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Der Anruf erreichte John Sinclair am frühen Morgen. Eine Unbekannte sagte mit warnender Stimme: "Denk an die Frau mit den goldenen Augen! Wenn du sie siehst, erinnere dich an meine Worte und beschütze sie vor dem Bösen."
Stunden später traf der Geisterjäger die Person tatsächlich. Was dann geschah, war auch für ihn unbegreiflich, denn er wurde mit der Wiedergeburt eines Götter-Opfers aus altägyptischer Zeit konfrontiert. Und er traf auch die Anruferin. Fatima war es. Eine Bekannte. Die Frau, die den Menschen die Seele aussaugte und sie zu Greisen machte ...
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Das Götter-Opfer
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Das Götter-Opfer
von Jason Dark
Der Anruf erreichte mich, kurz bevor ich an diesem Morgen ins Büro fuhr. Eine sanfte Frauenstimme sprach, die auch meine letzte Müdigkeit verdrängte.
»Denk an die Frau mit den goldenen Augen. Wenn du sie siehst, erinnere dich an meine Worte und beschütze sie vor dem Bösen.«
Mehr sagte die unbekannte Anruferin nicht. Sie hatte direkt nach dem letzten Wort aufgelegt ...
Ein knappes zuschnappendes »Husch« war zu hören, dann hatte der Tunnel die U-Bahn verschluckt, und die Helligkeit des Bahnsteigs war nur Erinnerung.
Nicht so die beiden Männer, die an der letzten Station eingestiegen waren. Sie hatten sich durch die Wagenlänge gekämpft, als wären sie Fighter in einer wilden Gegend voller Gefahren. Es war kein Sitzplatz mehr frei, doch die Blicke der Männer glitten über jeden Platz hinweg. Immer für kurze Zeit saugten sie sich an den Gesichtern der Fahrgäste fest, die oft gar nicht hinschauten, sondern teilnahmslos ins Leere blickten und sich selbst den schaukelnden Bewegungen des Zugs überließen.
Blicke aus lauernden Augen. Die beiden suchten jemand, aber sie blieben nie stehen, denn sie hatten nichts gefunden. Schiebend und drängelnd setzten sie ihren Weg fort. Niemand protestierte, selbst die Jugendlichen nicht, denn ein Blick in die Gesichter der beiden machte ihnen klar, dass mit den Männern nicht gut Kirschen essen war.
Am Ende des Wagens blieben sie stehen und flüsterten sich etwas zu. Einer von ihnen nickte. Ihre Hände hatten sie in die Halteschlaufen geklemmt. Es waren nur die linken, denn die rechten wollten sie auf jeden Fall frei haben.
Noch immer waren die Augen auf der Suche. Regelrechte Falkenaugen. Scharfe Blicke, die es gewohnt waren, eine bestimmte Umgebung regelrecht zu sezieren, um das Ziel nur ja nicht zu verpassen.
Sie entdeckten nichts.
Dann hielt der Zug an einer Station. Beide Männer stiegen aus. Sie blieben nahe des Zugs stehen, schauten weiter zu, registrierten, wer ein- und wer ausstieg, und huschten im letzten Moment wieder in den Zug hinein, bevor sich die Türen abermals schlossen.
Das gleiche Spiel begann von vorn. Der Wagen jetzt war nicht so gefüllt. Zwar gab es keine freien Sitzplätze mehr, aber es standen auch nicht zu viele Fahrgäste im Weg.
Diesmal hatten sie Glück.
Noch vor dem nächsten Halt hatten sie gefunden, was sie suchten. Kaum merklich nickten sie sich zu. In ihrem Lächeln schwang der Tod mit als ein düsteres Versprechen ...
Der Anruf vom Morgen war mir auch am Tag nicht aus dem Kopf gegangen. Ich hatte während der folgenden Stunden immer wieder darüber nachdenken müssen, und es war mir unmöglich gewesen, mich auf den Vortrag des Professors zu konzentrieren, der seine theoretische Kiste geöffnet hatte und uns etwas von Kriminalstatistiken erzählte, um schließlich auf eine gewisse Vorbeugung zu kommen.
Eingeschlafen war ich nicht, aber ich hörte auch nicht, was da alles erzählt wurde. Suko erging es ähnlich. Er saß neben mir, aber er zeigte zumindest ein Gesicht, in dem sich ein gewisses Interesse widerspiegelte, auch wenn es nur gespielt war.
In meiner Umgebung stöhnten die Kollegen ebenfalls. Das war Langeweile pur, zu der wir verpflichtet worden waren. Doch einen Lichtblick gab es. Am Mittag sollte der Vortrag beendet sein, dann gab es ein Essen, und danach war Feierabend.
Unbequeme Stühle, zu wenig Beinfreiheit für große Menschen wie ich. Das passte mir alles nicht in den Kram. Die Pause war auch nur sehr kurz. Sie reichte kaum aus, um ein Mineralwasser zu trinken.
»Halten Sie durch?«, fragte mich jemand.
»Nur schwer.«
»Und man kann sich nicht verdrücken.«
»Eben.«
»In diesen Momenten wünscht man sich, unsichtbar sein zu können.« Der Kollege lachte und ging davon.
Ich nahm wieder meinen Platz ein und hörte mir den zweiten Teil des Vortrags an. Er war ebenso langweilig wie der erste, doch der Professor, ein geschniegelter Typ mit korrekt gescheitelten Haaren, redete sich in regelrechte Ekstase hinein. Das war ein Zahlenmensch, der den ganzen Kram auswendig gelernt hatte.
Wie dem auch sei. Es ging vorbei. Es gibt eben keine endlose Folter, das erlebten wir auch hier wieder. Der Beifall hielt sich in Grenzen, die meisten Zuhörer waren froh, den Worten entwischen zu können, und ich war nicht der Einzige, der gähnte.
Suko fragte nach dem Essen.
»Willst du denn?«
»Klar.«
Ich überlegte noch.
»Es gibt Sushi. Das haut den Magen nicht so voll. Das stopft nicht, ist gut verträglich und ...«
»Sushi«, wiederholte ich.
»Ist nicht dein Fall.«
»Zumindest im Moment nicht. Ich habe eigentlich keinen Hunger, nur Durst.«
Suko grinste mich an. »Klar, Alter, ich weiß, worum es geht. Du denkst an den Anruf.«
»Klar, und damit auch an die Frau mit den goldenen Augen.«
»Die es vielleicht gar nicht gibt.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Aber es könnte sein. »Warum sollte mich jemand angerufen haben, wenn es die Frau gar nicht gibt? Da muss doch mehr dahinterstecken. Ich bin beinahe überzeugt davon, dass sie existiert und mir auch über den Weg laufen wird. Das ist die eine Sache. Die zweite ist ebenfalls rätselhaft. Ich frage mich jetzt noch, wer die geheimnisvolle Anruferin gewesen ist.«
»Zumindest eine Frau, die dich kennt.«
»Klar. Wie viele gibt es davon?«
»Jede Menge.« Suko grinste. »Du bist doch etwas wie ein halber Schwerenöter.«
»Ja, aber nur ein halber.« Ich runzelte die Stirn. »Wer kann es sein, verdammt?«
»Denk an die Stimme.«
»Himmel, das habe ich die ganze Zeit über getan. Sie hat sehr leise gesprochen. Ich konnte sie zwar verstehen, aber die Stimme habe ich nicht identifizieren können.«
»Hast du sie denn auf dem Anrufbeantworter?«
»Nein, den hatte ich nicht eingeschaltet.«
»Tja«, sagte Suko, »dann bleibt dir nur eine Chance. Du musst darauf warten, dass sie dich wieder anruft. Könnte ja sein, dass sie es tut, wenn du die Frau mit den goldenen Augen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht gesehen hast.«
»Das wäre möglich«, murmelte ich. »Nur sagt mir meine innere Stimme, dass ich nicht so lange warten kann. Ich will und muss sie vorher finden. Das ist für mich kein Spaß. Die Sache beunruhigt mich. Außerdem frage ich mich, welcher Mensch mit goldenen Augen herumläuft. Vorausgesetzt, dass er ein Mensch ist.«
»Stimmt.« Suko schaute den anderen Kollegen nach, die dem Sushi-Büffet entgegenströmten. »Du musst dich entscheiden, John. Willst du was essen oder sofort nach Hause fahren?«
»Ich fahre. Ich brauche Ruhe.«
»Oder wartest du darauf, dass die Unbekannte sich noch einmal mit dir in Verbindung setzt?«
Ich lächelte. »Das könnte auch sein.«
»Dann mach's mal gut.« Er schlug mir auf die Schulter. »Sag mir heute Nachmittag Bescheid.«
»Geht in Ordnung.«
Ich hatte wirklich keinen Appetit. Zudem war der Durst gelöscht. Als einer der wenigen wandte ich mich in eine andere Richtung und war froh, den Menschen und auch der Wärme des Raumes zu entkommen. Durch eine breite Tür betrat ich die Freitreppe, deren Stufen ich hinablief und mir dabei den Wind ins Gesicht blasen ließ.
Es war Winter, aber der Wärmeschub aus Südwest hatte die Stadt mit frühlingshaften Temperaturen überschwemmt. Das brachte vielen Menschen Kopfschmerzen und auch Kreislaufärger ein. Auch ich hatte mich schon fitter gefühlt. Es mochte auch an den langweiligen Ausführungen gelegen haben, dass ich so müde war. Auf der einen Seite wusste ich auch, dass ich nicht schlafen konnte, wenn ich mich nach meiner Rückkehr in die Wohnung hinlegte. Mir spukte immer noch der Anruf durch den Kopf.
Die Stimme der Frau war einfach zu leise gewesen, um sie identifizieren zu können. Ich hatte sie als Flüstern gehört. Aber etwas war mir schon aufgefallen. Trotz der wenigen Worte hatte ich herausgefunden, dass diese Person keine Britin war. Sie hatte mit einem fremdländischen Akzent gesprochen. Dieser Klang schwebte mir noch jetzt in den Ohren. Etwas hart, trotz der weichen Stimme.
Und die Frau musste mich kennen!
Kannte ich auch sie?
Davon konnte man eigentlich ausgehen, obwohl ich nicht hundertprozentig überzeugt war. Es gab auch Menschen, die mich kannten, obwohl sie mir nicht bekannt waren. In diesem Fall konnte ich mir das schwer vorstellen, weil ich die Worte auch als recht persönlich eingestuft hatte. Sie kannte mich, ich kannte sie. Fertig, basta. Jetzt brauchte sie sich mir nur zu erkennen zu geben oder mir aber die Person mit den goldenen Augen schicken.
Auch sie war ein Rätsel. Wahrscheinlich das größte der beiden. Die Frau mit den goldenen Augen. Wer besaß schon als Mensch goldene Augen? Ich kannte keinen. Golden Eye, so hatte mal ein James Bond-Film geheißen. Aber goldene Augen?
Trotzdem lächelte ich nicht darüber. In meinem Leben war mir schon genug widerfahren. Über derartige Dinge sollte man nicht hochmütig lächeln. Nein, auf keinen Fall. Da wollte mich auch niemand auf den Arm nehmen, und genau dieses Gefühl oder sogar Wissen hatte zu meiner inneren Unruhe beigetragen. Es drängte mich, nach Hause zu kommen, da es durchaus sein konnte, dass bereits wieder angerufen worden war, sodass ich die Stimme auf dem Anrufbeantworter abhören konnte, der jetzt eingeschaltet war.
Viele Schritte brauchte ich nicht zur nächsten U-Bahn-Station zu gehen.
Die ›Tube‹ war noch immer das beste Londoner Verkehrsmittel, das einen am schnellsten ans Ziel brachte. Wenn eben möglich, sollte man das Auto stehenlassen.
Noch immer war es windig und eigentlich zu warm. Manchmal blies mir der Wind wie ein fauchender Atem ins Gesicht. Die Häuser wirkten grau, der Verkehr war wieder dicht. Menschen bewegten sich mit schnellen, hastigen Schritten, und die Geräuschkulisse der Großstadt schien nie abreißen zu wollen.
Mit mir zusammen liefen drei kichernde Teenies die Stufen der Treppe hinab. Sie überholten mich. Ihre Haare hatten sie unterschiedlich gefärbt. Eine von ihnen trug sie schwarzlackiert und kurz wie eine Bürste. Sie hatte sie vorn in die Höhe gekämmt und sie mit roter Farbe eingesprayt. Mehrere Ringe im Gesicht machten sie zu einem wandelnden Schmuckladen.
Vor mir tauchten sie in den Tunnel ein. Die langen Schals wehten wie flatternde Gardinenstreifen hinter ihnen her. Ich tauchte ein in das unterirdische Gebiet. Es herrschte Betrieb, es war allerdings nicht rappelvoll wie zu den Stoßzeiten. An diesem späten Mittag fuhren auch nicht zu viele Züge, und deshalb würden auch die Wagen gut gefüllt sein.
Lange brauchte hier niemand zu warten. Die drei Teenies standen wieder kichernd zusammen, während ich, langsam und in Gedanken versunken, an der Bahnsteigkante hin und her schritt.
Die Frau mit den goldenen Augen.
Immer stärker drehten sich meine Gedanken um die Unbekannte, während die Anruferin außen vor blieb. Wenn sie mir nur etwas mehr erzählt hätte, wäre mir schon wohler gewesen, aber das hatte sie leider nicht getan. So konnte ich nur auf weitere Anrufe hoffen, die mehr Klarheit brachten.
Der Zug kam. Aus der linken Tunnelöffnung rauschte er heran. Ein stählerner Kloß, wuchtig wie eine Ramme schoss die Lok aus der Öffnung hervor. Sie war ein Ungetüm, das allmählich an Fahrt verlor und dabei Geräusche abgab, die mich schon an ein riesenhaftes menschliches Wesen erinnerten. Sie keuchte und quietschte. Auch das Ächzen hörte ich, und langsam lief sie aus.
Eine Wagenschlange, durch gesprayte Malereien beschmiert. Fenster wie trübe Augen. Dahinter die Bewegungen der Fahrgäste, die sich hinter den Türen drängten und dann hinaus auf den Bahnsteig strömten, als sich die Ein- und Ausgänge geöffnet hatten.
Auch ich stieg ein. Sofort wandte ich mich nach links, denn dort hatte ich einen freien Sitzplatz entdeckt. Zwei Bänke standen sich gegenüber. Insgesamt hatten vier Fahrgäste darauf Platz. Drei Plätze waren besetzt. Ich enterte den freien am Gang, nickte den anderen Fahrgästen kurz zu und erlebte so gut wie keine Reaktion.
Neben mir saß ein älterer Mann mit einem grauen Mantel. Zu ihm gehörte die Frau gegenüber. Sie sprach mit ihm und schaute dabei aus dem Fenster. Was sie sagte, konnte ich nicht verstehen, aber ich sah, wie der Mann einige Male nickte und dann auf die Tasche deutete, die die Frau auf den Knien stehen hatte.
Die Frau mir gegenüber war jünger, obwohl das beim ersten Blick nicht zu erkennen war. Sie wirkte wie eine Orientalin.
Zum braunen Mantel trug sie einen gelben Schal, den sie um ihren Kopf gewickelt hatte wie ein Tuch. Ich sah nur das Gesicht, dessen Züge feingeschnitten waren. Eine hohe Stirn, geschwungene Brauen, blond, schon fast weiß. Ein Mund mit weichen Lippen und eine kleine, etwas gebogene Nase. Auch das Haar war blond. Einige Strähnen hatten sich vorwitzig unter den Rand des Tuchs hinweggeschoben und waren in die Stirn gefallen.
Die Augen hielt die junge Frau halb geschlossen. Ich wusste nicht einmal, ob sie mich als neuen Mitreisenden registriert hatte. Sie wirkte so scheu und schüchtern, und beide Hände hatte sie in ihren Schoß gelegt.
Die Türen schlossen sich.
Der Zug nahm Fahrt auf.
Ich peilte an meinem Nebenmann vorbei durch das Fenster. Der Bahnsteig huschte vorbei. Menschen wurden zu Schatten, in die hinein sich die Lichter verliefen.
Dann fraß uns der Tunnel!
Die Dunkelheit schluckte uns. Nur wenige Lichter schimmerten noch. Sie waren nie genug zu trennen und bildeten huschende Flecken. Der Zug raste weiter. Die Wagen schaukelten, und die Menschen, die keinen Sitzplatz gefunden hatten, mussten sich festhalten, um nicht umgestoßen zu werden. Die Welt tauchte ein in das Einerlei des Tunnels, sodass es für die Fahrgäste keine äußeren Ablenkungen mehr gab.
Ich schaute hoch.
Das Ehepaar sprach nicht mehr. Beide starrten vor sich hin. Doch in die junge Frau direkt mir gegenüber war Bewegung gekommen. Nicht, dass sie auf dem Sitz hin und her gerutscht wäre, nein, sie war schon sitzen geblieben, aber sie bewegte ihren Kopf. Sie versuchte, mal rechts und mal links an, mir vorbeizuschauen. Mir fiel die Bewegung auf, denn bei meinem Einstieg war sie noch ziemlich ruhig gewesen.
Irgendetwas musste sie gesehen haben.
Ihre Haltung hatte sich auch verändert. Sie war gestrafft. Locker war mir die Frau nie vorgekommen, doch nun hockte sie auf dem Sitz wie auf dem Sprung.
Was hatte sie gesehen?
Auf jeden Fall nichts, das ihr Freude gemacht hätte. Dann hätte sie anders reagiert.
Es gefiel mir auch nicht, als ich ihren scharfen Atemzug hörte. Er klang irgendwie ängstlich.
Dann drehte ich mich. Das Verhalten hatte etwas in mir geweckt, das man als Instinkt bezeichnen konnte. Ich musste einfach sehen, was da ablief.
Menschen standen im Gang, aber nicht die beiden dunkelgekleideten Männer, die sich durch den Wagen schoben. Ihr Verhalten glich nicht dem der normalen Fahrgäste. Sie waren auch keine Kontrolleure, sie sahen aus, als suchten sie etwas. Denn auf dem Weg durch den Wagen schauten sie immer wieder nach links und rechts.
In den folgenden Sekunden galt meine Aufmerksamkeit wieder der mir gegenübersitzenden Frau. Ihr Verhalten hatte sich wieder verändert. Jetzt atmete sie heftiger, und ihre Hände hatten sich rechts und links des Körpers auf die Sitzbank gestemmt, als wollte sie sich jeden Moment abstoßen, um schnell weglaufen zu können. Sie bewegte auch ihren Kopf. Sie schaute nach rechts und links zu den Fenstern hin. So wie jemand, der starr darauf wartet, dass der Zug den Tunnel verlässt und in die Station einrollt, damit sich endlich die Türen öffneten.
Ich warf einen Blick zurück.
Die beiden Männer waren nähergekommen. Sie drückten sich an den Fahrgästen vorbei und schoben sie zur Seite. Dabei bewegten sich auch ihre Köpfe, und sie schauten in die Gesichter der anderen hinein, weil sie aus der Masse ein bestimmtes Gesicht herausfiltern wollten. So jedenfalls kam es mir vor.
Ich hörte, dass die junge Frau mir gegenüber schärfer atmete. Sie schien noch stärker unter Druck zu stehen, und das konnte nur mit der Ankunft der beiden zusammenhängen.
Wieder drehte ich den Kopf.
Die beiden Typen waren stehen geblieben. Sie hielten sich an den Halteschlaufen fest. Dabei schauten sie über mich hinweg. Das Ziel ihrer Blicke war die Frau.
Noch saß sie. Aber sie bewegte sich. Ihr Blick war auf die Fenster gerichtet, und ihr Gesicht spiegelte Spannung wider. Das ältere Ehepaar störte sich nicht daran, es blieb weiterhin lethargisch, aber ich war misstrauisch geworden, und ich wollte der jungen Frau auch helfen.
»Bitte«, sprach ich sie an. »Ist Ihnen nicht gut? Kann ich was für Sie tun?«
Ich erhielt eine Reaktion, aber sie verwunderte mich, denn sie schüttelte nur den Kopf.
Die U-Bahn verlor an Tempo. Das Ende der Röhre näherte sich. In wenigen Sekunden würden wir den neuen Bahnsteig erreicht haben und anhalten.
Erste Lichter huschten schemenhaft an den Seiten entlang. Dann wurde es heller, der Bahnsteig war erreicht. Die andere Welt breitete sich draußen aus.
Die junge Frau erhob sich mit einer heftigen Bewegung, obwohl der Zug noch nicht stand. Sie musste den anderen Kräften Tribut zollen und schwankte. Im letzten Augenblick hielt ich sie fest.
Die beiden Männer hatten diese Unachtsamkeit ausgenutzt und waren nähergekommen. Sie standen jetzt auf gleicher Höhe mit mir. Mir war jetzt klar, dass sie die junge Frau gesucht hatten und etwas von ihr wollten.
Noch konnte sie nicht aussteigen, weil der Zug nicht angehalten hatte. An ihrem Gesicht las ich ab, wie sehr sie es sich wünschte, denn sie blickte einige Male zurück. In einer derartigen Situation konnten Sekunden zu kleinen Ewigkeiten werden.
Die Helligkeit draußen nahm zu. Der Zug fuhr jetzt langsamer. Menschen schälten sich hinter den Scheiben hervor. Wie Puppen verteilt standen sie auf den Bahnsteigen.
Noch einmal drehte sich die Frau um, als wollte sie sich die beiden Männer genau anschauen. Sie öffnete dabei ihre Augen – und mich durchfuhr es wie der berühmte Stromschlag.
Zum ersten Mal hatte ich direkt in ihre Augen schauen können. Da sah ich es.
Sie waren golden!
Goldene Pupillen, so wie es mir die unbekannte Anruferin vorausgesagt hatte. Das Treffen zwischen uns war schneller eingetreten, als ich es erwartet hatte. Sie schaute mich auch nicht länger an, sondern schloss die Augen sofort wieder, als wäre ihr Blick überhaupt nur ein Versehen gewesen.
Aber ich wusste Bescheid und drängte mich jetzt vor. Wie ein normaler, etwas ungeduldiger Fahrgast reagierte ich, als ich mich an dem linken der Männer vorbeischob. Ich wollte zwischen sie und die Frau gelangen, um sie zu schützen.
Ich spürte den Druck einer Schulter. Der Typ wollte nicht, dass ich noch vor ihnen ausstieg, aber der Zug machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Er stoppte.
Es war diese eine Sekunde, in der es schwerfiel, die Balance zu halten. Wir schwankten, die Tür öffnete sich und klaffte wie ein Maul auseinander.
Vor mir stieg die Frau mit den goldenen Augen zuerst aus. Unter dem Hals hielt sie noch ihren Schal, als hätte sie Furcht davor, ihn zu verlieren. Mit einem sehr schnellen Schritt war sie draußen. Auch ich war schnell, den beiden Typen allerdings nicht schnell genug. Sie erwischten mich im Rücken und stießen mich vor, sodass ich leicht ins Stolpern geriet, aber gut auf dem Bahnsteig aufkam.
Vor mir sah ich jetzt den Rücken der Frau. Gegen die beiden Häscher konnte sie keine Chance haben, trotzdem versuchte sie es. Mit langen Schritten eilte sie der Treppe entgegen, um so schnell wie möglich die Unterwelt hier zu verlassen.
Für ihre Umgebung hatte sie keinen Blick. Sie wollte sich nur nicht ablenken lassen. Sie musste weitergehen, es war wichtig für sie. Der lange Mantel behinderte sie etwas. Ich sah, wie sie schwankte, aber sie ließ das Ziel nicht außer Acht. Rechts und links neben mir hörte ich das Keuchen der Typen. Sie wollten mich überholen, und diesmal war ich es, der sich bewusst ungeschickt bewegte. Das bekam der rechte zu spüren. Ich prallte gegen ihn, er kam aus dem Tritt und wäre beinahe ausgerutscht. Ich hörte ihn noch fluchen, aber der linke war bereits an mir vorbei. Er nahm jetzt keine Rücksicht mehr. Mit raumgreifenden Schritten verfolgte er das Opfer und kam ihm immer näher. Auch wenn ich jetzt startete, würde ich die Frau nicht mehr vor ihm erreichen können, und auch der zweite Kerl huschte an mir vorbei.
Am Fuß der Treppe wurde die Frau gestellt. Sie hatte versucht, die Stufen hochzulaufen. Es war ihr nicht mehr gelungen. Der Mann zerrte sie zurück. Er sprach auf sie ein und wuchtete sie herum, dass sie mit dem Rücken gegen die Wand prallte.
Sie stand dort, als hätte man sie angenagelt. Der breite Körper des Mannes schirmte sie gegen die Sicht der anderen Menschen ab, und dann war der zweite Typ auch da.
Ich ebenfalls.
Ich baute mich hinter den beiden Männern auf, die nicht mehr auf mich achteten. Für sie war einzig und allein die Frau wichtig, die sie gestellt hatten.
Sie tat mir leid, denn sie stand geduckt auf der Stelle. Die Arme hielt sie halb erhoben, die Hände vor dem Gesicht gekreuzt, als wollte sie nicht angeschaut werden.
Zugleich sprachen die beiden Männer auf sie ein. Ich spitzte die Ohren, weil ich eine fremde Sprache hörte. Sie musste im arabischen Raum ihren Ursprung haben, doch das war jetzt nebensächlich. Ich ahnte, dass es hier eine Entführung geben sollte, und genau die wollte ich unter allen Umständen verhindern.
»Lassen Sie die Frau in Ruhe!« Ich hatte nicht besonders laut gesprochen. Wir fielen auch nicht groß auf, da in dieser Station ziemlicher Betrieb herrschte, aber die Männer hatten mich gehört. Und sie wussten auch, dass ich dicht hinter ihnen stand.
Einer von ihnen fuhr herum.
Er war kein Europäer. Ich sah ihn aus der Nähe. Ein noch junges Gesicht mit kalten Augen. Der Bart auf der Oberlippe zeichnete sich als schwarzer Strich ab.
»Geh weg!«
Ich schüttelte den Kopf. »Nur mit ihr!«
Im Moment war er unsicher. Er fragte seinen Kumpan mit zischender Stimme etwas. Der gab ihm eine Antwort, ohne die Frau aus den Augen zu lassen.
Aber es kam anders. Ich hatte mich darauf eingestellt, angegriffen zu werden und war etwas zurückgegangen, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Da griff die Frau selbst ein.
Mein Glück war, dass ich sie sehen konnte. Nicht nur den Körper, auch das Gesicht und damit die Augen.
Ja, sie waren golden.
Aber sie veränderten sich.
Plötzlich wurden sie zu regelrechten Sonnen. Sie strahlten gleißend hell auf. Ich spürte an meinem Kreuz eine Reaktion. Es erwärmte sich an einer bestimmten Stelle, und dann hörte ich nur die entsetzten Schreie der Männer.
Nicht einmal laut, aber in ihnen klang das Wissen um den Tod mit. Mir passierte nichts. Auch das Licht blendete mich nicht, weil es auf zwei bestimmte Ziele beschränkt blieb.
Es waren die Männer.
Sie wurden von der zuckenden, goldenen Flut eingehüllt wie in zwei Gewänder. Das Licht zeichnete sie nicht nur äußerlich nach, sondern auch in ihrem Innern. Sie waren zu lichterfüllten Gestalten geworden, die sich nicht wehren konnten. Mich erinnerte die Szene an das Beamen aus den Star Trek-Filmen. Noch einmal zeichneten sie sich wie helle und von innen offene Schattengestalten ab, dann brachen sie auf der Stelle zusammen. Sie verschwanden nicht, aber sie rieselten samt ihrer Kleidung dem Boden entgegen, wo sie als Aschereste oder was auch immer liegenblieben. Heller Puder, der wie vom Himmel gefallen wirkte.
An der Wand sank die Frau mit den goldenen Augen allmählich in sich zusammen ...