John Sinclair Sonder-Edition 244 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 244 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Mongush, der alte Schamane, wusste als Erster Bescheid. In den düsteren Tiefen der Moskauer Kanalisation war das Grauen erwacht. Lebende Leichen, die Jagd auf Menschen machten, trieben dort ihr Unwesen: Kanal-Zombies. Der Schamane wurde Zeuge zweier grauenvoller Untaten. Und er sagte der Brut den Kampf an. Nicht allein. Er brauchte Hilfe. Die fand er in Karina Grischin und John Sinclair ...

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Kanal-Zombies

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Kanal-Zombies

von Jason Dark

Mongush, der alte Schamane, wusste als Erster Bescheid. In den düsteren Tiefen der Moskauer Kanalisation war das Grauen erwacht. Lebende Leichen, die Jagd auf Menschen machten, trieben dort ihr Unwesen: Kanal-Zombies. Der Schamane wurde Zeuge zweier grauenvoller Untaten. Und er sagte der Brut den Kampf an. Nicht allein. Er brauchte Hilfe. Die fand er in Karina Grischin und John Sinclair ...

Es war kalt in Moskau – bösartig kalt. Der Frost hatte sich regelrecht in die große Stadt hineingefressen und weder Mensch noch Tier verschont. Beide waren erfroren. Menschen weniger als die Tiere. Wer die Chance hatte, der suchte sich einen Platz im Warmen. Nur schafften das nicht alle.

Es gab auch Ausnahmen. Zu ihnen gehörte die hagere Gestalt in der schmalen Gasse. Sie lag auf dem gefrorenen Boden, den Kopf leicht zur Seite gedreht, das Ohr gegen den Untergrund gepresst.

Die Gestalt war ein Mann. Die Kälte schien ihm nichts anzutun. Er war nicht einmal warm angezogen oder mit Pelzen umhüllt. Er trug so etwas Ähnliches wie einen hellen Mantel oder ein Gewand, das seinen Körper bedeckte.

Obwohl der Mann auf dem Boden lag wie ein Toter, lebte er. Und er atmete auch. Schwach kondensierter Atem wehte wie feiner Nebel vor seinen Lippen. Eis lag auf dem dünnen Haar. Auch in den ebenfalls dünnen Augenbrauen klebten die Krusten.

Wie lange der Mann dort lag, wusste er wohl selbst nicht. Er schien sich zum Sterben in die Gasse gelegt zu haben, und dabei war ihm jegliches Zeitgefühl verloren gegangen. Sehr lange konnte es nicht sein, denn die beiden Wachleute hatten ihn bei ihrem ersten Streifengang noch nicht entdeckt.

Jetzt, als sie die Strecke zum zweiten Mal gingen, fiel er ihnen auf.

Das Licht ihrer starken Lampe war kalt wie das der Sterne. Die Kegel tanzten durch die Dunkelheit und blieben schließlich auf der einsamen Gestalt hängen.

»Scheiße«, fluchte einer von ihnen und blieb stehen. »Schon wieder eine Leiche. Väterchen Frost kennt keine Gnade.«

Der Sprecher ging noch drei Schritte vor, dann blieb er neben dem Toten stehen. Sein Kollege schlurfte langsamer heran und stellte die Ohrenklappen der Fellmütze in die Höhe.

Die Männer waren private Wachleute. Beschäftigt bei einer Firma, die in der Nacht ein E-Werk bewachte, das den gerade im Winter wichtigen Strom lieferte. Es gab immer wieder irre Typen, die sich einen Spaß daraus machten, die Energiezufuhr zu stören. Sei es aus Frust heraus oder aus Hass.

Es war eine Umgebung, die man am besten mied. Die hohe Mauer an einer Seite. Gegenüber die Rückseiten alter Häuser, die besser einer Abbruchbirne zum Opfer gefallen wären. In den Bauten lebten Menschen. Bei ihnen war es mehr ein Verkriechen als ein Wohnen.

»Wir legen ihn zur Seite«, schlug der Kleinere der beiden vor. Er hieß einfach nur Don, weil er an diesem Fluss geboren war. »Da hilft sowieso nichts.«

»Irrtum!«

»Wieso?«

Dons Kollege hatte sich schon gebückt. Das Licht strahlte jetzt direkt das Gesicht an.

»Schau mal auf seine Lippen. Da kannst du sehen, wie du dich geirrt hast.«

Don brauchte einige Sekunden, um zu begreifen.

»Stimmt!«, flüsterte er. »Du hast recht. Der atmet.«

»Ein Wunder?«

»Keine Ahnung.«

Auch Don hatte sich gebückt. »Der müsste doch längst hin sein. Bei dieser Kälte. Die verträgt kein normaler Mensch.

»Kann sein, dass er nicht normal ist.«

»Hör auf.«

Beide Männer hatten sich jetzt auf den kalten Boden gekniet. In der Nähe malte sich ein großer runder Gullydeckel ab. Aus seinen Löchern an den Seiten quollen zittrige Dampfschwaden empor. In der Gasse gab es keine weiteren Personen außer ihnen, und sie würden auch allein bleiben.

Zudem war es dunkel. Nur eine Lampe brannte in der Nähe. Sie stand noch auf dem Gelände des E-Werks und ragte über den Rand der Mauer hinweg. Von dort aus strahlte sie ihr Licht in die Gasse hinein. Auch diese Farbe wirkte wie Eis. Es war alles Eis. Es war nur kalt. Der Frost war gnadenlos. Aber es war zum Glück windstill, sonst wäre es nicht zum Aushalten gewesen.

»Was machen wir mit ihm?«, fragte Kalek, Dons Kollege. Er war eigentlich Pole, lebte aber schon seit über dreißig Jahren in Moskau.

»Wecken.«

»Ist der besoffen?«

»Riechst du was?«

»Nein.«

»Wir können ihn nicht hier liegen lassen. Wir müssen ihn zumindest wecken und ihm dann etwas Warmes überziehen. Alles Weitere wird sich dann ergeben. Los, gemeinsam jetzt!«

Beide Männer wollten den Schläfer in die Höhe ziehen, aber sie stutzten, als sich ihre Gesichter so nahe an dem des Mannes befanden, dass sie ihn genau sehen konnten.

»Das gibt es doch nicht!«, flüsterte Kalek.

»Was denn?«

»Schau dir mal an, wie alt der ist.«

Don war erst jetzt darauf aufmerksam geworden, und seine Augen weiteten sich.

»Wahnsinn, der ist bestimmt ... na ja, hundert nicht, aber es fehlt nicht viel.«

»Genau, Don, ziemlich alt.«

»Und dann lebt er? Unwahrscheinlich. Der hätte längst erfroren sein müssen. Das geht mir nicht in den Kopf. Scheiße, das ist ein Wunder der Natur.«

»Egal«, sagte Kalek, »pack mit an!«

Beide Männer wollten zufassen, doch dagegen hatte der alte Mann etwas. Bisher waren seine Augen geschlossen gewesen, oder nur halb geöffnet. Das änderte sich, denn als ihn die Hände anhoben, da drehte er auch den Kopf, öffnete die Augen und schaute die beiden Männer so klar an, dass diese erschraken.

»Nein, lasst mich ...«

Don fing sich als Erster. Kalek hatte es die Sprache verschlagen.

»He, was ist los mit dir? Weißt du, wo du liegst?«

»Sicher.«

»Weißt du auch, wie kalt es ist?«

»Natürlich.«

»Du hättest tot sein können!«, stieß Don hervor. »Nein, sogar tot sein müssen.«

»Ich lebe aber, und mir geht es gut.«

Die beiden Wachmänner wollten das nicht glauben. Aber sie kamen zu keinem Widerspruch, denn der alte Mann kümmerte sich nicht mehr um sie und richtete sich auf.

Die zwei angeblichen Retter konnten nur über ihn staunen. Er bewegte sich sehr langsam und trotzdem locker. Er drückte sich in die Höhe, und da war nichts Steifes an seinen Bewegungen. Er stöhnte und beschwerte sich auch nicht. Er rollte mit den Schultern und streckte seine Arme vor wie jemand, der die Steifheit aus den Gliedern schütteln will. Dann zog er die Beine an, legte die Hände um die Knie und blieb sitzen.

Don und Kalek verstanden die Welt nicht mehr.

Sie kamen sich vor wie in einem schlechten Film. Auf ihren Gesichtern lag das unsichere Grinsen wie eingefressen. Beide hatten sich aufgerichtet, flankierten den Sitzenden und leuchteten ihn an.

Es war wirklich ein alter Mann. Sie sahen es jetzt noch besser. Die dünne Haut auf dem Gesicht setzte sich aus Falten und Runzeln zusammen. Unter dem Gewand malte sich ein magerer Körper ab. Die Füße steckten in dünnen Schuhen, die aussahen wie aus Stoff gefertigt oder weichem Leder.

Die Haarfarbe war nicht genug zu erkennen, weil Eis zwischen den dünnen Strähnen klebte. Sie gingen beide davon aus, dass es zumindest grau oder weiß war.

Don übernahm wieder das Wort: »Wir sind zwar keine Sanitäter, aber wir können dich mit in unsere Bude nehmen. Das ist es wärmer. Tee und Wodka haben wir doch und ...«

»Nein, nein, ihr braucht euch nicht um mich zu kümmern. Es ist besser, wenn ihr jetzt geht. Wirklich. Geht. Oder flieht am besten. Ihr wollt doch noch leben.«

Kalek und Don hatten die warnenden Worte gehört und schauten sich an. Allein, ihnen fehlte der Glaube. Sie konnten mit der Warnung nichts anfangen, und Don tippte gegen seine Stirn, wobei er allerdings mehr den Alten meinte.

»Glaubt ihr mir nicht?«

»Nein!«, sagte Kalek.

»Bitte, ihr müsst mir glauben. Es ist wichtig. Es geht um euer Leben, meine Freunde. Ihr habt es gut gemeint, das weiß ich genau, aber es gibt Dinge, an denen ihr nicht rütteln solltet. Man sieht sie nicht, aber sie sind da. Und manchmal kommen sie zurück.«

Die Wachmänner sprachen kein Wort. Ihre Blicke sagten jedoch genug. Beide hielten den Mann für einen Spinner, der nicht alle Tassen im Schrank hatte.

Don starrte auf ihn hinab und fragte: »Hat die Kälte dir dein Gehirn eingefroren, Alter?«

Zwei Sekunden später bereute er die Frage schon, denn ihn erwischte der Blick des Mannes. Einen derartigen Blick hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Es war, als würde man tief in seine Seele hineinschauen. Die Augen waren anders geworden. Sie sandten eine Botschaft, eine Wahrheit. Schnell drehte Don den Kopf zur Seite, weil er diesen Blick nicht ertragen konnte.

Kalek dachte pragmatischer. »Was weißt du denn? Warum sollen wir verschwinden?«

»Weil ihr sonst sterben werdet«, erklärte der Alte. »Der Tod ist unterwegs, und das in seiner grausamsten Form. Ich sage es euch, und ich bin mir sicher, dass ich mich nicht getäuscht habe. Es ist gefährlich für euch. Das Leben kann von einem Augenblick zum anderen beendet sein. Deshalb geht sofort.«

Die Wachmänner hatten ihn verstanden. Der Unterton seiner Worte hatte sie auch misstrauisch gemacht. Sie schauten sich um. Der eine die Gasse hoch, der andere hinunter, aber sie bekamen nichts zu Gesicht. Es gab keine weiteren Menschen außer ihnen in dieser engen und kalten Schneise.

»Ein Überfall?«, flüsterte Don.

»Nicht genau. Etwas Ähnliches.«

»Was denn nun?«

Der alte Mann wischte über sein schütteres Haar. Dass er auf dem kalten Boden hockte, machte ihm ebenso wenig etwas aus wie das leise Knirschen der Eiskörner zwischen seinen Fingern, als sie durch die Haarsträhne glitten.

»Willst du uns das nicht erklären?« Don blieb am Ball. »Hör zu, wir sind hier für die Sicherheit verantwortlich. Wir wissen, dass es genug kaputte Typen gibt, die gern den großen Mann spielen wollen und Katastrophen lieben. Damit das nicht passiert, sind wir unterwegs. Wenn du etwas weißt, dann musst du uns das sagen.«

»Es ist anders, als ihr denkt!«, flüsterte der Fremde, drückte sich vor und kam mit einem einzigen Schwung auf die Beine. So gelenkig, als hätte er nie lange auf dem Boden gelegen.

Die beiden Männer kamen nicht dazu, sich zu wundern. Sie nahmen jetzt alles hin. Nur ihre Münder blieben offen. Für sie war der Fremde ein Phänomen.

Er ließ sie auch nicht zu Wort kommen und sprach einfach weiter: »Könnt ihr euch vorstellen, aus welchem Grund ich auf dem Boden gelegen habe? Könnt ihr das?«

»Du warst müde«, sagte Kalek.

»Nein.« Der Alte schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht müde gewesen. Ich war sogar hellwach. Ich musste hellwach sein. Nur dann kann ich sie hören.«

Wieder blickten die Kollegen sich an, aber keiner von ihnen konnte sich darunter etwas vorstellen.

»Wen wolltest du denn hören?«

Der Alte schaute Don ins Gesicht. Und sein Blick blieb klar. Es zeichnete sich kein Lächeln ab. Der ernste Ausdruck stand wie einbetoniert in seinen Zügen.

»Die Toten ...«

»Hä?«

Der Alte nickte. »Ich wollte die Toten hören. Oder die, die eigentlich hätten tot sein müssen, es aber nicht sind. Ich habe den lebenden Leichen gelauscht.«

Keiner der beiden Männer wusste, was er sagen sollte. Kalek und Don waren durcheinander und irritiert. Sie schüttelten den Kopf, sie schauten sich an und schnappten nach Luft, wobei krächzende Laute ihre Kehlen verließen.

»Hör auf«, sagte Don schließlich. »Das ... das ... kannst du jedem anderen erzählen, aber nicht uns.«

»Es stimmt.«

»Tote, die leben?«

»Ja, genau.«

»Und du hast sie gehört?«

Der Alte nickte.

Don riss seinen Mund auf. Es sah aus, als wollte er schreien, doch er riss sich zusammen und drehte stattdessen mit einer scharfen Bewegung seinen Kopf, um Kalek anzublicken.

»He, warum sagst du denn nichts? Hast du keine Meinung?«

Kalek blies den Atemnebel in die Luft. Er wusste nicht, was richtig war, wiegte den Kopf, trat auf der Stelle und sagte dann: »Frag den Alten mal, aus welcher Anstalt er ausgebrochen ist. Das ist doch nicht normal, was der uns hier erzählt. Das ist der reine Irrsinn. So was glaubt ihm keiner.«

»Finde ich auch.«

»Ihr seid Narren, wirkliche Narren!«, erklärte der alte Mann. »Es stimmt alles. Ich habe nicht aus Spaß am Boden gelegen. Ich habe sie belauscht.« Er deutete mit seinem knochigen rechten Zeigefinger in die Tiefe. »Ja, dort unter uns. Genau an dieser Stelle. Dort halten sie sich auf. Da sind sie.«

»Tote, die leben?«

»Das alte Grauen«, flüsterte der Mann.

Don schüttelte den Kopf. Er hatte keine Lust mehr, sich das anzuhören, trat dicht an den Alten heran und legte ihm seine Hände auf die Schultern. Selbst durch den dicken Stoff der Handschuhe waren noch die Knochen zu fühlen.

»Jetzt hör mir mal genau zu, mein Freund. Du musst dich entscheiden. Entweder kommst du mit uns ins Warme, oder du bleibst hier und wirst irgendwann erfrieren. Das sind die beiden Möglichkeiten, unter denen du auswählen kannst.«

Don glaubte, die richtigen Worte getroffen zu haben. Er war sie auch völlig sicher angegangen, doch dieses Gefühl schwand dahin, als er einen Blick in die Augen seines Gegenübers warf. Er entdeckte darin einen Ausdruck, der ihm einfach nicht gefallen konnte und ihn auch unsicher machte, was ihm noch mehr Probleme bereitete, denn das war er nicht gewohnt. Zudem spürte er ein ungewöhnliches Kribbeln, das in seinen Fingerspitzen begann, sich fortsetzte, seine Arme hoch rann und bis hinein in die Schultern drang. Sogar sein Nacken wurde erwischt.

Schnell trat er zurück. Er konnte plötzlich nichts mehr sagen und auch nicht über die Warnungen des Mannes lächeln, die ihm einfach nicht aus dem Kopf wollten.

Jetzt gab er zu, dass der Alte etwas Besonderes war und auch keine Hilfe brauchte. Er würde nicht erfrieren und wenn er den Rest der Nacht auf dem Boden liegenlieb.

Die Gasse kam ihm noch enger vor, als sie es tatsächlich war, das Licht der einzigen Lampe in der Nähe viel kälter. In der Atmosphäre schien Unheil zu liegen.

»He, Don ...«

Kaleks Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte den Kopf. Sein Kollege stand zwei Meter entfernt und leuchtete in eine bestimmte Richtung. Der Lichtkegel war über den Boden gewandert und hatte ein Ziel gefunden.

Es war der in der Nähe liegende und recht große Gullydeckel. Zuerst sah Don nichts, bis ihm plötzlich auffiel, dass sich der Deckel leicht bewegte und er auch ein Kratzen hörte.

»Was ist das?«

»Keine Ahnung«, flüsterte Kalek mit unsicherer Stimme zurück. »Ich habe es nur gehört ...«

»Sie sind da«, sagte der Alte.

Don fuhr herum. »Wer? Jetzt sag nicht, dass es die komischen lebenden Leichen sind.«

»Doch!«

Don hatte genau das Gesicht des Alten angeleuchtet. Erst jetzt nahm er wahr, dass der Mann weit aus dem Osten stammen musste, denn seine Augen zeigten die Mongolenfalte, auch wenn sie nicht so stark ausgeprägt war.

Er wollte ihn anschreien, ihn für verrückt erklären, doch das schaffte er nicht. Es war alles anders bei ihm. Dieser alte Mann hatte Macht über ihn bekommen. Er sah sich nicht in der Lage, etwas gegen ihn zu sagen.

Wieder hörte er dieses reibende und Gänsehaut erzeugende Geräusch. Das Knirschen, als sich der Gullydeckel drehte, auf dem sich der Kegel des Lichtarms festgefressen hatte und leicht zitterte, weil auch der Arm seines Kollegen Kalek nicht mehr ruhig bleiben konnte.

Es gab nicht den geringsten Zweifel. Der Deckel drehte sich. Und daran trugen Kräfte die Schuld, die unter ihm verborgen waren. In den Kanälen, die wie ein Spinnennetz die Unterwelt der großen Stadt durchzogen.

Kalek meldete sich wieder. »Scheiße, Don, da unten ist doch was. Ich weiß nicht, aber ...«

»Geht!«, warnte der Alte. »Noch habt ihr eine Chance. Verschwindet so schnell wie möglich.«

Don schaute ihn noch einmal an. Er hatte das Gefühl, keinen normalen Menschen mehr vor sich zu sehen. Da leuchtete ein Ausdruck in den Augen des Alten, mit dem er einfach nicht zurechtkam. Es war so anders, so kalt, so wissend und warnend zugleich. Und auch irgendwie überirdisch.

Wieder warnte ihn der Kollege. »Don, die Scheiße geht weiter. Der Deckel richtete sich auf.«

Das wollte Don genau wissen. Wieder musste er sich drehen, um es zu sehen.

Ja es stimmte.

Von unten her wurde der Deckel in die Höhe gedrückt. Er schwebte sogar über dem Boden, aber die beiden Männer sahen nicht, wer ihn in die Höhe geschoben hatte.

Irgendeine Kraft wanderte weiter auf den Rand des Deckels zu und sorgte dafür, dass er sich hochkant stellen und gekippt werden konnte. Es bedurfte einer letzten Kraftanstrengung, dann war es so weit. Plötzlich stand der schwere Gullydeckel auf seinem Rand. Er rollte nicht weiter, aber er bekam den nötigen Schwung und kippte dann zur Seite hin weg, um auf der Gasse liegen zu bleiben. Der Laut des Aufpralls verklang schnell. Wieder drückte die Kälte die Stille zusammen. Nach kurzer Zeit schon durchbrach die Stille des Alten die angespannte Ruhe.

»Ich habe euch gewarnt ...«

Ja, das hatte er. Don und Kalek waren gewarnt worden, aber keiner von ihnen hatte diese Warnungen richtig ernst genommen. Auch jetzt, als der Deckel am Boden lag, konnten sie noch immer nicht glauben, dass er von lebenden Leichen in die Höhe gedrückt worden war. Ihrer Meinung nach hatten sich dort unten irgendwelche Typen versteckt, die einen Anschlag oder etwas Ähnliches vorhatten.

Kalek fingerte nach seiner Waffe. Er hatte die Armeepistole unter seine Jacke gesteckt, auch wenn es unbequem war. Als er den Klettverschluss aufriss, unterbrach das ratschende Geräusch die lastende Stille.

Kalek holte die Waffe hervor.

Der alte Mann meldete sich zunächst mit einem tiefen Atemzug. Danach mit Worten.

»Es wird euch nichts nutzen«, erklärte er. »Sie sind gegen Kugeln immun.«

Don begann zu lachen. Es klang alles andere als echt.

»Hör auf mit deiner Scheiße.«

»Sei ruhig!«, flüsterte Kalek. Er wollte sich konzentrieren und ging mit schussbereiter Waffe auf den Rand des Gullys zu. Seine Füße schleiften dabei über den Boden. Er bewegte sich nicht normal und sah aus, als hätte die Kälte seine Glieder vereist.

Neben dem Rand blieb er stehen. Noch ein Schritt, und er wäre gefallen.

Er senkte den Kopf, um in das Loch hineinzuschauen.

Don sagte kein Wort. Auch der alte Mann hielt sich zurück. Er war zu einer Statue geworden. Nichts an seinem Körper bewegte sich. Auch nicht im Gesicht. In seiner starren Haltung passte er gut in die Winternacht hinein.

»Siehst du was?«, flüsterte Don.

»Nein, noch nicht.«

»Dann ist ...«

»Moment mal, Don.« Kalek hatte seinen Kopf und auch den Körper jetzt nach vorn gedrückt, umso besser in den tiefen Gullyschacht hineinspähen zu können. »Da ... da ... ist jemand!«, stieß er nach einigen Sekunden hervor.

»Wer?« Don wollte eigentlich vorgehen, traute sich allerdings nicht von der Stelle weg.

»Kann ich nicht erkennen. Aber er bewegt sich.«

»Geht, geht, geht!«, drängte der alte Mann. »Bei allen Heiligen bleibt nicht mehr.«

»Scheiß auf die Heiligen!«, keuchte Don.

Kalek wollte es endlich wissen. Er nahm einen sicheren Stand ein, als er seine Beine spreizte. Den Oberkörper beugte er noch weiter vor und senkte den Kopf.

Sein Schrei war nicht laut, aber klang entsetzt. Er musste etwas Schreckliches gesehen haben und wollte auch zurück.

Zwei Wünsche blieben unerfüllt. Er kam nicht zum Schuss, und er kam auch nicht zurück.

Etwas schnellte aus der Öffnung hervor und packte zu. Zwei bleiche Hände oder Klauen erwischten die Beine des Mannes und rissen sie brutal nach vorn.

Kalek verlor das Gleichgewicht. Er fiel zurück. Er ruderte mit den Armen, doch er konnte sich nicht mehr halten. Schwer schlug er auf den Rücken. Mit dem Hinterkopf prallte er ebenfalls auf. Es hörte sich an, als wäre eine Nuss geknackt worden.

Die Hände hatten ihn nicht losgelassen. Don sah sie wie ein bleiches Gespinst, das sich um die Knöchel gedreht hatte und dabei eisern festhielt.

Kalek hatte nicht die Spur einer Chance. Er wurde von den Klauen festgehalten und auf den offenen Schacht zugezogen. Seine Waffe hatte er verloren. Er war überhaupt nicht mehr in der Lage, sich noch wehren zu können. Was immer da aus dem Gully gekrochen war, zeigte seine wahre Stärke.

Don konnte nicht reagieren. Entsetzt schaute er zu, wie Kalek immer mehr innerhalb des Schachtes verschwand. Sein Körper hatte bereits auf dem Rand eine kippende Haltung erreicht. Der Winkel veränderte sich noch mehr, bis er keiner mehr war und der Mann fast senkrecht in die Tiefe kippte.

Im Nu war er verschwunden!

Bei Don dauerte es eine Weile, bis er aus seiner Erstarrung erwachte. Er hatte alles gesehen, es war auch keine Täuschung gewesen, und doch konnte er es nicht glauben. Und so starrte er das offene Loch in der Erde an. Er spürte keine Kälte mehr. Er schaute auch dorthin, wo Kalek noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte, aber da war nichts zu sehen, abgesehen von einem dunklen Fleck auf dem Boden. Es war warmes Blut, das aus Kaleks Wunde am Hinterkopf geflossen war und über dem jetzt ein leichter Dampfschleier lag.

Kalek war weg. Er war geholt worden. Es gab ihn nicht mehr. Das verdammte Loch hatte ihn gefressen. Grauenhaft. Einfach nicht zu fassen.

Erst jetzt begriff Don, dass er seinen Kollegen verloren hatte. Die Starre verschwand. Er war auch wieder in der Lage, die kalte Luft einzuatmen und drehte sich langsam von dem offenen Gullyloch weg.

Er sah den Alten an. Nichts bewegte sich in dessen Gesicht. So wie er auf der Stelle stand, wirkte er wie eine Mumie, die jemand aus dem Grab geholt hatte. Das Licht der Lampe erwischte sein Gesicht. Auch dort bewegte sich nichts.

Don holte pfeifend Luft. Er hätte jetzt zum Gully gehen und nach seinem Kollegen schauen müssen. Genau das brachte er nicht fertig.

Er fürchtete sich. Etwas war hier passiert, das er sich nicht erklären konnte. Und dann dieser Alte mit seiner schon übermenschlichen Kraft, die er auch jetzt abstrahlte, obwohl er nicht mal den kleinen Finger bewegte.

Don riss seine Jacke auf. Er suchte seine Waffe. Sie steckte an der rechten Seite in der steifen Ledertasche. Ruckartig zog er sie hervor.

Der offene Gully war für ihn jetzt uninteressant geworden. Ihn interessierte einzig und allein der alte Mann. Er hatte alles gewusst, zumindest geahnt, und plötzlich musste sich Don zusammenreißen, um den mageren Körper nicht mit Blei vollzupumpen.

Er riss sich im letzten Augenblick zusammen und drückte dem Alten das Ende des Waffenlaufs gegen die Brust.

»Du!«, fuhr er ihn an und blies dabei seinen warmen Atem in das faltige Gesichte »Du hast es gewusst. Lüg nicht! Das sehe ich dir an. Du hast genau gewusst, was passieren würde, du verfluchter Hundesohn. Und du hast nichts gesagt, gar nichts. Hörst du? Ich habe genau aufgepasst. Ich kenne dich. Ich weiß alles. Du kannst mir nicht entwischen, verdammt noch mal. Du hast es gewusst«, heulte er und musste seinen Zeigefinger kontrollieren, um ihn nicht zu krümmen.

Der Alte blieb gelassen. Sein Blick war ungewöhnlich klar, und er deutete ein Nicken an.