John Sinclair Sonder-Edition 255 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 255 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

München ... Die alte Frau steht im Licht der Laterne. Sie lauert in der Kälte der Nacht wie ein Raubtier auf Beute, und diese Beute läuft ihr wenig später in die Arme. Es ist ein Junge. Dennis Hirmar, gerade einmal vierzehn Jahre alt. Er ist ausersehen, der Alten und ihren Freundinnen den Weg zum Teufel zu ebnen. Als John Sinclair und Suko in London von dem schrecklichen Plan der Hexen erfahren, machen sie sich sofort auf den Weg nach München. Dort beginnt eine atemberaubende Jagd ...


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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Hexen-Horror

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Hexen-Horror

von Jason Dark

München ... Die alte Frau steht im Licht der Laterne. Sie lauert in der Kälte der Nacht wie ein Raubtier auf Beute, und diese Beute läuft ihr wenig später in die Arme. Es ist ein Junge. Den‍nis Hirmar, gerade einmal vierzehn Jahre alt. Er ist dazu ausersehen, der Alten und ihren Freundinnen den Weg zum Teufel zu ebnen.

Als John Sinclair und Suko in London von dem schrecklichen Plan der Hexen erfahren, machen sie sich sofort auf den Weg nach München. Dort beginnt eine atemberaubende Jagd ...

Die alte Frau stand im Licht der Streulaterne!

Sie bewegte sich nicht und schien irgendwie vergessen worden zu sein. Von ihrer Körperform war nicht viel zu erkennen, denn sie trug einen weiten umhangähnlichen Mantel, an den ein Tuch angenäht worden war. Sie hatte es wie eine Kapuze über den Kopf gezogen, und nur ihr Gesicht lag frei.

Die Person stand da und wartete. Auch die Kälte machte ihr nichts aus. Man hätte sie für tot halten können, wäre nicht ab und zu eine Atemfahne vor ihrem Mund erschienen.

In der Umgebung bewegte sich nichts. Hohe Häuser bildeten die Sagenwelt der Moderne. Sie hatten die mächtigen Körper der Ungeheuer abgelöst, und manche Fenster in den glatten Fassaden waren lichterfüllt, wirkten jedoch wie die kalten Augen eines auf der Lauer liegenden Reptils.

Tagsüber herrschte hier Leben und Treiben. Das lag allein schon an einem großen Supermarkt, an dessen Rückseite sich die alte Frau aufhielt und das Licht der Lampe genoss, als sollte sie dadurch gewärmt werden. Zu dieser spätabendlichen Zeit war es still. Man hätte meinen können, Kilometer entfernt von München, der Weltstadt mit Herz, zu sein und sich in den Bergen zu befinden. Vereinzelt war das ferne Geräusch eines fahrenden Autos zu hören, aber daran störte sich die Frau nicht. Sie wartete weiter.

Aus der Entfernung betrachtet wirkte die Frau wie ein dunkles Gespenst. Wer näher an sie herantrat, sah ihr Gesicht. Dick und fleischig. Mit einer blassen Haut, auf der sich hin und wieder bläuliche Flecken abzeichneten, die möglicherweise von der Kälte hinterlassen worden waren. Sie war nicht eingefroren, denn die Augen bewegten sich. Die Pupillen sahen aus wie kalte Knöpfe, die Nase war dick, leicht gekrümmt und erinnerte an die einer Hexe aus dem Märchen.

Auf was oder wen die Person wartete, war nicht herauszufinden. Auch nicht, warum sie so allein stand, aber sie schrak plötzlich zusammen, als sie das leise Echo der Schritte horte.

Jemand kam.

Und es war die Person, auf die sie gewartet hatte ...

Dennis Hirmer hatte noch die letzten Worte seines Trainers in den Ohren, der die Jungen ermahnt hatte, nach dem Training so schnell wie möglich nach Hause zu gehen und keine Umwege zu nehmen, denn die Dunkelheit konnte nicht eben als Freund bezeichnet werden. Außerdem war in dieser Gegend schon zu viel passiert. Überfälle, versuchte Vergewaltigungen, Raub an älteren Leuten. Das alles hatte in den Zeitungen gestanden und dem Hochhausviertel einen nicht gerade guten Ruf vermittelt.

Dennis war der Letzte, der die Sporthalle verließ. Er hatte sich beim Volleyball stark verausgabt und war länger unter der Dusche geblieben als die anderen. Danach hatte er noch sein blondes struppiges Haar gebürstet, sich in aller Ruhe abgetrocknet, angezogen und die Brille mit den beiden runden Gläsern aufgesetzt.

Das Hemd, der rote Pullover, die blaue Winterjacke, die Jeanshose, die Turnschuhe.

Er war fertig für den Abmarsch und setzte nur noch seinen Rucksack auf, den er besser fand als eine Sporttasche, weil er bequemer zu tragen war.

An der Tür stand der Trainer und klimperte schon mit den Schlüsseln.

»Mal wieder der Letzte, Dennis.«

»Ja, einer muss es ja sein.«

»Da bist du Vorbild.«

»Ich lasse mir eben Zeit.«

Der Trainer lächelte. »Keinen Bock auf zu Hause?«

Dennis zog die Nase hoch. »Nee, nicht wirklich. Ist immer das Gleiche. Der Alte ist in der Kneipe, und meine Mutter heult sich die Augen aus. Dabei ist sie eine tolle Frau.«

»Ich weiß, Dennis, ich kenne deine Mutter.«

»Warum hat sie ausgerechnet diesen Arsch heiraten müssen? Mann, die hatte eine Karriere vor sich. Aber dann kam mein Alter, und schon hat es sie erwischt.«

»So ist die Liebe«, sagte der Trainer.

Dennis lachte. »Wenn sie wirklich so ist, dann kann sie mir gestohlen bleiben.«

Der Trainer musste lachen. Er hieß Gerold Mayr. Lässig schlug er Dennis Hirmer auf die Schulter.

»Das sagst du jetzt mit deinen vierzehn Jahren. Warte mal, bis es soweit ist. Wenn die Richtige kommt, dann erwischt es dich wie ein Blitzstrahl.«

»Das will ich aber nicht.«

»Die Liebe fragt nicht danach.«

»Aber Sie sind auch nicht verheiratet.«

Gerold Mayr lächelte. »Man braucht nicht unbedingt einen Trauschein zu haben, um mit einem Menschen zusammenzuleben. Ich habe eine Freundin. Das reicht mir. Und wir kommen gut miteinander aus. Apropos kommen.« Er schaute auf die Uhr. »Es ist spät geworden. Sieh zu, dass du gut nach Hause kommst. Oder soll ich dich mitnehmen?«

»Nein, nicht das kurze Stück. Das ist unnötig. Da gehe ich lieber zu Fuß.«

»Wie du willst, Dennis. Wir sehen uns dann zum Spiel.« Der Trainer wollte gehen, doch er sah, dass Dennis noch etwas auf dem Herzen hatte. Er sprach es zwar nicht aus, weil er nie so richtig aus sich herausgehen konnte, aber Mayr kannte seinen Schützling lange genug. Er wusste genau, wann Dennis Probleme hatte.

»Was hast du denn noch, mein Freund?«

Dennis senkte den Blick, als wäre ihm die Frage unangenehm. Er schabte dabei mit dem Fuß über den Boden hinweg, rang nach Worten und sagte dann: »Ich habe sie wieder gesehen, Gerold.«

Der Fünfunddreißigjährige war im Moment überfragt.

»Gesehen? Wen?«

»Na ja, Sie wissen schon. Die alte Frau. Die steht immer da wie ein Denkmal und glotzt mich an. Sie ist immer in einen dunklen Mantel eingehüllt, sagt aber nichts.«

»Dann ist es ja gut.«

»Nein, Gerold, ist es nicht. Sie schaut mich an. Sie ... sie ... hat einen so kalten Blick. Grausam. So wissend.«

Der Trainer war skeptisch. »Und das kannst du alles sehen, wenn du an ihr vorbeigehst?«

»Ja, auch spüren.« Er blies die Luft aus. »Mehr spüren.«

»Verstehe«, murmelte Gerold Mayr, obwohl er es nicht verstand. Er wollte den Jungen auch nicht deprimieren und schlug wieder vor, ihn mit dem Wagen nach Hause zu fahren.

Das lehnte Dennis ab. »Ich darf doch keine Angst vor einer alten Frau haben.« Er hatte die Antwort zwar gegeben, doch seine Stimme hatte nicht eben überzeugend geklungen.

Auch Gerold Mayr wollte nach Hause. Er beendete das Gespräch.

»Gut, Dennis, dann sehen wir uns übermorgen zum Training. Ist das okay?«

»Ja.«

Vor der Tür reichen sich beide die Hand, und der Trainer sprach Dennis noch mal Mut zu.

»Kopf hoch, Junge, und wenn es zu Hause zu schlimm wird, dann sag mir Bescheid. Ich werde mit deinen Eltern sprechen. Du bist gut, und du bist auch intelligent.«

»Das weiß meine Mutter, aber wie der Alte reagiert, kann ich nicht sagen. Der kennt nur seine Kneipe, und wenn er gesoffen hat, ist er unausstehlich.«

»Ich werde dir helfen, wenn es zu schlimm wird.«

»Ja, danke.«

Beide trennten sich. Dennis ging nach rechts, sein Trainer verschwand nach links.

Die Sporthalle gehörte zu einem Schulkomplex, der inmitten einer Hochhaus-Siedlung lag, die noch ein Andenken aus dem letzten Jahrhundert war, als man die Häuser so hoch wie möglich gebaut hatte, um dort viele Menschen unterzubringen. Auf eine Wohnqualität hatte man weniger geachtet, es zählte nur der Zweck, und jetzt kamen vielen Menschen die Hochhäuser wie Gefängnisse vor.

Auch Dennis mochte sie nicht. Trotzdem kam er nicht weg. Nicht er hatte zu sagen, sondern seine Eltern, und leider musste er noch bei ihnen wohnen.

Hochhäuser, Schulzentrum und ein Gebiet, auf dem sich zwei Supermärkte befanden und auch einige Firmen ihren Standort gefunden hatten. Am Tage herrschte Betrieb, in der Nacht aber oder schon am späten Abend war in dieser Gegend der Hund begraben. Besonders im Winter, wenn die Kälte drückte.

Dennis konnte den offiziellen Weg gehen, aber auch eine Abkürzung nehmen. Er entschied sich für die Abkürzung. Es war eine Strecke, an der ihm kaum jemand entgegenkam. Und wenn doch, dann näherte sich das schon dem Zufall.

Kurs nahm er auf den Supermarkt. Es war ein großes Einkaufszentrum, das im Vergleich zu den hohen Häusern flach wirkte und den Jungen an eine übergroße Baracke oder Kaserne erinnerte. Die vorderen Eingänge waren durch Gittertüren gesichert. Immer wieder hatte man versucht, einzubrechen. Es waren auch schon Scheiben eingeschlagen worden, aber durch eine installierte Alarmanlage waren die Versuche stark reduziert worden.

Es weihnachtete, und auch die Geschäftsleute wollten etwas von dem Milliardenkuchen abhaben. Vor dem Eingang standen zwei Weihnachtsbäume wie Wächter. Die Lichter schimmerten, aber fast die Hälfte davon war nicht mehr intakt. Da hatten irgendwelche Vandalen zugeschlagen und einige dieser elektrischen Kerzen zerstört.

Dennis Hirmer passierte die beiden Bäume, und für einen Moment huschte ein schmerzliches Lächeln um seine Lippen. Mochte Weihnachten für viele noch ein tolles Fest sein, bei ihm war das nicht der Fall. Zwar gab sich seine Mutter alle Mühe, aber das reichte nicht, denn der Alte zerstörte jegliche Festtagsstimmung. Dennis wäre es am liebsten gewesen, wenn sein Vater auch am Heiligen Abend in die Kneipe gegangen wäre, es gab ja genug, die geöffnet hatten, doch das tat er nicht. Ausgerechnet da blieb er in der Wohnung.

Wieder mal war Dennis allein unterwegs. Er trat manchmal bewusst hart auf, um seinen eigenen Tritten zu lauschen, denn die Stille störte ihn schon. Auch die Dunkelheit und die Kälte. Das Thermometer war um einiges gefallen. Es herrschte Frost, aber der Himmel war klar. Wenn er in die Höhe schaute, dann sah er das Heer der Sterne auf dem blanken Himmel wie eine prächtige Kulisse, die für ihn das Tor zum Weltall bildete.

Er mochte es. Er mochte den Himmel. Er mochte die Entfernungen, die fremden Planeten. Und er wünschte sich, all die Gesetze zu begreifen, die dafür sorgten, dass die Planeten nicht aus ihren Bahnen gerieten. Noch schaffte er das nicht, aber Dennis hatte den Ehrgeiz, sich in Mathe und Physik fortzubilden, um wenigstens einiges verstehen zu können.

Früher hatte er immer geglaubt, dass hinter den Sternen der Himmel war, in dem die Engel lebten und die Menschen beobachteten. Vor allen Dingen die Schutzengel, die die Menschen vor dem Bösen bewahrten. Aber ob das alles stimmte, das war schon die große Frage. Märchen, die ihm die Mutter erzählt hatte, während er auf ihrem Schoß gesessen und durch das Fenster in den Himmel geschaut hatte.

Jetzt war es vorbei. Geplatzt waren die Träume der Kindheit. Wie weggeblasen die Geschichten von Hexen, Feen, Trollen und geheimnisvollen Waldgeistern, die sich in die Welt der Menschen verirrt hatten. Alles war so real geworden, und trotzdem hatte er Weihnachten nicht vergessen und freute sich nach wie vor auf das Fest. Auch wenn der Alte sich wieder besoff.

Der Junge lief auf einen Schatten zu, der keiner war und nur so aussah. Tatsächlich handelte es sich um eine Mauer, die Rückseite eines Supermarkts. An einer Stelle war sie durch eine dicke Wand aus Glasbausteinen unterbrochen. Es gab eine breite Eisentür und eine Rampe davor. Dort hielten die Fahrzeuge an, die neue Waren brachten und hier ausgeladen wurden.

Auf der Rampe glitzerte es hell. Die dort liegende Feuchtigkeit hatte sich in eine dünne Eisschicht verwandelt, auf der Laufen sehr tückisch war.

Weiter vorn brannte eine einsam stehende Laterne. Ihr Schein wirkte so kalt wie der eines Sterns.

Mit gesenktem Kopf und raumgreifenden Schritten bewegte sich der Junge weiter. Sein Ziel war ein schmaler Weg, der am Ende des Supermarkts begann und eine Verbindungsstrecke zwischen ihm und den hohen Wohnhäusern darstellte. Wenn er ihn erreichte, war er bald zu Hause, aber noch dauerte es Minuten.

Plötzlich blieb er stehen.

Es hatte ihn erwischt wie ein Schlag gegen die Brust. Dennis ging keinen Schritt mehr weiter. In seinem Kopf tobten plötzlich die Gedanken. Er fühlte sich wie in einer Falle, und er sah, dass im Licht der Lampe die Gestalt stand und sich nicht bewegte.

Das war sie!

Ja, das war die Alte, die er schon oft gesehen und die ihm Angst eingejagt hatte. Auch jetzt stand sie wieder dort und bewegte sich nicht. Aber sie blickte in seine Richtung, und genau das verursachte bei ihm eine Gänsehaut.

Er ging nicht, die Alte bewegte sich ebenfalls nicht. Es war Platz genug, um an ihr vorbeizugehen und sie nicht mal mit einem Blick zu bedenken, doch auch das tat er nicht. Er blieb stehen, kam sich wie versteinert vor und lauschte den eigenen Herzschlag, der sich so überlaut anhörte. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, obwohl die Gestalt nichts tat, um mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie wartete einfach nur so. Vielleicht darauf, dass er endlich weiterging.

So neu war ihm das alles nicht. Er hatte sich auch bei seinem Trainer darüber beschwert. In dieser Nacht kam es ihm jedoch besonders schlimm vor. Da lauerte nicht nur die alte Frau, da ging etwas von ihr aus, mit dem er sich nicht anfreunden konnte.

Er war nichts Gutes. Nicht das, was er als kleiner Junge immer von dem Schutzengel geträumt hatte. Diese Person gehörte zu den bösen Wesen, wie er sie aus den Märchen kannte.

Was tun?

Dennis spielte mit dem Gedanken, sich umzudrehen und zurückzulaufen, aber das war auch nicht Sinn der Sache. Er wollte nicht als Feigling dastehen, und bisher hatte die Alte ihm ja nichts getan. Sie hatte ihn nur mit ihren Kopfbewegungen verfolgt, wenn er vorbeigegangen war. Warum sollte das jetzt anders sein?

Es war anders!

Er spürte es. Dennis war sensibel genug. An diesem Abend würde einiges nicht so laufen wie sonst. Er war entscheidend für ihn. Aber er wollte sich nicht fertigmachen lassen, trotz seiner Angst, und er gab sich einen inneren Ruck.

Der erste Schritt. Dann der zweite. Beide noch zögerlich gesetzt. Dennis wusste, dass er sich lächerlich machte, wenn er jetzt so langsam ging und ganz anders als sonst. Er musste an ihr vorbei, und sie sollte nicht merken, wie er sich fühlte.

Es war klar und kalt in dieser Nacht. Dennis spürte die Kälte auf seinem Gesicht, dessen Wangen gerötet waren. Trotzdem merkte er, wie die Hitze in seinem Inneren hochstieg und auch den Kopf erreichte, wo sie sein Gesicht noch mehr rötete. Er merkte das harte Klopfen seines Herzens. Er kam sich vor wie auf Gummi laufend, so weich waren plötzlich seine Knie geworden. Er wollte auch einen Bogen schlagen, um die Entfernung zwischen sich und der Alten zu vergrößern. Verdammt, er war immerhin 14. Da brauchte er keine Furcht zu haben. Außerdem war er ziemlich kräftig. Dafür hatte allein schon der Sport gesorgt.

Dennis ging wieder los. Er hatte sie unsichtbare Mauer zur Seite schieben können. Freie Bahn für ihn. Wieder freies Atmen, obwohl er die Beklemmung auf seiner Brust spürte.

Wenn er weiterging, das rechnete er sich aus, konnte er die Alte in einer Distanz von zwei Metern passieren. Und er würde sie im Auge behalten. Da brauchte er nur zur Seite zu schielen.

Das alles hatte sich Dennis vorgenommen. Trotzdem ging es ihn nicht besser. Er ging noch immer mit weichen Knien. Er schwitzte im Gesicht und hatte das Gefühl, dass seine Augen brannten. Nichts in seiner Umgebung hatte sich verändert.

Der Himmel war klar. Die Sterne funkelten in ihrer Pracht, als hätte der Liebe Gott Diamanten auf dem Firmament verteilt, aber das sah er nicht, denn Dennis hielt seinen Kopf gesenkt. Er wollte die Frau nicht beachten und baute darauf, dass auch sie ihm keine Beachtung schenkte.

Dennoch schielte er nach rechts. Die Augen hinter der Brille taten ihm schon weh, so sehr schmerzte diese Bewegung. Er sah das Licht, das sich auf dem Boden als weißgelber Schimmer verteilte, als sollte der von ihm aufgesaugt werden. Er spürte wieder die Kälte, die wie ein Griff in seinem Nacken lag.

Dennis ging jetzt schneller. So rasch wie möglich wollte er an der Gestalt vorbei. Drei, zwei Schritte trennten ihn von dem wartenden Gespenst, das der Frost eingefroren zu haben schien, doch dann war alles anders.

Urplötzlich passierte dies. Zuerst hörte er einen scharfen Atemzug und dann die Stimme.

»Hallo, Söhnchen, da bist du ja ...«

Dennis blieb stehen, obwohl ihn niemand aufgefordert hatte. Er konnte einfach nicht anders, denn diese Stimme hatte dafür gesorgt. Eine widerliche Stimme, die ihn an die erinnerte, die er von früher her kannte, wenn er seine Märchenkassetten gehört hatte und in den Geschichten Hexen mitgespielt hatten.

Schon damals hatten ihm die Stimmen Angst eingeflößt. Er hatte das Band dann immer schnell weiterlaufen lassen, aber hier gab es kein Band und keine Kassette. Das hier war so verdammt ernst, und er spürte, wie zuerst ein Schauer durch seinen Körper rann, der sich dann zu Eis verdichten schien.

Dennis blieb stehen. Er hielt den Kopf dabei gesenkt und traute sich nicht, zur Seite zu blicken. Aus Angst, dass er möglicherweise etwas falsch machte.

Sie sprach ihn wieder an. Und sie benutzte fast die gleichen Worte. »Hallo, Söhnchen. Endlich ist die Zeit reif. Ich habe auf dich gewartet. Immer und immer wieder. Ich habe dich beobachtet, und ich weiß, dass du der Richtige bist.«

Der Richtige! Ich bin der Richtige! Dennis' Gedanken drehen sich nur darum, aber er konnte es nicht fassen. Wie konnte er der Richtige für diese unheimliche Gestalt sein, mit der er doch nie etwas zu tun gehabt hatte?

»Schau mich an, Söhnchen!«

Welch eine hässliche Stimme sie hat!, dachte der Junge. Er wollte ihr nicht gehorchen, doch es blieb ihm keine andere Wahl. Die Person und der Klang ihrer Stimme übten einfach einen zu großen Druck auf ihn auf, sodass er den Kopf einfach drehen musste, ohne es richtig zu wollen. Er schaute auf das Gesicht, ohne viel zu sehen, denn in der Öffnung der Kapuze zeichnete sich nur ein bleicher Fleck ab. Nichts anderes war das Gesicht der Alten.

Dann lachte sie.

Nein, es war auch kein Lachen, sondern ein helles und schrilles Kichern, das bei Dennis wieder eine Gänsehaut verursachte und ihn so steif machte.

»Hast du Angst, Söhnchen?«

Dennis konnte einfach nicht antworten. Etwas hatte seinen Mund zugepresst und die Kehle zugeschnürt. Natürlich hatte er Angst, aber er gab es nicht zu.

»Komm her ...«

Dennis schüttelte den Kopf.

»Oh«, sagte die Stimme beinahe bedauernd und hörte sich jetzt nicht mehr so schrill an. »Das ist aber schade. Willst du wirklich nicht zu mir kommen?«

»Nein!« Dennis war froh über die Antwort. Er konnte sich auch wieder bewegen und ging einen Schritt zurück. Jetzt musste er sich nur umdrehen und verschwinden, dann war wieder alles okay.

»Du bleibst, Söhnchen!«

Der Befehl traf ihn überraschend. Er hätte ihn zu einer Gegenwehr animieren können, nur fühlte er sich dazu nicht in der Lage. Er kam nicht mehr vom Fleck und sah sich gezwungen, die Alte anzuschauen, die ihren Arm ausstreckte und ihn wie die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel mit dem gekrümmten Finger zu sich winkte.

Ich will nicht!, schoss es ihm durch den Kopf. Ich kann nicht. Ich möchte ...

»Komm her, Söhnchen!«

Es war wie ein Schlag. Der Widerstand schmolz dahin. Plötzlich war alles anders. Er musste gehen. Von der alten Frau bis zu ihm war ein unsichtbares Band entstanden, das ihn immer näher an die verdammte Person heranzog.

Und so ging er auf die alte Frau zu, die so gar nichts Großmütterliches an sich hatte, sondern eine böse und auch grausame Gestalt war.

Trotzdem wollte er die Wirklichkeit nicht wahrhaben. Ich bin im Märchen!, dachte er. Ich stehe nicht mehr in der normalen Welt. Ich bin in eine böse Geschichte hineingeraten, und sie spielt die Hauptrolle darin. Die alte und hässliche Hexe, die Kinder holt, um sie umzubringen. Wie bei Hänsel und Gretel.

Er sah nur die Frau und nichts anderes mehr. Er erkannte sie zudem deutlicher, weil er näher an das Licht herangekommen war, und so konnte er auch besser das Gesicht sehen.

Es zuckte in ihm. Er wollte stoppen, aber die Beine setzten den Befehl des Gehirns nicht um, und so ging er weiter auf die Frau zu.

Ja, das ist sie. Das ist die böse Hexe, mit der man immer kleine Kinder erschreckt. Dennis fühlte sich zwar nicht mehr als Kind, aber die Furcht vor dieser Gestalt blieb bestehen, und auf seinem Rücken zog sich die Haut immer mehr zusammen. Das Gesicht war so blass und an manchen Stellen bläulich verfroren. Aber es war nicht hager wie das der Hexe im Märchen, sondern dicker und runder.

Lächelte sie? Oder war es nur das Licht, das ihr Gesicht so erscheinen ließ?

Der Junge konnte es nicht sagen, aber ihr Befehl stand immer noch. Er ging auf sie zu, als gäbe es kein anderes Ziel in der Nähe. Die Alte krümmte noch mal den Finger, als wollte sie dafür sorgen, dass er schneller ging, aber das tat er nicht. Dennis behielt seine Schrittfolge bei, bis er so nahe an sie herangekommen war, dass er sie hätte anfassen können.

Dennis tat es nicht. Seine Arme blieben an den Körperseiten hängen. Es war noch immer sehr kalt, die Luft war schwer geworden, und sie trug auch die Gerüche vor sich her, die in Dennis' Nase krochen. Es war ein ungewöhnlicher Geruch. So alt, so muffig. Vielleicht auch noch mit Gewürzen versetzt. Selbst die Kälte konnte den Geruch nicht verdrängen.

»Söhnchen«, flüsterte die Alte wieder. »Söhnchen, da bist du ja endlich. Wie schön und wunderbar.«

Der Junge schüttelte den Kopf. Er begriff nicht, was sie gemeint hatte. Diese alte Frau tat so, als würde sie ihn kennen, aber daran glaubte er nicht, denn er kannte sie auch nicht. Wie konnte sie dann so vertraut mit ihm sprechen?

»Du bist es, Junge. Ja, du bist es. Ich habe es gespürt. Wir alle haben es gespürt. Wir brauchen dich ...« Sie begann zu lachen und riss den zahnlosen Mund weit auf, wobei sie ihren Kopf etwas zurücklegte und das Tuch leicht verrutschte.

Dennis sah das graue Haar, in dem sich einige dunkle Strähnen verteilten. Das Lachen war kein Lachen mehr, sondern ein hämisches Kichern, wie man es von einer Hexe erwartet. Zumindest Dennis, denn das hatte er in den Büchern gelesen.

Durch die Gläser der Brille sah er sie überdeutlich. Sogar das Funkeln der dunklen Augen. Er hätte sich am liebsten auf der Stelle gedreht, um wegzulaufen, aber auch das war ihm nicht möglich. Der Blick der Augen hatte seinen Willen ausgeschaltet, und so blieb er auf der Stelle stehen, ohne sich zu bewegen.

Das übernahm die Alte. Ihre Schultern zuckten nach vorn. Der Ärmel wurde in die Höhe gezogen. Falten entstanden, und aus dem Löchern der Ärmel erschienen zwei lange, dünne Hände, deren Haut faltig war. Die Finger krümmten sich, als die Frau die Hände nach vorn streckte und sie in die Nähe des Jungen brachte.

Dennis tat nichts. Er verkrampfte sich. Er fürchtete sich vor der Berührung, aber er kam auch nicht fort und blieb stehen wie auf dem Boden festgefroren.

Die Alte dachte nicht daran, ihre Hände zurückziehen. Wie Klauen griffen die Finger zu und legten sich auf die Schultern des Jungen, der das Gefühl hatte, zu einem Gefangenen zu werden.

Er wollte etwas sagen und öffnete schon den Mund, doch kein Protestlaut drang über seine Lippen. Die verdammte Alte vor ihm hatte alles im Griff, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn Dennis merkte den leichten Druck und schaffte es auch nicht, sich dagegen zu stemmen, denn er kippte nach vorn und fiel gegen die Alte, die genau das gewollt hatte.

Dann hörte er sie stöhnen ...

Es war ein Geräusch, das tief im Innern aufgeklungen war. Sie fühlte sich so wunderbar gelöst, denn endlich hatte sie bekommen, was sie wollte.

Wie eine Mutter das eigene Kind, so drückte sie Dennis an sich, der sich nicht wehren konnte, weil er förmlich eingefroren war. Es gab ihn, aber er entfernte sich immer mehr von der Realität. Er wollte auch nicht glauben, was geschah, doch er schaffte es nicht, sich dagegen zu wehren. Nur in seinem Kopf setzte sich der Gedanke fest, dass die alte Frau ihn jetzt hatte und so fest umarmt hielt, als wollte sie ihn nie mehr loslassen.