John Sinclair Sonder-Edition 77 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 77 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

In der Zeit nach dem Mittelalter sprach man seinen Namen nur flüsternd aus: Giancarlo Cabrisi, der mächtige Doge, unter dessen Knute Venedig litt. Er und sein Henker brachten das Grauen.
Bis sie den Tod in den Bleikammern fanden, so dachte man.
Aber sie kehrten zurück. Aus der Touristenstadt wurde eine Zone der Angst. Leichen schwammen in den Kanälen, gezeichnet vom Henker des Dogen.
Ich kam in die Stadt und sollte das Grauen aufhalten.
Venedig sehen und sterben. Dieses Sprichwort konnte für mich zur bitteren Wahrheit werden ...

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EPUB

Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Doge, sein Henker und ich

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Ballestar/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6467-5

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.

Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.

Lesen Sie in diesem Band:

Der Doge, sein Henker und ich

von Jason Dark

Auch wenn eine Stadt noch so gelobt und begeistert beschrieben wird, es gibt immer wieder einen Ort, über den sich sämtliche Reiseführer ausschweigen.

Das Leichenhaus!

Daran dachte Pietro Lombardi, seit achtzehn Jahren Leichenschauhaus-Wächter aus Überzeugung. Möglicherweise gehörte er zu den Menschen, die nach der Pensionierung freiwillig weitermachten, nur wegen der herrlichen Ruhe, denn zu Hause saß seine Frau, und die redete den ganzen Tag über.

Er hatte Luisa stets als Schrecken der Nachbarschaft bezeichnet. Die brachte es fertig, einen Menschen vom Stuhl zu reden und sich anschließend darauf zu setzen. Sie hatte mit vielen Leuten Krach, und es war sogar schon zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einer Nachbarin gekommen, während die beiden Männer zusammen in einer Bar gesessen und Grappa getrunken hatten.

Ja, der Grappa. An diesen Schnaps hatte sich der gute Pietro gewöhnt. Die kleine Flasche musste immer dabei sein, wenn er den Dienst antrat. Dass er hin und wieder einen Schluck nahm, daran störte sich niemand. Lombardi hatte Narrenfreiheit. Außerdem konnte er an manchen Tagen den Geruch nicht ertragen. Nicht den der Leichen, sondern diesen klinischen Desinfektionsgeruch. Der schlug ihm auf den Magen, sodass nur Grappa half.

Wie vieles in Venedig war das Schauhaus in einem alten ehrwürdigen Gebäude untergebracht. Manchmal blieben Touristen stehen, besichtigten es aber nicht, wenn ihnen der Reiseführer erklärte, was die Mauern beherbergten.

Pietro hatte Schichtdienst. An diesem Tag begann sein Dienst am Abend. Er würde die Nacht über andauern. Am anderen Tag konnte er ausschlafen.

Als er eintraf, war der Kollege schon fertig umgezogen. Er war um einige Jahre jünger als Lombardi, der elegante dunkelblaue Anzug stand ihm gut.

»Willst du weg?«

»Ja, Pietro. Ich bin eingeladen.«

»Toll. Von wem?«

Der Mann lächelte. »Von einer Frau. Die ist klasse, sage ich dir. Sie kommt aus dem Norden.«

»Deutschland?«

»Nein, Wien.«

»Aha, und?«

»Ich soll ihr Venedig zeigen.«

Pietro grinste. »Weiß sie von deinem Beruf? Hast du ihr erzählt, dass du die Toten wäschst?«

Der Kollege schaute Lombardi an. »Bin ich verrückt? Ich habe ihr gesagt, dass ich studiere und ab und zu eine Gondel fahre.«

»Hast du das schon einmal getan?«

»Nie zuvor.«

»Dann wird sie sich wundern.«

»Von wegen. Soweit kommen wir gar nicht.« Der Mann streifte seinen Mantel über. »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

»Und treib es nicht zu toll.«

»Die Frau ist ausgehungert, das habe ich sofort gemerkt.« Er nickte Pietro noch einmal zu und ging.

Lächelnd und leicht seufzend schaute Lombardi ihm nach. Jung müsste man sein, dachte er. So aber blieben einem nur der Grappa und das Schwätzchen mit Freunden.

Im Laufe der Jahre hatte das schwarze Haar des Mannes einen Grauschleier bekommen. Trotzdem wuchs es voll und sah aus wie toupiert. Die Haut war nicht mehr so straff wie früher, und die Energie der Jugend hatte ebenfalls nachgelassen. Nur gut, dass ihn der Dienst nicht übermäßig strapazierte.

Pietro Lombardi betrat seine kleine Bude, die in Sichtweite des Eingangs lag. Sie war in eine Nische hineingebaut. Von dieser Stelle aus besaß er einen Blick in den breiten Flur, dessen Fliesen aus hellen Marmorrechtecken bestanden. Neben der Treppe nach unten befand sich der breite Fahrstuhl, da konnten mehrere Leichen nebeneinander hineingeschoben werden.

Pietro Lombardi dachte an die drei Toten, die man in den Kanälen gefunden hatte. Innerhalb einer Woche war dies geschehen, und die Polizei hatte bisher keine Spur.

In Venedig ging die Angst um. Ein geheimnisvoller Mörder war aufgetaucht. Einige Presseleute hatten bereits von einem Phantom gesprochen, die Polizei hielt sich bedeckt, und Lombardi bekam nicht mehr viel mit, denn die Beamten sprachen mit ihm kaum über den Fall, wenn sie kamen.

Man würde sehen. Wie bei jedem Dienstantritt machte Pietro seine Runde. Er war jetzt der einzige Lebende in diesem Bau, der selbst im heißesten Sommer eine gewisse Kühle ausstrahlte.

Pietro zog sein Arbeitszeug über. Es war ein blauer Kittel, der ihm bis zu den Kniekehlen reichte. Luisa hatte ihn frisch gewaschen und ordentlich zusammengelegt.

Wenn Pietro ihn überstreifte, schloss er ihn niemals. Er mochte es, wenn die Kittelschöße hinter ihm herschwangen und er beide Hände in den Hosentaschen vergrub. Dann kam er sich stets vor wie der große Chef. Und das war er auch, denn die Toten konnten nicht widersprechen.

Den Fahrstuhl nahm er nur selten. Pietro hatte sich an die breiten Stufen der Treppe gewöhnt und an den Handlauf, an dem er sich bei seinem Gang in die Tiefe festhielt.

Er hatte Licht gemacht. Die Leichenkammer lag unter der Erde. Manchmal wurde in der Nacht seziert, aber momentan lag kein eiliger Fall an, der untersucht werden musste, sodass sich Pietro frei bewegen konnte. Er pfiff ein Liedchen und lief durch den Gang, bei dem links und rechts die Türen in kleinen Nischen lagen. Bis hin zur großen Doppeltür musste er gehen und wurde vom kalten Schein der Leuchtstofflampen begleitet, deren Licht sich auf dem dunklen Steinboden spiegelte.

Der Metallring mit den Schlüsseln steckte in seiner rechten Seitentasche. Bei jedem Schritt klapperten die Schlüssel gegeneinander. Vor der Tür blieb er stehen, griff in die Tasche und fand, ohne zu suchen, den richtigen Schlüssel. Es war der längste. Mit zielsicherem Griff schob er ihn ins Schloss, drehte ihn zweimal herum, dann war die Tür offen.

Trotz ihrer Schwere konnte er sie leicht aufstoßen. Es genügte ein kurzer Druck mit der flachen Hand, und die eine Hälfte schwang langsam nach innen, als wäre sie von geisterhaften Händen aufgezogen worden. Im eigentlichen Kühlhaus war es kalt, und diese Kälte drang Pietro Lombardi jetzt entgegen.

Er blieb auf der Schwelle stehen, sein Körper hob sich wie ein Denkmal ab, da er sich nicht rührte, in die Dunkelheit vor ihm schaute und plötzlich eine Gänsehaut bekam. Die Haare im Nacken stellten sich hoch.

Er schüttelte sich, als hätte man Eiswasser über ihn ausgegossen. So etwas war ihm niemals zuvor passiert. Lombardi dachte über dieses Gefühl nach, er wollte irgendetwas gedanklich erfassen, aber seine Sinne tasteten ins Leere.

Da war nichts.

Niemand hielt sich verborgen, er hörte kein Geräusch, kein Atmen, und trotzdem war es vorhanden.

Vielleicht kam ihm die Kälte an diesem Tag besonders schlimm vor. Aber das konnte es nicht sein, in der Leichenkammer herrschten stets die gleichen Temperaturen.

Pietro bewegte sich langsam, als er die glatte Wand nach dem Lichtschalter abtastete. Er kickte ihn nach unten.

Die Beleuchtung flackerte auf. Gnadenlos.

Es gab keine dunkle Stelle mehr, keinen Winkel, in den man sich hätte verkriechen können. Dafür glänzten die Schubfächer, in denen man die Leichen unterbrachte. Sie lagen übereinander, waren aber nicht hoch bis zur Decke gebaut. Das letzte Stück zeigte glatten Beton, der vom rötlichen Steinboden abstach.

Pietro wusste genau, dass vier Laden belegt waren. Zwei Kinder befanden sich darunter, gestorben bei einem Verkehrsunfall, weil sich ein Autofahrer betrunken ans Steuer gesetzt hatte.

Die Kinder waren tot, die Eltern hatten überlebt. Selbst Pietro schüttelte sich, als er daran dachte.

Nach wie vor stand er auf der Schwelle und wunderte sich darüber. Er hatte plötzlich Hemmungen, den Raum zu betreten.

Die Gänsehaut wollte nicht weichen, und das lag nicht an der äußeren Kälte.

Langsam drehte er den Kopf nach rechts. Der Raum war länger als breit und besaß zwei Türen. Durch eine gelangte man in den Seziersaal, wie er offiziell hieß.

Nicht weit von dieser Tür entfernt standen die Bahren mit den drei Toten, die man aus dem Kanal gefischt hatte. Sie sollten noch einmal untersucht werden, weil man sich über bestimmte Merkmale ihres Ablebens informieren musste.

Jemand hatte Tücher über die Leichen gedeckt. Vom Kopf war ebenso wenig etwas zu sehen wie von den Haaren. Unter dem Luftstrom der Klimaanlage flatterten die Laken, sodass es aussah, als würden die Toten darunter zittern.

Aber wer einmal tot ist, der blieb tot. Und an Zombies glaubte Pietro nicht. So etwas verwies er in den Bereich der Fabel und des Films. Bei Letzterem hatten sich vor allen Dingen seine Landsleute als Zombie-Spezialisten erwiesen und die schrecklichsten Streifen gedreht, die man sich vorstellen konnte.

Pietro Lombardi räusperte seine Kehle frei, schluckte und betrat den Raum. Er ging langsam und wunderte sich selbst über seine weichen Knie.

Eigentlich bestand zur Panik überhaupt kein Grund, trotzdem ließ das Unwohlsein nicht nach.

Seine Tritte kamen ihm überlaut vor. Wie magisch wurde er von den drei abgedeckten Leichen angezogen. Man hatte die Körper desinfiziert. Je näher Lombardi zu seinem Ziel kam, umso stärker nahm er den Geruch wahr.

Abrupt blieb er stehen!

Trotz der Kälte wurde ihm plötzlich heiß. Er starrte auf die drei Leichen und wusste nicht, was er davon halten sollte. Alles kam ihm so unwirklich vor. Dafür gab es keine Erklärung. Er sah etwas, das es nicht geben durfte, und es geschah bei allen drei Toten gleichzeitig.

Dort, wo sich die Brust befand, begannen sie zu bluten, und der rote Lebenssaft zeichnete sich wie ein makabres Sigill auf den drei Leichentüchern ab …

Der Tod ist schrecklich, manchmal grausam, er konnte auch erlösend sein, aber eines ist er immer: endgültig!

Wieso hier nicht? Wieso bluteten die Leichen plötzlich, als hätte man mit einem Messer in ihre Brust geschnitten? Aber da war niemand in der Nähe, der so etwas tat, und an einen Unsichtbaren konnte Pietro nicht glauben.

In seiner Not schlug er ein Kreuzzeichen. Doch das half nur kurz. Als er tief einatmete, erfasste ihn leichter Schwindel, sodass er sich vorkam wie auf einem schwankenden Schiff.

Er hatte die Augen weit geöffnet und starrte auf die drei Leichen. Sie wiesen mit ihren Füßen in seine Richtung, das Blut bekam immer mehr Nachschub, es wollte einfach nicht enden. Die Wunden mussten ziemlich groß sein.

Das Blut blieb konzentriert. Es lief nicht aus, nicht einmal Flecken entstanden. Das wunderte Pietro und machte ihm gleichzeitig Angst. Noch näher ging er heran, weil er sehen wollte, was sich auf den Laken tat, und er hatte plötzlich den Eindruck, als wären auf den Laken Zeichen entstanden.

Zuerst glaubte er an eine Täuschung, ging trotz seines innerlichen Widerstands näher und blieb so dicht an den Bahren stehen, dass er sie fast berührte.

Sein Blick streifte über die Tücher.

Ja, das waren Zeichen.

Buchstaben, wenn er sich nicht täuschte.

Ein großes G und ein großes C. Beide ineinander verschlungen, aber noch zu erkennen und sich wie gemalt auf dem Laken abzeichnend. So etwas hatte er nie zuvor erlebt. Er wischte sich über die Stirn, schaute auf die glänzende Handfläche und putzte sie am Kittel ab.

Pietro war ratlos. Er kannte den Grund für die Blutung nicht und traute sich nicht, die Laken anzuheben, um nachzuschauen, weshalb die drei Leichen bluteten.

Zeit verging …

Lombardi merkte es kaum. Er stand auf dem Fleck wie angewachsen, starrte auf die roten Zeichen und gab sich schließlich einen innerlichen Ruck. Jetzt hatte er die Hemmschwelle überwunden. Er wollte sehen, was geschah.

In Hüfthöhe verharrte er. Seine Hand zitterte, als er nach dem ersten Laken fasste. Den Zipfel hielt er zwischen zwei Fingern, die Wangen zuckten. Dann zog er das erste Laken weg. Er warf es nach hinten, darauf gefasst, etwas Furchtbares zu sehen, aber er sah nur den Toten.

Einen dunkelhaarigen Mann mit einer wächsern wirkenden Haut, die sich leicht aufgequollen über die Gesichtsknochen spannte und an alten Teig erinnerte. Sein Blick fiel auf die Brust der Leiche. Und dort entdeckte er die Wunden.

Sie zeichneten sich haargenau ab, und es waren tatsächlich dort Buchstaben entstanden.

Ein G und ein C!

Wie mit der Messerspitze eingeritzt, aber wer tat so etwas? Ging an Leichen heran und zeichnete sie auf so grauenhafte Art und Weise?

Pietro hörte seinen eigenen Atem überlaut. Er spürte den Schweiß auf der Stirn, ließ das Laken wieder fallen und dachte nicht im Traum daran, bei den beiden anderen Toten nachzuschauen, wo er das gleiche Phänomen erleben würde.

Was war passiert?

Die drei Toten bluteten plötzlich, aber ohne Grund? Das konnte er sich nicht vorstellen. Kein Toter begann plötzlich, zu bluten, so etwas hatte er nie zuvor erlebt.

Er ging weiter, lief die Reihe ab und lüftete dennoch die beiden anderen Laken.

Jeder Tote besaß die gleichen Zeichen. Ein G und ein C!

Das war für Pietro zu hoch. Darum sollten sich andere Leute kümmern. Bei dieser Überlegung hatte er eine Idee. Er musste den zuständigen Stellen Bescheid geben.

Das war die Polizei.

Bei diesem Gedanken wurde ihm wohler. Tief atmete er ein, wollte sich umdrehen, als er zu Eis wurde. Er rührte sich nicht von der Stelle, spürte im Nacken Gänsehaut und konzentrierte sich auf die Laute hinter ihm.

Es waren Schritte!

Nicht besonders laut, so, als würde sich jemand bemühen, beim Gehen so wenig Geräusche wie möglich zu machen.

Und die Schritte nahmen an Lautstärke zu. Noch befand sich der Unbekannte draußen, aber er näherte sich immer weiter dem Eingang der Leichenhalle.

Es kostete Pietro Lombardi Überwindung, sich umzudrehen und zur offenen Tür zu schauen. Schließlich hatte er es geschafft, schaute hin – und in diesem Augenblick ging das Licht aus …

Pietro Lombardi stand im Dunkeln!

Er hatte die Hand, die das Licht löschte, nicht gesehen, es war alles zu schnell gegangen, aber er wusste, dass sich ihm kein Freund genähert hatte.

Vielleicht war es sogar diejenige Person, die die Leichen gezeichnet hatte.

Lombardi spürte, wie sein Herz hart trommelte. Es war die Angst, die er nicht überwinden konnte und die diesen Druck bei ihm auslöste.

Jetzt hörte er die Schritte nicht mehr. Reglos stand er auf der Schwelle und schaute dorthin, wo sich das Rechteck der offenen Tür in der Wand abzeichnete.

Da musste der Fremde sein.

Er zeigte sich nicht. Lauerte wahrscheinlich im Gang wie ein Schatten, um blitzschnell vorstoßen zu können.

Pietro holte tief Luft. In seiner Brust schmerzte es. Er versuchte, die Angst zu überwinden, um wenigstens etwas sagen zu können. Beim zweiten Anlauf gelang ihm dies.

»Hallo«, rief er. »Hallo! Ist dort jemand? Wenn ja, weshalb zeigen Sie sich nicht? Kommen Sie vor und machen Sie wieder Licht. Was soll das überhaupt?«

Er hatte nicht laut gesprochen, doch die kahlen Wände gaben seiner Stimme ein Echo, sodass der Fremde die Worte hören musste.

Nur rührte er sich nicht.

Er gab keine Antwort, er schob sich nicht vor, blieb im Gang und ließ Zeit verstreichen.

Bisher war Pietro Lombardi in der Nacht gern allein gewesen. Diesmal jedoch war seine Furcht zu groß. Er wünschte sich seine Frau Luisa herbei. Die hätte mehr Courage gehabt und dem Fremden einiges erzählt.

Der Eindringling blieb verschwunden. Er zeigte sich auch nicht in den folgenden Sekunden. Allmählich ließ die Spannung bei Pietro nach. Zwar fühlte er sich nicht viel besser, doch die Vernunft sagte ihm, dass es keinen Sinn hatte, länger in der Leichenhalle herumzustehen. Er musste raus. Möglicherweise hatte sich der Unbekannte zurückgezogen.

Lombardi ging vor. Wie ein Pantomime bewegte er sich. Jeder Schritt wirkte überzogen, aber er wollte ihn möglichst lautlos setzen und sah sich vor, auf keinen Fall die Wand zu berühren und sich durch ein Schleifen zu verraten.

So näherte er sich der Tür.

Seine Schritte wurden länger, aber nicht lauter. Er stieß nirgendwo gegen, behielt den Ausschnitt im Auge, wo sich immer noch keine Gestalt abzeichnete.

Bei ihm stieg die Hoffnung. Schon geriet er in den Bereich der Tür, wo das Licht aus dem Gang ein helleres Rechteck malte. Jetzt brauchte er sich nur nach links zu drehen und …

Da geschah es!

Es war ein Schatten, der plötzlich Gestalt annahm und auf ihn zuraste. Pietro erkannte die Faust erst, als es zu spät war. Da hatte ihn schon der harte Schlag vor die Brust getroffen und ihn rücklings zu Boden geschleudert. Er prallte auf den harten Untergrund, stieß sich den Hinterkopf, sah Sterne aufblitzen und vernahm einen dumpfen Ton, der ihm bekannt vorkam. Er entstand, wenn jemand die Tür zuschlug.

Bewegungslos blieb er auf dem Rücken liegen. Die Augen hielt er weit offen, obwohl er in der Dunkelheit nichts sehen konnte. Pietro lauschte seinem eigenen Herzschlag nach und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung.

Er sah nichts, er hörte nur etwas.

Wieder diese schleichenden Schritte in der Finsternis. Jedes Mal, wenn der Unbekannte seinen Fuß auf den Boden setzte, verdoppelte sich bei Pietro die Angst, weil er nachvollzog, dass sich der Unheimliche ihm näherte.

Oder waren es zwei?

Pietro lauschte. Seine Nerven lagen blank, aber das Gehör funktionierte.

Es stimmte.

Zwei Menschen näherten sich ihm von verschiedenen Seiten. Das Grauen hatte sich verdoppelt. Pietro wusste nicht, was er machen sollte, er sah die beiden nicht, dafür spürte er sie.

Als Leichenwärter besaß er eine gewisse Sensibilität. Und die drang durch. Die beiden waren Feinde, genossen den Schutz der Dunkelheit. Vielleicht konnten sie sehen, im Gegensatz zu ihm. Das wollte Pietro genau wissen.

Er hatte vor, sich zur Seite zu rollen und aufzustehen, aber sein Vorhaben wurde bereits im Ansatz gestoppt.

Etwas senkte sich im Dunkeln auf ihn nieder und berührte seine Brust. Es war schwer und spitz.

Lombardi wagte nicht, sich zu rühren. Auf seinem Körper lag eine eisige Kälte, denn der spitze Gegenstand, der ihn berührte, bewegte sich plötzlich weiter und zerschnitt seine Kleidung.

Das musste ein Messer sein oder etwas Ähnliches …

Der Kittelstoff war bereits durchschnitten. Darunter trug Pietro einen dünnen Pullover, dessen Material auch keinen Widerstand entgegensetzte, sodass die Spitze bald die Haut auf der Brust berührte und dort für einen Moment verharrte.

Lombardi lag unbeweglich auf der Stelle. Trotz der Starre tobte in seinem Inneren eine Hölle. Das Blut rauschte durch seine Adern, es hämmerte hinter der Schädeldecke. Urplötzlich kam ihm der Gedanke an den Tod.

Ja, er konnte sterben!

Bisher hatte er daran nicht gedacht, aber in diesem Augenblick war alles anders. Mit dem Gedanken an ein Ableben hatte er sich zuvor nicht befasst. Es waren immer nur die anderen tot, jetzt konnte es ihn erwischen.

Plötzlich spürte er den beißenden, ziehenden Schmerz, der seine obere Körperhälfte durchzuckte. Sein Hirn war für einen Moment leer, bis ihm der Gedanke kam, dass dies der Schmerz kurz vor dem Tod sein konnte.

So war es, wenn jemand ermordet wurde.

Aber er starb nicht …

Nur der Schmerz blieb, obwohl sich seine Lage veränderte. Zwar konzentrierte er sich weiterhin auf die Brust, aber er wanderte über den Brustkasten hinweg, als würde die Messerspitze etwas in seinen Körper hineinritzen.

Vielleicht ein Zeichen oder ein Sigill!

Siedend heiß fiel ihm ein, was er bei den Toten gesehen hatte. Ein G und ein C.

Das war ihm ein Rätsel gewesen, aber wenn er sich konzentrierte und den Schmerz überwand, fand er heraus, dass die Messerspitze etwas auf seine Brust zeichnete.

Ein G und ein C!

Auch er sollte zu den Gezeichneten gehören und wahrscheinlich danach getötet werden.

Pietro hatte manchmal das Gefühl, schreien zu müssen, nur mühsam beherrschte er sich. Sekunden verlängerten sich zu kleinen Ewigkeiten. Lombardi bekam den Eindruck, dass sich der Unbekannte bewusst Zeit nahm, um ihn zu quälen. Tränen traten ihm in die Augen. Er atmete durch den offenen Mund, spürte im Hals die Trockenheit, die den Speichel verdrängt hatte.

Im Magen lag ein dicker Stein, und der wurde größer.

Plötzlich war es vorbei.

Pietro hatte nicht mitbekommen, dass der im Dunklen lauernde Gegner seine Waffe zur Seite genommen hatte, es war zu rasch gegangen, außerdem blieb der Schmerz. Er vertiefte sich, und das Zeichen würde bleiben.

Wie bei den drei Toten …

Pietro Lombardi weinte still. Er spürte die Nässe auf seinen Wangen, rührte sich nicht und blieb selbst dann liegen, als sich die Unbekannten bewegten.

Er vernahm ihre Schritte. Erst härter, dann schleifend und immer leiser werdend. Sie näherten sich der Tür, die nun aufgezogen wurde, sodass Licht aus dem Gang in die Leichenkammer fiel.

Wieder zeichnete sich ein helles Rechteck auf dem Boden ab. Es nahm an Größe zu, als die Tür weiter aufgezogen wurde, und die beiden Gestalten dort hineingerieten.

Zwei mächtige Körper. Einer davon wesentlich breiter als der rechts neben ihm. Dafür war dieser Mann hochgewachsen, und von seinem Gesicht ging ein goldenes Schimmern aus.

Die beiden drehten sich nicht einmal mehr um. Sie drückten die Tür wieder zurück, doch nicht so fest, als dass sie ins Schloss gefallen wäre. Spaltbreit blieb sie offen.

Pietro Lombardi blieb zurück. Er konnte es nicht fassen, dass man ihn am Leben gelassen hatte. Der Schmerz auf der Brust breitete sich wellenförmig aus, im Rücken spürte er die Kälte der Steine, die allmählich in seinen Körper drang.

Heiß und kalt – wie im Fieber …

Aber er lebte!

Ich lebe. Er sagte es sich immer wieder. Es schoss hoch wie eine Flamme. Gott, ich bin am Leben, ich habe es überstanden! Das Grauen hatte er gespürt, aber der Tod war noch einmal an ihm vorbeigeschlichen.