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Ein grausamer Mord, eine skrupellose Sekte und ein verzweifelter Kampf ums Überleben - der nächste John-Sinclair-Fall lässt keinen Atemzug Ruhe! Während John und Suko den verstörenden Hilferuf eines Mannes untersuchen, gerät ein Junge in Schottland ins Visier einer satanischen Bruderschaft. Nur dank Carlotta, dem geheimnisvollen Vogelmädchen, hat er eine Chance. Doch die dunklen Jäger sind unerbittlich ...
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Die böse Brut
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Die böse Brut
von Jason Dark
Der Hilferuf eines Mannes führte Suko und mich auf eine kleine Insel. Wir fanden den Anrufer, doch er konnte nicht mehr mit uns reden. Jemand hatte ihn geköpft.
Zur selben Zeit wurde in Schottland ein Junge von vier Männern einer Sekte gejagt, die sich dem Satan verschrieben hatte. Allein wäre der Junge nicht entkommen, doch er fand eine Helferin. Carlotta, das Vogelmädchen, brachte den Jungen zunächst in Sicherheit. Aber die vier Jäger gaben nicht auf. Sie suchten den Jungen, und dann konnte die böse Brut endlich zuschlagen ...
Der sanfte Wind trieb uns den Geruch von altem Wasser entgegen. Irgendwo in der Dunkelheit versteckt quakten Frösche, und unzählige Stechmücken umsummten unsere Köpfe. Der glitzernde Schein eines fast vollen Mondes malte Figuren auf das Wasser. Sie wurden von den Wellen so schnell wieder zerstört, wie sie entstanden waren.
Eine natürliche Mauer aus Schilf und Buschwerk bedeckte die beiden Uferseiten des Kanals, der zudem ein toter Seitenarm der Themse war und weiter vorn ins Nichts verlief, wo das Wasser dann versickerte, verschwand und der Morast begann.
Es war nicht kühl, sondern recht schwül. Die Luft drückte, und das gefiel mir gar nicht.
Ich fluchte einige Male.
»Sei ruhig, John, und rudere weiter! Du hast das Treffen schließlich gewollt.«
»Es ist trotzdem Mist.«
»Wir können es nicht ändern. Denk an das Treffen.«
Da hatte mein Freund und Kollege Suko recht. Wir wollten einen Mann treffen, den wir nicht kannten, und das noch mitten in der Nacht. Er hatte vor knapp zwei Stunden angerufen, und der Klang seiner Stimme hatte mich aufmerksam werden lassen. Die Angst war zum Greifen nahe gewesen. Sie klingelte jetzt noch in meinen Ohren nach. Ich wusste, dass der Mann kein Spinner war, und deshalb hatte ich mich zusammen mit Suko auf den Weg gemacht.
Natürlich hatte ich wissen wollen, worum es ging. Da hatte er nicht so recht mit der Sprache herausgerückt. Seine Antworten waren allgemein gehalten worden. Er hatte von einer Verfolgung gesprochen und von Dingen, die ihn belasteten.
Die Begriffe »Hölle« und »Satan« waren ebenfalls gefallen, und bei so etwas wurde ich eben misstrauisch. Ich hatte auch Suko davon überzeugen können, mich zu begleiten, aber der Treffpunkt konnte uns beiden beim besten Willen nicht gefallen.
Es war eine kleine Insel inmitten dieses toten Flussarms. Dort hatte sich unser Informant verkrochen.
Die Insel sahen wir noch nicht. Stattdessen ruderten wir und wechselten uns dabei ab. Suko war den ersten Teil der Strecke gerudert und hatte mir den zweiten überlassen.
Es machte keinen Spaß. Der alte Kahn war unbeweglich, zu schwer und zu träge. Es konnte allerdings auch sein, dass meine Ruderei daran die Schuld trug, denn zu den perfekten Ruderern konnte ich mich nicht zählen.
Die Geräusche blieben gleich. Es war vor allen Dingen das Eintauchen der Ruderblätter und das Quaken der Frösche, was uns begleitete. Ich war nicht der perfekte Steuermann, immer wieder spritzte das Wasser in die Höhe und benetzte uns.
Wir hatten schon über die ungewöhnliche Atmosphäre gesprochen, die uns umgab. Hier trafen das Wasser und die schwüle Luft zusammen. An der Schnittstelle hatten sich Dunstschwaden gebildet, die wie feine Tücher auf dem dunklen Wasser lagen.
Wir waren allein unterwegs. Abgesehen von Mücken und sonstigem Getier. Menschen hielten sich nicht in unserer Nähe auf. Es gab keine Hausboote und auch keine kleineren Wasserfahrzeuge, die an den Ufern festlagen.
Ich ruderte. Der Bug befand sich hinter meinem Rücken. Vor mir am Heck hatte Suko seinen Platz eingenommen. Er konnte an mir vorbeischauen, was er nicht immer tat, denn hin und wieder blickte er voll in mein Gesicht und zeigte ein impertinentes Grinsen, während ich so vor mich hin schwitzte und die beiden Ruderblätter möglichst gleichmäßig durch das Wasser zog.
»Grins nicht so.«
»Ich sehe dich eben gern arbeiten.«
»Danke, das habe ich verstanden.«
»Es ist zudem nicht mehr weit.«
»Siehst du die Insel?«
»Ja.«
»Noch weit weg?«
»Nein, aber in der Dunkelheit können die Entfernungen bekanntlich täuschen.«
Ich ließ mich nicht täuschen und holte die Ruder ein. Auf der Stelle drehte ich mich um und sah den dunklen Fleck aus dem Wasser ragen. Das musste die Insel einfach sein. Selbst bei diesen schlechten Sichtverhältnissen war zu erkennen, dass ihr Ufer dicht bewachsen war und es nicht einfach werden würde, dort anzulegen.
Ich fasste wieder zu, um weiterzurudern, als das Boot von einem Schlag an der Backbordseite getroffen wurde. Im ersten Moment saßen wir beide völlig starr, und wir dachten auch daran, über einen Felsen oder so etwas Ähnliches gefahren zu sein, dann klärte sich die Sache sehr schnell, denn Suko hatte ins Wasser gegriffen und zog mit beiden Händen eine Planke in die Höhe.
Es konnte auch ein Stück Treibholz sein, so genau war das nicht zu erkennen. Jedenfalls schleuderte Suko das Fundstück nicht wieder zurück ins Wasser, sondern legte es zwischen uns, weil er es sich anschauen wollte.
Er holte die kleine Lampe hervor und leuchtete das Fundstück an. Es war eine Planke und musste zu einem Boot gehören. Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, denn irgendetwas fand sich immer in den Kanälen. Aber Suko war trotzdem aufmerksam geworden und auch misstrauisch, denn im Schein der Leuchte erschien eine ziemlich neue Schnitt- oder Bruchstelle. Als wäre es dort erst vor Kurzem abgebrochen oder regelrecht zerhackt worden.
»Sieht neu aus, John.«
Ich nickte nur.
»Kein Treibholz jedenfalls.«
»Was folgerst du daraus?«
»Dass jemand dieses Boot, zu dem die Planke gehört, zerstört hat, und zwar erst vor Kurzem.«
»Vor Kurzem erst«, wiederholte ich und drehte mich um. Ich sah die Insel wie einen dunklen Kopf aus dem Wasser ragen, und ein bestimmter Gedanke glitt mir durch den Kopf, mit dem sich auch Suko beschäftigte. Nur sprach er ihn vor mir aus.
»Wenn jemand auf der Insel ist, und davon gehen wir ja aus, dann wird er wohl kaum mehr eine Chance haben, zurückzurudern, weil man ihm das Boot zerstört hat.«
»Unserem Anrufer.«
»Ja.«
Das hörte sich nicht gut an. Ich hoffte nicht, dass wir Recht behielten, doch wenn es so war, dann konnten wir davon ausgehen, dass der Informant unter Umständen in eine Falle gelaufen war und nicht mehr lebte.
Suko schaute sich die Planke noch einmal an und fuhr dabei mit dem Finger über die Bruchstelle hinweg. Kurz danach schleuderte er das Fundstück wieder zurück ins Wasser.
Ich hatte mir wieder die Ruder geschnappt und zog die Blätter bereits durchs Wasser. Eine lockere Unterhaltung war uns vergangen. Jetzt kam es darauf an, dass wir so rasch wie möglich das Ziel erreichten und dort noch etwas in Erfahrung brachten.
Wieder ärgerte ich mich darüber, dass mir der namenlose Unbekannte nichts Genaueres gesagt hatte. Mit den beiden Begriffen Satan und Hölle konnte ich momentan nicht viel anfangen. Sie wurden auch zu oft als Allgemeinplätze verwendet.
Ich zog die beiden Blätter weiter durch das grüne Wasser, in dem sich auch die Dunkelheit der Nacht gefangen hatte. Suko war noch aufmerksamer geworden. Er blickte an mir vorbei und suchte wahrscheinlich nach einer günstigen Stelle, um anlegen zu können. Wie ich die Insel gesehen hatte, gab es dort keinen freien Fleck. Wahrscheinlich würden wir in die Uferbewachsung hineinstoßen.
Das Wasser wurde nicht flacher. Grüner Schaum quirlte auf, wenn die Blätter ins Wasser stießen. Blätter und Zweige zogen träge an uns vorbei. Als Suko nickte, wusste ich, dass wir die Insel erreicht hatten.
Sekunden später war es zu spüren und zu hören. Ich hatte noch mal kräftig durchgezogen, und so schob sich der Bug in die Uferregion hinein. Das hohe Gras schabte über die Außenwände hinweg. Schilf stellte sich störrischer an. Es wurde zur Seite gebogen, hielt aber auch auf, sodass unser Boot sehr bald feststeckte.
Mit trockenen Füßen kamen wir nicht an Land, das stand fest. Ich versuchte es noch einmal, aber ich bekam den Kahn kaum weiter. Er wurde von dem natürlichen Gitter gehalten.
Suko verließ den Kahn als Erster. Er durchbrach den natürlichen Ring, dann hörte ich es klatschen, als er im Wasser landete. Ich hatte die Ruder eingezogen und stand auf. Es war nicht einfach, und das Boot schwankte, sodass ich Mühe mit dem Gleichgewicht bekam.
Es war nichts zu machen. Auch ich bekam nasse Füße. Das Wasser war nicht tief, aber bis zu den Schienbeinen steckten wir schon drin. Suko hatte mir seinen Rücken zugedreht. Er fing jetzt an, einen Weg für uns zu schaufeln. Hier wuchs einfach alles viel zu dicht. Wir störten einige Vögel, die mit wilden Bewegungen schreiend in die Höhe flatterten. Auch die Frösche fühlten sich angegriffen. Sie schrien fast wütend auf, verließen ihre Plätze, als zwei Riesen sich durch die dichte Wand wühlten und schließlich den trockenen Boden der kleinen Insel erreichten.
Es war ja nicht nur das Wasser gewesen, über das ich mich geärgert hatte. In meine Schuhe war zudem Schlamm hineingeschwappt. Von einem Gehvergnügen konnte man da beim besten Willen nicht sprechen.
Wenn es hier Hochwasser gab, dann verschlang es sichtlich auch diese sehr flache Insel. Es gab keine Bäume, nur hohes Gras, Strauchwerk und auch wilde Sommerblumen.
Bis auf eine Ausnahme.
Auf der Insel hatte tatsächlich jemand eine kleine Hütte gebaut. Wir schauten sie uns aus einer gewissen Distanz an und schüttelten beide die Köpfe, denn die Hütte sah aus, als wäre sie ein Unterschlupf für Kinder, die hier ihre Action-Spiele durchzogen. Sie war nicht hoch, sie stand schief und hätte einem scharfen Windstoß sicherlich nicht stand gehalten.
»Und wo ist dein Anrufer?«, fragte Suko.
»Keine Ahnung. Aber wenn er sich hier aufhält, dann in dieser komischen Behausung.«
»Genau.«
Sicher waren wir uns nicht, deshalb schauten wir uns im Licht der Leuchten so gut wie möglich um. Die langen Strahlen zerschnitten die Finsternis. In sie hinein trieb der sanfte Dunst der grauen Schwaden. Es waren die einzigen Bewegungen, die wir hier auf der winzigen Insel erlebten.
Suko versuchte auch, in die Hütte hineinzuleuchten, und suchte nach einem Eingang. Er ging dabei nach rechts. Bei jedem Schritt raschelte das Gras.
Ich bewegte mich ebenfalls und nahm mir die linke Seite vor. Wenn man so wollte, lag das Glück auf meiner Seite. Das Gelände fiel etwas zum Wasser hin ab, und an dieser Stelle sah die Hütte höher aus als an den anderen.
Da gab es auch einen Zugang. Durch ihn konnte kein normal gewachsener Mensch gehen. Man musste schon in die Hütte hineinkriechen. Ich hätte es getan. Nur war es nicht mehr nötig. Der Mann, der mich wahrscheinlich angerufen hatte, saß vor der Hütte und direkt neben dem Eingang auf dem Boden.
Sein Rücken fand Halt an der Hütte. Er sah aus, als wäre er in einen tiefen Schlaf gefallen.
Leider traf das nicht zu.
Er saß nur dort.
Und er war tot.
Jemand hatte ihm den Kopf abgeschlagen!
In mir krampfte sich einiges zusammen, als ich das sah.
Ich war in der letzten Zeit darauf eingestellt gewesen, einen Toten zu finden, aber dass der Mann auf diese grausame Art und Weise umgebracht worden war, damit hatte ich nun nicht gerechnet. Es war ein Schock für mich.
Hier hatte jemand eiskalt und mit Menschenverachtung zugeschlagen. Der Strahl der kleinen Lampe war auf den Toten gerichtet, und er blieb auch nicht starr. Er gab das Zittern meiner Hand wider. Es fiel mir schwer, tief durchzuatmen, aber das Bild blieb, und ich würde mich mit dem Toten befassen müssen.
Der Kopflose trug einen dunklen Anzug. Dazu ein dunkles Hemd und dunkle Schuhe. Selbst die Socken zeigten keine andere Farbe, und seine Kleidung kam mir irgendwie vor wie eine Uniform.
Aus der schweren Wunde war natürlich das Blut geströmt und hatte sich auf seiner Kleidung ausgebreitet. Es war in sie hineingesickert, und erst jetzt hörte ich das Summen der Fliegen, die durch den Blutgeruch angelockt worden waren.
Diesmal klopfte mein Herz nicht vor Anstrengung wie beim Rudern. Ich war nervös, geschockt, weil ich mit einem derartigen Anblick nicht gerechnet hatte. Mir kam auch in den Sinn, dass der Unbekannte völlig recht gehabt hatte, mich zu kontaktieren, denn wer das getan hatte, der stand einfach auf der Seite des Teufels. Einem normalen Menschen kam so etwas nicht in den Sinn.
»O verdammt«, hörte ich neben mir Sukos Stimme. »Das ist ein wirklicher Hammer.«
Auch er hatte seine Leuchte nicht eingesteckt, aber er ließ den Strahl nach rechts wandern – und zuckte leicht zusammen, bevor er eine leise Verwünschung ausstieß.
»Was ist?«
»Da!«, sagte Suko nur.
Auch ich leuchtete jetzt hin. Die beiden Strahlen trafen sich. In deren Zentrum befand sich der Kopf. Er lag dort, als hätte ihn jemand bewusst an diese Stelle drapiert. Wie ein makabres und schauriges Happening.
Offene Augen. Ein offen stehender Mund. Blut, das bis in das Gesicht gespritzt war und dort dunkle Flecken hinterlassen hatte. Das Haar war dunkel und in die Höhe gekämmt. Der Mann war nicht mal alt. Ich glaubte kaum, dass er die 30 erreicht hatte, aber das war jetzt nicht wichtig. Etwas ganz anderes erweckte unsere Aufmerksamkeit.
Auf der Stirn sahen wir ein Zeichen!
Zuerst dachten wir beide, dass es sich um einen Blutfleck handelte, dann schauten wir genauer hin und stellten fest, dass es eine Zahl war.
»Dreiundvierzig«, flüsterte Suko.
»Genau.«
Die Zahl war mit roter Farbe auf die Stirn gemalt worden. Es war kein Blut, das fanden wir sehr schnell heraus, sondern tatsächlich eine Farbe. Die Zahl wirkte zudem so, als wäre sie in die Haut tätowiert worden.
»Verstehst du das, John?«
»Nein.«
»Aber die Zahl muss eine Bedeutung haben.«
Da gab ich Suko recht. Ich wusste allerdings nicht, was ich mit ihr anfangen sollte. Ich leuchtete gegen die Stirn, die so bleich war, und holte durch das Licht die Deutlichkeit der Zahl noch stärker hervor.
»Ein Zeichen, John.«
»Klar.«
»Wofür?«
Ich musste nicht lange nachdenken. »Ich kann mir nur vorstellen, dass es der Beweis dafür ist, dass dieser Tote einer bestimmten Gruppe angehört hat.«
»Was heißt das?«
»Eine Bande. Ein Verein. Eine Vereinigung ...«
»Die sich mit dem Satan oder der Hölle verbunden fühlt, denn davon hat er gesprochen.«
»Stimmt.«
»Kennst du ihn?«
»Nein, Suko, ich habe ihn nie zuvor gesehen. Aber wir werden herausfinden, wer er ist. Wenn er mit einem Handy von hier aus telefoniert hat, werden wir seinen Namen herausfinden.«
»Okay.«
Wir durchsuchten den Mann gemeinsam. Wir griffen in seine Innen- und auch in die Außentaschen, aber wir hatten Pech, denn es war nichts zu finden. Kein Handy, keine Papiere, überhaupt nichts, was auf seine Identität hingewiesen hätte.
Ich richtete mich wieder auf. »Da hat jemand verdammt gute Arbeit geleistet«, flüsterte ich.
»Dann hat man gewusst, dass dieser Mensch mit dir telefoniert hat.«
»Klar, was sonst? Der Killer war auf dieser kleinen Insel. Er hat sogar das Boot zertrümmert, mit dem unser Mann gerudert ist, als er noch lebte. Die Spuren sind verwischt, und er wird das Handy mitgenommen haben. Perfekt.«
Suko nickte langsam vor sich hin, während er seine Gedanken sammelte.
»Und warum hat man ihm den Kopf abgeschlagen, John? Kannst du mir das sagen?«
»Da können wir nur raten. Ich denke mal, dass er ein bestimmtes Zeichen setzen wollte und dass es mit dieser Zahl in einem Zusammenhang steht.«
Suko drehte sich weg und schaltete auch seine Lampe aus. Er sprach leise und mehr zu sich selbst: »Es ist alles verdammt kompliziert, John. Da ermordet man einen Menschen, und der Mörder zieht sich zurück, denke ich.«
»Und was denkst du noch?« Ich kannte Suko. Wenn er so redete, gab es noch einen Hintergedanken.
»Wenn wir mal davon ausgehen, dass der Mörder von dem Telefongespräch erfahren hat, dann frage ich mich weiter, ob er mittlerweile deinen Namen kennt.«
»Das könnte sein.«
»Gut. Wie neugierig ist ein Mörder?«
»Wie alle Menschen, nur noch etwas mehr.«
Suko lächelte knapp. »Darauf wollte ich hinaus, John. Stell dir vor, der Mörder hat nicht erfahren, mit wem der Mann telefonierte, dann wird das sicherlich seine Neugierde angestachelt haben, und so könnte es sein, dass sich der Killer noch in der Nähe aufhält, um zu schauen, wer da gekommen ist.«
»Hast du deshalb das Licht gelöscht, um nicht im Zentrum zu stehen und ein gutes Ziel abzugeben?«
»Nein, nein, ich wollte an der Batterie sparen. Aber ist mein Gedankengang dir so fremd?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Wunderbar. Dann sollten wir uns darauf einstellen, unter Beobachtung zu stehen.«
In dieser dunklen und auch einsamen Welt war alles möglich. Man konnte sich verstecken, die Uferregion der kleinen Insel bot genügend Schutz. Wir standen in der Mitte und waren so etwas wie ein Zentrum, auf das man zielen konnte.
Suko wich meinem Blick aus. »Es ist nur eine Vermutung gewesen, John.«
»Verstehe.« Ich räusperte mich und deutete dorthin, wo wir unser Boot fanden. »Lass uns verschwinden. Wir werden die Kollegen von Land an anrufen, damit sie sich um den Toten kümmern. Er muss untersucht werden. Vielleicht finden sie Spuren, aus denen sich dann der Name des Ermordeten ergibt.«
Auch Suko hatte nichts dagegen, das kleine Eiland mitten im Kanal zu verlassen. Natürlich nicht mit einem guten Gewissen, sondern mit dem verdammten Druck im Magen, dass wir hier einen Anfang entdeckt hatten. Ein Stück Faden, das uns möglicherweise zu einem Knäuel führte, in dem der Satan das Sagen hatte.
Leider war der Faden schon jetzt gerissen. Wir konnten weder etwas mit der Zahl anfangen noch mit dem Toten selbst, dem sämtliche Papiere genommen worden waren.
Dennoch war ich überzeugt, dass wir seine Identität herausfinden würden. Zwar nicht wir, aber unsere Spezialisten vom Yard. Nur dauerte das seine Zeit.
Bevor wir das Boot enterten, schauten wir uns um. Das Wasser lag ruhig da. In der Ferne sahen wir die Lichterglocke der Großstadt.
Die Ufer waren dunkel. Wir würden in der Nähe an Land gehen und den Weg zum Rover zu Fuß zurücklegen. Trotz des feuchten Schlamms an den Füßen.
Den Mond sahen wir nicht mehr, Wolken hielten ihn jetzt vor unseren Blicken versteckt. Die Luft war noch immer schwer und strahlte einen feuchten und alten Geruch ab.
Das Wasser klatschte zusammen, als wir uns hindurchbewegten. Wieder schoben wir Hindernisse zur Seite, um endlich an unser Boot heranzukommen. Es lag noch an der gleichen Stelle wie zuvor. Und trotzdem war etwas damit geschehen. Jemand hatte in unserer Abwesenheit Löcher hineingebohrt, und so war es bis auf den schlammigen Grund gesunken ...
Genau jetzt wurde uns klar, dass es die Gefahr tatsächlich gab. Sie lauerte in der Nähe. Nur hatte man uns nicht die Chance gegeben, sie zu sehen. Zu gut hielt sie sich versteckt. Sie war heimtückisch und wartete nur darauf, erneut zuschlagen zu können.
»Ich hoffe, du schwimmst gerne«, kommentierte Suko das Ereignis.
»Nicht in diesem Gewässer.«
»Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben. Es sei denn, wir ziehen uns auf die Insel zurück und rufen die Kollegen an. Das wäre am sichersten.«
»Willst du das denn?«
»Bestimmt nicht.«
Ich nickte in Sukos Richtung. »Eben.«
Wir sprachen zwar nicht darüber, aber uns war schon klar, dass der Killer möglicherweise nur darauf wartete, dass wir ans Ufer schwammen. Da hatte er dann eine Chance einzugreifen.
Keiner von uns hatte die Tiefe des Kanals erfasst. Wir gingen davon aus, dass das Wasser nicht sehr tief war, aber schwimmen mussten wir schon, und das würde kein Vergnügen sein.
»Oder nehmen wir doch den Kahn, John?«
»Er ist ...«
»Weiß ich. Aber bis zum Ufer würde er vielleicht reichen. Wenn ich schnell rudere.«
»Warum willst du nicht schwimmen?«
Suko sah nachdenklich aus. »Ich kann mir vorstellen, dass der Killer nur darauf wartet. Im Wasser könnte er jeden Vorteil haben.«
»Aber nur als Taucher.«
»Warum nicht?«
Ich blieb bei meiner Ansicht. »Wenn das so ist, Suko, dann schwimme ich als Erster los, und du gibst mir Rückendeckung. Sollte jemand auftauchen, sofort eingreifen.«
»Okay.«
Ich hatte wirklich keine Lust, mich mit dem Kahn abzuquälen. Er war verdammt schwer, und ihn vom schlammigen Grund hochzuholen, kostete ebenfalls Zeit.
Ich suchte mir einen Weg an dem gesunkenen Boot vorbei und schaufelte auch Hindernisse zur Seite. Dann lag der Kanal vor mir. Eine dunkle Fläche mit nur wenig Wellen. Eingerahmt durch zwei unheimlich wirkende Uferstücke, die aussahen wie ein finsterer Dschungel, in der sich das Böse perfekt verstecken konnte.
Bis zum Ufer war es wirklich nicht weit. Mit wenigen Schwimmstößen konnte ich das schaffen.
Suko blieb an der gleichen Stelle stehen. Er hatte seine Beretta gezogen und zielte noch ins Nichts. Ich hoffte stark, dass dies so bleiben würde, drückte meinen Körper nach vorn und glitt so in die Fluten hinein. Augenblicklich hatte ich keinen trockenen Faden mehr am Leib, aber die paar Meter bekam ich noch gebacken.
Das dachte ich zumindest, bis ich plötzlich etwas spürte. Ich schwamm nicht auf der Brust, sondern kraulte dem Ziel entgegen. Dabei wühlte ich das Wasser auf, und plötzlich näherte sich etwas von unten. Das war bestimmt kein Fisch, denn Fische zerrten nicht an den Armen eines Menschen.
Genau das passierte mir. Jemand bekam meine rechte Schulter zu fassen und zerrte mich unter Wasser. Ich drehte mich dabei und dachte daran, dass ich leider recht gehabt hatte. Plötzlich tauchte ich unter, doch zuvor hatte ich noch einen Blick in das Gesicht des Angreifers werfen können.
Da war kein Gesicht zu sehen gewesen. Der Angreifer war ein Taucher, Brille, Mundstück, die Pressluftflasche, der glänzende Anzug, der seinen Körper schützte, und das verdammte Messer.
Wahrscheinlich hätte es mich erwischt. Ich war im Wasser zu unbeweglich. Der Vorteil lag auf der Seite des Angreifers, aber Suko gab mir die versprochene Rückendeckung.
Unter Wasser hörte ich den Knall des Schusses nicht. Ich bekam ihn mit, bevor ich richtig eintauchte.
In diesem Fall gab es kein Überlegen mehr. Mit hastigen Schwimmbewegungen versuchte ich, dem Angreifer zu entwischen. Ich bekam den Messerstich nicht mit, tauchte auf, schwamm noch ein Stück und sah dann das Ufer dicht vor mir.
Hier war der Kanal flacher. Meine Füße hatten Grund erreicht.
Von dem Messermann war nichts zu sehen. Er war erschienen wie ein Unterwassermonster und ebenso schnell wieder verschwunden. Es war auch nicht zu sehen, in welche Richtung er geflohen war, denn auf der Wasserfläche bewegte sich so gut wie nichts.
Suko stand wieder auf der Insel. So verschaffte er sich einen besseren Überblick. Ich sah ihn wie eine Schattengestalt, und er hatte beide Hände mit der Beretta vorgestreckt. Als er sich drehte, winkte ich ihm zu.
»He, bist du verletzt?«
»Nein, Suko. Aber er hat ein Messer.«
»Das habe ich gesehen.«
»Hast du ihn getroffen?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn wohl eher in die Flucht geschlagen oder beides getan.«
»Gut, dann komm.«