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Eines Nachts begann es. Die Menschen hörten das rhythmische, dumpfe Trommeln. Einige von ihnen wussten, dass es nun so weit war.
Sie schlichen sich zu ihren Verstecken und holten es hervor, war sie jahrelang verborgen gehalten hatten - die Puppen!
Kunstvoll gefertigt, magisch aufgeladen, Abbild der Feinde, die es zu töten galt.
Manche ahnten es, nur wenige wussten es. Der Voodoozauber hatte London erreicht. Und bald würde er Früchte tragen: die lebenden Toten ...
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Voodoo in London
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3850-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Voodoo in London
von Jason Dark
Es war eine Nacht, in der das Unheil triumphierte.
Dies spürte Mac, der dunkelhäutige Taxifahrer, deutlich. Selten hatte er so verkrampft hinter dem Lenkrad gesessen, obwohl es eigentlich gar nichts gab, das ihn hätte beunruhigen können.
Dennoch fürchtete er sich.
Vielleicht war es das Ziel seiner Fahrt. Telefonisch war er in den Osten bestellt worden. Zwar stammte er aus diesem Teil Londons, aber gern fuhr er dort nicht hin. Vor einigen Jahren war er mit seiner Familie weggezogen. Ein Gewinn beim Bingo hatte es ihm ermöglicht. Es blieb sogar noch Geld übrig, um sich ein Taxi zu kaufen, und Mac hatte die schwierige Prüfung bestanden, der sich jeder neue Taxifahrer unterziehen musste, wenn er eine Fahrerlaubnis haben wollte. Das alles lag hinter ihm. Mit der bestandenen Prüfung hatte er seine Vergangenheit abschütteln wollen. Sie blieb zurück im Londoner Osten, in den Gettos, wo die Chicos, zu denen er sich auch einmal gezählt hatte, auf engstem Raum hausten und von der Wohlfahrt oder von kleineren Verbrechen lebten.
Es war eine verdammte Gegend, in die er musste, aber die Fahrt brachte Geld.
Und noch einen Grund gab es, dass er nicht abgesagt hatte. Dieser Grund hatte einen Namen.
King Grenada!
Man sprach nur flüsternd über ihn. Es gab Leute, die behaupteten, dass er überhaupt nicht existierte, aber Mac wusste es besser. Er hatte diesen Menschen schon gesehen, der sich selbst als König der Chicos bezeichnete und den Osten regierte.
Selbst die allmächtige Mafia mit Logan Costello an der Spitze ließ aus diesem Gebiet ihre Finger, denn der Osten gehörte allein King Grenada. Wenn er befahl, spurten die anderen, und auch Mac wusste, dass er ihm gehorchen musste, denn Grenadas Männer würden ihn überall finden.
Sie waren nicht nur gnadenlose Mörder, sondern trugen auch die Kraft des Teufels in sich. Denn King Grenada war vor seiner Londoner Zeit auf den Bahamas ein berüchtigter Totenpriester gewesen, ein Voodoo-König, dem man nachsagte, dass er Leichen in ihren feuchten Gräbern durch einen unheilvollen Zauber wieder zum Leben erwecken konnte.
Dann dröhnten in der Nacht dumpf die Trommeln, geschlagen von den Adepten des Totenpriesters.
Der Voodoo-Schrecken war mit Worten kaum zu beschreiben, zu grausam, bizarr und irreal war er.
Mac setzte seinen Weg fort. Auf der Horseferry Road rollte er dahin und näherte sich auch schon der Lambeth Bridge, die er nehmen wollte, um die Themse zu überqueren.
Es herrschte noch ziemlich viel Verkehr. Die Straßengeräusche kamen Mac seltsam dumpf und unwirklich vor, als würde er nicht durch die Nacht rollen, sondern geradewegs in einen geisterhaften Schlund fahren, der alles in die Tiefe zog.
Und dieser Schlund war gefüllt mit seltsamen Dämpfen, die sich im Licht der beiden Scheinwerfer zu Spiralen drehten. Doch es war nur der Nebel, der vom Ufer des Flusses aufstieg, sich träge in den Niederungen ausbreitete und über die Fahrbahn wallte.
Auf der Brücke fuhr Mac noch langsamer. Hier hatte sich der Nebel verdichtet.
Vor ihm war ein Lastwagen. Das Licht der roten Heckleuchten zerfaserte im Dunst und glich unheimlichen Voodoo-Feuern in der Schwärze der Nacht.
Wieder musste Mac daran denken. Über seinen breiten Rücken zog sich eine Gänsehaut. Der Mund zuckte, er schluckte ein paarmal. Vergeblich versuchte er, die Gedanken abzuschütteln, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen.
Die schaurige Zauberkunst der Karibik hielt ihn in ihrem Bann.
Voodoo in London!
Das konnte er sich überhaupt nicht vorstellen. Dafür brauchte man die schwülen Nächte, den Vollmond, der über den gebogenen Wipfeln der Palmen stand und den lebenden Leichen Kraft spendete.
»Nein!«, flüsterte er. »Das ist Unsinn. Ich mache mich nur selbst verrückt …«
Schon bald kutschierte er über die Lambeth Road in Richtung Osten. Jetzt hatte er es nicht mehr weit, die Gegend würde bald mieser werden, bereits hinter dem St. George’s Circus fing es an.
Mac kam schneller voran und musste sich stärker auf den Verkehr konzentrieren. Er nahm sich vor, dass dies seine letzte Fahrt in dieser Nacht sein würde. Er wollte den Fahrgast aufnehmen, ihn ans gewünschte Ziel bringen und dann Feierabend machen.
Es war eine finstere Nacht, geschaffen für ungesetzliche Dinge. Hinzu kam die Kälte, die die letzten, ungewöhnlich warmen Novembertage abgelöst hatte. Sie schien in der Luft zu hängen. Die Bäume hatten nach dem großen Sturm sämtliche Blätter verloren. Sie waren mit hellem Raureif überzogen und verstopften die Rinnsteine.
Hatte Mac bisher über breite Straßen fahren können, änderte sich dies nun. Er geriet in das Straßengewirr des Stadtteils Southwark und damit direkt ins Herz des Londoner Armenviertels. Hier hatte er auch einmal gelebt, und hier hausten noch immer die Gestrandeten, die Arbeitslosen und Farbigen.
Man hatte ihm eine Adresse nahe der Great Dover Street angegeben. Wo genau das Haus lag, hatte er wieder vergessen. In der Nähe einer U-Bahn-Station hielt er an, schaltete die Innenbeleuchtung ein und holte einen Zettel hervor, den er erst glattstreichen musste, um das Geschriebene lesen zu können.
Mac runzelte die Stirn, über die sich graues Haare krauste. Als er sein Gesicht im Rückspiegel sah, entdeckte er Schweißperlen, die über seine Schläfen rannen.
Die Anschrift befand sich im Gebiet der Lagerhallen. Wohnte dort überhaupt jemand?
Mac schaltete die Innenbeleuchtung wieder aus und dachte nach. Eigentlich war das kein Wohnviertel. Doch so etwas konnte sich ändern. Mac erinnerte sich daran, von umgebauten Fabrikhallen gelesen zu haben. Die Stadt London hatte die leer stehenden Gebäude aufgekauft, umgebaut und das Wohnviertel den Farbigen und sozial Schwachen zur Verfügung gestellt.
So etwas Ähnliches musste es sein. Sein Ziel war nicht mehr weit entfernt.
Mac war im Begriff zu starten, als er die Bewegung wahrnahm. Dicht neben der Fahrerseite. Macs Kopf ruckte in die Richtung, seine Hand legte sich um den Griff des Schlagstocks, den er im Fußraum deponiert hatte.
Er starrte in ein Gesicht.
Es gehörte einem Farbigen. Der Mann war noch jung. Er presste das Gesicht gegen die Scheibe, dass sich seine Züge zu einer hässlichen Maske verzerrten.
Auf dem Kopf trug der Typ eine Pudelmütze, und so schnell, wie er aufgetaucht war, so schnell zuckte er wieder zurück. Der Mann blieb stehen. Mac starrte ihn an und entdeckte eine Puppe.
Sie hatte ein finsteres Gesicht und hellrote Lippen, die wie zum Schrei geöffnet waren.
Eine Voodoo-Puppe!
Macs Augen weiteten sich. Er hatte zu Beginn der Fahrt an Voodoo gedacht, und plötzlich wurde er damit konfrontiert. Das konnte kein Zufall sein!
Der Taxidriver war nicht in der Lage, seinen Kopf zu drehen. Er stand wie unter einem Zwang und konnte den Blick nicht von der Puppe wenden. Ein seltsames Kribbeln lief über seinen Rücken, denn er hatte das Gefühl, als trüge die Voodoo-Puppe seine Gesichtszüge.
Drei, vier Sekunden verstrichen.
Mac saß still und sah, wie sich eine schlanke und dennoch kräftige Hand mit langen Nägeln in sein Blickfeld schob. Zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte eine Nadel.
Mac wusste, was dies zu bedeuten hatte. Er öffnete den Mund, war allerdings so gelähmt, dass er keinen Laut hervorbrachte.
Die Hand mit der Nadel schwebte über der Puppe, die Spitze des kleinen Instruments wies haargenau auf den Kopf.
Ein Ruck.
Mac verkrampfte sich.
Die Nadel wischte vorbei.
Sie hatte den Kopf nicht getroffen, und der Taxifahrer ließ sich erleichtert zurücksinken. Mac spürte, wie kalter Schweiß in seinen Hemdkragen lief. Das Lachen nahm er ebenso wenig wahr wie die Schritte, die hastig davoneilten.
Der Mann hatte ihm eine deutliche Warnung überbracht. Man hatte von ihm bereits eine Puppe angefertigt, und Mac kannte die Regeln verdammt gut. Wenn er sich weigerte, mit ihnen zusammenzuarbeiten, würde die magisch beschworene Puppe ihre ganze Kraft ausspielen und alles, was sie empfand, auf ihn übertragen.
Warum war dies geschehen?
Mac stellte sich diese Frage wieder und wieder. Dann dachte er an das beklemmende Gefühl, das ihn vorhin befallen hatte. Ja, die Nacht verbarg ihre Gefahren, und sie würde sie irgendwann ausspucken wie ein Mensch eine schlechte Mahlzeit.
Hatte es Sinn, jetzt noch zurückzufahren? Nein, ganz bestimmt nicht. King Grenada hatte gerufen, er musste folgen, sonst würde er sein Leben und das seiner Familie riskieren.
Mac startete den Motor.
In den letzten Minuten hatte er ein paar graue Haare mehr bekommen, davon war er überzeugt.
Eine miese Gegend nahm ihn auf.
Mietskasernen aus den frühen Dreißigern, dazwischen verlassene Tankstellen, leere Gebäude von Firmen, die es irgendwann einmal gegeben hatte, Brachgelände, ausgeschlachtete Autos, Schmutz, Unrat – und einige Lokale, die Mac nur vom Hörensagen kannte, denn in diesen Kaschemmen verkehrte wirklich das letzte Publikum.
Irgendwann sah er ein Straßenschild. Da es gerade noch lesbar war, wusste er, dass er sich nicht verfahren hatte und dass das Haus, zu dem er bestellt worden war, bald auftauchen musste.
Aus dem Dunkel hinter ihm erklang ein Röhren. Etwas explodierte im Rückspiegel, und das grelle Licht blendete ihn für einen Augenblick. Wenig später überholte ihn ein Motorrad. Der Fahrer setzte sich dicht vor Macs Wagen, drehte sich auf dem Bock um und winkte ihm zu.
Mac hatte verstanden. Er sollte ihm folgen.
Der Motorradfahrer geleitete ihn sicher zu seinem Ziel, das wie ein Geist aus der Schwärze auftauchte. Ein gewaltiges Gebäude, eine Kaserne mit mehreren Stockwerken und zahlreichen Fenstern, von denen die meisten im Dunkeln lagen.
Nur ab und zu sah Mac einen bläulichen Schimmer in den Scheiben, hinter denen Fernseher flimmerten.
Der Motorradfahrer bog nach rechts ab. Mac folgte ihm.
Sie fuhren an der Schmalseite des rechteckigen Gebäudes vorbei und erreichten einen kleinen Parkplatz, auf dem mehrere Mittelklassewagen standen. Mac wusste, dass die Fahrzeuge Zuhältern gehörten, die sich in dieser Gegend herumtrieben.
Als das Bremslicht vor ihm aufglühte, stoppte Mac den Wagen. Er löschte das Licht, löste den Sicherheitsgurt und drückte die Tür auf.
Kälte schlug ihm entgegen. Der Atem dampfte wie eine Wolke aus seinem Mund. Mac spürte seinen Herzschlag. Was hier passierte, gefiel ihm nicht.
Sachte ließ er die Wagentür ins Schloss fallen.
Der Motorradfahrer hatte seine Maschine aufgebockt und nahm den Helm ab. Er stand im Lichtkegel einer einsamen Laterne, und Mac konnte ihm direkt ins Gesicht sehen.
Es war derselbe Mann, der ihm die Puppe gezeigt hatte. Sein Grinsen widerte Mac an. Mit der Geschmeidigkeit eines Samba-Tänzers kam der Mann auf ihn zu.
»Hi, Bruder«, sagte er zischelnd. »Du hast alles verstanden?«
»Ja.«
Der Motorradfahrer streckte seinen Arm aus, lachte. Die langen Fingernägel strichen über Macs Wangen und kratzten über seinen Bart.
»Hoffentlich, Mac, hoffentlich hast du alles verstanden!«, raunte er. »Mach mit, Bruder, mach nur mit, denn bald wird alles anders …«
»Verstanden, Bruder.«
Der Typ spitzte die Lippen, als wollte er Mac küssen. Im nächsten Augenblick hatte ihn das Dunkel verschluckt. Nicht einmal seine Schritte waren zu hören.
Für einen Moment blieb der Taxifahrer stehen. Er biss die Zähne aufeinander. Es war lange her, dass er sich so unwohl gefühlt hatte wie in dieser verdammten Nacht.
Da kam etwas auf ihn zu. Ganz bestimmt sogar.
Ein Geräusch unterbrach die Stille, die ihn umgab. Eine quietschende Tür, deren Angeln schlecht geölt waren.
Der Laut war links von Mac aufgeklungen. Er drehte den Kopf in die Richtung und sah einen Lichtschein, der aus einem Haus fiel.
In dem gelbweißen Rechteck der offenen Tür stand ein Mann. »Komm zu mir, Mac.«
»Okay.«
»Aber gib acht. Die Stufen sind schmal.«
Mac stieg eine Böschung hinunter und fand die Treppe. Ein Geländer suchte er vergebens.
Der Mann erwartete ihn. Er war schon älter, hatte eisgraues Haar und trug einen grauen Kittel. Das Gesicht mit der schwarzen Haut war mit zahlreichen Falten übersät, und die Brille, die auf seiner dicken Nase saß, hatte starke Gläser.
Der Taxidriver blieb vor dem Mann stehen und nickte. »Hier bin ich.«
»Ich grüße dich, Mac.«
»Du kennst meinen Namen?«
»Ja, sicher …«
»Komisch. Mich scheinen alle zu kennen. Nur ich kenne keinen von euch, zum Teufel!«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
»Aber du wirst dich doch an den alten Uncle Tom erinnern können. Denk mal nach, Mac.«
Während der Mann sprach, war er einen Schritt zurückgetreten, sodass der Taxifahrer ihn besser erkennen konnte.
Erst jetzt sah Mac das Gesicht deutlicher. Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.
»Klar«, sagte er, »ich kenne dich. Du bist Uncle Tom, der Mann mit den Candies.«
»Richtig mein Junge, richtig.« Der Alte legte seine Hand auf Macs Schulter. »Wie schön, dass du dich erinnerst, wo du nicht mehr bei uns in der Nähe wohnst.«
Der Fahrer hob die Schultern. »So spielt das Leben nun mal. Ich wollte immer weg, das habe ich geschafft.«
»Man soll seine alten Freunde aber nie vergessen«, belehrte ihn Uncle Tom.
Mac überhörte den warnenden Unterton in der Stimme. Er dachte zurück an die Zeiten, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Uncle Tom gehörte zu den angenehmen Erinnerungen seiner Kindheit. Tom hatte die Süßigkeiten selbst hergestellt. Aus Zucker und Karamell. Die Bonbons hatte er zumeist an die Kinder verschenkt. Vielen Jungen und Mädchen war der alte Mann wie ein heller Stern am dunklen Himmel ihrer Trostlosigkeit vorgekommen.
»Wen soll ich denn abholen?«, fragte Mac und begab sich damit wieder von seinem geistigen Ausflug in die Vergangenheit zurück auf den Boden der Tatsachen.
»Mich nicht.«
»Wen dann?«
Der Alte senkte seine Stimme. »Er ist im Keller.«
Mac runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Du kannst ihn doch rufen.«
»Nein, nein, so einfach ist das nicht. Du musst schon mitkommen, Mac, wirklich.«
Der Driver schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, so etwas ist doch nicht normal. Wenn du es nicht gewesen wärest, Uncle Tom, dann würde ich jetzt fahren.«
»Mach dich nicht unglücklich, Junge. Man stellt sich nicht gegen King Grenada.«
»Was hat er damit zu tun?«
Der Alte lachte fast lautlos. »Frage nie, Mac! Hast du das schon vergessen? Diese Regel von früher gilt auch heute. King Grenada bestimmt, was geschieht. Wir haben uns zu fügen. Hörst du? Zu fügen!«
»Klar, ich habe verstanden.«
Sie waren durch einen schmutzigen Flur gegangen und standen nun vor der Kellertür.
Es brannte ein trübes Licht. Die alten Steinstufen waren abgetreten. Muffiger Geruch drang aus der Tiefe. Uncle Tom ging vor.
»Ich kenne mich hier aus«, sagte er. »Du kannst mir vertrauen.«
Mac folgte ihm.
Die Sache gefiel ihm immer weniger. Er hatte sich eigentlich noch nie vor Kellern gefürchtet, nun überkam ihn ein komisches Gefühl.
Außerdem dachte er wieder an den Typen mit der Voodoo-Puppe. Das war kein Spaß gewesen, sondern Ernst. Die Leute hier führten etwas im Schilde. Mac wusste nicht, wer alles in dieser Mietskaserne wohnte. Uncle Tom kannte er. Mit den anderen wollte er es nicht zu tun kriegen.
Sie hatten die Treppe hinter sich gelassen und gelangten in den eigentlichen Keller. Der Gestank nahm zu. Ein Gang schluckte sie. Das Licht wurde noch schlechter. Rechts und links erstreckten sich einzelne Verschläge.
In der Mitte des Gangs blieb Uncle Tom stehen und deutete auf eine Metalltür. »Dahinter liegt er«, sagte er.
»Liegen?«
»Ja, mein Junge. Es ist ein Toter!«
Mac wurde bleich. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit, dass er einen Toten fahren sollte.
»Hat man dir das nicht gesagt?«, fragte Uncle Tom.
»Nein.«
»Nun ja. King Grenada hat sich für dich entschieden. Du sollst die Leiche wegschaffen.« Uncle Tom sprach dies, als wäre es die normalste Sache auf der Welt. Er griff in seine rechte Kitteltasche und holte einen Schlüssel hervor.
Mac wartete. Seine Augen verengten sich, die Nackenhaare stellten sich auf. Eine Voodoo-Puppe, eine Warnung, jetzt ein Toter. Mac war gespannt, was noch in dieser Nacht auf ihn zukommen würde.
Der Alte schloss die Tür auf. Sie quietschte in den Angeln, als er sie bis zum Anschlag öffnete. Das Licht aus dem Gang war zu trübe, um den Verschlag erhellen zu können, deshalb sah Mac nichts. Uncle Tom beugte sich vor und schob sich an ihm vorbei.
»Warte einen Moment«, hörte er den Alten flüstern.
Im Verschlag machte er Licht. Eine nackte Glühbirne flammte auf. Ihr Licht fiel auf zahlreiche Kartons, die sich an den Wänden stapelten. Eine Beschriftung gab es nicht, aber das interessierte Mac nicht, wichtiger war der Tote.
Dicht hinter der Tür lag er. Ob es ein Mann oder eine Frau war, konnte Mac nicht erkennen, man hatte die Leiche notdürftig in einen Sack gesteckt. Der Unterkörper ragte noch hinaus. Jemand hatte Stricke um den Toten gewickelt. So fesselt man auch einen lebenden Menschen, wenn er nicht weglaufen soll, dachte Mac.
»Das ist er«, sagte der Alte und deutete auf das Bündel.
»Wieso habt ihr ihn eingepackt und gefesselt?«
»Frag nicht, Junge, sondern nimm die Leiche und schaff sie weg!«
»Wohin denn?«
»Das wird man dir noch sagen, wenn du oben angekommen bist. Lade sie auf deine Schultern und wirf sie in den Kofferraum!«
Mac schüttelte den Kopf. »Ich … ich mache mich strafbar, Uncle Tom. Das kann ich gar nicht. Ich verliere meine Lizenz, wenn ich so etwas tue …«
Der Alte atmete tief ein. »Bist du eigentlich verrückt?«, zischte er. »Strafbar machst du dich? Natürlich, aber was zählt das schon? Denk an King Grenada. Er ist so etwas wie ein Gott, verstehst du? Er hat dich von hier wegziehen lassen, und wenn jemand weggezogen ist, bleibt er trotzdem einer von uns. Er wird uns immer einen Gefallen tun müssen, wenn wir ihn brauchen. Der King erinnert sich an dich. Er freut sich, dass du es geschafft hast. Doch ohne Fleiß kein Preis. Sei fleißig für uns und den Voodoo …«
Mac erschrak. »Was hast du mit Voodoo zu tun, Uncle Tom?«
»Nichts, Junge, vergiss es!«
»Uncle Tom, ich will es wissen …«
»Nimm die Leiche, nun mach schon!« Die Stimme des Alten klang befehlend.
Mac nickte, er hatte sich entschlossen, den Job zu übernehmen. Allein seiner Familie zuliebe. Ihr war nicht gedient, wenn die Frau ohne Mann dastand und die Kinder ohne Vater. Da war es besser, sich ein wenig außerhalb der Legalität zu bewegen. Zudem war King Grenada nicht zu unterschätzen.
Ein brutaler Bursche war das, ein …
Seine Gedanken stockten. Mac hatte sich gebückt, um die Leiche hochzuhieven, doch mitten in der Bewegung erstarrte er. Er hatte etwas gesehen, das ihm den Atem raubte.
Die Leiche im Sack bewegte sich!
***
Aus dem Mund des Taxifahrers drang ein ächzender Laut. Er wusste, dass er sich nicht getäuscht hatte. Innerhalb dieses Verlieses war es windstill, kein Luftzug hatte den Sack gestreift. Die Bewegung war von innen gekommen, von der Leiche.
Und jetzt wieder.
Der oder die Tote zog die Beine an. Gleichzeitig zuckte der Oberkörper. Mac dachte nicht an einen lebenden Toten, sondern an einen bewusstlos geschlagenen Menschen, der noch einmal zu sich gekommen war.
Da konnten ihm zehn King Grenadas drohen. Keinesfalls würde Mac dieses Bündel wegschaffen. Einen Toten, der lebte, der vielleicht nur …
»Was ist, Mac?« Die Stimme des Alten unterbrach seine wirren Gedanken.
Der Fahrer fuhr hoch und schaute in das faltige Gesicht von Uncle Tom.
»Ich mache es nicht!«, flüsterte Mac. »Verdammt, ich mache es nicht. Die Person lebt, hast du das nicht gesehen?«
»Schon.«
»Und du sagst nichts? Du lässt einfach zu, dass ich einen Menschen wegschaffe, der gar nicht tot ist?«
»Natürlich.«
»Ich verstehe dich nicht, Uncle Tom. Der King mag noch so mächtig sein, das kann er nicht verlangen. Ich werde den Sack aufschneiden. Wir müssen das Opfer befreien.«
»Das würde ich dir nicht raten, Junge«, erwiderte der alte Schwarze mit dumpfer Stimme.
»Und weshalb nicht?«
Die Haut des Alten nahm einen grauen Schimmer an. Bevor er antwortete, schaute er in den Gang.
»Weil er schon tot ist«, senkte er die Stimme zu einem Gänsehaut erzeugenden Flüstern.
Mac schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht. Ich habe gesehen, wie er sich bewegt hat.«
»Junge, begreife endlich. Das ist ein lebender Toter. Ein Opfer des Voodoo!«