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Father Ignatius, Chef der Weißen Macht, erlebte als Erster den Angriff aus einer anderen Zeit. Das Diesseits verschwand, und die Düsternis der Hölle entstand. Zugleich quälte mich ein Albtraum, der mich bis in die Tiefen meiner Seele erschütterte. Dass der Traum etwas zu bedeuten hatte, erfuhr ich wenig später, als mich Father Ignatius in seiner Verzweiflung anrief und um Hilfe bat. Denn er hatte genau die Welt erlebt, die ich in meinem Traum gesehen hatte. So führte uns das Schicksal wieder einmal zusammen. Leider gelenkt von einer urbösen und schrecklichen Kreatur der Finsternis, deren Existenz ich schon längst vergessen hatte ...
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Zwischen Diesseits und Jenseits
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Zwischen Diesseits und Jenseits
von Jason Dark
Father Ignatius, Chef der Weißen Macht, erlebte als Erster den Angriff aus einer anderen Zeit. Das Diesseits verschwand, und die Düsternis der Hölle entstand.
Zugleich quälte mich ein Albtraum, der mich bis in die Tiefen meiner Seele erschütterte. Dass der Traum etwas zu bedeuten hatte, erfuhr ich wenig später, als mich Father Ignatius in seiner Verzweiflung anrief und um Hilfe bat. Denn er hatte genau die Welt erlebt, die ich in meinem Traum gesehen hatte.
So führte uns das Schicksal wieder einmal zusammen. Leider gelenkt von einer urbösen und schrecklichen Kreatur der Finsternis, deren Existenz ich schon längst vergessen hatte ...
Schritte!
Draußen im Gang vor der Tür. Schnell und fordernd. Dort lief jemand, der es eilig hatte oder von einem Gefühl getrieben wurde, das nicht gut sein konnte.
Father Ignatius horchte auf. Und er schaute auch von seinem Buch hoch, in dem er gelesen hatte und über dessen Seiten das warme Licht der Schreibtischleuchte fiel.
Ignatius spürte, dass er mit diesen Schritten etwas zu tun bekommen würde. Und er ahnte auch, dass es kein Fremder war, der sich der Tür des Arbeitszimmers näherte. In diesem Haus lebten nur Menschen, die zu ihm und der Weißen Macht gehörten.
Er klappte das Buch zu. Seine Haltung hinter dem Schreibtisch verlor die Entspannung. Er richtete seine Blicke auf die Tür und wartete darauf, dass sie aufgestoßen wurde.
Es passierte noch nichts. Zunächst bekam er mit, dass die Schritte vor der Tür verstummten, dann schlug jemand von außen gegen das Holz, und Ignatius spürte jetzt die Spannung in sich. Er legte seine Hände auf die Stuhllehnen und war bereit, sich abzustemmen, was er nicht mehr brauchte, denn die Tür wurde von außen geöffnet.
Nicht schnell oder ruckartig. Sie schob sich langsam nach innen, und es erschien auch eine Gestalt, die über die Schwelle hinweg taumelte. Es war Pasquale, einer der Männer, die für die Weiße Macht arbeiteten und Nachrichten aus aller Welt auswerteten.
Man konnte die Weiße Macht als den Geheimdienst des Vatikans ansehen. Hier hatten sich Männer zusammengefunden, deren Interessen allein darauf gezielt waren, Unheil von der Kirche abzuhalten. Offiziell gab es sie nicht, denn sie arbeiteten mehr im Geheimen, aber sie waren stets präsent und hielten die Augen offen.
Pasquale, ein Mann um die 40, übertrat die Schwelle. Er ging nicht normal, das sah Ignatius schon bei den ersten Schritten. Er war erschöpft, atmete pfeifend und zog beim Gehen das linke Bein nach, als hätte er sich dort etwas verdreht.
Hustend kam er auf den Schreibtisch zu, hinter dem sich Ignatius erhoben hatte.
»Gütiger Himmel, Pasquale, was ist mit dir?«
Der Ankömmling gab keine Antwort. Es sah aus, als könnte er nicht reden. Er bewegte sich weiter, und es blieb beim Nachziehen des linken Beins. Ignatius konnte Pasquales Gesicht nicht so gut erkennen. Er glaubte allerdings, dass sich dort der Schrecken abmalte und besonders in den Augen zu sehen war.
Er saß längst nicht mehr hinter seinem Schreibtisch, war aufgestanden und ging ihm entgegen. Pasquale atmete keuchend. Er war schwach und ließ alles mit sich geschehen.
Ignatius führte ihn zu einer schweren Sitzgruppe aus dunklem Leder. Sie stand im Hintergrund des großen Arbeitszimmers, in dem auch die Regale mit den Büchern auffielen. Das Licht einer Stehlampe breitete sich aus, als Ignatius den Mann in einen Sessel drückte und mit leisen Worten beruhigend auf ihn einsprach.
Ungewöhnliche Vorgänge erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Ignatius besaß immer etwas, was einem Menschen in einer derartigen Lage gut tat. Eine Medizin, die er in einem Schrank versteckt hielt und jetzt hervorholte.
Es war eine mit bestem Grappa gefüllte Flasche. Zwei Gläser holte er ebenfalls hervor, weil er sicher war, dass auch er einen Schluck brauchen würde.
Pasquale saß im Sessel und atmete heftig. Er hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen wie jemand, der sich schämt, und aus seinem Mund drang kein Wort der Erklärung.
Ignatius kippte die Gläser im Stehen halb voll. Sie sahen aus wie kleine Wassergläser, waren aber dicker. Das Gluckern der Flüssigkeit in die Gläser hinein schien für Pasquale ein Zeichen zu sein, denn er ließ die Hände sinken und schaute Ignatius an.
»Trink erst mal.«
»Si, danke.«
Pasquale zitterte. Ignatius musste ihm das Glas schon zwischen beide Hände drücken, damit er es festhielt und nichts verschüttete. Dabei streifte sein Blick auch über das Gesicht des Mannes, auf dem eine Schweißschicht lag. Deutlich sah er in den Augen das Gefühl der Angst, aber Ignatius stellte noch keine Frage.
Pasquale führte das Glas zum Mund. Es stieß mit dem Rand an die Unterlippe. Er trank noch nicht, sondern atmete zunächst scharf durch die Nase ein, als wollte er das Aroma des Trester-Schnaps in sich aufnehmen.
»Trink, Bruder, es wird dir gut tun.« Auch Ignatius griff nach seinem Glas und hob es an.
Er trank nur wenig, aber Pasquale kippte den Schnaps bis auf einen geringen Rest in die Kehle. Ignatius schaute genau hin, und er war jetzt froh, das Licht eingeschaltet zu haben, denn so konnte er auch die linke Halsseite des Mannes sehen, und er entdeckte dort den langen dunklen Streifen, der sich feucht und glänzend nach unten zog und aussah, als hätte man ihn auf die Haut gepinselt.
Das war kein Teer. Es bestand auch nicht aus einer anderen dunklen Flüssigkeit. Ignatius musste kein zweites Mal hinschauen, um zu wissen, dass er von einer Verletzung stammte, die dem Mann am Hals beigebracht worden war.
Eine Wunde. Klaffend, auch blutend, wobei ein Teil des Blutes bereits getrocknet war.
Father Ignatius gefiel diese Wunde gar nicht. Sie ließ auf etwas Bestimmtes schließen, über das er allerdings nicht sprach, denn er wollte, dass Pasquale redete.
Ignatius nahm ihm das fast leere Glas aus der Hand und fragte: »Soll ich nachschenken?«
»Nein ... nein ... nicht.«
»Gut.«
Er wollte nicht stehen bleiben und nahm in einem zweiten Sessel Platz, nachdem er ihn in die Nähe des Mannes geschoben hatte. Pasquale sagte noch nichts. Er atmete noch immer heftig. Das Gesicht war auch jetzt leicht verzerrt, und Ignatius hatte das Gefühl, dass sich der Mitbruder auch jetzt nicht in Sicherheit fühlte.
Auf der Hut sein mussten sie immer. Die Weiße Macht war nicht nur ein Dienst, der nach Feinden suchte, nein, auch sie wurden von Feinden aufgespürt, und es waren oft Mächte, die mit den normalen Regeln nicht zu erklären waren. Father Ignatius hatte oft genug gegen die Mächte der Finsternis kämpfen müssen, früher im Kloster St. Patrick im schottischen Hochland und seit einigen Jahren als Chef des Geheimdienstes der Weißen Macht.
Er blieb ruhig, auch wenn es in seinem Innern anders aussah. Und er ahnte, dass diese Nacht für ihn noch nicht beendet war und einen anderen Verlauf nehmen würde, als er es sich vorgestellt hatte.
»Draußen, Bruder Ignatius, draußen ...«, krächzte Pasquale.
»Ja, was ist dort?«
Pasquale dachte nach. Er stöhnte auf und deutete ein Kopfschütteln an.
»Draußen im Garten. Ich bin angegriffen worden. Sie haben sich versteckt gehalten, aber plötzlich waren sie da. Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen. Dann ...«
»Bitte, Pasquale, ich unterbreche dich nur ungern. Aber wer ist dort gewesen?«
Der Blick des Mannes erhielt einen glänzenden Ausdruck.
»Die Vögel«, flüsterte er. »Die riesigen Vögel sind gort gewesen. Sie lauerten zwischen den Bäumen, und dann griffen sie mich an ...«
Ignatius war skeptisch, und das verriet auch sein Gesichtsausdruck.
»Waren es tatsächlich Vögel?«
»Wenn ich es dir sage.«
»Beschreibe sie mir.«
»Es war dunkel.«
»Versuch es trotzdem.«
»Sie ... sie waren so groß, Ignatius. Wahnsinnig groß. Mit riesigen Schwingen. Solche Vögel gibt es eigentlich nicht. Ich habe sie vorher noch nie gesehen, aber sie griffen mich an. Sie fielen einfach über mich her. Es war wirklich der reine Wahnsinn.«
»Sie haben dich am Hals erwischt.«
»Genau.«
Ignatius nickte. »Hackten sie mit den Schnäbeln nach dir?«
Pasquale überlegte. Er blickte Ignatius dabei starr an und schüttelte plötzlich den Kopf.
»Nein, nein, das waren keine Schnäbel, glaube ich wenigstens.«
Ignatius blieb sehr ruhig, auch wenn ihn ein bestimmter Verdacht beunruhigte. Er stand auf und beugte sich über Pasquale hinweg, als wollte er ihn umarmen.
»Was ist?«
»Ich möchte mir mal deine Wunde anschauen.«
»Ja, bitte.«
Es war hell genug. So brauchte Ignatius erst keine Taschenlampe zu holen. Er bat seinen Mitbruder den Kopf nach rechts zu legen, damit sich die Haut auf der linken Seite straffte und keine Falten mehr warf. So bekam Ignatius einen besseren Blick. Trotz des Blutes sah er, dass die Wunde nicht von einem Schnabelhieb stammte, denn sie bestand aus zwei Einstichen. Sie lagen nebeneinander, als hätte jemand Messerspitzen zuerst in den Hals getrieben und sie dann nach unten gezogen, denn da hing die Haut wie zwei dünne Lappen herab.
Ignatius zog sich wieder zurück. Diesmal setzte er sich auf die Kante des Sessels.
»Kannst du mir noch mal genau beschreiben, wer dich da angegriffen hat?«
»Ja, das kann ich.«
»Schön, ich höre zu.«
»Große Vögel. Es sind große Vögel gewesen.«
Ignatius räusperte sich. »Glaubst du wirklich, dass es Vögel waren, mein Freund?«
»Ja – wer ... wer ... sonst?«
»Beschreibe sie mir genau.« Ignatius wollte auf Nummer sicher gehen und seinen Verdacht erhärtet haben. Er erkundigte sich genau nach der Form der Schwingen. Pasquale gab sich Mühe. Er beschrieb das, was ihm in Erinnerung geblieben war. Viele Details fielen ihm nicht mehr ein, aber Father Ignatius wusste auch so, wen sein Mitbruder draußen gesehen hatte.
»Schon gut«, flüsterte er, richtete sich auf und blieb für einen Moment nachdenklich stehen. Dann drehte er sich um. Ohne ein Wort zu sagen, ging er auf eines der großen Fenster zu und zog dort den Vorhang zur Seite.
Er schaute hinaus in den dunklen Park, blickte auch zum Himmel, der eine ungewöhnliche Farbe bekommen hatte. Es war nicht unbedingt dunkel und auch nicht hell. An ihm zeichnete sich durch das Licht des Mondes ein ungewöhnliches Grau ab, das von den hellen Streifen zittriger Wolken durchdrungen wurde.
Bewegungen sah er nicht. Abgesehen von den Lichtern eines Flugzeuges, das in den Himmel stieg und der Ewigen Stadt den Rücken kehrte. Sein Gesicht war hart. In seinem Kopf formte sich allmählich ein Ergebnis. Er glaubte zu wissen, wen oder was Bruder Pasquale gesehen hatte.
Es waren Vampire!
Große Fledermäuse, wie man sie in der Natur nicht findet. Fliegende Rochen auf der Suche nach Blut, und aus diesem Grunde war Pasquale auch angegriffen worden.
Er hatte Glück gehabt. Er hatte sich noch retten können. Er war nicht in den Tunnel der ewigen Dunkelheit hineingezogen worden und war auch kein Vampir.
»Warum sagst du nichts?«, fragte Pasquale leise.
Ignatius drehte sich wieder um. Er sprach auch jetzt nicht. Erst als er den Sessel erreicht hatte, nickte er Pasquale zu. »Kann es sein, dass du keine Vögel, sondern Fledermäuse gesehen hast?«
Dem Mann blieb fast der Mund offen. »Fledermäuse?«, hauchte er. »Nein, das ist ...«
»Ja, Fledermäuse. Riesige Fledermäuse. Nicht zu vergleichen mit den normalen.«
Pasquale konnte nicht mehr reden. Er musste nachdenken und war sehr nervös. Er strich über sein Gesicht, schluckte ein paar Mal und hob die Schultern.
»Kannst du dich nicht an die Angreifer erinnern?«
»Doch. Aber es ging so schnell. Sie haben im Dunkeln gelauert und sind plötzlich bei mir gewesen. Ich weiß auch nicht, wie das möglich gewesen ist. Das war ein verdammter Überfall. Ich habe nichts mehr tun können ...«
»Ja, das stimmt. Es geht oft sehr schnell. Und wie hast du es geschafft, ihnen zu entkommen?«
»Ich schlug um mich. Ich habe mich gewehrt. Ich habe nichts an mich herankommen lassen und bin geflüchtet.« Er sprach mit stockender Stimme und legte immer wieder Pausen ein. »Aber dann sind sie plötzlich bei mir gewesen. Sie haben sich an mir festgeklammert. Sie hakten und bissen sich in meiner Kleidung und in meiner Haut fest. Das ist alles so schrecklich gewesen. Ich wundere mich jetzt noch, dass ich überhaupt hier sitze. Unterwegs bin ich umgeknickt. Da dachte ich schon, dass es vorbei wäre, aber das war es nicht. Ich kam ins Haus und konnte noch zu dir laufen. Aber ich habe mich nicht getäuscht, denn es hat sie gegeben. Das musst du mir glauben.«
»Natürlich glaube ich dir.«
Zum ersten Mal huschte über das Gesicht des Mannes ein Ausdruck der Erleichterung. Aber er dachte sofort einen Schritt weiter und fragte: »Was willst du als Nächstes tun?«
»Erst mal solltest du dich hinlegen. Ich kann dir auch deine Wunde verarzten und ...«
»Nein, das kann ich selbst. Ich werde in mein Zimmer gehen und mich duschen. Dabei wasche ich mir auch die Wunde aus. Es ist nur alles so schlimm geworden. Das passt nicht in die Zeit hinein. So etwas kann es nicht geben.«
Ignatius lächelte. »Macht dir darum keine Sorgen. Wenn du möchtest, trinke noch einen Grappa. Ansonsten versuche wenigstens, die Angriffe zu vergessen.«
»Das kann ich nicht«, flüsterte Pasquale.
»Bitte.«
Der Mann hatte die Aufforderung verstanden. Mit müden Bewegungen erhob er sich. Er schwankte leicht beim Laufen, flüsterte etwas von Fledermäusen vor sich hin und wurde von Ignatius bis zur Tür begleitet. Er öffnete sie ihm und ließ Pasquale aus seinem großen Arbeitszimmer gehen.
Im Gesicht des Chefs der Weißen Macht bewegte sich kein Muskel, als er wieder zurück zu seinem Schreibtisch ging und sich dort niederließ. Er schaute auf das Telefon, ohne es richtig zu sehen. Durch seinen Kopf wirbelten die Gedanken.
Das war ein Angriff gewesen. Eine Attacke der Fledermäuse, der mächtigen Vampire, die scharf auf das Blut eines Menschen waren. Durch seine Adern rann eine gewisse Kälte, und er spürte, dass sein Herz stärker klopfte.
Nicht vor Angst, sondern vor Besorgnis. Und er war der Mann, der dagegen etwas unternehmen musste. Father Ignatius kannte sich sehr gut in der Materie aus. Es gab die normale Welt, und es gab die der Verdammten. Letztere hatte es wieder mal geschafft, bestimmte Zeichen zu setzen, die er nicht unbeantwortet hinnehmen konnte.
Er war nicht nur der Chef der Weißen Macht, er war in seiner Jugend und später im Kloster St. Patrick auch ein begnadeter Schmied gewesen. Und er war der Mann, der für seinen englischen Freund John Sinclair die geweihten Silberkugeln herstellte, mit denen der Geisterjäger gegen die Mächte der Finsternis ankämpfte.
Nicht nur für ihn stellte er die Kugeln her, auch für Sinclairs Freunde. Dabei ließ er sich selbst nicht aus.
Ignatius drehte sich zur Seite, bevor er sich bückte und eine Lade des Schreibtisches aufzog. Er brauchte nicht hinzuschauen, als er hineingriff und die mit ebenfalls geweihten Silberkugeln geladene Beretta nahm.
Er schob die Waffe an der linken Seite in seinen Gürtel hinein und stand auf.
Er wollte nach draußen gehen, um sich davon zu überzeugen, dass die fliegenden Monster verschwunden waren.
Wenn nicht ... Er lächelte und klopfte dabei auf seine Beretta ...
Das Haus der Weißen Macht lag außerhalb des Vatikans. So war den Mitgliedern des Geheimdienstes jede Bewegungsmöglichkeit erlaubt. Sie brauchten keine Wachen zu passieren und mussten sich auch keine Fragen gefallen lassen.
Man konnte die Unterkunft als eine große Villa ansehen, auf deren Dach Antennen blitzten. Analog dazu gab es in Alet-les-Bains das Hauptquartier der Templer, aber dieser Standort war wesentlich größer und von einem ebenfalls großen Park umgeben, durch den sich einige helle mit Kies bestreute Wege zogen. In der Dunkelheit sahen sie aus wie Adern, daran dachte Father Ignatius, als er auf der obersten Treppenstufe stehen blieb und seinen Blick durch den Park wandern ließ.
Er war recht dicht bewachsen. Die Palmen, Zypressen und auch die vereinzelten Olivenbäume spendeten im Sommer wunderbaren Schatten, doch jetzt, in der Dunkelheit, sorgten sie auch dafür, dass Ignatius nichts mehr sah.
Alles zerfloss im Dunkeln, und nur er malte sich als einsame Gestalt im gelben Licht der Außenleuchte ab. Er hatte sich bewusst an diese Stelle gestellt. Sollten die fliegenden Monster noch in der Nähe sein, mussten sie ihn einfach entdecken.
Sie waren nicht mehr da. Auch als Ignatius zum Himmel schaute, sah er keine Bewegung. Sie hielten sich entweder versteckt oder hatten sich ganz aus dieser Umgebung zurückgezogen.
So zumindest sah es beim ersten Hinschauen aus. Genau daran wollte Ignatius nicht glauben. Wenn diese fliegenden Vampire mal Blut geleckt hatten, dann gaben sie so leicht nicht auf.
Er warf noch einen letzten Blick zum Himmel, auf dem sich helle Inseln zwischen das dunkle Grau der Wolken gestohlen hatten. Hinter ihnen lag dieses fahle Licht, das dem Schauenden einen Gruß zuschickte.
Er ging die breiten Stufen der Treppe hinab. Father Ignatius zählte nicht mehr zu den jüngsten Menschen. Dennoch bewegte er sich locker und gelassen, blieb am Beginn der Treppe stehen und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte.
Egal, ob er nun nach links oder nach rechts ging, er würde immer in der Tiefe des Parks landen und dort zwischen den Bäumen untertauchen können.
Er ging nach rechts.
Der Weg war mit hellem Kies bestreut. Unter Ignatius' Füßen knirschten die kleinen Steine.
Ignatius hatte sich zu einem Rundgang entschlossen. Und er wollte dabei auf dem Hauptweg bleiben, da er dort für einen Beobachter das bessere Ziel bot.
Es war die Nacht der Stille. Der Wind hatte sich zurückgezogen. Er bewegte keine Blätter, er sorgte für kein Rauschen, und unter den Bäumen drückte die Stille der Nacht besonders intensiv.
Ignatius brauchte noch keine Brille. Er konnte sehen wie ein junger Mann. Aber die Dunkelheit setzte ihm schon Grenzen. Zu dicht waren die schwarzen Schatten zwischen den Bäumen. Sie schienen aus den Rasenflächen zu kriechen, die schon ein sattes Grün bekommen hatten, aber jetzt aussahen wie mit Teer übergossen.
Er ging wie ein Späher. Er achtete auf die Geräusche, die so gut wie nicht mehr vorhanden waren. Ignatius wusste auch, wohin ihn dieser Weg führte. Er endete dort, wo das kleine Gartenhaus stand, das einem Tempel nachgebaut worden war und dessen Dach von Säulen gehalten wurde.
Es war ein Ort der Stille und der Muße. Besonders an schönen Tagen wurde das Haus genutzt. Für Gespräche und Verhandlungen war es ideal, aber auch als Rückzugsmöglichkeit.
Und es lag recht frei. Die nächsten Bäume umstanden es in einem bestimmten Abstand, und sie bildeten beinahe einen geschlossenen Kreis.
Kein Rauschen in der Luft. Keine Schatten, die über Ignatius hinweghuschten. Es blieb alles friedlich und ruhig. Ein anderer hätte vielleicht den Rückzug angetreten, nicht jedoch Ignatius, denn er bezweifelte, dass Pasquale sich die Verletzungen selbst beigebracht hatte. Zu so etwas wäre er nicht fähig gewesen, da kannte Ignatius ihn gut genug.
Es sah bereits das Ende des Weges und das Schimmern des Kieses auf der kleinen Lichtung vor dem Haus. Auch dort war alles still. Zwei einsame Laternen standen in der Nähe, aber sie gaben kein Licht ab. Das war nur im Sommer der Fall, wenn die Menschen sich im Gartenhaus aufhielten.
Er ging jetzt vorsichtiger weiter. Die Beretta mit den geweihten Silberkugeln steckte nicht mehr in seinem Hosenbund. Er hatte sie in die Hand genommen und hielt sie an der rechten Seite gegen seinen Körper gedrückt.
Auf dem Weg zum Pavillon hätten die Fledermäuse die beste Angriffsmöglichkeit gehabt. Aber sie hielten sich zurück. Der Garten war wie immer. Leer und still.
Beim Laufen drehte sich Ignatius immer wieder zur Seite. Er schaute auch in die Höhe, aber der Himmel blieb ebenfalls still. Von keiner Stelle her bekam er ein Zeichen.
Ignatius musste noch drei Schritte gehen, um das Gartenhaus zu erreichen. An einer Stelle konnte er es betreten. Ansonsten waren die Säulen durch eine hüfthohe Mauer verbunden.
Vier schmale Stühle aus Metall, ein runder Tisch, so sah die Einrichtung des offenen Pavillons aus. Es musste noch gefegt werden, denn der Wind hatte ein paar Blätter hineingeweht.
Father Ignatius überlegte, ob er stehen bleiben oder sich setzen sollte. Letzteres war bequemer, und so nahm er auf einem der Stühle Platz.
Er genoss die Stille. Sie hatte die Geräusche und die Last der normalen Welt vertrieben. So war es immer, wenn er sich in das Gartenhaus zurückzog.
In dieser Nacht allerdings wollte der Genuss nicht so recht aufkommen. Einiges hatte sich verändert. Er konnte es sich einbilden, wollte daran jedoch nicht glauben.
Die Hand mit der Waffe hatte er auf den Tisch gelegt. Nach allen Seiten hin war der Pavillon frei. Ein Angreifer hatte es demnach immer leicht, und darauf stellte sich Ignatius ein. Er rechnete durchaus mit einem Überfall. Wenn sie ihn entdeckt hatten, dann wussten sie auch, wo er sich befand.
In den nächsten Minuten störte nichts die nächtliche Stille. Ignatius wurde allmählich nervös. Normalerweise war er sehr geduldig, aber hier bekam er Probleme. Sich von Feinden umgeben zu fühlen und sie nicht zu sehen, das zerrte schon an seinen Nerven.
Er setzte sich selbst eine Frist. Wenn in fünf Minuten nichts passiert war, würde er den Pavillon verlassen und auf einem anderen Weg wieder zurück zum Haupthaus gehen.
Die Nacht war ruhig und steckte trotzdem voller Botschaften. Er merkte es, als er mit der Stille eins geworden war. Irgendwo passierte immer etwas. Er hörte es rascheln, hin und wieder einen verhaltenen Tierlaut.
Das beunruhigte ihn nicht, denn der Garten wurde gern von Katzen benutzt, die ihn besonders in der Nacht in Beschlag nahmen und manchmal untereinander Kämpfe austrugen.
Ein Blick auf die Uhr!
Drei Minuten der Zeit waren bereits verstrichen, und noch immer hatte sich nichts getan.
Er schaute nach draußen, beobachtete den mit Kies bestreuten Boden – und sah plötzlich den Schatten oder die Bewegung, die über ihn hinweghuschte. Sofort war er wieder voll da.
Das war nicht normal. Es gab keinen Wind, der etwas hätte bewegen können. Diesen Schatten hatte er sich auch nicht eingebildet, er war von oben her auf den Boden gefallen, weil jemand durch die Luft segelte.
Ignatius stand auf!
Er schaute noch mal hin, aber zu sehen war nichts. Kein Schatten mehr. Der Boden schien ihn aufgesaugt zu haben, und er merkte, wie sein Blut schneller durch die Adern floss.
Mit einem Schritt hatte er eine der Säulen erreicht und blieb vor ihr stehen. Er schaute an ihr vorbei auf die Lichtung, aber auch jetzt ließ sich der Schatten dort nicht blicken.
Täuschung?
Nein, denn er sah ihn wieder. Diesmal hatte er damit gerechnet und konnte seine Bewegungen besser verfolgen. Er flog auf ein bestimmtes Ziel zu, und dabei war der Schatten auch stärker geworden, weil er sich mehr dem Boden genähert hatte, aber dort nicht landete.
Ignatius war alarmiert. Zunächst blieb er an der Säule stehen und wartete die nächsten Sekunden ab.
Wieder tropfte die Zeit dahin, ohne dass etwas geschah. Genau das wollte Ignatius nicht gelten lassen. Einen wie ihn führte man nicht an der Nase herum.
Entweder war der Schatten in einer der Baumkronen gelandet oder er hatte sich seinen Platz auf dem Dach des Pavillons ausgesucht.
Er ging von beiden Möglichkeiten aus, als er sich auf den Weg machte.
Ein langer Schritt brachte ihn vom Pavillon weg. Er stand auf dem Kies, drehte sich um die eigene Achse und schaute dabei in die Höhe.
In den Bäumen sah er nichts, aber auf dem Dach des Pavillons nahm er eine Veränderung wahr. Sie wirkte wie ein Buckel, der sich plötzlich bewegte und in die Höhe schwang.
Für einen Moment sah er recht klein aus. Dann aber streckte er die Schwingen zu den Seiten hin weg, und Father Ignatius wusste nun, dass sich Bruder Pasquale nicht getäuscht hatte.
Aus dem Schatten war tatsächlich eine gewaltige Fledermaus geworden!
Er hatte sich darauf einstellen können. Aber es war schon etwas anderes, sie so plötzlich vor sich zu sehen. Sie wirkte tatsächlich wie ein Rochen, der sein Reich unter Wasser verloren hatte, um in den Himmel zu steigen.
Für ihn war er ein mächtiges Untier, das sich durch die Luft schwang und nach einem Ziel suchte. Zwischen den mächtigen Schwingen entdeckte er den recht kleinen Kopf mit Augen, die in einem tiefen Rot glühten.