John Sinclair Sonder-Edition 237 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 237 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Father Ignatius hatte mich nach Rom kommen lassen und zeigte mir den Blutklumpen. "Es ist gefrorenes Blut, John. Es wurde mir von einem Dorfpfarrer gebracht, der ihn im Taufbecken seiner Kirche gefunden hat."
Bereits nach dieser kurzen Erklärung war mir klar, dass etwas Schreckliches auf mich zukommen würde. Ich hatte mich nicht geirrt, denn der schreckliche Etrusker-Götze Charun, ein Menschenfresser und Blutsauger, hatte nach über zweitausend Jahren einen würdigen Nachfolger gefunden ...

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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Bis das Blut gefriert

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Bis das Blut gefriert

von Jason Dark

Father Ignatius hatte mich nach Rom kommen lassen und zeigte mir den Blutklumpen. »Es ist gefrorenes Blut, John. Der Klumpen wurde mir von einem Dorfpfarrer gebracht, der ihn im Taufbecken seiner Kirche gefunden hat.«

Bereits nach dieser kurzen Erklärung war mir klar, dass etwas Schreckliches auf mich zukommen würde. Ich hatte mich nicht geirrt, denn der schreckliche Etrusker-Götze Charun, ein Menschenfresser und Blutsauger, hatte nach über zweitausend Jahren endlich einen würdigen Nachfolger gefunden ...

Das Gesicht meines väterlichen Freundes Ignatius zeigte einen sehr ernsten Ausdruck. Er schaute mich noch einmal prüfend an, bevor er sich herumdrehte und etwas sehr Profanes tat.

Er ging zu einem Kühlschrank und öffnete ihn!

Was er hervorholte, sah ich nicht, da er mir den Rücken zuwandte. Ich bekam noch mit, wie im Kühlschrank eine Klappe zugeschoben wurde. Danach schloss Ignatius die Tür, drehte sich wieder herum, und ich sah, dass er eine Plastikschale in den Händen hielt. Auf der Schale lag ein flacher, rötlich schimmernder Gegenstand. Von der Form her erinnerte er mich an einen ovalen Klumpen.

»Komm bitte mit, John.« Father Ignatius ging auf einen Tisch zu. Er war rund und mit wunderschönen Intarsienarbeiten geschmückt. Ignatius stellte die Schale auf den Tisch und winkte mich so nahe wie möglich heran.

»Schau es dir genau an, John.«

Das tat ich. Der Gegenstand stammte aus dem Eisfach des Kühlschranks. Er war gefroren, und ich hätte ihn als ein Stück rotes oder rötliches Eis bezeichnet.

Ich hob etwas verlegen die Schultern. »Sorry, aber ich weiß nicht, was es genau ist. Sieht mir nach Eis aus.«

»Das ist es nicht, obwohl es vereist ist.«

»Gut. Was ist es dann?«

Ignatius schaute mit gerunzelter Stirn auf den Gegenstand.

»Es ist Blut«, flüsterte er, »gefrorenes Blut ...«

Ich hätte es mir auf Grund der Farbe eigentlich denken können. Ich hatte auch für einen Moment daran gedacht, aber ich hatte es nicht aussprechen wollen.

Eisblut. Gefrorenes Blut. Ich schüttelte den Kopf. Durch meinen Beruf hatte ich viel mit Blut zu tun, besonders dann, wenn ich mich auf der Jagd nach Vampiren befand, aber zu Eis gewordenes Blut hatte ich noch nicht kennengelernt.

Father Ignatius wartete auf eine Antwort, auch wenn er nichts sagte. Er sah, dass ich mit den Schultern zuckte.

»Es ist natürlich schwer zu erklären und auch zu verstehen. Aber ich sehe keinen Grund, dir nicht zu glauben, Ignatius. Ist das auch das Motiv dafür gewesen, dass du mich gebeten hast, nach Rom zu kommen?«

»Genau das habe ich gemeint.«

Es war in diesem großen Raum mit der hohen Decke und den quadratischen Fenstern nicht so kalt wie im Eisfach eines Kühlschranks. Das machte sich auch bei diesem ungewöhnlichen Fundstück bemerkbar.

Das Eis begann zu tauen. Es wurde an der Oberfläche zuerst wässrig, und auch an der Unterseite zeigten sich die ersten Wassertropfen, die eine rosige Farbe aufwiesen. Ich wusste nicht, was der Mönch damit vorhatte. Die Schale deutete darauf hin, dass er es auftauen wollte. Es war klar, dass es mit dem Blut eine besondere Bewandtnis haben musste, aber ich wusste nicht, ob es bereits analysiert worden war.

Genau diese Frage stellte ich Ignatius.

Der Mann mit den kurz geschnittenen grauen Haaren schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe es nicht in einem Labor analysieren lassen, sondern dich geholt.«

Diesmal musste ich lächeln. »Dann weißt du auch, was es mit dem Blut auf sich hat oder auf sich haben könnte?«

»Ich denke es mir.«

»Ist es normales Blut!«

»Was ist normal?«, antwortete Ignatius mit einer Gegenfrage. »Es ist jedenfalls gefroren. Es wurde zu Eis, was man sich überhaupt nicht erklären kann. Ich habe es auch nicht hier im Kühlschrank zu Eis gefrieren lassen, ich habe es gefunden. Verstehst du? Blut wurde hier in Rom im Heiligen Jahr gefunden.«

»Als Eis ...«

Ignatius wiegte den Kopf. »Ja, vereist. Das Blut ist gefroren. Es gibt doch dieses Sprichwort, das besagt, bis das Blut gefriert. Und das ist zu einer bitterbösen Wahrheit geworden. Hier ist das Blut gefroren, und das ist nicht normal. Da stecken andere Mächte dahinter. Davon gehe ich einfach aus.«

Ich fragte nicht nach den Mächten, sondern erkundigte mich, wo der Blutklumpen gefunden worden war.

»In einem Taufbecken.«

»Bitte?«

»Ja, im Taufbecken einer Kirche. Das Wasser war nicht nur zu Blut geworden, es ist sogar gefroren gewesen. Als hätte uns die Hölle ein Zeichen setzen wollen. Du weißt, dass das Heilige Jahr gefeiert wird. Bisher ist es störungsfrei abgelaufen, nun aber befürchte ich Schlimmes. Und ich weiß auch, dass es an anderen Orten ebenfalls diese ungewöhnlichen Funde gegeben hat.«

»Dann hat es jemand geschafft, normales Wasser in Blut zu verwandeln. Oder irre ich mich da?«

»Nein, ich denke nicht. Oder man hat Wasser gegen Blut ausgetauscht. Ich frage mich nur, wessen Blut es gewesen sein könnte. Ich glaube nämlich nicht, dass es einem Menschen gehört. Für mich gibt es da nur eine Lösung.«

Die nahm ich ihm vorweg. »Dämonenblut!«

»Genau, John!«

Wir schwiegen beide und schauten dabei zu, wie der gefrorene Blutklumpen immer mehr auftaute. Es war so wässrig geworden, dass er bereits im rot gefärbten Wasser schwamm. Dadurch war es natürlich dünner geworden. Wie Soße breitete es sich in der Schale aus.

»Du hast von anderen Orten gesprochen, an denen man das Blut fand. Wo ist das gewesen?«

»In mehreren Dörfern, John. In den Kirchen und Kapellen. Immer nur wenig, aber das wenige kann auch zu einer Masse werden. Ich denke wirklich an einen Großangriff des Teufels. Mehr kann ich leider noch nicht sagen. Wir stehen vor einem Rätsel. Die Presse hat noch keinen Wind davon bekommen. Ich fürchte allerdings, dass diese ersten Funde zunächst nur ein Anfang gewesen sind. Das dicke Ende kann nachkommen. Hier ist jemand dabei, mit dämonischem Blut zu experimentieren. Ich bin sehr froh, dass du gekommen bist, John, so können wir vielleicht noch etwas retten.«

»Du setzt aber viel Vertrauen in mich.«

»In wen hätte ich es sonst setzen können? Du bist der Experte.«

»Aber nicht für Blut.«

»Stimmt.« Er ließ nicht locker. »Doch du hast dein Kreuz, John. Das ist wichtig.«

Ich hatte es mir schon gedacht, dass es darauf hinauslaufen würde, aber ich stellte zuvor noch eine Frage. »Da dies nicht das erste veränderte Blut ist, das dir untergekommen ist, Ignatius, fragte ich mich, ob du nicht schon selbst irgendwelche Tests durchgeführt hast.«

»Vergebens.«

»Mit Kreuzen?«

»Natürlich. Mit verschiedenen geweihten Gegenständen. Aber ich habe keinen Erfolg erzielen können. Nichts war stark genug, um das Blut aus der Reserve locken zu können, wenn ich das mal so locker formulieren darf. Da habe ich an dich gedacht. Du bist jetzt so etwas wie ein Retter in der Not. Oder meine letzte Hoffnung. Wenn das Kreuz auch nicht funktioniert, weiß ich wirklich nicht, was ich noch alles unternehmen soll. Nun ja, ich überlasse es dir.«

Father Ignatius zeigte sich besorgt. Zwar stand ich allein bei ihm, aber ich war nicht allein nach Rom geflogen. Sheila und Bill hatten mich begleitet. Sie wollten sich nicht in meine Arbeit einmischen – hatten sie jedenfalls gesagt –, sie wollten die Ewige Stadt genießen. Ob das gelang, war fraglich. In den Vatikan zu Father Ignatius hatte ich die beiden nicht mitgenommen.

»Nun?«

Ich lächelte meinen alten Freund an. »Ja, ja, ich weiß, dass es dich drängt.«

»Sehr sogar.«

Er hatte ruhig gesprochen und war dafür innerlich nervös. Trotz der Kühle im Raum lagen Schweißperlen auf seiner Stirn, und sein Blick war starr auf die Schüssel gerichtet.

Ich holte das Kreuz mit der üblichen Bewegung hervor, indem ich die Kette über den Kopf streifte. Für einen Moment ließ ich den wertvollen Talisman auf meinem Handteller liegen.

Ignatius sah ihn. Über sein Gesicht lief ein Strahlen hinweg. Er wusste, dass ich der Sohn des Lichts und wahrscheinlich der letzte Träger des Kreuzes war, das eine lange Odyssee hinter sich hatte und aus der tiefen Vergangenheit stammte.

»Fertig?«, fragte er leise.

»Sicher.«

Der Blutklumpen hatte sich jetzt zum größten Teil aufgelöst. Nur noch ein kleiner Rest war fest. Die verflüssigte Masse hatte sich in der Schüssel verteilt. Sie war dünner als normales Blut. Ich fragte mich, ob ich es hier wirklich mit Dämonenblut zu tun hatte. Das sah anders aus. Ich hatte es zumindest als grün und auch dickflüssiger erlebt.

Wie so oft war das Kreuz auch hier der große Prüfstein. Sollte das Blut tatsächlich dämonischen Ursprungs sein, dann musste mein Kreuz einfach reagieren.

Noch spürte ich keine Wärme, die von ihm ausgegangen wäre. Normal kühl lag es in meiner Hand.

»Fertig, John?«

»Ja.«

»Dann bitte!«

Es war genau der Moment, auf den es Father Ignatius ankam. Jetzt würde er erfahren, ob er recht mit seiner Vermutung behalten hatte oder ob alles nur ein Schwindel war.

Ich tippte das Kreuz mit dem Ende des unteren Balkens in das Blut hinein.

Für einen winzigen Augenblick geschah nichts. Dann aber zischte es. Das Blut begann zu brodeln. Es kochte plötzlich, und im Nu entstanden schwarze, dünne Rauchwolken, die an unseren Gesichtern entlangrieben. Sie rochen verkohlt, verbrannt, sogar nach altem, verfaultem Fleisch. Beide waren wir zurück getreten und hüteten uns, das Zeug einzuatmen, das sich wie ein Pesthauch ausbreitete.

Die Kälte war ins glatte Gegenteil umgeschlagen. Plötzlich brodelte die Oberfläche und warf Blasen, die sehr schnell zerplatzten und dabei diesen Rauch absonderten. Er trieb über den Tisch, er breitete sich aus, aber er dünnte auch aus, bis er schließlich ganz verschwunden war. In der Schale köchelte und kochte es weiter. Spritzer glitten in die Höhe, fielen wieder zurück oder benetzten auch den Tisch, auf dem die Schale stand.

Ich hatte kurz die Erwärmung meines Kreuzes gespürt, als der Kontakt entstanden war. Jetzt hatte der Talisman wieder die normale Temperatur angenommen. Nur an der unteren Seite des Balkens klebte eine dünne Kruste, die ich mit dem Fingernagel abkratzte.

Ich hörte Father Ignatius heftig atmen. Er stand auf der Stelle wie auf dem Sprung und nickte zu der Schale. »Ich habe es gewusst«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich habe es genau gewusst. Mein Gott, das ist der Schrecken. Der Teufel, die Hölle, was immer auch dahintersteckt, sie haben einen Angriff vor.«

Ich widersprach ihm nicht und näherte mich der Schale. Das Blut war noch da. Nur sah es anders aus. Es bedeckte jetzt den Boden als dunkelrote und auch schwarze Schicht. Klebrig, noch nicht ganz hart und mit einer Kruste bedeckt.

Der Rauch hatte sich verflüchtigt. Dennoch lag der Geruch auch weiterhin in der Luft. Ich senkte meinen Kopf und hielt die Nase über die Schale.

Widerlich, dieser Gestank. Nach altem Fleisch. Nach Leichen, die verwest waren. Das war kein normales Blut. Man konnte schon den Begriff Dämonenblut verwenden.

Ich räusperte mich, um klar sprechen zu können. Dann erst wandte ich mich an Father Ignatius. »Ich denke schon, dass du gut daran getan hast, mich nach Rom kommen zu lassen. Wir werden der Spur nachgehen müssen, und wir sollten dort anfangen, wo das Blut gefunden worden ist.«

»Ja, in dieser Kirche.«

»Hier in Rom?«

»Nein, außerhalb der Stadt. In einem Dorf, einer Kleinstadt. Etwas in den Bergen gelegen.«

»Und wo noch?«, fragte ich nach einer Pause.

»Wieder nur in kleineren Orten«, erklärte Ignatius. Er schüttelte den Kopf. »Aber etwas steckt schon dahinter. Ich denke da an eine Methode.«

»Welche?«

»Dass wir das Blut eben in den Dörfern fanden. Und diese Fundstellen liegen nicht weit auseinander. Sie beschränken sich auf ein bestimmtes Gebiet.«

»Das wir dann näher in Augenschein nehmen sollten.«

»Selbstverständlich.«

Ich holte mein Taschenmesser hervor und klappte die Klinge aus.

Mit der Spitze fuhr ich über den Blutrest in der Schale hinweg. Er war tatsächlich zu einer Kruste geworden, deren Haut sich aus roten und schwarzen Farben zusammensetzte. Allerdings war das Rot nicht hell, sondern dunkel. Es sah aus, als wäre es mit einem Schmutzfilm bedeckt worden.

»Wenn das Blut tatsächlich von Dämonen stammt«, sagte Father Ignatius, »so frage ich mich, von welchem? Wer ist von ihnen vernichtet und ausgeblutet worden? Warum hat man es in die Kirchen gebracht? Was will man damit beweisen?«

»Macht«, sagte ich. »Reine Macht. Man will zeigen, dass man noch vorhanden ist.«

Ignatius blieb die Luft aus. »Die Hölle oder den Satan begreifen ist nicht einfach. Ich denke auch an die Menge. Es ist ja nicht wenig Blut, das wir fanden. Ich fürchte, uns stehen einige harte Tage bevor.«

»Aber nur uns beiden – oder?«

Ignatius zeigte sich irritiert. »Wie kommst du darauf?«

»Weil ich an die Organisation denke, die bei dir im Hintergrund steht und für die du arbeitest.«

»Nein, die Weiße Macht hat nichts damit zu tun. Ich zeige mich dafür verantwortlich.«

Das Stichwort ›Weiße Macht‹ war gefallen. Sie war der Geheimdienst des Vatikans und zudem kein Dienst, der schlief. Die Agenten der Weißen Macht waren in aller Welt unterwegs. Sie gingen dabei normalen Berufen nach. Sie gaben sich nicht zu erkennen, und Father Ignatius gehörte zu den Führern. Er lebte im Vatikan, und ich hatte manchmal den Eindruck, dass er sogar der heimliche Chef war.

Früher hatte er im Kloster St. Patrick gelebt. In Schottland, in den Grampion Mountains. Er war auch derjenige, der meine geweihten Silberkugeln für die Beretta herstellte, und das hatte er auch in seiner neuen Funktion nicht aufgegeben.

»Es wäre natürlich am besten, wenn wir uns die Schauplätze so schnell wie möglich anschauen«, schlug ich ihm vor und fragte sofort danach: »Wann können wir los?«

»Nach dem Mittag?«

»Okay, dann gehe ich noch zu Sheila und Bill, die sicher gespannt sein werden.«

»Kommen die beiden denn mit?«

»Bill würde gern, aber ich kenne Sheila. Sie will mit ihrem Mann Urlaub machen.«

»Mir ist es egal. Außerdem ist der gute Bill kein Neuling in diesem Geschäft.«

»Das ist er wirklich nicht.«

Ich teilte Ignatius noch den Namen des Cafés mit, in dem die Connollys auf mich warteten. Mein väterlicher Freund versprach mir, uns dort abzuholen.

Dann brachte er mich zur Tür. Er war sehr nachdenklich geworden und schüttelte mehrmals den Kopf. »Du weißt, John, dass ich trotz allem Optimist bin. Das muss man als Christ sein. Aber in diesem Fall habe ich schon meine Befürchtungen, dass wir etwas auf die Spur gekommen sind, das lieber im Dunkeln hätte bleiben sollen. Versteh mich bitte richtig, ich habe keine Angst um mich, sondern mehr um die Menschen, die ja nichts ahnen.«

»Ich auch.« Vor der Schwelle blieb ich stehen. »Sind denn schon Menschen umgekommen?«

»Nein, zum Glück nicht. Ich bete auch, dass es so bleiben wird.«

»Und wer hat den Blutklumpen gefunden?«, fragte ich.

»Der Pfarrer. Er lebt.«

»Das gibt uns Hoffnung«, sagte ich und verließ das Gebäude.

Rosannas Zimmer lag in der oberen Etage des kleinen Hauses, was sie ärgerte. Im Sommer war es zu heiß, im Winter oft zu kalt, und wenn sie wegwollte, dann musste sie drei Treppen hinablaufen, um endlich das Haus verlassen zu können. Sie war jung genug, um es locker zu schaffen. Mit achtzehn ist man noch nicht alt. Aber es gab da noch ihre Eltern, die ein scharfes Auge auf sie hatten, obwohl ihre Mutter schon mit siebzehn geheiratet hatte. Aber bei ihr war das eben immer etwas anderes. Der eigenen Tochter wollte sie keine Amouren zugestehen.

Doch die Natur ließ sich nicht aufhalten. Auch Rosanna hatte einen Freund. Er hieß Flavio und stammte aus einer der Vorstädte der großen Stadt Rom. Er lebte in einem der Hochhäuser, die man einfach in die Landschaft gesetzt hatte, um so viele Menschen wie möglich unterzubringen.

Da hatte Rosanna es besser, auch wenn sie ihre Eltern manchmal wie Wachhunde empfand.

Rosanna und Flavio hatten sich für den Abend verabredet. Für den späteren Abend und nach Einbruch der Dunkelheit. Ihre Eltern wollten noch immer, dass sie um Mitternacht zu Hause war, doch daran konnte und wollte sich Rosanna nicht halten.

Ihr Zimmer lag zwar hoch, aber nicht ungünstig. Von ihm aus konnte sie das Haus auch verlassen, ohne von einer anderen Person entdeckt zu werden. Wenn sie aus dem Fenster kletterte und sich auf den schmalen Sims stellte, war es für sie leicht möglich, das tiefer liegende Dach des Nachbarhauses zu erreichen. Es war zum Glück flach wie ein Brett und bot einer TV-Schüssel Platz.

War sie erst einmal auf dem Dach, dann brauchte sie nur die schmale Aluleiter zu nehmen, um den Boden zu erreichen. Flavio hatte sie besorgt. Sie war so praktisch, weil man sie zusammenschieben konnte.

Bis zum Treffen war noch etwas Zeit. Rosanna betrachtete sich im Spiegel. Was sie sah, machte sie recht zufrieden. Sie war schlank, eher klein als groß, hatte Taille und gut geformte Beine, die durch die enge schwarze Hose betont wurden. Als Oberteil trug sie ein ebenfalls eng am Körper liegendes Top, das den Bauchnabel freiließ, in den sich Rosanna einen silbernen Ring immer dann hineinklemmte, wenn sie mit Flavio verabredet war. Ansonsten ging sie ringlos. Dann ärgerte sich ihr Vater wenigstens nicht. Er sah in jedem Mädchen, das sich beringt oder tätowiert zeigte, schon eine Nutte.

Rosanna hatte ein hübsches Gesicht mit einer kleinen schmalen Nase, dunklen Augen, sanft geschwungenen Brauen und einem kleinen Kirschmund.

Vor ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie die Haare noch sehr lang getragen, was ihr das Aussehen einer Madonna gegeben hatte. Einen Tag nach dem Geburtstag hatte sich Rosanna die schwarze Flut abschneiden lassen. Sie trug die Haare jetzt kurz und in die Höhe geföhnt. Sehr praktisch, der Schnitt.

Sie legte etwas Rouge auf und lauschte den Melodien aus dem Radio. Adriano Celentano sang mit seiner Reibeisenstimme. Sie mochte ihn, hatte schon zweimal ein Konzert mit ihm erlebt und kannte auch seine lustigen Filme.

Die Lippen zog Rosanna nicht nach. Flavio mochte den Geschmack des Lippenstifts nicht. Er liebte sie natürlich und verehrte sie manchmal wie eine Göttin.

Das mochte auch daran liegen, dass er bei Rosanna noch nicht zum Ziel gekommen war. Sie hatte sich ihm bisher stets verweigert. Petting, das war okay, aber ihre Unschuld hatte sie sich von Flavio nicht nehmen lassen. Das wollte sie auch so weit wie möglich hinausschieben. Da hatte sie ihre konservativen Grundsätze.

Sie fand sich gut. Noch ein paar Tupfer Parfüm in den Nacken gespritzt, dann war sie bereit. Bevor sie die Leiter unter dem Bett hervorholte, öffnete sie noch die Zimmertür und lauschte in das Haus hinein.

Unten lief der Fernseher. Der Ton hallte bis zu ihr hoch. Den Eltern hatte sie nicht gesagt, dass sie noch verschwinden würde. Sie waren der Meinung, dass die Tochter für die Schule lernte, denn der Abschluss stand dicht bevor. Weder der Vater noch die Mutter schauten am Abend nach, ob sie auch im Bett lag.

Das Licht ließ sie brennen. Es war nur eine schwache Beleuchtung, die von einer krummen Lampe stammte. Die Großmutter hatte ihr das Kleinod vererbt.

Durch eine Lücke zwischen den Sprossen hatte Rosanna ihre Hand geschoben und die Leiter gut festgeklemmt. Den Weg kannte sie im Schlaf. Sie kroch aus dem Fenster und sprang mit einer geschmeidigen Bewegung auf das Dach.

Erst jetzt war es kühler geworden. Tagsüber hatte die Hitze wie eine Glocke über dem Ort gelegen. Es war inzwischen Juni geworden, und sicherlich stand wieder ein heißer Sommer bevor.

Im Ort selbst gar es keine breiten Straßen. Die Häuser waren dicht zusammengerückt, sodass sich zwischen ihnen nur Gassen bilden konnten. So gab es auch am Tage viel Schatten, den besonders die alten Menschen ausnutzten.

In der Nacht war nicht viel los. Wer etwas erleben wollte, der fuhr in das nahe Rom. Dort konnte er die ganze Nacht über den Bär loslassen. Hier oben in den Bergen wurde die Nachtruhe eingehalten. Selbst die Lautstärke der Fernsehapparate wurde zurückgedreht.

Rosanna summte ein Lied vor sich hin – natürlich ein Hit von Adriano Celentano – und bewegte sich auf den Dachrand zu, den sie mit drei Schritten erreichte.

Sie schaute in die Tiefe.

Flavio war noch nicht da. Er hätte sonst hier gewartet und auch leise gepfiffen. Sie hatten immer nur eine ungefähre Zeit verabredet. Für den jungen Mann war es nicht immer einfach, bei dem starken Verkehr aus der Stadt zu kommen. Besonders nicht im Heiligen Jahr, wo Touristen und Gläubige aus aller Welt in die Ewige Stadt eindrangen.

Die Leiter fuhr fast lautlos aus. Sie erreichte den Grund. Rosanna prüfte noch die Standfestigkeit und war zufrieden. Sie hätte auch springen können, aber der Boden war nicht so flach wie das Dach. Da schauten schon an einigen Stellen Steine hervor. Ein falsches Aufkommen, und sie hätte sich leicht den Fuß verstaucht oder sogar gebrochen.

Mit geschmeidigen Bewegungen kletterte Rosanna die Leiter hinab. Es war wie immer. Ganz locker. Sie rutschte nicht aus, sie schaffte es leicht, trat mit dem linken Bein zuerst auf den normalen Boden – und stieß einen leisen Schrei aus, als sie plötzlich die beiden Hände spürte, die sich um ihre Taille legten.

»Überraschung«, flüsterte eine Männerstimme.

Rosanna entspannte sich und holte tief Luft.

»Dio, du bist es, Flavio.«

»Wer sonst?«

»Ich weiß nicht. Ich habe mich erschreckt. Ich dachte, du würdest später kommen.«

»Es ging besser, als ich dachte. Die Straßen waren ziemlich frei. Das habe ich ausgenutzt.«

»Super.« Rosanna drehte sich. Sie schaute in Flavios lächelndes Gesicht.

Er war vier Jahre älter als sie und wirkte immer noch wie ein großer Junge. Das mochte an seinen lockigen Haaren liegen, die er lang hatte wachsen lassen. Dadurch hingen sie um seinen Kopf wie eine gekräuselte Matte.

Die Narbe auf seiner hohen Stirn störte Rosanna nicht. Er war kein Schönling, aber einer, auf den sie sich verlassen konnte. Von Beruf war er Pflasterer, der noch seinen Meister machen wollte. Rosanna hatte ihm mal zugeschaut, wie er die Steine nebeneinander legte. Das sah aus, als wären sie von den Händen eines Künstlers geführt worden.

»Ist das alles, Rosanna?«

»Wie alles?« Sie wusste, was er meinte, stellte sich jedoch ahnungslos.

»Was ist mit einem Kuss?«

»Muss das sein?«, fragte sie und verdrehte die Augen.

»Ja, es muss«, erwiderte Flavio und riss seine Freundin an sich.

Im nächsten Moment brannte der Kuss auf ihren Lippen, und sie öffnete bereitwillig den Mund, damit die Zungen ihr Spiel beginnen konnten. Er war so wild, dass Rosanna ihn zurückdrängen musste, weil sie keine Luft mehr bekam.

»He, hör auf!«

»Wieso? Du machst mich eben so scharf.«

Sie winkte ab. Jetzt lächelte sie. Es tat ihr gut, wenn er so etwas sagte. Rosanna wusste nicht, ob sie ihm noch lange würde widerstehen können. Sie kannten sich seit sechs Monaten, und auch sie spürte immer mehr den Drang, mit ihm zu schlafen. Schließlich waren beide erwachsene Menschen.

»Was hast du vor?«

Flavio strich die Haare zurück. »Wir können hier im Ort bleiben, aber auch wegfahren.«

»Der letzte Vorschlag hört sich besser an.«

»Finde ich auch.«

»Wohin sollen wir fahren?«

Flavio trat nahe an sie heran und strich erst über ihre Arme, dann über die kleinen Hügel der Brüste.

»Wir fahren dorthin, wo wir ganz allein sind.«

»Aha. Dann hast du dir schon etwas ausgesucht.«

»Kann man so sagen.«

»Und wo?«

»Lass dich überraschen.«

Rosanna sah das Funkeln in seinen Augen und musste lachen.

»Bene, Flavio, ich verlasse mich auf dich.«

»Ich habe etwas eingepackt. Eine Flasche Wein, etwas Brot und Käse ...«

»Ein Picknick willst du machen?«

»So ähnlich.«

»Ha. Und das mitten in der Nacht?«

»Ist doch romantisch – oder? Nur wir beide ...«

»Ja, einverstanden. Öfter mal was Neues. Wo hast du denn deinen Roller abgestellt?«

»Am Ende der Gasse.«

»Dann lass uns gehen.«

Flavio schob noch die Leiter zusammen und drückte sie der Länge nach in eine Mauerspalte. Da war sie gut versteckt und auch noch nicht einmal gefunden worden.