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Als Blutgräfin war Elisabeth Bathory in die ungarische Geschichte eingegangen. Oder als weiblicher Dracula. Nur trank sie das Blut der jungen Mädchen nicht, sie badete darin, um sich Jugend und Schönheit zu erhalten.
Die Bathory starb grausam. Aber sie war nicht vergessen. Jahrhunderte später erinnerte sich eine Frau an sie. Als Lisa Barton saugte sie den unheilvollen Geist der Blutgräfin auf, um sich in der neuen Zeit so zu verhalten wie die Adelige damals. Und somit kamen auch Suko und ich ins Spiel ...
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Seitenzahl: 196
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Engelsgesicht
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Engelsgesicht
von Jason Dark
Als Blutgräfin war Elisabeth Bathory in die ungarische Geschichte eingegangen. Oder als weiblicher Dracula. Nur trank sie das Blut der jungen Mädchen nicht, nein, sie badete darin, um sich Jugend und Schönheit zu erhalten.
Die Bathory starb grausam. Aber sie war nicht vergessen. Jahrhunderte später erinnerte sich eine Frau an sie. Als Lisa Barton saugte sie den unheilvollen Geist der Blutgräfin auf, um sich in der neuen Zeit so zu verhalten wie die Adelige damals. Und somit kamen auch Suko und ich ins Spiel ...
Eines der düsteren Kapitel der ungarischen Geschichte begann durch die Ungeschicklichkeit einer Kammerzofe.
Ein junges Ding, gerade achtzehn, musste das pechschwarze Haar der Gräfin Elisabeth Bathory frisieren und ondulieren. Wie immer saß die Gräfin auf einem Stuhl. Wie immer schaute sie in den vor ihr hängenden Spiegel, um jede Bewegung der Zofe zu verfolgen.
Sie war nicht nur eigen, sie war auch eine Perfektionistin. Keine Falte sollte die glatte Haut ihres Gesichts stören. Um das zu erreichen, war sie bereit, alles zu tun. Sie kannte den genauen Weg noch nicht, doch in ihren Träumen hatte sie sich stets als die perfekte Frau gesehen, die all ihre Leidenschaften bis zum Ende ausreizte. Aber sie ahnte, dass das Schicksal bereits seinen Finger nach ihr ausgestreckt hatte und die Lösung dicht bevorstand.
Da verrutschte der Zofe der Kamm. Eine unkontrollierte Bewegung, und die Zinken fanden ihren Weg nicht nur durch das Haar, sie kratzten auch über die empfindliche Kopfhaut der Gräfin hinweg.
Der Schmerz setzte sofort ein. Gleichzeitig stieg die blanke Wut in der Bathory hoch. Sie sah ihr Gesicht noch im Spiegel rot anlaufen, die Reaktion erfolgte reflexhaft.
Sie riss den Arm in die Höhe. Die Zofe konnte nicht mehr ausweichen, und so klatschte der Handrücken in ihr Gesicht. Er traf die Nase an einer empfindlichen Stelle. Adern platzten, und plötzlich spritzte das Blut hervor.
Die Gräfin saß wie versteinert auf ihrem Frisierstuhl. Sie schaute in den Spiegel. Die Lippen waren zu einem Lächeln verzerrt, und sie genoss es, dass ihre Zofe unter Schmerzen litt.
Das junge Ding war erstarrt. Vor Überraschung und Schmerz. So schaffte die Zofe es nicht, schnell genug zur Seite zu gehen. Das Blut traf nicht nur den Fußboden, es spritzte auch auf den linken nackten Arm der ungarischen Gräfin.
Dort blieb der Lebenssaft liegen. Zuerst noch ruhig, dann begann er, sich zu verteilen. Er breitete sich an den Seiten aus, verfolgt von den Blicken der Gräfin, die nichts sagte und auch weiterhin ihre Lippen fest zusammenkniff.
»Bitte«, flüsterte die Zofe, »bitte – ich ... ich ... habe es nicht gewollt, Frau Gräfin. Ich möchte mich entschuldigen. Ich bin untröstlich. O Gott, was habe ich nur getan!«
»Halt dein Maul!«
»Ja, natürlich.«
»Ein Tuch!«
»Sofort, Frau Gräfin.« Die Zofe bewegte sich hektisch und schnell. Sie hoffte darauf, nichts mehr falsch zu machen, denn sie kannte die Ungeduld ihrer Herrin und besonders deren Jähzorn, vor dem sich alle Bediensteten fürchteten.
An diesem Tag hielt die Gräfin ihre Gefühle im Zaum. Zumindest sah es so aus. Sie blieb aufrecht vor dem Spiegel sitzen, ohne etwas zu sagen. Sie schaute nur auf das klebrige Blut an ihrem Arm, und ihr Blick hatte etwas Wissendes und auch Nachdenkliches bekommen. Als ihr das Tuch gereicht wurde, nickte sie sogar dankbar, was die Zofe wiederum verwunderte.
Das junge Mädchen hielt sich im Hintergrund. Es war recht stämmig und hatte große Brüste. Auf den Wangen zeichneten sich dunkle Flecken ab, in den Augen blitzten Tränen. Unterhalb der Nase hatte das ausgelaufene Blut das Gesicht verschmiert.
Die Gräfin tupfte das Blut von ihrer Haut ab. Sie ließ sich dabei Zeit. Eine derartige Sorgfalt verwunderte die Zofe, aber sie traute sich auch nicht, der Gräfin ihre Hilfe anzubieten. Wenn die sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie es auch durch.
So gut wie möglich reinigte sie ihren Arm. Ein kurzer Blick reichte ihr aus, um das Tuch der Zofe wieder zurückzugeben.
»Hol weiches Wasser!«, befahl sie dann.
»Sofort, Frau Gräfin!«
Diensteifrig verließ die Zofe den Raum. Sie zitterte und betete, dass man ihr nichts tun würde, als sie im Nebenraum aus der großen Schale Wasser in eine kleine füllte. Es war ein besonderes Wasser. Angereichert mit einigen Essenzen, die es weich machten und der Haut eines Menschen sehr gut tun sollten.
Die Schale in beiden Händen haltend, um nur keinen Tropfen zu verschütten, kehrte sie in das Frisierzimmer zurück. Das weiche Tuch lag schon bereit.
»Bleib hier!«
»Gern, Frau Gräfin!«
Die Bathory tunkte das Tuch in die Flüssigkeit. Danach wischte sie mit der angefeuchteten Stelle genau über die kleine Region auf ihrem Arm hinweg, die vom Blut der Zofe berührt worden war.
Sehr genau sah die Bathory hin. Sie atmete dabei scharf ein und aus. Ihr Blick flackerte ein wenig, dann wischte sie auch die letzten Spuren weg, ließ den Arm sinken und drückte sich gegen die gepolsterte Rückenlehne des Stuhls.
Sekunden vergingen. Die Zofe stand im Hintergrund. Sie schaute in den Spiegel und beobachtete die Gräfin. Seit einem halben Jahr arbeitete sie bei der Bathory. Kennen gelernt hatte sie die Person nie so richtig, deshalb wusste sie nicht die Reaktion der Adeligen einzuschätzen. Sie blieb sehr ruhig, zu ruhig, sogar gelassen, und sie lächelte sich selbst zu.
Danach schaute sie wieder auf ihren linken Arm. Sie strich mit der rechten Hand über eine bestimmte Stelle. Immer und immer wieder, wie jemand, der etwas prüft.
»Komm her zu mir!«
Die Zofe setzte sich augenblicklich in Bewegung. Sie verfolgte auch den Zeigefinger der Gräfin, die ihr genau zeigte, wo sie stehen bleiben sollte.
»Gut. Jetzt schau dir meinen linken Arm an!«
»Ja, gern!«
»Was siehst du?«
Die Zofe war durch die Frage verunsichert worden.
»Ich weiß nicht genau, aber ... nun ja ... das Blut ist weg, Frau Gräfin. Sie haben es geschafft.«
»Ja, ich habe es geschafft!« Die Bathory bestätigte durch die Wiederholung die Aussage der jungen Frau noch einmal. »Ich habe es sogar ganz geschafft!«
»Sicher, Frau Gräfin!«
»Hör auf! Rede nicht so, du kleine Schlampe. Nichts weißt du, gar nichts, verstanden?«
»Ja.«
Elisabeth Bathory lächelte hintergründig. »Aber vielleicht wirst du etwas merken. Komm näher. Schau dir meinen linken Arm genau an. Besonders die Stelle, die von deinem Blut benetzt wurde. Lasse dir ruhig Zeit dabei.«
»Natürlich.« Die Zofe wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Sie war durcheinander, und sie kannte den Plan der Gräfin auch nicht. Aber sie würde sich hüten, dem Befehl nicht nachzukommen. Der Jähzorn dieser Frau war ihr nur zu gut bekannt.
»Was siehst du?«
»Es ist wunderbar, Frau Gräfin. Ihr Arm – Sie haben ihn besser gereinigt, als ich es je gekonnt hätte.«
Die Worte wollte die Bathory nicht hören. Sie blickte nach links. Dort drang helles Tageslicht durch das Fenster in den Raum. Nach einem scharfen Atemzug fragte sie: »Sonst siehst du nichts, kleine Schlampe? Gar nichts?«
»Nein, ich ...«
»Die Haut! Schau dir die Haut genau an!«
»Ja, ja ...« Sie senkte den Kopf. Aber sie fand einfach nichts heraus. Es war auch kein Blutspritzer mehr zu sehen, aber sie wusste auch, dass sie einen Kommentar abgeben musste. »Sie ist so wunderbar, so rein ...«
»Weiter, weiter ...!«, forderte die Bathory.
»Mehr kann ich nicht sagen!«
Die Mundwinkel der Gräfin verzogen sich. »Dann wirst du es fühlen müssen, zum Teufel. Los, fühle mit deinen Fingern über meine Haut. Danach sag mir die Wahrheit.«
»Gern, Frau Gräfin, gern!« Die Zofe hatte einen roten Kopf bekommen. Dass ihre eigene Nase schmerzte, daran dachte sie nicht. Eine wie sie war es gewohnt, den untersten Weg zu gehen und zu leiden. Außerdem musste sie froh sein, eine Anstellung im Schloss bekommen zu haben. Anderen Mädchen erging es schlechter.
Die Finger zitterten schon, als sie über die bestimmte Stelle am Arm der Gräfin hinwegglitten. Die Zofe wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Die Haut war wie immer und ...
»Ist sie nicht schön, Ilona?«, fragte die Gräfin.
»Ja, das ist sie.«
»Weiter, weiter ...!«
»Sie ist sogar wunderschön, Frau Gräfin. Sie haben die Haut eines jungen Mädchens.«
Genau das hatte Elisabeth hören wollen. Wobei es ihr nicht reichte.
»Sonst fällt dir nichts auf?«
»Nein, ehrlich nicht. Ich wüsste nicht, was mir sonst ... ich meine, verstehen Sie mich recht. Ich bin vielleicht auch zu dumm, um etwas zu merken. Verzeihen Sie.«
Die Bathory schloss für einen Moment die Augen.
»Sie ist weicher und straffer geworden. Schöner, Ilona, viel schöner. Es ist die Haut eines jungen Mädchens.«
»Ja, Frau Gräfin, das ist sie.«
Die Bathory nickte. »Bist du dir denn sicher, Ilona?«
»Ja, das bin ich!« Die Zofe war sich nicht sicher, doch sie war schlau genug, um zu wissen, dass ein Widerspruch bei der Gräfin keinen Sinn hatte.
»Das habe ich hören wollen. Und es ist nur diese Stelle, an der mich dein Blut erwischt hat.«
»Ich glaube schon, Frau Gräfin.«
»Was heißt hier glauben? So ist es nun mal. Dein Blut, Ilona, hat meine Haut jünger gemacht. Genau das ist der Weg, verstehst du? Durch dein Blut erlebte meine Haut die Verjüngung. Zwar nur an dieser Stelle, aber das ist erst der Anfang.« Sie drehte den Kopf und sah ihre Zofe an. »Du verstehst nichts, wie?«
»Nein, leider nein.«
Die Bathory grinste kantig. »Dein Blut, Ilona. Es hat für die Veränderung an meiner Haut gesorgt. Ich sage dir, das ist erst der Anfang. Der Anfang von dem, was ich mir immer gewünscht habe. Jung zu bleiben, und jetzt weiß ich es auch, wie ich es schaffen kann. Du hast mir den Weg gewiesen.« Ihr Blick nahm einen schon verklärten Ausdruck an, als sie sagte: »Dein Blut, meine Liebe. Dein wunderbares Blut hat mir die Lösung gebracht. Und weißt du auch, was das bedeutet? Kannst du dir das vorstellen?«
Es lag keine Drohung in den Fragen. Trotzdem konnten sie Ilona nicht gefallen. Mit sicherem Instinkt wusste sie, dass mehr dahinter steckte. Sie wollte auch nichts falsch machen und schüttelte einige Male den Kopf.
»Dabei ist es so einfach«, flüsterte die Bathory. »Ganz einfach. Ich brauche Blut. Viel Blut. Blut, in dem ich baden kann. Ich brauche dein Blut – alles. Ich brauche das Blut der anderen jungen Mädchen, damit ich mich darin baden kann, um nicht zu verwelken. Ist das nicht eine Lösung für mich?«
Ilona war nicht mehr in der Lage, etwas zu erwidern. Allmählich jedoch dämmerte ihr, in welch einer Gefahr sie steckte, und sie merkte, dass es ihr schwerfiel, Luft zu holen. Ihr Körper war plötzlich von unsichtbaren Fesseln umgeben, die auch ihr Inneres nicht ausgelassen hatten. Die Gräfin verlangte unbedingten Gehorsam. Der endete erst mit dem Tod der Person, und genauso sah Ilona das auch.
Plötzlich war ihr alles klar, und sie schüttelte den Kopf. Auf den etwas derben Gesichtszügen breitete sich die Angst aus. »Bitte nicht, Frau Gräfin, bitte nicht!«
»Doch, Ilona, doch. Vergiss nie, dass du mir gehörst. Allein bist du nichts, gar nichts. Du gehörst mir mit Leib und Seele. Alles andere interessiert mich nicht. Mit Leib und Seele. In diesem Fall vor allen Dingen mit dem Leib!«
Die Zofe sagte nichts. Sie konnte nicht mehr sprechen. Sie schaute nur auf die Gräfin, die sich jetzt von ihrem Stuhl erhob. Dabei klebte ein seltsames Lächeln auf ihren Lippen, und die Augen hatten einen bösartigen Ausdruck angenommen.
Ilona wäre gern weggelaufen. Auf der anderen Seite war ihr klar, dass eine Flucht nichts brachte. Hier im Schloss war sie immer eine Gefangene. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Augen brannten, als wären sie mit einer ätzenden Flüssigkeit gefüllt worden. Die Angst war wie eine unsichtbare Peitsche, die auf sie niederschlug, und schon jetzt duckte sie sich.
Die Bathory griff zum Klingelband. Sie tat es langsam und kontrolliert, dann aber zerrte sie fest daran. Der Klang der Glocken war nicht im Frisierzimmer zu hören, sondern in einem anderen Raum, in dem ihre Diener warteten.
Und die wussten, was sie zu tun hatten. Keine Sekunde zögern, sofort bereitstehen.
Sie rissen die Tür auf und blieben in devoter Haltung stehen.
Die Gräfin hatte sich ihre persönlichen Leibwächter genau ausgesucht. Es waren junge, kräftige Männer aus dem nahen Ort, die alles für sie taten.
»Packt sie!«
Ilona wurde zwar nicht überrascht, doch sie war trotzdem nicht in der Lage, sich zu wehren. Die Griffe der beiden Männer waren einfach zu hart. Die Arme wurden ihr auf den Rücken gedreht. Der Schmerz ließ sie aufschreien, und sie drückte ihren Oberkörper nach vorn. In dieser devoten Haltung blieb sie vor der Adeligen stehen.
»Ihr werdet sie in den Keller bringen und sie dort ausbluten lassen. Ihr werdet ihr Blut auffangen und mir eine Wanne damit füllen. Dann werdet ihr losziehen und mir andere Frauen holen. Junge Frauen. Ich will die Wanne bis zum Rand gefüllt haben. Habt ihr das verstanden?«
»Ja, Frau Gräfin!«
»Dann ist es gut. Ich will, dass die Wanne bei Anbruch der Dunkelheit mit Blut gefüllt ist. Wenn nicht, werde ich euch köpfen lassen. Und jetzt führt sie ab!«
Ilona hatte alles gehört, jedes Wort. Sie konnte zunächst nicht fassen, dass sie gemeint war. Erst als die beiden sie herumrissen, war ihr alles klar.
»Nein,«, schrie sie, »nein!« Ihre Stimme kannte sie selbst nicht wieder. Sie flehte, sie bettelte um ihr Leben. Sie wollte vor der Gräfin in die Knie fallen, doch die hatte sich bereits abgedreht.
Für sie war Ilona schon Vergangenheit. Nicht aber ihr Blut. Und sie würde viel, sehr viel Blut brauchen.
Als sie allein war, küsste sie die Stelle ihrer Haut am Arm, die ihr besonders frisch und jugendlich erschien. Dann lachte sie, und dieses Lachen sollte noch oft aus ihrem Mund erschallen, bis zu ihrem grausamen Ende.
Da aber war die Bathory längst in die Annalen der Geschichte als Blutgräfin eingegangen ...
»Nett haben Sie es hier, Purdy, wirklich nett.« Ich schaute mich um und lächelte ihr zu, als sie auf den Besucherstuhl deutete, der für mich bereitstand.
»Hören Sie auf, John. Keine falschen Komplimente.«
»Wieso denn? Das Büro ist hell, die Blumen frisch, so sieht es bei mir nicht aus.« Ich beugte mich den Maiglöckchen entgegen, die aus einer Vase hervorschauten.
Purdy Prentiss lachte. »Ja, ja, der gute Geisterjäger. Immer zu Scherzen aufgelegt.«
»Das habe ich ehrlich gemeint.«
»Die Blumen hat mir gestern eine Mitarbeiterin geschenkt. Außerdem haben wir Mai, und da gehören sie einfach dazu. Oder finden Sie nicht, John?«
»Aber immer doch.«
»Wunderbar. Ich kann mir vorstellen, dass Ihre gute Glenda Perkins ebenso denkt.«
»In ihrem Büro schon.«
»Dann müssen Sie mal Blumen kaufen oder sich die Blumen von Glenda besorgen lassen.«
»Das lohnt nicht. Ich bin wenig im Büro. Wäre ich Staatsanwalt, so wie Sie Staatsanwältin sind, lägen die Dinge ganz anders. Aber ich bin zumeist unterwegs.«
»Weiß ich. Deshalb habe ich es schon als kleinen Glücksfall empfunden, dass wir uns hier treffen. Aber setzen Sie sich. Was kann ich zu trinken anbieten?«
»Nichts, bitte.«
»Ho, das ist selten.«
»Ich stehe nicht auf Wasser.«
»Da haben Sie recht. Und Alkohol gibt es bei mir nicht.« Sie selbst ließ sich auf ihren lederbedeckten Stuhl fallen und streckte beide Beine von sich.
Purdy Prentiss war schon eine ungewöhnliche Frau. Nicht allein wegen ihres Berufes, nein, sie hatte zudem eine Vergangenheit wie nur ganz wenige Menschen. Sie stammte aus Atlantis, das heißt, sie hatte auf diesem Kontinent schon einmal gelebt. Erst vor Kurzem waren die Erinnerungen über sie hineingebrochen.
Da war es dann auch zum Kontakt mit Eric La Salle gekommen, einem Kämpfer und Bodyguard, der ebenfalls schon einmal auf dem versunkenen Kontinent gelebt hatte. Beide hatten sich gesucht und gefunden. Sie waren so etwas wie ein Traumpaar geworden und lebten auch zusammen. Ob sie hin und wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt wurden, damit musste ich rechnen, denn ich glaubte daran, dass mein Besuch bei Purdy etwas damit zu tun hatte. Denn auch ich kannte mich auf dem versunkenen Kontinent aus, angetrieben durch Zeitreisen.*
Purdy Prentiss war die am besten aussehende Staatsanwältin, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Auch jetzt, wo sie ihre ›Dienstkleidung‹ trug, sah sie gut aus.
Das graue, gut geschnittene Kostüm, die weiße Bluse darunter. Das helle Haar, das glatt an den Seiten des Kopfes herabhing und gleichzeitig duftig geföhnt war. Helle Augen schauten mich über den Schreibtisch hinweg an, und ich sah auch die kleinen Grübchen in den Wangen, die sich dann veränderten, wenn Purdy Prentiss lächelte.
»An was denken Sie jetzt, John?«
Ich wiegte den Kopf. »So genau kann ich das nicht sagen, Purdy, aber ich denke, dass mein Besuch bei Ihnen auch einen gewissen Ärger bedeuten kann.«
»Tatsächlich?«
»Atlantis?«
Jetzt lächelte sie breit. »Falsch, absolut falsch.«
»Oh, da bin ich fast enttäuscht. Sagen Sie nicht, dass Sie nichts mehr mit Atlantis zu tun haben.«
»Nein, nein, das will ich nicht abstreiten, doch es ist in der letzten Zeit ruhig geblieben. Glücklicherweise, denn ich habe auch hier genügend Arbeit.«
»Wie Eric La Salle?«
»Genau.«
»Wie geht es ihm?«
»Gut. Er ist leider nur immer unterwegs, aber ich will mich nicht beklagen. Das bringt der Job eben mit sich.«
»Bei Job sind wir sicherlich beim Thema – oder?«
Purdy lächelte mich strahlend an. »Sie haben es erfasst, John, wir sind beim Thema.« Nach dem letzten Wort verschwand ihr Lächeln. Ein sorgenvoller Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Als sie mich dann anschaute, hatte sie auch die ansonsten glatte Stirn in Falten gelegt. »Es geht da um einige schlimme Fälle, von denen ich gehört habe. Selbst bin ich nicht involviert, das kann ich auch nicht als Staatsanwältin. Aber ich kann Dinge in Bewegung bringen, wenn mir etwas zu Ohren kommt, das aus bestimmten Gründen vor der Presse geheim gehalten worden ist, was ich im Übrigen als sehr positiv empfinde.«
»Sie machen es spannend.«
»Es ist mehr schlimm.«
»Okay, um was geht es?«
»Um junge Frauen, sage ich mal. Und auch um zwei tote junge Frauen.«
»Ermordet, nehme ich an.«
»Ja – leider«, gab sie leicht stöhnend zu und richtete ihren Blick gegen die Decke. Plötzlich war die Lockerheit verschwunden. Purdy regte sich innerlich auf. Ich sah auch den Schweißfilm auf ihrer Stirn. Sie fächerte sich Luft zu und sagte mit leiser Stimme: »Die Frauen sind nicht nur ermordet worden, man fand auch keinen Tropfen Blut mehr in ihren Körpern.«
»Bitte?«
»Ja, John, Sie haben richtig gehört. Die Körper der beiden waren einfach blutleer.«
»Verdammt«, flüsterte ich. »Sagen Sie nicht, dass es sich dabei im Vampirbisse handelt!«
»Nein, das nicht. Sie sind nicht von einem Vampir gebissen worden. Man hat ihnen die entsprechenden Wunden zugefügt und sie praktisch ausbluten lassen.«
Jetzt bildete sich auch bei mir ein leichter Film aus Schweiß. Ich schaute Purdy Prentiss an, die jedoch nichts sagte und die Lippen zusammengekniffen hielt.
»Wo ist das passiert?«
»Nicht hier in London. Auf dem Lande, in Kent. Praktisch in der Einsamkeit zwischen Canterbury und Dover. Es ist furchtbar, aber leider eine Tatsache.«
»Von der Sie erfahren haben?«
»Ja.«
»Und was ist mit der normalen Polizei?«
»Die steht, wie man immer so schön sagt, vor einem Rätsel, John. Man hat gewisse Dinge einfach laufen lassen. Man hat auch versucht, zu vertuschen, weil man keinen Erfolg erreichte. Man sprach von bizarren Selbstmorden und stellte sie in einen Zusammenhang mit einer dieser widerlichen Satanssekten. Ihre Kollegen aus Canterbury haben viel versucht, aber nichts erreicht. Der Fall wurde zwar nicht zu den Akten gelegt, aber auch nicht mehr intensiv bearbeitet, weil die Leute einfach nicht von der Stelle kamen.«
»Wo passierten die Taten denn genau?«
Purdy Prentiss räusperte sich. »Der Ort heißt Wingmore.«
»Kenne ich nicht.«
Sie lachte mich an. »Ich habe ihn auch nicht gekannt. Bis mir eine Freundin davon berichtet hat, die in der Nähe einige Tage Urlaub machte. Sie hat es erfahren, und ich setzte mich dann später mit den Kollegen von Canterbury in Verbindung, die mir auch Kopien der Ermittlungsunterlagen schickten, einschließlich der entsprechenden Fotos. Ich habe schlucken müssen, John.«
»Das glaube ich Ihnen. Wie lange liegen die Morde zurück?«
»Die Ermittlungen wurden vor knapp einer Woche eingestellt. Ich allerdings habe das Gefühl, dass es weitergeht. Dass die beiden ersten toten Frauen nur der Anfang gewesen sind. Ich bin davon überzeugt, dass mehr hinter den Morden steckt, als sie Kollegen vermuten.«
»Also keine Taten, die auf ein Ritual hindeuten?«
Sie wiegte den Kopf. »Doch, John, aber anders.«
»Sorry.« Ich gestattete mir ein Lächeln. »Aber das verstehe ich leider nicht.«
»Magie?«
Sie hatte das Wort mehr als Frage ausgesprochen, und da war sie bei mir an der richtigen Stelle.
»Sie denken, dass es um das Blut der jungen Frauen geht?«
»Genau das denke ich. Blut ...« Sie winkte ab. »Ich will gar nicht erst bei Goethe beginnen, der von einem besonderen Saft gesprochen hat, aber ich kann mir auch vorstellen, dass es eine Art von Vampirismus ist, der sich dort ausgebreitet hat. Bitte, es muss nicht sein, aber ich schließe es auch nicht aus.«
»Ja, sonst säße ich nicht hier.«
»Nun ja, so schlimm ist es auch nicht. Ich dachte mir nur, dass jemand wie Sie den Fall von hinten aufrollen kann. Gewissermaßen auch inoffiziell. Außerdem frage ich Sie: Welcher normale Verbrecher raubt seinen Opfern schon das Blut?«
»Da haben Sie recht.«
»Eben. Deshalb gehe ich davon aus, dass mehr hinter diesen schrecklichen Taten steckt.«
Ich schaute sie an, und Purdy hielt meinem Blick stand. »Könnte es sein, dass Sie schon einen Verdacht haben oder sich der in eine bestimmte Richtung bewegt?«
»Nein, leider nicht. Wenn das der Fall wäre, hätte ich Sie nicht zu bemühen brauchen, John. Ich selbst bin noch nicht in Wingmore gewesen, doch ich stelle mir vor, dass es auch für Sie nicht einfach sein wird, mit den Menschen, die dort leben, zurechtzukommen.«
»Was macht Sie dabei so sicher?«
»Meine Gespräche mit den Kollegen aus Canterbury. Sie stießen zwar nicht eben auf einer Mauer des Schweigens, aber die Einwohner waren schon recht stumm, wenn es um den Fall an sich ging. Da hat niemand etwas gesehen oder wollte nichts gesehen haben. Hinzu kommt noch etwas, das eine gewisse Bedeutung haben kann, aber nicht haben muss. In der Nähe des Ortes oder schon dazu gehörend gibt es ein altes Museum. Sehr klein, auch nicht bekannt, aber irgendein Spinner hat dort Gegenstände gesammelt, die nicht eben als appetitlich anzusehen sind.« Sie legte wieder ihre Stirn in Falten. »Es sind die Folterinstrumente unserer glorreichen Vorfahren.«
»Auch das noch.«
»Daumenschrauben, Streckbänke, eine Eiserne Jungfrau. Also alles, was man sich vorstellen kann.«
Das passte mir natürlich nicht. Ich fragte: »Haben die Kollegen auch dort nachgeschaut?«
»Das taten sie. Es wurden keine Spuren gefunden. Kann sein, dass sie auch nicht gründlich genug gesucht haben, aber das will ich nicht unterstellen.«
»Sie halten es für wichtig, Purdy.«
Die Staatsanwältin reckte sich leicht. »Es ist alles wichtig, was dort passiert. Jede Tat, jeder Bewohner, jeder Mensch, und auch sogar der Pfarrer.«
»Wie kommen Sie auf den?«
»Die Kollegen hatten einfach das Gefühl, dass er mehr weiß, aber nichts zugeben wollte. Er hielt sich sehr bedeckt.«
»Mal sehen, wie er reagiert, wenn ich zu ihm komme.«
»Aber Vorsicht, John.«
»Klar doch.«
Purdy Prentiss öffnete eine Schublade an ihrem Schreibtisch.
»Möchten Sie die Fotos sehen, die man mir übermittelt hat?«
»Ja.«
»Sie müssen hart im Nehmen sein.«
Damit hatte sie nicht Unrecht, denn was ich sah, als die Bilder auf dem Schreibtisch lagen, das schlug mir schon im ersten Moment auf den Magen. Es waren Aufnahmen, wie man sie nur in den Polizeiberichten sieht. Klar und kalt. Ich sah den blanken Realismus. Ohne es bewusst zu wollen, ballte ich meine Hände zu Fäusten. Auf eine genaue Beschreibung möchte ich verzichten.