John Sinclair Sonder-Edition 223 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 223 E-Book

Jason Dark

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Niemand in der Stadt sprach gern über ihn, denn er hatte durch sein blutiges Handwerk damals Zeichen gesetzt. Ludwig van Thann war ein Hexenjäger. Grausam wie selten jemand und auch machtgierig.
Zu machtgierig, denn der Klerus und auch die Oberen in der Stadt wollten ihn nicht mehr unter sich wissen. Sie jagten ihn davon. So zumindest dachten sie. Aber der Hexenjäger kehrte Jahrhunderte später nach Bamberg zurück. Als unheimlicher Sensenmann wollte er beweisen, dass er noch stärker als der Teufel war ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Der Sensenmann

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Der Sensenmann

von Jason Dark

Niemand in der Stadt sprach gern über ihn, denn er hatte durch sein blutiges Handwerk damals Zeichen gesetzt. Ludwig van Thann war ein Hexenjäger. Grausam wie selten jemand und auch machtgierig.

Zu machtgierig, denn der Klerus und auch die Oberen in der Stadt wollten ihn nicht mehr unter sich wissen. Sie jagten ihn davon. So zumindest dachten sie. Aber der Hexenjäger kehrte Jahrhunderte später nach Bamberg zurück. Als unheimlicher Sensenmann wollte er beweisen, dass er noch stärker als der Teufel war ...

»Es wird dunkel«, sagte Maria Much und trat so hastig vom Fenster ihres kleinen Zimmers weg, als hätte sie Angst, vom Schatten der mächtigen St. Michaelskirche erdrückt zu werden. Sie sah noch, dass sich auf ihren Handrücken eine Gänsehaut gebildet hatte.

Hinter ihr lachte Lady Sarah Goldwyn leise auf. Sie saß in einem bequemen Sessel mit hoher Lehne und wurde vom sanften Schein einer Stehlampe erfasst, deren Pergamentschirm mit kleinen Rosen bedruckt war. »Es ist bereits dunkel, meine Liebe.«

»Ja – leider.« Maria nickte betrübt.

»Warum?«

Die siebzigjährige Witwe drehte sich vom Fenster weg. »Du weißt doch, Sarah, dann wird er kommen.«

»Noch habe ich ihn nicht gesehen.«

»Keine Sorge, er ist unterwegs.« Maria schlurfte zu einem zweiten Sessel und ließ sich seufzend hineinfallen. Danach faltete sie die Hände wie jemand, der betet. Sie schloss die Augen und hing ihren Gedanken nach, wobei sie die wohlige Wärme des Zimmers genoss, denn es war draußen plötzlich wieder kalt geworden. In den höher gelegenen Gebieten war sogar Schnee gefallen, und das im April.

Lady Sarah ließ die alte Freundin in Ruhe. Ihretwegen und auch wegen IHM war sie nach Bamberg gekommen und hatte das Altenheim hoch über der Stadt besucht. Ihre Freundin von früher lebte in diesem Heim nahe der Kirche. Seit drei Jahren hatte sie ihre Wohnung unten in der Stadt mit dem Zimmer im Altenheim vertauscht. Hier wurde für sie gesorgt, hier brauchte sie sich nicht um die Einkäufe zu bemühen und es blieb ihr erspart, die schmalen und oft steilen Wege zu gehen.

Beide Frauen hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Auf einer Urlaubsreise in den Tropen hatten sie sich kennengelernt und Freundschaft geschlossen. Einmal hatte Maria die Freundin in London besucht. Es war bei diesem einen Besuch geblieben, da sie sich in der hektischen Stadt nicht wohl gefühlt hatte.

Lady Sarah hatte es nie in das schöne – wie sie jetzt zugeben musste – Bamberg gezogen. Doch der Kontakt der beiden Frauen war nie abgerissen. Wozu gab es die Post und auch das Telefon? So waren sie immer in Verbindung geblieben und hatten viel voneinander erfahren. Maria Much wusste sehr gut, welchem Hobby Lady Sarah frönte, denn nicht grundlos wurde sie Horror-Oma genannt.

Maria hatte sich darüber stets amüsiert, wenn sie erfahren hatte, in welch kuriose und gefährliche Abenteuer Lady Sarah oft verwickelt gewesen war. Sie selbst glaubte davon nichts. Doch ihr war das Lachen dann vergangen, als ER erschienen war.

Ein Monstrum. Eine grausame Gestalt, die des Nachts durch Bamberg schlich und auch den Michaelsberg nicht verschont hatte. Angeblich hatte die Gestalt schon Tote hinterlassen. Da schwieg sich die Polizei aus. Wer immer das Thema auch erwähnte, der wurde barsch zur Seite geschoben. Was nicht sein durfte, das konnte auch nicht sein.

Und doch gab es ihn.

Maria hatte ihn gesehen. In der letzten Woche, in den letzten Tagen. Seine Sense geschultert, war er über den Kirchhof geschlichen und hatte sogar ihr Fenster passiert.

An die Polizei und auch an den Heimleiter Bobby Eberle hatte sich Maria nicht wenden wollen. Es war auch so etwas wie Jagdfieber in ihr erwacht. Seit dem Tod ihres Mannes war das Leben doch sehr eintönig geworden. Von jungen Leuten wusste sie, dass diese immer einen Kick haben mussten, um etwas zu unternehmen. Maria ging mittlerweile davon aus, dass dieser Kick nicht unbedingt altersmäßig begrenzt sein musste, und so hatte sie ihre alte Freundin Lady Sarah angerufen, ihr alles erzählt und auf einen Besuch gehofft.

Sarah hatte sie nicht enttäuscht. Sie war in den nächsten Flieger gestiegen und hatte sich dann mit einem Taxi von Frankfurt nach Bamberg bringen lassen.

Den Tag über hatten die beiden Frauen nur geredet. Zwischendurch waren sie auf dem Hof spazieren gegangen und hatten sich auch einen Wagen gemietet, um die Stadtrundfahrt genießen zu können, wobei sich die Horror-Oma besonders für ein bestimmtes Haus interessiert hatte. Es war das E.T.A. Hoffmann-Haus am Schillerplatz Nr. 26.

Lady Sarah wollte das Haus, das zugleich ein kleines Museum war, unbedingt noch besichtigen. Vorrang allerdings hatte ER.

»Schläfst du, Maria?«

»Nein, ich denke.«

»Woran?«

»An IHN!«

»Ah, lass das doch. Wenn er da ist, dann ist er da, und wir schauen ihn uns an.«

Maria öffnete die Augen. »Das sagst du so leicht, Sarah. Wenn du ihn wirklich siehst, bekommst du das große Zittern.«

Die Horror-Oma lächelte spitzbübisch. »Woher willst du das wissen, Maria?«

»Weil alle das Zittern bekommen. Wäre es anders, dann wäre es auch unnormal. Ich habe ihn dir schon beschrieben. Er sieht grauenvoll aus. Diese graue Gestalt mit der geschulterten Sense, dem langen dunklen Mantel und dem Schlapphut. Furchtbar ist das.« Sie schauderte im Sessel zusammen.

»Erst mal herausfinden, ob es ihn gibt.«

»Denkst du, dass ich dich anlüge?«

»Nein, das habe ich nicht gesagt. Aber eine gesunde Skepsis darf ich doch wohl haben?«

»Ja, das schon. Ich begreife es ja auch nicht. Der ist wie eine Gestalt aus den phantastischen Geschichten eines E.T.A. Hoffmann.« Maria hob einen Arm und spreizte die Finger. »Als wäre er aus den Büchern gestiegen und zum Leben erweckt worden.«

»Kann sich da jemand verkleidet haben?«

»Ha.« Beinahe wäre Maria sogar aus dem Sessel gesprungen. »Nein, auf keinen Fall. Der ist echt. Ich habe ihn schließlich selbst gesehen. Und dann denk an die Morde, die passiert sind.«

»Und die die Polizei nicht zugeben will – oder?«

»Ist doch klar. Sie können das nicht. Ich habe mich ja an diesen Kommissar gewandt.« Sie räusperte sich. »Verflixt, wie heißt er denn nun gleich? Ich habe dir doch auch den Namen gesagt.«

»Hinz. Uwe Hinz.«

Maria ließ die Hand wieder sinken. »Ja, du hast recht. Bist nicht so senil wie ich.«

»Ach, glaube das nur nicht.«

»Ist auch egal.« Sie beugte sich vor, um Sarah ansehen zu können. Dabei zog Maria die dunkelblaue Strickjacke enger um ihren Körper. »Er jedenfalls hat mich ausgelacht und nicht ernstgenommen. Wahrscheinlich hat er mich für eine alte und vertrottelte Vettel gehalten. Aber das bin ich nicht. Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen.« Sie wies mit zitternder Hand zum Fenster. »Und zwar hier. Aber nie bei Tageslicht. Immer dann, wenn es dunkel war, Sarah. Und jetzt ist es dunkel.«

»Dann sollte ich mich mal ans Fenster stellen – oder?«

»Wenn du willst.«

»Den Gefallen tue ich dir gern. Die alten Knochen brauchen sowieso etwas Bewegung.« Lady Sarah stand auf. Wie bei ihr üblich, so fing es auch bei dieser Bewegung an zu klirren, denn die vier Ketten, die sie um den Hals gehängt hatte, bewegten sich durch den Schwung und prallten gegeneinander.

Die Wohnung hier bestand aus einem Zimmer. Es war recht groß, so hatte Maria Much auch eine Schlafgelegenheit aufstellen können. Ein Bett hinter dem Vorhang versteckt. In der Nähe des Fensters stand eine Kochplatte, und auf eine Mikrowelle hatte sie auch nicht verzichten können, ebenso wenig wie auf den Kühlschrank. Zum Zimmer gehörte noch ein Nassraum mit einer Dusche und einem Waschbecken. Ansonsten hatte Maria Much so viele Möbel wie möglich aus ihrer alten Wohnung mitnehmen können. Sogar von ihren Eltern waren noch Stücke dabei. Die Kommode und die beiden Stühle zeigten den klassischen Jugendstil.

Vor dem recht kleinen Fenster blieb die Horror-Oma stehen. Es war nicht nur klein, sondern auch quadratisch und erinnerte mehr an das Fenster einer Dachgaube. Die Räume in dem hier errichteten Altenheim sahen aus, als lägen sie inmitten einer Burgmauer, in die eine Reihe von Fenstern hineingeschlagen worden waren. In der Tat waren sie früher vor dem Aus- und Umbau einmal Wirtschaftsgebäude gewesen.

Lady Sarah öffnete das Fenster. Sie hatte nichts gegen eine gewisse Wärme, doch in diesem Fall kam ihr das Zimmer schon überheizt vor. Deshalb war sie froh, die kühle Luft einatmen zu können, die vom Kirchhof zu ihr wehte.

Eigentlich war es eine Burg, die auf dem Michaelsberg stand. Hier hatten früher die Benediktiner gelebt, und auch das Brauereimuseum gehörte noch zur Anlage.

Von bestimmten Stellen hatte der Betrachter von hier oben einen wunderbaren Blick über die Stadt Bamberg mit den alten Häusern, den vielen Brücken, die über die Regnitz führten, und die als zweites Gewässer noch den Main-Donau-Kanal aufwies.

Der Hof war leer. Ihr Blick traf die breite Freitreppe, die bis an das Portal der St. Michaels-Kirche führte mit der Heilig-Grab-Kapelle in ihrem Innern.

Hier oben war es oft windig und während der Sommermonate auch nie so stickig wie zwischen den schmalen Häusern unten am Fluss. An diesem Abend jedoch hatte sich der Wind zurückgezogen, und es wehte so gut wie kein Lüftchen über den Friedhof.

Ein prächtiger Himmel spannte sich über der Stadt. Er war so gut wie wolkenfrei, und darauf malte sich, wie mit Pinselstrichen gezeichnet, der Halbmond ab. Er sah so klar und prächtig aus. Wie eine hochkant gestellte Gondel, die den Weg von Venedig bis hierher an den Himmel gefunden hatte.

Die frische Luft war für Lady Sarah wie ein Lungenbalsam. Eine Aussicht auf die Stadt konnte sie nicht genießen. Es reichte ihr, die mächtige Kirche zu sehen, die auch einen Schatten warf. Ansonsten aber stand sie da wie jemand, der die Menschen bewachte, damit ihnen kein Unheil widerfuhr.

Und gerade auf diesem Platz sollte sich der unheimliche Sensenmann gezeigt haben.

Es war normalerweise nicht zu glauben, aber die Horror-Oma hatte im Laufe der letzten Jahre schon zu viele böse Erfahrungen sammeln können. Das lag unter anderem auch an der Detektivin Jane Collins, die mit ihr zusammen in einem Haus wohnte. Zudem war Jane eine Freundin von John Sinclair, dem Geisterjäger.

Bei Vollmond wäre es heller gewesen. So aber verteilte sich auf dem Pflaster nur ein schwacher, bleichsilbriger Schein, als hätte eine große Hand mal kurz darüber hinweggestrichen.

Es bewegte sich nichts auf dem Platz. Auch nicht auf der Treppe, die zum Portal der Kirche hochführte. Aus den anderen Fenstern rechts und links drang ebenfalls Lichtschein, der zwar das Pflaster noch erreichte, aber nur wenig Helligkeit brachte.

Und es war still. Da die Bewohner wegen der Kälte die Fenster geschlossen hielten, drang auch kein Laut aus den Räumen nach draußen, weder Musik noch irgendwelche Geräusche aus den Fernsehapparaten.

»Siehst du was, Sarah?«

»Nein, es ist alles normal.«

»Und du hörst auch nichts?«

»Ich muss dich wieder enttäuschen.«

»Nein, nein, ich bin sogar froh. Aber wenn er kommt, hört man ihn nicht. Ich zumindest nicht.«

»Hast du denn auch am offenen Fenster gestanden?«

»Ha, was denkst du von mir? Ich bin zwar alt, aber nicht lebensmüde. Ich habe mich hier in meinem Zimmer zusammengeduckt und gebetet. Ich dachte bei seinem Anblick, dass der Leibhaftige das Höllenfeuer verlassen hat und gekommen ist, um die Kirchen in dieser wunderschönen Stadt zu zerstören oder sich untertan zu machen. Stell dir mal vor, er zerschlägt im Dom mit seiner Sense den Bamberger Reiter. Das wäre ja undenkbar.«

»So weit ist er wohl noch nicht gekommen«, sagte Lady Sarah trocken. Sie beugte sich noch einmal aus dem Fenster. Diesmal weiter, sodass sie den Druck des unteren Rahmens an ihrem Bauch spürte. Sie drehte den Kopf nach rechts, dann nach links, aber auch dort war nichts zu sehen. Niemand bewegte sich durch den aus den Fenster fallenden Lichtschein. Alles blieb still.

Andererseits war es noch früh am Abend. Maria hatte Sarah berichtet, dass die Gestalt mit der Sense nie zu einer bestimmten Zeit erschien. Man konnte mit ihr rechnen, wenn sich die völlige Dunkelheit über das Land gesenkt hatte.

»Du kannst ja in einer halben oder in einer Stunde noch mal nachschauen«, schlug Maria vor. »Ich koche uns inzwischen einen Tee. Oder möchtest du Kaffee?«

»Nein, Tee ist schon recht.«

»Alles klar, Lady«, sagte Maria und wollte sich aus ihrem Sessel erheben. Sie blieb aber sitzen, weil sie die heftige Handbewegung ihrer englischen Freundin gesehen hatte.

»Was ist denn, Sarah?«

»Ich glaube, da bewegt sich was, und das ist kein Tier.« Die Stimme der Horror-Oma hatte seltsam gepresst geklungen, wie bei jemand, der von plötzlicher Spannung erfasst wird.

Tatsächlich hatte Sarah etwas gesehen. Sie wusste nicht genau, ob auf der breiten, zum Portal führenden Treppe oder davor, aber in der Dunkelheit malte sich etwas ab, das noch schwärzer war als sie.

Maria Much hielt es nicht mehr im Sessel aus. Sie kam zu Sarah, blieb aber hinter ihr stehen und atmete über deren Schulter hinweg. »Kommt er schon jetzt und ...?«

»Pssst ...«

»Schon gut. Ich bin eben so aufgeregt.«

Beide Frauen schwiegen jetzt. Sie spürten die Kühle der Nacht so gut wie nicht mehr. Jede von ihnen wusste, dass sich etwas anbahnte, aber noch war es still auf dem Burg- und Kirchhof. Das Pflaster schimmerte weiter im schwachen Mondlicht, und aus dem Nebenzimmer hörten sie zum ersten Mal Musik.

»Und du hast dich nicht getäuscht?«, wisperte Maria ihrer Freundin ins Ohr.

»Nein, das habe ich nicht. Meine Augen sind noch gut. Außerdem hast du selbst davon geredet.«

»Klar.«

Es trat wieder Ruhe ein. Am Fenster ebenso wie draußen. Nur blieb sie dort nicht lange, denn beide hörten plötzlich die anderen Laute. In der Stille möglicherweise verändert, aber sie fanden sofort heraus, was sie bedeuteten.

Schritte ...

»O Gott, das ist er!«, flüsterte Maria hektisch. »Ja, ja, so hat es immer begonnen mit ihm.«

Lady Sarah gab ihr keine Antwort. Sie wollte sich nicht in ihrer Konzentration stören lassen. Noch immer behielt sie die große Freitreppe und deren Umgebung im Auge.

Etwas trat und schleifte über den Kirchhof. Jemand bewegte sich von der Treppe weg. Es war zu dunkel, um ihn schon genau zu sehen, aber etwas fiel Lady Sarah schon bei dieser sehr hochgewachsenen Gestalt auf. Über der Schulter und auch über dem Kopf fiel ihr der matte Glanz auf, der dort wie ein Streifen in der Luft stand. Es war das Blatt der Sense. Das musste es einfach sein, weil Maria davon gesprochen hatte.

Die fremde Gestalt ließ sich durch nichts aufhalten. Sie schritt über den Hof hinweg, und auch ihre Schritte blieben gleich. Zuerst wurde der Fuß mit einem hörbaren Geräusch aufgesetzt, dann zog der Gehende die Füße über das Pflaster hinweg nach. Dabei verursachte er das schleifende Geräusch.

Sarah Goldwyn blieb gelassen, trotz der unheimlichen Szenerie, die sich dort vor ihr aufbaute. Anders Maria. Sie war nervös und steckte plötzlich voller Angst. Sie bekam ihre Furcht auch nicht in den Griff, sodass Sarah ihren heftigen Atem hörte, der auch ihren Nacken und das Ohr streifte.

Der Unheimliche ging weiter. Sarah behielt den Schatten genau im Blick. Er bewegte sich von der Treppe weg und kam in schrägem Winkel auf das Haus mit den Wohnungen zu. Das blanke Blatt der Sense begleitete ihn. Es schwebte über dem Kopf und der Schulter wie ein sichelförmiges, flaches Stück Eis.

Auch Sarah war jetzt in den Bann des Unheimlichen gezogen worden. Sie zitterte nicht wie ihre Freundin, aber sie fühlte sich zugleich wie jemand, der auf dem Sprung stand. Ob hier dämonische Kräfte ihre Hände mit im Spiel hatten, konnte sie nicht sagen. Es war immerhin möglich, dass sich da jemand einen Scherz erlaubte, um die alten Leute zu erschrecken. Andererseits hatte es zwei Tote gegeben, und da hörte der Spaß auf.

Die Gestalt ging sehr aufrecht. Ein Hüne. Einer, der genau wusste, was er wert war. Er scheute sich auch nicht, dem Lichtschein entgegenzuschreiten. Wenn er weiterging, würde er auch das Fenster der kleinen Wohnung erreichen, an dem die beiden Frauen standen. Je näher er kam, umso besser konnten ihn die beiden Frauen erkennen. Sarah mehr als ihre Freundin, denn die hatte sich sicherheitshalber zurückgezogen. Sie fürchtete sich zu sehr, was auch ihr hektischer Atem verriet.

Die Füße traten hart auf, schleiften über das Pflaster, traten wieder hart auf ...

Ein immer gleiches Wechselspiel, in dem es keine Spur der Veränderung gab.

Er war noch nicht an den Lichtschein herangetreten, trotzdem war Sarah in der Lage, ihn genauer zu sehen. Er war nicht nur schwarz. Die Kleidung besaß diese Farbe, aber dazwischen wirkte er heller. Das war sein Gesicht. Es wirkte fahl wie ein Spiegel, der einmal hätte gereinigt werden müssen. Über dem Kopf breitete sich ein Schatten aus. Er hatte keinen natürlichen Ursprung, sondern stammte von der Kopfbedeckung. Sie musste ein Hut sein, dessen Krempe teilweise nach unten gebogen war. Außerdem saß der Hut schräg und war dabei etwas in den Nacken geschoben worden.

Er starrte nach vorn.

Er sah die Fenster.

Vielleicht suchte er sich bereits die Opfer aus. Auch Sarah spürte jetzt das kalte Gefühl, das sie erwischt hatte. Den langen Stiel der Sense hatte die Gestalt über die Schulter gelegt. Er wirkte wie ein Wanderer, der aus dem Reich der Schatten entlassen worden war.

»Komm, Sarah, wir müssen weg hier vom Fenster und es auch schließen. Der will und töten ...«

»Warte noch ...«

»Was willst du denn?«

»Ihn genauer sehen.«

»Bist du lebensmüde?«

»Nein. Aber du hast mich gerufen – oder?«

»Ja, das schon. Nur ... ich ... ich ... habe Angst. So einer wie der gehört nicht in unsere Welt, das weiß ich genau. Das ist kein Mensch ...«

Sie musste recht haben, doch Sarah achtete nicht auf sie. Nur der Sensenmann war interessant für sie. Auch sie konnte sich jetzt nicht mehr vorstellen, dass da eine verkleidete Gestalt über den Hof schritt. Das war kein Faschingsscherz, diese Gestalt meinte es ernst. Sie warf nicht einmal einen Schatten. Sie war mächtig. Der gesamte Burghof schien nur ihr zu gehören, und sie näherte sich immer mehr der schwachen Lichtleiste vor den Fenstern.

Die Krempe des Huts war nicht so tief in das Gesicht gezogen worden, als dass Lady Sarah nichts davon hätte erkennen können. Unter der Krempe malte sich das graue Etwas ab, und Sarah konnte sich gut vorstellen, dass dieses Gesicht eine von Falten durchzogene Haut hatte. Grau, bleich und blutleer.

Jeden Schritt hörte sie jetzt deutlicher. Noch immer schleifte der Sensenmann nach dem Auftreten seinen Fuß nach. Es schien bei ihm einfach dazuzugehören.

Dann blieb er stehen.

Genau an der Stelle, an der ihn der Lichtschein hätte zum ersten Mal erfassen können. Lady Sarah kam er vor, als wäre er zum Greifen nahe, und dass sie nur ihren Arm auszustrecken brauchte, um über seinen Körper streichen zu können.

Er starrte auf das Haus, und er starrte auf das einzige offene Fenster.

Vielleicht war er tot, dachte Sarah. Möglicherweise steckte die Sucht nach Blut und dem normalen Leben tief in ihm. Alles konnte zutreffen. Sie nahm jetzt auch den fremden Geruch wahr, der von dieser Gestalt ausströmte.

Es war beileibe kein Geruch, der ihr gefallen konnte. Vergleiche mit Moder, alter Erde und Friedhof kamen ihr in den Sinn. Er schien lange Zeit irgendwo begraben worden zu sein, bis man ihn befreit hatte. Einer, der nicht richtig hatte vermodern können und nun als unruhiges Wesen durch die Gegend lief.

»Komm zurück, Sarah!«

Es war auch für die Horror-Oma besser, wenn sie sich zurückzog. So folgte sie dem Rat ihrer Freundin. Vorsichtig bewegte sie sich nach hinten und schloss das Fenster. Den Griff drehte sie nach links. Es bot natürlich keinen Schutz, doch es war für beide Frauen besser, die Kälte nicht mehr zu spüren. In der Wärme des Zimmers fühlten sich die Frauen letztendlich wohler.

Maria Much stand neben ihrem Sessel. Sie hatte sich nicht vom Fenster weggedreht. Der Anblick des Sensenmanns hatte beide Frauen in den Bann geschlagen.

»Hast du ihn so immer gesehen, Maria?«

»Ja, ja. Aber ich konnte mich nie daran gewöhnen. Heute ist es ebenso schlimm wie beim ersten Mal. Die Angst will nicht weichen. Sie sitzt so tief in mir.«

»Hat er etwas getan?«

»Nein. Hier oben nicht. Aber warum ist er hier? War er vielleicht in der Kirche?«

Sarah zuckte mit den Schultern. Eine konkrete Antwort konnte sie ihrer Freundin auch nicht geben. Nur war es schwer, sich vorzustellen, dass eine derartige Gestalt die Kirche besetzt hielt. Dieser Sensenmann gehörte eher in die Hölle.

Das Fenster blieb weiterhin für sie interessant. Da die Gardinen zur Seite gezogen waren, behinderte nichts ihre Sicht. Nach wie vor sahen sie nur den unheimlichen Sensenmann.

Er ging weiter.

Maria erschrak, denn der Sensenmann war noch näher an das Fenster herangetreten, als wollte er sein graues Gesicht gegen die Scheibe pressen.

»Der hat uns gesehen, Sarah ...«

»Klar.«

»Mehr sagst du nicht?«

»Warte doch ab.«

Es fiel Maria Much schwer, doch sie fügte sich. Der Sensenmann hatte etwas vor, sonst wäre er nicht so dicht an die Scheibe herangetreten. Er beugte sich etwas nach vorn und legte den Kopf dabei schief, sodass er aus dieser Haltung genau in die Wohnung hineinschauen konnte. Das Gesicht malte sich an der Scheibe ab, als wäre es mit ihr verwachsen. Durch das Licht war es den beiden Frauen möglich, ihn jetzt noch genauer zu sehen.

Maria schüttelte den Kopf. »So nah habe ich ihn noch nie gesehen«, flüsterte sie.

Sarah enthielt sich eines Kommentars. Sie nahm jede Einzelheit auf oder versuchte es zumindest. Die Haut kam ihr vor wie altes, graues Leder, in das mit einem spitzen Stift zahlreiche Falten als Längs- und Querstriche hineingeritzt worden waren. Eine vorstehende kantige Nase, schmale Lippen, das leicht fliehende Kinn, dunkle Brauen wie Bögen und Augen mit hellgrauen Pupillen. Der dunkle Schlapphut, der von dem unheimlichen Sensenmann leicht in den Nacken geschoben worden war, wirkte wie ein sehr weicher Filz. Der Stiel der Sense lag noch immer über seinen Schultern. Die Spitze der Sense zeigte dabei nach oben und erinnerte Sarah jetzt an eine Spiegelscherbe.

Einen Arm hatte der Unheimliche frei. Die Frauen merkten, wie ein Ruck durch seine Gestalt ging, als er den Arm anhob. Sie sahen seine Hand außen vor der Scheibe und bekamen mit, wie sich die Hand zur Faust ballte.

Im nächsten Augenblick klopfte er mit dem Knöchel gegen das Fenster, als wollte er ihnen ein Zeichen geben. Dabei zogen sich seine Lippen in die Breite. Ein wissendes und auch lauerndes Grinsen zeichnete seinen Mund, und die Farbe seiner Augen erinnerte plötzlich an graues, altes Eis.

Die Fingerspitzen berührten die Scheibe. Es war nicht nur ein leichtes Klopfen, beide Frauen hörten ein leises Trommeln, das ihnen wie eine Botschaft vorkam.

Sie blieb für einige Sekunden, ebenso wie das Grinsen des Sensenmanns. Dann erlosch es plötzlich, und er zog auch seine Hand zurück. Sofort danach richtete er sich auf, drehte sich ab und ging. Eine letzte schattenhafte Bewegung noch, dann war er weg.

»Himmel«, flüsterte Maria, »Himmel, so schlimm war es noch nie.« Sie schloss die Augen und blieb starr stehen. Dabei zitterte sie wie von leichten Stromstößen durchlaufen. Sie tastete nach Sarahs Hand. »Ich habe Angst.«

»Er hat uns nichts getan.«

»Trotzdem. Sein Erscheinen war für mich wie eine Botschaft. Er hat etwas von uns gewollt oder von mir. Ich weiß nicht, wie ich es genau sehen soll ...«

»Du musst vor allen Dingen ruhig bleiben.«