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"Ich sage dir was, Conolly. Ich kann Geister filmen und ihre Stimmen aufnehmen." Der Fotograf hatte lange auf den Reporter eingeredet, um ihn zu einem Ausflug nach Wales zu überreden.
Die Spur der Geister führte sie zu einem kleinen Privatfriedhof am Rand eines Dorfes mit weltfremden Bewohnern. Dort erlebten Bill und sein Begleiter, dass alte Sarg-Legenden zu einer schrecklichen Realität werden konnten, in deren Strudel später auch Suko und John Sinclair hineingerissen wurden ...
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Sarg- Legenden
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Sarg-Legenden
von Jason Dark
»Ich sage dir was, Conolly. Ich kann Geister filmen und ihre Stimmen aufnehmen.« Der Fotograf hatte lange auf den Reporter eingeredet, um ihn zu einem Ausflug nach Wales zu überreden.
Die Spur der Geister führte sie zu einem kleinen Privatfriedhof am Rand eines Dorfes mit weltfremden Bewohnern. Dort erlebten Bill Conolly und sein Begleiter, dass alte Sarg-Legenden zu einer schrecklichen Realität werden konnten, in deren Strudel später auch Suko und John Sinclair hineingerissen wurden ...
»Lass die Toten ruhen, Mister, sonst liegst du schneller unter der Erde, als du denken kannst!«
Die Stimme des Mannes klang rau und bitterernst. Bill Conolly sah den Sprecher noch nicht genau. Er spürte ihn mehr hinter seinem Rücken und konzentrierte sich gleichzeitig auf die Scheibe des kleinen Schaufensters, in der sich die Gestalt abzeichnete. Sie sah nicht eben schmal aus. Der Mann hatte sich auch bewaffnet. Zwar malte sich der Baseball-Schläger nicht überdeutlich ab, aber er war schon zu sehen, und der Typ hielt ihn locker in der Hand.
Bill war kein Mensch, der schnell durchdrehte. Zuviel hatte er schon erlebt. Deshalb blieb er auch ruhig und gab sein Vorhaben, das kleine Geschäft zu betreten, zunächst auf.
Bill drehte sich um.
Jetzt stand der Sprecher vor ihm. Er sah aus wie der Dorfschläger, der immer dann ins Gefecht geschickt wurde, wenn andere Argumente nicht mehr griffen. Er trug eine flache Mütze, die das rote Haar nicht unbedingt verdeckte; es quoll unter den Rändern hervor. Das Gesicht war hart, knochig. Die Nase war breit und hatte einen Höcker. Eine blasse Haut mit Sommersprossen. Breite Schultern unter der graugrünen Jacke. Schaufelartige Hände, kleine Augen und eben dieser Baseball-Schläger, den er jetzt locker hin- und herwippte. Er war etwas größer als Bill und sich seiner Kraft sehr bewusst.
Der Reporter blieb freundlich. »Pardon, Mister, von welchen Toten haben Sie gesprochen?«
»Das weißt du genau.«
Bill zuckte mit den Schultern. »Sorry, aber da komme ich nicht mit.«
»Du schnüffelst hier herum. Du und dieser verdammte Fotograf. Es ist uns zu viel, das sage ich dir. Wir haben dich schon einmal gewarnt. Wir wissen, wer du bist, wo du herkommst, aber du hast nicht auf unsere Warnungen gehört. Wir wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden. Ihr seid auch nicht aus Trimball verschwunden, habt alle Warnungen in den Wind geschlagen, und deshalb werde ich dir eine Lehre erteilen. Keine Sorge, der andere ist auch noch dran.«
»Was meinen Sie mit den Toten? Habe ich ein Grab geschändet? Habe ich mich falsch verhalten? Was ist los?«
»Wir wollen euch nicht.«
»Das ist ein freies Land.«
»Ja, aber nicht hier, verdammt! Es ist groß genug, damit ihr eure Freiheit genießen könnt. Haut wieder ab in die Stadt. Da seid ihr am besten aufgehoben, aber nicht bei uns, verflucht.«
Bill blieb stur. »Mich hat bisher niemand vertrieben«, erklärte er mit ruhiger Stimme.
»Es gibt bei allem immer ein erstes Mal.« Der Kerl ließ sich nicht beirren. Er hob seinen Baseball-Schläger etwas an, und sein Gesicht spannte sich noch mehr. Er musterte Bill mit starrem Blick. Wahrscheinlich suchte er den Punkt, den er treffen wollte, um mit einem Schlag alles zu beenden.
Die Szene spielte sich am helllichten Tag ab und war nicht unbeobachtet geblieben. Es hatten sich Gaffer versammelt. Die Leute behielten eine respektable Distanz. Keiner wollte sich einmischen. Es gab auch niemand, der Bill zu Hilfe geeilt wäre, denn die Fronten waren klar. Gegen einen derartigen Schläger würde der Reporter nicht ankommen.
Er räusperte sich, lächelte. »Es ist nicht so, wie Sie meinen, Mister. Ich möchte hier nur in das Geschäft und etwas erledigen.«
»Ich weiß. Fotos entwickeln lassen.«
»Nein. Aber ist das ein Verbrechen?«
»Es kommt auf die Fotos an.«
Bill verdrehte die Augen. »Sie wären harmlos. Es wären Aufnahmen, die ich hier von der Gegend geschossen habe. Können oder wollen Sie das nicht begreifen?«
»Wir wollen es nicht!«
»Ich werde trotzdem hineingehen.«
»Nein!«
Bill hatte schon am Klang der Stimme gehört, dass dem Typen der Geduldsfaden gerissen war. Er wollte keine Sekunde länger warten, und Bill hörte das Fauchen, als der Mann den Schläger hochschwang. Er wollte es richtig machen. Erst ausholen, dann zuschlagen. Aber er war von sich selbst zu sehr überzeugt. Er wollte es genießen, den anderen fertig zu machen. Vor allem unter den Augen der Zuschauer. Bill hörte noch sein Knurren, und im nächsten Augenblick wich dieses Geräusch einem pfeifenden Laut, der aus den beinahe zusammengepressten Lippen hervorstieß.
Da hatte ihn Bills Tritt erwischt. Ziemlich tief. Die Bauchdecke war in Mitleidenschaft gezogen worden. Mit einer schlaffen Bewegung fielen die Arme nach unten, zusammen mit dem Baseball-Schläger, der noch über den Boden kratzte.
Der Typ keuchte. Er war rot angelaufen. Bill musste eine Schwachstelle erwischt haben. Dann drehte der Mann sich um und lehnte sich gegen die Scheibe des Schaufensters. Undeutlich sah Bill dahinter das erschreckte Gesicht des Besitzers, und er nickte dem Schläger zu.
»Reicht das?«
Der Typ holte Luft. Seine Mütze saß jetzt schief. Er stierte Bill an. Hilfe erhielt er nicht. Die Gaffer hielten sich zurück. Sie wollten nichts mit der Auseinandersetzung zu tun haben.
»Du wirst verrotten!«
»Kann sein, aber später.«
»Lass die Toten in Ruhe!«
»Die Warnung kenne ich schon. Ich habe sie nicht angefasst. Das wissen Sie?«
»Sie wollen nicht gestört werden. Nicht von dir und auch nicht von dem Knipser.«
»Der Knipser ist ein Fotograf. Er hat auch kein Grab auf dem alten Friedhof geöffnet. Alles, was Sie hier erzählen, ist der reinste Schwachsinn.«
»Wir wollen es nicht!«
Der Mann war unbelehrbar. Bill überlegte, ob er ihn nicht besser ins Wirtshaus mitnahm, um von ihm Informationen zu bekommen. Es hatte sich im Ort herumgesprochen, dass Fremde aufgetaucht waren und sich um den alten Friedhof kümmerten. Das mochten die Menschen nicht. Sie lebten ihr eigenes Leben. Mit dem Friedhof und mit seinen Toten. Zuerst hatte Bill nur das abweisende Verhalten gespürt. Sehr schnell war es umgeschlagen in blanken Hass, unterstützt durch rohe Gewalt, wie der Reporter am eigenen Leibe erfahren hatte.
Er wollte die Konfrontation nicht, sondern friedlich seiner Arbeit nachgehen, doch damit hatte er in ein Wespennest gestochen, und nun waren fast alle Menschen hier zu schwirrenden und stechbereiten Wespen geworden.
Wie auch der Schläger, der noch nicht aufgegeben hatte. Bill hatte einen Fehler begangen. Er hätte nachsetzen sollen, so aber wurde er von dem plötzlichen Angriff überrascht.
Nicht wieder mit dem Baseball-Schläger. Diesmal war es der gesenkte Kopf, den der Mann nach vorn rammte.
Bill zuckte noch zurück, nahm dem Treffer jedoch nur die Wucht. Vermeiden konnte er ihn nicht. Er taumelte nach hinten auf den Rand des Gehsteigs zu und prallte gegen einen dort abgestellten Wagen.
Der Schläger schrie. Seine hölzerne Waffe hatte er über den Kopf geschwungen. Das Gesicht war vor Wut verzerrt. Er rannte vor und schlug zu.
Es war kaum zu begreifen. Dieser Mann hätte Bill den Schädel zertrümmert, wenn es zu einem Treffer gekommen wäre. Aber der Reporter warf sich zur Seite. Er rutschte dabei am Fahrzeug entlang, riss noch einen Außenspiegel ab und hörte im nächsten Augenblick das krachende Geräusch, als das glatte Stück Holz gegen den Wagen wuchtete.
Auf dem Dach blieb eine Delle zurück, und der Schläger schrie vor Wut auf, bevor er herumwirbelte. Er hatte nicht aufgegeben. Er wollte Bill eine Lektion erteilen und wenn es die letzte in dessen Leben war. Dabei schrie er seinen Hass hinaus. Seine mächtigen Arme bewegten sich wie Dreschflegel. Immer wieder fegte die Waffe durch die Luft, und Bill musste zurück, um nicht getroffen zu werden.
Niemand kam auf die Idee, ihm zu helfen. Der Kreis der Gaffer war größer geworden. Alle wollten zuschauen, wie einer der ihren einen Fremden fertigmachte.
Bill wusste, dass es hier zu einer Lösung kommen musste. Es hatte keinen Sinn, wenn er versuchte, vor dem Schläger zu fliehen. Dessen zahlreiche Helfer hätten ihn gestoppt; jeder aus dem Dorf hielt zum anderen. Bisher hatte Bill den Schlägen entwischen können. Es war ihm nicht einmal Zeit geblieben, seine Waffe zu ziehen. Der kleinste Moment der Unaufmerksamkeit konnte sein Schicksal besiegeln.
Mit einem wütenden Schrei sprang der Schläger auf ihn zu. Er wollte von oben nach unten schlagen, und sein Gesicht war in maßloser Wut verzerrt.
Bill wich wieder aus.
Der Baseball-Schläger krachte neben ihm zu Boden. Ein Faustschlag erwischte das Gesicht des Mannes und traf die knochige Nase, die plötzlich schief saß und zu bluten begann.
Das machte den Kerl noch wütender. Er griff ohne Rücksicht auf sich selbst an. Er war zu einem Roboter geworden, der sich nicht stoppen ließ. Aus seiner Nase rann das Blut und war bereits in seinen Mund hineingetropft. In den Augen lag kein menschlicher Ausdruck mehr. Dieser Mann würde alles, was sich ihm in den Weg stellte, töten, und mit Bill wollte er den Anfang machen.
Der Reporter hatte keine Lust mehr, das Katz-und-Maus-Spiel noch weiter in die Länge zu ziehen. Er musste zu einem Ende kommen und tat etwas völlig Überraschendes.
Als der Schläger wieder ausholte, glitt Bill Conolly plötzlich und unerwartet auf ihn zu. Er unterlief ihn, als der Mann brutal zuschlug. Es war ein Risiko für Bill, aber er hatte seine Aktion genau getimt. Der Baseball-Schläger traf ihn nicht. Er hatte ihn unterlaufen und prallte mit dem harten Körper zusammen, den Bill nicht nach hinten stieß. Er nutzte den Vorwärtsschwung des anderen aus und wuchtete den Mann über seine Schulter hinweg.
Plötzlich konnte der Kerl fliegen. Bill hörte ihn noch schreien und in der gleichen Sekunde das Klirren. Mit dem Oberkörper zuerst war der Schläger in die Schaufensterscheibe hineingefallen.
Bill duckte sich und schützte den Kopf mit seinen Armen. Er wollte nicht von Splittern getroffen werden, von denen die meisten natürlich nach innen fielen, zusammen mit dem Schläger.
Der Reporter dreht sich um. Er sah, was sein Angriff angerichtet hatte. Die alte Scheibe des kleinen Kramladens war völlig zerstört worden. Zwischen den Auslagen lag die massige Gestalt des Mannes. Sie hatte beim Fall in das Schaufenster hinein so einiges zur Seite geräumt. Nichts stand oder lag mehr so wie vorher. Und in diesem Chaos lag der Mann auf dem Bauch, die Arme ausgebreitet. Seine Waffe hatte er verloren.
Er rührte sich nicht mehr.
Ebenso wie der Ladenbesitzer. Der Mann mit den weißen Haaren war zu einer Statue geworden. Er hielt sich an seiner Theke fest, um nicht umzufallen. Die Augen wirkten wie blasse Kugeln, doch das sah Bill nur am Rande.
Er kümmerte sich als einziger um den Schläger, denn die Neugierigen rührten sich nicht.
Der Mann war mit dem Gesicht zuerst in die Scheibe hineingefallen. Bill richtete sich darauf ein, schlimme Verletzungen zu sehen. Er musste selbst achtgeben, nicht von den Splittern verletzt zu werden, als er den Mann herumwuchtete.
Auf dem Rücken blieb er liegen.
Er lebte, aber er war verletzt. Die Scherben hatten sein Gesicht zerschnitten. Einige kleine Stücke steckten noch in seiner Haut, und auch seine Lippe war aufgetrennt worden. Mühsam hielt der Kerl die Augen offen, in die, über die Brauen hinweg, Blut hineinsickerte. Er erkannte Bill, doch sein Hass war nicht gestoppt worden.
»Du hast nicht gewonnen«, gurgelte er trotz der verletzten Lippe hervor. »Nein, das hast du nicht. Es ist schon alles vorbereitet. Wir wissen alles über dich ...«
»Ja, schon gut, Mister. Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen um mich machen. Ihnen geht es schlechter. Sie hätten sich das hier ersparen können.«
»Du wirst nicht gewinnen.« Noch einmal sprach er diesen Satz, dann wurde er bewusstlos.
Bill trat vorsichtig aus dem Schaufenster wieder hinaus. Er drehte sich um und schaute den Gaffern in die Gesichter, die ihre Plätze noch immer nicht verlassen hatten. Sie sagten nichts, schwiegen beharrlich und sahen trotzig aus.
»Kümmert euch um euren Freund. Er braucht ärztliche Behandlung, falls es hier einen Doktor gibt. Ansonsten sollte euch sein Schicksal eine Warnung sein.«
Die Tür des Ladens war noch in Ordnung. Bill drückte sie auf. Er betrat das Geschäft auf dem normalen Weg. Die letzten Worte des Mannes wollten ihm nicht aus dem Kopf. Er wusste nicht, was der Kerl damit gemeint hatte, dass sie alles von ihm wussten, doch nach einem Bluff hatte es nicht geklungen.
Der Besitzer hatte sich noch immer nicht gerührt. Nur der Blick war jetzt zu Boden gerichtet, wie bei einem Menschen, der sich schämte.
Es war ein Geschäft, in dem man praktisch alles kaufen konnte. Ein richtiger Kramladen. Von der Angel bis zum Pfund Salz war alles vorhanden, und das auf engstem Raum. Dieser Laden schien die Zeiten überdauert zu haben.
»He, schlafen Sie nicht!«
Der Weißhaarige schaute hoch. Er trug einen grauen Kittel und setzte jetzt zitternd seine Brille auf. »Bitte, tun Sie mir nichts, Mister. Greifen Sie mich nicht an, ich ...«
Bill Conolly blieb stehen und lachte. »Das hatte ich auch nicht vor. Ich wollte nur etwas bei Ihnen einkaufen.« Er drehte sich um, weil er hinter seinem Rücken Geräusche gehört hatte.
Die anderen Menschen hatten sich endlich in Bewegung gesetzt. Sie waren damit beschäftigt, den Schläger aus der Auslage zu holen. Sehr behutsam gingen sie dabei vor, denn sie wollten nicht, dass ihm noch mehr passierte.
»Ich habe alles gesehen, Mister«, sagte der Ladenbesitzer.
»Das weiß ich.«
»Aber ich werde nichts der Polizei sagen.«
»Ach, warum nicht?«
Der Mann rückte seine Brille zurecht. Bill sah hinter den Gläsern die Angst in den Augen des Mannes. »Hier regelt man alles allein, verstehen Sie?«
»Nein.«
»Wir leben hier für uns.«
»Und niemand darf Sie stören.«
»So ist es.«
Bill blieb an der Theke stehen, die ebenfalls mit Waren vollgestopft war. Es gab nur einen schmalen Durchlass, ansonsten war alles zugebaut worden. Auf der einen Seite mit Toilettenpapier, auf der anderen mit großen Bonbongläsern.
»Warum sehen Sie das so eng, Mister?«, fragte Bill. »Warum kapseln Sie sich von der Welt ab? Sie sind nicht der einzige hier im Ort, der so reagiert. Ich habe es schon öfter erlebt.«
»Was wollen Sie kaufen?«
Bill schaute nach draußen.
Über die Straße hinweg trugen die Dorfbewohner den Verletzten. »Wissen Sie, wer sich um ihn kümmert?«
»Ja, ein Arzt, der aus dem Ort hier stammt. Er hat in einem Krankenhaus in Cardiff gearbeitet. Nach seiner Pensionierung ist er wieder hergezogen.«
»Dann bin ich ja zufrieden.«
»Es wäre besser, wenn Sie gehen!«, sagte der Weißhaarige.
»Darf ich hier nichts kaufen?«
»Das schon. Dann sollten Sie den Ort verlassen. Nehmen Sie Ihren Freund mit.«
Bill lächelte. »Ich kann Ihnen viel versprechen, Mister, das allerdings nicht.«
»Warum gehen Sie nicht?«, flüsterte der Weißhaarige scharf.
»Weil ich noch hier in Trimball zu tun habe. Das ist alles.«
»Hier? Oder meinen Sie den Friedhof?«
»Den auch.«
»Vergessen Sie ihn!«
Bill beugte sich vor. Er schüttelte dabei langsam den Kopf. »Nein, Meister, den vergesse ich nicht. Erst recht jetzt nicht. Kann es nicht sein, dass das Verhalten der Leute hier – Sie eingeschlossen – etwas mit ihm zu tun hat?«
Der Mann wich einen Schritt zurück. Sein Gesicht verschloss sich, und er fragte: »Was wollten Sie kaufen?«
»Nur ein Messer. Ein Taschenmesser. Das führen Sie doch, denke ich mal.«
»Ja, Moment.«
Der Verkäufer verschwand hinter der Theke. Er bückte sich und kramte in einer Schublade herum. Als er sich wieder erhob, hielt er einen kleinen Kasten in der Hand, dessen Deckel bereits aufgeklappt war.
»Suchen Sie sich eines aus.«
»Danke.« Bill entschied sich für ein Schweizer Messer. Es war auch am teuersten. Er bezahlte und bekam etwas Wechselgeld zurück, das der Mann aus dem Fach einer alten Klingelkasse holte. Bill steckte die Münzen und das Messer ein.
»Was ist auf dem Friedhof los?«, fragte er.
»Gehen Sie!«
»Und was hat der Friedhof mit der alten Schlossruine zu tun? Ich weiß, dass es die privaten Gräber der ehemaligen Schlossbesitzer sind. Fürchten Sie sich davor?«
»Lassen Sie die Toten in Ruhe!«
»Das habe ich heute schon mal gehört!«
»Dann halten Sie sich daran! Sie sind bereits zu lange hier in Trimball.«
»Nur drei Tage!«
»Das sind drei zu viel.«
Bill wurde allmählich sauer. Im Laufe seines Berufslebens hatte er schon viele ungewöhnliche Orte kennengelernt, aber Trimball war die Spitze. Niemand war ihm freundlich entgegengekommen. Weder Frauen, Männer noch Kinder. Die Bewohner hielten hier zusammen, als wäre dieser Zusammenhalt durch einen unsichtbaren Ring geschweißt worden. Fremde liefen hier vor eine Mauer.
»Was denkt man hier über mich und meinen Kollegen?«
Der Weißhaarige zog die Nase hoch. Sein Mund zuckte. »Wir wissen genug. Wir wissen immer genug. Und da wir genug wissen, wollen wir unter uns bleiben.«
»Und mit dem Friedhof.«
»Der gehört dazu.«
»Wie auch das Schloss?«
»Ja.«
»Wer lebt denn von den Kilrains noch?«
»Niemand mehr.«
»Dann liegen alle auf dem Friedhof?«
»Ja.«
»Wann ist der letzte Kilrain gestorben?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Aber hier mag man sie noch immer?«
»Sie waren früher die Herren. Unsere Vorfahren haben ihnen Respekt entgegengebracht. Und diesen Respekt haben wir übernommen. Wir möchten nicht, dass sich Fremde darum kümmern.«
»Das habe ich gemerkt«, sagte Bill. »Dafür seid ihr hier sogar bereit, einen Menschen umzubringen.«
»Sie sind gewarnt worden.«
»Stimmt. Man weiß ja alles über mich und meine Herkunft. Das hörte ich gestern schon. So abgeschieden lebt ihr hier nicht. Das habe ich alles begriffen. War ich der erste, den man von hier hat vertreiben wollen?«
Der Krämer ballte die Hand zur Faust. »Wir haben niemand vertrieben, das sollten Sie sich merken.«
»Dann liegt es an mir.«
»Wir wollen, dass die Toten in Ruhe gelassen werden. Andere Wünsche haben wir nicht. Und das ist wohl unser gutes Recht, verdammt noch mal. Oder wie sehe ich das?«
»Schon richtig, Mister, die Toten soll man in Ruhe lassen.« Bill lächelte grimmig. »Die Erfahrung allerdings hat mich gelehrt, dass nicht alles, was unter der Erde liegt, auch wirklich tot ist. Da gibt es manchmal schon Unterschiede, mein Lieber. Oder denken Sie darüber anders?«
»Gehen Sie jetzt!«
»Ich bleibe trotzdem. Wissen Sie, ich liebe nun mal Friedhöfe. Daran kann ich nichts ändern. Es ist so etwas wie ein Hobby von mir.«
Der Ladenbesitzer ließ Bill stehen. Er ging in eine Ecke und holte einen Reisigbesen, um die Scherben zusammenzufegen. Bill Conolly war für ihn Luft geworden.
Der Reporter ärgerte sich nicht mehr darüber, dass man ihn stehen gelassen hatte wie einen kleinen Jungen. Das kannte er auch von den anderen Bewohnern, die mit ihm nicht viel im Sinn hatten. Er verließ den Laden und drehte sich noch einmal um, als er die Straße überquerte.
Der Krämer starrte ihm nach. Er hatte sich auf seinen Besen gestützt und sah aus wie ein Arbeiterdenkmal.
Seltsame Menschen, dachte Bill. Aber auch gefährliche. Sie hatten etwas zu verbergen. Um dies herauszufinden, war der Reporter zusammen mit Harry Doyle nach Trimball gekommen, wobei er nicht einmal der Initiator gewesen war, sondern Harry, der Fotograf, der in Fachkreisen auch der Irre genannt wurde.
Momentan befand sich Harry nicht im Ort. Er hatte den Friedhof besuchen wollen, weil er immer noch darauf hoffte, Fotos schießen zu können und Stimmen aufzunehmen.
Fotos von einem Friedhof zu machen und auch Geräusche aufzunehmen, war im Prinzip nichts Besonderes, nur lag der Fall hier etwas anders. Harry Doyle behauptete steif und fest, die Geister der Toten auf einen Film bannen zu können. Und er war weiterhin davon überzeugt, dass die Toten sich sogar mit ihren flüsternden Geisterstimmen von Sarg zu Sarg unterhielten und sich alte Geschichten erzählten, die ihren Ursprung in der Vergangenheit hatten.
Sarg-Legenden ...
Bill saugte die klare und kühle Luft durch die Nase ein. Er schaute zu den Hügeln hin und dann zum Himmel, der allmählich grauer zu werden begann.
Für ihn wurde es Zeit, den Friedhof zu besuchen, wo Harry Doyle bereits auf ihn wartete ...
Der Reporter hatte seinen Porsche am Eingang des Dorfes abgestellt. Nahe einer alten Trauerweide, die neben einem schmalen Bach wuchs und deren dünne Äste noch blattlos waren und tief herabhingen. Es begegnete ihm niemand mehr, als die letzten Häuser hinter ihm lagen. Er fühlte sich nicht wohl und wünschte sich, mehr als zwei Augen zu haben.
Die kleinen geduckten Bauten waren hinter ihm zurückgeblieben. Es gab nur wenige Straßen in Trimball. Die meisten wiesen einen schlechten Belag auf. Zahlreiche Schlaglöcher gaben sich dort ein Stelldichein, und niemand kümmerte sich um eine Ausbesserung.
Neben seinem silberfarbenen Flitzer blieb Bill stehen. Er hatte das Auto bewusst hier draußen abgestellt, weil er den Leuten im Ort nicht traute. Wer so verhasst wie Bill Conolly war, der musste auch damit rechnen, dass man ihm die Reifen zerstach.
Auch jetzt schaute er nach und ging dabei um sein Auto herum. Er fand alles normal vor und stieg ein. Dass man ihm eine Bombe unter die Kühlerhaube gelegt hatte, bezweifelte er. So technisch versiert waren die Menschen hier nicht, obwohl er sich immer nur über sie wundern konnte, was ihren Informationsfluss anging. Sie wussten tatsächlich über ihn Bescheid, wobei Bill nur wenig über sich selbst berichtet hatte. Aber er war nicht allein, und Doyle, der sich schon zweimal zugeschüttet hatte, war betrunken bestimmt gesprächig gewesen.
Als Bill die Tür öffnen und einsteigen wollte, hörte er plötzlich den dünnen Pfiff.
Ein Vogel war das nicht gewesen. Davon ging er aus. Das konnte er auch unterscheiden.
Bill drehte sich langsam zur Seite. Dabei fiel sein Blick auf den Stamm der Trauerweide. Sehr dick war er nicht, aber immerhin breit genug, um dem Jungen ein Versteck zu bieten, der sich dahinter verborgen gehalten hatte.
Jetzt schob er sich hervor. Bill sah, wie vorsichtig er sich bewegte. Er schien Angst zu haben, von jemand beobachtet zu werden. Bill kniff die Augen leicht zusammen. Er glaubte, den Jungen zu kennen, denn er hatte ihn schon einmal im Ort gesehen und auch nicht vergessen, dass ihn der Junge mit etwas seltsamen, aber nicht feindlichen Blicken angeschaut hatte.
Der Reporter lächelte ihm entgegen. »He, Kleiner, wolltest du zu mir?«
»Ja.«
»Dann komm.«