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Tommy Moore, gerade fünfundzwanzig, lebte in New York und hatte eine Marktlücke entdeckt: Er verkaufte Gebeine.
Da er die Nachfrage nicht befriedigen konnte, wollte er den Nachschub aus seiner Geburtsstadt London importieren. Gräber wurden geschändet und leer geräumt.
Bald schaltete sich der Teufel ein.
Er spielte mit bei Tommys Knochen-Poker.
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Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Knochen-Poker
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6468-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Knochen-Poker
von Jason Dark
Damals
Der Teufel tobte!
»Und wenn ich selbst hingehe, um diesem Blutsauger den Schädel einzuschlagen. Ich werde es tun. Ich muss seine Taten stoppen. Nicht mit meinen Dienern.«
Er ging hin fand den Vampir zusammen mit drei Hexen, denen er das Blut aussaugen wollte. Bei einer hatte er es bereits geschafft. Sie lag apathisch am Boden, die beiden anderen krochen über das feuchte Gestein, ohne eine Chance zur Flucht zu bekommen.
In Feuer und Rauch gehüllt, erschien Asmodis wie ein Rachegötze. Der Vampir wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Er flehte um Gnade, war aber bei Asmodis an den Falschen geraten.
»Meine Warnungen hast du nicht befolgt. Jetzt bin ich hier, um zu richten.«
Sein Schwert sauste nach unten!
Er und zwei Hexen schauten zu, wie der Blutsauger geköpft wurde.
»Aber tot bist du nicht«, sagte der Teufel und lachte schaurig …
☆
Auf der Treppe blieben die beiden Typen stehen und zogen ihre Messer. Durch Knopfdruck glitten die Klingen aus den Griffen wie lange, bläulich schimmernde spitze Finger.
Killing Star stand schon an der Tür, Blue Boy Jackson auf der drittletzten Stufe der Treppe, die zum Souterrain führte. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen, denn er hatte Schritte gehört, die oben am Treppenanfang stoppten.
»Was ist denn?«, wollte Killing Star wissen.
»Wollten wir nicht ungestört sein?«, fragte Blue Boy Jackson.
Killing Star grinste kalt. »Allerdings.«
»Dann muss ich mich um den Darling kümmern.« Blue Boy Jackson konzentrierte sich wieder auf sein Vorhaben. Die Treppe führte in den Keller. Sie begann dort, wo der feuchte Frühjahrsnebel über den Gehsteig quoll und die dort wartende Gestalt wie einen grauen Schatten aussehen ließ. Killing Star ging ihr entgegen. Der rechte Arm pendelte neben dem Körper. Das Messer war nicht zu sehen, aber er würde es im richtigen Moment zeigen, das stand fest.
Die Gestalt löste sich aus den Dunstschwaden und kam ihm entgegen. Es war ein Mann, der vorsichtig die Stufen hinunterging, um nicht zu stolpern.
Killing Star musste ihm wie ein Geist vorgekommen sein. Er hielt an, als er den jungen Mann auf der Stufenmitte mit ausgebreiteten Armen stehen sah.
»Da geht es nicht weiter, Mister! Überhaupt nicht mehr. Zu, dicht, verschlossen. Keine Chance.«
»Wieso? Man hat mir gesagt, dass ich hier die Knochen kriegen kann. Ich bin extra von Jersey rübergekommen, und jetzt will ich die Dinger kaufen.«
»Morgen, Onkelchen. Morgen kannst du alles kaufen. Heute nicht mehr. Da sind wir an der Reihe.«
Der Käufer war mit gewissen New Yorker Verhältnissen vertraut. Er wusste, wann es besser war, den Mund zu halten und erst einmal einen Rückzieher zu machen. »Ja, ich verschwinde. Du hast recht. Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Und es wird bestimmt ein schöner«, erwiderte Killing Star lachend. Er schaute zu, wie sich der Besucher drehte, die restlichen Stufen hochging und hastig verschwand.
Von unten lachte Blue Boy Jackson. »Der hatte aber die Hosen voll, was?«
»Haben sie doch alle, die Säcke.«
»Okay, dann komm.«
In seinen Turnschuhen lief Killing Star fast lautlos die Treppe hinunter und blieb vor der schwarz gestrichenen Tür stehen, auf deren Mitte ein weißer Totenschädel mit gekreuzten Knochen gemalt war. Darüber stand in geschwungenen Buchstaben Tommys Knochenladen.
Killing Star grinste. Dann spuckte er auf den Schädel. »Er soll ja alles haben, der gute Tommy. Bin gespannt, ob er uns befriedigen kann.«
»Das mach ich schon.«
»Schnauze.« Killing Star tänzelte nervös. Er war ein Farbiger und stolz darauf. Den Namen Killing Star hatte er sich selbst zugelegt, weil sich eine Popgruppe aus Harlem so nannte. Und die Typen mochte er. Killing Star kleidete sich ähnlich wie diese Gruppe. Er trug Hemden aus Chintz und legte bei der Auswahl viel Wert auf grelle Farben. Die weit geschwungenen Jacken mussten ebenfalls farbig sein und sich von den Hemden abheben. Typen wie Killing Star waren in New York keine Seltenheit. Sie trugen dazu bei, das Bild der Stadt bunter zu machen. Außerdem liebte er Schmuck. Dieses moderne Strasszeug, mit dem sich Frauen schmückten. Killing Star verteilte es auf seiner Jacke.
Während Killing Stars Vorfahren aus dem schwärzesten Afrika in die Staaten geschafft worden waren – damals gab es noch die Sklaverei –, stammten Blue Boy Jacksons Eltern aus Haiti. Seinen Vater kannte er nicht. Er war halb weiß, halb schwarz. Seine Haut besaß eine kaffeebraune Tönung, und wegen seiner immer etwas traurig blickenden Augen hatte er den Namen Blue Boy bekommen.
Das Haar trug er ebenso lockig und glänzend wie sein Freund Killing Star, der jetzt die Linke auf die Klinke legte und öffnete. An jedem Finger schimmerte ein Ring in einer anderen Farbe.
Killing Star öffnete. Er war nervös wie gewöhnlich und wirkte wie ein Stehaufmännchen, das niemand abstellen konnte.
Hinter der Tür schluckte sie ein Flur.
»Wow«, stieß Killing Star hervor. »Ist ja heiß.« Er tänzelte hinein und drehte sich. »Schau dir die Wände an, Mann. Sind die nicht stark? Schwarz gestrichen, wie deine Seele, was?«
Blue Boy nickte und zog die Tür hinter sich zu. Die Wände waren tatsächlich tiefschwarz. Da wirkten die Lampen unter der Decke wie gelbe Augen, die geradewegs nach unten auf den ebenfalls schwarzen Boden schauten und dort Lichtkreise hinzauberten, durch die zahlreiche Staubteilchen flirrten.
»Hier sind wir richtig«, flüsterte Blue Boy.
»Du sagst es.« Killing Star tänzelte schon vor. Hin und wieder überkam es ihn. Da spielte er Eddy Murphy und klatschte mit beiden Händen gegen die Wand. Dabei summte er einen Song von Madonna.
Der Gang endete vor einer Tür. Sie zeigte einen rotvioletten Anstrich. In Kopfhöhe war ein weißes Fenster aufgemalt, allerdings ohne Scheibe.
»He, Tommy, wir kommen.« Killing Star schlug zweimal mit der flachen Hand gegen die Tür, bevor er sie öffnete.
Ihnen blieb nicht gerade die Luft weg, aber selbst Killing Star vergaß sein aufgesetztes Benehmen und staunte.
Der Laden war einmalig. Verrückt, irre, toll und gleichzeitig schaurig.
Was es da an Knochen und Gebeinen gab, fand man nicht mal auf einem Friedhof. Nichts lag durcheinander, alles besaß seine Ordnung, denn auf den Regalbrettern standen die Totenschädel in verschiedenen Größen und Anstrichen. Vom bleichen Gebein bis zur schwarzen Bemalung war alles vorhanden.
Natürlich hingen die Skelette von der Decke. Im durch das Schließen der Tür entstandenen Windzug klapperten die Knochen hell klingend aneinander. Aber nicht nur Menschenknochen waren vorhanden. Jede Menge Klappergebein, gebleichte Fischgräten, ausgekochte Tierschädel, Hörner und Zähne standen oder lagen überall verteilt. Dieser Laden glich einer Kunstgalerie oder einem Museum. Tommy musste Jahre seines Lebens damit verbracht haben, ihn zu füllen.
Dabei war der Besitzer, der sich bisher nicht hatte sehen lassen, erst knapp über fünfundzwanzig.
Killing Star legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn durch. »Sag was, Blue Boy, sag was. Wie fühlst du dich? Irre, nicht wahr?«
»Nun ja, ich …«
Er schüttelte ihn weiter. »Das ist doch die Schau. Wir kriegen, was wir haben wollen.«
»Bist du sicher?«, fragte Blue Boy.
»Klar.«
Blue Boy Jackson fühlte sich unwohl. Er war stehen geblieben und drehte langsam den Kopf. Der Laden war nicht hell, aber auch nicht dunkel. Die Scheinwerfer waren dort angebracht, wo sie den größten Effekt erzielten. Sie schickten ihre Strahlen in verschiedene Richtungen und hellten manch bleiches Gebein auf. In einer Ecke stand das Skelett eines Krokodils. Das Reptil hatte sein Maul weit aufgerissen, als wollte es den Betrachter verschlingen.
Das größte Regal mit den Totenschädeln befand sich hinter der Theke. Killing Star holte einen Schädel hervor, wog ihn auf der Handfläche und warf ihn hoch, bevor er ihn wieder auffing.
»Das ist ein Ding«, sagte er. »Wunderbar.«
»Stell ihn wieder weg.«
»Klar doch.«
Killing Star ging weiter, streichelte ein Skelett und sprach mit ihm, als wäre es ein Mensch. Dann zog er einige Schubladen hinter der Theke auf, schaute kurz hinein und schob sie wieder zu.
»Was gibt’s denn da zu sehen?«, wollte Blue Boy wissen.
»Knochen, was sonst?«
»Kleinere, wie?«
»Ja.« Killing Star drehte sich um wie ein Tänzer auf der Bühne und ließ den Arm vorschnellen. »Wo ist Tommy, der Knochensammler? Warum zeigt er sich nicht? Weiß er nichts von uns?« Er lachte. »Ich glaube, wir waren zu sanft.«
»Was hast du vor?«
Killing Star packte eines der von der Decke herunterhängenden Skelette. Er brauchte das Band nur aus dem Haken zu schieben, dann hatte er es frei. »Ich werde aus diesem Yuppie Knochensalat machen, verstehst du?«
»Lass es sein.«
»Wieso? Tommy hat uns nicht gehört. Dabei weiß er, dass wir kommen. Wir haben ihn doch angerufen …«
»Ja, lass es besser sein …«
Killing Star zuckte zusammen. Nicht Blue Boy hatte ihn angesprochen, es war eine andere Stimme gewesen, und den Sprecher sah er nicht.
Blue Boy Jackson drehte sich.
Killing Star ließ das Skelett nicht los. »Wo bist du, Partner? Los, du Penner, zeig dich! Sonst mache ich wirklich Knochensalat aus ihm.«
»Das würdest du nicht überleben!«
Killing Star lauschte dem letzten Satz nach, bekam runde Augen und fing zu lachen an. Es hörte sich an wie das Wiehern eines Pferdes. »Ein Komiker, Blue Boy. Wir haben es hier mit einem Komiker zu tun. Wie toll.«
Blue Boy schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Partner. Das ist kein Komiker.«
Killing Stars Lachen verklang. »Nicht?«
»Dein Freund hat recht, Bruder. Ich habe mit Komik nicht viel im Sinn.«
»Nenn mich nicht Bruder. Das dürfen nur Nigger!«
»Schau nach links, Lockenkopf. Richte deine Glotzer auf den Vorhang, dann wirst du etwas erkennen.«
Killing Star war viel zu neugierig, um dem Befehl nicht Folge zu leisten. Er drehte den Kopf Richtung Vorhang, der aussah wie eine gekräuselte Wand, weil er sich nicht bewegte und seine Falten starr nach unten hingen.
In der Mitte klaffte ein schmaler Spalt auf. Und dort sah Killing Star das runde Loch hervorschauen.
Er wurde ruhiger. »Hast du eine Kanone, Tommy?«, fragte er mit säuselnd klingender Stimme.
»Nein.«
»Dann bist du ein Bluffer!«
»Im Gegenteil, Bruder. Kennst du ein Blasrohr? Man kann es mit Giftpfeilen laden, die Spitzen werden in Curare getaucht. Du hast davon bestimmt gehört. Wenn dich so ein Pfeil erwischt, machst du die große Flatter. Das dauert oft nur Sekunden. Es kommt auf die Dosis an.«
»Und du hast ein Blasrohr?« Killing Star bekam eine leicht belegte Stimme.
»Allerdings!«
Blue Boy bewegte sich nicht. Er glaubte daran. Dieser Tommy hatte es bestimmt nicht nötig, zu bluffen. Außerdem sah auch er dieses runde Loch und spürte eine leichte Gänsehaut.
»Also, was ist?«, fragte die Stimme hinter dem Vorhang. »Wollen wir uns friedlich unterhalten?«
Killing Star gab klein bei. »Meinetwegen.«
»Dann lass meinen Freund los.«
»Ist schon klar.« Er löste die Hände und trat einen Schritt zurück.
»Ja, so ist es gut.« Die Falten des Vorhangs gerieten in Bewegung, der Spalt vergrößerte sich, und aus dem entstandenen Zwischenraum trat derjenige, dem der Laden gehörte.
Tommy Moore!
In der rechten Hand trug er das Blasrohr. Er hatte es leicht gekippt, aber die hintere Öffnung befand sich nach wie vor nahe des Mundes, sodass er es blitzschnell einsetzen konnte. Ansonsten hätte er zu harmlos ausgesehen.
Tommy war ein schmaler, schmächtiger Typ. Die Schultern fielen stark ab, sein Kopf, der zum Haaransatz hin breiter wurde, wirkte deshalb noch größer. Tommy hatte ein rundes Gesicht, braunes Haar, das in der Mitte gescheitelt war und an den Seiten die Ohren berührte. Er lächelte, aber die Augen hinter den Gläsern der Goldrandbrille lächelten nicht. Über dem dünnen dunklen Pullover trug er eine ärmellose Weste aus Fell. Die Jeanshose sah alt aus und glänzte bleich.
Killing Star entspannte sich. »Du bist Tommy.«
»Ja.«
»Und dir gehört der Laden?«
»Sicher.«
»Mann, bist du verrückt?«
»Das kommt darauf an. Ich würde es eher von euch behaupten.« Tommy grinste noch breiter. »Aber ihr seid gekommen, um zu kaufen. Ich kann euch Mäuseknochen für acht Dollar anbieten oder einen Bärenschädel für hundertvierzig. Der Affenkopf kostet nur siebzig Dollar und …«
»Und die Skelette?«, fragte Blue Boy Jackson.
»Darüber lässt sich handeln. Ich setze es normalerweise mit zweihundertfünfzig Dollar an.«
»Das ist Wucher!«, rief Blue Boy.
»Nein, überhaupt nicht. Was glaubt ihr, welche Schwierigkeiten es macht, an dieses Zeug heranzukommen! Ich muss mich immer sehr anstrengen, versteht ihr? Inzwischen importiere ich die Knochen sogar. Im Moment bekomme ich sie aus London geschickt. Wenn ich sie einmal fertig präpariert habe, werden sie noch teurer, die Menschen, meine ich. Wenn ihr jetzt kauft, kommt ihr in den Genuss der alten Preise. In einem Monat sieht das anders aus.«
Killing Star und Blue Boy schauten sich an und hoben beide gleichzeitig die Schultern.
Tommy ging hinter die Theke und stellte sich neben die alte Registrierkasse, die er von einem Trödler gekauft hatte. »Habe ich euch jetzt geschockt?«
Killing Star hatte sich wieder gefangen und schüttelte den Kopf. »Bruder, uns kann niemand schocken, auch du nicht. Wir sind schließlich zu dir gekommen, um etwas zu kaufen.«
»Die Preise kennt ihr.«
Blue Boy Jackson übernahm jetzt die Initiative. Er stützte die Hände auf die Verkaufstheke. »Wir wollen aber von dir etwas Bestimmtes kaufen, Tommy.«
»Dafür bin ich da.«
»Einen Schädel.«
»Sie stehen hinter mir.«
»Nein, Bruder.« Blue Boy schaute den anderen aus seinen traurigen Augen direkt an. »So ist das nicht. Wir wollen nämlich was Bestimmtes kaufen. Einen bestimmten Schädel, verstehst du?«
»Mal sehen.«
»Den hast du vielleicht.«
»Sag’s endlich.«
»Wir wollen einen Vampirschädel!«
Tommy schwieg. Er war tatsächlich überrascht und musste die Worte erst verdauen.
»Hast du verstanden, Bleichgesicht?«, meldete sich Killing Star.
»Ja, Nigger, habe ich.«
»Sag nicht Nigger!«
»Hör endlich auf.« Tommy lächelte nicht mehr. Er kam wieder zum Thema. »Ihr wollt einen Vampirschädel?«, hakte er lauernd nach.
Killing Star nickte. »Ja.«
»Und ich soll ihn besorgen?«
Blue Boy spitzte die Lippen. »Glaubst du etwa nicht an Vampire, Tommy?«
»Es fällt mir schwer. Gesehen habe ich noch keinen, aber das könnte sich ändern.«
»Dann glaubst du daran?«, wollte Blue Boy wissen.
Tommy hob die Schultern und schaute zu Boden. »Ihr wisst, woher ich stamme?«
»Aus England«, erwiderte Killing Star.
»Ja, aus dem klassischen Land der Vampire. Meine Freunde sind dort und besorgen mir neue Gebeine. Ich berichtete euch davon. Morgen wollte ich fliegen.«
»Dann bring den Schädel mit«, verlangte Killing Star.
»Und wo soll ich den finden?«
»Wer aus England kommt, wird sich mit Vampiren auskennen. Oder denkst du da anders?«, antwortete Killing Star.
»Nicht unbedingt.« Tommy malte mit dem linken Zeigefinger Kringel auf die Theke. Das Blasrohr hatte er inzwischen zur Seite gestellt. »Was wollt ihr denn geben?«
»Das kommt auf dich an. Was verlangst du?«, erkundigte sich Blue Boy.
Tommy lächelte wieder. »Es wird nicht ganz leicht sein, einen Vampirschädel zu besorgen.«
»Weißt du denn, wo du einen finden kannst?«, wollte Blue Boy wissen.
»Möglicherweise.«
Killing Star beugte sich vor. »Dann hol ihn einfach her. Uns ist der Spaß einiges wert. Sagen wir, tausend Dollar.«
Tommy Moore überlegte. »Für die Mühe ist das nicht viel. Ich müsste mich schon umsehen.«
»Halt sie vor den Spiegel, dann sind es zweitausend«, sagte Killing Star und grinste.
»Witzig.«
»Bin ich immer.«
Blue Boy Jackson wurde ungeduldig. »Was ist nun, Tommy? Kannst du einen Schädel besorgen?«
»Ich müsste mir Mühe geben und erst Erkundigungen einziehen, wo er begraben sein könnte.«
Blue Boy nickte. »Tu das.«
Moore hob die schmalen Schultern. »Gesetzt den Fall, ich schaffe es tatsächlich, euch den Schädel zu besorgen. Was habt ihr damit vor? Ihr wollt ihn sicherlich nicht zum Spaß haben, oder?«
Killing Star strich sich über beide Wangen. »Wir lieben Vampire«, entgegnete er mit dumpfer Stimme. »Wir wollen sie haben, wir wollen das Blut. Wir werden selbst zu Vampiren.«
Tommy schaute ernst. »Es gibt Dinge, damit sollte man nicht spaßen. Vampire gehören dazu.«
»He, du glaubst daran?«, fragte Killing Star.
»Ja.«
»Dann bist du der richtige Partner für uns. Aber eines sag ich dir: Versuche nicht, uns zu bescheißen.« Killing Star hielt plötzlich ein Messer in der Hand und ließ die Klinge aus dem Griff zucken. »Sonst ergeht es dir dreckig. Da kennen wir nichts.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Blue Boy Jackson schüttelte plötzlich den Kopf. »Ich traue ihm nicht, Bruder.«
»Wieso?«
»Der will uns reinlegen. London ist weit entfernt von New York. Auf dieser Strecke kann er es sich zehnmal überlegen.«
Blue Boys Augen bekamen einen noch traurigeren Ausdruck. »Was willst du denn machen?«
Der Farbige grinste scharf. »Mitmischen beim Knochen-Poker.«
Tommy lachte, wurde schnell wieder ernst, als Killing Star sagte: »Wir werden mitfliegen, Freund. Das ist alles. In der Maschine sind sicherlich zwei weitere Plätze frei. Und wenn nicht, setzen wir uns eben auf die Tragflächen.«
Tommy war sprachlos. »Ihr seid verrückt!« Er lachte. »Das ist nicht drin.«
»Oh doch«, widersprach Killing Star. »Wir mögen es nämlich nicht, wenn man uns reinlegen will.«
»Habe ich etwas davon gesagt?«
Killing Star ließ die Klinge wieder in den Schaft fahren. »Das nicht, aber ich spüre es.«
»Ihr seid verrückt«, stellte Tommy fest.
Killing Star legte einen kurzen Tanz hin. »Yeah, wer in dieser verdammten Stadt ist nicht verrückt? Wer? Sag es, Tommy. Los, mach dein Maul auf!«
»Spiel hier nicht den Clown.«
»Aber wir fliegen mit«, beharrte Killing Star. »London soll irre sein, habe ich gehört. Super, weißt du?«
»Ja, ich hörte davon.«
»Ach, vergiss es. Wir werden dir helfen, die Knochen auszubuddeln. Ich wollte schon immer mal Totengräber spielen.«
»Und was ist mit dem Schädel?«, fragte Tommy.
»Den holen wir uns auch, verlass dich drauf.«
Tommy nickte. Er lächelte schmal. »Was ist, wenn ihr ihn gefunden habt?«
Killing Star riss den Mund auf und zeigte sein Gebiss. »Dann werden wir zu Vampiren und ernähren uns von Blut.« Er fing zu lachen an und rieb sich die Hände.
Tommy Moore lachte nicht mit. Er schaute nachdenklich auf die von der Decke hängenden Skelette. Dabei sah er aus, als wüsste er mehr, sogar viel mehr …
☆
Als Kinder hatten wir früher Indianer gespielt und es ähnlich gemacht. Hinter Büschen versteckt und abgewartet, bis sich der Feind näherte und angreifen wollte.
Auch an diesem etwas kühlen Abend kam ich mir vor, wie in meine Kindheit versetzt, nur, dass ich nicht Indianer spielte, sondern einen Auftrag hatte, der mich auf das Gelände eines kleinen Friedhofs führte, wo seit einigen Wochen Dinge vorgingen, die wir nicht hinnehmen konnten, weil sie strafbar waren.
Es wurden Gräber geschändet!
Einfach aufgebrochen und die Knochen der Toten herausgeholt. Es gibt Leute, die alles sammeln, aber Knochen von Toten, das war schon etwas zu außergewöhnlich und ein Vorgang, um den Suko und ich uns kümmern sollten.
Wir hatten die Sache lange vor uns hergeschoben. Zum Glück waren andere Fälle dazwischengekommen mit einer höheren Dringlichkeitsstufe, dann war es Sir James leid gewesen und hatte uns abkommandiert. Und nun waren wir gekommen, um uns die zweite Nacht um die Ohren zu schlagen.
Suko befand sich am Eingang des Friedhofs, ich zwischen den Gräbern. Über Walkie-Talkie standen wir miteinander in Verbindung. Wir hätten uns gegenseitig Lieder vorsingen können, denn passiert war bisher nichts.
Ich hockte auf einem Stein. Er ragte wie eine Zunge aus einem künstlich angelegten Hang hervor. Zu den Gräbern hin deckten mich sperrige Zweige einiger Büsche. Ich schaute auf die Rückseite einer großen Familiengruft, die bis jetzt nicht geplündert worden war. Dafür aber die beiden Gräber links daneben. Wir gingen davon aus, dass sich die Grabschänder irgendwann zeigen würden, um sich die Gruft vorzunehmen.
Es ist nicht jedermanns Sache, in der Nacht auf einem Friedhof zu sein. Ich spürte zwar keine Angst, komisch war mir doch zumute, wenn der Wind über das Gelände strich, die Büsche bewegte und ein in der Nähe oben im Baum hockendes Käuzchen seine klagenden Rufe ausstieß, als wollte es die Toten mit seinem unheimlich klingenden Gesang aus ihren Gräbern hervorlocken.
Wenn es einmal nicht mehr schrie, herrschte Grabesstille. Dann hörte ich nur meinen eigenen Atem.
Mitternacht war längst vorbei. Getan hatte sich nichts. Suko und ich hatten den Auftrag, bis zur vierten Morgenstunde auszuharren. Dann konnten wir nach Hause fahren, bis zum Mittag schlafen und anschließend ins Büro gehen.
Ein blöder Dienst.
Ich hatte zwar eine dicke Hose übergestreift, dennoch drang die Kälte des Steins durch den Stoff. Meine Beine waren vom langen Sitzen steif geworden. Hin und wieder streckte ich sie aus und vernahm dabei leise, knackende Geräusche.
Ja, die Knochen wurden allmählich morsch und fingen zu klappern an. Nur hin und wieder hörte ich einen in der Nähe vorbeifahrenden Wagen. Über die Mauer des kleinen Friedhofs drang jedes Mal ein Rauschen, das schnell wieder verklang.