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Loch Ness hat sein Monster. Wir in London hatten nichts dergleichen.
Bis zu der Nacht, in der sich ein geisterhaftes pechschwarzes U-Boot aus den Fluten der Themse schob. An Deck standen unheimliche Gestalten im Schutz eines auf den Turm gemalten Totenkopfs.
Als ich von ihnen erfuhr, hatten sie bereits Sir James, meinen Chef, entführt ...
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Das u-Boot-Phantom
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5935-0
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Das u-Boot-Phantom
von Jason Dark
»Sie nehmen einen Whisky, Sir James?«, fragte der Butler mit den streng gescheitelten Haaren. Wie immer war er lautlos an den im Sessel sitzenden Superintendent herangetreten.
»Nein, Charles, heute nicht.«
»Was darf ich Ihnen dann servieren, Sir?«
»Tee.«
»Die alte Ceylonmischung?«
Sir James dachte einen Moment nach. »Ist es wirklich noch die alte Mischung?«
»In der Tat, Sir. Man hat sie nicht in Sri Lanka umbenannt.«
»Dann werde ich sie nehmen«, erwiderte Sir James.
»Ich gratuliere Ihnen zu diesem Entschluss. Sie werden überzeugt sein, Sir.«
»Das hoffe ich doch sehr.«
Charles verbeugte sich und ging, während Sir James seine Beine vorstreckte und sich rundum wohlfühlte. Wie immer verbrachte er seinen Feierabend im Klub. Nach langen Streitereien und einem furchtbaren Hickhack war es endlich gelungen, in das neue Klubhaus umzuziehen. Es lag am Wasser, am Ufer der Themse.
Konservatismus und fortschrittlicheres Denken hatte die Mitglieder des Klubs beim Bau des Hauses in zwei Lager gespalten. Während die einen das Vergangene beibehalten wollten, plädierte die Gruppe um Sir James für eine neue Bauweise.
Das Haus sollte durchlässiger, transparenter werden, nicht mehr so muffig wie die alten Gebäude.
Das alles war auf den Widerstand der Ewiggestrigen gestoßen, doch die Lobby um Sir James hatte sich durchgesetzt. Zum Wasser hin baute man die Räume großzügig. Das galt besonders für die Fenster, die durch ihre außergewöhnliche Größe fast eine gesamte Zimmerbreite einnahmen, sodass der Blick der versammelten Mitglieder hinaus in die Natur gleiten konnte und die Sonne freie Bahn hatte.
Sir James empfand es als beruhigend, die Schiffe zu beobachten, die über die Themse fuhren und weiße Bärte vor sich herschoben.
Auch wenn sich der Superintendent tagsüber kaum in den Räumen aufhalten konnte, wollte er es sich wenigstens vorstellen können. An Sommerabenden bekam er dann noch etwas von dem Betrieb mit.
Jetzt war es dunkel. Im Raum selbst brannten nur wenige Lampen. Leselichter, die den Blick durch die Scheiben nicht behinderten. Am anderen Ufer zeichnete sich eine Lichterkette ab.
Charles räusperte sich vornehm. »Der Tee, Sir.«
»Ah ja, danke sehr.«
Charles servierte. Die Kanne bestand aus dem gleichen hauchdünnen Porzellan wie die Tasse. Er schenkte ein, und Sir James schaute ihm zu. Sie hatten den Butler aus den alten Klubgebäuden mitgenommen, und Sir James wollte wissen, wie es ihm jetzt gefiel.
»Recht gut, Sir.«
»Mehr nicht?«
Charles richtete sich wieder auf. Er gehörte schon zum Inventar des Klubs, so lange diente er bereits. »Wenn ich ehrlich sein soll, Sir, habe ich einige Schwierigkeiten, mich an das Offene zu gewöhnen. Die alten Räume kamen mir, verzeihen Sie den Ausdruck, intimer vor. Hier habe ich manchmal das Gefühl, beobachtet zu werden.«
»Mögen Sie die Sonne und das Licht nicht?«, fragte Sir James.
»Schon, Sir. Aber alles zu seiner Zeit.«
Der Superintendent lachte. »All right, Charles, Sie können jetzt gehen.«
»Wünschen Sie noch etwas, Sir? Eine Zeitung?«
»Nein, ich möchte aus dem Fenster schauen, auch wenn Sie das nicht verstehen, Charles.«
»Sehr wohl, Sir.« Charles hob die Augenbrauen ein wenig an, verbeugte sich knapp und schritt davon. Er ging wie ein Storch im Salat. Sir James schaute ihm amüsiert nach.
Der Superintendent griff zur Tasse und führte sie vorsichtig an die Lippen. Er nahm einige kleine Schlucke. Ja, der Tee war gut. Das war die Mischung, die er so liebte. Er trank nicht schnell, ließ sich Zeit, schlürfte den Tee, was er sich erlauben konnte, da er allein war.
Nur wenige Mitglieder hatten an diesem Abend den Klub besucht und sich in den Räumen verteilt. Sir James drehte den Sessel so, dass er direkt auf die breite Fensterscheibe schauen konnte. Wollte man sie öffnen, brauchte man die Kraft zweier starker Männer.
Es ging auch anders. Durch einen kleinen E-Motor angetrieben, lief die Scheibe auf einer Schiene weiter.
Sir James fühlte sich wohl. In diesen Stunden konnte er die Last des Tages abschütteln und entspannen. Er schaute auf den Fluss und sah dem Spiel der Wellen zu. Hin und wieder schimmerten Lichtreflexe auf dem Wasser oder wurden schaumige Streifen zu langen, hellen Rillen, wenn die Strömung sie weitertrieb.
Ein für Sir James beruhigend wirkendes Bild, obwohl zu dieser Zeit keine Schiffe mehr fuhren.
Er wusste selbst nicht, wie lange er im Klub bleiben würde. Wenn es ihm in den Kopf kam, wollte er hier übernachten. Schlafzimmer standen zur Verfügung, ebenso wie Duschen, Bäder und eine Sauna. Man konnte im Klub leben, und Sir James hatte diese Chance mehr als einmal genutzt.
Vieles ging ihm durch den Kopf. Er überlegte, dass andere in seinem Alter über Pensionierung nachdachten, die kam für Sir James überhaupt nicht infrage. Man war bisher nie mit dieser Bitte an ihn herangetreten oder hatte ihn auf sein Alter angesprochen.
Wer eine solche Sonderabteilung führte, der war in gewisser Hinsicht nicht ersetzbar. Sir James hatte sich im Laufe der Jahre mit der Materie vertraut gemacht, war von finsteren Mächten attackiert worden, aber er hatte immer wieder den dämonischen Mächten die Stirn geboten.
Schließlich wollte er nicht hinter seinen beiden Männern John Sinclair und Suko zurückstehen.
Sie waren die Kämpfer an der Dämonenfront. Sir James bezeichnete sich als einen Mann im Hintergrund, der alles in die Wege leitete und hervorragend organisieren konnte. Wenn der alte Fuchs einen Einsatz plante, lief er.
Er genoss den Tee. Die Tasse hielt er in der Hand. Über den Rand hinweg glitt sein Blick durch das große Fenster hinab zum Fluss. Das Gelände fiel ein wenig ab, um Überschwemmungen aufzufangen.
Im ewigen Gleichmut rollten die Wasser dahin. Oft grau, manchmal heller, ansonsten dunkel. Ein rolling River, der sich vor Urzeiten sein Bett gegraben hatte.
Sir James hatte in letzter Zeit oft an dieser Stelle gesessen. Ihm war die Themse zu einem Freund geworden. Die Wellen hatten etwas Beruhigendes an sich. Seiner Ansicht nach trieben sie den Stress und die Sorgen des vergangenen Tages fort.
Ein wenig sentimental waren diese Gedanken, die den Superintendent überfielen. Offen hätte er es nicht zugegeben, doch auch ein Mensch wie er brauchte eine kleine Nische, in die er sich zurückziehen konnte.
Der Fluss, die Schiffe, die Wellen. Sie faszinierten den Superintendent.
Plötzlich schaute er auf. Für einen Moment spannte sich seine Haltung, bevor er sich nach links drehte und die Tasse auf dem kleinen Beistelltisch absetzte.
Sir James hatte etwas entdeckt!
An einer bestimmten Stelle in der Flussmitte war das Wasser unruhiger geworden. Zwar floss es nach wie vor dahin, aber es hatten sich Kreise und Strudel gebildet, als wäre unter der Oberfläche etwas in Bewegung geraten.
Der Superintendent drückte sich aus dem Sessel hoch. Bisher überwog die Neugierde, obwohl er sich eines unguten Gefühls nicht erwehren konnte. Er gehörte zu den misstrauischen Leuten. Das Leben hatte ihn gelehrt, vorsichtig zu sein.
Er trat bis dicht an die Scheibe und verschwand damit aus dem Lichtschein der Leselampe, die neben dem Sessel stand. Sir James konzentrierte sich auf die Stelle und stellte fest, dass er sich nicht getäuscht hatte.
In der Flussmitte zeigte das Wasser eine nahezu gefährliche Unruhe. Etwas stieg aus den Fluten. Es war ein U-Boot!
Das Sehrohr war eingefahren, die Besatzung ließ sich nicht blicken, und Sir James war wohl der einzige Zeuge, der das Auftauchen beobachtet hatte.
Die abenteuerlichsten Vermutungen schossen ihm durch den Kopf. Das Boot konnte sich verfahren haben. Es war allerdings auch möglich, dass es sich bei ihm um ein Spionageboot einer feindlichen Macht handelte. In den letzten beiden Jahren waren des Öfteren russische U-Boote in schwedischen Hoheitsgewässern entdeckt worden.
Sollte dies tatsächlich zutreffen, war der andere verdammt abgebrüht, wenn er gegen den Themsestrom bis nach London fuhr und dort auftauchte.
Ohne Grund?
Daran wollte ein Mann wie Sir James nicht glauben. Außerdem war er Patriot und fühlte sich der Monarchie verbunden. Wenn er feststellte, dass seinem Land Schaden zugefügt wurde, wollte er alles daransetzen, um diesen Schaden zu vermeiden.
Sir James verließ sich in diesem Fall auf seine Nase. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mit dem U-Boot einiges nicht stimmte. Dieser Kahn war nicht von ungefähr und ohne Grund aus den Tiefen hervorgetaucht. Die Besatzung hatte irgendetwas vor.
Der Superintendent wartete einige Minuten, bis er sicher sein konnte, dass der Kahn nicht wieder verschwand. Dann eilte er dorthin, wo sich der Schalter des Motors befand. Er brauchte ihn hinter dem Vorhang nur nach rechts zu drehen.
Augenblicklich erklang ein leises Summen. Sir James schaute zu, wie die Scheibe langsam zur Seite rollte. Er öffnete sie nicht ganz, nur so weit, dass er sich durch die Öffnung schieben konnte.
Der Wind schnitt ihm ins Gesicht. Er brachte Kälte mit, aber die Luft war klar. Selbst über dem Wasser lagen keine Nebelschwaden, für diese Jahreszeit an sich selten.
An das Fenster war eine Terrasse angebaut. Zum Fluss hin lag sie erhöht. Um auf das Ufergelände zu gelangen, musste der Superintendent die Stufen einer Treppe gehen. Sie waren feucht. Er gab acht, dass er nicht ausrutschte.
Nach der fünften Stufe versanken seine Schuhe im weichen Gras der Uferlandschaft. Dieses Stück Land hatte der Klub gekauft. Es konnte nicht bebaut werden.
Sir James ließ das U-Boot nicht aus den Augen, als er sich auf den Fluss zubewegte. Er befand sich mutterseelenallein unterwegs. Zurück blieb das Klubgebäude mit dem matt erleuchteten Fenster. Es schien in einer anderen Welt zu liegen.
Der Boden war nass. Am Tag hatte es geregnet, gegen Abend war die Bewölkung verschwunden, der Wind hatte den Himmel blank gefegt.
Im Klubhaus war es still gewesen. Jetzt trug der Wind das Rauschen der Wellen heran, und Sir James stemmte sein Gesicht gegen die heranwehende Kühle.
Er fühlte sich nicht unwohl, aber er hatte trotzdem das Gefühl, sich in Gefahr zu begeben. Natürlich wollte er das U-Boot nicht entern, die Möglichkeit hätte er gar nicht gehabt, doch aus der Nähe wollte er es sich schon ansehen. Möglicherweise konnte er herausfinden, zu welcher Nationalität es gehörte.
Am anderen Ufer lief der nächtliche Verkehr entlang. An dieser Seite war es ruhig, fast unheimlich, denn das Rauschen des Wassers wirkte auf keinen Fall beruhigend.
Sir James Powell lief in die Mulde mit dem weichen Untergrund hinein. Zum Greifen nahe kam ihm das Wasser des Flusses vor. Er sah die Wellen, den hellen Schaum, hörte das Rauschen, entdeckte den Schatten des U-Boots und brauchte nicht mehr lange zu laufen, um die Stelle zu erreichen, wo die Wellen am Ufer ausliefen. Dort blieb er stehen. Unter seinen Füßen befanden sich jetzt flache Kieselsteine, der Grasteppich lag zurück, und kleine Steinstreifen stießen wie lange Finger in die rollenden Wellen hinein.
Das U-Boot lag dort wie ein Klotz. Es war etwa in der Mitte des Flusses aufgetaucht und schaukelte leicht in der Strömung.
Gern hätte Sir James jetzt einen Scheinwerfer gehabt, so aber konnte er nicht erkennen, was sich auf dem Boot tat. An Deck hatte er eine Bewegung bemerkt.
Um besser sehen zu können, verließ er seinen Beobachtungsposten und lief über die lange Zunge aus Steinen in den Fluss hinein. Zum Glück führte die Themse nicht viel Wasser, sonst wäre die Zunge längst verschwunden gewesen.
Sir James blieb am Ende stehen. Jetzt konnte er besser sehen. Sein Blick traf das Deck des U-Boots, und er stellte fest, dass es nicht mehr verlassen war.
Aus dem Bauch waren die Mitglieder der Besatzung geklettert.
Sir James schaute genau hin. Er hatte damit gerechnet, Soldaten zu sehen. Im ersten Augenblick glaubte er daran, als er die dunklen Gestalten sah, bis er erkannte, dass die Kleidung der drei Leute an den Rändern flatterte.
Uniformen konnten das nicht sein!
Das Herz des Mannes schlug schneller. Sir James nahm seine Brille ab und putzte die Gläser. Er ahnte, dass er dicht vor einer entscheidenden Entdeckung stand, setzte die Brille wieder auf, schaute erneut nach und wusste, dass seine Vermutung zutraf.
In der Brust verspürte er einen Stich. Er wollte nicht glauben, was er da geboten bekam.
Drei vermummte Gestalten hatten das U-Boot verlassen, es waren keine Soldaten!
***
Unbeweglich blieb der Superintendent auf seinem einsamen Beobachtungsplatz stehen und ließ das Deck des Boots nicht aus den Augen. Er spürte weder den Wind noch hörte er das Rauschen der Wellen. Sein Interesse galt einzig und allein den drei Gestalten, die sich wie Zinnfiguren an Deck aufgebaut hatten.
Sie sahen in ihren langen Kutten aus wie Mönche. Zudem hatten sie die Kapuzen hochgeschoben, sodass von ihren Gesichtern kaum etwas zu erkennen war.
Sir James war Fachmann genug, um zu wissen, dass es sich bei diesem Vorgang nicht um einen gewöhnlichen handeln konnte. Das Boot war aus der Themse aufgetaucht, dies konnte man hinnehmen, aber nicht die unheimliche Besatzung.
Sir James atmete tief durch die Nase ein. Er spürte auf dem Rücken Gänsehaut und dachte daran, dass dies kein Fall für ihn war, sondern für John Sinclair.
John musste sich um dieses Boot kümmern.
Der Verstand sagte Sir James, dass es besser wäre, wenn er jetzt verschwand, aber er konnte sich einfach nicht von diesem Anblick lösen. Er musste hinschauen und wartete ab, wie sich die Sache entwickelte.
Die drei Gestalten rührten sich nicht. Sie schafften es, die Schaukelbewegungen der Wellen auszugleichen. Ihre Hände hielten sie in den Kuttenärmeln verborgen. So sahen stumme Wächter aus, die auf irgendetwas achtgeben wollten.
Sir James ließ seine Blicke noch einmal über den stählernen Rumpf des Boots gleiten, ohne allerdings das Hoheitszeichen entdecken zu können.
Dieses Boot war neutral – und gefährlich.
Der Superintendent wollte sich zurückziehen. In seinem Kopf hatte sich bereits ein Plan geformt. Er musste die Navy alarmieren, die sich um das Boot kümmern würde. Außerdem sollte John Sinclair Bescheid bekommen, damit er sich das Schiff ebenfalls aus der Nähe ansah. Es blieb beim Vorsatz.
Sir James hatte den Fehler gemacht und nur auf das Boot geachtet. Vielleicht war es schon zuvor passiert, möglicherweise erst später. Jedenfalls war es der unheimlich wirkenden Besatzung gelungen, im Schatten des stählernen Leibes ein zweites Boot auszusetzen, das dem Ufer entgegengerudert wurde.
Ein dunkles Schlauchboot.
Es hob sich kaum von der schwarzen Wasseroberfläche ab. Erst ein Stück entfernt zeigten sich Lichtreflexe auf der Oberfläche, sie erreichten das Boot nicht, das sich, von zwei Vermummten gerudert, rasch dem Ufer näherte.
Dennoch entdeckte es Sir James!
Da war es bereits zu spät. Ein Jüngerer hätte vielleicht schneller reagiert, Sir James wollte weg, aber das Boot mit den beiden Vermummten war bereits zu nahe.
Einer von ihnen hielt nur das Ruder. Der andere richtete sich auf, drehte sich und schleuderte vom Boot aus etwas auf das Ufer zu und genau in Sir James’ Richtung.
Der Superintendent sah einen blitzenden Kreis durch die Luft segeln. Für einen Moment war er gebannt, dann duckte er sich, aber er rührte sich nicht. Das wurde ihm zum Verhängnis. Der Kreis, sehr groß, öffnete sich über seinem Kopf, etwas klatschte auf seinen Körper, dann zog die Gestalt vom Boot her die Schlinge zusammen.
Sir James spürte den Druck, danach den Ruck. Er verlor den Boden unter den Füßen, der Schrei blieb ihm im Hals stecken, als er hinfiel und mit dem Hinterkopf im Wasser landete.
Da zog der Vermummte zum zweiten Mal. Wieder schleuderte es den Superintendent zu Boden. Er blieb aber nicht liegen. Die Schlinge schnürte ihm die Arme an den Körper, der nun in Bewegung geriet und in die Themse gezogen wurde.
Sir James spürte die Kälte wie einen Schock. Sie presste ihm die Brust zusammen. Atmen konnte er nur noch einmal, dann tauchte sein Kopf unter.
Ein Gefühl der Panik überkam ihn. Jetzt ertrinkst du, die lassen dich nicht hochkommen, schoss es ihm durch den Kopf, als er durch die kalten Fluten gezogen wurde und man ihn wieder hochriss, sodass er Luft holen konnte. Sir James atmete heftig. Er trieb nach vorn und stieß gegen den dicken Gummiwulst des Schlauchboots.
Zischende Stimmen vernahm er. Er bekam mit, dass ein Schatten über ihn fiel, dann spürte er Klauen in seinen Achselhöhlen. Hart waren die Griffe, die ihn umklammert hielten und hochzerrten.
Man drehte ihn herum, er kippte rücklings in das Schlauchboot hinein und blieb so liegen.
Den Mund hatte er weit aufgerissen. Themsewasser rann über seine Lippen, er schluckte es reflexartig. Als er die Augen aufriss, wurde er auf den Bauch gedreht, sodass es ihm nicht mehr gelang, mehr von den Vermummten zu erkennen.
Jemand drückte gegen seinen Rücken. Sir James verstand diese Warnung.
Er blieb auf dem Bauch liegen und rührte sich nicht. Wasser rann ihm aus der Kleidung. Der Wind war eisig geworden. Er schnitt durch das nasse Zeug und stach in seine Haut.
Längst bereute der Superintendent seinen einsamen Entschluss, zum Ufer gegangen zu sein. Vielleicht hatten die anderen das nur gewollt, denn alles sah nach einer Entführung aus. Er spürte, dass sie ihn zum Boot schafften. Einer hielt ihn fest trotz der Fesselung, der andere aber ruderte.
Sir James hatte Wasser geschluckt. Er hustete und spie die Brühe aus. Sie ließen ihn zum Glück in Ruhe, sodass er sich wieder gedanklich finden konnte.
Minuten vergingen. Wellen rollten heran, Wasser spritzte über und nässte seine Kleidung noch mehr. Irgendwann stieß er gegen den Rumpf des U-Boots. Das Schlauchboot bekam einen Stoß, Sir James wollte sich aufrichten, er wurde wieder gepackt, auf die Beine gestellt und festgehalten.
Über eine kleine Außenleiter musste er an Bord des U-Boots steigen. Vor sich sah er den Turm. Aus der Nähe wirkte er übergroß. Vom Klub her war er ihm vorgekommen wie ein kleiner Schornstein.
Über eine zweite Leiter musste der Superintendent auf die Turmbrücke klettern, wo die Luke offenstand, die in den Bauch des stählernen Ungeheuers führte.
Er war nach wie vor gefesselt, trotzdem wurde er von kräftigen Händen gehalten und vorgedrückt. Sir James warf einen letzten Blick zum Ufer hin.
Er sah die Fensterfront des neuen Klubgebäudes, entdeckte die Lichtinseln dahinter und hatte plötzlich das Gefühl, als wäre dies alles meilenweit entfernt.
Der Schlag traf ihn mitten auf den Kopf. Sir James duckte sich, das hatten die anderen auch beabsichtigt, um ihm in die Kniekehlen treten zu können.
Es war der Anfang vom Ende!
Sir James verlor den Halt. Die Mitglieder der Besatzung rutschten über eine Stange in den Bauch, um so schnell wie möglich ihr Ziel zu erreichen.
Sir James hatte darin keine Erfahrung. Er verfehlte die Stange, fiel und wurde von kräftigen Händen aufgefangen.
Sie stellten ihn hin. Endlich nahm ihm jemand das Lasso ab, und Sir James konnte über sein Gesicht wischen. Viele Körperpartien schmerzten, das war jetzt uninteressant, er hörte, wie sich die Luke über ihm automatisch schloss. Wahrscheinlich wurde jetzt der Tauchvorgang eingeleitet.
Von der Besatzung sah er nichts. Er befand sich jetzt in der Zentrale, in der alles in grünes Licht getaucht war. Die Enge wirkte bedrohlich. Aber viel mehr störte ihn der Verwesungsgeruch unter Deck. Auf dem U-Boot schienen sich nur Leichen zu befinden.
Sir James schluckte. Es kostete selbst ihn Überwindung, ruhig zu bleiben. Wie durch ein Wunder hatte er seine Brille nicht verloren. Er nahm sie ab und reinigte die Gläser. Jetzt sah er die Besatzung deutlicher!
Ein jeder trug eine Kutte mit Kapuze auf dem Kopf. Sie sagten nichts, als sie auf ihn zukamen, aber Sir James konnte zum ersten Mal in ihre Gesichter schauen.
Er hatte gelernt, sich zu beherrschen. Diese Beherrschung hätte er fast verloren, als die Besatzung ihm ihre Gesichter zeigte.
Es waren Teufelsfratzen!
***
Jede Fratze sah gleich aus. Es gab keine Unterschiede. Die Gesichter hatten dreieckige Formen, die Augen glühten, die Nasen schienen aus Stahlschienen zu bestehen, die Stirnen waren breit und glatt. Sie schimmerten in einem düsteren Blaugrau. Die Lippen hoben sich kaum davon ab. Sie waren zusammen nicht breiter als der Zeigefinger eines Kleinkinds. Die Gestalten trugen allesamt dunkle Kutten. Alte Gewänder, die einen muffigen Grabgeruch verströmten.
Sir James stand im Weg. Einer löste sich aus der Gruppe und schob ihn zur Seite. Der Superintendent wurde in die Ecke gedrückt. Die Zombies sprachen kein Wort miteinander. Sie arbeiteten stumm. Es brauchte auch nicht geredet zu werden, da konnte sich einer auf den anderen verlassen, als man den Tauchvorgang einleitete.
Durch den Bootskörper ging ein Schütteln. Sir James hörte ein Zischen, als würde irgendwo Luft abgelassen werden, und das Brummen der anlaufenden Motoren ließ das Boot sanft vibrieren.
Sie sanken auf den Grund und blieben dort liegen.
Die Enge im U-Boot und die Anwesenheit dieser unheimlichen Gestalten zerrten an den Nerven des Gefangenen. Hätte man ihn in irgendein Verlies gesperrt, wäre seine Hoffnung größer gewesen. So aber war sie auf den Nullpunkt gesunken, denn Sir James sah keine Chance, sich zu befreien.
Er musste in diesem stählernen Sarg bleiben und war den Gestalten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.