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"Der Aufbewahrungsort der Seele ist das Gehirn!" So lautete das Credo von Professor Wilson, und danach handelte er. Der Körper war Beiwerk. Weg damit! Zurück blieb Wilson als Kopf und denkendes Horror-Hirn.
Eiskalt setzte er seine Pläne in die Tat um. Drei Menschen brauchte er. Sir James, Suko und mich! Wir wurden an seinem Kopf verkabelt. Von diesem Zeitpunkt an übernahm das Horror-Hirn unsere Existenz ...
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Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Das Horror-Hirn
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Das Horror-Hirn
von Jason Dark
»Der Aufbewahrungsort der Seele ist das Gehirn!« So lautete das Credo von Professor Wilson, und danach handelte er. Der Körper war Beiwerk. Weg damit! Zurück blieb Wilson als Kopf und denkendes Horror-Hirn.
Mit eiskalter Präzision setzte er seine Pläne in die Tat um. Drei Menschen brauchte er. Sir James, Suko und mich! Wir wurden an seinem Kopf verkabelt. Von diesem Zeitpunkt an übernahm das Horror-Hirn unsere Existenz ...
Die Stimme kam vom Band. Sie klang technisch, obwohl ein Mensch sprach. Das Band stand auf einem Tisch. Zwei Männer saßen sich gegenüber. Sie hörten die Stimme bereits zum dritten Mal. Das war wichtig. Nichts sollte ihnen entgehen.
Es war nur eine Lichtquelle im Raum. Die Lampe war an der Wand angebracht worden. Ihr Schein erreichte den Tisch kaum, sodass die beiden Männer mehr wie starre Schatten wirkten.
»Ihr werdet zuerst ihn holen. Danach die anderen. Bereitet alles ruhig vor. Ihr habt Zeit. Ihr könnt beobachten. Ihr seid die Besten, habe ich mir sagen lassen. Merkt euch ihre Namen. Merkt sie euch genau! Vergesst sie niemals! Ich zähle sie noch einmal auf. Zuerst John Sinclair, danach der Chinese Suko und zuletzt Sir James Powell ...«
Joggen – für viele Menschen ist es die große Leidenschaft. Für mich weniger, denn ich bin der Meinung, dass mein Beruf genügend Action und Bewegung mit sich bringt. Deshalb hatte ich bisher gut auf das Joggen verzichten können.
Nicht aber Glenda Perkins. Sekretärin und Assistentin zugleich. Einmal ist keinmal, hatte sie stets wiederholt und mir außerdem von ihren eigenen Erfolgen berichtet. Wie gut ihr das Laufen tat, dass sie schon abgenommen hatte und den Abend viel besser genießen konnte, wenn sie vom Joggen nach Hause kam. Besonders im Frühling machte es großen Spaß, wenn die Kälte vorbei war und auch noch am Abend die Sonne ihre Strahlen schickte.
Ich hatte mich oft aus dienstlichen Gründen herausreden können, was im Übrigen auch stimmte, weil ich am Abend und in der Nacht genug unterwegs war. Aber es gab auch Tage, die man im Büro verbrachte, und genau darauf hatte Glenda spekuliert.
»Einrosten. Am Schreibtisch sitzen. Sich durch Papiere und Akten quälen, John. Abends nach Hause kommen, trotzdem kaputt sein und sich fragen, was habe ich überhaupt gemacht? Wenn du dann joggst, fühlst du dich gleich besser.«
»Meinst du?«
»Sicher doch. Du brauchst es nur auszuprobieren.«
»Gut, ich bin dabei.«
»Herrlich.« Sie strahlte. »Wann?«
»Keine Ahnung, Glenda. Wenn es passt.«
Es passte irgendwann. Der Tag war gut, ich brauchte nicht weg, und schon am Morgen hatte mich Glenda angerufen und mich daran erinnert, dass wir nach Feierabend losjoggen würden und ich unbedingt an die Klamotten denken sollte.
»Alles klar.«
So etwas Ähnliches wie einen Jogginganzug hatte ich. Die entsprechenden Schuhe auch. Zwar entsprachen die Utensilien nicht der neuesten Mode, aber sie passten, und alles andere war mir im Prinzip egal. Ich wollte ja keinen Schönheitswettbewerb gewinnen.
Den Tag verbrachte ich im Büro mit allem möglichen Schreibkram. Suko, der Bescheid wusste, erkundigte sich süffisant, ob ich nicht lieber mit ihn zum Training gehen wollte.
Da lehnte ich ab, denn in den Ring zu steigen, war auch nicht mein Ding. Dann lieber laufen. Am frühen Abend und an einem Ort, der von Joggern nicht überfüllt war. Glenda hatte da ihre Erfahrungen. Sie hatte von den Themseauen gesprochen, und ich wollte sie mit meinem Rover bis ans Ziel mitnehmen.
An diesem Tag glitt mein Blick öfter als gewöhnlich in Richtung Bürofenster. Bei diesem blauen Himmel war es wirklich eine Schande, die Stunden zwischen den Bürowänden abzusitzen, aber das alles ließ sich ertragen.
Ich beschäftigte mich mit Aufarbeitungen, schrieb kurze Berichte und telefonierte auch mit den Conollys, wobei ich nur Sheila erreichte, denn Bill war unterwegs.
Als sie von meinen abendlichen Plänen erfuhr, war sie Feuer und Flamme. Sie hätte gern gehabt, dass ihr Mann Bill mitjoggte, weil sie der Ansicht war, dass er zu viel Rost ansetzte, aber technisch war das nicht möglich. Bill hatte sich bis zum späten Abend abgemeldet.
Also musste ich mit Glenda allein los.
War ja auch nicht schlecht, wenn ich ehrlich sein sollte, denn nach der ersten Jogging-Lektion war der Abend noch nicht beendet. Da konnte man durchaus noch etwas unternehmen.
Als sie zwischendurch ins Büro kam, fragte ich sie danach.
»Was machen wir denn nach der Laufarbeit?«
Sie gab sich erstaunt. »Wieso?«
Ich grinste breit. »Na ja, dann ist der Abend noch nicht beendet. Man könnte etwas unternehmen.«
»Du wirst kaputt sein.«
»Meinst du?«
»Klar. Das passiert immer beim ersten Mal. Du wirst froh sein, wenn du dich wieder hinlegen kannst. Das Laufen ist richtige Arbeit. Lass es dir gesagt sein.«
Ich hob die Schultern. »Du musst es ja wissen, Glenda. Du alte Jogging-Queen.«
»Klar.«
Ich ließ nicht locker. »Aber man bekommt doch Durst.«
»Dagegen gibt es spezielle Getränke. Verlass dich nur auf mich.« Wissend lächelnd zog sie sich zurück. Ich konnte nur meinen Freund und Kollegen Suko, der mir gegenübersaß, anschauen.
»Kein Mitleid, John. Das hast du dir selbst eingebrockt. Aber es wird dir wirklich Spaß machen.«
»Jetzt fängst du auch noch an.«
»Klar.«
»Wenn es zu schlimm kommt, wirst du mich morgen früh hier im Büro nicht mehr sehen. Dann bin ich platt. Dann bleibe ich zu Hause. Da kannst du mich vertreten.«
»Mache ich doch glatt.«
Ich winkte ab. »Niemand liebt mich heute. Alle wollen mir was. Aber ich ziehe durch, was ich mir eingebrockt habe. So oder so. Da gehe ich bis an das Limit.«
»Super.« Suko klatschte in die Hände. »So muss das sein, Mr. Geisterjäger. Nur die Harten kommen in den Garten.«
Ich nickte. »Du hast recht. Aber im Garten die Nelken, die verwelken.«
Er blähte sich auf. »Du doch nicht.«
»Kann man es wissen?«
»Ja, ja, ich bedaure dich, wenn ich Zeit genug habe. Mal sehen, wie du heute Abend darüber denkst. Komm nach deinem Lauf auf jeden Fall vorbei. Und einen Drink kannst du bei Shao und mir auch bekommen. Das ist Ehrensache.«
»Hast du nicht noch einen verstaubten Siegerkranz in der Ecke liegen?«
»Leider nicht. Ich schaue mal im Fitness-Studio nach. Vielleicht liegt da noch einer rum.«
Ich winkte nur ab. Natürlich war mein Getue nicht echt. Manchmal muss man sich eben auch als Mann etwas divenhaft geben. Das bisschen Laufen würde mir nicht schaden.
So dachte ich. Das aber alles ganz anders und schlimmer kommen könnte, daran verschwendete ich keinen Gedanken. Denn dieser Lauf führte mich mitten hinein in eine Hölle ...
Ich fuhr den Rover und konnte nur staunen, wie gut sich Glenda Perkins in einer gewissen Gegend Londons auskannte. Der Bereich der Uferauen war für sie nichts Neues. Sie joggte dort des Öfteren, sie hatte auch die Strecken gefunden, die recht leer und nicht so überlaufen waren wie zum Beispiel die Wege im Hyde Park, und sie hatte Spaß daran, als sie mein erstauntes Gesicht sah, als sie mich bat, den Rover an einem bestimmten Punkt anzuhalten.
»So, hier sind wir.«
»Wie schön.«
»Hör auf, mich auf den Arm zu nehmen.«
»Nein, nein, das meine ich auch so. Es sieht hier wirklich toll aus. Man könnte meinen, irgendwo zu sein, nur nicht in London. Du siehst keine Straße, du hörst kein Auto. Es ist alles so wunderbar ruhig, und man kommt sich vor wie auf einer Insel.«
»Fertig?«
»Ja.«
»Dann steig aus und zieh dich um.«
»Sehr wohl, Madam.«
Glenda und ich hatten die Taschen im Kofferraum verstaut. Wir holten sie nicht erst hervor, sondern packten die Sachen aus und stiegen aus unseren normalen Klamotten.
Glenda versteckte sich trotzdem hinter der offenen Wagentür, und ich wunderte mich, wie schnell sie umgezogen war. Da war sie noch flotter als ich.
Wir standen uns gegenüber, schauten uns an, und ich blickte in Glendas Gesicht. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, entschied sich dann zu einer Zwischenlösung. Sie lächelte und sagte dabei: »Nun ja ...«
»Was heißt das?«
»Tolles Outfit.«
»Ich bin eben kein Dressman.«
»Die Schuhe sind okay?«, fragte sie nach einem Blick auf meine Füße.
»Ich denke schon.«
»Nimm es mir nicht übel. Ich wollte dir nur sagen, dass wir hier keine glatten Wege laufen. Das geht schon ziemlich ins Gelände hinein. Da ist der Boden recht uneben.«
»Meinetwegen. Aber viel Betrieb herrscht hier nicht?«
»Nein. Die Leute nehmen lieber die Parks, aber hier gefällt es mir besser.«
Ich schloss die Haube des Kofferraums. »Wie oft bist du denn hier schon gelaufen?«
»Ziemlich oft.«
»Aber nicht jeden Tag.«
»Nein, zumeist am Wochenende.«
»Aha.«
»Hör auf zu spotten, John. Ich tue wenigstens etwas, und es geht mir auch gut. Ich bin lieber hier als in einem Fitness-Center, wo einer den anderen nur anglotzt.«
»Aber schick siehst du aus. Echt stark. Ein tolles Jogging-Outfit, meine Liebe.«
Das war nicht übertrieben. Glenda trug einen lindgrünen Jogging-Anzug mit pinkfarbenen Streifen an den Seiten der Beine und an den Ärmeln. Er schlabberte auch nicht um ihre Gestalt herum, sondern saß recht eng und figurbetont. Die Schuhe waren erste Sahne, auch nicht schmutzig, und wahrscheinlich lief sie auf ihnen so locker wie auf einem Luftkissen.
Da konnte ich mit meinen alten Klamotten nicht mithalten, aber das Laufen würde ich schaffen.
Glenda hob den Finger wie eine Lehrerin ihren Zeigestock, wenn sie den Kindern etwas erklären will.
»Die Sache ist ganz einfach, John. Wir fangen sehr bedächtig an. Kein hohes Tempo zu Beginn. Zunächst einmal eingewöhnen. Und dann, wenn wir richtig in Schwung gekommen sind, steigern wir das Tempo. Dann gibt es Power. Zum Schluss sacken wir dann wieder ab und werden froh sein, wenn wir hier wieder angelangt sind. Ist das in deinem Sinne?«
»Muss ja wohl – nicht?«
Sie schlug mir auf den Rücken. »He, stell dich nicht an wie ein Greis. Gib ruhig Gummi, Meister.«
»Ich bin doch nicht der Schumi.«
Sie sagte nichts mehr und lief los. Zwangsläufig musste ich ihr folgen. Außerdem wollte ich mich nicht blamieren. Wenn ich an diesem Abend absackte, dann würde sich das bei meinen Freunden herumsprechen, und ich hätte die Lacher bestimmt nicht auf meiner Seite. Also gab ich mein Bestes.
Der Weg führte zunächst einmal eben weiter. Zwischen den Büschen hindurch. Er war weich und mit Gras bewachsen. Er federte, was schon mal gut war. Hin und wieder sah ich durch die Lücken der Büsche den grauen Fluss, der träge durch sein Bett schwamm und sich in Richtung Osten bewegte, auf den Atlantik zu.
Es gab hier eine breite und nicht bebaute Uferregion. Die Natur hatte sich hier ausbreiten können. Immer wieder kam es zu kleinen Überschwemmungen, und so trocknete der Boden nie aus. Die Au bildete zugleich ein großes Biotop, in dem ich mir eigentlich mehr wie ein Störenfried vorkam. Aber die Vögel waren die Menschen wohl gewöhnt. Sie ließen sich nicht aus der Ruhe bringen.
Wider Erwarten hielt ich gut mit. Eigentlich nicht wider Erwarten, denn mein Job sorgte schon dafür, dass ich in Form blieb. Auch als der Weg anstieg und auf einen Hügel oder eine Düne hochführte, blieb ich locker an Glendas Seite. Ich hatte meine Atemtechnik auch längst regulieren können, und so gab es für mich keine Schwierigkeiten. Ich fühlte mich weder schlapp noch ausgelaugt.
Auf der Kuppe verlangsamte Glenda ihre Schritte und blieb schließlich ganz stehen.
»Kaputt?«, fragte ich.
Bitterböse schaute sie mich an. »Wovon denn?«
»War nur eine Frage.«
Sie stemmte die Arme in die Seiten und bewegte sich rhythmisch von links nach rechts.
»Das ist immer mein Ort, an dem ich Gymnastik mache«, erklärte sie mir. »Das solltest du auch versuchen, John. Es tut wirklich gut.«
»Später vielleicht.«
»Da laufen wir weiter.«
»Die gleiche Strecke wieder zurück?«
Sie unterbrach ihre Bewegungen für einen Moment. »Nein, nicht die gleiche. Eine andere. Sie ist etwas weiter.«
»Auch das noch!«
Glenda lachte und machte mit ihren Übungen weiter. Sie streckte die Arme in die Höhe, beugte sich dann vor, ließ die Arme gestreckt und tippte mit den Spitzen der Finger gegen den Boden, wobei sie den Rücken durchgedrückt ließ.
Ich wollte sie nicht gerade angaffen und ließ deshalb meinen Blick in die Runde schweifen. Die Umgebung war wirklich menschenleer. Weiter vorn schimmerte die Oberfläche eines Teichs. Es war noch der Rest vom letzten Hochwasser.
Der Fluss zog auf der rechten Seite ruhig seine Bahn, und allmählich wurde es dunkler. Die Sonne machte sich daran, dem anbrechenden Abend Tribut zu zollen. Sie senkte sich dem Westen entgegen und würde sich bald verabschiedet haben. Der Himmel war auch nicht mehr so wolkenlos und blau wie ich ihn tagsüber erlebt hatte. Erste Abendwolken schoben sich über das Firmament, und ich spürte auch den Wind, der auffrischte. Er brachte den Geruch des Flusses mit und manchmal auch das Rauschen der Wellen.
Man kann auch in London einsam sein. Das musste ich feststellen, als ich auf der Kuppe stand. Es war wirklich unwahrscheinlich. Die gewaltige Kulisse der Stadt schien mir plötzlich so unwirklich zu sein. Wie eine Malerei oder eine Bühnendekoration. Zum Greifen nah und trotzdem weit weg.
Eine Bewegung fiel mir auf. Es war kein Vogel, der schnell durch die Luft huschte. Ich hatte einen Menschen gesehen. Zwischen den Büschen war er für einen Moment aufgetaucht. Ich sah auch etwas blitzen. Es erinnerte mich an Glas, das von einem Sonnenstrahl getroffen worden war.
Ich wollte genauer hinschauen, aber da war das Bild schon wieder verschwunden.
Glenda, die sich angestrengt hatte und pustend die Luft ausstieß, drehte sich in meine Richtung.
»He, schläfst du ein? Ist was?«
»Nein, nein.«
»Doch, John! Ich kenne dich!«
»Mag sein, aber ...«
Sie blies eine dunkle Haarsträhne zurück. »He, was hast du wieder mal gesehen?«
Ich winkte ab. »Vergiss es.«
Manchmal konnte Glenda nerven. Das tat sie auch hier.
»Nein, ich vergesse das nicht. Was ist dir denn aufgefallen?«
»Es war eine Bewegung.« Ich schwenkte den Arm nach links. »Dort ungefähr.«
»Ein Tier?«
»Nein. Etwas hat geblitzt. Nur für einen Moment.«
»Die Sonne.«
»Die geht unter. Kann aber trotzdem sein. Da muss wohl der Strahl auf einen Gegenstand gefallen sein, der etwa wie ein Spiegel wirkte und uns diesen Reflex geschickt hat.«
Sie zuckte mit den Schultern und wischte den Schweiß aus dem geröteten Gesicht.
»Beunruhigt dich das denn?«
»Im Prinzip nicht.«
»Aber das Misstrauen des Polizisten ist vorhanden. Das kenne ich, John. Wie hättest du dich auch ändern sollen? Ich bin hier schon einige Male gelaufen, und du kannst dich selbst davon überzeugen, dass mir nichts passiert ist. Ich bin noch okay, John. Schau mich an. Alles ist in bester Sahne.«
Das nahm ich wörtlich und ließ meinen Blick von Glendas Kopf bis zu den Füßen gleiten. »Kann man mit Fug und Recht behaupten. Bei dir ist wirklich alles in Butter.«
Sie schüttelte gespielt ärgerlich den Kopf. »Was hast du nur wieder für Gedanken?«
»Die richtigen.«
»Ja«, sie lachte auf. »Männer! Klar, die denken so was. Die denken nur immer an das eine.«
»Genau. Und zwar: Wo bekomme ich das nächste Bier? Ich habe nämlich großen Durst.«
»In meiner Tasche habe ich genug zu trinken.«
»Aber kein Bier«, nörgelte ich.
»Das tut auch nach dem Laufen nicht gut. Und jetzt stell dich nicht so an. Auf geht's.«
»Ich bin dabei.«
Es wäre auch für mich besser gewesen, hätte ich ein wenig Gymnastik gemacht. So hatte ich mich zwar einigermaßen erholt, aber der kalte Schweiß bedeckte meinen Körper, und bei diesem Wind hatte ich sogar das Gefühl, etwas zu frieren.
Ich ließ Glenda vorlaufen. Ich blieb immer drei bis vier Schritte zurück. Ich wollte ihr damit auch das Gefühl geben, besser zu sein als ich. Zugleich wunderte ich mich über ihre Kondition. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so locker durchhalten würde. Anzeichen von Erschöpfung sah ich bei ihr nicht. Sie lachte manchmal sogar auf, und die dunkle Haarflut wippte bei jedem Schritt.
Ich ließ mich dennoch etwas weiter zurückfallen. Nicht, weil ich das Tempo nicht beibehalten konnte, es ging mir um etwas anderes. Dieser komische Reflex hatte irgendwie Misstrauen in mir hochkeimen lassen.
Es konnte alles ganz harmlos sein. Ein Zufall oder so. Musste es aber nicht, denn je mehr sich die Menschen in ihre Wohnungen zurückzogen, umso stärker hatten sie sich auch zu Spannern entwickelt, die schauen wollten, was die anderen taten. Da standen sie dann mit Ferngläsern bewaffnet in ihren ›Käfigen‹ und spähten durch die Fenster der Nachbarn in die fremden Wohnungen. In New York war dieses Spannen beinahe schon zu einem Volkssport geworden. Zudem gab es genügend Menschen, die es genossen, beobachtet zu werden.
Ich entdeckte nichts mehr. Die Umgebung war einfach zu dicht. Es gab keinen Wald, aber manche Büsche wuchsen schon so hoch wie Bäume, sodass ich kaum darüber hinwegschauen konnte. Wenn sich mal Lücken auftaten, dann sah ich einfach nur die Landschaft hier und keine Menschen, die sich in der Nähe aufhielten.
Möglicherweise machte ich mir auch zu viele Sorgen. So konzentrierte ich mich wieder auf das Laufen. Ich merkte schon, dass ich jetzt Kondition benötigte, um gut mithalten zu können. Mein innerer Motor war dabei richtig auf Touren gekommen, doch den Turbo einzuschalten und mich somit völlig zu verausgaben, daran dachte ich nicht.
Locker lief ich weiter. Auf einem Boden, der wunderbar weich war. Das Laub vom letzten Jahr hatte den Teppich gebildet. Zusammen mit dem Gras kam die Unterlage den menschlichen Sehnen und Füßen sehr entgegen.
Glenda drehte sich manchmal während des Laufens kurz um. Sie schaute mich an, sie lachte dann auf, ich sah ihr gerötetes Gesicht und animierte sie durch Handbewegungen dazu, weiterzulaufen.
»Du hältst dich ja tapfer, John.«
»Was soll ich sonst tun?«
»Stimmt.«
Wir hatten eine andere Strecke gewählt. Sie war nicht mehr so gerade. Um das Startniveau zu erreichen, liefen wir in mehreren Serpentinen wieder dem feuchteren Grund entgegen. Hier gab es auch keinen Pfad mehr. Wir mussten uns schon durch die Natur kämpfen und mehr als einmal Büsche zur Seite schlagen, damit sie nicht gegen unsere Körper peitschten.
Glenda Perkins lief wie eine Maschine, die voll aufgedreht war. Eine wie sie konnte kaum gestoppt werden. Ich hörte gar nicht auf, mich über ihre Kondition zu wundern. Noch jetzt, zum Ende des Laufs hin, sprang sie locker über Hindernisse wie aus der Erde ragende Wurzeln oder kleinere Baumstümpfe hinweg.
Wir hatten wieder die Flusshöhe erreicht. Allmählich kam mir die Umgebung bekannter vor. Ich beschleunigte meine Schritte, holte Glenda ein, die mir nur einen knappen Blick zuwarf und dann noch einmal das Tempo verschärfte.
Es war das Finale.
Und es endete an der Rückseite des Rovers, gegen die Glenda rutschte, sich dann nach vorn beugte und sich mit beiden Händen auf der Kofferraumhaube abstützte.
»Geschafft!«, hörte ich sie flüstern. »Das war ... verdammt, das war einfach super ...«
Mehr sagte sie nicht. Sie konnte nicht. Sie musste erst zu Atem kommen, aber sie blieb trotzdem nicht in ihrer Haltung stehen, sondern lief praktisch aus. Dabei blieb sie in einem kleinen Umkreis und immer in meiner Sichtweite.
Auch ich hatte mich für eine Gymnastik entschlossen. Ich hob die Arme, drückte sie nach unten, hob sie wieder an, bewegte auch den Oberkörper und trat dabei auf der Stelle.
Wärme durchflutete meinen Körper. Ich ging davon aus, dass es bei Glenda ebenfalls so war. Sie kannte die Regeln ja. Wir wollten auch nicht kalt werden und mussten uns allmählich wieder an die normale Lage gewöhnen.
Ich war als erster mit meiner Gymnastik fertig und lehnte mich gegen die rechte Seite des Autos.
Das Laufen hatte verdammt gut getan, da musste ich Glenda wirklich recht geben. Ich fühlte mich wie durchgespült, und es ging mir keinesfalls schlecht. Erschöpft war ich auch nicht, und mal so richtig den Körper durchschwitzen zu lassen, das schadete auch nicht.
Im Gegensatz zu Glenda trug ich kein Stirnband. Es war bei meinen kurzen Haaren nicht nötig. In Glendas schwarzen Haaren leuchtete es in einem knalligen Rot.
Ihr Gesicht war verschwitzt. Sie lächelte und wischte mit den Schweißbändern an ihren Handgelenken über die Stirn hinweg. »Sag ehrlich, John. Wie fühlst du dich?«
»War eine tolle Idee.«
»Danke. Ich wusste, dass du das sagen würdest.« Sie legte den Kopf zurück und schlenkerte die Beine aus. »Aber das ist noch nicht das Ende.«
Ich horchte auf. »He, sollen wir die Strecke noch einmal laufen?«
»Nein, das nicht. Für den Anfang reicht's.«
»Schade.«
»Ha, ha, ha ...« Sie drehte sich um und ging auf die Heckseite des Wagens zu. »Öffne mal die Haube. Ich habe dir doch gesagt, dass ich etwas zu trinken mitgenommen habe.«
»Aber leider kein Bier.«
»Hör auf, das kannst du später trinken.«
»Wo denn?«
»Bei mir, zum Beispiel. Ich habe extra einige Flaschen kalt gestellt.« Mit einem gewissen Lächeln fügte sie hinzu: »Und duschen kannst du auch bei mir. Das dürfte dir ja nicht unbekannt sein.« Damit spielte sie auf gewisse Abende und Nächte an, die wir gemeinsam verbracht hatten.
»Ich werde auf keinen Fall etwas dagegen sagen. Und es wird mir bestimmt so gut gefallen wie das Joggen hier.«
»Was meinst du?«
»Das Bier natürlich.«
»Eben. Ein Schuft, der anderes denkt.«
Den Wagenschlüssel hatte ich in die rechte Tasche der Jogginghose gesteckt. Ich holte ihn hervor und steckte ihn in das Schloss des Kofferraumdeckels.
Genau da fiel mir etwas auf.
Der Wagen stand schief.
Zur linken Seite hin fiel er ab. Das war zuvor nicht der Fall gewesen. Klar, dass jetzt das Misstrauen in mir hochschoss. Ich dachte nicht daran, den Kofferraum zu öffnen. Stattdessen bückte ich mich und schaute mir den linken Hinterreifen an.
Er war platt!
Verdammter Mist. Damit hatte ich nicht gerechnet. Auch Glenda hatte jetzt gesehen, was passiert war. Sie stieß einen nicht eben damenhaften Fluch aus.
Die veränderte Haltung des Rovers war mir nicht sofort aufgefallen. Das lag an dem weichen Boden, in den das Fahrzeug durch sein Gewicht schon eingesackt war. Als ich genauer hinsah, musste ich erkennen, dass jemand den Reifen regelrecht zerfetzt hatte, als hätte er seine Wut an dem Gegenstand ausgelassen.
»Sag was, John!«
Ich richtete mich wieder auf. »Ich frage mal ganz dumm. Du hast schon öfter hier gejoggt. Ist dir das schon passiert?«
»Nein, noch nie. Das schwöre ich!«
»Warum dann jetzt?«, fragte ich leise. »Wo wir doch zu zweit sind. Warum hat man das getan?«
Ich war sehr misstrauisch geworden und dachte wieder an den hellen Reflex, den ich auf halber Strecke entdeckt hatte und dessen Ursache mir noch unklar war.
»Ich kann dir die Antwort nicht geben. Dass uns jemand einen Streich spielen wollte, kannst du wohl nicht akzeptieren – oder?«
»Nein, kann und will ich nicht. Es steckt Methode dahinter. Ich wage sogar die Behauptung, dass wir möglicherweise unter Beobachtung gestanden haben.«
»Wer sollte das tun?«
»Himmel, Glenda, da gibt es genügend Leute.«
»So gesehen hast du recht. Die andere Frage lautet: Was tun wir jetzt? Von hier weg kommen wir nur zu Fuß.«
»Dabei wird es auch bleiben.«
Nachdem ich die Antwort gesagt hatte, drehte ich mich um und ging zur Seite. Nahe des zerstochenen Reifens hatte ich bereits nach Spuren gesucht, aber keine gefunden.