John Sinclair Sonder-Edition 48 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 48 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Todessehnsucht!

Selten hatte sie sich unter den Menschen so ausgebreitet wie in den letzten Monaten.

Ehemänner verließen ihre Frauen, Mütter ihre Kinder. Sie verschwanden von einem Augenblick zum anderen. Niemand wusste, wo ihr neues Ziel lag.

Ich fand es heraus. Es war das Grab auf einem Hügel - der Einstieg ins Jenseits ...

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Seitenzahl: 170

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Wen das Grab ruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Hitdelight; rangizzz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4467-7

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.

Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.

Lesen Sie in diesem Band:

Wen das Grab ruft

von Jason Dark

In der Dunkelheit wirkte das Gesicht meines Freundes Bill Conolly hart und angespannt, als er sich umdrehte und mich anschaute. »Ich sage dir, John, der wird kommen.«

»Möglich.«

Bill rutschte ein Stück näher. Unter seinem Körper knirschte der feine Kies. »Nicht nur möglich, der steckt da unten im Wasser.«

»Kann er überleben?«

»Und wie!«

»Wir werden sehen.«

Mein Freund hob die Schultern und schüttelte den Kopf. Ihm passte meine Skepsis nicht, aber sie war angebracht, denn Bill, Suko und ich befanden uns auf der Spur eines unheimlichen Vorgangs. Wie alles zusammenhing, wussten wir noch nicht, auf jeden Fall mussten wir abwarten, bis der andere sich zeigte.

Deshalb hatten wir uns auch günstige Positionen ausgesucht. Wir lagen am Rand der Grube, während sich unser Freund Suko gegenüber aufhielt.

Es war eine stille, noch nicht zu kalte Novembernacht. Der Himmel über uns schimmerte in einem matten, dunklen Grau, hin und wieder durchzogen von langen Wolkenschleiern, die wie verzerrte Gesichter wirkten, da sie an einigen Stellen aufgerissen waren. Einen Mond sahen wir nicht. Ab und zu ein paar Sterne, ansonsten lastete die Dunkelheit über dem Gelände.

Mein Blick glitt über den Grund der Kiesgrube. Wasser war aus dem Innern der Erde gequollen und hatte die Grube ausgefüllt. Da kaum ein Lüftchen wehte, wirkte die dunkle Fläche des Wassers auf mich wie ein glatt poliertes Stück Granit.

Ich spürte, wie allmählich die Kälte durch meinen Körper kroch. Es wurde Zeit, dass ich mich bewegte. Hier oben befanden wir uns zwar in einer relativ guten Beobachterposition, wenn wir allerdings etwas erreichen wollten, mussten wir runter ans Wasser.

Bisher hatte ich nichts gesehen, war nur auf Bills Vermutungen angewiesen, und die konnten mir schon Angst einjagen, vorausgesetzt, sie trafen zu.

Ich hatte keine Lust mehr, noch länger am Rand der Kiesgrube zu liegen und steife Knochen zu bekommen, deshalb winkelte ich die Arme an und stemmte mich hoch.

Bill schaute mich erstaunt an. »Willst du nach unten?«

»Ja.«

»Aber er wird bestimmt kommen.«

Ich lachte. »Das glaube ich dir sogar, mein Lieber. Nur habe ich keine Lust, möglicherweise bis zum frühen Morgen zu warten. Wenn er sieht, dass ich mich dem Wasser nähere, steigt er bestimmt hervor.«

»Das ist riskant«, warnte Bill.

Ich hob die Schultern. »Weiß ich. Auch die Herfahrt war auch riskant. Da hätte uns fast ein Lastwagen gerammt.«

»Du bist unverbesserlich.« Bill blieb ebenfalls nicht liegen und stellte sich neben mich. Bevor er ein Wort ausgesprochen hatte, wusste ich schon, was er vorhatte. Ich streckte den Arm aus und drängte ihn zurück. »Nein, mein Lieber, du nicht. Ich mache das allein.«

»Wieso?«

»Deck du mir von hier den Rücken.«

Bill war sauer, das merkte ich ihm an. Er fügte sich jedoch. »Okay, du hattest die Idee.«

Von meinem Gürtel hakte ich die Lampe los und schaltete sie dreimal kurz hintereinander an. Ich hatte dabei auf die gegenüberliegende Seite der Kiesgrube gezielt und erhielt von dort Antwort. Ein zweimaliges Aufzucken bewies mir, dass Suko verstanden hatte.

Diese Signale waren zuvor vereinbart worden. Ich konnte mich auf Suko und Bill verlassen.

Noch sah ich den ganzen Fall ziemlich locker. Wir hatten auch keinen offiziellen Einsatz, selbst Sir James wusste nicht Bescheid. Suko und ich waren nur gekommen, um unserem Freund Bill Conolly einen Gefallen zu tun.

Hätte ich damals schon ahnen können, was sich aus diesem Kiesgrubenabenteuer entwickeln würde, ich glaube, ich hätte sogar gekniffen. So aber nahm ich den schmalen Pfad, der hangabwärts zum stillen Wasser führte.

Natürlich schaffte ich die Strecke nicht geräuschlos. Kies und kleinere Steine rutschten nach. Die breiteren Zufahrten für die Lastwagen befanden sich an der anderen Seite.

Ein paar Mal musste ich mich auf der Handfläche abstützen, während ich meinen Blick nach vorn gerichtet hielt und die glatte Wasserfläche nicht aus den Augen ließ.

Nach einigen Mühen und schrägem Gehen erreichte ich das flache Ufer. Ein ziemlich breiter, mit Kies bedeckter Streifen befand sich zwischen dem Tümpel und dem hinter mir ansteigenden Hang. Links von mir, wo mehr Platz war, sah ich einen großen Schaufelbagger stehen. Er wirkte wie ein schlafendes Ungeheuer.

Mein Blick glitt über den glatten Tümpel hinweg, den jenseitigen Hang hoch und erfasste eine schmale Gestalt. Sie sah aus dieser Entfernung ziemlich klein aus. Jetzt winkte sie mir zu.

Ich hob den Arm und grüßte zurück.

Danach wanderte ich an der Wasserfläche entlang. Etwa an der Mitte des Tümpels blieb ich stehen und blickte weiterhin auf die glatte Fläche. Kiesgruben sind oft tief. So mancher Mensch hatte darin sein Leben verloren, wenn er die Tiefe unterschätzte und nicht schwimmen konnte.

Auch auf mich wirkte das Wasser bedrohlich, als ich meinen Blick darüber wandern ließ.

»John …«

Bills Stimme hallte in die Grube hinein und wurde zu einem lang gezogenen Echo.

Ich drehte den Kopf und schaute den Hang hoch, aber der Winkel war zu schlecht, deshalb sah ich den Reporter nicht.

»Was ist denn?«

»Siehst du ihn?«

»Nein. Sollte er sich tatsächlich im Wasser verborgen haben, muss er auf dem Grund stehen.«

»Wir könnten uns Stangen besorgen.«

»Ich warte erst noch.«

»Ja, ist gut …« Bills Stimme verhallte.

Von der gegenüberliegenden Seite sah ich das kurze Aufblitzen einer Taschenlampe. Suko gab mir ein Zeichen, dass er mit meinem Vorschlag einverstanden war.

Bill Conolly ging davon aus, dass dieses Wesen, das wir suchten, gefährlich war. Dementsprechend vorsichtig war ich, schaute nicht nur auf eine Stelle, sondern wechselte ständig die Blickrichtung. Aber der andere tat mir nicht den Gefallen, sich zu zeigen.

Ich wollte es anlocken, hob einen dicken Kieselstein auf, der soeben noch in meine Handfläche passte, und schleuderte ihn in das dunkle Wasser.

Ich hörte das Klatschen und sah helle Spritzer wie kleine Diamanten hochspringen. Kreisrunde Wellen breiteten sich aus, und rollten dem Ufer entgegen.

Ich schaute dem Auslaufen der Wellen zu und dachte intensiv darüber nach, ob ich nicht Bills Vorschlag folgen und wir uns Stangen besorgen sollten, um den Tümpel abzusuchen.

Das brauchte ich nicht mehr, denn plötzlich – die Wellen waren soeben ausgelaufen –, tat sich etwas.

Unter der Wasseroberfläche begann es. Da geriet irgendetwas in Bewegung, denn ich sah die schaukelnden Wellen gegen das Ufer anrollen. Mein Stein konnte sie nicht verursacht haben, er lag längst auf dem Grund.

Aber was dann?

Ich schaute genau hin. Aus den Wellen wurde ein leichtes Schäumen, das sich auf eine bestimmte Stelle nahe der Tümpelmitte konzentrierte.

Möglicherweise hatten Bill und Suko auch etwas bemerkt. Sie hielten sich jedoch zurück. Ich stand so dicht am Ufer, dass die auslaufenden Wellen fast meine Schuhspitzen berührten.

Jetzt schäumte das Wasser sogar. Blasen stiegen brodelnd auf und zerplatzten auf der Wasseroberfläche.

Und dann kam er.

Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, wobei sich meine Augen weiteten.

Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit dem, was da aus der Tiefe des Tümpels an die Oberfläche stieg.

Das war eine Gestalt wie aus einem Albtraum …

***

Ellen Long sagte nichts, als ihr Mann aufstand, die kleine Küche verließ und in den Flur ging. Erst als er zurückkam, wunderte sie sich. Da hatte Kevin seine dunkle Jacke übergezogen und die flache Mütze aufgesetzt.

Ellens Gefühle zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. »Du willst noch weg?«, fragte sie.

»Ja.«

»Wohin?« Auch sie erhob sich. »Es ist dunkel. Du kannst doch nicht jetzt noch …«

Mit einer knappen Handbewegung unterbrach er seine Frau und erklärte mit dumpfer Stimme: »Ich gehe in mein Grab …«

Ellen Long war über die Worte so schockiert, dass sie erst wieder zu sich kam, als die Haustür hinter Kevin ins Schloss fiel.

Im ersten Impuls wollte sie hinter ihn herlaufen, doch dann dachte sie daran, dass Kevin zu den Typen gehörte, die sich nichts sagen ließen. Sie wollte sich nicht über ihn beschweren, nein, er war ein prima Kerl, sorgte für sie und die beiden Kinder und hatte es auch geschafft, durch viel Arbeit zu einem kleinen Haus zu kommen, das die Familie seit zwei Jahren bewohnte. Aber so wie an diesem Abend hatte er noch nie reagiert. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was seine Aussage über das Grab, in das er gehen wollte, zu bedeuten hatte.

Jeder Mensch, der arbeitet, hat auch mal das Recht, auszuflippen, das war nicht weiter tragisch, und so etwas gestand Ellen auch ihrem Mann zu, aber in dieser Weise auszuflippen, war nicht seine Art. Wenn er mit dem Fahrrad in den Pub fuhr, dann sagte er das jedes Mal und hatte dabei noch einen Scherz auf den Lippen, aber die Antwort auf ihre Frage hatte Ellen zutiefst erschreckt.

In sein Grab wollte er gehen …

Ellen schüttelte sich. Sie saß noch immer an dem kleinen Küchentisch und hatte beide Hände gegen ihre Wangen gelegt. Als Scherz wollte sie die Antwort nicht ansehen, dazu hatte sie einfach zu ernst geklungen.

Hinzu kam noch etwas.

Ellen hatte sich geweigert, es zu akzeptieren. Als es immer stärker wurde, war sie nicht darum herumgekommen, sich dennoch damit zu beschäftigen. Dafür gab es einen Begriff. Todessehnsucht …

Genau das war es. Ellen hatte, bevor sie ihren Mann kennenlernte, einige Semester studiert und das Studium dann abgebrochen. Psychologie gehörte zu ihren Fächern. Jetzt erinnerte sich die Frau wieder daran, was der alte Professor damals über das Thema referiert hatte.

Es gab tatsächlich Menschen, denen eine gewisse Sehnsucht nach dem Tod innewohnte. Besonders in der letzten Zeit war diese Art von Sehnsucht unnatürlich stark geworden.

Das mochte mit der Kälte und der Unmenschlichkeit mancher Gesellschaftsschichten zusammenhängen und auch mit den zahlreichen Veröffentlichungen, die in den letzten Jahren unter den Titeln »Gespräche mit Toten« oder »Aus dem Jenseits zurück« erschienen waren. Und alle Menschen, die in den Büchern von ihren Erlebnissen berichteten, hatten den Sprung vom Diesseits ins Jenseits positiv gesehen – als Quelle eines neuen Lebens, nachdem für sie das alte, zurückliegende nur noch ein Scherbenhaufen war, trotz Familie und Geborgenheit.

Die Bücher hatten hohe Auflagen erreicht, waren von zahlreichen Menschen gelesen worden und hatten – wegen ihrer positiven Tendenz – einen nicht unbeträchtlichen Eindruck bei den Lesern hinterlassen. Viele kamen mit dem Leben nicht mehr zurecht. Man redete ihnen eine schöne, bessere Welt ein, und das hatte zur Folge, dass die Todessehnsucht immer stärker wurde.

Wie bei Kevin …

Vor einigen Wochen hatte es begonnen. An einem Abend sprach er davon. Zunächst hatte Ellen nicht zugehört, bis sie aufmerksam wurde, denn Kevin wollte einfach nicht aufhören.

»Es muss doch toll sein, den Tod zu erleben!« So hatte er gesprochen.

Diesen Satz hatte Ellen nicht vergessen. Hatte er sie zuerst erschreckt, dachte sie wieder an ihre Ausbildung und sprach mit ihrem Mann darüber. Sie wollte Hintergründe erfahren, doch Kevin zeigte sich verschlossen. Er sprach von einer Stelle, die ihm helfen konnte.

Ellen wollte daran nicht so recht glauben und diskutierte auch nicht mehr über das Thema. Es lag aber nach wie vor zwischen ihnen.

An einem Sonntag hatten sie wieder darüber gesprochen. Kevin war sehr erregt gewesen, hatte einige Gläser zu viel getrunken, und da rutschte ihm etwas heraus.

»Das Grab lockt …«

Mehr hatte er nicht gesagt, aber Ellen konnte sich vorstellen, was damit gemeint war.

Nicht weit entfernt gab es einen Hügel, den man das Hügelgrab nannte. Angeblich sollten in grauer Vorzeit dort irgendwelche magischen Rituale durchgeführt worden sein. Genaueres wusste niemand, denn darüber war nie etwas geschrieben worden. Was es an Berichten gab, konnte man in das verschwommene Reich der Sagen und Legenden einstufen.

Und jetzt hatte Kevin beim Weggehen von diesem Grab gesprochen.

Für Ellen Long war es unbegreiflich. Wollte ihr Mann tatsächlich mitten in der Nacht diesem Hügelgrab einen Besuch abstatten? Wenn ja, war er nicht mehr bei Trost.

Ellen wäre ihm liebsten nachgelaufen, doch sie traute sich nicht, das Haus zu verlassen. Die Zwillinge schliefen oben, und sie wollte sie nicht allein lassen. Kevin würde irgendwann schon wiederkommen.

Sie seufzte schwer und erhob sich. Automatisch begann sie damit, den Tisch abzuräumen.

Plötzlich kam ihr die Küche zu klein, eng und bedrückend vor. Sie hatte das Gefühl, als würden sich die Wände bewegen und sie erdrücken wollen. Aus diesem Grund verließ sie den Raum, betrat den kleinen Flur und machte dort Licht.

Sie schaute auf die gewundene Treppe, die in die erste Etage führte, und ging darauf zu.

Zwei Stufen schritt sie sie hoch und lauschte in die Höhe. Die Türen zu den Zimmern der Zwillinge standen offen. Wenn irgendetwas war und die beiden Jungs unruhig wurden, konnte sie immer schnell reagieren.

Da tat sich nichts. Sie vernahm ruhige Atemzüge. Diese Tatsache bekräftigte sie in ihrem Entschluss, es doch zu wagen. Sie wollte sich aufmachen, um ihren Mann zu suchen.

Da er von einem Grab gesprochen hatte, konnte er eigentlich nur den Hügel gemeint haben.

Den Weg dorthin kannte die Frau. Sie war ihn schon des Öfteren mit ihrer Familie gegangen. Er war bei sonntäglichen Spaziergängen immer ein beliebtes Ziel gewesen.

Furcht hatte sie vor diesem Hügelgrab nicht gespürt, obwohl ihr von anderen Leuten manchmal gesagt worden war, dass das Grab eine bedrohliche Ausstrahlung haben würde.

Daran hatte sie nie glauben wollen. Doch jetzt hatte sie ihre Meinung geändert, denn die Reaktion ihres Mannes war auf keinen Fall als normal anzusehen. Sie nahm ihre Jacke vom Haken, streifte sie über, fühlte nach, ob der Schlüssel steckte, und verließ das Haus. Leise drückte sie die Tür hinter sich zu.

Die Familie Long wohnte in einer schmalen Straße. Es standen nur wenige Häuser dort. Zwischen den einzelnen Gebäuden gab es noch große Lücken, zumeist mit Rasen bedeckt. Hinter den Häusern begann schon der Wald, durch den ein Pfad zum Hügelgrab führte.

Dunkel lag die Straße vor ihr. Da so wenige Häuser sie flankierten, gab es auch keine Laternen. Schräg gegenüber befand sich die Scheune eines Bauern. Sein Wohnhaus lag dahinter. Dort brannte Licht.

Den Wald konnte sie bereits erkennen. Er lag dunkel und irgendwie gefährlich vor ihr.

Ellen wusste selbst nicht, aus welchem Grund sie noch einmal einen Blick auf ihr Haus warf, als sie ungefähr das Gartenende erreicht hatte. Sie war mehr vom Gefühl als vom Verstand geleitet, vielleicht wollte sie auch zu den Fenstern der beiden Kinderzimmer hochschauen, die an der Rückseite des Gebäudes lagen. Jedenfalls tat sie es – und erschrak.

Im Garten stand jemand.

Ellen Long war über den Anblick so erschrocken, dass sie das heftige Pochen ihres Herzens spürte.

Wer war der Fremde? Oder konnte es nicht auch ihr Mann sein? In der Dunkelheit war es für sie schlecht zu erkennen.

Der andere sprach nicht.

Auch Ellen traute sich nicht, einen Laut hervorzubringen, aber sie wollte zu ihm. Wenn es tatsächlich Kevin war, musste sie mit ihm reden. Und sollte ein anderer den Garten betreten haben, dann …

Ellen stoppte ihre Folgerungen, denn sie wagte nicht, weiter darüber nachzudenken.

Ihre Schritte kaum zu hören, und nur das leise Quietschen des kleinen Tors an der Rückseite drang an ihre Ohren, als sie es öffnete.

Der andere tat nichts. Er stand wie eine Statue da und schaute ihr entgegen. Sein Gesicht war nur ein heller Fleck.

Sie hatte ungefähr die Hälfte der Distanz hinter sich gebracht, als ihr auffiel, dass die Gestalt, die dort zwischen den beiden Bäumen stand, etwas auf dem Kopf trug. Möglicherweise war es die Mütze, die sich Kevin vor seinem Weggang aufgesetzt hatte, obwohl diese flacher als die neue Kopfbedeckung wirkte.

Dann drehte er ab. Sehr schnell geschah dies, zu überraschend für Ellen. Er lief auf die Rückseite des Hauses zu.

Ellen wollte hinterher. Sie streckte den Arm aus, als könnte sie ihn festhalten, doch da war er schon um die Hausecke verschwunden.

Ellen Long war wie vor den Kopf geschlagen. So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Der andere bewegte sich so sicher durch den Garten, als würde er hier zu Hause sein.

Also doch Kevin.

Weshalb hatte er dann nicht mit ihr geredet oder war auf sie zugekommen? Sie schüttelte den Kopf. Sie musste einfach mit ihrem Mann reden! Zwar hatte es so ausgesehen, als wollte er dies nicht, doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Sie beeilte sich, damit sie ihn noch einholen konnte.

Ellen umrundete die Hausecke, erreichte die Breitseite des Gebäudes und blieb abrupt stehen, da sie den Rücken der Gestalt nur wenige Schritte entfernt vor sich sah.

Er musste sie gehört haben, aber er drehte sich nicht um. Außerdem wirkte er anders als sonst. Er trug nicht mehr die gleiche Kleidung. Die Sachen, die er jetzt übergestreift hatte, wirkten irgendwie klobig, und auch Stiefel hatte er nicht getragen sowie den schweren Gürtel, der schon mehr ein Koppel darstellte. Und der Gegenstand auf dem Kopf war ein Helm.

Ein Stahlhelm. So etwas trugen Soldaten.

Ellen Long war völlig irritiert. Sie musste sich überwinden, den anderen anzusprechen.

»Kevin?«, fragte sie.

»Ja?«

Ellens Herz klopfte rasend schnell. Himmel, das war Kevins Stimme! Also war er es doch. Weshalb dann die Verkleidung? Ihr fiel gleichzeitig ein schwerer Stein vom Herzen.

Sie ging einen Schritt vor und hatte kaum mit der Fußspitze den Boden berührt, als sich der Mann umdrehte.

Die Frau wurde zu Eis!

Der Mann, den sie da vor sich sah, hatte zwar mit Kevins Stimme gesprochen, er war es aber nicht.

Vor ihr stand ein Monster!

***

Und vor mir auch!

Es stieg aus der Tiefe des Tümpels. Ich konnte es wirklich nur als eine Ausgeburt der Hölle bezeichnen.

Vielleicht war die Farbe seines Körpers im normalen Tageslicht anders. Bei Nacht wirkte sie grau und schattenlos. Hinzu kam die Nässe, und ich sah, dass die Wassertropfen in langen Bahnen von seinen Schultern und dem völlig kahlen Schädel nach unten über den Oberkörper rannen.

Mir stockte bei diesem Anblick der Atem. Wie sollte ich das Wesen bezeichnen, das vor mir aus dem Wasser stieg?

Ein Mensch?

Nein, ein Mittelding zwischen Flugtier, Vampir und Mensch. Der Oberkörper hätte einem Mann gehören können. Dann kam der Kopf, mehr eine Kugel mit abstehenden Ohren. Das Gesicht war zusammengeschrumpft, so als hätte man den Schädel eines Gorillas in eine Presse gesteckt. Tiefe Falten durchzogen die Haut, und in dieser Fläche aus Runen und Runzeln lagen auch zwei kleine, hell blickende und tückisch glänzende Augen. Überlange Arme hatte dieses Untier auch. Dazu auf dem Rücken zwei fledermausartige Schwingen, die es, je mehr es aus dem Wasser kletterte, immer weiter ausbreitete, sodass sie wie ein Mantel wirkten, der mich zu umschlingen drohte.

Eine furchtbare Gestalt, die sich schwerfällig in Bewegung setzte und auf mich zukam.

Ich bekam eine trockene Kehle. Ohne dass es mir bewusst war, glitt meine Hand in die Nähe meiner Beretta, aber ich brachte es einfach nicht fertig, die Pistole zu ziehen, denn das Monster hatte mir noch nichts getan, und zudem wollte ich erfahren, aus welchem Grund es aus dem See stieg.

Konnte es reden? Ich musste es auf einen Versuch ankommen lassen und sprach es an, während ich gleichzeitig einen Schritt zurückging und mich dem Steilhang näherte.

Das zweite Wort blieb mir in der Kehle stecken, da ich die Stimme meines Freundes Bill hörte.

»John, verdammt, hast du es gesehen? Es ist gekommen! Das ist es! So habe ich es gehört …«

»Klar. Bin ja nicht blind.«

Während meiner Worte war das Monstrum bis dicht an das flache Ufer gekommen. Jetzt sah ich auch die Füße, die wie Schwimmflossen wirkten, die an ihrer Vorderseite Andeutungen von Zehen hatten. Das Wasser schwappte darüber. Das erste Bein stellte das Untier schon auf den Kies, als ich abermals die Stimme meines Freundes Bill Conolly vernahm.

»Halt aus, John, ich komme zu dir runter! Das packen wir gemeinsam!«