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Immer mehr näherte sich das Millennium seinem Ende. Mahner, Verschwörer, falsche Propheten - sie alle waren erschienen, um das große Ereignis vorzubereiten.
Auch Booker gehörte dazu. Aber er war jemand, der schon vor genau hundert Jahren seine grausamen Zeichen gesetzt hatte. Zusammen mit seinem Legat der Toten war er nun wieder da und bereit, all das zu zerstören, an das die Menschen seit zwei Jahrtausenden glaubten ...
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Seitenzahl: 193
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Das Legat der Toten
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Das Legat der Toten
von Jason Dark
Immer mehr näherte sich das Millennium seinem Ende. Mahner, Verschwörer, falsche Propheten – sie alle waren erschienen, um das große Ereignis vorzubereiten.
Auch der geheimnisvolle Booker gehörte dazu. Aber er war jemand, der schon vor genau hundert Jahren seine grausamen Zeichen gesetzt hatte. Zusammen mit seinem Legat der Toten war er nun wieder da und bereit, all das zu zerstören, an das die Menschen seit zwei Jahrtausenden glaubten ...
»Können Sie sich vorstellen, den Tod zu sehen, Charlene?«
»Bi ... bitte?«
Der Parfümeur drehte sich um, damit er seine Assistentin anschauen konnte. »Ja, den Tod ...«
»Pardon, aber ...« Charlene fehlten die Worte. Diese Frage hatte sie einfach zu plötzlich getroffen und auch zu stark überrascht. Das Zimmer – Kleinlabor und Büro zugleich – war ihr fremd geworden. Ebenso wie der Mann, für den sie seit fünf Jahren arbeitete.
Er schaute sie an, und sie sah, dass sich sein Blick verändert hatte. Die Augen waren so kalt und gnadenlos geworden. Sie passten zu seinen zuletzt gesagten Worten.
Sie versuchte zu lächeln. »Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen, Dean.«
»Muss ich die Frage wiederholen?«
»Nein.«
»Also, dann können Sie mir ja eine entsprechende Antwort geben.«
Charlene merkte, wie Trotz in ihr hochstieg.
»Es tut mir leid, aber ich bin überfragt. Wie soll ich mir den Tod vorstellen? Als Knochenmann mit einer Sense auf der Schulter? Oder welche Vorstellungen haben Sie sich gemacht?«
»Es war eine Frage an Sie. Ich habe damit nichts zu tun. Ich will von Ihnen die Antwort.«
Es war ihm ernst. Er verstand keinen Spaß. Er war sowieso kein witziger Mensch, das wusste Charlene auch, aber mit einer Antwort auf eine derartige Frage konnte sie nicht dienen. Am liebsten hätte sie das Zimmer verlassen. Das schaffte sie seltsamerweise nicht. Die Beine kamen ihr vor, als wären sie mit einem harten und schweren Material gefüllt, und Dean Todd schaute sie unaufhörlich an. Sein Blick fraß sich in ihrem Gesicht fest, sodass Charlene das Gefühl hatte, sich ducken zu müssen.
»Nein«, meinte sie schließlich, »ich kann mir nicht vorstellen, den Tod zu sehen.«
»Dann sind Sie blind, Charlene.«
»Ach ja. Wieso das denn?«
»Weil der Tod vor Ihnen steht.«
Obwohl es nichts zu schlucken gab, musste sie es tun. Sie hatte die Antwort verstanden, wollte sie aber nicht begreifen. Was in den folgenden Sekunden geschah, entsprach den Tatsachen, nur konnte Charlene sie nicht nachvollziehen.
Gelassen knöpfte Dean Todd seinen Kittel auf. Darunter trug er einen grauen Anzug, was bei ihm eigentlich selten vorkam. Es sei denn, er ging nach Feierabend noch aus.
Seine rechte Hand verschwand in einem Ausschnitt des Jacketts. Seelenruhig holte er eine Waffe hervor, auf deren Lauf der Schalldämpfer schon aufgeschraubt worden war. Noch zeigte die Mündung gegen die Decke, dann wurde die Waffe langsam gesenkt, und plötzlich sah Charlene das Ende des klobigen Schalldämpfers auf sich gerichtet.
Nun war ihr klar, was Dean Todd mit seiner verdammten Frage gemeint hatte.
Charlene hob die Hände. Sie schüttelte den Kopf. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein ungläubiges Staunen aus, in das sich auch die Angst mit hineinmischte. Sie glotzte auf die Mündung, die sich um keinen Millimeter bewegte.
»Jetzt wissen Sie, wie der Tod aussieht, Charlene ...«
Zu einer Antwort kam Charlene nicht.
Der Mann schoss zweimal.
Die erste Kugel erwischte sie in der Brust. Die zweite eine Handbreite darunter.
Charlene sagte nichts. Sie seufzte nicht einmal. Trotz der beiden Kugeln in ihrem Körper stand sie da, schaute nach vorn und merkte, dass etwas mit ihr geschah. Was nur Sekunden dauerte, zog sich bei ihr sehr in die Länge.
Ich bin getroffen!, schoss es ihr durch den Kopf. Man hat mich erwischt. Großer Gott, warum?
Der Mann mit der Waffe, das Zimmer, die Decke – alles wurde plötzlich so eng und zog sich zusammen. Es war wie ein Netz, das sich immer mehr verdichtete.
Im Mund spürte sie den Geschmack von Blut. Die Zeit wurde plötzlich so lang, obwohl alles recht schnell ging, doch in den letzten Sekunden ihres Lebens hatte sie diesen Eindruck.
Schlagartig erwischte sie das Dunkel. Zugleich brandeten die Schmerzen auf, die ihren Körper zu zerreißen suchten. Sie waren einfach grauenhaft, und sie blieben zudem bestehen, um sie auch in den Tod zu begleiten.
Dass Charlene neben dem Schreibtisch zu Boden fiel, bekam sie nicht mehr mit. Tot blieb sie liegen. Ohne jemals den Grund erfahren zu haben, weshalb sie gestorben war ...
Dean Todd war zufrieden. Er stieß den Atem durch seine gespitzten Lippen, hüstelte gegen seine Handfläche und ließ die Waffe wieder verschwinden.
Ohne der toten Frau noch einen Blick zu gönnen, streifte er den Kittel ab und hängte ihn in den Schrank, der neben dem Fenster stand. Er hatte die Jalousie heruntergezogen, damit niemand in das Büro-Labor hineinschauen konnte. Das hier war sein kleines Reich, zu dem nur bestimmte Personen Zutritt hatten.
Todd war so etwas wie ein Geheimnisträger. Man nannte ihn die Nase, weil er es schaffte, bestimmte Duftmischungen perfekt herstellen zu können. Viele große Firmen wandten sich an ihn, wenn sie ein neues Produkt auf den Markt bringen wollten. Sein Name war in der Branche bekannt, er verdiente viel Geld, aber das war für ihn zweitrangig geworden. Von nun an würde er sein neues Leben beginnen.
Mit dieser Tat hatte es angefangen.
Dass es Charlene getroffen hatte, war kein Zufall gewesen.
Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die zu seinem Allerheiligsten Zutritt hatten. Und er wusste auch, dass man ihn als Mörder suchen würde. Es war ihm letztendlich egal, da seine Ziele jetzt anders gelagert waren.
Als der Kittel im Schrank hing, ging Todd zu seinem Schreibtisch. Er zog die mittlere Schublade auf und entnahm ihr eine Brieftasche, die er zuvor mit genügend Bargeld gefüllt hatte. Lässig steckte er sie weg, warf noch einen Blick durch seinen Arbeitsraum und hob die Schultern. Diese Phase des Lebens war für ihn vorbei. Eine neue, eine gewaltige lag vor ihm.
Er würde in das Legat eingehen!
Sein Lächeln wurde noch breiter, als er daran dachte. Ein neues, ein spannendes Leben, mit einer Fülle, wie er sie sich bisher nicht hatte vorstellen können.
Die wenigen persönlichen Habseligkeiten trug er bei sich. Alles andere war unwichtig, und er wandte sich dann der Tür zu. Sie ließ sich nur von innen öffnen. Draußen gab es weder eine Klinke noch einen Knauf.
Todd drehte den Knauf zweimal herum. Er hörte das leise Schnacken, dann war die Tür offen. Ohne sich erst großartig umzuschauen, betrat er den Flur.
Hier oben störte ihn nur selten jemand. Auch jetzt lag der helle Flur leer vor ihm. Die eloxierte Tür des Fahrstuhls schimmerte wie eine Silberwand. Sie war sein Ziel, auf das er mit schnellen, aber nicht zu eiligen Schritten zuging. In seinem Gesicht bewegte sich nichts. Auch die Augen blieben starr. Er machte keinen nervösen Eindruck. Er war sich seiner Sache so sicher. Niemand konnte ihm etwas, niemand verfolgte ihn, und mit diesem guten Gefühl stieg er in den Lift, um sich nach unten fahren zu lassen.
Bis ganz nach unten!
Erst in der Tiefgarage des Gebäudes verließ er die Kabine und warf einen Blick in die Umgebung. Auch hier war er allein. Das Schicksal räumte ihm alle Hindernisse aus dem Weg, was er nur gerecht und seiner Sache dienlich fand.
Mit normalen Schritten und nicht übermäßig schnell ging er quer durch die Garage zu dem Platz, an dem sein Fahrzeug stand. Die Parktasche war für ihn reserviert. Das Kennzeichen seines Fahrzeugs war gegen die Wand gepinselt worden.
Aus Autos machte er sich nicht viel. Bei seinen Einkünften hätte er sich ein Luxus-Fahrzeug leisten können, doch das wollte er nicht. Todd fuhr noch immer den kleinen Honda, der mittlerweile schon zehn Jahre auf dem Buckel hatte.
Er stieg ein, drehte den Wagenschlüssel einmal in der Hand und schaute dabei nach vorn.
Todd schien allein in der Tiefgarage zu sein, denn niemand sonst war zusehen. Nicht einmal ein Wagen fuhr ab. Er brauchte auch keine Angst zu haben, schon jetzt verfolgt zu werden. Bis man Charlene entdeckte, würden Stunden vergehen.
Dann war die Stimme da. Er hörte nur das »Hallo«. Zu sehen war der Sprecher nicht. Die Stimme befand sich in seinem Kopf. Nur dort war sie zu hören.
Todd dachte nicht mehr daran, zu starten. Er lächelte und drückte sich in seinem Sitz zurück.
»Gut gemacht ...«, summte es durch seinen Kopf.
»Danke.«
»Es läuft alles, mein Freund.«
»Bin ich würdig?«
»Du bist es. Das Legat der Toten wird größer und größer ...«
Die Stimme versickerte. Seine Prüfung hatte er hinter sich gebracht. Das Legat würde ihn aufnehmen.
Mit dieser Gewissheit und noch immer glücklich lächelnd verließ er die Tiefgarage ...
An diesem Abend kehrte Peter Ritter schon zwei Stunden früher als gewöhnlich von der Airbase zurück. Er hatte Kopfschmerzen vorgetäuscht, und sein Vorgesetzter, der Colonel, hatte ihm gute Besserung gewünscht. Major Ritter hatte sich bedankt und war dann gefahren. Er bewohnte ein kleines Haus, das der Army gehörte. Es wurde an Offiziere vermietet, und der Mietzins hielt sich in Grenzen.
In der kleinen Siedlung wohnten nur Soldaten, was Ritters Frau Dana oft auf die Nerven fiel, doch preiswerter konnten sie zu den gleichen Verhältnissen nirgendwo wohnen. So nahmen sie eben die Nähe der Nachbarn in Kauf.
Die Siedlung hatte unzählige Augen. Jeder sah immer etwas.
Auch Peter Ritters zeitlich ungewohnte Ankunft wurde registriert, aber ihn kümmerte das nicht. Er lächelte auf dem Weg von der Garage zum Haus einer Nachbarin sogar noch zu, deren Kopf dann schnell wieder hinter der Gardine verschwand.
Ritter betrat sein Haus.
Wie immer sehr leise. Seine Frau hörte nichts. Dafür vernahm er Stimmen. Die Tür drückte er wieder zu und blieb im kleinen Flur stehen, die Stirn in leichte Falten gelegt. Mit Besuch hatte er nicht gerechnet, und er musste den Anfall von Wut schon hart unterdrücken.
Ein Teppich schluckte seine Schritte, als er mit geschmeidigen Bewegungen auf die Tür zum Wohnraum zuschritt.
Dort saß seine Frau.
Und sie war allein.
Sie konnte Peter nicht sehen, denn sie saß im Sessel und schaute auf die Glotze, wo eine Comedy-Serie lief. Irgendeine Soap Opera, in der das Leben der Hausfrauen auf die Schippe genommen wurde.
Ritter registrierte mit einem Blick, dass Dana wieder getrunken hatte und noch immer dabei war, sich vollzuschütten. Auf dem schmalen Tisch neben dem Sessel standen zwei Flaschen. In einer befand sich Wein, in der anderen Gin.
Peter verzog die Lippen. Er hasste es, wenn seine Frau trank, aber die Pausen zwischen dem Trinken wurden immer kürzer. Jetzt schüttete sie sich schon einmal in der Woche zu. Vor einem halben Jahr waren die Pausen zwischen den Phasen des Trinkens noch doppelt so lang gewesen.
Nicht nur die Schauspieler auf dem Bildschirm lachten. Dana äffte das Lachen nach, nur hörte es sich bei ihr wenig nüchtern an. Sie fuchtelte dabei mit den Armen, als wollte sie mit beiden Händen zugleich ein Orchester dirigieren.
Diesmal griff sie zur Ginflasche und hatte Glück dabei, dass sie die Flasche nicht umstieß. So eben konnte Dana sie abfangen. Auf ein Glas verzichtete sie und trank aus der Flasche. Das Gluckern hörte der Offizier nicht, weil der Ton aus dem Fernseher zu laut war. Er hatte sich wieder gefangen und stand plötzlich zwischen dem TV-Apparat und seiner Frau.
Dana hatte die Flasche noch nicht abgesetzt. Sie erschrak so heftig, dass die Öffnung abrutschte und Gin an ihrem Kinn entlang bis auf ihren gelben Pullover floss.
»Hi, Dana.«
Sie lachte. Dann stellte sie die Flasche zu Boden. Mit schwerer Stimme fragte sie: »Bist du es wirklich, oder sehe ich schon Gespenster?«
»Ich bin heute früher nach Hause gekommen.«
»Ja, das sehe ich.« Sie schüttelte den Kopf. Jede Bewegung war schwerfällig. Dana hatte Mühe, die Umgebung so aufzunehmen, wie sie auch war. Sie sah alles durch einen Schleier, und auch ihren Mann erkannte sie nicht deutlich.
Sie war jetzt knapp über vierzig. Nüchtern und ausgeschlafen war Dana durchaus eine attraktive Frau. Nur in diesem Zustand sah sie schlimm aus. Das hennarot gefärbte Haar zerwühlt, das Gesicht ungesund aussehend, die Augen trübe.
»Was willst du denn, Peter?«
»Ich fühle mich nicht wohl.«
Dana Ritter kicherte. »Kann ich mir denken. Kann ich auch nachvollziehen. Aber ich habe ein gutes Rezept dagegen. Mir ging es heute auch beschissen, ehrlich. Da habe ich mir einen Schluck gegönnt. Musste einfach sein, verstehst du?« Sie schüttelte den Kopf und schaute ihren Mann nicht mehr an. »Nein, du verstehst es nicht. Du begreifst nicht, wie es mir in dieser Scheiß-Siedlung zumute ist.«
»Doch.«
»Dann lass uns abhauen.« Sie wollte aufstehen. Es ging nicht mehr. Sie fiel wieder zurück und lachte dabei girrend wie ein kleines Kind.
Peter Ritter blieb ruhig. Er nickte ihr zu, ließ den Fernseher laufen und zog nur die Gardine richtig vor das große Fenster, damit aus dem Nachbarhaus keiner mehr in die Wohnung schauen konnte.
»Hör mal, Peter ...«
»Ja bitte?«
»Liebst du mich eigentlich noch?«
Ritter lächelte vor sich hin. Er hatte die Frage erwartet. Sie kam immer, wenn seine Frau betrunken war, und sie war praktisch der Beginn der Heulphase.
»Ich will eine Antwort.«
»Auf meine Weise liebe ich dich.«
»Das ist mir zu wenig.«
»Dein Pech, Dana.«
»Wieso das denn?«, surrte und zischelte es aus ihrem Mund.
»Will ich dir sagen. Ich habe mich entschlossen, endlich den neuen Weg zu gehen, Dana. Es wird uns beide als Ehepaar nicht mehr geben, das habe ich mir vorgenommen. Das muss ich auch tun, um den anderen gerecht zu werden.«
»Wie meinst du das, Peter?«
»Schau mich an.«
Dana hob mühsam den Kopf. Es fiel ihr so verdammt schwer, sich zu konzentrieren. Auch jetzt bekam sie nicht sofort mit, was ihr Mann mit seiner Antwort gemeint hatte. Aber sie sah, dass er sich vor ihr aufgebaut hatte, und sie erkannte auch den Gegenstand in seiner Hand. Es war seine Pistole.
Lächerlich – sie lachte.
»Was ist?«
»Was willst du damit, Peter?«
»Meinst du die Waffe?«
»Was sonst?«
»Ich werde jemand erschießen.«
Dana lachte schrill und unecht. »Wen, verdammt, willst du denn erschießen?«
»Dich!«
Ritters Frau hatte die Antwort genau gehört. Nur war sie nicht in der Lage, dieses eine bedeutende Wort zu begreifen. Sie kicherte noch weiter und hörte erst auf, als etwas Kaltes ihre Stirn berührte. Es war der Druck der Mündung, mit der Peter Ritter Kreise über die Haut zeichnete.
Dana schaute in die Höhe. Um etwas sehen zu können, musste sie schon schielen. Das Gesicht ihres Mannes schien sich aufzulösen, und sie verfluchte jetzt die Wirkung des Alkohols. Aber sie war nicht so benebelt, als dass ihr das letzte Wort nicht bewusst geworden wäre.
»Was?«, keuchte sie plötzlich.
»Ja, Dana, ich werde dich erschießen. Es ist praktisch mein Entree, aber das verstehst du nicht. Ich muss es tun, um mein neues Leben beginnen zu können.«
»Warum ich?«
»Weil du greifbar bist.«
»Hör doch auf, das ist ...«
»Du solltest nicht mehr reden, Dana. Wärst du nüchtern, hätte ich dir geraten, zu beten, so aber wirst du wahrscheinlich auch das nicht mehr können. Goodbye ...«
Er drückte ab, bevor seine Frau noch etwas sagen konnte. Die Kugel riss ein gezacktes Loch in die Stirn und blieb noch im Kopf stecken. Dana war auf der Stelle tot. Ihr Körper wurde in den Sessel gedrückt und von der Rückenlehne gehalten. So blieb sie dann als Tote in dem Sitzmöbel hocken.
Der Fernseher lief immer noch. Eine Unterbrechung für die Werbung. Eine laute Stimme pries ein Waschmittel an, und so hatte Peter nicht einmal ein Kissen nehmen müssen, um den Schuss zu dämpfen.
Er war zufrieden.
Ging dann zum Fenster und schaute durch eine schmale Lücke in der Gardine.
Im Garten stand keine Nachbarin. Er sah auch niemand in den umliegenden Gärten. Der Tag war grau und kalt. Ein Wetter wie man es Ende November oft erlebte. Da blieben die Menschen lieber in den Häusern. Für Peter Ritter ein Vorteil.
Er wollte sein Haus noch nicht sofort verlassen, da er noch etwas zu erledigen hatte. Sein Arbeitszimmer lag in der ersten Etage. Es war ein Raum mit einer schrägen Wand und zwei sich gegenüberliegenden Fenstern. Ritter nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. In eine Aktenmappe packte er einige Unterlagen. Auch eine gewisse Menge Bargeld gehörte dazu. Er hatte sich die Summe schon am gestrigen Tag besorgt.
Zufrieden warf er noch einen letzten Blick durch sein kleines Reich. Es tat ihm nicht leid, es verlassen zu müssen. Sorgfältig schloss er die Tür, um wenig später in das gemeinsame Schlafzimmer zu gehen. Dort zog er seine Uniform aus und legte zivile Kleidung an. Ein grauer Anzug, ein weißes Hemd, eine nicht zu auffällige Krawatte. Er ließ sich sogar Zeit dabei, schaute sich im Spiegel an und war schließlich mit sich zufrieden.
Den leichten Wintermantel hängte er über seinen Arm, verließ den Raum und wandte sich der Treppe zu, die nach unten führte. Er wollte nicht mehr zurück ins Wohnzimmer, sondern direkt zu seinem Wagen gehen und wegfahren.
Das Pech erwischte ihn, als er die Treppe zur Hälfte hinter sich gelassen hatte. Es ging so schnell, und er wurde erst aufmerksam, als die Haustür aufging. Es hatte niemand geschellt, und es gab nur einen, der noch einen Schlüssel besaß.
Timmy, sein Sohn.
Er war neunzehn und noch auf der Schule. Timmy war schneller im Haus, als es gut für ihn gewesen wäre. Ritter hatte nicht mit dem Erscheinen seines Sohnes gerechnet. Er hatte Timmy beim Training vermutet, das bis zum Einbruch der Dunkelheit dauerte.
»Hi, Timmy.«
Der Junge hatte seinen Vater noch nicht auf der Treppe gesehen und erschrak, als er die Stimme hörte. Er drehte sich um und schaute Ritter an, der die letzten Stufen ging.
»Du bist hier?«
»Ja, du doch auch.«
»Bei uns fiel das Training aus.«
»Und ich muss weg.«
Timmy schüttelte den Kopf. »Aber nicht als Zivilist. Wieso hast du deine Uniform ausgezogen?«
Ritter hatte sich längst eine Ausrede zurechtgelegt. »Es ist ein bestimmter Auftrag, den ich durchzuführen habe. Ich kann darüber nicht mir dir reden.«
»Wie James Bond?«
»Noch besser.«
Ritter hatte die Antwort sehr ernst ausgesprochen und seinen Sohn damit zum Lachen gebracht. Nicht lange, denn Timmy stellte sofort die nächste Frage. »Wo ist Mutter?«
Peter senkte den Blick und zuckte die Achseln, sodass sein Sohn Bescheid wusste.
»O Scheiße, ist sie wieder ...«
»Ja, sie hat getrunken.«
Timmy Ritter überlegte einen Moment. Dann hatte er einen Entschluss gefasst. Er drehte sich um und lief mit schnellen Schritten auf die Tür des Wohnzimmers zu. Er war schon dabei, sie aufzustoßen, als Peter seinen Sohn anrief.
»Timmy, nicht!«
Der scharfe Ruf ließ den Jungen innehalten. Er drehte sich wütend um und wollte seinem Vater sagen, dass er sich nicht so behandeln ließ wie einer der Untergebenen, aber die Worte blieben schon im Ansatz in seinem Hals stecken.
Er sah nicht nur seinen Vater, er sah auch die Waffe in dessen rechter Hand.
»He, was soll das?«
»Es tut mir leid, Timmy. Schuld daran ist das Training, das leider ausfiel.«
Timmy Ritter wollte noch immer nicht begreifen. »Verdammt, steck doch deine Waffe weg!«
»Nein, das nicht!«
Peter Ritter schoss. Diesmal hörte sich der Schuss lauter an. Die Kugel traf dort, wohin der Major auch gezielt hatte. Wieder erwischte es die Stirn des Menschen.
Timmy wurde zurückgeschleudert. Er prallte gegen die schon offene Tür und drückte sich hinein ins Wohnzimmer. Das merkte er nicht mehr, denn er war bereits tot.
»So was«, murmelte Ritter und schüttelte den Kopf. »Dabei ist er niemals so früh vom Training nach Hause zurückgekommen. Sein Pech.«
Dass Peter Ritter zuerst seine Frau und dann seinen Sohn erschossen hatte, darüber machte er sich keine Gedanken, weil andere Dinge viel wichtiger waren.
Das neue Leben lag vor ihm, und er hörte auch die Stimme in seinem Kopf.
»Sehr gut, Peter. Das Legat wartet auf dich. Du hast deine Prüfung bestanden.«
Der Major lächelte entrückt. Niemand hätte ihm ein größeres Kompliment machen können.
Lächelnd verließ er auch das Haus, stieg in seinen Wagen und fuhr weg. Er war sicher, nicht mehr herkommen zu müssen ...
Miranda Wayne schaute zuerst auf das Bett, das mit einem roten Laken bedeckt war. Manche Kunden bestanden darauf, wenn sie von Miranda bedient wurden. Sie wollten dann auch in den großen Spiegel an der Wand schauen, um sich beim Liebesspiel selbst beobachten zu können. Egal, ob sie es normal trieben oder brutal, denn auch für diese Dienste war Miranda bekannt. Die entsprechenden Geräte standen im Zimmer bereit.
An diesem Abend sah sie sich nur selbst im Spiegel. Sie war nackt und strich über ihren Körper hinweg, dessen Haut die Bräune der Sonnenbank aufwies.
Miranda war mit ihrem Körper zufrieden. Er war schlank, aber nicht zu mager, und der Busen war, wie mal jemand behauptet hatte, der wohl Architekt gewesen sein musste, perfekt gebaut. Er hing nicht, er war trotz seiner Größe straff geblieben, und die Spitzen sahen aus wie übergroße Beeren.
Sie lächelte knapp, als sie an die Kunden dachte. Und sie lächelte auch, weil sie wusste, dass diese Zeit jetzt vorbei war. Nie mehr würde sie einen Kunden empfangen. Den letzten hatte sie am gestrigen Abend gehabt, einen Kommunalpolitiker, der sich in der Öffentlichkeit stets als Moralapostel präsentierte.
Miranda Wayne hatte sich nicht ausgezogen, um ihren Körper zu begutachten, sie wollte nur die Kleidung wechseln. Der dunkle Slip lag bereit und auch das schwarze Kleid mit dem tiefen Ausschnitt, der ihre Brüste noch etwas anhob. Sie ließ sich Zeit beim Einkleiden, beobachtete jede ihrer Bewegungen und strich das dichte, aber recht kurz geschnittene schwarze Haar nach hinten, sodass die Öhren freilagen. Mit einer geschickten Verrenkung zog sie den Reißverschluss am Rücken in die Höhe, richtete die Träger an den Schultern und schaute sich dann ihr Gesicht genauer an.
Es sah noch gut aus. Es gab keine Falten. Sie war jetzt genau dreißig. Ein Alter, in dem sie sich entscheiden musste. Entweder machte sie weiter wie bisher, oder sie ließ es bleiben.
Miranda würde es bleiben lassen. Sie hatte sich entschlossen. Sie würde auf den Unbekannten hören, der ihr geraten hatte, den neuen Weg zu beschreiten.
Ihr Gesicht besaß einen leicht exotischen Touch. Dunkle Augenbrauen, ein voller Mund, eine kleine Nase und sehr dunkle Pupillen, die von Natur aus einen gewissen Glanz besaßen, den sie auch beim Kunden einsetzte. Sie konnte mit den Augen sprechen. Flirten. Sie konnte ihre Blicke in Worte fassen, und sie brauchte nicht einmal zu sagen, welchem Beruf sie nachging, die Männer merkten es schon, wenn sie nur von ihr angeschaut wurden.
Jetzt zeigte ihr Blick einen gewissen Spott. Aber auch einen sehr starken Willen. Nichts würde mehr schiefgehen, und sie fürchtete sich auch nicht vor der letzten Probe, die dem neuen Leben vorausgehen würde. Keine Angst, nur Spannung und große Erwartung.
Der nächste Weg führte sie in das Bad, wo sie auch ihre Uhr abgelegt hatte. Es war noch eine Viertelstunde Zeit, bis Frenton, ihr Freund und Zuhälter, eintraf.
Er ahnte nichts ...