John Sinclair Sonder-Edition 266 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 266 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Der Tod hat viele Gesichter. Das war mir schon bekannt! In Moskau aber, bei Karina Grischin, lernte ich ein neues Gesicht kennen. Da bestand der Tod aus einer Soldatenfigur, nicht höher als ein Kinderarm, aber mit einer Pistole bewaffnet, um zu töten. Bevor es uns erwischte, vernichteten wir die mörderische Figur. Aber Karina behauptete: "Wo eine ist, da gibt es noch mehr von ihnen!" Sie sollte Recht behalten. In der Einsamkeit der Taiga stießen wir auf die Armee der Toten ...

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Seitenzahl: 186

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Armee der Toten

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Armee der Toten

von Jason Dark

Der Tod hat viele Gesichter. Das war mir schon bekannt! In Moskau aber, bei Karina Grischin, lernte ich ein neues Gesicht kennen. Da bestand der Tod aus einer Soldatenfigur, nicht höher als ein Kinderarm, aber mit einer Pistole bewaffnet, um zu töten.

Bevor es uns erwischte, vernichteten wir die mörderische Figur. Aber Karina behauptete: »Wo eine ist, da gibt es noch mehr von ihnen!« Sie sollte Recht behalten. In der Einsamkeit der Taiga stießen wir auf die Armee der Toten ...

Graue Uniform, ein grauer Stahlhelm, ein graues Gesicht – und graue Augen. So sah die Figur aus, die auf Karina Grischins Schreibtisch stand und so unscheinbar wirkte.

Der Mann, der sie gebracht hatte, atmete heftig und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war klein, stämmig, hatte dünne schwarze Haare und Augen, die durch die Mongolenfalte bestimmt wurden.

»Dann reden Sie mal!«, forderte die Frau ihn auf.

Er leckte über seine Lippen. »Ich habe es geschafft«, flüsterte er und schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst noch nicht fassen. »Aber das ist sie. Das ist die Figur.« Er klappte den kleinen Metallkasten wieder zu, in dem er den Soldaten transportiert hatte.

Karina Grischin lächelte spöttisch.

»Die soll gefährlich sein?«, fragte sie.

»Und wie.« Der Mann schlug ein flüchtiges Kreuzzeichen. »Gefährlich und tödlich.«

Karina nickte, obwohl sie davon nicht so recht überzeugt war. Aber die Agentin war auch vorsichtig, und sie war eine Person, die endlich wissen wollte, ob die Gerüchte stimmten, die ihrer Organisation zu Ohren gekommen waren.

Sie hatte schon mit ihrem Chef, Wladimir Golenkow, darüber gesprochen. Der war momentan anderweitig beschäftigt, denn ein Überfall tschetschenischer Rebellen auf ein Moskauer Theater zog sehr weite Kreise. Da war auch der Geheimdienst stark involviert. Und so musste Karina Grischin die Stellung halten.

»Was ist daran so gefährlich?«, wollte sie wissen und schob ihre Hand auf die Figur zu.

»Vorsicht, wenn Sie sie anfassen!«, warnte der Überbringer. »Das könnte ins Auge gehen.«

»Ach.«

»Ja, sie hat eine Pistole.« Zum wiederholten Male wischte er Schweiß aus dem Gesicht.

Die Lippen der Frau verzogen sich zu einem Lächeln.

»Das sehe ich, aber ich weiß auch, dass es zahlreiche Spielzeuge gibt, die so aussehen und die Kindern geschenkt werden.«

»Nein, das ist kein Spielzeug. Das ist ein Mörder. Sehen Sie es als kleines Monster an.«

»Sicher. Es gibt Aussagen von Menschen, die es bestätigen. Bisher habe ich nicht daran geglaubt, aber jetzt sehe ich den Soldaten vor mir.« Sie hob die Schultern. »Nur kann ich es irgendwie noch nicht glauben. Ich werde darüber nachdenken.«

Der Überbringer wusste, dass er entlassen war. Er warnte Karina Grischin noch mal und wollte sich zurückziehen, aber die Frau im schicken dunkelroten Hosenanzug hatte noch eine Frage.

»Sagen Sie, woher haben Sie die Figur eigentlich?«

Der Mann verkrampfte sich. Er schnaufte plötzlich und wurde rot im Gesicht.

»He, was ist los?«

»Das ... das ... kann ich nicht sagen.«

»Und warum nicht?«

»Ich habe es versprochen. Ich bin froh, noch zu leben. Aber wenn man den Gerüchten glauben soll, dann ist dieser Soldat nicht der Einzige. Davon gibt es eine Menge. Man munkelt sogar von einer ganzen Armee.«

»Wer munkelt das?«

»Bitte, ich ...«

»Wer?«, fragte die Agentin scharf. Ihr entspanntes Gesicht nahm plötzlich einen harten Zug an. »Wenn Sie sich schon so weit aus dem Fenster lehnen, müssen Sie sagen, woher Sie Ihre Informationen bekommen haben. Wer hat Ihnen den Soldaten gegeben? Oder haben Sie ihn gestohlen?«

»Nein, das habe ich nicht.«

»Wunderbar. Es gibt also jemanden, der Bescheid weiß.«

Der Mann nickte.

»Hat er auch einen Namen?«

»Er kennt die Toten. Er hat gesehen, wozu diese Soldaten fähig sind. Er muss so vorsichtig sein. Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen.«

Karina schaute den Mann vor ihrem Schreibtisch an. Sie lächelte.

»Hören Sie, Jarolin, wir beide wissen genau, für wen wir arbeiten, und wir beide wissen, wem wir verpflichtet sind. In der letzten Zeit haben wir genügend Ärger gehabt. Sie und ich wissen, dass es in unserem Land brodelt. Dass es Kräfte gibt, die immer an einen Umsturz denken. Überlegen Sie mal, wie viele Mächtige inzwischen schon an den Strippen ziehen. Es gibt Banden, die von ihren Verbrechen verdammt gut leben. Es gibt die neuen Multimillionäre, die sich in der so genannten feinen Gesellschaft bewegen und nichts anderes als Verbrecher sind, weil sie ihre Vermögen auf kriminelle Art und Weise gescheffelt haben. Deshalb müssen Sie über Ihren eigenen Schatten springen.«

Sie lehnte sich zurück. »Ich will Ihnen noch deutlicher sagen, was ich meine. Wenn es stimmt, dass dieser kleine Soldat gefährlich ist, und wenn es weiterhin stimmt, dass es eine ganze Armee davon gibt, dann werde ich hellhörig, wenn ich mir vorstelle, dass diese Armee in fremde Hände gelangen könnte. Es wäre durchaus möglich, dass einer dieser Verbrecher, von denen ich gesprochen habe, die Kontrolle über sie bekommt. Sollte das geschehen, sehen wir nicht gut aus. Dann könnte ein Terror beginnen, der mir schon jetzt Angst einjagt. Schicken Sie diese Soldaten auf Menschenjagd, werden sie ihre Opfer finden, denn jeder, der sie sieht, traut ihnen alles zu, aber keinen Mord. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?«

»Ja, das habe ich. Deshalb bin ich auch zu Ihnen gekommen. Aber Sie wissen ja selbst, wer ich bin. Wenn herauskommt, dass ich für Sie arbeite, dann bin ich tot. Ich habe mich bisher durchlavieren können. Das ist nun vorbei. Und wenn wir uns treffen, dann nur in der Dunkelheit. Auch dann habe ich Angst, beobachtet zu werden.«

»Das weiß ich, Jarolin. Ich bin Ihnen auch dankbar. Sehr sogar. Dennoch müssen wir uns an die Regeln halten.«

»Ich kann es nicht sagen.«

Karina schloss die Augen. Sie verstand den Mann. An seiner Stelle hätte sie nicht anders gehandelt. Nur befand sie sich in einer anderen Position. Sie konnte nicht den ersten Schritt gehen und den zweiten zurückhalten. So kam man nie weiter.

»Ich verstehe Sie, Jarolin.«

»Danke, das ist ...«

»Moment«, sagte sie und hob beide Hände. »Ich bin noch nicht fertig. Ich kann nachvollziehen, dass Sie mir den Namen nicht nennen wollen, aber ich möchte ihn trotzdem erfahren, und da sehe ich schon eine Möglichkeit, wie Sie sich aus der Affäre ziehen können.« Karina schaute ihn offen an und lächelte sogar. »Es ist am besten, wenn Sie mir den Namen einfach aufschreiben. Da sind Sie aus dem Schneider, und ich bin zufrieden. Können wir uns darauf einigen?«

Jarolin überlegte. Er brauchte mindestens zehn Sekunden, dann hatte er sich durchgerungen und nickte.

»Ja, so könnte es gehen. Ich werde Ihnen die Information aufschreiben.«

»Sehr gut.«

Karina Grischin gab dem Mann einen Kugelschreiber und auch ein Blatt Papier. Neben dem hohen Heizkörper stand ein Tisch mit einem Stuhl davor. Jarolin ließ sich darauf nieder. Er schrieb nicht viel, faltete den Zettel dann zusammen und reichte ihn Karina.

»Hier steht alles, was ich weiß und Sie wissen müssen. Kann ich jetzt gehen?«

»Ja, bitte. Ich habe nichts dagegen. Noch kurz, Jarolin. Wo wollen Sie hin?«

»Ich fahre in meine Wohnung.«

»Es ist noch immer die gleiche?«

»Ja. Das bleibt sie auch, wenn ich unterwegs bin. Sie wird noch immer von der Organisation bezahlt.«

»Gut, das war's dann.«

Jarolin verbeugte sich kurz, und Karina Grischin konnte das Lächeln nicht unterdrücken, denn sie bekam mit, wie froh der Mann war, sie verlassen zu können.

Als die Tür geschlossen war, drehte sich die Russin um und streckte ihre Beine aus. Wer sie zum ersten Mal sah, wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier eine exzellente Kämpferin vor sich zu haben, die mal als weiblicher Bodyguard gearbeitet hatte und später, nach einer kurzen Stippvisite in London, vom Geheimdienst übernommen worden war, wo sie sich um Fälle kümmerte, die an die Grenzen des Verstandes herangingen und oft nicht mit Logik zu erklären waren.

Sie behielt die Haltung bei und schaute dabei auf eine Tür, die nicht ganz geschlossen war. Dann rief sie: »Du kannst jetzt kommen, John, die Luft ist rein ...«

Karina Grischin hatte mich in meiner Muttersprache angesprochen, und ich zögerte keine Sekunde damit, die Tür aufzudrücken. Es war nicht erhebend für mich gewesen, in einer kleinen, staubigen und mit Akten gefüllten Kammer zu warten, und so war ich froh, dass diese Zeit vorbei war. Lange hätte ich es auch nicht ausgehalten, denn der Staub war mir in die Nase gedrungen, und so musste ich zunächst zweimal niesen, wobei mir Karina Gesundheit wünschte.

»Danke, danke, das ist nett.«

»Setz dich.«

Ich ging zu einem Stuhl, der Karina gegenüber stand und ließ mich nieder. Sie schaute über den Schreibtisch hinweg und lächelte mich an.

»Du hast alles gehört?«

»Ja.«

»Und weiter?«

»Ich habe nur das Wenigste verstanden.«

»Das lässt sich ändern, wenn du Russisch lernst.«

»Gern. Nach meiner Pensionierung. Vorausgesetzt, es kommt noch dazu.«

»Das ist allerdings die Frage, die wir uns alle stellen.«

Karina Grischin nahm es locker. Wir beide kannten uns gut und hatten schon manch brenzligen und lebensgefährlichen Fall gemeinsam gelöst. Sie war wirklich eine attraktive Frau. Das Haar trug sie wie immer halblang, und der Schnitt sah irgendwie brav aus. Nur hatte sie die Haare diesmal rötlich gefärbt, was ihr gut stand. Das Licht der Bürolampe hinterließ einige Reflexe auf ihrem »Kopfschmuck«. Wie immer war sie nur leicht geschminkt, und wie immer wirkte sie wie aus dem Ei gepellt. Heute trug sie den Hosenanzug, der aus westlicher Produktion stammte und ihr sehr gut stand.

»Was schaust du?«

Ich verzog die Lippen. »Du siehst gar nicht aus wie eine Technokratin.«

»Danke, das bin ich auch nicht. Die Zeiten sind vorbei. Das müsstest du doch wissen.«

»Dann gebt auch Acht, dass sie nicht wieder zurückkehren«, warnte ich. »Man hörte ja Dinge, die einem Demokraten nicht so recht gefallen können.«

Karina zuckte die Schultern. »Ich weiß, auf was du anspielst. Auch mir gefällt es nicht, aber nach diesem Terroranschlag auf das Theater hat sich einiges verändert.«

»Lasst die Pflanze der Demokratie nicht vertrocknen. Das kann leider sehr schnell passieren.«

»Ich weiß, John, aber kommen wir zu einem anderen Thema. Du bist ja nicht deswegen hier.«

»Stimmt.«

Es war schon eine seltsame Sache, die uns beide hier in Moskau zusammengeführt hatte. Sir James, mein Chef, hatte bei einer Tagung des Secret Service erfahren, dass ein Agent in Russland umgekommen war. Man hatte ihn ermordet, weil er einem Geheimnis auf die Spur gekommen war, mit dem selbst die Russen nicht zurechtkamen. Er hatte von lebenden Figuren oder Soldaten gemailt, die Menschen umbrachten. Er wollte sich wieder melden, aber dazu war er nicht mehr gekommen. Man hatte ihn getötet. Sein oder seine Mörder waren nie gefasst worden. Man hatte auch keine Untersuchungsergebnisse geschickt. Der Mann war irgendwo verbrannt oder begraben worden, und damit war für die russischen Behörden der Fall erledigt gewesen.

Nicht so für meinen Chef.

Er hatte mich um ein Gespräch gebeten, weil auch er einen leichten Druck bekommen hatte, und so war ich dann mit dem Fall konfrontiert worden. Mir hatte Sir James geraten, doch meine guten Beziehungen nach Moskau spielen zu lassen, denn er wusste, dass Karina Grischin und ich uns gut kannten und befreundet waren.

Mit ihr konnte ich offen sprechen und war bei Karina mit meinem Problem offene Türen eingerannt.

Sie hatte von diesen Figuren ebenfalls gehört, doch es war ihr nicht gelungen, sich einen Reim darauf zu machen.

Ich ließ nicht locker, und so hatten wir uns über den kurzen Dienstweg zusammengetan. Wenn Karina sich um ein Problem kümmerte, dann tat sie es intensiv, und ich konnte sicher sein, dass dabei immer etwas herauskam. Das war auch diesmal der Fall gewesen. Sie hatte mich gebeten, nach Moskau zu kommen, weil sie einen Schritt weitergekommen war und von nun an nicht allein arbeiten wollte.

Tatsächlich war es einem ihrer Agenten gelungen, ein Beweisstück zu besorgen, das nun auf ihrem Schreibtisch stand und so harmlos aussah.

»Möchtest du einen Schluck, John?«

»Wodka?«

»Sogar einen sehr guten.«

»Brauchst du ein Alibi?«

Sie lachte. »So ungefähr.«

»Dann trinke ich einen mit.«

Zwei Wassergläser und die Flasche standen schnell auf dem Schreibtisch. Karina sprach nur von einem Willkommensdrink.

»An etwas anderes hatte ich auch nicht gedacht.«

»Danke, das beruhigt mich sehr.«

Wir tranken, und ich wunderte mich über den Geschmack des Wodkas. Der war super. Das Zeug kratzte auch nicht im Hals. Sanft wie der beste Grappa glitt es in Richtung Magen.

Karina stellte das Glas ab. »So, das ist es gewesen. Wir könnten ja noch einen auf Wladimir trinken, doch das wäre unfair. Der muss sich schon seit Tagen mit den Folgen des Anschlags herumschlagen und hat das Bett kaum gesehen.«

»Dann musst du ja alleine schlafen«, bemerkte ich leicht anzüglich.

»Genau, John, so ist es.« Jetzt lachte sie. »Wann ziehst du denn mit Glenda zusammen?«

»Nie.«

»Schade.«

»Ich will all die anderen Frauen nicht enttäuschen, weißt du?«

»Oh – wie heißt es bei euch? Wer angibt, der hat's nötig.«

»Aber nicht ich.«

»Gut, Schnitt. Kommen wir zu unserem körperlich kleinen Problem, das sich hoffentlich nicht zu einer Epidemie ausweitet.« Sie umfasste die Figur und hob sie an. »Das ist das Corpus Delicti, John. Seinetwegen ist euer Agent gestorben. Kann man sich gar nicht vorstellen, denke ich mal.«

»Reich es rüber, bitte!«

Ich streckte meine Hand aus und bekam es zwischen meine Finger. Der Soldat hatte die Größe einer Babypuppe. Er war recht schwer, und er sah einfach nur grau aus. Er trug eine Uniform, einen Stahlhelm, und wenn ich ihn mir genauer betrachtete, dann hatte sein Erschaffer auch auf Details geachtet, denn das Koppel war ebenso vorhanden wie die Knöpfe an den Taschen.

Bewaffnet war der Soldat auch. Allerdings nicht mit einem über der Schulter hängenden Gewehr, sondern mit einer Pistole, die in einer Tasche steckte.

Ich betrachtete den kleinen Soldaten von allen Seiten und hörte die Frage der Russin.

»Und? Was sagst du?«

»Was soll ich dazu sagen? Wenn ich Kind wäre, würde ich sie nicht in mein Zimmer stellen. Die Figur ist mir zu farblos. Einfach nur grau, nein, das wäre nichts für mich gewesen.« Ich hielt sie auch weiterhin in der Hand und legte sie auf den Rücken, um einen Blick in das Gesicht werfen zu können.

Es sah glatt aus. Einen bestimmten Ausdruck darin entdeckte ich nicht. Die Nase stand etwas vor. Der Mund war mit schmalen Lippen geformt worden, aber ich konzentrierte mich mehr auf die Augen. Sollte diese Figur tatsächlich leben, war es möglicherweise an den Augen zu entdecken. Es konnte sein, dass sie anders aussahen, aber das stimmte leider auch nicht.

Sie standen zwar offen, aber auch hier herrschte die graue Farbe vor, die sich wie ein Vorhang über die gesamte Vorderseite beider Augen gelegt hatte.

»Nun?«

Ich stellte die Figur wieder zurück und gab eine diplomatische Antwort.

»Wir werden sehen.«

Karina musste lachen. »Das hätte ich mir auch sagen können. Du hast also nichts davon gemerkt, dass sie lebt. Wie auch immer.«

»Nein, das habe ich nicht.«

»Okay, dann werden wir mal weitersehen.«

Durch den Türspalt hatte ich sie und Jarolin beobachten können. Es war mir auch nicht entgangen, dass der Mitarbeiter ihr einen zusammengefalteten Bogen zugesteckt hatte, den sie jetzt zwischen ihre Finger nahm und ihn entfaltete.

Ich lauschte dem Knistern des Papiers und schaute in Karinas Gesicht, um dort abzulesen, wie sie die Nachricht aufnahm. Die Brauen hoben sich beim Lesen an. Schließlich nickte sie und legte den Zettel geglättet auf den Schreibtisch zurück.

»Gute Nachrichten?«, fragte ich.

»Wie man's nimmt. Zumindest eine Spur, an die wir uns morgen halten können.«

»Wie sieht sie denn aus?«

»Hier steht ein Name. Isaac. Bildhauer und Puppenmacher. Einer der Alten aus der Zunft.«

»Das ist gut.«

»Nein, ist es nicht. Denn er hat nicht aufgeschrieben, wo wir ihn finden können.«

»Du hättest die Nachricht lesen sollen, als er noch bei dir im Büro war.«

»Ja, das stimmt.« Sie griff zum Telefon. »Ich werde ihn anrufen und fragen.«

Der Vorsatz war gut. Allein, er konnte nicht in die Tat umgesetzt werden, denn Jarolin war nicht zu Hause. Zumindest gab es keinen, der bei ihm abhob.

»Reinfall, John.«

»Nimm es nicht als schlechtes Omen.«

»Das bestimmt nicht.« Karina schaute sich die Figur wieder an, umfasste sie und sprach mich an. »Wäre das nicht eine Gelegenheit für einen Test, John?«

Ich war mit meinen Gedanken woanders gewesen und fragte: »Wie meinst du das denn?«

»Ich denke an den Test mit dem Kreuz.«

Überzeugt war ich davon nicht. Klar, mein Kreuz hatte mir auf diese Art und Weise schon öfter den Weg gewiesen, aber es war kein Allheilmittel und nicht unbedingt der Indikator, der alles anzeigte, wonach uns gelüstete.

»Bitte.« Karina schob mir die Puppe rüber.

Ich hatte das Kreuz vor der Brust hängen, streifte die Kette über den Kopf, und Karina lächelte, als sie es wieder mal sah. Sie mochte meinen Talisman und wäre froh gewesen, so etwas Ähnliches auch für sich in Anspruch nehmen zu können.

Ob es etwas half, war mir nicht bekannt, aber ein Versuch konnte nicht schaden.

Ich brachte Kreuz und Soldat zusammen und bemerkte, dass mir Karina gespannt zuschaute. Oft genug hatte ich ja durch eine derartige Aktion Erfolge gehabt, in diesem Fall jedoch passierte nichts. Beide hatte ich zusammengebracht, ohne dass ich eine Reaktion von der einen oder anderen Seite erlebt hätte.

»Nichts, Karina.«

»Leider.«

Ich stellte die Figur wieder auf den Schreibtisch zurück.

»Damit habe ich auch nicht gerechnet, wenn ich ehrlich sein soll. Wir bewegen uns hier in einem ganz anderen Kreis.« Ich deutete mit dem Finger auf den Soldaten. »Sollte sich diese Figur wirklich bewegen können, dann müssen andere Kräfte in ihr stecken. Aber bisher haben wir auch das nicht beweisen können.«

»Es kann auch einen anderen Weg geben, John.«

»Das in der Tat.«

»Dann müssten wir ihn nur finden. Bei euch war es der Agent, bei uns hier war es Jarolin, ein Spitzel. Da ist was im Busch, und zwar gewaltig, sage ich dir. Euer Mann ist nicht grundlos gestorben. Irgendwo im Untergrund gärt es ganz gewaltig.«

Ich konnte nicht widersprechen. Ich war auch zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Die drei Stunden Zeitverschiebung nach vorn hin, die es zwischen London und Moskau gibt, machten sich irgendwie bemerkbar. Ich sehnte mich nach dem Bett in meinem Hotelzimmer.

Es kam anders.

Urplötzlich glühten die Augen des Tonsoldaten auf!

Man konnte es als Sekunden des Schreckens und der Erstarrung bezeichnen, denn damit hatte keiner von uns gerechnet. Es fiel uns auch nicht ein, irgendetwas zu tun. Eingreifen wäre das Falsche gewesen. Wir mussten den Tonsoldaten zunächst in Ruhe lassen und blickten ihn von zwei verschiedenen Seiten an.

Es gab keinen Zweifel. Seine Augen leuchteten tatsächlich in einem intensiven Rot. Es war so unerwartet eingetreten, als hätte jemand im Kopf der Figur eine kleine Lampe eingeschaltet.

Unsere Sprachlosigkeit währte nicht lange. Karina Grischin gab zuerst einen Kommentar ab.

»Das Ding lebt.« Sie starrte den kleinen Soldaten an und schüttelte den Kopf.

So sicher war ich mir da nicht. »Warte erst mal ab, was noch weiter passiert.«

»Klar.«

Beide wussten wir, dass diese kleine Figur gefährlich sein sollte. Sogar mordlüstern. Sie verbarg ein Geheimnis, das ebenfalls tödlich sein konnte, wie es der britische Agent erlebt hatte. Auch dieser Jarolin war der Meinung gewesen. Wenn das alles so stimmte, dann würde uns hier im Büro noch eine Überraschung bevorstehen. Davon war ich überzeugt, und ich lauerte auch darauf.

Ob die Veränderung nachträglich auf den Kontakt mit meinem Kreuz zurückzuführen war, wollte ich nicht unterschreiben. Die Veränderung hatte auch einen anderen Grund haben können. Der Soldat war angeregt worden, seine Starre zu verlieren, wobei er sie eigentlich noch hatte, denn bisher stand er nach wie vor an der gleichen Stelle.

»John, da passiert noch was!«, flüsterte Karina. »Das ahne ich. Das spüre ich in den Fingerspitzen. Es ist erst der Anfang.«

»Hoffentlich.«

Sie warf mir einen schnellen Blick zu.

»Ja«, sagte ich, »es soll auch etwas passieren. Ich will, dass er uns zeigt, wozu er fähig ist. Wegen glühender Augen ist unser Agent bestimmt nicht umgebracht worden.«

»Stimmt auch wieder.«

Wir schwiegen, weil wir dem kleinen Soldaten das Feld überlassen wollten. Er hielt sich zurück. Das Rot in seinen Augen blieb. Auch die Farbe änderte sich nicht. Sie strahlte nicht auf, sie zog sich auch nicht zurück. Etwa eine Minute hatte sich nichts getan. Möglicherweise lud er sich noch auf, wer konnte wissen, was in seinem Innern steckte.

Plötzlich passierte es.

Ruckartig hob er seine Schultern an.

Ich hörte den leisen Ruf der Russin und bemerkte ihren scharfen Blick, mit dem sie die Figur nahezu sezierte. Beide lauerten wir darauf, dass das Spiel weiterging, und wir wurden nicht enttäuscht.

Der Soldat bewegte seine Arme!

Sehr zackig. Wie es sich eben für einen Soldaten gehört. Vor und zurück schwang er sie. Da war etwas von einer Gleichmäßigkeit zu sehen, wie man sie auf dem Exerzierplatz erlebt. Aber es blieb zunächst bei den Armen. Sie schienen den Rhythmus in den Körper hineinschaufeln zu wollen.

Wenig später waren die Beine an der Reihe!

Es ging wieder alles sehr schnell und lief auch zackig ab. Der Soldat zog das linke Bein an, das rechte folgte, und wir vernahmen dieses leise Tack-Tack, wenn er seine Füße wieder auf das Holz des Schreibtisches setzte.

Es war und blieb ein Phänomen. Ich hatte schon einiges erlebt in meiner langen Laufbahn, aber das war mir neu. Die Figur war nicht nur ein Soldat, sie reagierte auch so zackig, als wäre ihr jede Bewegung als Befehl eingeimpft worden.

Nach wie vor trat er auf der Stelle. Er vertrat sich auch nicht. Die Arme schwenkten vor und zurück. Die Beine bewegten sich nie anders. Alles passierte im Gleichschritt und mit den gleichen Bewegungen der Arme, nur blieb er weiterhin auf der Stelle, und wir lauschten den Echos der Tritte, wobei wir uns hin und wieder Blicke zuwarfen, in denen Unverständnis stand.

Karina musste sogar lächeln, aber die Gefühlsregung verschwand sofort, als der Soldat seine Bewegungen änderte. Er trat nicht mehr auf der Stelle, denn ohne irgendeine Ankündigung marschierte er aus dem Stand heraus los.

Er ging nach vorn!

Er marschierte.