John Sinclair Sonder-Edition 215 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 215 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Die Kelten - ein geheimnisvolles Volk, deren Kultstätten an riesige Leichenfelder erinnern. Grausame Rituale, Folter, Kannibalismus. Abhängigkeit von Druiden und Gelehrten, die ihr Wissen nur mündlich weitergaben.
Alles Märchen? Nein, denn die Fundstätten sind echt. Sie verteilen sich über Europa bis hin nach Kleinasien und waren oft genug magische Orte. Ein fürchterlicher Ritualmord führt Bill Conolly und John Sinclair zu einem dieser Plätze, an dem sie erleben müssen, wie lebendig die alte Zeit noch ist. Durch Magie geraten sie in die Ära der Kelten und damit an einen finsteren Ort, wo eine Pyramide aus Leichen bereits auf sie wartet ...


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Seitenzahl: 199

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Keltenfluch

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Keltenfluch

von Jason Dark

Die Kelten – ein geheimnisvolles Volk, deren Kultstätten an riesige Leichenfelder erinnern. Grausame Rituale, Folter, Kannibalismus. Abhängigkeit von Druiden und Gelehrten, die ihr Wissen nur mündlich weitergaben.

Alles Märchen? Nein, denn die Fundstätten sind echt. Sie verteilen sich über Europa bis hin nach Kleinasien und waren oft genug magische Orte. Ein fürchterlicher Ritualmord führt Bill Conolly und John Sinclair zu einem dieser Plätze, an dem sie erleben müssen, wie lebendig die alte Zeit noch ist. Durch Magie geraten sie in die Ära der Kelten und damit an einen finsteren Ort, wo eine Pyramide aus Leichen bereits auf sie wartet ...

»Mutter? Mutter? – Bist du da?«

Das erste Wort hatte Tony Hellman normal laut gerufen, die nächsten beiden schon stärker. Eine Antwort erhielt er trotzdem nicht.

Im Halbdunkel des Hauseingangs blieb Tony stehen, den Griff der Tür noch festhaltend. Sehr langsam schloss er sie schließlich. Danach wartete er ab. Ein- und ausatmen, sich beruhigen. Es würde alles seinen Gang gehen und auch seine Richtigkeit haben. Nur nicht überreagieren. Es gab nichts Unnormales an diesem späten Abend. Es war wie immer. Es hatte sich nichts verändert.

Tatsächlich nicht? Etwas war schon anders, da konnte Tony denken, was er wollte. Diese Ruhe, die er sich nicht erklären konnte, weil sie anders war als die normale.

Wie oft war er später nach Hause gekommen, oftmals weit nach Mitternacht. Er hatte seine Mutter stets schlafend im Bett vorgefunden, denn es gehörte zu Tonys Angewohnheiten, wenn er später nach Hause kam, einen Blick in das Schlafzimmer der Mutter zu werfen. Das hatte er auch jetzt vor, und trotzdem tat er es nicht. Stattdessen stand er vor der Haustür und lauschte in die Stille hinein.

Ja, diese Ruhe. Auch eine Leere. Die Mutter schien das Haus verlassen zu haben. Gleichzeitig hatte sich ihr Geist verflüchtigt, das gute Omen, das Positive, das sie ständig um sich verbreitet hatte. Eine Frau, die mit dem Leben fertig geworden war, trotz ihres Daseins als Witwe. Das alles war nicht mehr vorhanden, denn Tony hatte diese Ausstrahlung auch gespürt, wenn seine Mutter geschlafen hatte.

Jetzt nicht mehr.

Alles war weg. Geblieben war die bedrückende Stille. Sie schien ihn zu warnen und zugleich anzuziehen. Es kam ihm vor, als wäre das Haus durch fremde Kräfte besetzt. Hellman verfolgte den Gedanken lieber nicht. Er wusste, dass es Dinge gab, mit denen er nicht spaßen solle. Es war besser, wenn er sie aus seinen Gedanken verbannte.

Die Gedanken sollten nicht abdriften. Er wollte sich einzig und allein auf die Mutter konzentrieren. Sie aber war so fern, obwohl Mutter und Sohn stets blendend miteinander auskamen.

Es hatte keinen Sinn, noch einmal nach ihr zu rufen. Es war besser, die schmale Treppe nach oben zu gehen und in ihrem Schlafzimmer nachzuschauen.

Zuerst machte er Licht. Normalerweise hätte er aufatmen müssen, als die Dunkelheit verschwunden war. Das tat er jedoch nicht. Ihm kam nicht einmal der Gedanke. Er blieb nahe der Haustür stehen und wartete ab. Es konnte ja sein, dass seine Mutter den Lichtschein bemerkt hatte, weil sie noch nicht schlief. Das wiederum stimmte auch nicht. Sie rief nicht nach ihm, sie war auch nicht aufgestanden, um auf die Treppe zuzugehen, auf deren letzten Stufen sich der Lichtschein verlor.

Tony schaute sich um. Die kleine Diele. Die schmalen Türen, die zu den Räumen hier unten führten. Die Tür zur Küche stand offen. Er konnte die alten Möbel sehen. Selbst ihre Umrisse kamen ihm irgendwie bedrohlich vor.

Als er sich bewegte, erhielten die Bohlen Druck. Sie knarzten leise, denn es gab keinen Teppich. Hellman durchsuchte die unteren Zimmer nicht, er ging direkt nach oben. Mit jeder Stufe, die er zurückließ, klopfte sein Herz schneller. Furcht, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte, stieg in ihm hoch.

Er ging nicht leise und trat normal auf. Noch immer hoffte Tony, dass seine Mutter ihn hörte, erwachte und auch nach ihm rief. Eine trügerische Hoffnung, die sich nicht erfüllte, und so setzte er seinen Weg fort.

Das Geländer schimmerte matt. Er ging dem Halbdunkel entgegen. Schatten hatten sich eingenistet. Der Flur am Ende der Treppe sah so anders aus. Wie von einer anderen Welt umklammert, die noch manch böse Überraschung für ihn bereithielt.

Am Beginn des Flurs blieb er stehen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Tony fühlte sich wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal in einen dunklen Keller tritt und sich davor fürchtet. Wie auch der Junge etwas Schreckliches erwartete, schattenhafte Monstren und Ähnliches, so dachte auch er daran, dass etwas in seine Welt eingedrungen war, mit dem er nicht mehr fertig wurde.

Das Herz schlug schneller, aber Tony schaffte es, darüber nachzudenken, was da passiert war. Es war ja seine Schuld. Er hatte nicht aufgeben können. Er hatte die Warnungen erlebt, sie jedoch als lächerlich abgetan, obgleich er schon wusste, auf welch dünnes Eis er sich begeben hatte.

Ja, er hatte es nicht anders gewollt. Er hatte nicht aufhören können. Er hatte einfach immer weitergemacht und stand nun dicht vor dem Ziel. Den großen Vorhang hatte er bereits spaltbreit geöffnet. Jetzt lag es einzig und allein an ihm, ob er ihn ganz aufziehen und die Wahrheit sehen oder ihn geschlossen lassen wollte.

Nein, letzteres ging nicht mehr. Er war den Weg gegangen. Er war eingetaucht in die andere Welt und musste sich ihren verdammten Problemen stellen.

Tony ging weiter.

Einer, der Blei in den Beinen spürte. Der seine Füße kaum noch vom Boden hochbekam. Der über die Bohlen hinwegschlurfte, der sich von einer Kälte und Hitze zugleich eingeklemmt fühlte und plötzlich den eisigen Hauch wahrnahm, der dicht an seinem Gesicht vorbeistreifte. Ein kleiner Schock. Er hatte einen derartigen Hauch nie zuvor gespürt. Wie der letzte Gruß eines Toten.

Tony hätte am liebsten geschrien. Nach Hilfe gerufen. Jemand gebeten, zu ihm zu kommen und ihm zur Seite zu stehen. Das alles war so wichtig, aber es gab keinen Menschen, der ihm zu Hilfe gekommen wäre. Er musste diesen verdammten Weg allein gehen, bis zum bitteren Ende.

Der Gang war kurz. Er war eng. Er war auch am Tag düster. Seine Mutter hatte an den Wänden helle und freundliche Bilder aufgehängt, um die Atmosphäre aufzulockern. Davon war nichts zu sehen. Die Dunkelheit verschluckte alles.

Das Zimmer lag auf der linken Seite. Es war klein wie alle anderen auch. Eine schmale Tür, die niedrige Decke, aber es passte zum übrigen Baustil. Ein Haus, das mehr ein Häuschen war.

Hier oben waren seine Schritte kaum zu hören, weil der dünne Teppich die Geräusche schluckte. Wie ein Schatten geisterte er weiter, immer noch mit dem Gefühl, nicht allein zu sein. Jemand hatte sich hier eingenistet. Etwas Fremdes, Unheimliches, das einfach nicht in diese Welt hineingehörte.

Vor der Tür des mütterlichen Schlafzimmers blieb Tony stehen. Sie war nicht geschlossen. Seine Mutter tat es nie. Die Tür stand auch in der Nacht einen Spalt offen. Gladys Hellman wollte sich nicht wie in einem Sarg liegend vorkommen. Den Eindruck hätte sie bei geschlossener Tür gehabt.

Aufstoßen, hineingehen, das Licht einschalten – es war alles so simpel und alltäglich.

Trotzdem zögerte Tony.

Er tat es nicht.

Stattdessen stieg ein Gefühl in ihm hoch, das ihm Tränen in die Augen trieb. Er trauerte um seine Mutter. Er wusste, dass etwas in dem vor ihm liegenden Zimmer passiert war. Nur wollte er es noch nicht akzeptieren.

Seine Mutter schlief ruhig. Sie schnarchte kaum. Aber sie atmete wie jeder Schlafende.

Und genau diese Atemzüge hörte er nicht. Im Zimmer hinter der Tür war es einfach nur still. Und abermals kam ihm die Stille so gespenstisch und schrecklich vor. Eine Totenstille, die ihn umklammerte wie ein Reif.

Hinter seiner Stirn zuckte es. Er spürte, dass sich die Haut an den Schläfen bewegte, und wischte dann seine Tränen weg. Er wollte nicht weinen. Er hatte verdammt viel durchgemacht und musste sich nun zeigen wie ein Mann.

Tony Hellman sprang über seinen eigenen Schatten, als er die Tür nach innen stieß.

Ein Tor öffnete sich. Der Vorhang wurde zur Seite gezogen, um dem Zuschauer die offene Bühne zu zeigen, auf der die Dunkelheit ein besonderer Gast war.

Sie deckte alles ab. Sie hatte sich ausgebreitet. Sie lag wie ein graues Gespenst im Zimmer.

Normalerweise hätte Tony das Licht eingeschaltet. In diesem Fall traute er sich nicht. Es blieb dunkel, und er verließ sich auf das Licht, das vom Flur her über die Schwelle sickerte und einen helleren Umriss von ihr schuf.

Tony trat in diese Insel ein. Er sah seinen eigenen Schatten. Es war völlig normal. Trotzdem kam es ihm vor, als hätte die Seele seinen Körper verlassen.

Wieder ein kleines Zimmer. Darin stand ein breites Bett. Darin hatte seine Mutter früher auch mit dem Vater gelegen, als dieser noch am Leben gewesen war. Der Umriss des Betts malte sich vor ihm ab. Seine Mutter schlief mit dem Kopf unter den beiden schmalen Fenstern, kaum größer als Luken.

Rechts von ihm stand der Schrank, in dem Gladys Hellman ihre wenigen Habseligkeiten aufbewahrte. An der linken Seite hing der ovale Spiegel an der Wand. Davor stand ein Hocker mit dunkelrotem Polster.

Früher hatte Gladys stets davor gesessen und ihr Haar gekämmt. Da war es noch dunkelblond gewesen. Im Laufe der Zeit jedoch war es ergraut, denn auch sie konnte dem Alter einfach nicht entweichen.

Tony blinzelte. Er hatte bewusst nicht sofort zum Bett hingeschaut. Seine Augen hatten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen müssen, und er traute sich auch nicht, das Licht einzuschalten, weil ihn der zu erwartende Schock nicht so plötzlich treffen sollte.

Der lange Blick auf die Mitte des Betts. Dort lag seine Mutter immer, und dort lag sie auch jetzt.

Für einen Moment durchströmte ihn Erleichterung. Sie war also noch da. Sie lag im Bett – und ...

Verdammt! Warum atmete sie nicht? Warum hörte er nichts? Seine Mutter war so ruhig wie eine Tote, und wieder rieselten Eiskörner über seinen Körper hinweg.

Er atmete laut und konnte sich auch kaum beherrschen. Deshalb war kein anderes Geräusch zu hören. Zumindest redete sich Tony das ein.

Ein Griff zum Schalter war nur eine kleine Bewegung. Danach würde er Gewissheit erhalten, und Tony hoffte aus tiefstem Herzen, dass seine Hoffnungen nicht enttäuscht wurden.

Er streckte den Arm zur Seite. Langsam. Es dauerte viel länger als normal.

Unter der Decke befand sich die Lampe mit den vier Armen, an deren Ende die flachen Schalen saßen. Er wusste, dass drei Birnen intakt waren; die vierte hatte schon vor Monaten ihren Geist aufgegeben und war bisher nicht ausgewechselt worden.

Es wurde hell.

Nicht strahlend, aber so, dass er alles erkennen konnte. Vor allen Dingen das Bett.

Dort lag seine Mutter auf dem Rücken. Ihre Gestalt zeichnete sich unter dem dünnen Laken ab. Er sah auch ihre Schultern, die über dem Rand hervorragten.

Aber er sah noch mehr.

Das Blut – und ...

Es war ein Schock, wie ihn kaum ein Mensch in seinem Leben durchleiden musste. Tony allerdings bekam ihn ohne Vorwarnung präsentiert. Was er sah, wollte er nicht glauben. Es war einfach zu ungeheuerlich, aber leider eine Tatsache.

Seiner Mutter fehlte der Kopf!

Was Tony Hellman in diesen schrecklichen Momenten des Erkennens dachte, war für ihn nicht nachvollziehbar. In seinem Kopf war ein einziges Durcheinander entstanden. Er wünschte sich weit weg. Hoffte, fliegen zu können, und dabei aus dem Traum zu erwachen.

Das alles trat nicht ein. Die Realität ließ sich nicht durch irgendwelche Wünsche beeinflussen. Tony Hellman stand einfach nur da. Er wusste nicht, ob er still war oder schrie. Er war irgendwie als Mensch aus dem normalen Leben herausgelöst worden und schaffte es nicht, über diesen Schrecken nachzudenken. Er spürte nur den harten Stoß gegen den Kopf, den er sich beigebracht hatte, als er ins Trudeln geraten und gegen die Türkante gestoßen war.

Die Schmerzen waren der Erlöser. Sie rissen ihn aus seiner Lethargie, was ihm auch nicht passen konnte, denn wiederum wurde ihm so drastisch bewusst, was sich da im Licht der Deckenleuchte zeigte. Es war nicht zu fassen, furchtbar. Eine Frau ohne Kopf, bis beinahe zu den Schultern hin zugedeckt, lag tot im Bett. Und diese Frau war seine Mutter Gladys.

Aber das war nicht alles. Auch das Blut konnte er nicht übersehen. Es hatte sich zum größten Teil auf dem Kopfkissen verteilt. Dort bildete es eine große Insel und war auch in das Kissen hineingesickert. Ein wahnsinniger Hass strömte plötzlich in ihm hoch. Nicht einmal auf den Täter, sondern auf die verdammten Fliegen, die über der Blutlache ihre Kreise zogen und manchmal auch darauf landeten.

Endlich konnte sich Tony bewegen. Wie viel Zeit seit der Entdeckung vergangen war, konnte er nicht sagen. Seine Knie waren weich. Als er den ersten Schritt versuchte, kam er sich vor wie jemand, der das Laufen lernt.

Und er stellte fest, dass er weinte. Nicht einmal laut. Leise, beinahe schon lautlos, aber die Tränen rannen an seinen Wangen entlang. Er war in die Lücke hineingetreten, die es zwischen Bett und Wand auf der linken Seite gab, und dann erwischte ihn der nächste Schock.

Bisher hatte er den Kopf seiner Mutter noch nicht gesehen. Plötzlich aber entdeckte er ihn.

Der Killer hatte ihn neben dem Bett auf den Boden gestellt!

Tony Hellman ging nicht mehr weiter. Der erneute Anblick raubte ihm die Kraft. Diesmal erwischte ihn der Schwindel, und er musste sich einfach auf das Bett setzen, wobei er dicht neben dem Körper seiner Mutter hockte.

Wieder überfiel ihn ein Weinkrampf. Seiner Mutter konnte niemand mehr helfen, sie lebte nicht mehr. Jemand hatte sie eiskalt umgebracht, aber nicht nur einfach getötet, sondern sie durch ein besonderes Ritual aus dem Leben gerissen.

Tony wusste, dass er nicht ganz unschuldig daran war. Er hatte diesen Schrecken zwar nicht heraufbeschworen, doch indirekt fühlte er sich schon schuldig. Er hätte es wissen müssen, denn er hatte sich mit Dingen beschäftigt, die gefährlich werden und ausufern konnten. Er hatte sich zu sehr auf seine Forschungen versteift und hätte gewisse Dinge ruhen lassen sollen. Warnungen hatte es ja gegeben, aber er war so besessen gewesen, dass er sie missachtet hatte.

Die anderen hatten sich gerächt. Und dies an seiner Mutter, die mit den Dingen überhaupt nichts zu tun gehabt hatte.

In seinem Innern hatte sich die Kälte festgesetzt wie eine dicke Platte aus Eis. Sein Körper war einfach schlapp. Er hätte sich auch jetzt nicht erheben können. Das Zittern, das Weinen, alles kam zusammen. Zugleich allerdings wusste er, dass es weitergehen musste. Er konnte nicht für immer hier sitzen und trauern.

Es gab noch ein Leben danach. Und dieses Leben hatte jetzt und hier begonnen. Er stützte sich links und rechts ab. Das Bett gab etwas nach, und nur mühsam und von einem leichten Schwindel gepackt kam er in die Höhe. Das Zimmer drehte sich scheinbar vor seinen Augen. Die Kälte in seinem Innern war wie ein böser Feind, der ständig zubiss, und er spürte auch das Brennen in seinen Augen. In der Kehle saß ein dicker Kloß, sein Gesicht war aufgedunsen, zudem bleich und rot, und er musste sich selbst überwinden und schon mehr als über den eigenen Schatten springen, um das zu tun, was nötig war.

Normalerweise hätte er die Polizei holen müssen. Das würde er auch noch tun, aber es gab auch Dinge, die er einfach nicht vor sich herschieben konnte.

Bei seiner nächsten Tat hätte Tony am liebsten die Augen geschlossen. Das brachte er jedoch nicht fertig. Er hielt sie offen, er starrte auf den Kopf seiner Mutter.

Einen zögernden Schritt ging er nach vorn und streckte dabei vorsichtig die Arme aus. Die gespreizten Hände näherten sich dem Kopf. Tony sah, wie stark seine Finger zitterten.

Der Kopf seiner Mutter stand so, dass er ihn anschaute. Er selbst schloss die Augen. Er würde es später genauer untersuchen. Zunächst einmal musste er den Kopf aus dem Schatten des Betts heben.

Er legte die Hände gegen die Seiten des Kopfes. Die Berührung war schlimm. Das Gefühl, das ihn dabei durchströmte, konnte er nicht in Worte fassen. Es war da, aber es war schrecklich, und Tony wollte nicht daran denken.

Als der Kopf schließlich auf dem Bett stand, direkt neben dem Körper und dem blutdurchtränkten Laken, da wusste er nicht, wie er es überhaupt geschafft hatte.

Das Gesicht seiner Mutter war ihm zugedreht. Er schaute sie an, sie hatte ihren Blick auf ihn gerichtet.

Augen, in denen kein Leben mehr war. Eine weißgraue Haut, bedeckt von Blutspritzern. Ein halb offenstehender Mund, den bisher niemand geschlossen hatte. Das graue Haar drängte sich auf dem Kopf zusammen. Auch in die Strähnen hinein war das Blut gespritzt und hatte Büschel miteinander verklebt.

Er war immer so stolz auf seine Mutter gewesen. Sie hatte toll ausgesehen. Sie war in Ordnung gewesen und hatte ihn immer wieder unterstützt. Sie hatte dafür gesorgt, dass er studieren konnte. Sie hatte ihn großgezogen. Es war alles so okay gewesen. Über sein Verhältnis zu ihr hatte er sich nicht beschweren können, doch was nun von ihr zurückgeblieben war, das sah er als Zerrbild an.

Trotzdem streichelte er den Kopf. Mit den Händen fuhr er durch das Haar, und es machte ihm auch nichts aus, dass seine Haut durch das Blut befleckt wurde.

»Es tut mir leid, Mutter. Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich weiß, dass ich schuld bin. Ich weiß es ...«

Er wollte wieder weinen, doch diesmal schaffte er es nicht. Etwas brannte in seinem Körper. Er nahm es wie eine Flamme hin, die hochgestiegen war. Einordnen konnte er das Gefühl nicht. Er dachte an etwas Bestimmtes, auch an Rache, und senkte den Blick, als er den Kopf losließ.

Was er vor Kurzem mehr geahnt als gesehen hatte, sah er nun als eine Tatsache. Der oder die Mörder hatten sich nicht damit zufriedengegeben, seiner Mutter den Kopf abzuschneiden, nein, sie waren noch einen Schritt weitergegangen und hatten ihr den Unterkiefer aus dem Mund hervorgebrochen.

Aus diesem Grunde hatte das Gesicht so schief ausgesehen. Der untere Teil war zerhämmert worden. Jemand hatte ihn brutal zerstört, und er wusste nicht, ob es vor oder nach dem Tod geschehen war. Tony hoffte, dass sie es gnädig gemacht hatten.

Er nickte vor sich hin. Es war ein Ritualmord gewesen. Kein normaler Raubmord. Und es hing einzig und allein mit ihm und seinen Nachforschungen zusammen. Mit seinem Beruf wie auch immer, denn der hatte ihn in die tiefe Vergangenheit und in Gebiete hineingeführt, in der die Magie dumpfe Urstände feierte. Er hatte darin herumgestochert wie in einem Wespennest.

Er hatte den Rat nicht annehmen wollen. Sein Forscherdrang war nicht zu stoppen gewesen, und nun hatte ihm die Gegenseite gezeigt, wozu sie fähig war. Ein gebrochener Unterkiefer. Die andere Seite hatte seine Mutter als Hexe eingestuft. Es hatte ihnen nicht gereicht, ihr den Kopf abzuschneiden, nein, sie wollten ganz sichergehen und hatten ihr den Unterkiefer gebrochen, um postmortale Bannflüche gegen die Lebenden zu erschweren.

Der alte Ritus, der Kannibalismus, es gab ihn noch. Schon in den Schriften der alten Griechen war darüber berichtet worden. So hatte Strabo geschrieben, dass die Söhne ihre toten Väter verzehrten, und zahlreiche Keltenfunde hatten dies bestätigt.

Und er, Tony, war Experte. Nicht grundlos hatte er das Buch über die Bestattungsriten der Kelten geschrieben. Nun aber hatte ihn ihr Fluch erreicht, der noch über den Tod hinaus vorhanden war. Das zu begreifen, fiel ihm schwer, aber er musste sich damit abfinden. Immer mehr fühlte er sich wie ein Zauberlehrling, dem das Können des Meisters über den Kopf gewachsen war.

Tony ließ den Kopf seiner Mutter auf dem Bett stehen. Dass er nicht noch Stunden hier im Schlafzimmer verbringen konnte, war ihm klar. Er musste aufstehen und gehen, aber er strich noch einmal liebevoll über das Gesicht der toten Frau hinweg, und es machte ihm dabei nichts aus, dass er das Blut verschmierte.

»Mum«, flüsterte Tony. »Für dich ist es das Ende gewesen, aber nicht für mich, das schwöre ich dir. Ich mache weiter. Ich werde mich nicht beugen. Ich bleibe am Ball, das kann ich dir versprechen. Ich werde dich rächen, auch wenn ich selbst dabei draufgehen sollte. Ich weiß, dass es einen Fluch gibt, den aber werde ich stoppen, vernichten, brechen, und ich habe die Kraft dazu ...«

Bei den letzten Worten versagte ihm die Stimme. Er musste einfach weinen und spürte zugleich einen wahnsinnigen Zorn und Hass in sich hochsteigen. Er stand dicht davor, zu schreien und Amok zu laufen, doch er riss sich zusammen.

Dann drückte er sich hoch. Er stand steif auf. Er zitterte. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Wie jemand, der eine schwere Last zu tragen hat, ging er auf die Tür zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er würde seine Mutter stets in Erinnerung behalten und versuchen, sie sich als lebende Person vorzustellen.

Im Flur musste er sich gegen die Wand lehnen, um sich etwas von seiner Schwäche zu erholen.

Irgendwann ging er auf die Treppe zu. Hier oben wollte Tony nicht bleiben. Er wusste nicht, was er in der nächsten Zeit unternehmen sollte. Er wollte nur seine Rache durchführen, das war alles.

Irgendwann erreichte er das Wohnzimmer. Er machte kein Licht. Im Dunkeln tastete er sich vor und kümmerte sich nicht darum, dass er hin und wieder gegen die Ecken irgendwelcher Möbelstücke stieß. Er ließ sich in den Sessel fallen, in dem seine Mutter oft gesessen und ferngesehen hatte.

Auf dem Weg dorthin nahm er die Flasche mit dem Whisky aus dem offenen Barfach. Er streckte seine Beine aus. Er öffnete die Flasche und trank das Zeug in kleinen Schlucken.

Es machte ihn nicht eben klarer. Das wollte er auch nicht. Er hatte nur vor, sich zu betäuben. Wenigstens für einige Stunden den Schrecken vergessen, bevor er wieder damit konfrontiert wurde.

Es ging ja weiter. Es musste weitergehen. Er konnte seine Mutter auch nicht einfach im Bett liegenlassen. Die Polizei würde kommen und ihm Fragen stellen.

Ja – und dann? Was sollte er den Leuten sagen? Von den Kelten sprechen? Von ihren Ritualen und den Flüchen und ihrer Lust am Kannibalismus? Würden sie ihm glauben, wenn er über die Druiden sprach, über die die Menschheit so wenig wusste?

Nein, sie würden ihm nichts glauben. Auch wenn sie ihn nicht für den Mörder der Mutter hielten, würden sie ihn einsperren und zunächst einmal Verhören unterziehen. Da würde verdammt viel Zeit vergehen, die er allerdings brauchte. Er konnte jetzt nicht aufgeben und alles liegen und stehen lassen.

Wieder ein Schluck. Diesmal brannte der Whisky nicht mehr so stark in der Kehle. Er schloss die Augen und merkte, wie er allmählich ›wegschwamm‹. Die Gegenwart veränderte sich, sie wurde leicht, und er kam sich vor wie auf einer Wolke sitzend.

Wieder irrten Gedanken durch Tonys Kopf. Warum bin ich nicht in Irland geblieben? Fragte er sich. Warum musste ich nach London kommen? Es hatte einen Grund gegeben. Es war die plötzliche Angst um seine Mutter gewesen, und sie hatte sich als berechtigt erwiesen.

Tony Hellman stellte die Flasche neben den Sessel. Er wollte sie plötzlich nicht mehr. Noch mehr Alkohol tat ihm nicht gut. Das Zeug brachte ihn nur durcheinander. Trotz der schrecklichen Ereignisse musste er jetzt einen klaren Kopf behalten, denn es würde weitergehen, das stand fest.

Tony wollte dabei mithelfen. Das Schicksal konnte er nicht beeinflussen, doch er wollte versuchen, es in eine bestimmte Richtung zu drehen, um sich ihm stellen zu können.

Er war Ire. Auch seine Mutter war Irin gewesen. Ebenso wie seine Freundin Cella Lintock Irin war. Sie alle stammten vom Volk der Kelten ab, aber nur die wenigsten wussten, was und wie dieses Volk tatsächlich gewesen war.

Wie grausam auf der einen und wie fortschrittlich auf der anderen Seite. Das bewiesen die großen und vielen Funde, an denen auch er mitgewirkt hatte.

Tony kam sich schwer vor, auch müde. Er würde jedoch nicht schlafen können, das stand fest. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, und allmählich schälte sich etwas hervor.

Er brauchte Hilfe!