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Die Glocke war in der Hölle gegossen worden. Luzifer persönlich hatte seinen Atem in die Form gehaucht.
Zuerst läutete sie in den Tiefen der Verdammnis. Mit ihrem Klang lockte sie die Heerscharen des Teufels herbei. Und die schafften die Glocke in die normale Welt, wo sie das Ende eines Menschen einläuten sollte.
Dieser Mensch war ich!
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Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Todesglocken für John Sinclair
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4469-1
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
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John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Todesglocken für John Sinclair
von Jason Dark
Die Stimme war wie ein krachender Donnerschlag, der die trügerische Stille eines schwülen Sommerabends brutal zerriss. Sie drang aus der Schwärze, aus der fassungslosen und nicht messbaren Unendlichkeit, und sie gehorchte Gesetzen, die älter waren als die bekannte Welt.
Sie gehörte dem Teufel!
Er stand im Mittelpunkt, von Flammen umlodert, mit hochgerissenen Armen und grässlich verzerrtem Gesicht, in dem sich Triumph, Grauen und Schrecken zu einer bösen Mischung vereinigten.
Der Teufel, auch Asmodis genannt, hatte gerufen, und er wusste, dass ihm alle gehorchen würden, wenn seine Stimme erklang.
»Kommt herbei, ihr Diener der Hölle, ihr Kreaturen der Finsternis, ihr schwarzmagischen Heerscharen! Seht, was ich hier erschaffen habe! Bewundert mein Werk, ergötzt euch an meinen Taten, die einmalig sind und die es bleiben werden! Ich, der ich die Großen Alten habe zurückschlagen können, bin wieder dabei, die absolute Macht zu erlangen, denn auf mich allein kommt es an. Wer sich mir anvertraut, wird nicht enttäuscht sein, denn ich gebe ihm das, was er sich wünscht. Meine Pläne sind gewaltig, und sie werden noch gewaltiger werden, je mehr Zeit verrinnt. Das alles kann ich euch versprechen. Deshalb verlasst die Tiefen der Finsternis und bewundert mein neuestes Werk!«
Die Stimme verhallte.
Sie war wie ein böses Schwingen, das hineinstieß in die Unendlichkeit und irgendwo im Taumel der Zeiten verging. Das Reich des Teufels kannte keine Grenzen. Dimensionen spielten für ihn keine Rolle.
Da wurde mit anderen Gesetzen gerechnet, und die Zeit überging der Teufel ebenfalls, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden. Was sollte die Zeit? Für Menschen zählte sie, für ihn nicht.
Er war da, man konnte ihn nicht töten, aber, das gestand er sich ein, es gab Schwachpunkte bei ihm, und einige Menschen, unter anderem der Geisterjäger John Sinclair, hatten dies erkannt. Der Teufel war schon zu Beginn der Zeiten gezeichnet und abqualifiziert worden. Er besaß die Macht über das Böse, er konnte sie einsetzen, und es gelang ihm besonders, die Menschen zu beeinflussen, wenn sie damit begannen, nach den Werten zu streben, die der Teufel verteidigte und auf die er sein Reich aufgebaut hatte.
Bei Dämonen oder mächtigen schwarzmagischen Geschöpfen, die ähnliche Pläne verfolgten wie er, sah es anders aus. Da gab es starke Grenzen, die ihm den Weg zur absoluten Macht abringen wollten, es aber nicht schafften, sodass Asmodis in der letzten Zeit wieder Oberwasser bekommen hatte.
Unterstützt wurde er dabei vom absolut Bösen, von dem Wesen, das hinter ihm stand und alles beobachtete.
Es war Luzifer!
Einst ein Engel, hatte er versucht, gottgleich zu sein, doch er war durch das Schwert des Erzengels Michael in die tiefsten Schlünde der Verdammnis gestürzt worden. Und mit ihm all diejenigen, die auf seiner Seite gestanden hatten, auch Asmodis und Frauen, die bereits damals, zu Beginn der Zeiten, ihre Körper verkauft hatten.
Dazu gehörte Lilith, die erste Hure. Eine mächtige Gestalt, das Böse des Weibes verkörpernd. Sie war in letzter Zeit aufgetaucht wie Phönix aus der Asche.
Sie und Asmodis verstanden sich, denn beide besaßen einen gemeinsamen Feind.
John Sinclair!
Der hatte es tatsächlich gewagt, sich gegen die Hölle zu stellen, und ihm war es gelungen, den Geschöpfen der Finsternis einige Niederlagen beizubringen. Immer wieder hatte es der Teufel versucht, aber er war nicht an den Geisterjäger herangekommen, dessen Kreuz ihm so großen Schutz gewährte.
Eines zeichnete sämtliche Schwarzblütler aus: Sie gaben nicht auf. Bis zur Vernichtung kämpften sie. Asmodis gehörte dazu, denn er versuchte es immer wieder und hatte Teilerfolge errungen, wobei er die Manipulation des Sinclair’schen Kreuzes hinzuzählte, obwohl Lilith diese vorgenommen hatte.
Ihr war es gelungen, einige bislang nicht enthüllte Zeichen auf dem Kreuz verschwinden zu lassen, ohne dass der Geisterjäger etwas hatte dagegen unternehmen können.
Für Asmodis war dies ein gutes Zeichen. Ein Hinweis, dass er es wieder versuchen musste.
Und er hatte seinen Plan bereits ausgearbeitet, deshalb dieser Schrei nach Verbündeten.
Spektakulär musste es sein, wie alles, was der Teufel gegen seine Feinde unternahm. Er griff nicht einfach an, nein, er dachte über Tricks und Kniffe gegen seine ureigenen Feinde nach.
Satan hatte gerufen, und sie kamen.
Noch stand der Teufel im Zentrum des Feuers. Der Flammenkranz umhüllte und umloderte ihn wie ein feuriger Mantel, ohne ihn verbrennen zu können.
Ihm gehorchte das Feuer, er konnte es dirigieren, schließlich sprach man nicht umsonst vom verzehrenden Feuer der Hölle, das vom Satan geschaffen worden war.
Die Finsternis riss auf. Es schien so, als hätte man gewaltige Löcher in die Schwärze geschaufelt, und aus ihnen krochen die unheimlichen Gestalten hervor, die der Satan gerufen hatte.
Es waren Wesen und Gestalten, wie sie nur ein krankes Hirn erschaffen konnte. Die Helfer des Satans, Monster, Bestien, Mutationen. Geflügelte Ungeheuer waren ebenso vertreten wie Geschöpfe mit zehn oder mehr Köpfen und haushohen Körpern. Schlangenmenschen oder Vampirungeheuer gaben sich ebenfalls ein Stelldichein, aber auch fischähnliche Gestalten mit reißzahnbewehrten Mäulern, aus denen grüne Flammen schossen und die Schwärze mit ihrem fahlen Schein erhellten.
Bilder des Schreckens, albtraumhafte Szenen, wie sie oft von der Welt für verrückt gehaltene Maler auf die Leinwand brachten. Durch den Ruf des Teufels hatte sich das Pandämonium geöffnet und seine Kreaturen entlassen, die um den Herrscher der Hölle einen Kreis gebildet hatten und abwarteten, was ihnen der Satan zu sagen hatte.
Wieder begann der Teufel zu lachen, während Feuer aus seinem Maul schoss.
»Ihr seid gekommen, meine Freunde, weil ich euch gerufen habe«, sagte er. »Aber es gibt eine Änderung. Von jetzt an werdet ihr nicht nur auf meine Stimme hören, sondern auch auf etwas anderes, das ebenso mit mir in Verbindung steht, denn ich allein habe mir das Besondere einfallen lassen.«
Der Teufel wusste, wie man Spannung erzeugte, deshalb behielt er die Ruhe und sprach nicht weiter.
Sie warteten, und der Satan schaute sie alle an. Es waren nicht die gefährlichsten Diener, die der Hölle zur Verfügung standen. Oft genug trog der Schein. Da sahen die Monster zwar furchterregend aus, Menschen würden sich zu Tode erschrecken, aber das Böse an sich waren sie nicht.
Das war viel subtiler. Man konnte es nicht sehen, es ließ sich vergleichen mit einem unsichtbaren Atem, der überall war und von den Menschen eingesaugt wurde. Manche, die dafür empfänglich waren, wurden Diener des Teufels, der ihre Psyche damit auf schreckliche Art und Weise veränderte. Andere widerstanden dem Hauch des Bösen und veränderten sich nicht.
Wieder andere kämpften dagegen an, aber die waren in der Unterzahl und riskierten oft genug ihr Leben.
Die Großen Alten waren besiegt. Nur mehr einen von ihnen gab es, den gefährlichsten von allen, den Spuk. Aber die anderen fünf hatten es nicht geschafft, sich die Hölle und damit den Teufel untertan zu machen, was Asmodis mächtigen Auftrieb gegeben hatte und sein Ansehen hatte steigen lassen.
Asmodis stellte sich in die Mitte des Kreises. Sein Blick veränderte sich, die Flammen sanken zusammen und glitten gleichzeitig auf ihn zu, um in seinen Augen zu verschwinden.
Zurück blieb ein hellrotes, feuriges Leuchten der Pupillen, die sich rasend schnell um die eigene Achse drehten, sodass der Eindruck entstand, als würden sich in den Augenhöhlen der dreieckigen Satansfratze brennende, kleine Wagenräder bewegen.
»Ich habe etwas geschaffen, das einmalig ist«, erklärte der Satan. »Es ist ein Gegenstand, wie ihn die Menschen kennen und ihn verehren. Sie haben über ihn geschrieben, sie haben von ihm gesprochen, denn er gehört zu ihrem täglichen Leben. Künstler beschäftigten sich mit ihm, gaben ihm neue Formen und Größen, aber im Prinzip ist dieser Gegenstand gleich geblieben. Ich habe ihn nicht verändert, nur seine Größe ist einmalig. Sie übertrifft alles bisher Dagewesene. Niemand außer mir hat ihn bisher gesehen, aber euch will ich ihn zeigen. Schaut her!«
Nach dem letzten Satz bewegte Asmodis den rechten Arm. Die Klauenhand deutete in die Tiefe, und aus ihr jagte ein breit gefächerter Blitz hervor.
Er schlug ein in die Dunkelheit, breitete sich aus, sodass er ein gewaltiges Loch in sie riss und alle, auch der Satan, in die Tiefe schauen konnte.
Ein riesiges Oval war entstanden. Groß und breit wie ein Krater, und das Zentrum strahlte rötliches Licht aus.
Der Teufel und seine herbeigerufenen Begleiter starrten hinein.
Sie alle sahen es.
Es war eine Glocke!
***
So etwas hatte es noch nie gegeben. Von einer immensen Größe und höchstens von den breitesten Armen eines Krans zu umfassen. Die Glocke schwebte im Nichts, und der rötliche Widerschein spiegelte sich auf der mattschwarzen Fläche ihrer Außenwand.
Ja, sie war schwarz wie die Seele eines Teufelsdieners, und der Satan selbst hatte ihr seinen Atem eingehaucht. Ein gefährliches Instrument, das wusste jedes Monster, das auf die Glocke starrte und auf weitere Erklärungen seines Herrn und Meisters wartete.
Der Teufel ließ sich Zeit. Er wollte sich an der Überraschung seiner Kreaturen weiden, und seine Lippen verzogen sich zu einem bösen Grinsen.
»Das ist sie«, rief er schließlich. »Die Todesglocke!«
Keiner wusste ihm darauf eine Antwort zu geben. Damit hatte Asmodis gerechnet, und er begann, seinen schrecklichen Zuhörern die Funktion der Glocke zu erklären.
»Menschen werden von den Klängen einer Glocke gerufen. Sie sind oft genug für sie Balsam, denn sie holen sie dorthin, wo das angeblich Gute zu Hause ist. Ich aber hasse es, ich will mit diesem Guten nichts zu tun haben. Aber«, er senkte die Stimme und belegte sie gleichzeitig mit einem lauernden Unterton, »da gibt es etwas, das ihr euch merken sollt. Wer die Menschheit für sich und seine Pläne gewinnen will, muss versuchen, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Er muss sie ausgeforscht haben, muss sie sehr genau kennen.«
Die Menge hörte atemlos zu.
»Ich habe die Glocke zuerst gehasst, das gebe ich zu«, fuhr der Teufel fort, »weil sie etwas verkörpert, das mir zuwider ist. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich die Wirkung der Glocke umdrehen kann. Wenn sie zu läuten beginnt, weshalb, so frage ich euch, sollen die Menschen nicht auch mir folgen? Diejenigen, die bereits auf meiner Seite stehen, wissen Bescheid. Wenn sie das Läuten der Glocke vernehmen, ist für sie der Zeitpunkt gekommen, um einzugreifen.«
Ein Raunen erklang.
»Die Glocke läutet den Tod ein, und ich will vor allen Dingen, dass sie den Tod eines Menschen einläutet und ihm zu erkennen gibt, wie gering seine Chancen sind. Dieser Mensch heißt John Sinclair. Eigentlich ist die Glocke nur für ihn allein gegossen worden. In den Tiefen der Hölle, den Schlünden der Verdammnis habe ich die Glocke hergestellt. Mein Geist durchweht sie, und das könnt ihr, die ihr die Glocke als Erste seht, als äußeres Zeichen erkennen. Schaut genau hin!«
Es gab kein Monster, das diesem Befehl nicht nachkam. Sie starrten in die Tiefe, ihre Blicke brannten sich an der schwarzen Außenwand der Glocke fest, und sie sahen den Beweis, den der Teufel ihnen angekündigt hatte. Sein Bild erschien!
Es war die widerliche, dreieckige Fratze, die sich rotgolden schimmernd darauf abzeichnete. Da war nichts ausgelassen worden. Jede Gesichtsfalte war deutlich zu erkennen, und zwei gekrümmte Hörner stachen aus der Stirn. Wenn sich der Teufel zeigte und die Glocke läutete, sollte ein jeder wissen, wem sie gehorchte und wer ihr Erbauer war.
»Sie ist ein Meisterwerk geworden!«, lobte sich der Satan selbst. »Ein wahres Kunstwerk. Geschmolzenes Erz, versehen mit meinem Atem und mit der magischen Kraft einer unendlichen Hölle eingehaucht, wird sie ihren finsteren Klang verbreiten und diejenigen zu mir rufen, auf die es mir ankommt.«
Jubel brandete auf.
»Ich habe lange an dem Plan gesessen. Viele wissen Bescheid. Die Hexen wurden von meiner Helferin Lilith informiert. Selbst die Toten warten auf das Läuten, und wir werden zuschauen, wie ihr Klang das Chaos vorbereitet. Niemand kann sich wehren, denn ich habe sie mit meiner Kraft versehen, und ich werde dafür sorgen, dass mein Todfeind sie hört, dieser verfluchte Geisterjäger John Sinclair!«
Satans Stimme überschlug sich fast. Jedes Wort strömte den Hass aus, den er empfand, und aus seinem Maul schossen plötzlich lange Feuerzungen, so erregt und überzeugt war er von seiner neuen Tat.
»Tod dem Geisterjäger!«, brüllte er.
»Tod … Tod … Tod …!« Die anderen Kreaturen schrien dies ebenfalls und sahen zu, wie der Teufel in Flammen aufging und als glühender Komet in der Unendlichkeit verschwand.
Gleichzeitig nahm die Schwärze wieder zu. Wie ein gewaltiger Vorhang schob sie sich über das Bild und nahm den zahlreichen Monstern die Sicht auf die Todesglocke.
Dafür flimmerte weit im Hintergrund ein anderes Antlitz. Es hob sich wegen seiner unendlich kalten, blauen Farbe nur undeutlich vor dem dunklen Hintergrund ab, und es war nicht drei-, sondern vierdimensional.
Ein riesiges Gesicht, das um die Monster herum einen Kreis bildete.
Ein Gesicht, das menschliche Züge aufwies, beinahe einen engelhaften Ausdruck besaß, aber dennoch eine erschreckende Verachtung und einen kaum zu beschreibenden Hochmut ausstrahlte, sodass ein gewöhnlicher Mensch fast wahnsinnig geworden wäre.
Das Gesicht gehörte zu ihm.
Zu Luzifer.
Denn er überwachte alles …
***
Es gibt immer wieder Modetrends.
Ob in der Kleidung, im Wohndesign, in der Musik, überall. Und so war es nicht verwunderlich, dass gewisse Lokale ebenfalls einem Modetrend unterzogen waren.
Plötzlich war ein Schuppen in.
Das konnte über Nacht geschehen. Irgendjemand hatte die Idee, doch einmal dort vorbeizuschauen, und dann sprach es sich herum wie ein Lauffeuer. Da muss man hin, das muss man gesehen haben, da kann man den und den treffen, und die Schickeria in so manchen Großstädten sonnte sich darin, vom normalen Volk angestarrt und bewundert zu werden.
Das war in New York ebenso wie in London, Paris oder in München, wo dieser Schickeria-Fimmel besondere Blüten trieb.
Und so ein Lokal sollte ich besuchen.
Es war ebenfalls über Nacht in geworden, lag in Soho und hatte einen treffenden Namen.
Witch-Go-go.
Übersetzen ließ sich der Name schlecht. »Witch« bedeutete »Hexe«. Und »go-go« so etwas wie »tanzen« oder »hüpfen«. Dafür hatte ich mich nie interessiert, auch nicht für die jungen Frauen, die einen Go-go-Tanz aufführten und ihre Glieder verrenkten, während ein anderer sang.
Hexen waren zudem in geworden. Gerade ich konnte davon ein Lied singen, doch die meisten Frauen, die sich als Hexen bezeichneten, waren harmlos. Nur verrückte Mädels, die sich einen Spaß daraus machten, sich zu verkleiden, und durch ihr punker- oder rockerhaftes Aussehen andere Leute erschreckten.
Es gab andere Hexen, echte Teufelsdienerinnen, aber die waren im Vergleich zu den falschen dünn gesät, obwohl es für meine Begriffe immer noch zu viele waren, denn ich hatte harte Kämpfe gegen sie ausfechten müssen.
Mein Ziel also lag in Soho.
Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, hätte mir das verdammte Wetter nicht fast einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hatte auf den Hauptstraßen Londons tatsächlich Menschen gesehen, die Ski fuhren. Der Januar mit seinen Schnee- und Kälterekorden machte es möglich.
Nach einigen Versuchen hatte ich meinen Wagen stehen gelassen und war mit der U-Bahn gefahren, die in London über ein riesiges Schienennetz verfügte. Ausgestiegen war ich am Oxford Circus. Ganz in der Nähe lag das von mir ins Auge gefasste Lokal.
Die in gewordene Kneipe mit dem wunderlichen Namen lag im Dreieck zwischen Oxford und Regent Street, also direkt in der Szene, die an diesem frühen Abend gar nicht so bunt aussah, wie man sie von Soho gewohnt ist.
Selbst den unermüdlichen Touristen war es zu frostig, und die erleuchteten Schaufenster der Geschäfte in den bekannten Straßen wirkten wie leere, kalte Filmkulissen.
Der Schnee war zu braunen Matsch geworden, der auf der Oberfläche eine feste Eiskruste gebildet hatte. Unter meinen Schritten zerbrach sie, und ich musste achtgeben, nicht auf die Nase zu fallen. Die Leute, die mir entgegenkamen, waren vermummt und wirkten mit ihren hohen Fellmützen oder Ohrenschützern wie finstere Gestalten aus einem utopischen Film. Nur die Atemwolken zeigten mir, dass ich es mit Menschen zu tun hatte und nicht mit Zombies.
Zwei junge Frauen überholten mich. Sie hatten helle Kunststoffpelze um ihre Körper geschlungen, sich eingehakt, lachten und spielten mit ihren fast bis zum Boden reichenden Schals.
Ich hatte Gesprächsfetzen von ihnen aufgefangen und festgestellt, dass wir drei das gleiche Ziel hatten. Obwohl ich das Lokal nicht kannte, hatte ich das Gefühl, wenn ich einmal da war, ein Außenseiter zu sein. Ich gehörte nicht zur Schickeria und war kein Trendsetter.
Obwohl die Straße spiegelglatt war, gab es immer Leute, die auf ihr Auto nicht verzichten wollten. Die Wagen krochen an mir vorbei. Ihre Scheinwerfer gaben unnatürlich blasses Licht ab, und auf manchen Fahrzeugen lagen Schneehauben. Ich sah Eiszapfen an Fensterbänken. Bars und Sexshops hielten ihre Türen geschlossen.
Soho wirkte wie tot.
Nur die Leuchtreklamen übergossen den weißbraunen Schnee mit bunten Mustern, die nicht in diese Kälte hineinpassen wollten.
Weit brauchte ich nicht mehr zu laufen, denn ich sah bereits mein Ziel.
Die Leuchtreklame des Witch-Go-go war die farbigste und die breiteste, denn sie strahlte über die Straße hinweg, wo sie sich auf der anderen Seite mit den dort zuckenden Reklamen vermischte. Vor dem Schuppen war trotz der Kälte einiges los. Viele Besucher waren mit fahrbaren Untersätzen erschienen, wobei die Zweiräder überwogen. Die heißen Öfen waren auf dem Gehsteig geparkt worden und bekamen allmählich eine Schicht aus Raureif.
Ich sah die beiden jungen Frauen wieder. Sie waren bereits von zwei farbigen jungen Männern erwartet worden und betraten soeben das Lokal. Ich blieb davor stehen und schaute an der Fassade hoch.
Es war ein altes Haus, in dem das Lokal untergebracht war. Ein breiter Eingang aus zwei Türhälften zeigte ein verzerrtes Hexengesicht von giftgrüner Farbe. Wenn jemand die Tür aufstieß, wurde das Gesicht geteilt.
Über der Tür und unter der Reklame sah ich drei Öffnungen in der Wand, aus der verschiedenfarbige Nebelwolken drangen, die sich in der kalten Winterluft verteilten.
Einige Motorräder waren besetzt. Die Typen trugen Lederkleidung. Schwarz, braun, rot und grün. Bestückt mit Metallnieten, allerlei Orden, Abzeichen und Buttons. Alte Armeemützen oder Stahlhelme bedeckten die Köpfe der jungen Leute, und die Blicke, mit denen sie mich musterten, gefielen mir nicht. Sie waren aggressiv und abschätzend.
Ich gab ihnen keine Veranlassung, irgendwelchen Ärger zu machen, und wich dem Sichtkontakt aus. Zwei Schritte brachten mich zum Eingang, dessen rechte Türhälfte von innen aufgezogen wurde, sodass ich mich nicht erst zu bemühen brauchte.
Eine junge Frau verließ das Lokal. Den Schal wickelte sie sich dreimal um den Hals. Er besaß eine tiefrote Farbe und sah wie festgefrorenes Blut aus.
Der Kälte folgte die Hitze. Sie war unnatürlich, stickig und qualmig. Schrille Musik erreichte meine Ohren schon in dem großen Vorraum, wo sich die Besucher ballten und von drehenden, bunten Lampen farbig bestrahlt wurden.
Hier befand sich nicht das eigentliche Lokal, mehr ein Bereich, wo man redete, sich hin und wieder tänzerisch bewegte oder Gäste auf Rollschuhen oder Skateboards ihre Runden drehten.
Es war eine bunte, sehr junge Gesellschaft, in die ich nicht hineinpasste. Ich zog den Reißverschluss meiner gefütterten Lederjacke auf. Den dicken gelben Pullover, den ich darunter trug, hatte mir Sheila Conolly zu Weihnachten geschenkt. Für draußen war er gut. In dieser stickigen Wärme aber begann ich zu schwitzen.
Irgendwo musste es den Eingang in das eigentliche Lokal geben. Sehen konnte ich ihn nicht, aber ich entdeckte eine Gruppe junger Leute, die in eine bestimmte Richtung strömte.
Daran hielt ich mich.
Die Gäste verschwanden um eine Ecke, fanden sich in einem Gang wieder, an dessen Ende ein rundbogenförmiger Durchbruch in das Lokal führte.
Über dem Eingang glänzte in roten Leuchtbuchstaben das Wort Hell. Es bedeutete nichts anderes als Hölle, und die Hölle wurde in dem Lokal imitiert.
Eine Lichthölle aus zuckenden, tanzenden, kreisenden und bizarren Laserstrahlen, die von einem gewaltigen Impulsgeber in den Raum geschleudert wurden.
Zwei Rollerboys huschten aus dem Eingang. Sie trugen knallgelbe Helme. Ellenbogen und Knie waren mit gepolsterten Schonern bedeckt. Ihre Fahrt war rücksichtslos. Ich musste mich mit einem Sprung zur Wand retten.
Die Gruppe vor mir war in der Hölle verschwunden. Ich folgte langsamer und wurde bereits kurz nach der Schwelle von der blitzenden Lichtfülle geblendet. Für einen Moment musste ich stehen bleiben, denn ich hatte tatsächlich das Gefühl, in eine andere Welt gekommen zu sein. Da bewegte sich jeder. Die Musik dröhnte durch die Halle, und ich glaubte, auf einem schwankenden Boden zu stehen, der sich erst allmählich glättete.
Dann ging ich weiter und versuchte gleichzeitig, mich zu orientieren. Rechts von mir drängten sich im bunten Lichtermeer und unter einer gewaltigen Rauchwolke die Tänzer. Junge Frauen und Männer drehten sich unter den Klängen der heißen Rhythmen. Es war eine Mischung zwischen Rock und Breakdance. Regelrechte Künstler sah ich unter den Tänzern, die ihre Figuren auf dem Boden vorführten, wie Gummipuppen wieder in die Höhe schnellten, zusammenfielen, sich auf dem Kopf drehten, sodass das Spiel wieder von vorne begann.
Hier konnte man sich austoben. Hier wurde derjenige beklatscht, der am Tag nur frustrierende Niederlagen einstecken musste. So schaffte er es, sich abzureagieren und Anerkennung zu finden.
Es waren verrückte Gestalten darunter. Alle Haarfarben sah ich. Vom strahlenden Weiß über ein Rostrot bis hin zu poppigem Grün.
Oft hatten sich die jungen Gäste ihre Gesichter wie dämonische Masken geschminkt. Farbstriche, Kreise oder nur bleicher Puder gaben ihnen ein unwirkliches Aussehen. Hinzu kam das farbige Licht, sodass die Tänzer wie Gestalten aus einem psychedelischen Albtraum aussahen.
Sie passten in diese Hölle aus Musik und Licht.
Ich schob mich weiter. In der linken Hälfte des Raumes sah ich das, was ich gesucht hatte.
Die große Bar. Wie ein breites Hufeisen war sie aufgebaut. In ihrer Nähe entdeckte ich Nischen, die mit Tischen und Stühlen gefüllt waren.
Die Musik war in Barnähe nicht so laut, sodass man sich dort unterhalten konnte.