John Sinclair Sonder-Edition 225 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 225 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Sandy Shayne, achtzehn Jahre jung und tot. Ein Körper, der durch Schnitte gezeichnet worden war, wie als Hinweis gedacht. In der Schule war Sandy ein Star gewesen. Es hatte kaum einen Jungen gegeben, der nicht verliebt in sie gewesen wäre.
Auch Johnny Conolly hatte für sie geschwärmt. Nun war Sandy tot, und er schwor sich, ihren Mörder zu finden. Das wollten auch Suko und ich. Unser Entsetzen war kaum zu beschreiben, als wir erfuhren, wer hinter der Tat steckte. Es war CIGAM, das Kunstgeschöpf des Teufels, der in der Hölle Geborene. Nur kamen wir diesmal zu spät. Da hatte CIGAM Johnnys Tod schon längst beschlossen ...


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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Geboren in der Hölle

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Geboren in der Hölle

von Jason Dark

Sandy Shayne, achtzehn Jahre jung und tot. Ein Körper, der durch Schnitte gezeichnet worden war, wie als Hinweis gedacht. In der Schule war Sandy ein Star gewesen. Es hatte kaum einen Jungen gegeben, der nicht verliebt in sie gewesen wäre.

Auch Johnny Conolly hatte für sie geschwärmt. Nun war Sandy tot, und er schwor sich, ihren Mörder zu finden. Das wollten auch Suko und ich. Unser Entsetzen war kaum zu beschreiben, als wir erfuhren, wer hinter der Tat steckte. Es war CIGAM, das Kunstgeschöpf des Teufels, der in der Hölle Geborene. Nur kamen wir diesmal zu spät. Da hatte CIGAM Johnnys Tod schon längst beschlossen ...

»Der Tod ist das Endprodukt des Lebens!«

Ich hätte gern auf diese philosophische Einschätzung verzichtet, wenn es nicht gerade Chief Inspector Tanner gewesen wäre, der diese Worte zu mir gesagt hatte. Selbst aus dem Munde eines Mannes, den nichts so leicht erschüttern konnte, hatten sie verdammt bitter geklungen.

Bitter und zugleich abstoßend war das, was Suko und ich hier zu sehen bekamen.

Die Umgebung passte zu dem Verbrechen. Sie war grau, und selbst das Sonnenlicht hatte es nicht geschafft, ihr dieses Flair zu nehmen. Die Umgebung des Flusses, dieser Seitenarm, der sich in die Uferregion hineinstreckte, an dessen Rändern Schilf wuchs und sich auch hohe Gräser im leichten Wind wiegten, der zudem mit Pollen spielte und sie vor sich hertrieb.

Hier lagen Boote, die auf der Themse nur mit Einschränkung fahren konnten. Alte, halb verrottete Seelenverkäufer, die trotzdem Besitzer gefunden hatten, denn auf den Booten hatte die Subkultur ihr Zuhause gefunden.

Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft bewegten. Oft junge Leute, vom Schicksal hart getroffen, die froh waren, ein Dach über dem Kopf zu haben. Man ließ sie hier leben. Man störte sie nur, wenn die Kollegen Razzien durchführten, denn die Decks mancher Kähne wirkten wir verwilderte Gärten, auf denen allerlei Pflanzen angebaut wurden. Dort versteckte sich dann der Mohn zwischen anderen Gewächsen, aber das interessierte weder Suko noch mich.

Wichtig war die junge Frau. Eigentlich noch ein Mädchen.

Vielleicht wirke sie auch nur so. Aber älter als neunzehn Jahre konnte sie kaum sein, denn auch der Tod hatte ihr Aussehen nicht entscheidend verändern können.

Sie lag in einem brüchigen Kahn, auf dessen Planken noch das Regenwasser als Pfütze lag.

Die junge Frau war nackt, sie war tot, und sie war gefesselt.

Sie lag dort wie ein großes X, wobei die Fesselung locker war und wohl ein Abrutschen der Arme oder Beine von den Rändern verhindern wollte. Ihr Mund und ihre Augen standen offen. Es gab keinen Blick mehr, die Augen waren nur leer. Totenstarre hatte den Körper befallen. Das war normal, wie wir alle wussten. Nur wie die Frau ums Leben gekommen war, hatte Tanner sehr gestört, und deshalb hatte er es auch nicht versäumt, uns Bescheid zu geben.

Ob er damit recht getan hatte, wussten wir nicht, aber die Person war nicht durch eine Kugel gestorben, auch nicht durch einen Messerstich. Man hatte sie auch nicht erwürgt, sondern auf eine Art und Weise getötet, die an einen Ritualmord erinnerte.

Ihr gesamter Körper war von Schnitten übersät. Nicht unbedingt großen, aber dafür sehr zahlreichen. Kreuz und quer. Von oben nach unten, von rechts nach links. Auch nicht unbedingt tief, und es war auch nicht viel Blut aus den Wunden geronnen. Ein Anzeichen darauf, dass diese junge Frau wohl erst nach ihrem Ableben so brutal gezeichnet worden war.

Das Mädchen trug das Haar lang. Ein fahles Blond, das irgendwie schmutzig aussah.

Tanners Kollegen hatten für eine Absperrung gesorgt. Die Neugierigen standen in respektvoller Entfernung. Es waren die Bewohner der alten Boote. Zumeist junge Leute, die von Tanners Männern noch befragt werden würden.

»Ist das hier überhaupt dein Revier?«, fragte ich den Kollegen, der im Laufe der Jahre zu einem guten Freund geworden war.

»Nein, nicht direkt.«

»Du bist trotzdem hier.«

Er schob die Unterlippe vor. Der Hut saß wie immer auf seinem Kopf und war leicht in den Nacken geschoben worden. Und wie immer trug er seinen grauen Anzug mit der ebenfalls grauen Weste. Nach dem Vorschieben der Unterlippe zeigte sein Gesicht einen zerknautschten Eindruck. »Ihr habt es wohl noch nicht gehört«, sprach er Suko und mich an, »aber man hat mir innerhalb unserer Organisation noch eine zusätzliche Aufgabe gegeben.«

»Ho, welche denn?«, fragte Suko.

»Nun ja«, brummelte er verlegen vor sich hin, »ich will nicht sagen, dass ich befördert worden bin, aber man hat mich für Sonderaufgaben heranzogen.«

»Gratuliere.«

»Hör auf, John. Das kann noch mehr Arbeit bedeuten. Zwar kann ich mich nicht mit euch vergleichen, aber viel fehlt nicht. Ich werde eingesetzt, wenn so etwas passiert wie das hier. Ich habe da absolute Handlungsfreiheit bekommen, kann tun und lassen, was ich will, und das ist praktisch mein erster Fall, den ich in dieser Eigenschaft bearbeite.«

»Was sagt denn deine Frau dazu«, fragte ich vorsichtig.

Ein strafender Blick traf mich. »Sie weiß noch nicht so richtig Bescheid, aber sie hätte es auch nicht verhindern können. Wer so lange zusammenlebt wie wir beide, der hat es eben gelernt, dem anderen eine gewisse Freiheit zu erlauben. Außerdem ist sie seit neuestem in der Gefangenenhilfe engagiert und arbeitet auch noch in anderen karitativen Organisationen mit. Es ist ebenso. Sie kann nicht ablehnen, und ich konnte es auch nicht.« Er räusperte sich. »Das war auch keine große offizielle Beförderung. Man sagte sich eben, dass es jemand geben muss, der für Sonderaufgaben zuständig ist. Da hat man an mich gedacht. Dieser Fund fällt leider in mein Gebiet.«

»Das haben wir verstanden«, sagte Suko. »Aber warum hast du gerade uns Bescheid gesagt, damit wir uns die Leiche anschauen sollen?«

»Gefühl.«

»Nicht mehr?«

Tanner kratzte über seine Stirn, was er gern tat. »Ich sehe darin mehr einen Ritualmord. Man hat den Körper eingeschnitten. Kreuz und quer, als wollte man ihn –«, er räusperte sich wieder, bevor er weitersprach, »– regelrecht zerstückeln, wobei man dann auf halber Strecke aufgehört hat. Ich denke dabei an einen Ritualmord und nehme an, dass es auch ein Fall für euch sein könnte.«

»Das ist weit hergeholt.«

»Willst du dich drücken, John?«

»Nein, das nicht. So schlimm es ist, aber fällt jeder Ritualmord in unseren Bereich?«

»Kann sein und muss nicht sein. Aber Sir James war der Meinung, dass ihr euch die Tote anschauen solltet.« Mit seinen Händen, über die dünne Handschuhe gestreift waren, deutete er auf die Leiche. »Das ist doch schlimm. Das ist pervers, das ist grauenhaft und furchtbar. Ich weiß nicht, was dahintersteckt, aber meine Nase sagt mir, dass dieser Fall noch sehr kompliziert werden könnte.«

»Wie heißt die Tote?«, fragte Suko.

»Keine Ahnung.«

»Kennt man sie hier nicht?«

»Es sind noch nicht alle Bewohner befragt worden, John. Vielleicht haben wir noch Glück. Jedenfalls gehe ich hier nicht mit der Sense durch. Mich kümmern die Bewohner der alten Kähne nicht. Es ist mir auch egal, ob sie da Cannabis anbauen oder Roggen, ich will wissen, welcher Mensch das getan hat. Falls es überhaupt ein Mensch gewesen ist und kein anderes Wesen.«

»Du denkst dabei an ein dämonisches?«

Er lächelte mich an. »Nicht unbedingt. Es kann auch jemand sein, der unter einem derartigen Einfluss steht. Alles ist möglich, John. Ich gehe davon aus, dass es keine Tat gewesen ist, die voller Hass oder Wut geschah. Man ist hier kontrolliert vorgegangen. Man hat genau gewusst, was man tat. Da steckt Methode dahinter. Jemand hat das hier eiskalt ausgenutzt. Er tötete und ...«, Tanner zuckte die Achseln. »Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll.«

»Als abschreckendes Beispiel könnte man es werten«, sagte Suko.

»Ja, das ist auch möglich. Alles kommt mir in den Sinn. Aber ich frage mich, warum man so etwas tut. Was steckt dahinter? Wer zeichnet einen Körper derartig schlimm?«

»Wir müssen erst wissen, wie sie heißt und wo sie gewohnt hat«, sagte ich. »Die klassische Methode. Danach kümmern wir uns um das Umfeld der Toten. Ihr seid eingeladen.«

»Danke.« Ich grinste schief und drehte mich zu den Booten hin um. Auf den Decks standen die Bewohner wie Statuen und blickten zu uns herüber. Entdeckt worden war die Tote von einem jungen Mann, der mit dem Fahrrad wegwollte. Er hockte in der Nähe im Gras und starrte apathisch vor sich hin, da er noch immer unter Schock stand.

Bekannt war die junge Frau hier nicht, zumindest nicht bei dem jungen Mann, der sie gefunden hatte.

Tanners Männer waren unterwegs, um die Zeugenaussagen aufzunehmen. Suko und ich wollten uns daran beteiligen. Der Fotograf hatte bereits seine Bilder im Kasten, und nur der Arzt wollte sich noch einmal um die Leiche kümmern, bevor sie in die hässliche Wanne gelegt wurde, um abtransportiert zu werden.

Ich ging mit Suko zur Seite und schaute grübelnd zu Boden. Es gab hier am Ufer keinen Weg, nur einen Pfad, der von zahlreichen Fußspuren entstanden war.

Ich winkte Tanner herbei. »Gibt es hier so etwas wie einen Chef, der was zu sagen hat?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wie viele Boote sind denn besetzt?«

»Drei oder vier.«

Ich nickte. »Dann sehen wir uns mal um.«

»Gern.« Er blies die Wangen auf. »Nehmt euch das letzte Boot in der Reihe vor. Da sind meine Männer noch nicht gewesen, wie ich weiß. Vielleicht habt ihr Glück.«

»Bis gleich dann.«

Wir verließen den inneren Kreis und wurden von den Blicken der Boat People verfolgt, als wir auf unser Ziel zugingen. Weiches Gras dämpfte unsere Schritte. Es war nicht unbedingt warm. Zwar schien die Sonne, doch dicke, weiße Wolken schoben sich oft genug davor und nahmen ihr die Kraft. Der Wind wehte aus Norden. Mir gefiel das Wetter.

Niemand sprach uns an, als wir die Boote passierten. Tanners Leute waren unterwegs. Sie bewegten sich auf den Decks zwischen den künstlich angelegten Gärten hindurch. Vögel flogen hoch über unseren Köpfen. Manchmal hörten wir ihre schrillen Schreie. Oder hin und wieder auch ein helles Zwitschern.

Das letzte Boot war das kleinste. Es hätte gut und gern ein Kohleschlepper sein können, so grau sah es aus. Es gab nichts Freundliches oder Helles, und auf dem Deck hatte auch niemand einen Garten angelegt. Dafür stand eine Frau an der Reling, die uns misstrauisch entgegenschaute. Sie hatte schwarzes Haar, einen dunklen Teint und sah aus wie eine Orientalin. Eine Planke führte vom Ufer her auf das Boot zu, und wir gingen auf dem direkten Weg an Bord.

Die Frau trat uns in den Weg. »Polizisten, nicht?«

»Ja.«

Sie schaute uns von oben bis unten an. Sie war um die dreißig, und die großen Augen waren dunkelblau. Der Mund war weich geschnitten, ein Lächeln zeigte er nicht. Ihre bunte Bluse war weit geschnitten und fast bis zum Hals zugeknöpft. Der leichte Wind ließ den Stoff flattern.

»Ich weiß nichts.«

»Das glauben wir gern«, sagte Suko. »Dennoch müssen wir unsere Pflicht tun. Sie haben die Tote gesehen?«

»Flüchtig.«

»Was dachten Sie?«

»Das sage ich Ihnen nicht.«

»Waren Sie nicht geschockt?«

Sie senkte den Blick. »Ja, das waren wir alle. Es ist einfach furchtbar gewesen.«

»Eben, Sie sagen es. Und wir sind erschienen, um die Person zu fassen, die so etwas getan hat. Diese zweibeinige Bestie darf einfach nicht frei herumlaufen. Was hier geschehen ist, das kann sich leider schnell wiederholen.«

»Ich bin die falsche Person. Ich habe nichts gesehen. Und wir haben sie auch nicht umgebracht.«

»Etwas anderes haben wir auch nicht angenommen, dennoch müssen wir unsere Pflicht erfüllen.«

»Wohnen Sie allein hier auf dem Kahn?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Hussain ist noch bei mir.«

»Wer ist das?«

»Ein Freund.«

»Können wir ihn sprechen?«

»Er ist unter Deck.«

»Dann holen Sie ihn.«

»Sie können auch zu ihm gehen.«

»Danke.«

Auf dem alten Kahn sah es aus, als hätte jemand mit einer Axt wahllos herumgeschlagen. Aber es war nicht alles zerstört. Die Aufbauten sahen irgendwie nur angefressen aus. Aufgerissene Planken. Ladeschächte, die halb offenstanden und zu gefährlichen Fallen wurden, wenn man als Besucher nicht achtgab.

In die Tiefe fallen wollten wir nicht, deshalb bewegten wir uns an den Rändern vorbei. Das alte Holz federte bei jedem Schritt leicht nach. Das Ruderhaus erinnerte an einen Kasten, der am Heck seinen Platz gefunden hatte.

Ich tauchte zuerst durch den schmalen Durchlass und sah sofort, dass dieser Kahn fahruntüchtig war. Ein völliges Durcheinander herrschte in diesem Raum, der gar nicht so klein war, sondern so lang, dass man dort wohnen konnte.

Eine Abtrennung zwischen Ruderhaus und Wohnbereich hatte es wohl mal gegeben. Jetzt war sie nicht mehr vorhanden, und wir konnten direkt dorthin gehen, wo wir das Atmen hörten.

Ich zog den Kopf ein und gelangte in eine Höhle, die einer Rumpelkammer glich. Hier wurde gekocht und zugleich geschlafen. Die Feuerstelle bestand aus einem kleinen Kocher, wie ihn früher einmal die Camper mitgenommen hatten. Lebensmittel waren auch vorhanden. Auf einem Brett an der Wand standen die Dosen nebeneinander. Als Bett diente eine Matratze, und überall auf dem Boden verstreut lagen Kleidungsstücke haufenweise herum.

Es roch nach abgebrannten Räucherstäbchen oder Kerzen mit besonderen Duftnoten.

Hussain war auch da. Genau dort, wo Licht durch ein schmales Fenster fiel, hockte er auf einem Regiestuhl und sah im ersten Moment aus, als wäre er aus Stein. Er schaute uns an. Dabei bewegte er sich nicht. Sein Blick war nach innen gekehrt. Der gesamte Kopf schien nur aus Haaren zu bestehen. Vom Kopf- bis zum Barthaar, alles ging ineinander über. Es war schon eine Kunst, das Gesicht zu entdecken. Aber wer es sah, der musste einfach von den dunklen Augen fasziniert sein, die wie schimmernde Öltropfen aussahen und jeden Besucher fixierten, als wollten sie ihm auf den Grund seiner Seele schauen.

Hussain war altersmäßig schlecht einzustufen. Er konnte dreißig, aber auch fünfzig sein. Wahrscheinlich lag sein Alter irgendwo dazwischen.

Auch als wir den Raum betreten hatten, tat er noch nichts. Nicht einmal die Augen bewegten sich. Starr blickte er uns entgegen. Als wir stehen blieben, tat er ebenfalls nichts und blieb mehr als gelassen.

Es gab zwar noch Sitzgelegenheiten, die waren jedoch unter zahlreichen Kleidungsstücken oder Tüchern verschwunden, und so blieben wir lieber stehen.

»Hussain?«, fragte ich.

Er gab zunächst keine Antwort, bis ein langgezogenes Seufzen aus seinem Bartgestrüpp drang. »Ich wusste, dass die Polizisten kommen. Alles muss seine Regeln haben.« Er hatte sehr langsam gesprochen und die Worte bewusst betont.

»Das finden wir auch«, sagte ich. Der Knabe erinnerte mich an einen Guru, der vor kurzem erst von seinem Seelentrip zurückgekehrt war und sich erst zurechtfinden musste.

»Suchen Sie in mir den Mörder?«

»Den suchen wir überall«, sagte ich.

»Ich bin es nicht gewesen.«

»Das haben wir auch nicht angenommen, aber die Tote wurde in der Nähe gefunden. Es ist durchaus möglich, dass einer der Bewohner zufällig Zeuge geworden ist.«

»Niemand von uns hat einen Mord gesehen.«

»Das hatte ich auch nicht gemeint. Möglicherweise hat jemand den Täter gesehen.«

»Ich weiß es nicht.«

»Die Tote muss in der Nacht umgebracht worden sein. So lautet jedenfalls die Erklärung des Arztes.«

»Es kann sein.«

»Haben Sie ...«

Er funkelte mich an. »Ich habe meditiert«, erklärte er. »Ich war in mich selbst versunken.«

»Aha.«

Er stand plötzlich von seinem Stuhl auf und wurde dabei nicht viel größer. Menschen wie er sind Sitzgrößen. Zuerst trat er dicht an mich heran. Dann schaute er mir in die Augen. Ich atmete das Konglomerat von Gerüchen ein, die er ausströmte. Er sagte nichts und ging auch schweigend einen Schritt zur Seite, um vor Suko stehen zu bleiben. Auch mein Freund musste den Blick ertragen.

Hussain, der einen alten schwarzen Anzug trug, ging wieder zu seinem Stuhl zurück und setzte sich hin. Unter der Jacke war sein Oberkörper von einem ärmellosen Unterhemd bedeckt. Er bewegte seine Hände, die sehr schmal, lang und auch gepflegt waren. Dann nickte er vor sich hin und meinte mit leiser Stimme: »Ich habe euch gesehen und auch kennengelernt, und ich meine, dass ihr etwas Besonderes seid. Das konnte ich spüren. Meine Seele gab mir die entsprechenden Antworten. Ihr seid keine Lügner und keine Täuscher, das ehrt euch. Seid deshalb bei mir willkommen.«

»Danke«, sagte Suko, während ich nur nickte.

Hussain drehte den Kopf zur Seite. Die nächsten Worte flüsterte er. »Sie war noch sehr jung, nicht wahr?«

»Zu jung«, gab ich zurück.

»Darauf nimmt das Böse keine Rücksicht.«

Ich räusperte mich. »Sie haben einen ungewöhnlichen Satz gesprochen, der auch von mir hätte stammen können. Oder auch von meinem Partner. Hat er etwas Bestimmtes zu bedeuten?«

»Bekämpft ihr nicht auch das Böse?«

»So ist es!«, stimmte Suko zu.

Er lächelte schmal. »In dieser Nacht ist das Böse gekommen. Ich habe es nicht gesehen, aber ich konnte es spüren.«

»Aufgrund der Meditation?«

»Ja, mein Freund. Es war keine kalte Nacht. Ich hatte meinen Platz auf dem Deck, weil ich mit dem Himmel, dem All und den darin treibenden Seelen Kontakt aufnehmen wollte. Es war einfach wunderbar.« Er lächelte vor sich hin. »Ich kann es nicht genau beschreiben, aber dieses Wunder wurde plötzlich gestört. Die fremden Einflüsse waren einfach nicht zu übersehen. Sie kamen auf uns zu, und sie wurden stärker, immer stärker.«

»Sahen Sie nichts?«, fragte ich.

»Nein, aber ich spürte sie in der Nähe.«

»Warum haben Sie nichts getan?«, wollte Suko wissen.

»Es war so stark. Es war einfach grausam stark. Stärker als ich. Es wäre mir unmöglich gewesen, mich dagegen zu wehren. Es war das pure Grauen.«

»Können Sie sich normal äußern?«, wollte ich wissen.

»Das tue ich bereits. Ich äußere mich normal. Ich war tief in meine Meditation versunken, als ich das Böse wahrnahm. Ich erkannte keine Gestalten, ich hörte auch keine Stimmen, und trotzdem waren sie vorhanden. Sie kamen über den Deich zum Ufer hin. Das Böse begleitete sie, und ich musste es erleben. Es zerstörte mein Karma, es weckte mich sogar, doch es war so immens stark, dass ich es nicht schaffte, mich zu bewegen. Ich blieb auf dem Deck sitzen und konnte nur abwarten, was passieren würde.«

»Sie haben nichts gesehen?«, fragte Suko.

»Nur gehört.« Er verzog die leicht gekrümmte Nase.

»Stimmen?«

Hussain nickte.

»Haben Sie etwas verstanden?«

»Ja. Sie sprachen von einem Opfer. Von einem Opfer für ihren Götzen, der sehr grausam sein muss, denn von ihm strahlte das Böse ab.«

»Fielen Namen oder vielleicht nur ein Name?«, fragte ich.

Seine Antwort klang nicht eben ermutigend. »Sie haben sich sehr leise bewegt. Aber ich konnte trotzdem etwas verstehen, und ich hörte sie sprechen. Ihr Götze hat einen Namen. Sie haben ihn mehrmals voller Ehrfurcht ausgesprochen.«

»Hast du ihn behalten?«, flüsterte Suko.

»Ja, das habe ich.«

»Wie hieß er?«

»Cigam!«

Nach dieser Antwort herrschte Schweigen, und wir beide kamen uns vor, als hätte man uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Überraschung hatte uns verstummen lassen. Der Name Cigam war uns bekannt. Nur hatten wir sehr lange nichts mehr von ihm gehört.

Cigam war ein Kunstgeschöpf des Teufels. Er sah einfach widerlich aus. Wir hatten lange nichts mehr von ihm gehört oder gesehen, trotzdem war mir sein Aussehen in Erinnerung geblieben.

Die Totenhaut, der Schädel ohne Haare, ein Mund ohne Lippen, tote Augen, und seine gesamten Gesichtsproportionen waren so verschoben, dass nichts mehr so saß wie bei einem Menschen. Er verfügte über wahnsinnige Kräfte. Er war ein direkter Handlanger des Teufels. Er konnte Menschen, Tiere und auch Gegenstände magisch verändern, und der Teufel hatte ihn geschaffen, um einen Verbündeten gegen Dracula II zu bekommen. Zudem war er ein Killer. Er hatte gemordet und in den Vereinigten Staaten deshalb auf dem elektrischen Stuhl rösten sollen. Da hatte Asmodis eingegriffen. Als der Strom seinen Körper durchfuhr, hatte Asmodis ihn mit seiner Magie verstärkt und ihn so befreien können. Er hatte es geschafft, eine Blutsaugerarmee zu vernichten, aber es war ihm nicht gelungen, die Stadt Prag zu übernehmen. Dabei war auch seine Schwester Altea ums Leben gekommen, woran wir nicht unschuldig gewesen waren. Bei diesem Angriff war auch der Mafiaboss Logan Costello krankenhausreif geschlagen worden und hatte mit seinem Leben im Rollstuhl beginnen müssen.

Der Guru bewegte seinen Kopf. Mal schaute er Suko an, dann wieder mich. Viel war von seinem Gesicht nicht zu sehen, doch wir erkannten, dass ihn unsere Reaktion schon berührte.

»Was ist geschehen?«, flüsterte er uns zu. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«

»Das haben Sie nicht«, erwiderte ich.

»Dann ist es gut. Aber eure Reaktion hat mich beeindruckt. Ich spüre eine Unruhe. Was ist denn geschehen?«

»Sie haben tatsächlich den Namen Cigam gehört?«

»Ich erfuhr ihn auf meine Art und Weise«, klärte Hussain mich auf. »Ich kann schwören, dass ich mich nicht geirrt habe.«

»Wir kennen ihn.«

»Sehr gut.«

»Er ist kein Mensch. Er ist tatsächlich ein Geschöpf des Bösen. Der Teufel hat ihn erschaffen. Wir haben schon gegen ihn gekämpft, aber es ist uns nicht gelungen, ihn zu vernichten. Jetzt wundert es mich, dass er wieder aktiv ist. Einer wie er ist in der Hölle geboren. Er wurde von keiner Mutter im Leib getragen. Cigam ist einfach ein Produkt der Hölle. Und doch gibt es immer wieder Menschen, die sich für ihn interessieren. Die ihm sogar Opfer bringen.«

»Dann ist die Tote ihm geopfert worden?«

Ich nickte. »Wir müssen leider davon ausgehen, so furchtbar es auch ist. Aber Cigam ist wieder im Spiel.«

Suko, der sich ebenfalls seine Gedanken gemacht hatte, fragte: »Haben Sie nicht mehr gesehen? Sind Sie nicht aus Ihrem Zustand erwacht und haben nachgeschaut?«

»Nein, nein.« Hussain streckte uns die Hände entgegen. »Auf keinen Fall.«

»Was ist mit der Frau, die bei Ihnen lebt?«

»Fatima?«

»Ja.«

»Sie hat geschlafen. Ich habe ihr auch nichts davon berichtet, und ich hätte es euch auch nicht gesagt, bis ich spürte, dass ihr anders seid und ich euch vertrauen kann. Als ich aus meiner Meditation erwachte, war der Spuk vorbei.«

»Warum haben Sie nicht nachgeschaut?«, fragte ich.

»Es steht mir nicht zu. Ich stand zudem unter dem starken Einfluss der anderen.«

»Sie haben also nichts gesehen?«

»Nein.«

»Auch kein Bild, das entstanden ist, als Sie in der tiefen Meditation lagen? Wenn es tatsächlich Cigam gewesen ist, dann hat er nicht wie ein Mensch ausgesehen. Das wissen wir. Denn er ist nichts anderes als ein Kunstgeschöpf der Hölle. Er gleicht mehr einem Außerirdischen als einem Menschen, wenn man so will.«

»Ich weiß nichts. Ich habe nur seine gewaltigen Kräfte empfangen können, und sie waren nicht gut. Ich werde meine Aussagen auch nicht wiederholen. Sie hätten vor einem Gericht keinen Bestand.« Er lächelte schmal, wie jemand, der stolz darauf ist, sich auf einem gewissen Gebiet auszukennen.

»Dann bedanken wir uns«, sagte Suko. »Sollte Ihnen noch etwas einfallen, oder sollte es zu einer weiteren Begegnung mit Cigam auf einer anderen Ebene kommen, geben Sie uns bitte Bescheid.« Er bekam von Suko eine Karte, die er ungelesen in der linken Tasche seiner Jacke verschwinden ließ.

Wir zogen uns zurück.

Auf dem Deck war es frischer. Tanner und seine Leute waren noch damit beschäftigt, die Bewohner der Hausboote zu fragen.

Es war Zufall oder einfach nur Glück gewesen, dass wir die richtige Person erwischt hatten. Ob er uns jedoch die gesamte Wahrheit erzählt hatte, stand in den Sternen.

»Cigam also«, murmelte Suko. »Da können wir uns auf einen heißen Tanz gefasst machen.«