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Viel ist über die Kaisergräber des alten China geschrieben worden. Tausende von überlebensgroßen, steinernen Figuren bewachen die Kaiser auf ihrem Weg in das Reich der Toten.
Als eine dieser Figuren plötzlich in London auftauchte und zu einem geisterhaften Leben erwachte, läuteten bei meinem Freund Suko die Alarmglocken.
In London konnten wir den Fall nicht lösen.
So flogen wir nach China und erlebten ein Abenteuer, wie es fantastischer nicht sein konnte, denn Suko stand plötzlich seinen lebenden Ahnherren gegenüber ...
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Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Die Grabräuber
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4202-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Die Grabräuber
von Jason Dark
Bisher hatte Line Lancaster nicht an Geister oder ähnliche Erscheinungen geglaubt. In dieser kühlen, nebligen Nacht jedoch änderte er seine Meinung radikal.
Er sah einen Geist!
Eine unheimliche Gestalt, die sich aus einer dicken Nebelwolke schälte und die Fahrbahn überquerte.
Line Lancaster blieb stocksteif auf seiner Maschine sitzen. Er sah aus wie ein Rocker, das allerdings täuschte. Lancaster gehörte zu einer Spezialeinheit der Polizei, denn in Soho hatte der Handel mit harten Drogen wieder einmal zugenommen.
Lancaster sollte helfen, ihn zu stoppen. Er durfte alles, nur nicht als Polizist erkannt werden. Deshalb die dunkle Lederkleidung mit den aufgemalten Totenschädeln und den zahlreichen Abzeichen, die allesamt provozierend wirkten.
Das Haar hatte Line unter seinem Helm verborgen und das Visier hochgeklappt. Er stand günstig. Eine Kreuzung lag in seinem Blickfeld, und weiter vorne schimmerte die Beleuchtung einer Bar. An dieser Stelle war der Nebel blutrot.
Und nun die Gestalt!
Line hielt den Atem an. Er hatte nicht gesehen, woher sie so plötzlich gekommen war. Sie überquerte die Straße, und kein Laut war zu hören.
Lancaster schluckte. Er tastete nach seiner Dienstwaffe, traute sich aber nicht, sie zu ziehen, denn angegriffen wurde er von dieser gespenstischen Gestalt nicht.
Der Nebel nahm ihm einen Großteil der Sicht. Es war ihm nicht möglich, Einzelheiten zu erkennen, dennoch konnte er Vergleiche anstellen und kam zu dem Entschluss, dass diese Gestalt wesentlich größer war als ein normaler Mensch.
Zudem besaß sie eine seltsame Kopfform. Der Schädel war oben schmaler und eckig, als hätte die Gestalt einen übergroßen orientalischen Hut auf dem Kopf.
Der Polizist dachte über die Erscheinung nach. Er konnte sie nirgendwo einordnen. Sie schien kein Mensch zu sein, obwohl sie wie einer wirkte.
Und sie nahm keine Notiz von ihm.
Eigentlich hätte sie den auf der Maschine wartenden Polizisten entdecken müssen, aber die Gestalt ging weiter.
Ein schmaler Gegenstand befand sich auf dem Rücken. Er sah aus wie ein dickes Rohr, aus dem oben etwas hervorlugte. Line Lancaster dachte sofort an Pfeile. Wenn das zutraf, musste der lange Gegenstand ein Köcher sein. Und den dazugehörigen Bogen sah der Polizist jetzt.
Er war kaum zu erkennen, aber da hing etwas quer über den Oberkörper des Mannes.
Pfeil und Bogen.
Und das in London!
Line schluckte. Er blinzelte ein paarmal, und als er wieder aufschaute, war die Gestalt nicht mehr zu sehen.
Gekommen wie ein Spuk, verschwunden wie ein Spuk. Wirklich geisterhaft und unerklärlich.
Der Polizist spürte Unbehagen. Auf seinem Rücken hatte sich Gänsehaut gebildet, im Nacken kribbelte es, und er glaubte, dass er einem Geheimnis, wenn nicht sogar einem Verbrechen auf der Spur war. Wer so unheimlich durch die nachmitternächtlichen Straßen von Soho schlich, hatte etwas zu verbergen. Daran gab es nichts zu rütteln.
Und Lancaster dachte, dass diese Person einen Auftrag auszuführen hatte. Der Polizist konnte sich nicht vorstellen, dass sie einfach so durch die Straßen lief.
Die hatte etwas vor!
Lines Kehle wurde eng, die Augen zu Sicheln. Ein Zeichen, dass er sich entschlossen hatte, etwas zu unternehmen. Wenn der andere eine Gesetzesübertretung plante, würde er ihn aufhalten. Mit einer entschlossenen Geste klappte der Mann das Visier nach unten. Dann startete er.
Überlaut kam ihm der Motor seiner Honda vor. Es herrschte wenig Betrieb, so gut wie niemand befand sich in diesem Viertel auch auf der Straße. Selbst die üblichen Touristen waren vom Wetter abgeschreckt worden und blieben lieber in ihren Hotels. Wenn jemand in Soho unterwegs war, dann in den Kneipen und zwielichtigen Bars. Und die Leute waren zumeist Einheimische. Stammgäste also.
Er rollte langsam an.
Es waren nur wenige Yards bis zur Straßenkreuzung. Der Polizist tauchte in die Nebelschwaden ein und wurde von ihnen verschluckt. Das Motorengeräusch seiner Honda klang geisterhaft dumpf, bis es schließlich nicht mehr zu hören war. Line Lancaster war in eine schmale Straße eingebogen.
Dort war der Unheimliche verschwunden.
Nebel auch hier.
Der Frühling stand vor der Tür, aber noch kämpfte der Winter, noch gab es Frost in der Nacht. Das beginnende Frühjahr und der Herbst bescherten London Nebelwochen. Line hatte sie oft verflucht. Ändern konnte er aber nichts am Wetter.
Kein Mensch war auf der Straße, nur er.
Das Licht des Scheinwerfers tauchte in die graue Suppe und wurde aufgesaugt. Der Polizist spürte jede Unebenheit des Bodens, so langsam fuhr er. Nach vorne gebeugt, hockte er auf seiner Honda. Er hatte den Kopf ein wenig angehoben, um den Mann zu sehen.
Er kannte die Straße genau. Hier gab es zwei kleine Theater, ein Programm- und ein Pornokino.
Früher hatte es hier Kneipen gegeben, doch die waren geschlossen worden. Die Leute hatten nicht mehr das Geld, um es in die Bars und Lokale zu tragen.
Lancaster fuhr auf der Straßenmitte. Niemand kam ihm entgegen. Nur der Nebel wallte in dicken Schwaden zwischen den Häusern zu beiden Seiten.
Wo steckte die Gestalt?
Sein Blick glitt nach rechts und links. Möglicherweise hatte sich der andere versteckt. Line dachte daran, die Zentrale zu alarmieren, denn eine Person, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet war, war alles andere als harmlos.
Bisher hatten höchstens Touristen die engen Straßen von Soho für unheimlich gehalten, aber nicht die Einheimischen oder Polizisten wie Line.
Diese Meinung änderte er nun. Plötzlich kam ihm das so vertraute Pflaster nicht mehr geheuer vor. Der Nebel und die Stille waren schuld daran.
Die grauen Schwaden gaukelten ihm gespenstische Figuren vor, geisterhafte Schemen, zu denen diejenige, die er entdeckt hatte, genau passte.
Er hörte das hohe Lachen einer Frau. Es wehte aus einem offenen Fenster, zusammen mit einigen Musikfetzen. Danach schrie ein Mann, das Lachen verstummte und machte wieder dieser gespenstischen Stille Platz.
Line Lancaster war froh, dass er den Motor seiner Maschine hörte. Dieses Geräusch war für ihn ein Stück Wirklichkeit, damit konnte er sich identifizieren, aber nicht mit einer Gestalt wie der, die er verfolgte, obwohl er sie nicht sah.
Line wusste, dass sich die Straße bald stark verengte. Sie wurde zu einer Gasse, die von hohen Mauern eingegrenzt war. Dort lag das Gelände einer Spedition und das einer Schnapsfabrik.
Line erinnerte sich, dass es auf dem Areal schon so manche Schießerei gegeben hatte.
War dieses Gelände vielleicht das Ziel des anderen?
Nein! Im nächsten Augenblick wurde Line eines Besseren belehrt. So rasch wie beim ersten Sichtkontakt tauchte er auch dieses Mal wieder auf. Plötzlich sah der Polizist die Umrisse des anderen. Er wirkte wie ein vom Nebel umwehtes Denkmal, so starr und unbeweglich stand er auf der Stelle.
Etwas hatte sich verändert.
Der andere trug den Bogen nicht mehr über der Schulter, er hielt ihn jetzt in den Händen, und er hatte einen Pfeil auf die Sehne gelegt. Die Spitze zeigte genau auf Lancaster.
Der Polizist bremste.
Auf einmal trommelte sein Herz wie verrückt. Fast wäre er von der Maschine gekippt. Er setzte beide Füße auf den Boden und blieb im Sattel, während seine Linke nach dem Sprechgerät am Lenker tastete.
Instinktiv wusste Line, dass er gegen diesen Fremden allein nicht ankam und Hilfe benötigte.
Es kostete ihn Mühe, sich zusammenzureißen und seine Angst nicht zu zeigen.
»Wer sind Sie?«, fuhr er den anderen an. Seine Stimme kannte er kaum wieder.
Er bekam keine Antwort.
»Sagen Sie etwas!«
Während er sprach, sah er den anderen starr an, und Line erkannte, dass dieser seinen rechten Arm bewegte und gleichzeitig nach hinten zog.
Er spannte die Sehne weiter, um zu schießen.
Plötzlich befand sich Line Lancaster in Lebensgefahr. Das wusste er genau. Ohne seine Waffe zu ziehen, schnellte er nach rechts, kam von der Maschine weg und prallte auf den Boden.
Im selben Augenblick löste sich der Pfeil. Line vernahm ein seltsam hohes, sirrendes und singendes Geräusch, das ihm Angst einjagte.
Der Pfeil traf ihn nicht. Line war gerade noch davongekommen, aber seine Maschine war getroffen worden.
Auf dem Boden liegend, erkannte der Mann, dass der Unheimliche direkt in den Tank geschossen hatte. Der Schaft des Pfeils schaute dort hervor.
Für Line unbegreiflich. Und weit unbegreiflicher war es für ihn, dass der andere abdrehte und ging. Schon nach wenigen Schritten verschluckte ihn der Nebel.
Line blieb liegen.
Er schüttelte den Kopf, öffnete den Mund, doch nicht ein Wort drang über seine Lippen. Zu entsetzt war er.
In dem Augenblick wurde ihm wieder bewusst, dass er ein Ordnungshüter war. Er musste etwas unternehmen! Er konnte den anderen nicht laufen lassen. Allein war er nicht stark genug, seine Kollegen mussten helfen.
Über Funk nahm er Verbindung zu ihnen auf. Sofort meldete sich die Zentrale, denn Line war auf die Notruf-Frequenz gegangen. Seinen Bericht wollte man ihm nicht glauben, doch Line drängte darauf, ihm Unterstützung zu schicken.
Noch einmal gab er seinen genauen Standort durch und bat um eine Großfahndung.
»Verantworten Sie den Einsatz?«, fragte ihn der Kollege aus der Leitstelle.
»Wenn es sein muss, ja.«
»Dann viel Spaß.«
Line legte auf. Er konnte ihm nicht einmal einen Vorwurf machen. Wahrscheinlich hätte er nicht anders reagiert, wenn man ihm die Meldung gemacht hätte.
Wieder schaute er auf den Tank. Der Pfeil hatte ihn tatsächlich durchschlagen. Welch eine Kraft musste hinter diesem Schuss gesteckt haben!
Da die Maschine mitten auf der Straße lag, schob Line sie zur Seite, damit sie kein Hindernis mehr bildete. Dann machte er sich zu Fuß an die Verfolgung.
Beim nächsten Mal würde er schießen …
***
Die drei Männer hockten im Hinterzimmer einer Kneipe und pokerten um harte Währung.
Als Gangster konnte man sie nicht bezeichnen. Von ihnen hatte bisher niemand einen Mord auf dem Gewissen, doch eine saubere Weste besaßen sie auch nicht.
Offiziell gaben sie »Kaufmann« als Beruf an, »Hehler« wäre treffender gewesen oder »Spezialist für brisante Aufträge«. Diese drei verschacherten alles, was sie in die Finger bekamen.
Da war der Kaufmann David Stern, dann ein Mann namens Mickey und der Chinese Wan.
Er gehörte ebenfalls zur Spitze, obwohl er sich stets zurückhielt und ein unauffälliges Leben führte. Nur Eingeweihte wussten über ihn Bescheid.
Ein seltsames Trio, das sich einmal in der Woche zum Kartenspielen traf. Außerdem nannte sich die Kneipe, in deren Hinterzimmer alles ablief, Last Chance.
Wie immer trug David Stern einen schwarzen Anzug mit Nadelstreifen. Wie immer behielt er seinen dunklen Hut auf, und wie immer vergrub er die Finger der Linken in seinen Vollbart, wenn er über ein Problem nachdachte.
Er hatte die Ruhe weg, was Mickey, diesen verschlagenen, rattengesichtigen Burschen außerordentlich störte, denn ihm konnte es nicht schnell genug gehen. Zudem lagen vor ihm bereits eine Menge Scheine. Er hatte in dieser Nacht das große Glück gehabt.
»Willst du endlich setzen?«, fragte er grimmig.
»Warte es ab«, erwiderte der Kaufmann.
Mickey verzog das Gesicht. Er klatschte seine Karten auf die mit grünem Filz bespannte Tischplatte und griff zur Ginflasche. Daneben stand ein Wasserglas. Er füllte es bis zur Hälfte. Mickey leerte in jeder Pokernacht eine Flasche Gin, und man merkte ihm anschließend kaum etwas an.
Der Chinese blieb ruhig. In seinem breitflächigen Gesicht rührte sich kein Muskel. Nicht einmal die Lippen kniff er zusammen. Die Brauen wirkten rasiert, in den dunklen Pupillen zeigte sich kein Leben, und selbst seine beiden Pokerkollegen hatten ihn noch nie lächeln gesehen.
Er war der kleinste, aber gefährlichste Mann unter ihnen. Es ging das Gerücht um, er wäre mit verschiedenen Waffen ausgestattet, doch niemand wusste, welche es waren.
Man sprach von Spezialwaffen aus China.
Möglich war alles …
»Gehst du mit, David?«
Stern nickte. »Aber immer, Mickey. Und Hosen runter!«
»Dann erhöhst du nicht?«
»Nein.«
»Schade, ich hätte dich gern blank gehabt.« Mickey trank noch nicht. Stattdessen legte er die Karten mit einer nahezu sanften Bewegung hin.
Ein gutes Blatt.
Drei Könige, zwei Asse. Ein sogenanntes »Full House«.
Mickey funkelte den Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug an. »Na, ist das nicht spitze?«
»In der Tat«, erwiderte David Stern ruhig.
Aus dem Dunkeln schob sich Mickeys Hand in den Lichtkreis der Lampe, die über dem Tisch hing, um das Geld aus dem Pott an sich zu nehmen, doch David hielt ihn zurück.
»Einen Augenblick!«, knurrte er.
Die Hand erstarrte. Mickey leckte sich ein paar Schweißtropfen von den Lippen »Wieso?«
»Ich habe noch nicht aufgedeckt.«
»Aber du hast doch …«
»Nichts habe ich, Mickey. Jede Glückssträhne geht einmal zuende. Auch deine.«
Wan kümmerte sich nicht um den Dialog der beiden. Er war bereits aus dem Spiel ausgestiegen.
»Dann zeig endlich, was du hast, Mensch!«
»Sicher, Mickey.«
David Stern deckte auf. Er tat es ruhig, sicher, überlegen.
Und er präsentierte sein Blatt mit einem süffisanten Lächeln, denn es waren vier Zehner.
Ein Vierling. Der ging über ein Full House.
Mickey verzog das Gesicht. Ein nicht druckfähiger Fluch drang aus seinem Mund, während Wan nickte und David Stern das Geld lässig einsteckte, ohne eine Miene zu verziehen.
Es waren schließlich über 300 Pfund.
Die Tür wurde geöffnet, und der Wirt erschien.
»Möchten die Gentlemen noch etwas trinken?«, fragte er ergeben.
Wan bestellte eine Flasche Mineralwasser. Stern nichts, Mickey war nach wie vor mit Gin versorgt.
Der Chinese musste mischen und schaute sich um. Das Hinterzimmer war typisch. Es hätte aus einer Filmkulisse stammen können. Die abgeblätterten Tapeten, die runde Lampe unter der Decke, der ebenfalls runde Kartentisch und die harten, ungepolsterten Stühle.
Es gab zwei Fenster und zwei Türen. Die Fenster waren von der Straße her nicht einsehbar, da sie auf der Rückseite des Gebäudes lagen. Die zweite Tür führte in einen schmalen Gang. Sie diente als Fluchtweg in den Hinterhof.
Der Chinese blickte aus einem der beiden Fenster. Für einen Moment wurde sein Blick starr, und seine Haltung änderte sich.
Draußen trieb der Nebel vorbei. Dennoch glaubte er, eine Gestalt gesehen zu haben.
Lauerte dort jemand?
»Was hast du?« David Stern hatte aufgeblickt, während Mickey seinen Gin trank.
»Nichts, gar nichts.«
»Aber du hast …«
»Eine Täuschung, David. Ich dachte, es wäre jemand da draußen entlangspaziert und hätte einen Blick hineingeworfen.«
Stern drehte sich um. »Das war sicherlich der Nebel. Er gaukelt einem manchmal Dinge vor, die es überhaupt nicht gibt.«
»Natürlich, so wird es gewesen sein.« Wan begann mit dem Austeilen der Karten. Sie rutschten glatt und sicher über die Tischplatte. Ein jeder bekam fünf.
Mickey hob sie sofort auf und warf einen Blick darauf. Sein Gesicht verzerrte sich. Er schien keine guten Karten zu haben. Ihm sah man es meist an, aber er hatte auch schon geblufft, deshalb verließen sich die anderen nicht zu sehr auf seine Mimik.
Bevor sie boten, setzten sie ein. Jeder 10 Pfund. So lagen immerhin 30 Pfund im Topf.
Stern nickte Mickey zu. »Du beginnst!«
»Ich schiebe.«
Wan setzte 5 Pfund ein.
»Mehr nicht?«, fragte Stern.
»Nein, geh du doch höher.«
»Das werde ich.« David Stern nahm einen zerknitterten Schein und schleuderte ihn lässig in die Mitte. Es war ein Fünfziger.
»Shit, ich steige aus«, kam es von Mickey. Er knallte seine Karten auf den Tisch und griff zu einer Filterlosen.
Nur noch Wan und Stern spielten. Die beiden schenkten sich nichts, denn sie konnten ausgezeichnet bluffen und hatten sich hervorragend in der Gewalt.
»50 Pfund«, sagte Wan und nickte sich selbst zu, während er mit den Fingern eine Banknote zerknüllte.
Mickey lachte. »Ziemlich viel Kies für einen Chinesen.«
Beide Spieler gingen auf die Bemerkung nicht ein. Wan erst recht nicht. Er kannte Mickey. Der konnte nicht verlieren und machte seinem Ärger durch solche Spitzen Luft. Zudem wartete Wan auf eine Reaktion seines Mitspielers.
David Stern, der spezielle Kaufmann, krauste die Stirn. Wieder kraulte er sich den Bart und schaute in seine Karten. Dann glich er den Betrag aus und holte einen Fünfziger hervor. Er ließ ihn aus spitzen Fingern fallen. Der Geldschein flatterte neben die anderen.
Mickey pfiff durch die Zähne. Das Spiel begann allmählich, spannend zu werden.
»Steigst du aus?«, fragte David.
»Hast du etwas gehört?«
»Nein.«
»Na bitte.« Wan hüstelte, glich ebenfalls aus und knallte einen Hunderter auf den Tisch.
David betrachtete die Summe gelassen, blickte auf seine Karten, hob die Schultern und legte sie weg.
Der Chinese hatte gewonnen.
Ohne mit der Wimper zu zucken, strich er das Geld ein und glättete die Scheine, die er in seiner Brieftasche verschwinden ließ. Niemand redete, und Wan ließ sich nicht in die Karten gucken, obwohl Mickey sie gern gesehen hätte.
Das mochten weder Wan noch Stern.
»Lass es bleiben, Mickey! Wer meine Karten sehen will, muss zahlen. Ansonsten nagele ich dir die Hand mit einem Messer auf den Tisch.«
Mickey wurde blass und begann, unecht zu lachen. »Schon gut, ich dachte ja nur.«
Stern leerte sein Glas. »Manchmal frage ich mich wirklich, aus welchem Grund wir mit dir spielen, Mickey.«
Mickey paffte einige blaue Wolken. »Das ist so eine Sache, wenn man keinen anderen findet.«
»Wer gibt?«, fragte Wan. Er dachte bereits an die nächste Runde.
Mickey war an der Reihe. Er nahm alle Karten und begann zu mischen. Die anderen saßen starr auf ihren Stühlen. Es sah so aus, als würden sie auf die Tischplatte schauen, doch jeder beobachtete Mickey sehr genau, damit sich dieser keine Karte untermischte. Bevor er austeilte, veränderte sich die Haltung des Chinesen mit einem Mal. Sie wurde lauernd, fast sprungbereit.
»Was hast du?«, fragte David Stern sofort.
»Irgendetwas stört mich«, erklärte Wan. »Ich habe Schritte gehört.«
»Das wird der Wirt gewesen sein.«
»Nein, nicht aus dem Lokal. Hinter der anderen Tür.«
»Am Hintereingang?«
»Sieht so aus.«
David Stern drehte sich auf dem Stuhl um und blickte in die Richtung. Viel konnte er nicht erkennen, denn um den beleuchteten Tisch herum verschwand alles im Dämmerlicht.
»Soll ich mal nachsehen?« Mickey hatte die Karten sinken lassen und griff nach der Pistole, die unter seinem gemusterten Jackett steckte.
Wan winkte ab. »Lass es! Wenn jemand etwas von uns will, wird er sich schon zeigen.«
»Das meine ich auch«, sagte Stern.
»Bullen werden es nicht sein«, kommentierte Mickey. »Dann hätte uns der Wirt längst gewarnt.«
Das war ebenfalls die Meinung der anderen. So lautlos und unsichtbar konnten sich keine Polizisten anschleichen, als dass sie nicht von jemandem gesehen worden wären.
Die Männer warteten ab.
Und jetzt hörten es die anderen auch. Sie vernahmen Schritte, dann kratzte etwas am Holz, und einen Moment später schwang die Tür auf.
Blitzartig. Jemand hatte sie aufgerammt, und sie knallte gegen die Wand, wo sie zurückschwang und von einem Fuß gestoppt wurde.
Dieser Fuß gehörte einer Gestalt, die es zwar geben durfte, aber nicht in dieser Form. Sogar Wan zeigte eine Reaktion. Seine Augen weiteten sich, der Mund klappte auf, und der Chinese schaute genau auf die Spitze eines Pfeils, den der Eindringling auf die Sehne seines Bogens gelegt hatte …
***
Dieser Tag verdiente keinen anderen Begriff.
Der ganz normale Wahnsinn.
Ehrlich, Freunde, was sich gewisse Beamtenhirne da ausgedacht hatten, wollten mein Freund Suko und ich nicht kapieren, aber es gab nun mal keine Möglichkeit, die Sache zu umgehen. Jedenfalls hatte uns das unser Chef, Sir James Powell, erklärt und ein süffisantes Lächeln aufgesetzt.
Er lächelte selten, es war Schadenfreude, die ihn dazu trieb, denn Suko und ich durften uns drei Nächte um die Ohren schlagen. Das wäre nicht einmal tragisch gewesen, wir konnten die Nächte kaum zählen, die wir hellwach verbracht hatten, aber in diesem Fall ärgerten wir uns beide, denn dieser Job hatte nichts mit Geistern oder Dämonen zu tun, er war eine Art Strafarbeit.
Wenigstens für uns.
Wir mussten Streife fahren!
Jawohl, Sie haben richtig gelesen. Suko und ich fuhren in einem Streifenwagen mit.