hineinzusinken.«
»Interessant«, kommentierte Sarah. »Ist das nur dir so ergangen oder allen anderen Besuchern auch?«
»Das weiß ich nicht. Ehrlich gesagt. Ich habe nicht mit anderen Leuten gesprochen.«
»Klar, verstehe.«
»Aber dass mich dieses Blutgesicht noch in meinen Träumen verfolgte, hätte ich nicht gedacht.« Jane schaute auf das Fenster. »Ich weiß nicht, ob ich es dir gesagt habe, Sarah, aber das Blutgesicht war natürlich. Ein Porträt von ihm. Ein Selbstbildnis.«
»Ja, das weiß ich.«
Die Detektivin fuhr mit einer heftigen Bewegung herum, damit sie die Horror-Oma anschauen konnte. »Und jetzt frage ich dich, warum ich davon träume?«
»Hast du das Bild denn in seiner Scheußlichkeit gesehen?«
»Nein, das ist es ja.« Janes Stimme klang wütend. »Ich habe nur ihn gesehen und natürlich die Bilder. Die allerdings zeigten andere Motive als ihn. Auch nicht das Blutgesicht. Ich weiß selbst nicht, warum ich von dieser Fratze geträumt habe. Im Nachhinein erscheint es mir, als wäre mir der Traum von Nathan Lassalle geschickt worden.«
»Dann müsste er einen Grund gehabt haben.«
»Ja, kann sein.«
»Welchen?«
»Wenn ich das wüsste. Möglicherweise hat er es auf mich abgesehen. Nur kann ich mir kein Motiv vorstellen. Ich habe ihn zuvor nie gesehen. Ich bin auch nicht mit ihm aneinandergeraten. Er war mir ebenso fremd, wie ich ihm fremd gewesen sein muss. Das ist schon alles sehr ungewöhnlich.«
»Wie lautete dein Fazit?«
Jane Collins schaffte sogar ein Lächeln. »Es ist nur eine Theorie und trotzdem simpel. Ich glaube daran, dass dieser Nathan Lassalle es auf mich abgesehen hat.«
Sarah verzog die Lippen. »Grundlos?«
»Das weiß ich eben nicht. Für mich gibt es keinen Grund. Für ihn möglicherweise schon. Ich bin ihm wissentlich nicht begegnet. Ich weiß auch nicht, was ich ihm getan haben könnte, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass da etwas auf mich zukommt und meine nahe Zukunft nicht eben günstig aussieht. Da braut sich was zusammen.« Sie ballte wieder die Hand zur Faust. »Ich komme nur nicht dahinter, was es sein könnte.«
»Was willst du tun? Dich zurückziehen?«
»Nein, auf keinen Fall.«
»Das dachte ich mir auch. Wie ich dich kenne, wirst du das Gegenteil davon unternehmen. Du wirst dich den Problemen stellen. Wahrscheinlich wirst du ihn nicht zum letzten Mal gesehen haben. Oder irre ich mich da?«
»Bestimmt nicht«, erklärte Jane. »Du irrst dich nicht. Ich habe ihn auch nicht zum letzten Mal gesehen, denn ich werde seine Ausstellung noch einmal besuchen.«
»Heute nicht mehr – oder?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Dann solltest du gleich nach unten kommen, denn ich habe Tee aufgesetzt. Vergiss nicht, dass wir uns heute Abend ein Theaterstück anschauen wollen.«
»Ja, das weiß ich.«
Sarah ging zur Tür. »Ich warte dann auf dich.«
Jane lächelte ihr noch zu. »Okay, ich komme, geh schon mal vor. Bis gleich.«
Das Lächeln verschwand, als die Horror-Oma das Zimmer verlassen hatte. Jane hörte noch ihre Schritte auf der Holztreppe. Sie stand mitten im Raum und dachte nach. Ihr Gesicht sah dabei aus, als wäre es umwölkt. Die Lippen hielt sie fest zusammengepresst.
Der Traum war schlimm gewesen, daran gab es für sie nichts zu rütteln. Und sie ging davon aus, dass er zugleich ein Hinweis auf die Zukunft war, die gar nicht gut aussah.
Der Abend war verplant. Eine Boulevard-Komödie in einem kleinen Theater in Soho. John Sinclair war da, die Conollys ebenfalls, auch Suko und Shao. Nach der Vorstellung würden sie noch etwas trinken gehen, denn am nächsten Tag war Samstag. Da konnte man sich ausschlafen.
Jane hatte sich auf diesen Abend wirklich gefreut. Nun war ihr die Laune verdorben worden. Sosehr sich Jane auch bemühte, den Anblick des verdammten Blutgesichts konnte sich nicht aus ihrer Vorstellung vertreiben ...
Der Abend war schon lange geplant gewesen, und es klappte auch. Denn wann schafften sie es mal, alle zusammenzukommen? Terminlich war das immer schwierig. Meist konnten Suko und ich nicht, auch die Conollys waren oft unterwegs – Bill mehr als Sheila –, und Jane Collins ging auch ihrem Job nach.
Jedenfalls hatten wir es geschafft, und auch ich war darüber sehr froh, denn eine Ablenkung tat auch mir gut. Mal nichts mit Geistern und Dämonen zu tun zu haben, sich einfach in den Sessel zu setzen und andere das Programm machen zu lassen.
Dementsprechend gut war meine Stimmung. Ich hatte mir sogar eine Krawatte umgebunden, worüber Shao und Suko staunten, als ich nach nebenan ging, um sie abzuholen. Suko trug einen grauen Anzug und hatte sich für ein dunkelblaues Hemd entschieden, das bis zum Kragen zugeknöpft worden war.
»Bist du verkleidet, John?«
»Du nicht?«
»Etwas schon.«
Shao kam an. »Was habt ihr denn? Ihr seht beide endlich wie normale Menschen aus. Ich finde das chic. Ihr könnt sagen, was ihr wollt. Nicht wahr?«
Suko hob die Arme. »Ich wage keinen Widerspruch.«
»Mit dir kann man sich aber auch sehen lassen«, lobte ich Shao, der das weinrote Kostüm gut stand. Zudem trug Shao die Haare offen. Der Rock war kurz, die Jacke betonte die Linien des Körpers.
Da wir nach der Vorstellung noch ausgehen wollten, hatte ich schon von vornherein erklärt, nicht fahren zu wollen. Das übernahm Suko, und er würde dann auch einen Parkplatz finden müssen, was gar nicht so einfach war, denn an einem Freitagabend waren in London viele Menschen unterwegs.
Es kam, wie es hatte kommen müssen. Wir bekamen Probleme mit dem Parkplatz und hatten schließlich Glück, noch pünktlich ins Foyer zu kommen, wo die anderen bereits auf uns warteten und uns mit den entsprechenden Kommentaren begrüßten.
Zeit für Diskussionen hatten wir nicht, denn wir mussten unsere Plätze einnehmen, die gar nicht so schlecht waren. Wir fanden in der vierten Reihe unsere Stühle.
Das Stück selbst war eine Ehegeschichte mit vielen Verwechslungen. Spritzige Dialoge, Gags, Situations-Komik, und die Besucher waren sehr angetan.
Auch mir gefiel das Stück. Ich lachte sehr oft und wunderte mich dabei, dass die neben mir sitzende Jane Collins ziemlich ruhig war und kaum einen Kommentar abgab. Fast stoisch starrte sie auf die Bühne. Wie jemand, der die Aktionen dort gar nicht wahrnimmt und schlichtweg durch sie hindurchschaut.
Zunächst hielt ich es für eine momentane Laune. Ihr Verhalten änderte sich nicht, und schließlich war ich es leid. Ich stieß sie an und flüsterte ihr ins Ohr. »Was hast du denn? Was ist los mit dir, Jane? Du bist doch sonst anders.«
»Später, John.«
»Wann?«
»In der Pause.«
»Okay.«
Dieser kurze Dialog hatte dafür gesorgt, dass auch meine Konzentration nachließ. Jetzt kreisten meine Gedanken mehr um Jane Collins, obwohl ich zur Bühne hinschaute.
Meiner Ansicht nach hatte Jane Probleme. Und sie war keine Schauspielerin, die so etwas locker hätte überspielen können. Es musste sie schon irgendwas quälen, was mir nicht passte, denn ich hätte ihr gern geholfen.
So kurzweilig das Stück auch war, mir kam die Zeit bis zur Pause plötzlich lang vor, und ich atmete auf, als endlich der Vorhang fiel und sich die Seitentüren öffneten, um die Menschen zu entlassen, die sich dann im Foyer verteilten.
Ich hielt mich an Janes Seite. Sarah Goldwyn sprach mit den Conollys über das Stück. Auch Shao und Suko beteiligten sich an dem Gespräch. Sie alle waren recht angetan, hatten ihren Spaß gehabt, und Janes Gesichtsausdruck passte nicht dazu. Sie schaute zu Boden. Wir gingen langsam, so dass wir immer mehr zurückblieben.
Im Foyer konnte man einen Imbiss zu sich nehmen und auch etwas zu trinken bekommen. Essen wollten wir nichts, deshalb huschten wir so schnell wie möglich an die kleine Bar. Ich stellte mich an, um die Getränke zu holen.
Es wurde Weißwein im Glas angeboten. Ich kaufte zwei Gläser und fand den Weg zu Jane, die neben einer Säule stand und auf eine Wand mit Fotos schaute.
»Dein Wein«, sagte ich und drückte ihr das Glas in die Hand.
»Danke.«
»Cheers.«
Sie lächelte verkrampft, bevor sie trank. Auch ich nahm einen Schluck, ließ das Glas sinken und nickte Jane zu. »Jetzt mal raus mit der Sprache, welche Laus ist dir denn heute über die Leber gelaufen?«
Sie schaute mich etwas spöttisch an. »Laus?« Dann lachte sie. »Wäre wirklich schön, wenn es eine Laus gewesen wäre. Aber das ist leider nicht der Fall.«
»Sondern?«
»Ein Traum.«
Ich grinste. »Wie aufregend.«
»Lass den Spott, John, mir ist es ernst.«
»Okay, pardon. Dann raus damit.«
Sie nickte, trank noch einmal und erzählte mir, was ihr widerfahren war. Ich hörte stumm zu, beobachtete sie genau und bekam auch mit, dass sie unter ihrer kurzen Bolerojacke fror, denn oberhalb des Kleidausschnitts zeichnete sich eine Gänsehaut ab.
Ein Maler mit dem Namen Nathan Lassalle sagte mir nichts. Ich war auch kein Kunstkenner und somit entschuldigt. Jane jedoch beschrieb ihn mir ziemlich genau und vor allen Dingen auch das Blutgesicht, das ihr im Traum erschienen war. Ich hatte die Einzelheiten erfahren und wollte wissen, ob es tatsächlich das Gesicht des Malers gewesen war.
»Das schwöre ich.«
»Und es blutete?«
»Wie ich sagte.«
Ich nahm noch einen Schluck Wein. »Darf ich fragen, was du daraus schließt, Jane?«
»Dass man es auf mich abgesehen hat.« Sie wedelte mit der freien Hand. »Nein, so stimmt das nicht. Ich kann das schon konkretisieren. Dieser Nathan Lassalle hat es auf mich abgesehen. Er will mich unter seinen Einfluss bekommen, wie auch immer. Er ist der Mann im Hintergrund, und er ist auch das verdammte Blutgesicht. Davon bringt mich keiner ab, denn sein Gesicht und das Blutgesicht waren identisch.«
»Hm.« Ich schaute zu Boden. Im Moment war ich überfragt. Jane wartete auf einen Kommentar und nicht vergebens. »Es war schließlich ein Traum, Jane.«
»Das weiß ich. Nur sind Träume nicht eben nur Schäume, John. Das weißt du selbst.«
»Stimmt. Stellt sich die Frage, was du jetzt tun willst.«
»Ganz einfach. Ich werde dieser Ausstellung einen weiteren Besuch abstatten. Ich möchte mich noch einmal umsehen und auch in Kontakt mit Nathan Lassalle kommen.«
»Das traust du dir zu?«
»Hör auf zu reden, John. Ich bin kein kleines Kind. Für mich war dieser Traum so etwas wie ein Signal. Ich soll und werde mich damit auseinandersetzen.«
»Für wie gefährlich hältst du Lassalle?«, erkundigte ich mich nach einer Weile des Nachdenkens.
»Da bin ich ehrlich überfragt. Ich weiß auch nicht, ob er gefährlich ist. Oder ob ich mir alles nur eingebildet habe. Das Blutgesicht jedenfalls möchte ich nicht unterschätzen. Dieser Traum hat mich nicht nur einfach so erwischt. Da steckt schon etwas dahinter. Davon bin ich überzeugt.«
»Soll ich fragen, was?«
»Nein, du würdest keine Antwort erhalten. Ich bin einfach nur der Ansicht, dass es mit mir zusammenhängt. Nicht mehr und nicht weniger. Ich persönlich bin involviert. Es geht nur mich etwas an. Dieser Maler hat sich mit mir in Verbindung gesetzt. Er hat mir sein Blutgesicht geschickt.«
»Hast du dich denn mit ihm unterhalten können, als du die Ausstellung besucht hast?«
»Klar.«
»Und?«
Sie hob den rechten Arm zu heftig an, so dass etwas Wein überschwappte. Ich nahm ihr das Glas ab, während Jane sich die Hand trockenwischte. »Wir haben uns allgemein über Bilder unterhalten, wie man das ebenso tut. Die Ausstellung ist auch nicht nur von mir besucht worden. Es waren andere Gäste da. Es drehte sich wirklich alles nur um die Bilder, John. Nichts Persönliches. Nur eben allgemeine Dinge.« Sie lächelte verhalten. »Ich kann mir wirklich keinen Grund denken, um von Lassalles blutigem Gesicht zu träumen.«
»Er hat dich beeindruckt, Jane.«
»Das stimmt. Auf seine Art ist er ein faszinierender Mensch. Er ist jemand, der Menschen in seinen Bann schlagen kann, ohne auch nur mit ihnen zu sprechen. Allein von seinem Ansehen her, von seiner Aura, die man immer spürt, gewinnt er Einfluss.«
»Wäre Macht nicht das bessere Wort?«
»Da stimme ich dir zu.«
»Du jedenfalls hast ihn nach dem Gesicht nicht vergessen?«
»Das sicherlich nicht«, gab Jane zu. »Er hat auch alles getan, damit ich ihn nicht vergesse. Er ist in meine Träume eingedrungen oder wie auch immer.«
Ich sah die Conollys auf uns zukommen. Auch die anderen waren in ihrer Nähe.
Jane hatte sie ebenfalls entdeckt. »Zu ihnen kein Wort, bitte.«
»Verstanden. Wenn etwas sein sollte, Jane, dann gib mir sofort Bescheid. Versprochen?«
»Ist klar.«
»Hier seid ihr!«, rief Sheila. »Versteckt an einer Säule. Da können wir euch lange suchen.«
Bill zwinkerte mir zu. »Na, Alter, mal wieder ein heißes Date ausgemacht?«
Für diese Bemerkung kassierte er von seiner Frau einen Rippenstoß und musste sich die entsprechende Antwort anhören. »Nicht jeder denkt so wie du, Bill.«
»Wie denke ich denn?«
»Lassen wir das.«
Lady Sarah hielt sich sehr zurück. Sie beobachtete Jane und mich. Ihr konnte man so leicht nichts vormachen. Sie ahnte, worüber wir uns unterhalten hatten.
Die Pause war so gut wie vorbei. Wir kamen nicht mehr dazu, uns über das Stück zu unterhalten. Das Anschlagen des Gongs zeigte an, dass die Pause beendet war.
Gemeinsam gingen wir wieder hinein in den halbdunklen Raum, in dem die Luft jetzt besser war, obwohl es noch immer nach Schminke und auch Puder roch.
Wir nahmen unsere Plätze ein. Jane saß etwas steif neben mir. Sarah und ich rahmten sie ein. Mit der Horror-Oma flüsterte sie einige Sätze, die ich nicht verstand. Möglicherweise drehten sich die Worte um das Blutgesicht, das auch mir nicht aus dem Kopf ging und mich in meiner Konzentration auf das Stück störte. Jane hatte es mir gut beschrieben. Es war tatsächlich eine Fratze gewesen. Das Gesicht des Malers. Entstellt durch Schnitte möglicherweise. Blut, das aus dem Mund rann, der Nase und möglicherweise aus den Augen.