John Sinclair Sonder-Edition 256 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 256 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Sie waren Zwillinge und hießen Isa und Irene. Wie aus dem Nichts erschienen sie bei Dagmar Hansen, der Psychonautin. Von ihnen erfuhr Dagmar, dass sie schon einmal gelebt hatte. Vor weit mehr als 2000 Jahren war sie die Mutter der Zwillinge gewesen. Damals hatten die Töchter sie umgebracht. Isa und Irene aber hatten überlebt, denn ihr Vater war ein Gott und zugleich ein Dämon gewesen. Nun waren die Zwillinge erschienen, um den grausamen Mord an ihrer Mutter zu wiederholen ...


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Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Dämonen-Zwillinge

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Dämonen-Zwillinge

von Jason Dark

Sie waren Zwillinge und hießen Isa und Irene. Wie aus dem Nichts erschienen sie bei Dagmar Hansen, der Psychonautin. Von ihnen erfuhr Dagmar, dass sie schon einmal gelebt hatte. Vor weit mehr als 2000 Jahren war sie die Mutter der Zwillinge gewesen. Damals hatten die Töchter sie umgebracht. Isa und Irene aber hatten überlebt, denn ihr Vater war ein Gott und zugleich ein Dämon gewesen.

Nun waren die Zwillinge erschienen, um den grausamen Mord an ihrer Mutter zu wiederholen ...

Der Schrei! Der heftige Schlag mit der rechten Hand. Das Klirren, als die gläserne Haube der Nachttischlampe zu Boden fiel und zerbrach.

Der nächste Schrei!

Diesmal tiefer und röchelnder. Ein Körper wälzte sich heftig zur Seite, dann der nächste Schwung und das Überrollen der Bettkante. Der Fall auf den Boden und genau hinein in die Splitter der Lampenhaube. Ein spitzes Dreieck kippte in die Höhe und stieß in den nackten linken Arm der Frau, dicht unterhalb des Ellbogens.

Sofort drang Blut aus der Wunde, was die Frau kaum zur Kenntnis nahm. Sie wälzte sich auf die Seite, dann überrollte sie sich, hörte dabei die eigenen leisen Schreie, in die sich auch ihr Stöhnen mischte, stand dann mit einem heftigen Ruck auf, lief bis zur Wand und trommelte dagegen, als wollte sie sich so einen Durchbruch nach draußen verschaffen.

Sie bewegte den Kopf hin und her. Das naturrote Haar schwang dabei von einer Seite zur anderen. Das Gesicht war verzerrt, und aus den Augen rannen Tränen, die nasse Spuren auf den Wangen hinterließen.

Sie wurde zu einer Furie. Sie drehte durch. Ihre eigenen Hände schmerzten, doch sie hörte nicht auf, gegen die Wand zu schlagen und zu jammern.

Dann gaben die Knie nach.

Die Frau mit den roten Haaren sackte zusammen. Sie merkte nicht, dass hinter ihrem Rücken die Zimmertür heftig aufgerissen wurde und ein Mann auf der Schwelle erschien.

»Himmel, Dagmar, was ist los?«, fragte Harry Stahl entsetzt ...

Die angesprochene Dagmar Hansen gab keine Antwort. Sie traf auch keine Anstalten, ihre Lage zu verändern. Nach wie vor blieb sie wie zusammengefaltet auf dem Boden liegen, und nur ihr leises Wimmern war zu hören.

Stahl überblickte die Lage sofort. Er lief zu ihr. Er hob sie an. Dagmar half ihm dabei nicht. Ihr Kopf sank über Harrys Arm hinweg nach hinten, und abermals löste sich ein Stöhnen aus ihrem Mund.

Dann sah Harry die Wunde in ihrem Arm und auch das Blut. Er erschrak und riss seine Freundin noch höher, bevor er sie zum Bett trug und sie darauf niederlegte.

Dabei fiel ihm auf, dass in ihrem Arm noch ein trüber Glassplitter steckte. Mit spitzen Fingern zupfte er ihn aus dem Fleisch und legte ihn auf den Nachttisch. Dass die Lampe dort zerbrochen war, hatte er schon längst festgestellt. Dagmar musste sie bei ihren wilden Bewegungen zerstört haben, und sofort stellte er sich die Frage nach dem Grund.

Was war mit ihr geschehen? Was hatte sie getan? Warum war das alles passiert?

Er konnte keine Antwort geben, die musste er von seiner Partnerin erhalten, aber sie war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Sie lag auf dem Rücken. Das Gesicht war noch blasser als sonst, und sie wirkte irgendwie ätherisch und zugleich schutzbedürftig, ähnlich wie die Schauspielerin Nicole Kidman in ihrem neuesten Film »The Others«.

Im Zimmer gab es einen begehbaren Schrank. Stahl schaute noch kurz in das Gesicht der Frau, dann zog er die Tür auf und holte aus einem Fach ein Unterhemd hervor, das er um den Arm seiner Partnerin band, um die Blutung zu stillen.

Dabei sprach er beruhigend auf sie ein, doch er hatte den Eindruck, dass sie ihm nicht zuhörte. Sie lag auf dem Rücken und schaute mit glanzlosen Augen gegen die Decke, als gäbe es dort irgendetwas Interessantes zu sehen.

Harry Stahl machte sich Vorwürfe, dass er nicht früher in das Zimmer gekommen war. Er hätte auch längst in der zweiten Hälfte des Doppelbetts liegen können, das wäre alles kein Problem gewesen. Aber er hatte noch arbeiten wollen oder müssen, denn es galt, Akten durchzusehen. Er musste Informationen sammeln.

Nach dem Terror-Anschlag in New York war es auch für ihn als Geheimdienstmann enger geworden. Die befreundeten Dienste erwarteten Mithilfe, und da konnte sich keiner sperren, auch Harry Stahl nicht, der eigentlich einem anderen Job nachging und so etwas Ähnliches wie ein Geisterjäger in Deutschland war und alarmiert wurde, wenn Fälle nicht in normale Richtungen liefen.

Er verbannte die Gedanken aus seinem Kopf, um sich voll und ganz auf Dagmar zu konzentrieren. Ihr Verhalten war für ihn unverständlich, aber es musste einen Grund gehabt haben. Das war nicht von allein und urplötzlich passiert. Er ging einfach davon aus, dass mehr dahinter steckte.

Die Wunde hatte er gut abgebunden. Das Blut drang auch nicht durch den Stoff, und Harry konnte sich wieder um Dagmar kümmern. Sie sah so bleich aus, sie war innerlich fertig, und äußerlich glich sie beinahe einem Gespenst. Aber Harry atmete auf, denn er stellte fest, dass in das sehr blasse Gesicht allmählich die Farbe zurückkehrte, auch wenn es immer blass bleiben würde, aber das lag an den Pigmenten.

»Und?«, fragte er leise.

Dagmar bewegte ihre Augenlider. Zuckend, und in die Augen hinein kehrte der Ausdruck zurück. Es sah jetzt so aus, als wäre sie nach einem langen Schlaf erwacht und müsste sich zunächst zurechtfinden. Sie bewegte die blassen Lippen, doch Harry legte ihr einen Zeigefinger auf den Mund.

»Bitte, du darfst jetzt nicht sprechen, Dagmar. Du musst ruhig sein. Ich bin jetzt bei dir, ich bleibe bei dir ...«

»Ja, das ist gut«, erwiderte sie und deutete so etwas wie ein Lächeln an. »Darüber freue ich mich auch.«

Harry war froh, dass sie wieder einigermaßen normal reagierte. Er sah den Schweiß auf ihrem Gesicht und bemerkte, dass Haarsträhnen mit ihren Spitzen auf der Stirn festklebten. Er schob einige von ihnen zur Seite, wofür Dagmar ihn dankbar anlächelte.

»Soll ich dir etwas zu trinken holen?«

»O ja, das wäre gut.«

»Warte, ich bin gleich zurück.« Er strich ihr noch einmal über die Stirn, stand dann auf und ging in die Küche. Aus dem Kühlschrank holte er Mineralwasser und Orangensaft. Beides mixte er. Dabei dachte er über seine Partnerin nach, und es waren keine allzu guten Gedanken, denn Harry Stahl machte sich Sorgen um sie.

Es war ja nicht das erste Mal, dass sie sich so verhielt. Schon einige Male war es ihr nicht gut gegangen, aber so schlimm wie heute war es eigentlich nie gewesen. Etwas musste sie wahnsinnig gestört haben, aber etwas, das für andere Menschen nicht sichtbar war und nur sie persönlich etwas anging. Er war längst zu der Überzeugung gelangt, dass Dagmar durch irgendeine Macht gequält wurde.

Er erinnerte sich daran, dass er nach diesen Attacken öfter mit ihr darüber gesprochen hatte. Gemeinsam hatten sie nach Antworten gesucht und nur eine sehr allgemeine gefunden.

Dagmar hatte von ihrer Vergangenheit gesprochen, jedoch von einer, die nicht so leicht fassbar war und im Dunkel der Zeiten begraben lag. So jedenfalls hatte sie sich ausgedrückt, und Harry glaubte ihr, denn seine Partnerin war zwar ein normaler Mensch mit allen Vor- und Nachteilen, zugleich aber gehörte sie zu einer Kaste von Personen, die etwas Besonderes an sich hatten und als Psychonauten bekannt waren. Menschen, die noch ihr drittes Auge besaßen, das sich auf der Stirn abzeichnete.

Harry war davon überzeugt, dass ihr Verhalten damit in Verbindung stand, aber er hatte mit Dagmar bewusst darüber noch nicht gesprochen und wollte, dass sie von allein redete. So heftig wie in dieser Nacht waren ihre Anfälle nie gewesen. Es konnte durchaus sein, dass sie einen Punkt erreicht hatte, an dem sie reden wollte.

Er hoffte es, denn nur wenn es Fakten gab, konnte er etwas dagegen unternehmen.

Harry hatte ein hohes Glas mit dem Mixgetränk gefüllt und ging wieder zurück in das gemeinsame Schlafzimmer.

Dagmar lag noch immer so im Bett, wie er sie verlassen hatte. Sein Unterhemd war auch weiterhin als Verband um den Arm gewickelt und hatte sich nicht gelöst.

»Wieder einigermaßen okay?«

»Ja, Harry, aber ich fühle mich schwach. So verdammt schwach. Als hätte ich einen langen Kampf hinter mich gebracht. Dann habe ich gesehen, dass der Schirm der Lampe zerbrochen ist und ...«

Er winkte ab. »Das ist nicht weiter tragisch. Wir kaufen eine neue. Mach dir deswegen keine Sorgen.«

»Es hätte trotzdem nicht sein müssen.«

»Kannst du etwas dafür, Dagmar?«

»Ich weiß es nicht.« Sie wollte noch etwas hinzufügen, hatte auch den Mund geöffnet, doch dann ließ sie es bleiben, und Harry bat sie, einen Schluck zu trinken.

Dagmar richtete sich mühsam auf, damit sie nicht im Liegen schlucken musste. Das Glas hielt sie mit beiden Händen fest, und sie trank es fast leer. Als sie es absetzte, flüsterte sie: »Das hat gut getan. Das war genau das Richtige.«

»Ist schon okay.« Harry stellte das Glas zur Seite.

Es war nicht besonders hell im Zimmer. Aus dem Flur drang das Licht durch die offen stehende Tür. Es verteilte sich so weit im Schlafzimmer, dass sie alles gut erkennen konnten und sich die dunkleren Stellen in Grenzen hielten. Vor das Fenster war ein Rollo gezogen worden. Auch außerhalb der Wohnung innerhalb des Hauses, in dem mehrere Parteien lebten, war es still geworden. Eine Stunde vor Mitternacht gingen die meisten Menschen ins Bett, denn in wenigen Stunden begann wieder ein neuer Tag. Ein Wintertag, der kalt, aber auch klar werden sollte, denn Schnee war nicht angesagt, sondern Sonne und Kälte.

Dagmar Hansen legte sich nicht wieder hin und blieb in der halb sitzenden Stellung. Sie schaute ihren Freund an, und Harry wirkte dabei etwas verlegen. Er wusste auch nicht, was er so recht sagen sollte, bis er schließlich davon sprach, die Wunde zu desinfizieren und sie mit einem luftdurchlässigen Pflaster zu verkleben.

»Ja, mach das, Harry. Hast du noch Splitter gesehen?«

»Nein, habe ich nicht. Aber ich schaue sicherheitshalber noch mal nach.« Bevor er ins Bad ging, hob er die großen Splitter der Lampe auf. Er transportierte sie ebenfalls ins Bad und legte sie dort an einer Stelle nieder, wo sie niemanden störten. Dann öffnete er den kleinen Medizinschrank, um nach bestimmten Dingen zu suchen. Das Desinfizierungsmittel hatte er schnell gefunden, Pflaster und Verbandsmull ebenfalls, und auch eine Pinzette nahm er mit.

Im Schlafzimmer schaltete er das Licht ein, um besser sehen zu können. Dagmar zwinkerte mit den Augen und verzog die Mundwinkel, denn die Helligkeit hatte die gestört.

Harry löste den provisorischen Verband und betrachtete die Verletzung. Er atmete auf, denn der Splitter hatte keine tiefe Wunde gerissen, sondern eher einen Kratzer hinterlassen, der wirklich nicht weiter tragisch war.

Trotzdem musste er desinfiziert werden, was er tat. Dagmar spürte den Schmerz. Sie zuckte nur zusammen, ansonsten blieb sie ruhig. Das Pflaster verdeckte die Wunde schon sehr bald, und Harry war zufrieden.

»Ich denke, du kannst jetzt in Ruhe schlafen, Dagmar. Falls die Schmerzen zu groß werden, könntest du noch eine Tablette ...«

»Nein, Harry, danke, das ist nicht nötig. Ich brauche sie nicht. Es ist nur ein Ziehen im Arm, nicht mehr.«

»Das ist gut.« Er stand auf und brachte das blutige Unterhemd wieder zurück ins Bad. Dann löschte er das Licht im Schlafzimmer.

Er fragte sich noch immer, was Dagmar so gestört und sie aus dem Schlaf gerissen hatte.

Die Antwort war leicht. Es musste ein Traum gewesen sein. Nur waren dies keine normalen Träume. Sie mussten etwas mit Dagmars Vergangenheit oder mit ihrem besonderen Sein zu tun haben. Er konnte sich vorstellen, dass die Psychonauten darin durchaus eine tragende Rolle spielten. Aber das sollte sie ihm selbst erzählen.

Dagmar besaß das dritte Auge, das jedoch nicht zu sehen war und sich hinter der Stirn verborgen hielt. Nur in bestimmten Stresssituationen trat es hervor, und möglicherweise war dies auch während ihres Traums geschehen, ohne dass sie davon gewusst hatte.

Das dritte Auge war das Auge der Seele. Wurde es aktiviert, sah der Mensch Dinge, die mit denen der normalen Welt nichts zu tun hatten. Da wurden die Gedanken frei für andere Welten. Man erkannte Zusammenhänge, Rätsel wurden gelöst. Man konnte tief eindringen in bestimmte Geheimnisse aus der Vergangenheit und konnte sich selbst in die anderen Welten hineintragen lassen.

Die Psychonauten hatte es schon immer gegeben. Bereits vor 2000 und mehr Jahren. Die meisten der Psychonauten waren gestorben. Nur wenige hatten überlebt und waren ihren Feinden entkommen. Aber es gab auch Wiedergeburten der Psychonauten, und genau das hatte Dagmar Hansen erlebt. Sie wusste, dass sie schon einmal gelebt hatte, aber sie konnte es nicht konkretisieren. Da hatte es immer eine Sperre gegeben, die beinahe unüberwindbar erschien.

Dagmar schaute ihn prüfend an, als er sich zu ihr aufs Bett setzte. Sie kräuselte die Lippen zu einem Lächeln und flüsterte: »Du hast dich sehr erschreckt, wie?«

»Ja, das habe ich. Du hast mir richtig Angst eingejagt. Du bist nicht mehr du selbst gewesen. Du hast dich aus dem Bett gerollt. Du hast getobt und ...«

»Das weiß ich, Harry.«

»Pardon, dass ich es erwähnt habe ...«

»Keine Entschuldigung bitte. Das ist schon gut. Es hat ja auch mit mir zu tun.«

»Weißt du denn jetzt besser Bescheid?«

Dagmar Hansen runzelte die Stirn und schaute an Harry vorbei. »Ja, ich denke schon. So intensiv wie heute ist es noch nie zuvor gewesen, Harry, das kann ich beschwören.«

»Sprichst du von deinem Traum?«

»Traum?«, wiederholte sie nachdenklich. »Ich weiß nicht mal, ob es ein Traum gewesen ist.«

»Was war es dann?«

Im Sitzen hob sie die Schultern an wie jemand, der fröstelte. »Es kann auch eine Rückführung gewesen sein, verstehst du?«

»Nicht richtig.«

Sie fasste nach seiner Hand. »Klar, Harry, es ist auch verrückt, was ich sage. Aber ich habe das Gefühl gehabt, während meines Traums in andere Zeiten zurückgeführt worden zu sein. Ich habe sie so plastisch erlebt, Harry. Ich war der Mittelpunkt und habe alles sehr deutlich sehen können. Das musst du mir glauben.«

Harry deutete auf ihre Stirn. »Hat sich bei dir das dritte Auge gezeigt, Dagmar?«

Sie ließ sich etwas Zeit mit der Antwort. »Ich kann es dir nicht genau sagen, gehe aber davon aus, dass es das dritte Auge gewesen ist, das mir diesen Rückblick ermöglichte. Ich konnte in die Vergangenheit schauen. In eine andere Zeit, in der es eine Frau gab.«

Stahl nickte. »Bis hierher ist alles klar. Aber was war mit der Frau? Kanntest du sie?«

Länger schaute Dagmar ihren Partner an. »Ja, ich kannte die Frau, denn das war ich, Harry. Ich habe mich selbst gesehen. Und zwar als eine andere Person, die schon mal gelebt hat ...«

Harry Stahl sagte nichts. Er hütete sich einfach vor einer Bemerkung, die Dagmar eventuell hätte als falsch auffassen können. Er schaute sie auch nicht an, sondern hatte den Blick etwas zur Seite gedreht und suchte noch immer nach den richtigen Worten.

»Es ist schwer zu glauben, nicht?«

Harry zuckte mit den Schultern. »Tja, es ist schwer zu glauben. Aber ich frage mich, warum du lügen solltest. Dafür gibt es keinen Grund, denke ich mal.«

»So sehe ich das auch.«

Er räusperte sich. »Dann hast du keinen direkten Traum, sondern mehr eine Rückführung erlebt. Oder sehe ich das falsch?«

»Nein, das siehst du nicht. Es ist eine Rückführung gewesen, aber bedingt durch das dritte Auge, denn das hat mir die andere Welt geöffnet, die Vergangenheit eben, in der ich eine Rolle gespielt habe. Verstehst du das?«

»Du hast dich also selbst durch das dritte Auge gesehen?«

»Ja, in der Vergangenheit und als eine andere Gestalt, als eine andere Frau.«

Harry nickte ihr zu. »Es ist sicherlich nicht leicht gewesen, Dagmar. Du musst sehr gelitten haben, denn sonst hättest du nicht so stark reagiert. Was ist geschehen?«

»Die Frau hatte Probleme. Große Probleme. Und sie litt unter einer starken Angst und regelrechten Wahnvorstellungen. Nicht grundlos, denn ich konnte sehen oder erleben, wie die andere Frau starb.«

»Bitte?«

»Ja, ich bin gestorben«, flüsterte Dagmar, und Harry stellte fest, dass sie wieder zitterte.

Er streichelte ihre Hände. Er küsste sie auf die Wangen und bekam mit, dass sie wieder zu weinen begann. »Es muss schrecklich für dich gewesen sein, das zu erleben und zu durchleiden. Den Tod der Frau zu sehen und dabei ...«

»Nicht einfach nur den Tod der Frau, Harry. Es ist mein Ende gewesen. Das Ende meines ersten Lebens.«

»Ein gewaltsames Ende?«

»Ja, ich wurde getötet. Ermordet ...« Sie atmete wieder schwerer und schüttelte den Kopf. Sie litt unter den Vorstellungen, wobei sie Mühe hatte, Luft zu bekommen. Sie verdrehte die Augen, schluckte einige Male und wollte, dass Harry sie festhielt.

»Keine Sorge, jetzt bin ich bei dir.«

»Danke, das brauche ich auch. Die ... die ... Erinnerung kehrt wieder zurück, Harry.«

Nein, nur nicht!, dachte er und fragte mit leiser Stimme: »Ist es dein Traum?«

»Ja, die geträumte Wahrheit in der damaligen Zeit. Ich spüre, dass sie mich nicht loslässt. Was damals begonnen hat, das setzte sich in der Gegenwart fort. Ich bin sie gewesen, sie ist gestorben, aber nichts vergeht für immer. Die Erinnerung ist noch vorhanden, und ich kann sie durch das dritte Auge sehen.«

Harry Stahl drückte sich zurück, damit er das Gesicht seiner Partnerin anschauen konnte.

Es stimmte. Sie log nicht. Sie machte sich und ihm nichts vor, denn es zeichnete sich tatsächlich das dritte Auge auf ihrer Stirn ab. Die Umrisse waren zunächst nur schwach, aber doch deutlich zu erkennen. Ein sehr geschwungenes Auge, größer als das normale menschliche. Gefüllt mit einer Pupille und mit einem rötlichen Schein umgeben, wobei es in der Mitte leicht strahlte.

»Halte mich fest, Harry – bitte. Es ist wieder da. Ja, das Auge und die Erinnerung sind vorhanden. Meine Güte, das ist einfach nicht zu fassen, Harry. Das ist furchtbar.«

»Ruhig, Dagmar, ruhig, ich bin bei dir ...«

»Ja, ja, ich weiß«, flüsterte sie. »Aber ich sehe sie. Ich sehe sie schon, sie warten auf mich.«

»Wer sind sie?«

»Die beiden jungen schönen Frauen. Die Zwillinge. Sie lächeln, aber sie sind gefährlich. Sie kommen, sie lieben sich, sie sind immer zusammen, ja, das sind sie und ...«

Harry hörte keine Worte mehr. Dafür vernahm er den hellen Schrei. Er sah, wie Dagmar ihre normalen Augen erschreckt aufriss, aber das interessierte ihn nicht mehr.

Das dritte Auge war wichtiger. Es strahlte viel intensiver. Harry konnte sich gegen die Strahlung nicht wehren. Er wurde nicht nur von ihr angezogen, sondern auch hingezerrt. Er sah das Innere, das nicht leer, sondern von einer anderen Welt erfüllt war, und es kam ihm vor wie eine Kinoleinwand, die sich von Sekunde zu Sekunde vergrößerte und ihn hineinzog in eine andere Welt.

Er saß auf dem Bett. Aber er fühlte sich nicht mehr so. Er war hineingezerrt worden in eine längst vergangene Zeit. Tief steckte er in der Vergangenheit, die sein gesamtes Sinnen, Fühlen und Trachten ausfüllte.

Und das Auge weitete sich noch weiter. Immer größer wurde es, um die Landschaft freizulegen, die es mal vor langer, langer Zeit gegeben hatte ...

Es war Nacht!

Aber es war nicht dunkel, denn am Himmel stand ein voller und sehr bleicher Mond, der sein Licht über die Landschaft verstreute und ihr dabei eine ungewöhnliche Färbung gab.

So wurde die Dunkelheit der Nacht durch einen bläulichen Schein aufgelockert, der sich auch am Himmel verteilte, auf dem die Wolken lange Bahnen zeigten, als wären Wattesocken von zwei Seiten her in die Länge gezogen worden.

Ein blauer Himmel, ein blaues Land, das im ersten Augenblick so leer aussah.

Das jedoch erwies sich als Täuschung. Harry erlebte ein weiteres Phänomen. Er hatte den Eindruck, eine Kamerafahrt zu begleiten, deren Objektiv immer mehr Einzelheiten aus der Landschaft hervorholte. Sie sah einsam und öde aus. Karstig und leer. Felsig, aber sie war nicht unheimlich. Sie sah aus wie eine Strandlandschaft, und das blaue Licht verteilte sich im Hintergrund auf eine Fläche, die sich leicht bewegte und durchaus ein großer See oder ein Meer hätte sein können.

Zwischen den Felsen gab es Häuser. Bauten mit halbrunden Dächern, mit Fenstern wie öde Augen. Niemand verließ die alten Bauten, die still und starr im bläulichen Licht des Mondes lagen, und doch war das Land nicht tot.

Ein gewaltiges Fenster erschien. Nein, es hatte nichts mit einem normalen Fenster gemein. Es war eine große runde Öffnung in einer der Hauswände. Wer durch sie schaute, besaß den Überblick über die halbrunden Dächer hinweg bis hin zum Wasser, wo ein leichter Wind über die Oberfläche strich und dafür sorgte, dass sie ein Muster aus Wellen erhielt.

Die gewaltige Fensterrundung reichte bis dicht an den Boden heran, wo sie eine halbmondförmige Grenze bildete, bei der das Gestein nicht größer oder höher war als ein normaler Sims. Er nahm keine Sicht nach draußen in die Weite der Landschaft hinein.

Genau dort hockten die beiden jungen Frauen auf dem Boden. Eine kniete und hatte die Hände in den Schoß gelegt. Die andere Person hielt sich hinter ihr auf, und sie hatte ihre Hände über die Schultern der ersten gelegt.

Die Frauen glichen sich aufs Haar. Es gab beim ersten Hinschauen keinen Unterschied zwischen ihnen. Beide besaßen das dunkle Haar, das auf den Köpfen glatt nach hinten gekämmt war. Im Nacken hatten sie es dann zu Zöpfen zusammengeflochten, deren Enden bis auf die Rücken reichten. Um die Hälse herum trugen sie dunkle Bänder, aber ihre Oberkörper lagen völlig frei, kein Kleidungsstück bedeckte sie. Allerdings waren sie auch nicht nackt, denn um ihre Hüften herum schlangen sich enge Röcke, die bis zu den Knöcheln reichten. Ihre Arme waren mit langen Stulpenhandschuhen bedeckt. Sie reichten hoch bis zu den Ellenbogen, ließen aber die Finger frei.

Beide Frauen hielten die Augen geschlossen. Sie hockten zusammen wie festgeleimt und demonstrierten, dass Zwillinge sehr gut zusammenhalten können. Sie gehörten zusammen, denn in dieser Haltung bildeten sie schon eine Einheit.

Junge, beinahe unverbrauchte Gesichter. So glatt und fein, ohne Falten in der Haut. Fast perfekt. Eine Mischung zwischen Jugend und dem Erwachsensein. Nicht älter als 20 Jahre und wie Träumerinnen wirkend, denn beide hielten die Augen geschlossen.

Sie saßen still. Sie hätten auch durch das große runde Fenster weit hinein in die Landschaft schauen können, was sie jedoch nicht taten, denn sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie genossen es einfach, zusammen zu sein, und sie drängten sich so dicht an sich, als wollte die eine der anderen Schutz geben.

Zwillinge, wie sie perfekter nicht aussehen und wie sie sich auch nicht harmonischer hätten verhalten können. Sie gehörten zusammen und bewiesen durch ihre Haltung, dass sie zu einer Einheit verschmolzen waren und sich durch nichts trennen lassen würden.

Es sah so aus, als sollten sie für alle Ewigkeiten hier zusammensitzen und nie mehr getrennt werden. Aber das täuschte. Die Zwillinge waren nicht tot. Sie lebten. Sie hatten sich nur dieser Ruhe hingegeben, um sich auf sich selbst zu konzentrieren.

Die hintere junge Frau bewegte sich zuerst. Sie richtete sich ein wenig auf, um über den Kopf ihrer Schwester hinwegschauen zu können. Auch jetzt interessierte sie nicht der Ausblick in die Landschaft, die Schwester war wichtiger, denn ihr musste etwas Gutes getan werden.

Die Hände bewegten sich auf der Schulter. Seidenweich glitten sie über die Haut hinweg, streichelten und liebkosten mit den Fingerspitzen.

»Gefällt es dir?« Die Frage war nur ein Flüstern, ein Hauch.

»Das weißt du doch, Isa.«

»Es musste wieder sein, Schwester Irene.«

»Wir gehören zusammen.«

»Stimmt.«

»Nichts kann uns trennen.«

»Nein, Irene, nichts.«

»Und Mutter?«