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In Rumänien, der Heimat der Vampire, hatte Lady X standesgemäß ihr Ende gefunden. Begraben in unheiliger Erde und vor Grabräubern durch geweihte Kreuze geschützt.
Aber sie war nicht vergessen.
Es gab Vampire, die ihrer gedachten und eine Wallfahrt zum Grab der Lady X organisierten. Sie charterten den Vampir-Express.
Es wurde eine Fahrt in die Hölle!
Und ich war Fahrgast im Vampir-Express ...
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Vampir-Express
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3851-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Vampir-Express
von Jason Dark
Die Gestalten saßen in der Dunkelheit, weil sie diese so liebten. Dafür hassten sie das Lic⁄ht und besonders die Sonne mit ihren heißen, erbarmungslosen Strahlen.
Im Finstern fühlten sie sich wohl, schließlich waren sie selbst Geschöpfe der Nacht.
Minutenlang hatte Stille zwischen ihnen geherrscht, bis sich aus dem Dunkel eine Stimme erhob. »Wir können es nicht so lassen, meine Freunde.«
Ein Murmeln war die Antwort. Vorschläge wurden nicht in die Diskussion geworfen.
»Also, Freunde, was sollen wir tun?« Wieder dieselbe Stimme.
»Mach du einen Vorschlag! Schließlich hast du uns zusammengeholt, Väterchen.«
»Hör auf mit Väterchen! Ich will wissen, was wir tun sollen. Wir können es nicht hinnehmen, dass man sie in dieser Erde begraben hat und weiter nichts geschehen ist. Schließlich war sie eine von uns, und sie stand weit oben.«
»Aber man hat sie vernichtet«, sagte ein anderer. »Ihr wurde ein Pfahl ins Herz gestoßen.«
»Das wissen wir alle.«
»Richtig. Was können wir dann noch tun?«
»Ihr eine letzte Ehre erweisen.«
»Willst du an ihre Asche?«
»Warum nicht?«
Niemand sprach mehr ein Wort. Das Schweigen stand wie eine Wand zwischen ihnen. Mit diesem Vorschlag hatte niemand gerechnet. An die Asche sollten sie also. Sie vielleicht aus der Erde holen, um sie an einen Platz zu schaffen, der ihnen genehm war.
»Nun?«, erkundigte sich der erste Sprecher. »Seid ihr damit einverstanden?«
Das Murmeln hörte sich nach Zustimmung an. Einer hatte noch Bedenken.
»Wie sollen wir an ihr Grab kommen? Wir müssen nach Rumänien.«
»Ist dieses Land nicht unsere eigentliche Heimat?«
»Das stimmt.«
»Also werden wir auch hinfahren. Sie hat Großes geleistet, und dann einen Fehler begangen, der ihr den Tod brachte, denn sie hat sich mit der Hölle angelegt. Dennoch können wir nur mit Hochachtung von ihr sprechen. Welcher Vampir hat schon eine Organisation wie die Mordliga so sicher geführt?«
Auf diese Frage konnte ihm niemand der Anwesenden eine Antwort geben.
Bis aus dem Dunkel eine kratzige Fistelstimme erklang.
»Gut, wir werden also fahren. Aber wie gelangen wir dorthin?«
Der Hauptsprecher lachte.
»Darum habe ich mich schon gekümmert, meine Freunde«, sagte er. »Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Es steht alles bereit. Sämtliche Schwierigkeiten sind aus dem Weg geräumt. Ich habe, euer Einverständnis vorausgesetzt, eine Wallfahrt organisiert. Ein außergewöhnlich spektakuläres Ereignis. Wir fahren mit dem Zug in das Land unserer Ahnen. In zwei Tagen kann der Vampir-Express starten.«
Wieder entstand eine überraschte Pause.
»Das ist ungeheuer«, sagte einer.
»Einfach unglaublich.«
»Aber machbar«, erwiderte derjenige, der alles organisiert hatte.
»Eine Wallfahrt in das Land unserer Väter, die wir miterleben.«
Jetzt waren sie begeistert. Nur einer von ihnen, der Jüngste im Bunde der Schwarzblütler schien nicht zu begreifen.
»Wen sollen wir eigentlich in Rumänien besuchen?«, wollte er wissen.
»Da fragst du noch? Es ist das Grab einer Frau. Zu Lebzeiten hieß sie Pamela Barbara Scott. Von den meisten wurde sie nur Lady X genannt …«
***
Der Vampir-Express stand auf dem Wiener Westbahnhof. Die meisten Menschen empfanden es als herrlichen Gag, einen Zug mit diesem Namen von Wien aus in den Balkan starten zu lassen. Wer Österreich und Ungarn durchfahren konnte, musste Beziehungen besitzen.
So recht wusste niemand, wer den Vampir-Express gechartert hatte, selbst die flinken Reporter der Wiener Kronen Zeitung waren nicht dahintergekommen. Man sprach von einem geheimnisvollen Adeligen. Andere wollten einen Nachkommen des berühmten Grafen Dracula erkannt haben, wieder andere redeten über eine clevere Gruppe von Geschäftsleuten, die den Zug zu Werbezwecken einsetzen wollten.
Wie dem auch war, es glich einer kleinen Sensation, dass dieser Sonderzug fahren und zudem von einer Dampflok gezogen werden sollte.
Sensationen ziehen Menschen an. So verhielt es sich auch hier. Eine Stunde vor Mitternacht herrschte auf dem schmalen Bahnsteig reger Betrieb. Reporter waren da, Fotografen, Reisende, das Zugpersonal, sie alle bildeten ein buntes Menschengewirr, in dem die Verkäufer mit ihren Imbisswagen nicht fehlen durften.
Der Geruch von heißen Würstchen, von Schaschlik und kleinen Pfannkuchen schwängerte die Luft, und so mancher Reisende nahm noch einen letzten Bissen vor der Abfahrt.
Wie es sich für einen Vampir-Express gehörte, sollte der Zug um Punkt Mitternacht den Bahnhof verlassen. Endstation sollte nicht Bukarest sein, sondern ein kleiner Ort in den Karpaten. Er hieß Petrila.
Was dort geschehen sollte, war unbekannt. Das sollte eine große Überraschung werden.
Und es gab viele Fahrgäste, die sich überraschen lassen wollten. Obwohl die Werbetrommeln nicht groß gerührt worden waren, hatte es sich herumgesprochen, dass ein Vampir-Express startete. Man riss sich um die Karten. Und wegen der vom Veranstalter begrenzten Teilnehmerzahl mussten die meisten mit leeren Händen wieder nach Hause gehen, was sie sehr ärgerte.
Dabei würden sie später von Glück sprechen, keinen Fahrausweis bekommen zu haben!
Die Dampflok wirkte wie ein lauerndes Ungetüm. Laternenlicht fiel auf die bullig wirkenden Waggons, die darin einen leicht goldenen Schimmer bekamen.
Die Abteile waren groß und geräumig. Sie waren luxuriös eingerichtet und besaßen Ähnlichkeit mit den Abteilen, wie man sie im sagenhaften Orient-Express bewundern konnte. Viel Plüsch, viel Pomp. Das einzig Moderne war wohl die Küche im Speisewagen.
Noch waren die Türen geschlossen. Die Reisenden hatten sich auf dem Bahnsteig versammelt. Es war eine gemischte Gruppe. Es wurde zwar nicht ausdrücklich verlangt, doch es wurde gern gesehen, wenn sich die Passagiere so kleideten, wie es dem Stil der damaligen Zeit entsprach.
Man sah Männer mit grauen Zylindern oder Melonen und schmalen Samtkragenmänteln.
Die Frauen trugen lange Röcke, Capes über den Schultern und ausgefallene Hüte.
Im kalten Licht der Laternen wirkten ihre Gesichter ein wenig bleich und die Augen wie dunkle Schattenpunkte in den Höhlen. Die Gruppen hatten sich längst gefunden. Man stand zusammen und sprach über die Fahrt.
Es fiel auf, dass wenig gelacht wurde. Die Spannung war einfach zu groß. Niemand wusste ja, was ihn auf der Fahrt erwartete. Natürlich gab es eine Flüsterpropaganda. Sie sprach von gefährlichen Monstern, von blutsaugenden Vampiren, die die Reisenden überfallen wollten. So recht daran glauben wollte niemand, obwohl bei jedem ein ungutes Gefühl zurückblieb.
Nur noch wenige Reisende trafen ein. Die meisten hatten sich schon eine Stunde früher eingefunden und waren zu einer Beute für die anwesenden Reporter geworden, denn diese wollten alles über die Gefühlslage der Gäste erfahren.
Das Personal kontrollierte ohne Unterlass. Mehrere Männer liefen die Waggons entlang und schauten nach, ob irgendetwas locker saß oder im letzten Moment geölt werden musste. Die Feuchtigkeit hatte einen Wasserfilm auf den Waggons hinterlassen. Er sammelte sich an einigen Stellen und rann in langen Bahnen nach unten.
Als einer der letzten Reisenden traf ein junger Mann ein, der sich bewusst im Hintergrund hielt. Er hatte sich nicht so angezogen, wie man es vor siebzig Jahren getan hatte, sondern trug normale Kleidung, auch wenn er damit auffiel.
Sein Anzug war grau. Der Rollkragenpullover schwarz wie das Gefieder eines Raben, und die Schuhe passten ebenfalls dazu. Über dem Arm trug der Ankömmling einen Mantel. In der anderen Hand hielt er eine prall gefüllte Reisetasche aus ebenfalls schwarz gefärbtem Leder. Er hätte sich gern noch weiter zurückgezogen, doch das war nicht möglich. Denn schon jetzt wurden die Fahrkarten kontrolliert.
Deshalb steuerte er einen der dunkelblau uniformierten Beamten an, der seinen Job sehr wichtig nahm.
»Sie gehören zu den Passagieren?«, wurde der junge Mann gefragt.
Er nickte.
»Dann darf ich Ihre Karte sehen, mein Herr?«
»Natürlich.« Der junge Mann stellte seine Reisetasche zwischen den Beine auf dem Boden ab und holte seine Brieftasche hervor.
»Bitte«, sagte er und zeigte das, was der Kontrolleur zu sehen wünschte.
»Danke sehr!« Der Beamte schaute sich die Karte genau an. Sie war eine Sonderanfertigung und sah aus wie ein Flugticket.
»Sie sind also Herr Domescu?«
»Jawohl, ich heiße Dragan Domescu.«
»Rumäne?«
»Man hört es wohl.«
»Dann treten Sie die Rückreise an?«
»So sieht es aus.«
»Bitte, es ist alles in Ordnung.« Dragan bekam die Karte zurück und steckte sie ein.
Der Kontrolleur schaute ihn noch einmal an. Er sah in ein blasses Gesicht mit hoher Stirn, schmaler Nase und einem Mund, dessen Lippen ein wenig aufgeworfen wirkten. Das gewellte dunkle Haar war dicht und voll, Dragan hatte es nach hinten gekämmt.
»Dann wünsche ich Ihnen eine gute Fahrt, Herr Domescu«, sagte der Beamte, tippte an seinen Mützenschirm und ging.
»Danke.«
»Ah, Sie fahren auch mit.« Einer der anwesenden Reporter war auf Dragan aufmerksam geworden und herbeigeeilt. »Sagen Sie mir, Meister, was hat Sie dazu gebracht, im Vampir-Express zu reisen?«
Der Zeitungsmensch war kleiner als Dragan. Aus diesem Grund schaute der Rumäne dem Mann auf den Kopf. »Abenteuerlust.«
Der Reporter lachte. »Sie und Abenteuerlust?«
»Weshalb nicht?«
»Tut mir leid. Wenn ich so alt wäre wie Sie, würde ich das Abenteuer nicht suchen. Es fällt Ihnen doch bestimmt in den Schoß. Sie brauchen sicher nur mit dem Finger zu schnippen, und schon eilen die tollsten Abenteuer auf zwei schlanken Beinen herbei.«
«Diese Art von Abenteuer meine ich nicht, Meister. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich muss mich ein wenig auf die Fahrt vorbereiten. Das werden Sie sicherlich verstehen.«
»Natürlich.« Der Reporter lächelte und hielt Dragan am Arm fest. »Noch zwei kleine Fragen, mein Herr …«
»Nein, lassen Sie mich.«
»Der Vampir-Express steht hier. Glauben Sie eigentlich an Vampire, mein Herr?«
Dragan holte tief Luft. Die Blicke der beiden ungleichen Männer trafen sich.
»Glauben Sie daran, ja oder nein?«
Dragans Mundwinkel zuckten. Sein Blick war stechend.
»Ja«, sagte er leise und ein wenig zischend. »Ich glaube daran. Ich weiß, dass es Vampire gibt!« Er sprach mit einem rollenden Akzent.
Der andere wich unwillkürlich zurück, denn die Antwort hatte ihn auf gewisse Weise erschreckt. Damit hatte er nicht gerechnet. Alle anderen Passagiere hatten gelacht, wenn auch gekünstelt, aber diese Antwort hatte so verflucht ehrlich geklungen.
Der Reporter war ein alter Profi. Er fing sich schnell und produzierte ein Lächeln.
»Okay, Sie glauben also an Vampire«, sagte er. »Nehmen wir an, dass es sie wirklich gibt. Was würden Sie tun, wenn plötzlich eine dieser Gestalten vor Ihnen stünde?«
»Dann würde ich sie pfählen!« Die Antwort, die der Rumäne gegeben hatte, ohne zu überlegen, klang hart.
Sein Gegenüber pfiff. »Sie sind wirklich ein außergewöhnlicher junger Mann. Aber womit wollen Sie den Blutsauger pfählen?« Lauernd schaute der Reporter Dragan an.
Der Rumäne runzelte die Stirn. Dabei zogen sich seine dunklen Augenbrauen zusammen.
»Womit ich ihn pfählen würde?«, erwiderte er gerade so laut, dass der andere ihn verstehen konnte. »Mit einem Eichenpflock natürlich. Wie tötet man sonst Vampire?«
»Knoblauch, Kreuz …«
Dragan Domescu nickte. »Damit auch. Ich aber verlasse mich lieber auf meinen Eichenpfahl.«
»Tragen Sie den denn bei sich?«
»Immer.«
»Auch jetzt?«
»Ich sagte immer.« Damit war das Gespräch für den Rumänen beendet. Abrupt drehte er sich um und schritt den Bahnsteig entlang.
Er ließ einen nachdenklich schauenden Reporter zurück, der den Kopf schüttelte, denn er konnte die Antwort kaum begreifen.
Dragan schritt an der Waggonreihe entlang. Eine halbe Stunde bis zur Abfahrt. Er spürte, dass sich die Menschen verändert hatten. Sie waren noch gespannter geworden. Das Reisefieber hielt sie gepackt, und es steigerte sich, je näher die Abfahrt heranrückte.
Dragan betrachtete seine Mitreisenden genauer Es waren Menschen der unterschiedlichsten Altersstufen dabei. Er sah junge Leute, Männer und Frauen im mittleren Alter, aber auch welche, die schon im Abend des Lebens standen.
Sie alle wollten fahren, um einen Hauch von Abenteuer zu erleben und vielleicht einen Schauer, etwas Unheimliches.
Am westlichen Ende des Gleises ertönte ein Pfiff. Er klang wie eine Warnung, und das sollte sie in gewisser Hinsicht auch sein. Vier Männer in Arbeitskluft erschienen. Sie begleiteten einen Gabelstapler, der mit ausgefahrener Gabel und voller Fracht auf den Bahnsteig rollte.
Ein jeder sah das Gefährt.
Und ein jeder konnte feststellen, was es geladen hatte.
Särge!
Dragan blieb ebenfalls stehen, stellte sich in den Schatten einer Säule und schaute zu.
Der Stapler hatte gestoppt und drehte sich jetzt. Die Fracht zeigte genau auf die offene Tür des großen Gepäckwagens, die wie ein riesiger Rachen wirkte.
Dragan hörte das Flüstern der Reisenden. Sie alle starrten hin, niemand wagte sich in die Nähe.
Eine Frau wandte sich erschreckt an ihren Mann.
»Wozu nehmen wir die Särge mit?«, fragte sie.
»Vergiss nicht, dass wir mit einem Vampir-Express fahren.«
»Ich will aber keine Särge als Begleitung.«
»Das wusstest du vorher.«
»Ich dachte an einen Scherz.«
»Damit doch nicht.«
Dragan wandte sich von den beiden ab und schlenderte weiter. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. Es wirkte wie eine Maske. Die dunklen Augen waren auf die Särge gerichtet, die von den vier Männern in den Waggon geladen wurden.
Sie arbeiteten schnell und geschickt. Es störte sie nicht, dass sie Zuschauer hatten, und der Fahrer des Staplers packte ebenfalls mit an. Der Reihe nach verschwanden die Särge im Gepäckwagen.
Dragan Domescu stellte sich so hin, dass er in den Wagen hineinschauen konnte, denn er war für ihn wichtig.
Die Särge wurden in die hintere Hälfte geschafft. Dort befand sich auch der Einstieg.
Raffiniert gemacht, denn beide Hälften waren zusätzlich durch eine Innentür voneinander getrennt.
Dragan zählte die Särge.
Er kam auf die Zahl fünf.
Fünf pechschwarze Totenkisten, von denen die letzte soeben eingeladen wurde.
Die zwei Männer, die sie in den Wagen geschoben hatten, drehten sich um, wischten sich die Hände an den Hosenbeinen ab und sprangen auf den Bahnsteig.
Dabei unterhielten sie sich. Dragan konnte leider nicht verstehen, worüber, aber er wollte mit den Männern reden und ging deshalb auf die beiden zu.
»Einen Moment bitte!«, rief er.
»Ja?«
Dragan hielt einen Geldschein in der Hand. »Der gehört Ihnen, wenn Sie mir eine Frage beantworten.«
»Wenn wir können.«
»Waren die Särge leer?«
Die Männer schielten auf den Schein. Der junge Rumäne verstand den Blick und gab das Geld ab.
»Nein, sie waren nicht leer«, bekam er zur Antwort.
»Wer könnte darin gelegen haben?«
»Das war schon die zweite Frage.«
»Natürlich, entschuldigen Sie.« Dragan holte einen weiteren Geldschein hervor.
Den steckte der zweite Mann ein, bevor er antwortete.
»Wir wissen überhaupt nichts«, sagte er. »Aber es stimmt alles. An diesen Särgen ist nichts krumm. Sie werden völlig legal mitgenommen.«
»Könnten Tote in den Särgen gelegen haben?«
»Auch das.«
»Sie wissen also nichts über den Inhalt?«
»Nein.« Die Männer hoben die Schultern, nickten und gingen davon.
Dragan schaute noch einmal in den Wagen, sah die an der Wand aufgereihten Särge. Dann wurde ihm die Sicht genommen, denn ein Mann erschien und rammte die Tür mit einem lauten Knall zu, die nachzitterte, bevor sie sorgfältig verriegelt wurde.
Ein schriller Pfiff tönte über die Köpfe der wartenden Reisenden hinweg.
Dragan schaute auf seine Uhr.
Noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt. Allmählich mussten die Reisenden einsteigen.
Dragan schaute zu Boden und furchte nachdenklich die Stirn. Nun ging kein Weg mehr daran vorbei. Der Zug würde abfahren.
Alle Türen standen offen. Die Passagiere drängten sich in die Waggons. Ihr Gepäck war schon verladen worden. Was die Leute mit in den Wagen nahmen, waren Taschen und kleine Koffer. Handgepäck, das sie nicht weiter behinderte.
Zuerst stiegen die Frauen ein. Dabei gaben sich die Männer wie Kavaliere der alten Schule und reichten ihren Begleiterinnen die Hand, um ihnen in den Zug zu helfen.
Auch das Personal war behilflich. Dragan Domescu hatte Zeit. Den Zug würde er auf keinen Fall verpassen. An der rechten Hand spürte er das Gewicht seines schwarzen Koffers. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er über den Inhalt nachdachte. Diese Fahrt würden so manche nicht vergessen. Und hoffentlich nicht die Blutsauger, die unter Garantie mitfuhren.
Noch eine Minute!
Neben der Lok stand ein Bediensteter. Er hatte die rechte Hand erhoben und schaute zu, wie die restlichen Fahrgäste einstiegen. Nur ein paar Reporter standen noch auf dem Bahnsteig und schossen letzte Fotos. Auch für Dragan wurde es Zeit. Im dritten Wagen hatte er einen Platz reserviert.
Bevor er einsteigen konnte, war der Reporter wieder bei ihm.
»Sie würden sie wirklich pfählen?«, fragte er.
Dragan hatte bereits einen Fuß auf der ersten Stufe.
»Natürlich würde ich sie pfählen«, erwiderte er. »Haben Sie die Särge nicht gesehen? Es waren fünf. Also kann ich mit fünf Vampiren rechnen.«
Der Reporter bewies Humor. »Reicht da überhaupt ein Stab?«
»Und ob. Was meinen Sie, wie schnell ich pfählen kann?« Der junge Mann lachte und stieg ein.
Hart rammte er die Tür zu. Durch das Fenster sah er das fassungslose Gesicht des Reporters, als ein Ruck durch die Wagen ging.
Der Vampir-Express fuhr an!
***
Meine Lage war mehr als bescheiden!
Ich kam mir vor wie eine Katze, die man in einen Schuhkarton gesperrt hatte, wobei der Deckel noch zugeklebt worden war. Nur besaß die Kiste, in der ich steckte, wenigstens ein paar Luftlöcher.
Dafür war die Kiste vernagelt und hatte ein Zollsiegel. Das musste so sein, schließlich wurde die Fracht ins Ausland transportiert. Welchen Inhalt sie enthielt, darüber schwieg des Sängers Höflichkeit. Ich wusste nicht einmal, was in den Frachtpapieren stand, wichtig für mich war, dass ich ungehindert über die Grenzen und damit an mein Ziel gelangte.
Wer eine Kiste irgendwo einlädt, geht nicht gerade sanft mit ihr um. Das hatte ich des Öfteren zu spüren bekommen, wenn die Kiste gestemmt, hochgehoben, gerollt, gekantet und hinuntergeworfen wurde. Ich konnte mich nur wie ein Igel zusammenrollen, den Kopf so gut wie möglich mit den Händen schützen und darauf hoffen, dass ich den Transport ohne große Schäden überstand.
Einmal war sie langsam hochgehoben worden. Ein komisches Gefühl, in der Kiste zu hocken und zu merken, wie sie allmählich in die Höhe schwebte. Durch die Luftlöcher hatte ich ein Wechselspiel zwischen Licht und Dunkelheit gesehen, mal die Umrisse einer Gestalt. Schließlich war ich auf den breiten Trägern eines Gabelstaplers gelandet. Der fuhr mich nun weg.
Über war etwas, meine Kiste stand ebenfalls auf einer anderen. So war ich eingeklemmt.
Und weshalb nahm ich all die Mühen auf mich?
Die Lösung des Rätsels war einfach: Es ging um Vampire, vielleicht sogar um eine vergessene Blutsaugerin, um Lady X.
Es war mir zu Ohren gekommen, dass jemand einen sogenannten »Vampir-Express« gechartert hatte, um von Wien aus ins tiefste Rumänien zu fahren. In die Karpaten, wo das Schloss des Vampirs von der Leppe stand, das Lady X vor ihrem Ende in Besitz genommen hatte. Das alles wäre nicht so tragisch gewesen, wenn das Ziel der Fahrt nicht ein kleiner Ort gewesen wäre, den ich gut kannte.
Petrila!
Und dort, in diesem Dorf, wohnte ein Mann namens Marek. Von Beruf war er Schmied, doch er hatte eine Verpflichtung übernommen, die sich wie ein roter Faden durch sein Leben zog und sich schon durch das Leben seiner Vorfahren gezogen hatte.
Marek war der Pfähler!
Und er hatte Lady X getötet.
Hinter dem Mann lag ein schweres Schicksal, denn er hatte seine Frau begraben müssen, weil sie von Vampiren getötet worden war. Mir war die Aufgabe zugefallen, sie zu erlösen. Eine Sache, an die ich nur mit Schrecken denke.
In Petrila hatte es noch mehr Opfer gegeben. Da war der Bürgermeister Mirca gewesen, der durch die Kugel einer MP niedergemäht worden war. Lady X hatte geschossen, und er war direkt in die Garbe hineingelaufen. Wir hatten ihn beerdigen müssen, aber nicht in unheiliger Erde wie die Blutsaugerin.
Das war alles Vergangenheit, doch ich hatte mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass das, was vergangen war, in der Gegenwart oder Zukunft noch oft genug Wirkung zeigte.
So war es auch hier.
Lady X wurde nicht vergessen. Sie hatte zu lange die Mordliga befehligt und große Macht besessen, und sie war eine Vampirin gewesen, ein Wesen, das normalerweise keine großen Führungsqualitäten besaß, es sei denn bei ihren eigenen blutsaugenden Artgenossen. Aber Lady X hatte es verstanden, die Mordliga zu führen. Damit war sie bei den übrigen Vampiren hoch angesehen und blieb in Erinnerung.