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Sedonia, die blinde Prinzessin aus Atlantis, sah plötzlich eine Chance, ihr Augenlicht zurückzuerhalten. Auch wenn der Weg schwer war, sie ging ihn, und sie ging ihn allein, ohne ihren Beschützer, den Eisernen Engel.
Zur selben Zeit entführte Myxin, der kleine Magier, mich in die Vergangenheit, in das ferne Atlantis. Genau an die Heilige Stätte, an der ein geheimnisvolles Orakel stand. Es führte mich und Sedonia zusammen. Ich sollte miterleben, wie sie ihr Augenlicht zurückerhielt. Beide ahnten wir nicht, dass wir nur willenlose Figuren in einem Spiel waren, dessen Regeln der Schwarze Tod bestimmte ...
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Fluchtpunkt Atlantis
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Fluchtpunkt Atlantis
von Jason Dark
Sedonia, die blinde Prinzessin aus Atlantis, sah plötzlich eine Chance, ihr Augenlicht zurückzuerhalten. Auch wenn der Weg schwer war, sie ging ihn, und sie ging ihn allein, ohne ihren Beschützer, den Eisernen Engel.
Zur selben Zeit entführte Myxin, der kleine Magier, mich in die Vergangenheit, in das ferne Atlantis. Genau an die Heilige Stätte, an der ein geheimnisvolles Orakel stand. Es führte mich und Sedonia zusammen. Ich sollte miterleben, wie sie ihr Augenlicht zurückerhielt. Beide ahnten wir nicht, dass wir nur willenlose Figuren in einem Spiel waren, dessen Regeln ein anderer bestimmte: der Schwarze Tod!
Der Eingang sah aus wie das Tor zur Hölle!
Ich blieb vor dieser gewaltigen Kulisse stehen und kam mir so unendlich klein vor. Eine verloren wirkende Gestalt im graugrünen Zwielicht, umgeben von den mächtigen Felsen der mir unbekannten Küste, umdröhnt von Brechern der Brandung, die das Meer mit ungeheurer Wucht gegen die Klippen schlug.
Bis zu mir hin flog die Gischt, deren Tropfen mein Gesicht berührten, auf den Lippen klebten und deren salzigen Geschmack ich wahrnahm. Diese Gegend war so etwas wie das Ende der Welt. Oder der Anfang der Zeiten, als die Erde noch wüst und leer gewesen war und sich die Elemente austoben konnten.
Ich war nicht allein. Ein Begleiter hatte mich hergeholt und mich für einen Moment allein gelassen, um noch etwas zu erledigen. Es war Myxin, der kleine Magier, ehemaliger Dämon aus dem alten Atlantis, jetzt geläutert und mit Kara, dem Eisernen Engel und dessen blinder Freundin Sedonia bei den flaming stones lebend.
Seine Mitbewohner hielten sich nicht in der Nähe auf. Myxin war allein gekommen. Ich wusste nicht einmal, ob er sie informiert hatte. Es war auch nicht mein Problem. Myxin war plötzlich bei mir erschienen, um mich mit auf die Reise zu nehmen. Was bei ihm immer bedeutete, dass es für uns keine normalen Grenzen gab. Dank seiner Kraft waren wir in der Lage, Räume und Zeiten zu überbrücken.
Ich ging auch davon aus, dass er mich nicht aus Spaß in diese einsame Gegend geschafft hatte, die für mich unbedingt menschenfeindlich war, denn es gab weder Gräser, Büsche oder normales Süßwasser.
Nur das Meer, die Felsen, die Brandung und eben dieses breite, von der Natur geschaffene Tor. Der Zugang zu einer großen Höhle innerhalb der Felswand. Myxin hatte mir nicht gesagt, weshalb er verschwunden war. Ich stand einfach da und wartete auf ihn. Er würde mich schon nicht lange allein lassen.
Auch von meinen Freunden wusste niemand, wo ich mich aufhielt. Die Sache sollte zunächst einmal nur Myxin und mich angehen. Nähere Gründe hatte er mir nicht mitgeteilt.
Wo bin ich? Diese Frage hatte ich mir oft gestellt, es dann aber aufgegeben, sie immer zu wiederholen. Es brachte einfach nichts. Das konnte Atlantis sein, aber auch ein anderes Festland oder eine Insel, die jetzt noch existierte und nicht, wie Atlantis, untergegangen war.
Es war zu laut in meiner Umgebung, als dass ich irgendwelche Tritte gehört hätte. Deshalb war ich kaum überrascht, als Myxin plötzlich aus dem Hintergrund auftauchte und mit gemessenen Schritten auf mich zukam. Er verschmolz mit dem Dämmerlicht der Höhle. Erst allmählich schälte er sich hervor. Ich kam nicht darum herum, ihn anzuschauen und musste zugeben, dass er sich nicht verändert hatte. Er sah aus wie immer. So hatte er auch schon vor mehr als zehntausend Jahren ausgesehen, als er den Kampf gegen den Schwarzen Tod verloren hatte und auf den Grund der Tiefsee in einen magischen Schlaf hineingeraten war, aus dem ich ihn schließlich erweckt hatte. Ich kannte sein Schicksal. Er war Herr der Schwarzen Vampire gewesen, ein Dämon und zugleich ein Feind der Menschen.
Nach seiner Befreiung hatte sich das geändert. Der Grund war auch Kara, die Schöne aus dem Totenreich. Sie und Myxin mochten sich und hatten ihr neues Zuhause bei den Flammenden Steinen gefunden, einem für Menschen unsichtbaren Refugium, in dem ewiger Frühling herrschte und so einem Traum vieler Menschen gleichkam. Es war für die kleine Gruppe ein guter Platz, denn die mit einer starken Magie gefüllten Steine ermöglichten es ihnen, Zeitreisen zu unternehmen, wie zurück in das alte Atlantis, als es noch existiert hatte.
Er war klein. Trug immer eine lange Jacke oder schon einen Mantel. Das Gesicht war von einer dünnen Haut bedeckt, die grünlich schimmerte. Dunkle Augen, ein schmaler Mund, hochstehende Wangenknochen und eine breite Stirn, auf der sich keine einzige Falte abzeichnete.
Er nickte mir zu.
Ich verstand die Geste nicht so recht und erkundigte mich, ob er zufrieden war.
»Wie man's nimmt, John.«
»Und was heißt das, bitte?«
»Es ist noch alles vorhanden.«
Ich begriff zwar nichts, fragte trotzdem weiter. »Du sprichst von dem Platz, den du besucht hast, denke ich.«
»Ihn meine ich.«
Myxin fügte nichts hinzu, obwohl er mir meine Spannung ansehen musste. »Kann ich ihn auch sehen? Ist er etwas Besonderes?«
»Deshalb habe ich dich mitgenommen.«
Das war immerhin etwas. Zufrieden konnte ich trotzdem nicht sein. »Jetzt pass mal auf«, sagte ich. »Ich denke, dass wir uns recht lange kennen. Wir brauchen keine großen Geheimnisse voreinander zu haben. Aber ich begreife nicht, was das alles zu bedeuten hat. Du erscheinst mitten in der Nacht in meiner Wohnung, holst mich aus dem Schlaf, wir unternehmen eine magische Reise in diese wilde Gegend, aber du hast mir wenig darüber gesagt. Ich weiß nicht, wo wir uns befinden. Ob wir noch in der normalen Welt sind oder es geschafft haben, durch einen Zeitsprung nach Atlantis zu gelangen. Ich fühle mich zwar nicht reingelegt, bin aber verwundert.«
Der kleine Magier nickte, als wollte er dadurch jedem meiner Worte zustimmen.
»Lass dich überraschen, John. Bitte, du musst mir vertrauen. Diese Stätte hier ist nicht für jedermann bestimmt.«
»Das nehme ich an. Wer würde sich hier schon wohl fühlen, sage ich mal?«
»Das auch«, gab er zu. »Gewisse Tatsachen lassen sich eben nicht ändern. Auch nicht, wenn sehr lange Zeiten vergangen sind. Vieles bleibt wie es ist.«
»Das habe ich verstanden. Wie geht es weiter?«
»Du wirst mich in die Höhle begleiten.«
Ich lächelte. »Das habe ich doch schwer gehofft, denn diesen Ort kenne ich noch nicht.«
»Er ist auch nur wenigen bekannt.« Mehr sagte Myxin nicht. Er drehte sich nur um und deutete somit an, dass ich ihm folgen sollte. Es fiel mir nicht schwer, denn meine Spannung stand dicht vor dem Siedepunkt. Myxin hatte mich nicht grundlos hergeholt, und ich ging davon aus, dass ich sicherlich etwas Besonderes zu sehen bekam, von dem ich nicht einmal etwas ahnte.
Zunächst war alles normal. Abgesehen von dem breiten und hohen Eingang, hatte ich schon des Öfteren Höhlen betreten und auch manchen Stress dort erlebt. Hier verhielten sich die Dinge wie immer. Ein normaler Felsboden, natürlich nicht glatt, sondern beulig und mit unterschiedlich hohen Steinen bedeckt, die an den Seiten zusammengewachsen waren. Es herrschte eine klare Luft, denn der Seewind konnte ungehindert durch den breiten Eingang wehen.
Die Höhle erinnerte mich an eine Kirche. Eine leere Kirche. Wände, eine Decke. Grau in Grau und trotzdem von einem grünen Schimmer unterlegt. Ich wusste selbst nicht, wo die Quelle dieses Lichts lag, aber sie war vorhanden. Es konnte auch sein, dass die Steine das seltsame Licht selbst abgaben.
Ich trug zwar meine kleine Leuchte bei mir, konnte sie jedoch steckenlassen, denn ich sah auch so genug.
Myxin hatte die Führung übernommen. Er ging einfach geradeaus. Ein genaues Ziel sah ich noch nicht, ich wunderte mich nur über die sehr hohe Decke.
Aber dieser Gang in die Höhle war trotzdem anders als die sonstigen. Es war für mich schwer zu erklären. Zwar befand ich mich mit dem kleinen Magier allein in diesem Gebilde im Fels, und trotzdem festigte sich in mir die Überzeugung, dass wir so allein nicht waren.
Da gab es noch etwas. Da war noch etwas bei uns. Etwas, das nicht gesehen werden konnte, aber seine Botschaft hinterlassen hatte. Ein Andenken auf besondere Art und Weise. Versteckt im Unsichtbaren und sich trotzdem bemerkbar machend. Zumindest bei mir. Es konnte sein, dass ich diesen Dingen besonders sensibel gegenüberstand, und von Myxin erhielt ich auch keine Erklärung.
Ja, hier war etwas.
Je tiefer ich in diese Höhle hineintrat, umso deutlicher war es zu spüren. Es glitt an mich heran. Es war nicht zu fassen, nicht in die Reihe zu bekommen. Ich fand keine Erklärung für diese ungewöhnlichen, mir entgegenfließenden Ströme.
An meinem Kreuz tat sich nichts. Wenn hier eine fremde Magie lauerte, hatte sie nichts damit zu tun. Diese Höhle konnte durchaus ein Weg in die Zeiten hin sein, möglicherweise zurück nach Atlantis, eben auf die versunkene Insel, aber das alles war bei mir reine Spekulation. Die Wahrheit kannte einzig und allein Myxin, und der hatte sich bisher zurückgehalten. Er würde erst aktiv werden, wenn wir das Ziel erreichten, das irgendwo vor uns liegen musste und noch im Halbdämmer verschwunden war.
Der kleine Magier vor mir verlangsamte seine Schritte, blieb dann stehen und drehte sich um.
Auch ich ging nicht weiter, blieb stumm, schaute ihn nur fragend an und wartete darauf, dass er etwas sagte. »Spürst du es, John?«
Ich nickte. »Ja, es hat wohl eine leichte Veränderung gegeben, denke ich.«
»Genau das ist es. Wir nähern uns dem Ziel.« Er wirkte erleichtert. »Ich bin froh, dass es dir gutgeht.«
Beinahe hätte ich gelacht. »Warum hätte es mir denn schlecht gehen sollen?«
»Nicht jeder ist würdig, diese Stätte zu betreten. Es gibt hier Kräfte, die sich dagegen wehren, wenn jemand den Ort betritt, der es nicht verdient hat.«
»Ho, dann scheine ich etwas Besonderes zu sein.«
»Wenn du es so sehen willst, widerspreche ich dir nicht, John. Ich wollte dir nur mitteilen, dass wir bald am Ziel sind. So kannst du dich schon vorbereiten.«
»Würde ich ja gern, Myxin. Noch lieber wäre mir allerdings, wenn ich wüsste, was mir bevorsteht.«
»Das wirst du gleich sehen. Ich will nichts verraten, du sollst es selbst erleben.«
»Einverstanden.«
Myxin war wohl mit meinen Antworten zufrieden, denn er drehte sich um und ging wieder weiter. Zielgenau. Er wich nicht von seinem einmal eingeschlagenen Weg ab. In der Stille hörten wir nur das Aufsetzen unserer eigenen Füße, und die Umgebung hatte sich nicht verändert. Nach wie vor wuchsen zu beiden Seiten die Wände hoch und berührten die hohe Decke.
Es war feucht. Überall schimmerte das Wasser, das sich zu kleinen Pfützen zusammengefunden hatte und flache Mulden ausfüllte. Das Brausen der Brandung war zurückgeblieben. Wir hörten es nur noch als leichtes Hintergrundgeräusch.
Ich richtete meinen Blick nach vorn, denn dort befand sich das Ziel. Und ich konnte es sehen, ahnen, wie auch immer. Zumindest sah ich den Aufbau vor mir. Noch nicht viel mehr als ein großer Schatten, aber Myxin deutete darauf. »Das ist unser Ziel, John.«
Er sagte nichts mehr. Langsam ging er weiter. Da ich auf seinen Rücken schaute, stellte ich fest, dass sich seine Haltung verändert hatte. Er ging jetzt steifer, beinahe ehrfurchtsvoll. Eine kleine Person, die sich etwas Großem näherte. Es schälte sich immer besser hervor, und ich sah, dass dieses grüne Licht dort so etwas wie einen Ursprung haben musste.
Ein grün-schwarzes Hindernis, das sich als breite Wand in dieser Höhle aufbaute. Ich wurde plötzlich an die Flammenden Steine erinnert, denn auch von ihnen strahlten diese Botschaften ab. Sie waren einfach anders. Man konnte sie mit menschlichen Vergleichen nicht fassen. Man musste sich diesen Geheimnissen einfach überlassen.
Da wir noch näher an dieses Hindernis herangekommen waren, stellte ich fest, dass es nicht so düster war, wie es beim ersten Sichtkontakt den Anschein gehabt hatte. Zwar dunkel vom Untergrund her, doch innerhalb des Steins sah ich die hellen Stellen, die sich wie grüngelbe Adern von oben nach unten zogen. Nicht gerade, sondern zitternd, wie an einem Felsen herablaufendes Wasser, das auf seinem Weg nach unten zu Eis geworden war.
Vor uns erhob sich keine glatte oder glattgeschliffene Wand. Sie zeigte schon all das, was einen natürlichen Felsen ausmacht. Kleine Vertiefungen, auch Vorsprünge, Buckel und Mulden. Bis zur Decke reichte sie nicht, und sie berührte auch nicht die Wände an den Seiten. Sie stand nur da, und es war Platz genug, um an ihr vorbeigehen zu können.
Trotzdem war sie etwas Besonderes. Ob von Menschenhand errichtet oder durch eine Laune der Natur geschaffen, ähnlich wie die Gebilde in einer Tropfsteinhöhle, das alles war für mich einfach zweitrangig. Ich sah nur den Gegenstand und spürte auch die Kraft, die von ihm ausging. Sie war eigenartig. Sie hatte nichts mit Elektrizität zu tun, obwohl ich ein Kribbeln auf der Haut spürte. Für mich glich sie einer Botschaft, die zudem das Wissen zurückhielt, das in ihr steckte. Ich wusste selbst, dass ich damit keine logische Erklärung gegeben hatte, doch auch die Existenz der Flammenden Steine war mit der reinen Logik nicht zu begründen. Der kleine Magier stand an meiner linken Seite und drehte jetzt den Kopf, um mich anzuschauen. Er lächelte schmallippig zu mir hoch.
Ich wusste, dass er auf eine Bemerkung meinerseits wartete. Auf einen kurzen Kommentar, und ich enttäuschte ihn nicht.
»Es ist schon beeindruckend«, sagte ich, »und ich hätte nicht damit gerechnet, dass du mich an dieses Ziel führst.«
»Danke.«
»Wofür?«
»Dass du ehrlich gewesen bist. Du hast mich nicht ausgelacht, du hast nicht den Kopf über mich geschüttelt und mir irgendwelche Vorwürfe gemacht.«
»Moment mal, wie sollte ich das auch? Wenn du mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt und mir erklärst, mir etwas zeigen zu wollen, dann muss es dafür einen triftigen Grund geben.«
»Den gibt es in der Tat.«
»Und ich kann dir dabei helfen?«
»Das hoffe ich.«
»Aber du bist mächtiger als ich, Myxin. Ich wollte, ich wäre mit deinen Kräften gesegnet.«
»Das ist jetzt nicht relevant, John. Es geht um andere Dinge, die auch dich berühren sollten.«
»Okay, soweit, so gut. Dann darf ich zunächst einmal fragen, wo wir uns hier befinden?«
Ich erhielt keine direkte Antwort. Myxin sagte nur: »Spürst du denn nichts, John?«
»Doch, das habe ich. Es ist etwas hier. Ich kann es nicht fassen. Ich will mal von einer Kraft sprechen, die sich im Unsichtbaren zurückhält. Liege ich richtig?«
»Das stimmt.« Er bewegte beide Arme nach vorn und spreizte sie dann, um so viel wie möglich von der Wand erfassen zu können. »Wir befinden uns hier an einer heiligen Stätte. Für viele Atlanter war die Wand ein Orakel. Hier fließen die Zeiten zusammen. Es ist ein Tor. Hier kann in die Zukunft und in die Vergangenheit geschaut werden. Doch nicht jedermann darf dies tun. Es gibt Grenzen. Nur wenige Eingeweihte sind würdig, an das Orakel heranzutreten ...«
»Und wo sind wir hier?«
»Muss ich dir das noch sagen, John?«
»Eigentlich nicht. Dann geh' ich mal davon aus, dass du mich in das alte Atlantis vor seinem Untergang geführt hast. Oder ist das falsch?«
»Nein, John, wir sind tatsächlich in der alten Zeit und stehen vor dem Orakel.«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte ich, aber Myxin hatte einiges dagegen, denn er schüttelte heftig den Kopf.
»Nichts ist in Ordnung, John. Die Ordnung ist gestört. Das Orakel wurde entweiht. Es ist zu einer gefährlichen Stätte geworden. Ich weiß nicht genau, wer dahintersteckt, aber es dient, so denke ich, als Fluchtpunkt. Ja, Fluchtpunkt Atlantis.«
Ich grübelte über seine Antwort nach und suchte mir die Worte zusammen. »Ein Fluchtpunkt, der in einer tiefen Vergangenheit liegt?«, fragte ich.
»So ist es.«
»Für wen?«
»Für Menschen aus deiner Zeit. Menschen, die eben auf der Flucht sind. Das Orakel ist zu einem Tor geworden, sodass es eine Öffnung zwischen den Zeiten gibt. Mit anderen Worten: Es kann Menschen durchaus gelingen, von der Gegenwart her nach Atlantis zu gelangen. Sie überbrücken dann in Sekundenschnelle mehr als zehntausend Jahre. Das war sonst nicht der Fall. Jemand hat es geöffnet, und ich denke auch, dass es den Untergang des Reiches überstanden hat, aber das wird man sehen.«
Ich glaubte ihm, nur kam ich mit meiner eigenen Rolle nicht zurecht. Myxin war der Stärkere von uns beiden. Weshalb hatte er mich hergeholt? Wollte er Hilfe?
»Worüber grübelst du nach, John?«
»Das ist einfach gesagt. Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich hier soll. Das Orakel gehört zu Atlantis. Ich bin kein Atlanter. Du hast von einer heiligen Stätte gesprochen und von einem Tor, das nun offen ist. Kannst du es nicht schließen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Myxin zuckte mit den Schultern. Er wirkte plötzlich hilflos. »Ich weiß nicht, wer dahintersteckt. Jemand hat das Orakel entweiht. Er missbraucht es für seine eigenen Zwecke, und es wäre wichtig, wenn wir ihn finden könnten. Dabei weiß ich nicht, ob er aus Atlantis stammt oder aus einer anderen dämonischen Zeit. Es muss nicht unbedingt ein Dämon sein. Ich weiß nur, dass diese Stätte nicht mehr so ist, wie sie sein müsste. Und ich weiß auch nicht, ob sie jemals wieder so werden kann. Wir müssen nur versuchen, es zu richten.«
Ich nickte, obwohl ich nicht überzeugt war. Auch nicht sein konnte, denn ich stand in dieser Höhle, schaute auf die Felswand, hatte mir angehört, was Myxin zu sagen hatte, und kam trotzdem nicht damit zurecht. Ein Begriff allerdings war bei mir hängengeblieben, und ihn sprach ich wieder an.
»Du hast vorhin von einem Fluchtpunkt. Atlantis gesprochen. Das stimmt doch – oder?«
»Ja.«
»Für wen ist oder soll es ein Fluchtpunkt sein?«
»Für Menschen, John.«
»Das ist mir zu wenig.«
»Menschen aus deiner Zeit, die durch die Hilfe des Orakels hierher gelangen.«
Ich wiegte den Kopf. »Das ist alles sonderbar, Myxin, und schwer zu begreifen, aber ist es deshalb auch so tragisch und schlimm? Ich meine die Sache an sich und denke dabei auch an die Menschen, die in diese Falle hineingelangen.«
»Wir nähern uns dem Punkt«, erklärte Myxin, »denn wir wollen bei den Menschen bleiben.«
»Wunderbar.«
»Nein, das ist es nicht, denn derjenige, der für eine Entweihung dieser Stätte sorgte, steht nicht auf der Seite der Positiven. Deshalb kann er auch nicht so handeln. Er ist der große Beschützer derjenigen, die er durch das jetzt offene Tor holt.«
»Komm doch zur Sache, Myxin!«
»Ja!« Seine Stimme gewann an Lautstärke. »Ich hätte mich nicht eingemischt und dir Bescheid gegeben, wenn ich mit den Menschen einverstanden gewesen wäre. Aber das bin ich nicht. Diejenigen, die den Fluchtpunkt Atlantis ausnutzen, sind alles andere als normal. Es sind Menschen, aber es sind zugleich auch Verbrecher, Mörder, Totschläger und Kinderschänder. Verstehst du nun, John, weshalb ich so besorgt bin ...?«
Pause. Nachdenken. Die Dinge erst einmal verarbeiten.
Ja, ich wusste plötzlich, was Myxin damit gemeint hatte, und jetzt konnte ich seine Sorge auch verstehen. Es ging also um Personen, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellten und nun in dieser längst versunkenen Welt einen idealen Fluchtpunkt besaßen, von dem sie niemand mehr zurückholen konnte. Teuflisch und genial zugleich.
Myxin meldete sich zunächst nicht mehr. So konnte ich mich weiterhin meinen eigenen Gedanken hingeben.
»Dann gibt es also jemanden, der diese Verbrecher in den Schutz der Insel holt.«
»Ja, und ich weiß nicht, wer dahintersteckt. Aber ich möchte es herausfinden, auch mit deiner Hilfe, John, denn hier spielt meine Zeit und auch deine Zeit eine Rolle. Wir stehen gewissermaßen vor einem Schnittpunkt.«
Ich deutete auf die Wand. »Sie ist der Beschleuniger.«
»Genau.«
»Und es sind auch schon Verbrecher aus meiner Zeit hierher geholt worden?«
»Leider.«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich kam mit den dürftigen Erklärungen nicht zurecht. »Es gibt eigentlich keinen Punkt, an dem ich ansetzen kann. Es ist zu wenig. Ich stehe hier, habe einiges gehört, muss es glauben, doch es gibt keine Beweise. Stell dir vor, ich kehre wieder in meine Zeit zurück. Kannst du mir sagen, wo ich anfangen soll zu recherchieren? Muss ich herumlaufen und raten, wer möglicherweise in diese Welt hineingeholt werden könnte?«
»Nein, das nicht.«
»Was dann?«
Wieder deutete Myxin auf die Wand. »Es kann sein, dass wir Glück haben, John. Wenn nicht in dieser Nacht, dann in der nächsten und übernächsten.«
Diesmal hielt ich mein Lachen nicht zurück. »Ich tue dir ja gern einen Gefallen, Myxin, aber ich habe nebenbei noch einen Job und kann mir die Nächte nicht hier um die Ohren schlagen.«
»Das hier gehört dazu.«
»Streite ich nicht ab. Aber ohne Beweise und ohne Ansatzpunkte kann ich nicht eingreifen.«
»Wir werden den Beweis bekommen.«
»Fragt sich nur wann.«
»Noch in dieser Nacht!«
Myxin hatte die Antwort so überzeugend ausgesprochen, dass ich ihn verwundert anschaute. »Ha, hast du dich da nicht geirrt, mein Lieber?«
»Nein, denn ich spüre es.«
Dagegen gab es keinen Einwand. Myxin besaß eben die besonderen Telekräfte, aber auch für ihn existierten Grenzen. Nur hoffte ich nicht, dass sie gerade jetzt aufgebaut worden waren.
»Wenn es passiert, John«, sagte er leise, »dann werden wir es hier erleben. Nur hier.«
»Gut, ich bin gespannt.«
Der kleine Magier verließ seinen Platz neben mir. Er ging geradewegs auf die Felswand zu. Als ich ihm nachschaute, wurde ich daran erinnert, dass er sich in dieser Haltung auch in das Zentrum zwischen den vier Steinen bewegte, um von dort aus seine magischen Reisen anzutreten.
Er, Kara und auch der Eiserne Engel konnten ihre Heimat eben nicht vergessen. Immer wieder tauchten sie durch Hilfe der magischen Zeitreise wieder ein in die Äonen, in denen Atlantis existiert hatte. Auf diesem mächtigen Kontinent hatte es schon damals eine sehr hoch entwickelte Kultur gegeben, die nicht nur durch Menschen entstanden war. Wesen anderer Welten hatten ebenfalls ihre Spuren hinterlassen. Aber nicht nur sie, auch Riesen und Engel hatten Zeichen gesetzt, die sich bis in die Gegenwart gehalten hatten. Das wusste ich genau, denn oft genug war ich damit konfrontiert worden. Zudem existierte auch eine Verbindung zwischen Atlantis und Avalon.
Ich erlebte auch immer wieder, dass es Verbindungen zwischen dem versunkenen Kontinent und meiner Zeit gab. Ebenso wie hier. Und wenn diese Verbindungen meine Freunde oder mich betrafen, dann sorgten Myxin, Kara oder der Eiserne Engel dafür, dass auch wir in diese Abenteuer integriert wurden.
So wie jetzt. Myxin hatte mir diese heilige Stätte gezeigt. Ich war davon überzeugt, mich in Atlantis zu befinden, obwohl der kleine Magier sich mit konkreten Angaben zurückgehalten hatte. Das Orakel war zugleich Schnittpunkt der Zeiten, wobei der Begriff Fluchtpunkt Atlantis gefallen war.
Auch darüber dachte ich nach. Wer floh hierher und warum? Existierten Menschen, die dies freiwillig taten, oder waren sie von der atlantischen Magie eingeholt oder gefangengenommen worden?
Myxin war vor der Wand stehengeblieben. Um nach oben schauen zu können, hatte er seinen Kopf weit in den Nacken zurückgedrückt. Er berührte den Fels noch nicht, sondern schaute ihn prüfend an. Wie jemand, der die helleren Einschlüsse verfolgen wollte, die innerhalb des Felsens die Adern bildeten.
Dann bewegte er seine Arme. Er streckte sie zu den Seiten hin aus und spreizte die Hände. Ich sah die langen Finger, die sich deutlich vor der Wand abhoben, sich aber nicht bewegten und einfach nur starr blieben.
Er ließ Zeit verstreichen. Ich selbst stand wie aus Stein gemeißelt im Hintergrund. Und ich wusste, dass etwas passieren würde. Myxin benötigte nur ein wenig Zeit. Er musste sich auf das Orakel einstellen und möglicherweise sogar in einen Zustand der Trance fallen.
Ich schrak leicht zusammen, als Myxin seine gespreizten Hände nach vorn drückte. Er brauchte sich nicht viel zu bewegen. Die Kuppen der Finger hatten rasch Kontakt gefunden, und ebenso schnell zog der kleine Magier seine Hände wieder zurück, wobei er sich umdrehte und mich anblickte.
Bevor ich eine Frage stellen konnte, erhielt ich schon die Antwort. »Da ist was, John. Das Orakel arbeitet. Es ... es ... wird sich öffnen. Die Zeiten fließen zusammen. Wir beide haben den richtigen Punkt getroffen, da kannst du sicher sein.«
»Was könnte denn passieren?«