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Myxin, der kleine Magier, warnte Suko und mich. Etwas Böses regte sich, uralt und unvollendet - ein Schatten aus der Vergangenheit, der zurückkehrte, um ein längst vergessenes Versprechen einzulösen. Die Spur führte zu einer Gestalt, die selbst in den finstersten Kapiteln der Magie gefürchtet war: die blutige Bella. Einst war sie in Atlantis gescheitert, denn sie vergaß, einen Mann zu töten, dem sie den Tod versprochen hatte. Zunächst blieb unklar, wer dieser Mann war. Doch als wir seinen Namen erfuhren, wich das Rätselhafte einem eiskalten Schock: Eric La Salle. Ein Freund. Einer von uns. Suko und ich setzten alles daran, ihn zu schützen. Aber Bella war schneller. Lautlos, gnadenlos - und mächtiger, als wir vermutet hatten. Sie riss Eric aus der Gegenwart und schleifte ihn in die Tiefen der Vergangenheit - zurück nach Atlantis, dorthin, wo ihre Rache einst begann ...
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Bellas blutige Rückkehr
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
von Jason Dark
Myxin, der kleine Magier, warnte Suko und mich. Etwas Böses regte sich, uralt und unvollendet – ein Schatten aus der Vergangenheit, der zurückkehrte, um ein längst vergessenes Versprechen einzulösen.
Die Spur führte zu einer Gestalt, die selbst in den finstersten Kapiteln der Magie gefürchtet war: die blutige Bella. Einst war sie in Atlantis gescheitert, denn sie vergaß, einen Mann zu töten, dem sie den Tod versprochen hatte.
Zunächst blieb unklar, wer dieser Mann war. Doch als wir seinen Namen erfuhren, wich das Rätselhafte einem eiskalten Schock: Eric La Salle. Ein guter Freund. Einer von uns.
Suko und ich setzten alles daran, ihn zu schützen. Aber Bella war schneller. Lautlos, gnadenlos – und mächtiger, als wir vermutet hatten. Sie riss Eric aus der Gegenwart und schleifte ihn in die Tiefen der Vergangenheit – zurück nach Atlantis, dorthin, wo ihre Rache einst begann ...
Der Minister lächelte kurz in die Runde, bevor er das aufgebaute Mikrofon verließ und die breite Treppe ansteuerte, die hoch zu seinem Ministerium führte.
Genau auf den Augenblick hatten die beiden Frauen gewartet. Sie waren in der Menge nicht weiter aufgefallen und hatten Schutz hinter Reportern und zahlreichen Neugierigen gefunden.
Jetzt wollten sie auffallen. Nur ein kurzer Blick, und sie waren bereit.
Zwischen ihnen war alles abgesprochen. Die eine wandte sich nach rechts, die andere nach links. Auf Grund ihrer grauen Haare sah es aus, als wären zwei Schatten dabei, an der Menschengruppe entlangzuhuschen. Ein Kind, das eine kleine Fahne geschwenkt hatte, erschreckte sich und ging schnell zur Seite.
Der Minister hatte mittlerweile die Treppe erreicht. Er ahnte nichts, er war glücklich, denn seine Rede hatte ausgezeichnet gepasst. Jetzt freute er sich auf die anschließende Sitzung, und danach würde er noch kurz seinem Chef die Hand drücken können.
Für die beiden Frauen wurde es eng. Sie wollten den Minister nicht zu hoch kommen lassen, und plötzlich fegten sie alles zur Seite, was sich ihnen in den Weg stellte.
Eine ältere Frau stürzte zu Boden. Ein Mann verlor durch den Stoß seine Brille, sie hatten freie Bahn, und wie von selbst sprangen die beiden Taschen auf, die sie trugen.
Der Griff hinein.
Alles im Laufen, und plötzlich hielten sie Revolver in den Händen. Auf die Läufe waren Schalldämpfer geschraubt worden. Genau das wurde gesehen. Laut gellten die ersten Schreie auf, und die hörte auch der Minister. Er stand auf der dritten Treppenstufe, drehte sich um – und erstarrte, denn er schaute genau in die Mündungen der beiden klobigen Waffen ...
Er hatte alles im Griff. Er hatte alles im Blick. Eric La Salle war der perfekte Bodyguard, dem nichts entging. Diesmal war er eingeteilt worden, um den Minister zu beschützen. Ein Job, der ihn keine Nerven kostete, die reinste Routine. Recht langweilig, aber La Salle war auf der Hut. Er hatte schon Dinge erlebt, die so langsam und monoton begannen, um plötzlich zu explodieren. Deshalb hielt er hier die Augen offen.
Er spürte immer das Besondere der Atmosphäre. Hier waren Menschen gekommen, um einen Minister zu sehen, und sie genossen es. Die Partei hatte kleine Fahnen verteilen lassen, die von den Kindern geschwenkt wurden. Das machte sich immer gut und lockerte die Atmosphäre auf. Außerdem war der Minister in seiner Rede gerade auf die jungen Menschen eingegangen und hatte davon gesprochen, sie zu fördern. Das kam gut an, aber was davon in die Tat umgesetzt wurde, stand in den Sternen.
Der Trubel selbst interessierte den Mann mit dem Zopf wenig. Er hielt stets nach bestimmten neuralgischen Punkten Ausschau, die so verdächtig unverdächtig waren.
Da hatte Eric seine Erfahrungen schon sammeln können, und er hatte auch einen Blick dafür bekommen. Da war die Routine von Vorteil, und auch jetzt war nicht alles so, wie er es sich gern gewünscht hätte. Er konnte es auch auf seinen Instinkt zurückführen, aber als er beim zweiten Mal hinschaute, da war er sich sicher, dass mit den beiden grauhaarigen Frauen etwas nicht stimmte.
Sie wären ihm nicht aufgefallen, hätten sie nur an einer Stelle gestanden. So aber bewegten sie sich von einem Platz zum anderen. Sie waren nicht besonders auffällig, aber sie versuchten doch, in die Nähe des Politikers zu gelangen und gingen dabei sogar recht rücksichtslos vor, denn sie schoben die Menschen, die sich in den Weg stellten, mit mehr oder minder sanfter Gewalt zur Seite, wobei sie ihre Handtaschen eng an die Körper gepresst hielten, was nicht auffällig war, da es bei Menschenansammlungen immer wieder Taschendiebe gab, die auf Beute lauerten.
Eric La Salle war alarmiert, und er vertraute dabei auf seinen Riecher. Die Frauen waren ihm auch deshalb nicht geheuer, weil sie sich eigentlich nicht wie Frauen bewegten. Sie glichen eher männlichen Personen, sodass ihr Outfit gar nicht stimmte.
La Salle schlug einen kleinen Bogen. Er ging mit weiten und ausladenden Schritten, und es sah trotzdem so aus, als würden seine Füße den Boden nicht berühren. Es lag daran, dass er sich sehr geschmeidig bewegte. Den Zuschauern selbst fiel er nicht auf, nur den beiden Polizisten, die an einer bestimmten Stelle der Absperrung standen und Sprechfunkgeräte in den Händen hielten.
Die beiden nickten La Salle kurz zu, der sehr schnell an ihnen vorbei war. Die beiden Frauen hatte er nicht aus dem Blick gelassen. Sie waren relativ groß, und ihre grauen Haare fielen auf, da sie förmlich über die meisten Köpfe hinwegschwebten.
Das Ziel war der Minister, der sich abgewandt hatte und nun dabei war, die Treppe hochzusteigen.
Plötzlich wurden die Frauen schnell. Sie liefen von verschiedenen Seiten auf ihr Ziel zu, und sie klappten dabei ihre recht großen Handtaschen auf.
Auch La Salle war schnell. Für ihn stand fest, dass auf den Politiker ein Attentat verübt werden sollte, und das auf eine hinterhältige und perfide Art und Weise.
Dann waren sie an der Treppe.
Sie zogen ihre Waffen. Revolver mit verlängerten Läufen. Schalldämpfer waren aufgeschraubt.
La Salle hatte seine neun Millimeter Magnum ebenfalls gezogen. Die Attentäterinnen schossen noch nicht, aber es gellten erste Schreie auf, weil die Menschen gesehen hatten, was hier ablaufen sollte.
Der Minister drehte sich um.
Da griff La Salle ein.
»Nein!«, schrie er.
Es war sein Ruf, der die beiden Frauen durcheinander brachte. Sie schossen nicht, drehten sich gemeinsam um, und La Salle schaute in ihre Gesichter. Er war nahe genug an sie herangekommen, um die Augen beobachten zu können, und genau darin sah er das heftige Zucken. Er kannte diese Regungen. Wenn so etwas auftrat, standen sie kurz vor dem Ziel.
Er schoss!
Die Schüsse schienen überlaut zu klingen, möglicherweise auch deshalb, weil Eric sich vorkam wie in einem Vakuum, aus dem heraus er agierte.
Er traf die erste Attentäterin in die rechte Schulter. Die zweite feuerte noch eine Kugel ab, aber La Salle hatte um einige Millisekunden zuvor abgedrückt. Die Kugel schlug in den Kopf der Frau. Sie kippte nach hinten und feuerte selbst einen Schuss ab, der nicht zu hören war, weil plötzlich um das Geschehen herum eine wahre Hölle ausgebrochen war. Die Kugel fegte in den Londoner Himmel, wo sie keinen Schaden anrichtete.
La Salles Geschoss aber hatte die Frau auf die Treppe geschleudert. Der Körper rollte dabei langsam über die Stufen und den heraneilenden Polizisten entgegen.
Die erste Attentäterin stand auch nicht mehr auf den Beinen. Sie kniete und hielt sich die Schulter. Die Waffe hatte sie fallen lassen, und als La Salle nach drei Sätzen vor ihr stand, schaute sie in die Höhe.
Beide starrten sich an.
Eric La Salle erkannte in diesem Moment, dass er keine Frau vor sich hatte, sondern einen Mann, der sich nur ein weibliches Outfit zugelegt hatte. Auch die Perücke passte perfekt dazu.
Sicherheitsbeamte zerrten den Minister aus seiner Nähe weg, als La Salle die Waffe des Attentäters zur Seite schob. Um ihn herum war plötzlich der Teufel los. Er sah Blut aus der Armwunde zu Boden tropfen. Auf der Stufe hinterließen die Flecken ein Muster.
»Der zweite Mann ist tot!«, hörte La Salle den Kommentar.
»Okay.« Er wandte sich an den Angeschossenen. »Du hast alles verstanden?«
»Klar.«
»Pech für euch. So schnell geht das manchmal.«
Der Mann hob den Blick. Reue stand in seinen Augen nicht zu lesen. Er schaute Eric hart an.
»Man kann ja nicht immer Glück haben im Leben. Aber es kommen auch noch andere Zeiten.«
»Stimmt. Die nächsten Jahre wirst du hinter Gittern verbringen. Ich wünsche dir dabei viel Spaß.«
Der Verletzte spie aus. Für Eric war die Unterhaltung vorbei. Er stand auf und gab den Kollegen von der Polizei den Weg frei. Er hatte seine Pflicht getan. Mehr konnte man von ihm nicht verlangen, und er verdrückte sich so schnell wie möglich, denn er mochte es nicht, wenn er plötzlich von Kameras umgeben war. Er blieb lieber im Hintergrund, denn bei seinem Job konnte das Rampenlicht tödlich sein ...
Einige Stunden später
Eric La Salle hatte Feierabend. Er hatte sich in die große Wohnung zurückgezogen, die er und seine Lebensgefährtin Purdy Prentiss gemietet hatten. Es war ein Loft, eine Wohnung auf dem Dach. Sehr offen und mit einem herrlichen Blick über London. Natürlich hatte so etwas seinen Preis, aber den konnten sie aufbringen, denn Erics lebensgefährliche Arbeit wurde gut entlohnt.
Er war immer wieder froh, sich hierher zurückziehen zu können. Hier hatte er seine Ruhe, konnte zu sich selbst finden. Hier ließ er seine Gedanken wandern, und hier war es ihm auch möglich, mal richtig durchzuatmen und sich zu entspannen.
Auch die Stunden nach dem versuchten Attentat waren hektisch gewesen. Auch er war verhört worden. Er hatte ein Protokoll unterschrieben und zwischendurch mit seiner Partnerin Purdy Prentiss telefoniert, die als Staatsanwältin arbeitete.
Sie gaben schon ein ungewöhnliches Paar ab. Er, der Leibwächter und perfekte Kämpfer, und Purdy, die Staatsanwältin mit den kurzen rötlich blonden Haaren, die in London schon einiges von sich hatte hören lassen, wenn es um harte Anklagen ging.
Dennoch hatten sie vieles gemeinsam, aber eine Tatsache schweißte sie besonders stark zusammen. Beide hatten schon einmal gelebt, und zwar in Atlantis, auf einem Kontinent, der längst versunken war. Schließlich waren beide wiedergeboren worden und hatten sich hier in London getroffen. Sie mochten sich, und schließlich waren sie zusammengezogen. Hin und wieder griff das alte Leben noch nach ihnen, denn Atlantis war zwar versunken, aber nicht alles. Es gab etwas, das überlebt hatte und sich des Öfteren meldete.
Auch Purdy war damals eine Frau gewesen, die ein wildes und raues Leben geführt hatte, das immer wieder in ihre heutige Existenz eingriff, was meist mit harten Kämpfen verbunden war.
Zum Glück kam es nicht zu oft vor, doch beide hielten schon die Augen weit offen, und sie dachten oft an ihre Zeit in Atlantis, ohne sich dabei direkt erinnern zu können.
Nur in den Träumen kam es öfter hoch. Da sahen sie sich als zwei andere Menschen, die sich in einer völlig anderen Zeit und auch Welt zurechtgefunden hatten.
Eric hatte sich umgezogen. Er hasste es oft, wenn er im eleganten Anzug und mit Krawatte herumlaufen musste. Vor allen Dingen im Sommer, wenn die Sonne zu heiß schien. Leider war das eine Vorschrift, die er auch nicht verändern konnte.
In der Wohnung sah das anders aus. Da machte er es sich bequem und zog die legere Kleidung an. Jeans und T-Shirt reichten ihm aus. Er hatte ein Faible für blaue Jeans und helle Shirts. Genau in diesem Outfit war er auch durch die breite Tür auf die Terrasse getreten, um den abendlichen Blick über London zu genießen.
Das Glas mit dem Drink hielt er in der Hand. Er bestand aus einem Martini mit einem Schuss Birnengeist. Gut gerührt erhielt dieses Getränk ein Aroma, das ihm schmeckte, denn La Salle lebte nicht unbedingt asketisch. Er wusste die Genüsse des Lebens zu schätzen. Denn das Leben war einfach zu kurz. Ob er noch mal wiedergeboren werden würde, wusste er nicht.
Der Himmel war so weit und trotzdem dunkel. Die Dämmerung hielt ihn mit ihren gewaltigen Pranken umfasst. Sie zauberte blaue und graue Schatten auf das gewaltige Feld, und La Salle spürte den Wind, der um seine Nase strich.
Es war ein Windschutz aufgebaut worden. Dort standen auch die Liegestühle und die anderen Gartenmöbel, die in diesem Jahr kaum zur Geltung gekommen waren. Da war der Sommer einfach zu schlecht gewesen. Meteorologisch war er vorbei, jetzt im September, aber er hatte sich noch nicht wirklich verabschiedet. Durch den Südwind hatte er noch mal einen Strom der Wärme mitgebracht, der wie die Luft aus einem Kamin über die Stadt hinweggeweht war, und zu dieser Zeit saßen noch viele Menschen in den Biergärten, auf Balkonen oder in den eigenen Gärten und hofften, dass der Herbst sie für den Sommer entschädigen würde. Ob das zutreffen würde, war fraglich.
Eric trat bis dicht an die Brüstung heran. Die Seite des Loft lag zum Süden hin. Um die Themse zu sehen, musste er den Kopf drehen, und er sah sie als schillerndes Band, das die Riesenstadt teilte. Lichter schimmerten auf und über dem Wasser. Die Reflexe verteilten sich überall, und so kam ihm London vor wie ein großes Gemälde, das ausgebreitet unter ihm lag.
Ab und zu nippte er an seinem Drink. Er hätte gern seine Freundin Purdy bei sich gehabt. Es wäre schön gewesen, diesen Sommerabend zu zweit genießen zu können. Leider war sie durch ihren Job daran gehindert worden, aber sie hatte versprochen, zwischendurch noch mal anzurufen, und so hatte Eric die Hoffnung nicht aufgegeben.
Der Mann, der immer ein wenig an den Filmschauspieler und Action-Star Steven Seagal erinnerte, betrachtete das Häusermeer unter sich und dachte daran, wer sich dort unten alles verbarg. Menschen aller Rassen und Hautfarben. Gute, Schlechte. Feiglinge und Mutige. Verräter und Aufrechte. Menschen, die krank waren oder sich als Gesunde wohl fühlten. Es gab dort Mörder und Gerechte, Kinder und Greise und ...
»Das war gut ...«
Eric La Salle schrak zusammen, als plötzlich die Flüsterstimme an sein Ohr drang. Er bewegte sich danach nicht. Die Ellenbogen der gekreuzten Arme waren noch immer auf das Geländer gestützt, aber die Lockerheit in seinem Innern war weg.
Das war keine Täuschung gewesen. Da hatte ihm nicht der Wind ins Ohr geflüstert, sondern eine Stimme. Eine menschliche Stimme, doch in seiner Nähe hielt sich niemand auf, das hatte er mit kurzen Blicken zur Seite schnell festgestellt.
»Du bist wirklich gut gewesen heute ...«
Eric schloss die Augen. Jetzt war er noch mehr davon überzeugt, sich nicht geirrt zu haben, aber auch jetzt behielt er die Nerven und drehte sich mit einer langsamen Bewegung um.
Vor ihm stand niemand!
Er schaute in die Wohnung hinein, wo sich das gedimmte Licht wunderbar verteilte und über die Möbel mit den ruhigen Farben hinwegstrich. Ein zartes Gelb war ebenso vorhanden wie ein weiches Rot. Da hatte Purdy Prentiss schon einen guten Geschmack bewiesen.
Doch genau sie war nicht da. Also hatte sie auch nicht sprechen können. Und doch hatte Eric La Salle eine weibliche Stimme gehört, und darüber musste er nachdenken.
So sehr er sich auch bemühte, es gab keinen Menschen, der ihn hätte ansprechen können. Auch hier draußen nicht. Trotzdem bezweifelte er, dass er sich die Stimme eingebildet hatte. Zu deutlich war sie gewesen.
Er reagierte zunächst nicht, bis auf die Tatsache, dass er noch einen kleinen Schluck von seinem Drink nahm und seinen Blick schweifen ließ. Die Stille hier oben kam ihm jetzt verändert vor. Der Verkehrslärm aus der Tiefe erreichte ihn zwar auch noch, aber er hörte sich viel weiter entfernt an als sonst. Hier oben hatte sich eine ganz andere Welt ausgebreitet, die mit dem normalen Leben nichts zu tun hatte. La Salle kam sich der normalen Welt entrissen vor, und das mochte auch an der Stimme liegen, die ihn zwei Mal angesprochen hatte.
Wäre er ein normaler Mensch gewesen, hätte er den Kopf geschüttelt und sich möglicherweise für verrückt gehalten. Er war zwar ein Mensch, aber nicht in dem Sinne normal, denn er hatte schon einmal existiert, und diese Existenz warf immer wieder ihre Schatten hinein in die Gegenwart. Man hatte ihn einfach nicht losgelassen.
War die Stimme ...?
Seine Gedanken wurden abrupt unterbrochen, weil das Telefon im Haus klingelte. Plötzlich hatte ihn die Realität wieder. Auf dem Weg zur Station dachte er darüber nach, ob ihn die Stimme jetzt wohl anrufen würde. Möglich war alles.
Er hob ab und wollte sich melden, aber die Anruferin kam ihm zuvor.
»He, du bist zu Hause und lässt es dir gut gehen, wie ich dich kenne.«
»Du, Purdy?«
»Wieso? Hast du einen anderen Anruf erwartet?«
»Eigentlich nicht ... warum rufst du an?«
»Ich wollte dir nur sagen, dass es später werden wird.«
»Wie spät?«
»Nicht sehr. Ich sage mal eine Stunde. Im Höchstfall zwei. Ich sitze hier mit zwei Richtern zusammen, und wir haben uns an einem Problem festgebissen, das noch gelöst werden muss. Ich sehe da auch recht gute Chancen für uns.«
»Gut, dann vertreibe ich mir noch ein wenig die Zeit.«
»Okay, bis dann. Übrigens, ich liebe dich, Eric.«
»Ich dich auch.«
Die letzte Bemerkung hatte Eric wieder entspannt, aber die Botschaft war trotzdem nicht vergessen. Sehr nachdenklich stellte er das Gerät wieder auf die Station und schaute sich um wie ein Fremder.
Es hatte sich nichts verändert. Er war noch immer allein. Er vernahm auch kein verdächtiges Geräusch. Die Stille in diesem großen Raum tat ihm seltsamerweise nicht gut, wie es sonst der Fall gewesen wäre. Er fühlte sich schon leicht nervös, denn er mochte eines nicht. Einen hinterlistigen Angriff. Ihm war lieber, wenn er Mann gegen Mann kämpfen konnte, aber das war hier nicht der Fall.
»Das Gespräch hat dir gut getan – wie?«
Da war sie wieder! Eric La Salle tat nichts. Er blieb einfach nur stehen und lauschte. Plötzlich kam ihm die Wohnung hier oben so fremd vor. Wie vor drei Monaten, als er und Purdy sie bezogen hatten. Sie war so kalt geworden, und dieser seltsame Frost glitt auch auf seinen Körper zu. Er merkte den kalten Schweiß auf seinen Handflächen, und sogar sein Herz schlug etwas schneller.
Nur die Augen bewegten sich in seinem Gesicht. Er suchte nach der Sprecherin, doch er fand sie nicht. Sie war und blieb auch weiterhin verschwunden.
»Nervös?«
Eric hatte bereits auf die Frage gewartet, und zum ersten Mal gab er eine Antwort.
»Wer bist du?«
An seine Ohren drang ein leises Lachen.
»Du kennst mich, Eric. Du kennst mich sogar recht gut.«
»Ach ja? Ich kann mich nicht erinnern.«
»Keine Sorge, für eine Erinnerung werde ich schon sorgen. Nicht alles ist vergessen, nicht alles ist tot ...«
Obwohl die Stimme sehr rätselhaft gesprochen hatte, kannte Eric La Salle die Lösung. Es konnte sich nur um Atlantis handeln. Da gab es keine andere Möglichkeit. Das war die Stimme aus der Vergangenheit, die sich bei ihm gemeldet hatte.
Bei mir!, dachte er. Warum ausgerechnet bei mir? Es gab für ihn nur eine Lösung. Er selbst hatte etwas damit zu tun. Mit dieser Stimme. Mit der Frau, der die Stimme gehörte. Aber das alles lag so weit weg, und er war auch nicht in der Lage, es abzurufen, so etwas ging nicht auf Kommando. Da mussten schon mehrere Faktoren zusammenkommen.
»Was ist nicht vergessen?«, sprach er ins Leere hinein und kam sich dabei nicht mal komisch vor.
»Du wirst es sehen.«
»Wer bist du?«
»Aber, Eric, bitte ...«
»Verdammt noch mal ...«
»Reg dich nicht auf. Denk lieber, dass du von nun an nicht allein bist, auch wenn es so aussieht.«
Er wollte noch eine Frage stellen, aber er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Die unsichtbare und unbekannte Sprecherin hatte sich wieder zurückgezogen oder blieb einfach nur bestehen, um ihn zu beobachten.
Das gefiel ihm gar nicht. Es war kein Vergnügen zu wissen, dass jeder Schritt, den er tat, kontrolliert wurde. Da konnte er sich nicht frei bewegen. Da würde er über jede Aktion nachdenken, was die andere Person wohl denken würde, wenn er das oder jenes tat.
Er fühlte sich nicht mehr sicher, zwar nicht unbedingt bedroht, aber schon überwacht. Das wäre nicht mal zu tragisch gewesen, wenn er gewusst hätte, wer ihn da überwachte, aber auch das war ihm unbekannt. Es ging um eine Frau, das war klar, aber mehr wusste er nicht über sie. Nur schien sie mehr über ihn zu wissen, und das ließ darauf schließen, dass die Frau ihn damals, in Atlantis, gut gekannt hatte, doch über dieses Leben wusste er nicht viel. Er schaffte es auch nicht, sich zu erinnern.
Er wusste nur, dass er damals gestorben war. Und zwar im Kampf gestorben. Ebenso wie Purdy, aber beide hatten zu dieser Zeit ganz anders ausgesehen. Wären sie sich jetzt begegnet, sie wären sich bestimmt sehr fremd gewesen.
Eric nahm den letzten Schluck aus dem Glas und überlegte, wie er die nächste Zeit verbringen sollte, ohne dass er sich zu sehr eingeengt fühlte. Von der Wohnung her bestimmt nicht, aber trotzdem fühlte er sich mehr als unwohl.
Er ertappte sich dabei, dass er sich auf dem Weg in die Küche immer wieder umdrehte.
Natürlich war nichts zu sehen, aber er hätte jetzt gern auch ein Lachen gehört. Zumindest eine Botschaft, die man ihm rüberbrachte. Auch das konnte er vergessen.
Das unruhige Umherlaufen brachte nichts ein, deshalb ließ er sich in einen Sessel fallen, den er durch einen Hebelmechanismus nach hinten in eine für ihn bequemere Lage kippen konnte, was er auch tat. Es war sein Platz der Entspannung, und wenn er in die Glotze schauen wollte, brauchte er nur nach der neben ihm liegenden Fernbedienung zu greifen. Das tat er jetzt nicht. Er wollte zunächst nichts hören und sehen.
Im Loft blieb es still. Nicht das leiseste Geräusch drang an seine Ohren. Die helle Decke über ihm sah aus wie ein viereckiger, leicht bedeckter Himmel. Die Tür zur Terrasse war nicht ganz geschlossen. Hin und wieder bekam er einen Windhauch mit, ansonsten war und blieb er mit sich und seinen Gedanken allein.
Urplötzlich erwischte er sich bei dem Gedanken, nicht mehr allein zu sein. Eine Veränderung hatte er nicht entdeckt, aber es war etwas vorhanden, das er nicht sehen und nur fühlen konnte. Das strich wie mit Spinnenbeinen seinen Rücken hinab und hinterließ dort eine Gänsehaut.
Eric drehte den Kopf.
Er sah nichts, aber er spürte plötzlich den Hauch, der dicht neben ihm entlangstrich. Er war nicht mehr allein, da war er sich hundertprozentig sicher.