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Dr. Donatus Benson war als Richter gefürchtet. Gnade kannte er nicht bei seinen Urteilen. Aber auch er musste Kompromisse eingehen. Nicht alle Angeklagten konnte er hinter Gitter bringen.
Bei einem Anschlag wurde seine Frau getötet. Der Richter überlebte, blieb aber querschnittsgelähmt und musste sein weiteres Leben in Rollstuhl verbringen. Sein Hass auf die Verbrecher war nicht gebrochen. Er übertrug ihn auf seinen Sohn Benny. Der wiederum holte sich einen Voodoo-Meister als Verbündeten, bevor sein Blutgericht startete ...
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Bennys Blutgericht
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Bennys Blutgericht
von Jason Dark
Dr. Donatus Benson war als Richter gefürchtet. Gnade kannte er nicht bei seinen Urteilen. Aber auch er musste Kompromisse eingehen. Nicht alle Angeklagten konnte er hinter Gitter bringen.
Bei einem Anschlag wurde seine Frau getötet. Der Richter überlebte, blieb aber querschnittsgelähmt und musste sein weiteres Leben in Rollstuhl verbringen. Sein Hass auf die Verbrecher war nicht gebrochen. Im Gegenteil. Er übertrug ihn auf seinen Sohn Benny. Der wiederum holte sich einen Voodoo-Meister als Verbündeten, bevor er sein grausames Blutgericht startete ...
Die Körper der beiden dicken Kröten zuckten, aber die Tiere konnten sich nicht befreien, weil das schwere Netz auf ihnen lag. Es war unmöglich für sie, in die Höhe zu hüpfen. Die Maschen drückten zu stark gegen sie.
»Lass sie doch!«, sagte Johnny Conolly angewidert.
»Nein!«
»Sie haben dir nichts getan!«
Benny Bensons Gesicht verzerrte sich. So schlimm, dass sich Johnny erschreckte.
»Sag nie, dass sie mir nichts getan haben, verdammt! Sie haben mir etwas getan! Ich hasse sie, ich mag sie nicht!« Der Junge schüttelte den Kopf so heftig, dass die dunkelbraunen Haare flogen.
Johnny war vor dem Hassausbruch seines Schulkameraden, der zwei Klassen über ihm war, zurückgewichen.
»Das kann ich nicht verstehen, echt nicht. Kröten sind tolle Tiere. Sie fressen Insekten. Sie tun keinem was und wollen nur in Ruhe gelassen werden.«
Benny spie aus. Sein Speichel traf einen Krötenkörper.
»Ich habe sie schon immer gehasst. Ihr verdammtes Quaken macht mich irre. Diese aufgeblähten Scheißer müssen zertreten werden.«
Johnny erschrak. »Das willst du doch nicht tun!«
»Nein.«
»Dann ist es gut!«
Plötzlich kicherte Benny. In seinen Augen stand ein Ausdruck, der Johnny Conolly Angst einjagte.
»Ich habe etwas Besseres vor. Ich werde sie anders aus der Welt schaffen.«
»Wirf sie wieder in den Teich zurück!«
»Ach ja? Wirklich?«
»Du hast deinen Spaß gehabt, und jetzt sollen die Tiere weiterleben. Du willst ja auch nicht, dass ein Riese kommt und dich einfach zertritt. Oder?«
»Das ist was anderes.«
»Aber Tiere haben auch eine Seele!«, schrie Johnny den Jungen an. »So wie Menschen.«
»Ich habe keine.«
»Hör auf damit, das sagst du doch nur so.«
»Sage ich nicht! Ich will keine Kröten.«
Johnny wusste nicht, wohin er blicken sollte. Er hätte jetzt zu seinen Eltern laufen können, die zusammen mit seinem Patenonkel im Garten saßen und es sich gutgehen ließen. Es war ja nicht weit, aber das wollte er auch nicht. Er wäre sich vorgekommen wie ein Feigling. Zudem wollte er nicht, dass die Tiere starben. Johnny hoffte noch immer, den anderen vom Gegenteil überzeugen zu können.
»Wir können ja ein Eis essen gehen.«
»Machen wir auch.«
»Toll.«
Benny kicherte. »Aber nachher!«
Wieder brach für Johnny eine Welt zusammen. Er schaute die harmlosen Tiere an, deren braungrüne Haut feucht schimmerte. Noch schimmerte sie feucht, denn lange würden sie die starke Kraft der Sonne nicht aushalten können, das stand fest. Sie brauchten das Wasser, um sich erholen zu können. Unter ihren breiten Mäulern zuckte die Haut an den Hälsen. Dort hatte sich der Luftsack gebildet, und das plötzliche Quaken der Tiere hörte sich für Johnny gequält an.
Es waren genau diese Laute, die seinen Entschluss festigten. Er würde den Tod der beiden Kröten nicht hinnehmen, und demonstrierte dies auch. Er stellte sich zwischen die Tiere und Benny Benson. Sein Kinn reckte er vor. Das Herz schlug schon schneller, denn ohne Angst war er nicht. Benny war nicht nur älter, sondern auch größer und kräftiger als er.
»Du wirst sie nicht töten!«, erklärte er und bemühte sich um eine feste Stimme. »Ich lasse das nicht zu!«
Benny Benson zeigte sich von dem plötzlichen Widerstand überrascht. Die Irritation dauerte nur für einen Moment, dann zischte er: »Bist du wirklich so blöd?«
»Ich will es nicht!« Johnny hatte bei seiner Antwort schon die Muskeln angespannt. Er wusste schließlich, wie jähzornig Benny werden konnte.
Der schlug nicht zu. Er ging sogar zurück. Dann zog er die Nase hoch und bückte sich zugleich nach rechts, während er den Arm ausstreckte. Die Finger verschwanden in der schmalen Außentasche am Hosenbein der Jeans. Mit einem zielsicheren Griff hatte er den dort steckenden Gegenstand erreicht und zog ihn hervor.
Es war ein Fahrtenmesser!
Obwohl die Klinge noch nicht frei lag und in einer Scheide aus Leder steckte, erschrak Johnny sehr. Damit hatte er nicht gerechnet. Benny war nicht eben sein Freund, und er hätte mit ihm auch nicht zu diesem Teich laufen sollen, der sich auf einem brachliegenden großen Grundstück befand, das zudem schlecht einsehbar war, denn ringsum wuchs das hohe Gestrüpp wie eine dichte Mauer.
»Willst du das wirklich ...«
»Geh weg, Johnny!« Benny zog das Messer aus der Scheide. Er wirkte jetzt sehr ruhig, seine Augen aber blickten kalt und gefühllos. Etwas musste sich bei ihm verändert haben. Seine Seele war verhärtet, und Johnny konnte sich vorstellen, dass in seinem Körper kein Herz mehr schlug.
»Nein, Benny ...«
Benny drehte das Messer, sodass die Spitze jetzt auf Johnny zeigte.
»Hau ab, sonst ...«
»Du willst mich erstechen?«
Benny grinste. »Könnte ich, mach' ich aber nicht.« Er kicherte. »Ich kann dir beide Wangen aufschlitzen. Davon hast du dann lange was, echt!«
Johnny wusste nicht, was er tun sollte. Einerseits wollte er die beiden Kröten retten, andererseits traute er Benny sogar zu, dass er ihn tatsächlich mit dem verdammten Messer verletzte.
»Überlege es dir d...«
Benny hatte blitzschnell mit der linken Faust zugeschlagen. So rasch, dass Johnny nicht hatte ausweichen können. Die Faust erwischte ihn im Gesicht. Sie hämmerte auf die Nase und traf auch die Lippen, die aufplatzten. Johnny schmeckte das Blut und merkte auch, dass seine Nase blutete. Er hielt die Augen fest geschlossen, trotzdem zuckten vor seinem Gesicht Sterne und Funken hoch, denn dieser Schlag hatte ihn völlig durcheinandergebracht.
Er war zurückgetaumelt und merkte, dass er auf den Boden fiel, der durch das hohe Gras weich war. Der Schwung warf Johnny nach hinten.
Benny konnte er nicht sehen, weil sich ein Schleier vor seine Augen gelegt hatte. Dafür hörte er ihn sprechen.
»Hau bloß ab, du feiges Arschloch!«
Johnny kämpfte sich hoch. Die Augen tränten noch weiter. Er sah deshalb nicht, was passierte, und er konnte darüber auch froh sein. Aber er hörte es.
Die Kröten schrien!
Ja, so kam es ihm vor.
Quaken, Schreien, schreckliche Laute, in die sich das Lachen des Benny Benson hineinmischte.
»Ihr quakt nicht mehr«, sagte er dann und reinigte sein Fahrtenmesser im Gras. Danach drehte er sich zu Johnny um. Er wollte ihm den Triumph ins Gesicht schreien.
Johnny war aufgestanden. Aus seiner Nase lief Blut, und auch die Lippen waren aufgeplatzt. Er wollte nicht länger am Teich bleiben. Mit schnellen, aber schwankenden Schritten rannte er in die Richtung, die zum Haus seiner Eltern führte.
»Feigling, Memme, Muttersöhnchen!«, schrie Benny ihm nach, und er hob sogar sein Messer an, als wollte er es dem flüchtenden Jungen in den Rücken schleudern.
Johnny war zu weit weg. Außerdem war der Junge keine Kröte. So ließ Benny die Hand wieder sinken. Er steckte das Messer weg, schaute sich noch einmal die toten Kröten an und trampelte schließlich wie ein Irrer auf ihnen herum.
Es machte ihm einfach Spaß, andere zu quälen. Jeder, der ihm blöde kam, würde dies spüren ...
»Trinken wir noch einen Schluck Rosé«, sagte Sheila und hob ihr Glas. »Wer weiß, wie lange wir in diesem Sommer noch im Garten sitzen und die Wärme eines Abends genießen können.«
»Richtig«, bestätigte ich. »In zwei Tagen soll es wieder richtig schön regnen.«
»Pessimist«, murmelte Bill.
»Nein. Ich verlasse mich nur auf den Wetterbericht. So lautet die Vorhersage.«
Wir stießen an und lauschten dem hellen Klang der Gläser nach.
Es war einer dieser Abende am Freitag, die man wirklich genießen sollte und den die Menschen auch richtig genossen. Wer konnte, der verbrachte die Zeit im Freien, und so waren die Biergärten ebenso überfüllt wie die Plätze vor den Pubs.
Ich war von den Conollys eingeladen worden. Es wurde nicht gegrillt. Sheila hatte zum Rosé eine Pizza gebacken, die von mir als kleines Meisterwerk bezeichnet worden war, was sie natürlich gefreut hatte. Die vergangenen beiden Stunden hatten uns alle satt und zufrieden gemacht, und ich würde auch bei meinen Freunden übernachten, denn wir wollten nicht nur eine Flasche Rosé leeren.
Es war ein friedlicher Abend. Beinahe schon zu friedlich, fast schon kitschig. Die Vögel, die pfiffen und trillerten, der spätsommerliche Geruch der Bäume und des Rasens, all das war irgendwie zu schmecken und machte uns glücklich.
Bill war dabei, eine weitere Flasche zu öffnen, als er den Korkenzieher wieder vom Flaschenhals wegzog. Erschreckt hatten wir uns über das Weinen und Stöhnen, das plötzlich durch den Garten wehte.
Sheila stand als erste auf und drehte sich auch um. »Johnny!«, rief sie, »Himmel, was ist denn los?«
Mein Patenkind lief quer über den Rasen, und der Junge sah nicht so aus, wie er uns verlassen hatte. Sein Gesicht war von dem Blut verschmiert worden, das aus der Nase rann. Beim Näherkommen sahen wir auch, dass die Lippen aufgeschlagen waren und ebenfalls bluteten.
Sheila fing ihren Sohn ab. Bill saß noch, wirkte aber wie auf dem Sprung, und sein Gesicht war angespannt.
Sheila hatte ihren Sohn abgefangen und ließ sich von mir eine Stoffserviette zuwerfen. Sie ging in die Knie. Dann tupfte sie behutsam in Johnnys Gesicht, um etwas von dem Blut zu entfernen. Johnny sprach nicht. Er atmete nur laut durch den offenen Mund.
»Komm«, sagte Sheila, »jetzt gehen wir ins Bad und verpflastern dich. Ich hoffe nur, dass nichts gebrochen ist.«
»Nein, die Nase blutet nur.«
»Gut. Bist du gefallen?«
Er schüttelte leicht den Kopf.
»Was ist denn passiert?«
»Es ging um die Kröten. Die im Teich, wo Benny und ich gewesen sind. Er hat sie mit einem Netz gefangen und ... und ...«
»Das kannst du mir gleich erzählen, wenn wir im Bad sind. Das ist wichtiger.« Die besorgte Mutter nahm ihren Sohn an der Hand und ging auf die offene Fensterfront des Wohnraums zu, begleitet von Bills und meinen Blicken.
»Was sagst du dazu?«, fragte sie.
»Er wird sich gestritten haben. Du weißt doch, wie das ist. Denk an unsere Jugend.«
»Mit wem?«
»Er wollte sich mit Benny treffen.«
»Wer ist das?«
»Benny Benson. Einer aus seiner Schule.«
»Nicht aus der Klasse?«
»Nein, Benny ist zwei Stufen über ihm.«
»Was ist das für ein Typ?«
Bill zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn ein- oder zweimal gesehen. Nicht eben jemand, auf den ich fliegen würde. Er ist ziemlich ruhig, aber hinterhältig oder verschlagen ruhig, wie jemand, der etwas zu verbergen hat. Ich kann Johnny keine Vorschriften machen, mit wem er zusammen ist oder mit wem nicht.«
»Da hast du recht.«
»Die beiden werden sich gestritten haben ...«
»Dabei ging es um Kröten – oder?«
Bill Conolly öffnete endlich die Flasche. Der Korken fluppte heraus, und der Reporter goss ein. »Was genau vorgefallen ist, wird Sheila uns sagen können, wenn sie zurückkehrt. Oder auch Johnny.« Er schenkte mir ein. »Nehmen wir das alles nicht so tragisch.«
Wir tranken, und wieder einmal rann der Wein saftig und süffig durch unsere Kehlen. Trotzdem genoss ich ihn nicht so wie zuvor, denn ich dachte an Johnny und das, was er hinter sich hatte. Irgendwie bezweifelte ich, dass es nur ein simpler Streit unter Schulkameraden gewesen war. Da konnte auch mehr dahinterstecken.
»So nachdenklich?«, fragte Bill.
Ich drehte mein Weinglas und schaute auf die Flüssigkeit. »Sagen wir so, ich entspanne mich und genieße es, an diesem Abend in eurem Garten sitzen zu können. Ist mir in meiner Wohnung leider nicht möglich, aber man kann auch nicht alles haben.«
»Warum sind Suko und Shao eigentlich nicht gekommen?«
»Sie haben Karten für ein Musical. Glenda haben sie mitgenommen, und Jane hat einen Job.«
»Dann hast du es am besten.«
»Muss auch mal sein.« Ich drehte den Kopf, weil ich Sheila und Johnny gehört hatte, die zurückkehrten. Johnny ging neben seiner Mutter her, und auf seiner Nase klebte ein helles Pflaster. Auf die Lippen hatte Sheila eine Paste geschmiert.
»So da sind wir wieder.«
»Alles noch dran?«, fragte Bill und strich seinem Sohn zärtlich über den Kopf.
»Klar, Dad.«
»Was ist denn nun genau passiert?«, wollte ich wissen. »Du weißt doch, Johnny, Polizisten sind immer so schrecklich neugierig.«
»Er hat sich geprügelt«, sagte Sheila.
»Nein, stimmt nicht. Ich wollte mich nicht prügeln, ich wollte nur die beiden Kröten retten.«
Er sprach wieder von den Kröten, und ich horchte auf. Verhört hatte ich mich demnach nicht. »Woher stammten sie denn?«
»Aus einem Teich in der Nähe. Benny hat sie mit einem Netz eingefangen.« Seine Stimme sackte etwas ab. Er war wütend und traurig zugleich, als er uns die ganze Geschichte erzählte und auch die Bedrohung mit dem Messer nicht ausließ.
Da waren wir Erwachsenen natürlich alarmiert. Bill fragte noch einmal nach, ob Benny tatsächlich ein Messer gezogen hatte.
»Ja, hat er. Der war ja durchgedreht. Das ... das ... Gesicht sah ganz komisch aus.«
Er berichtete noch, dass Benny ihm ins Gesicht geschlagen hatte. Den Tod der beiden Kröten hatte Johnny nicht verhindern können. Er fragte sich noch jetzt, warum Benny sie einfach umgebracht hatte. Das wollte ihm nicht in den Kopf.
»Kennt ihr den Jungen näher?«, wandte ich mich an Sheila.
Sie zuckte die Achseln. »Nein, näher nicht. Zweimal war er bei uns, glaube ich. Nicht, dass du meinst, ich hätte Vorurteile, doch sehr habe ich ihn nicht gemocht. Er war mir nicht sympathisch, sagen wir mal so.«
»Warum?«
»Ganz einfach, John. Ich mag keine Menschen, die mir nicht in die Augen schauen können.«
»Das kann ich verstehen.«
»Natürlich habe ich Johnny den Umgang mit Benny nicht verboten, aber ich war froh, dass er andere Freunde hatte. Und zwar welche aus seiner Klasse und in seinem Alter. Dass er sich heute mit Benny verabredet hat, war Zufall. Oder, Johnny?«
»Ja, wir haben uns am Nachmittag getroffen. Eigentlich wollte er nur zum Teich, um Frösche zu beobachten.«
»Die er nicht mag«, sagte Bill.
»Fand ich auch komisch, Dad. Er hat sie gehasst. Er ... er ... wollte sie killen und hat es auch getan.«
»Hasst er nur Frösche?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Hunde mag er auch nicht, das weiß ich.«
»Und wie kommt er mit den anderen Leuten aus? Ich meine, mit denen in deinem Alter und so.«
»Nicht gut. Er hasst viele – ehrlich.« Johnny schüttelte den Kopf, als könnte er das alles nicht begreifen.
Ich wusste auch nicht, was ich dazu sagen sollte. Kindererziehung ist eben eine komplizierte Sache, doch eine Frage hatte ich noch, und die stellte ich Bill. »Kennt ihr eigentlich Bennys Eltern?«
Er lachte scharf auf. »Und ob wir die kennen.«
»Das hört sich komisch an.«
»Bennys Vater ist ausgerechnet Richter. Dr. Donatus Benson. Im Kreise seiner Kollegen hat er den Ruf, ein verdammt harter Hund zu sein. Wir haben ihn einige Male erlebt. Er ist ein Typ, der nur ungern die Meinung eines anderen gelten lässt. Sehr konservativ, auch streng zu seinem Sohn, denke ich mir. Da wächst der Frust in einem Kind, sodass es irgendwann einmal zu diesen Reaktionen wie die Tötung der Kröten kommen muss. Wobei ich nicht hoffe, dass dies so etwas wie ein Anfang ist und die Dinge sich noch ausweiten.«
Ich verzog die Mundwinkel und nickte vor mich hin.
»Es ist wie so oft. Wenn Kinder verkorkst sind, muss man die Schuld bei ihren Eltern suchen. Zumindest in vielen Fällen.«
Wir ließen uns den Abend trotzdem nicht vermiesen. Benny Benson geriet für mich in Vergessenheit, bis ich einige Jahre später wieder an ihn erinnert werden sollte. Aber das in einem Fall, der nicht so harmlos war wie das Töten zweier Kröten.
Denn es floss Blut – viel Blut ...
Als die Türglocke im Westminster-Klang bimmelte, wurde jeder, der Madame Gretas Laden betrat, in eine andere Welt versetzt. Es war das Reich der Starre, der Bewegungslosigkeit, die das Leben hatte einfrieren lassen, um es den Gesichtern zu vererben, die von drei verschiedenen Seiten den Besucher anschauten.
Es waren Puppen – nur Puppen. Überall verteilt. In den Regalen standen sie, hockten auf kleinen Bänken oder saßen eingekuschelt auf den Sofas. Man sah sie auf Tischen und in Nischen am Fenster. Sie lächelten oder schauen grimmig, manchmal auch neutral.
Es gab die Holzpuppen und die aus Pappe. Man sah sie aus Porzellan ebenso gefertigt wie aus Kunststoff. Sogar Stoffpuppen hatte Greta ausgestellt, und jede einzelne Puppe war mit einer gewissen Leibe dekoriert worden. Trotz der Menge wirkte alles aufgeräumt, es war kein Durcheinander, denn die Besitzerin hatte jeden Platz für ihre Lieblinge genau ausgesucht.
Mädchen, Jungen, kleine und große Puppen. Babys ebenso wie Omas, und jede einzelne stand oder lag so, dass der Kunde sie auch sehen und nehmen konnte.
Puppenwagen konnten ebenfalls gekauft werden. Vor einem dieser Wagen blieb der Besucher stehen. Er lächelte, strich sein braunes Haar zurück und wartete darauf, dass der Klang der Glocke verstummte. Erst dann würde sich Greta zeigen.
Durch zwei Sprossenfenster fiel Licht in das Geschäft. Es war ein ziemlicher grauer Schein, entsprechend dem Tag, der draußen lag. Kein schönes Maiwetter. Es war diesig, die Luft roch nach Regen. Da blieben die Frühlingsgefühle außen vor.
Auf einer Theke stand eine hohe altertümliche Kasse aus Metall. Man musste an einer Kurbel drehen, um die Lade zu öffnen. Dann wurde der Betrag registriert und zeichnete sich in einem kleinen Sichtfenster an der Rückseite des Geräts ab.
Hinter der Kasse erhob sich eine Frau. Es war Greta. Sie saß dort immer. Von einem Kunden war sie beim Eintreten nicht zu sehen. Es sei denn, er hätte genau Bescheid gewusst. Aber Great sah jeden, denn sie blickte durch einen schmalen Tunnel über die Theke hinweg direkt auf die Tür und den Laden. So hielt sie die Besucher unter Kontrolle und konnte von ihren Gesichtern ablesen, was sie wohl dachten und wie sie die Dekoration hier aufnahmen.
Benny Benson gehörte zu den Stammkunden. Das heißt, er war der Stammkunde, und er war zugleich Gretas jüngster. Sie mochte den schlaksigen Jungen, der sich immer etwas unsicher gab und dies auch durch seine Bewegungen unterstrich.
Das allerdings war nur Tarnung, denn Benny wusste genau, was er wollte. Die sechzigjährige Frau konnte mit Fug und Recht behaupten, dass Benny ihr bester Kunde war. Sie verkaufte nicht nur Puppen, sie war auch in der Lage, sie selbst herzustellen, und genau darauf hatte es Benny abgesehen.
»Greta ...?«
Sie lachte. »Ja, mein Junge, ich bin hier.«
»Gut. Darf ich die Tür abschließen?«
»Meinetwegen. Aber warum?«
»Ich will meine Freunde heute abholen. Da möchte ich von keinem anderen Kunden gestört werden.«
»Tu, was du nicht lassen kannst.«
»Das Geld habe ich auch dabei.« Er ging zur Tür und drehte den Schlüssel zweimal.
»Als ob ich das nicht wüsste, Benny.« Greta erhob sich von ihrem Stuhl. Das Holz knarrte dabei etwas, und Greta stöhnte leise vor sich hin. Sie war eine schlanke Frau mit grauen, kurzgeschnittenen Haaren. Sie trug braunes Twinset, und um ihren Hals hing eine helle Perlenkette. Sie bewegte sich mit kleinen Schritten, wobei sie das rechte Bein etwas nachzog. Eine alte Verletzung, die einfach nicht heilen wollte.
Ihr Gesicht wirkte noch jugendlich. Keine Falten hatten sich in die Haut gegraben, und die Wangen, leicht aufgebläht, erinnerten auch an die von Puppen. An der Stirn war das Haar akkurat zu einem Pony geschnitten. Die Lippen waren hellrot geschminkt. Greta lächelte, als sie ihrem jungen Kunden entgegenschritt und ihm beide Hände auf die Schulter legte.
»Schön, dich zu sehen.«
»Na ja, es wurde auch Zeit.«
Greta schüttelte den Kopf. »Was ist denn schon Zeit?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Ich habe mich daran gewöhnt, sie zu vergessen. Schau dich um, mein Kleiner. Alles, was du hier zu sehen bekommst, ist irgendwie zeitlos. Die Puppen sind ein kleines Wunder. Jede ist ein Wunder für sich. Alles Handarbeit. Gefertigt von wahren Künstlern, die fast alle schon verstorben sind, aber durch ihr Puppen ewig leben werden. Ich kenne mich aus, denn ich selbst habe mich lange damit beschäftigt.« Sie lachte Benny leise an. »Aber das weißt du ja, mein Junge, sonst hättest du den Weg nicht zu mir gefunden.«
»Sind sie fertig, Greta?«
Die Frau runzelte die Stirn. »Ja, sie sind fertig. Was ich versprochen habe, das halte ich auch.«
Plötzlich wurde Benny nervös. »Bitte, Greta, und wo kann ich sie sehen?«
»In meiner kleinen Werkstatt.«
»Dann lass uns hineingehen.«
»Lieber Himmel, du hast es eilig.«
»Ja, das habe ich auch«, sagte er schnell und strich sein Haar zurück. »Ich habe lange genug gewartet, und jetzt will ich nicht mehr. Es war mein Traum, und er hat sich erfüllt. Ich liebe sie nun mal, meine Puppen.«
»Sie sind wunderschön. Sie gleichen den Zeichnungen, die du mir gegeben hast, aufs Haar.«
»So hat es auch sein müssen.«
»Dann komm mit. Ich habe es nicht gern, wenn meine Kunden zu lange warten müssen.«
»Danke.«
Benny folgte der Frau, die auf eine Tür zuging. Sie war an der Seite in der Wand eingelassen worden. Man musste schon genau hinschauen, um sie überhaupt sehen zu können, da sie sich kaum von ihrer Umgebung abhob.
Greta stieß sie auf und übertrat, ohne zu zögern, die Schwelle. Sie schaute nicht einmal zurück auf den Kunden, der hinter ihr blieb und seine Hände zuckend bewegte. Manchmal schloss er sie zu Fäusten, dann streckte er sie wieder oder rieb sie gegeneinander. Ruhig konnte er nicht sein. Er begann auch zu schwitzen.
»Wie geht es deinem Vater, Benny?«
»Nicht gut.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Man kann nichts machen, sagen die Ärzte.«
»Und wie siehst du das?«
»Ähnlich.«
Er hatte die kurzen Antworten nur sehr gepresst ausgesprochen, und Greta fragte auch nicht mehr weiter. Sie war inzwischen in ihre kleine Werkstatt hineingegangen, in der es nach Holz und Leim roch. Es gab Drehbänke unterschiedlicher Größe. Hinzu kamen die Hobel und Schnitzmesser, die Feilen und die Raspeln. Die Kleidungsstücke, der Leim, die verschiedenen Farben und Lacke und das gute abgehangene und nicht zu trockene Holz in der Ecke. Licht fiel durch zwei schmale Fenster. Es war nicht hell genug, um arbeiten zu können, deshalb schaltete Greta immer die beiden Leuchtstoffröhren unter der Decke ein, wie auch jetzt.
Sie blieb im hellen Licht stehen und hatte sich zu ihrem jungen Kunden hin umgewandt. Sie lächelte ihn an. »Bist du schon gespannt darauf, Benny?«
Er nickte nur. Sprechen konnte er nicht, denn er hatte die Lippen zusammengepresst.
Seine Haltung irritierte Greta. »Was ist los?«
»Nichts.«
»Die Spannung und Vorfreude – oder?«
»Ja, das wird es wohl sein.«
»Kann ich mir denken, mein Junge. Mir würde es nicht anders ergehen, glaube mir.«
»Wo sind sie denn?«
»Ah, keine Sorge, sie sind schon hier. Ich habe sie nur nicht öffentlich ausgestellt.« Sie winkte mit dem Finger. »Komm mit, dann siehst du sie endlich.«
Greta ging auf einen Holzschrank mit einer Lamellentür zu. Sehr langsam zog sie die Tür auf. Sie machte es spannend und trat zur Seite, damit sie ihrem jungen Kunden den Blick auf das Schrankinnere nicht verwehrte.
»Bitte!«, sagte sie.