John Sinclair Sonder-Edition 23 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 23 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Meine Familie stammt aus Schottland. In dem kleinen, alten Dorf Brigadoon lebten meine Ahnen über Hunderte von Jahren. Bis die Stadt im Moor versank. Nur wenige jedoch kannten den alten Fluch.

Die Stadt war dazu verdammt, alle hundert Jahre aus dem Moor zu erscheinen. Diese Zeit war um, Brigadoon tauchte wieder auf.

Auf dem Friedhof der Verfluchten wuchs die Stadt aus den Tiefen des Moors, und für mich begann einer meiner unheimlichsten Fälle ...

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Seitenzahl: 186

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Friedhof der Verfluchten

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Elena Schweitzer

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2874-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.

Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.

Lesen Sie in diesem Band:

Friedhof der Verfluchten

von Jason Dark

Der Killer hatte die Geduld eines Raubtiers. Er wusste genau, dass sein Opfer erscheinen würde, und richtete sich darauf ein. Im weichen, taufeuchten Gras hatte er es sich bequem gemacht und den Lauf des automatischen Gewehrs auf eine Astgabel gelegt, die ihn sicher abstützte.

Es war eine hervorragende Waffe, mit der Koonz schoss. Sie war ausgerüstet mit einem Zielfernrohr, das mit einer Genauigkeit auf den Lauf abgestimmt war, die schon einmalig zu nennen war. Mit dieser Waffe hatte Koonz nur ein einziges Mal vorbeigeschossen.

Sein scharfes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, als er das Reh ganz in der Nähe sah. Das Tier stand auf einer kleinen Lichtung und äste. Für den Killer ein Beweis, dass er seinen Platz günstig gewählt hatte. Nicht einmal die scheuen Tiere nahmen ihn wahr.

Er lag am Waldhang, versteckt im Unterholz. Schräg konnte er in eine große, weite Mulde blicken, die umgeben von Bergen war. Hier würde das Ferienzentrum, um das es letztendlich ging, ausgezeichnet hineinpassen.

Die Mulde war allerdings ein ideales Gebiet für Naturforscher. Es gab dort seltene Sumpfblumen, Vögel nisteten im dichten Gras, der Boden war feucht und enthielt zahlreiche Würmer und Insekten, sodass die Vögel immer genügend Nahrung fanden. Ein schöner Flecken Erde, ein kleines Stückchen unberührter Natur, um das sich eine Sage rankte.

Aber was interessierten den Killer schon alte Legenden und Sagen, auch wenn sie mit unheimlichen Friedhöfen oder geisterhaften Städten zu tun hatten. Er musste seine Aufgabe erledigen, und das würde er. Koste es, was es wolle.

Leider wusste er nicht genau, wann sein Opfer eintreffen würde. Er hatte nur etwas von der Dämmerung gehört. Dann wollte der Mann kommen und das Wild beobachten. Als Koonz, der Mörder, daran dachte, begann er abermals zu grinsen. Das Wild beobachten! Einfach lächerlich. Der Mann ahnte nicht, dass er selbst das Wild sein würde und von einem Projektil getroffen werden sollte.

Der Killer streichelte sein Gewehr, den einzigen Freund, den er hatte. Er warf danach einen Blick auf seine Uhr und sah wieder hinab in die Mulde. Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden. Bald würde die Nacht den Tag ablösen.

Am Beginn der Dämmerung kam der Mann, er fuhr mit seinem Wagen vor die Mulde, ließ das Fahrzeug im Schutz eines hohen Gebüschs stehen und suchte sich erst danach seinen Platz, von wo er den besten Überblick hatte.

So jedenfalls wusste es der Killer.

Er wusste auch, dass diese Gegend vielen Menschen nicht geheuer war. Hier hatte mal Brigadoon gestanden …

Der Killer blickte zum Himmel. Die Wolken hingen tief. Es konnte auch Nebel sein, der von den Hängen kroch. Auch in der Mulde hatten sich erste Schwaden gebildet. Dicke, graue Tücher, die hüfthoch über dem Boden schwebten und die Sicht in die Schüssel hinab behinderten. Das störte den Killer nicht. Er wollte den Mann schon vorher erwischen, bevor er in die Mulde hineinging. Die Kugel sollte ihn treffen, wenn er seinen Wagen verlassen hatte.

Abermals probierte der Killer die Schussbahn aus. Er senkte die Gewehrmündung um einige Millimeter und nickte zufrieden. Auch roch er das Waffenöl, für ihn ein Geruch wie für eine Frau ein kostbares Parfüm.

Dann zuckte er zusammen. Wie aus dem Nichts erfasste ein seltsames Leuchten die Mulde. Nur für einen winzigen Augenblick entstand das rote Licht, das einen Schimmer ins Violette besaß. Woher es genau gekommen war, konnte der Killer nicht sagen, es war einfach da gewesen, und in dieser winzigen Zeitspanne hatte Koonz auch in die Mulde geblickt und dort etwas gesehen, was er als eine Täuschung ansah. Verfallene Häuser und einen uralten Friedhof …

Dann war beides wieder verschwunden. Der Killer wischte sich über die Augen. Er war doch irritiert, wollte es nicht zugeben, obwohl ihm sein Verstand etwas anderes sagte.

Da war etwas gewesen … Friedhof und Häuser … Brigadoon! Hatte man ihm nicht die alte Geschichte erzählt? Von dieser seltsamen Stadt, die alle hundert Jahre erscheinen würde, um einem alten Fluch zu gehorchen?

»Kinderkram«, murmelte Koonz, um sich selbst zu beruhigen. »Verdammter Kinderkram, und ich falle noch darauf rein …«

Er fluchte wütend, wobei er sich wieder anders hinlegte und jetzt eine bequemere Stellung eingenommen hatte. Zeit seines Lebens war er Realist gewesen. Eine saubere Kugel war für ihn alles, da brauchte er so einen Kram nicht.

Und doch hatte er etwas gesehen, auch das Licht war da gewesen. Als er nun in die Mulde blickte, sah alles wieder normal aus. Doch das war eine Täuschung. Und gerade das machte Koonz Angst. Wenn er sich täuschen ließ, deutete dies auf eine Nervenschwäche hin. Alles konnte er sich erlauben, nur so etwas nicht, dann war er bald raus aus dem Geschäft.

Selbstzweifel drangen in ihm hoch, denn so etwas war ihm noch nie vorgekommen, und er hatte wirklich schon einiges hinter sich. Nicht umsonst gehörte er zu den Topleuten seines Fachs. In der ganzen Welt hatte er gemordet, doch nie war ihm so etwas passiert wie hier in Schottland.

Aber der Schrecken war noch nicht beendet. Kaum hatte Koonz wieder Maß genommen, als er die Stimmen hörte. Es waren keine normalen Stimmen, sondern geisterhafte Laute, die an seine Ohren schwangen.

Brigadoon must die – Brigadoon muss sterben!

Der Killer merkte, dass sein Herz schneller schlug. Brigadoon, das war doch die versunkene Stadt, der sagenumwobene Ort, der einem alten Fluch anheimgefallen war.

Brigadoon must die!

Ein Singsang war es, der die Nerven des Killers so strapazierte. Es hörte sich an, als würde ein gesamter Chor singen, dessen Stimmen nicht hell und klar waren, sondern dumpf, drohend und deprimierend. Einfach unheimlich.

Aber er sah niemanden. Koonz hatte bisher seine liegende Stellung beibehalten. Nun schnellte er hoch, drehte sich um, riss das Gewehr an die Hüfte und starrte auf den Waldrand, denn er dachte daran, dass sich die Sänger dort unter Umständen versteckt halten könnten.

Die Bäume, deren Laub sich allmählich färbte, standen dort wie stumme Wächter dicht an dicht. Dazwischen das Unterholz, von dünnen Nebelschleiern umfangen, aber keine Gestalten, die ein Lied sangen.

Und doch hatte Koonz es gehört. Da wollte ihn jemand verrückt machen, dessen war er sicher. Natürlich, anders konnte es nicht sein. Irgendwo hatte sich jemand versteckt, der ein Radio besaß und jetzt die Musik laufen ließ, damit er, Koonz, durchdrehte.

Der Killer zog die Schultern hoch. Er fröstelte plötzlich. Obwohl er es nicht offen zugeben wollte, war ihm doch unheimlich zumute. Was sich hier abspielte, konnte man mit dem Wort unbegreiflich umschreiben. Er, der Realist, hatte dafür keine Erklärung.

Ein paar Schritte ging er auf den Waldrand zu. Seine Füße knickten das hochwachsende Gras, der rechte Zeigefinger lag am Abzug, Koonz war bereit, seine Waffe sofort einzusetzen, sollte es irgendwie erforderlich sein.

Da raschelte es links im Gebüsch. Augenblicklich drehte sich der Killer, suchte nach dem Gegner, und ein fast erleichtertes Lächeln spaltete seine Lippen, als er den »Gegner« erkannte.

Ein Fuchs huschte durch das Unterholz und rannte in Zickzack-Sprüngen vor ihm weg.

Der Killer atmete auf. Füchse singen nicht, sagte er sich und drehte sich wieder um. Leer lag die Mulde vor ihm. Jetzt musste sein Opfer kommen, sonst wurde es zu spät. Das Gewehr war zwar mit Infrarot ausgerüstet, sodass er auch im Dunkeln damit schießen und treffen konnte, aber er tötete lieber im Hellen, da konnte er auf Nummer sicher gehen.

Oder hatte man ihn mit falschen Informationen versorgt?

Brigadoon must die!

Fast hätte Koonz vor Wut aufgeschrien, als er abermals die traurige Melodie hörte. Sie erreichte seine Ohren, pflanzte sich durch sein Gehirn fort und brachte seine Nerven in Unordnung. Seine Hände wurden feucht. Auch sein Herzschlag hatte sich weiterhin verstärkt, ein Zeichen, dass die innere Unruhe bei ihm schlagartig wuchs. Der Killer war nervös.

Koonz verzog das Gesicht. Und plötzlich glaubte er, in der Mulde Gestalten zu sehen. Menschen, die sich bewegten. Geisterhaft, lautlos …

Zum ersten Mal nach Jahren spürte Koonz wieder eine Gänsehaut, die über seinen Rücken rann. Nie hatte er das Gefühl gekannt. Über andere Menschen hatte er immer gelacht, wenn sie davon sprachen, er selbst hatte das nicht gekannt. Bis zu dieser Minute. Ausgerechnet jetzt, wo er vor einem wichtigen Mord stand, der ihm sehr viel Geld bringen sollte, passierte es.

Brigadoon must die!

Da war der Gesang wieder. Und diesmal sogar lauter. Er glaubte, dass die seltsamen Sänger oder Geister sich sogar in seiner Nähe befanden, drehte sich im Kreis und stoppte abrupt. Er hatte etwas gehört. Ein fremdes Geräusch, eines, das überhaupt nicht in die Stille passte. Es war das Geräusch eines Automotors.

Sein Opfer kam. Der Killer atmete tief durch. Urplötzlich veränderte er sich. Jetzt war er wieder das lauernde Raubtier, nur darauf aus, sein Opfer zu töten. Vergessen war der Gesang, das Opfer hatte sich freiwillig in die Falle begeben.

Rasch nahm der Killer wieder seinen Platz ein, und er hörte, dass eine Wagentür hart zugeschlagen wurde. Bald würde er kommen. Er, das war Horace F. Sinclair!

***

Der ehemalige Rechtsanwalt Horace F. Sinclair hatte zahlreiche Hobbys. Er war so beschäftigt wie früher, und an einen langweiligen Lebensabend war bei ihm gar nicht zu denken. Ein engagierter Mann, der sich sehr für die Erhaltung der Umwelt einsetzte, in seiner kleinen Heimatstadt höchst geachtet war, und auf dessen Rat sehr viele Menschen hörten.

Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte die Zwiesprache mit der Natur. Er stieg spätnachmittags in seinen Jeep und fuhr in den Wald. Stundenlang konnte er dort sitzen, die Tiere beobachten und sich darüber freuen, dass es noch so unberührte Flecken Erde gab.

Das sollte sich ändern. Genau dort, wo Horace F. Sinclair seinen Stammplatz hatte, hatten die Manager einer cleveren Baufirma den Plan gefasst, ein Ferienzentrum mitten im Wald zu errichten. Dank seiner hervorragenden Beziehungen hatte Sinclair Wind von den Plänen bekommen.

Selbstverständlich wollte und würde er die Pläne dieser Baufirma durchkreuzen, daran führte überhaupt kein Weg vorbei. Schottland, seine Heimat, hatte bereits genügend Natur an den Tourismus verloren, sodass es galt, um jeden Flecken Erde zu kämpfen.

Und gerade das Gebiet, das sich Horace F. Sinclair ausgesucht hatte, war ein Stück Natur von besonderer Bedeutung. In dieser Gegend nisteten seltene Vögel, da sie vor Menschen sicher waren und ihre Ruhe hatten. Das durfte auf gar keinen Fall zerstört werden, und Sinclair würde alles dafür tun, damit es auch so blieb.

Es störte ihn schon, dass er mit dem Wagen in das Gebiet hineinfahren musste, denn um zu Fuß zu laufen war es einfach zu weit entfernt. Wie ein Schuss klang es, als der ehemalige Rechtsanwalt die Tür des Jeeps zuschlug. Er zuckte selbst zusammen. Krach in der Natur mochte er nicht.

Für einen Moment blieb er neben dem Wagen stehen, atmete die saubere Luft ein und seufzte auf. Bald würde er nicht mehr so häufig herkommen, denn im Winter machte es keinen Spaß. Da lag der Schnee zu hoch, und er kam trotz des Jeeps nicht durch.

Der Herbst in Schottland reizte ihn immer wieder, obwohl der Nebel schon früh aufstieg und spät in den Morgenstunden verschwand, wobei er sich in der Nacht verdichtet hatte.

Horace F. Sinclair hatte einen bestimmten Platz, wo er sich immer hinsetzte und über zwei Stunden praktisch eine Einheit mit der ihn umgebenden Natur bildete.

Er schritt jetzt zügig aus. Mit dem Wagen war er nicht bis dicht an die Stelle gefahren, er wollte die Tiere einfach nicht erschrecken. Der ehemalige Rechtsanwalt war waidgerecht angezogen. Hohe Schnürstiefel, feste Kleidung, die Hose aus grobem Cord, eine Parkajacke, deren Reißverschluss hoch zugezogen war. So stapfte er durch das Gras.

Stille umgab ihn. Wenn er nach vorn blickte, sah er bereits die hellgraue Nebelsuppe, die kniehoch in der Mulde lag. Die Sträucher, Büsche und Farne ragten nur zur Hälfte hervor und wirkten so, als würden sie in der Luft schweben.

Ein wenig Melancholie bestimmte bereits das Bild der Natur. Manche Menschen wurden dabei schwermütig, Horace F. Sinclair nicht. Er liebte die frühen Herbsttage.

In Schottland war der Herbst eine besondere Jahreszeit. Da veränderten sich die Menschen, sie erinnerten sich wieder an die alten Geschichten, erzählten von Flüchen, von Druiden, von Monstern, die in einsamen Seen lauerten, von Burgen und Schlössern, auf denen es spukte, vom Reiter ohne Kopf oder von längst versunkenen Städten, die ebenfalls ein alter Fluch getroffen hatte.

Wie Brigadoon …

Immer wenn Horace F. Sinclair an »seinen« Platz kam, musste er an diesen Ort denken. Er war verflucht, versunken, doch die Geschichte sagte, dass er alle hundert Jahre wieder erscheinen würde. Eigentlich war die Zeit jetzt reif …

Horace F. Sinclair wusste, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die man nicht so einfach erklären konnte. Nicht umsonst wurde sein Sohn John, der in London als Polizeibeamter bei Scotland Yard arbeitete, Geisterjäger genannt.

John war ein Mann, der sich mit übersinnlichen Fällen beschäftigte. Er jagte Vampire, Hexen und Werwölfe, und Horace F. Sinclair war schon einige Male selbst in einen Fall mit hineingezogen worden.

Brigadoon must die!

Als wäre er vor einen Baum gelaufen, so heftig blieb der ehemalige Anwalt stehen. Was er da hörte, war gespenstisch. Geisterhafte Stimmen, die ein uraltes Lied sangen.

»Brigadoon muss sterben«, murmelte Sinclair und dachte sofort an die alte versunkene Stadt.

Die Legende hielt sich. Sie war nicht auszurotten, und zahlreiche Menschen hatten in letzter Zeit gewarnt. Brigadoon würde zurückkehren, die hundert Jahre waren um. Und wenn die Stadt erschien, dann brachte sie auch das Grauen. So erzählte man sich.

Und jetzt hörte Horace F. Sinclair den alten Gesang. Wer sang da? Die Stimmen hatten sich nicht normal angehört, so sangen keine Menschen, nicht so hoch, monoton und gleichzeitig leiernd. Sofort dachte der Mann an die versunkene Stadt und an den seltsamen Friedhof, den sie gehabt hatte.

Friedhof der Verfluchten, so erzählten die Überlieferungen. Geister der Toten, die niemals Ruhe finden konnten, waren immer auf der Suche nach irgendetwas. Hatten sie gesungen?

Dem ehemaligen Anwalt lief es kalt über den Rücken. Obwohl er starke Nerven hatte und schon des Öfteren mit dem Grauen und Unerklärlichem konfrontiert worden war, bekam er doch ein flaues Gefühl, als er den Singsang vernahm.

Da stimmte etwas nicht. Waren die hundert Jahre wirklich schon um? Es gelang ihm nicht, genau nachzurechnen, aber Leute im Dorf, die es eigentlich wissen mussten, sprachen davon.

Nach hundert Jahren sollte Brigadoon wieder erscheinen. In wie vielen Nächten dies geschah oder ob es auf einmal passierte, das alles war Sinclair unbekannt, doch er ahnte instinktiv, dass er vor einer entscheidenden Wende stand.

Abermals hörte er den Gesang. Und er hatte sich um keinen Deut verändert. Traurig, melancholisch, quälend, als würden die Seelen unter unaussprechlicher Pein leiden.

Sinclair überlegte, ob er sich in seinen Wagen setzen und zurückfahren sollte, ließ es jedoch bleiben und ging vor. Nein, er wollte wissen, ob die seltsame Stadt mit ihrem verfluchten Friedhof tatsächlich erschien. Und ausgerechnet dort, wo er immer seinen Platz hatte, da hatte sie vor langer Zeit einmal gestanden. In der Mulde!

Es gab alte Zeichnungen von Brigadoon. Sie waren der Fantasie entsprungen, zeigten einen verkommenen Friedhof, eine Burg dahinter, ein paar verfallene Häuser und Menschen, die mit bleichen, bösen und verkniffenen Gesichtern umherliefen. Sie hatten schweres Unheil auf sich geladen und waren deshalb verflucht worden.

Horace F. Sinclair ging weiter. Schritt für Schritt näherte er sich der Mulde. Er starrte dabei in den Nebel, suchte nach Bezugspunkten, aber noch war nichts zu erkennen – bis er gegen einen aus dem Boden wachsenden Gegenstand lief.

Automatisch blieb er stehen. Sein Herz übersprang einen Schlag, als er sah, was ihn da aufgehalten hatte. Es war ein Kreuz. Aber kein normales. Erstens wuchs es aus dem Boden, und zweitens zeigte es ein Bild, wie Sinclair es noch nie gesehen hatte. Das Kreuz hatte vier Totenköpfe!

***

Der ehemalige Anwalt ging keinen Schritt mehr. Die Überraschung musste er erst einmal verdauen. Schließlich bewegte er sich dennoch ein Stück zurück und senkte seinen Blick, damit er das Kreuz besser betrachten konnte.

Es war dunkel, musste aus Metall bestehen und wuchs aus der Erde. Sooft der Horace F. Sinclair auch schon hier gewesen war, gesehen hatte er das seltsame Kreuz nie. Und doch musste es eine Bedeutung haben, dass es ausgerechnet jetzt erschienen war.

Eine Warnung? Wovor? Da hatte Sinclair nur eine Lösung. Dieses Kreuz sollte vor der längst versunkenen und verfluchten Stadt Brigadoon warnen. Etwas anderes kam ihm nicht in den Sinn. Und vielleicht markierte es auch den Eingang zum Friedhof der Verfluchten oder zu dieser Stadt. Möglich war in diesem Fall alles.

Das Kreuz glänzte vor Nässe. Der Nebel hatte sich auf dem alten verrosteten Metall abgesetzt, und er klebte auch auf den Totenschädeln, die sich an den Seiten des Kreuzes befanden. Rechts und links. Dazu oben an der Spitze und genau in der Mitte, wo sich die beiden Metallarme trafen.

Horace F. Sinclair räusperte sich. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, auch dachte er an seinen Sohn, der ebenfalls ein geheimnisvolles Kreuz trug, allerdings hatte es keine Totenschädel wie dies hier.

Automatisch dachte er an Brigadoon. Er wühlte mühsam in seinem Gedächtnis. Was wusste er überhaupt von dieser geheimnisvollen Stadt und deren Bewohnern?

Da sollte jemand eine ungeheure Schuld auf sich geladen haben. Ein Verbrechen, wie es grauenvoller nicht sein konnte. Man hatte eine Frau lebendig begraben.

Als Horace F. Sinclair daran dachte, da packte es ihn. Er zitterte, denn diese Vorstellung war schrecklich. Lebendig begraben …

Ja, das hatten die Menschen gemacht, und dieses Mädchen oder diese Frau soll eine Heilige gewesen sein, eine von den Engeln beschützte Person, die sich dann schrecklich an der Stadt und deren Einwohnern gerächt hatte. Brigadoon war verschwunden. Untergegangen! Die Erde oder eine andere Dimension hatte sie verschluckt.

Vielleicht stand er genau an einer Schlüsselstelle. War das Mädchen vielleicht hier vergraben worden, wo jetzt das Kreuz mit den vier Totenköpfen aus dem Boden wuchs?

Der Mann spürte die Erregung, die ihn gepackt hielt. Er merkte, dass er an einer entscheidenden Wende stand, die Mulde würde nie mehr so sein wie früher, hier tat sich etwas, und Horace F. Sinclair musste wissen, was. Er dachte auch daran, seinen Sohn zu informieren, denn John kannte sich aus, er war in der Lage, Geister und Dämonen zu jagen, doch zuvor wollte Horace Sinclair ihm die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Das Kreuz musste untersucht werden.

Ruckartig ging er in die Knie. Im Bruchteil einer Sekunde hörte er das Pfeifen, dann ein singendes Geräusch, als etwas gegen das Kreuz schlug, es zum Erzittern brachte, und erst jetzt folgte der Knall.

Horace F. Sinclair lag im nassen Gras. Er dachte mit Schrecken daran, dass jemand auf ihn geschossen hatte.

***

Er lag flach auf dem Boden, hatte seine Hände in das feuchte Erdreich gekrallt und dachte überhaupt nicht. Der Schock trat erst Sekunden später ein.

Auf dich wurde geschossen! Dieser eine Satz hämmerte in seinem Kopf.

Schwerfällig wälzte er sich zur Seite, als er daran dachte, auf dem Präsentierteller zu liegen. Hätte er sich nicht so ruckartig nach unten gebeugt, wäre es um ihn geschehen gewesen. Sein Leben hatte er nur einem unwahrscheinlichen Zufall zu verdanken.

Geister schießen nicht, dachte er. Irgendwo verborgen musste ein Killer lauern, dem er diesen Anschlag auf sein Leben zu verdanken hatte. Wie ein Rekrut robbte er zur Seite, zog erst die Arme an, danach die Beine und sah zu, so rasch wie möglich aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu gelangen.

Er war Waffenkenner genug, um zu wissen, dass man nicht mit einer Pistole oder einem Revolver auf ihn geschossen hatte. Nein, das war ein Gewehr gewesen, und so eine Waffe konnte streuen. Entfernungen zählten da kaum etwas.

Wieder der Knall. Diesmal hatte er das Sirren der Kugel nicht gehört, aber er sah den Einschlag des Geschosses. Dicht neben seiner linken Stirnseite hackte es den Boden auf. Der Schall des Schusses wurde vom Nebel verschluckt.

Zweimal hatte der heimtückische Killer nicht getroffen. Schoss er sich erst ein?

Horace F. Sinclair suchte verzweifelt nach einer Deckung. Er kroch nicht von der Mulde weg, sondern in sie hinein, denn er wusste von einigen Bodenerhebungen, hinter denen er Schutz finden konnte.

Die Erste hatte er bald gefunden. Gerade noch rechtzeitig zog er die Beine an, sonst hätte ihm die dritte Kugel die Wade zerschmettert. Sinclair wälzte sich auf den Rücken und blieb schwer atmend liegen. Er bedankte sich beim Nebel, der dafür Sorge trug, dass der Killer ein genaues Ziel nicht erkennen konnte. Trotzdem hatte er noch ungemein präzise gezielt, jedes Mal hatte nur die Breite einer Handspanne gefehlt.

Ein paar Mal holte Sinclair tief Luft. Die Kugel, die neben seinem Kopf in den Boden gestampft war, hatte Dreck aufgewühlt und ihm den Schmutz ins Gesicht geschleudert. Mit dem Handrücken wischte er ihn aus der Stirn.

Noch immer standen seine Nerven wie unter Starkstrom. Die Angst umklammerte sein Herz, er konnte ein Zittern nicht vermeiden. Der ehemalige Anwalt zwang sich dazu, ruhig liegen zu bleiben. Am liebsten hätte er diesen Ort verlassen, aber er wollte nicht mehr hoch, denn darauf wartete der Killer nur.

Sinclair war es in seinen langen, hinter ihm liegenden Berufsjahren gewohnt, den Verstand analytisch einzusetzen. Er durchdachte ein Problem von vorn bis hinten, auch jetzt arbeitete sein Gehirn automatisch, es ließ sich einfach nicht abschalten, sein Geist arbeitete wie ein Computer.

Jeder Mensch hat Feinde, darin bildete auch ein Mann wie Horace F. Sinclair keine Ausnahme. Hinzu kam, dass er in seiner langen Praxis als Rechtsanwalt so manchem auf die Füße getreten war, aber das lag lange zurück. Drohungen hatte es zwar gegen ihn gegeben, doch meist kühlten solche hervorgestoßenen Worte hinter den Gefängnismauern ab. Nein, dieser Killer musste wegen einer anderen Sache auf ihn gehetzt worden sein.