John Sinclair Sonder-Edition 92 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 92 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Malta - eine Insel im Mittelmeer. Brückenkopf zwischen Orient und Oxident. Treffpunkt unterschiedlicher Kulturen. Eine Palette aus Mystik, History und Magie. Aber auch Stützpunkt des Templerordens. Schauplatz gnadenloser Kämpfe, die wieder aufflammten, als über der Insel der Blutmond der Templer leuchtete ...

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Blutmond der Templer

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Ballestar/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7400-1

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.

Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.

Lesen Sie in diesem Band:

BLUTMOND DER TEMPLER

von Jason Dark

Das Grauen war nah, wir wussten es, aber wir sahen es nicht!

Was wir erblickten, war die schier unendliche Weite des Meeres mit den beschwerlich dahinrollenden Wellen, die in der Flaute manchmal wie zackige, kammartige, grünschwarze Glasscherben wirkten.

Ich war an Deck gegangen. Im Bauch des Schiffes hielt ich es vor Hitze nicht aus. Auch mein Freund und Kollege Suko stand an der Reling und starrte aufs Meer.

Ein Mann von der Besatzung saß am Bug und spielte auf einer Mundharmonika eine schwermütige Melodie. Über uns stand der Himmel wie ein Gemälde aus grauen, mit verschiedenen Nuancen durchzogenen Farben. Es war eine Nacht, wie man sie nur selten genießen konnte. Uns schien das gesamte Mittelmeer zu gehören.

Und dennoch waren wir nicht zum Vergnügen unterwegs. Diese Reise konnte auch tödlich enden …

Suko drehte sich nicht um, als er mich ansprach. Er hatte mich an Klang der Schritte erkannt.

Ich lehnte mich neben ihn an die Reling. »Spürst du es auch?«, fragte ich leise.

»Sicher.«

»Und was?«

»John, das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht komme ich mir vor wie jemand, den man in einen Topf mit Wasser gesetzt hat. Wobei sich das Wasser allmählich erwärmt, aber noch nicht kocht.«

»Gut gesprochen.« Ich starrte auf das Meer. Gläsern kamen mir die Ränder der langen Dünungswellen vor. Sie schoben sich heran wie fragile Kunstwerke, um irgendwo zu zerbrechen, sei es nun an den Klippen oder am Rumpf unseres Schiffes.

Wir wollten die Nacht auf dem Meer verbringen und erst am nächsten Morgen in La Valletta, Maltas Hauptstadt, einlaufen. Auf dem Schiff befanden sich nur Vertraute, Männer, die verlässlich waren, die sich auch nicht fürchten durften und trotzdem überlegt und nicht tollkühn handelten.

Wo endete der Himmel, wo das Meer? Ich sah es nicht. Die Grenzen waren fließend geworden. Die Luft schmeckte nach Salz und nach fremden Gewürzen. Der Vollmond wachte über uns wie ein gewaltiges Auge, in dem Schatten zu sehen waren.

In unserem Kalkül spielte er eine besondere Rolle. Er war nicht nur unser Begleiter in der Nacht, sondern auch ein Hinweis für uns. Wenn er sein Zeichen gab, wussten wir, dass wir richtig waren.

Ich trug nur ein dünnes Hemd und eine weiße Leinenhose. Der laue Südwind brachte keine Kühle. Die Luft wirkte irgendwie gläsern, wie ein dünnes Spinnennetz.

Jemand kam. Er löste sich aus den Schatten der Aufbauten und ging mit leisen Schritten. Es war einer der Templer, die zu Abbé Bloch gehörten, der unter Deck wartete.

Der Mann war dunkel gekleidet, er trug eine Art Uniform und legte sie auch in der Wärme nicht ab. Er grüßte uns und ging vorbei.

Suko hob die Schultern. »Ich weiß nicht, John, wie du darüber denkst, aber ich habe das Gefühl, als würden die Männer nicht zu uns gehören. Sie sind schon ein Klub für sich.«

»Das stimmt.«

Abbé Bloch und seine Templer hatten das Schiff gechartert. Wir alle wollten den Beweis finden, über den bisher nur Abbé Bloch etwas gewusst hatte.

Im tiefen Schlaf, als die Seele des Blinden sich aus den engen Fesseln hatte lösen können, da hatte er den Traum intensiv und grausam erlebt. Eine Präkognition war über ihn gekommen. Er hatte den Blutmond der Templer über Malta leuchten sehen und genau gewusst, was dies bedeutete. Altes, längst vergessenes Grauen würde an die Oberfläche dringen, denn es gab auf der Insel viele Geheimnisse.

Niemand wusste, welches Volk damals vor rund 7000 Jahren die Insel zuerst besiedelt hatte. Noch weit vor den Phöniziern und Puniern. Das Volk war ausgestorben. Warum, ob durch Kriege oder eine schreckliche Seuche, das wusste niemand.

Meine Gedanken hatten sich zwangsläufig damit beschäftigen müssen, und mir war auch die Idee des alten Kontinents Atlantis gekommen. Möglicherweise hatten Atlanter Malta besiedelt. Genaue Hinweise hofften wir zu bekommen, wenn der Blutmond über Malta stand und das Grauen brachte.

Bloch war fest davon überzeugt, dass er den Blutmond sehen würde und dann die entsprechenden Hinweise bekam.

Noch leuchtete er in seinem fahlen Gelb, war nicht rot angehaucht und schaute auf uns nieder, wobei er die Oberfläche des Meeres mit seinem silberfahlen Schein übergoss.

»Am liebsten würde ich an Deck schlafen.«

»Kannst du doch.«

Ich hob die Schultern. »Mal sehen. Sollte bis Mitternacht nichts passiert sein, lege ich mich wirklich hin. Jetzt möchte ich erst den Blutmond sehen.«

Nicht ganz eine Stunde war es bis zur Tageswende. Abbé Bloch hatte davon gesprochen, dass die Strahlen des Blutmonds die Vergangenheit lebendig machen konnten.

Wir würden sehen …

Ich holte mir eine Dose Mineralwasser aus der Kühlbox an Deck. Suko hatte ich ebenfalls eine mitgebracht. Wir rissen die Laschen auf und tranken.

Unser Schiff wiegte sich auf der langen Dünung. Es war ein sanftes Schaukeln, das manche Menschen nicht vertragen können, mir jedoch macht es nichts aus.

Das Wasser zischte, als es in meine Kehle rann. Nach drei Schlucken war die Dose leer.

Ich warf sie in einen Abfallkorb und ging wieder zu Suko zurück. Er hatte sich gedreht und stand jetzt so, dass er den Mond direkt anschauen konnte.

»Hast du was entdeckt?«

»Ich weiß nicht, John. Schau ihn dir an.« Suko verzog das Gesicht und streckte den Arm aus. »Hat er sich nicht verändert?«

»Wie meinst du das?«

»Kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe einfach das Gefühl, als wäre seine Strahlung eine andere geworden. Eine Botschaft, die …«

»Du hast recht!«, flüsterte ich. »Du hast verdammt noch mal recht. Da, sieh hin!«

Wir beide sahen das Phänomen. Der Mond, sonst gelb wie eine Zitrone, bekam einen Schatten, der sich von einer Seite her vor sein Gesicht schob. Es war ein langer Schatten, der zudem eine gewisse Färbung angenommen hatte. Nicht grau, sondern rötlich, als hätte jemand Farbe über ihn gepinselt. Wir waren hier, um auf den Blutmond der Templer zu warten. Es schien sich gelohnt zu haben. Leuchtend rot schien der Mond, fast blutrot.

Blutmond der Templer – der Abbé hatte nicht übertrieben.

Es war schaurig, wie er in seiner ungewöhnlichen Farbe am Himmel stand und auf uns niederglotzte. Sprachlos hatten wir seine Veränderung miterleben müssen, ohne dafür eine Erklärung zu finden.

Die Farbe nahm an Intensität noch weiter zu. Sie leuchtete jetzt so kräftig, dass sich ihr Licht in den Wellen widerspiegelte.

»Das ist er«, sagte Suko leise. »Davor hat sich unser Freund Bloch gefürchtet.«

»Und jetzt?«

»Frag nicht so dumm, John. Eigentlich müsste etwas passieren. Wir sind gekommen, um den Blutmond der Templer zu erleben. Jetzt siehst du ihn, sei froh.«

Ich hörte Schritte und drehte mich um. Einer der mitgereisten Templer trat auf uns zu. »Bitte, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, mich zum Abbé zu begleiten …«

»Okay, weshalb so vornehm? Wir kommen.«

»Danke.«

Ich deutete hoch zum Mond. »Hat der Abbé ihn auch gesehen?«

»Ja, er bat mich um Beeilung.«

»Wir kommen.«

Wir schritten einen Niedergang hinab, um unter Deck zu kommen. Das gecharterte Schiff war ziemlich geräumig. Platz für zwanzig Leute plus Besatzung war schon vorhanden.

Auf dem Weg in die unteren Räume dachte ich darüber nach, ob sich seit dem Erscheinen des roten Mondes etwas verändert hatte. Nicht sichtbar, auch nicht fühlbar. Noch immer hatte ich den Eindruck, von unsichtbaren Dingen umgeben zu sein, die mich an einer freien Entfaltung hinderten und mich immer stärker umklammerten.

Ein letztes Mal schaute ich mich um, bevor ich den Niedergang betrat. Das rote, runde Auge glotzte noch immer vom Himmel. Es strahlte ab, gab der langen Dünung einen rötlichen Schimmer, als hätte jemand dünnes Blut über die Wogen gepinselt.

Weder Suko noch ich wussten, um welches Phänomen es sich bei diesem veränderten Mond handelte. Der Abbé hatte ihn als den Blutmond bezeichnet, als ein schlimmes Zeichen, so schlimm, dass er seine Residenz in Südfrankreich verlassen und sich auf das Meer begeben hatte. Seinen Ausführungen nach warfen apokalyptische Ereignisse ihre Schatten voraus, die wir mit allen Kräften stoppen mussten.

In meinem Hinterkopf hatte sich ein Gedanke festgesetzt. Im Augenblick nur eine Theorie, die meiner Ansicht nach durchaus einen praktischen Wert bekommen konnte.

Malta – die Templer – Atlantis!

So lautete das Dreieck, das ich mir aufgebaut hatte. Wobei ich Atlantis besonders betonte, denn ich dachte an die geheimnisvollen Urbewohner der Insel, deren Existenz im Dunkel der Zeiten verschwunden war.

Ungefähr 5000 Jahre vor unserer Zeitrechnung hatte dieses geheimnisvolle Volk Malta besiedelt. Das war durch wissenschaftliche Erkenntnisse belegt. Nur wusste niemand, wer die gewaltigen Tempel errichtet hatte und, ohne die Töpferscheibe zu kennen und Werkzeug zu besitzen, Keramik und Wandmalereien geschaffen hatte, die jede andere zum gleichen Zeitpunkt entstandene Kultur übertrafen.

Dieses Volk hatte seine gewaltige Leistung in den Dienst des Göttlichen und der Toten gestellt, seinem eigenen irdischen Dasein jedoch kaum Bedeutung beigemessen, denn bis heute fand sich auf der gesamten Insel keine Spur eines normalen Lebens, kein Rest einer Stadtmauer, eines Königspalastes oder einer Siedlung. Nicht einmal der Grundriss eines Wohnhauses war entdeckt worden.

Allerdings war Malta in der Zeit des mittleren Neolithikums noch bewaldet. Erst die Phönizier und Punier hatten die Insel in kahle Steinwüsten verwandelt, da sie das Holz zum Bau ihrer Schiffe benötigten. So hätte es durchaus sein können, dass die Urbewohner in den Wäldern in Hütten aus Holz oder Zelten aus Häuten sowie in Höhlen gelebt haben konnten.

Wann diese hohe Kultur entstand, ist ebenso wenig gesichert wie die Frage, warum sie so plötzlich unterging. Jedenfalls umfasste sie einen Zeitraum von 800 bis 1000 Jahren, wie Radiokarbontests bewiesen hatten.

Die atlantische Katastrophe lag bei der Besiedlung der Insel rund 5000 Jahre zurück. Nicht alle Bewohner waren beim Untergang der Insel ums Leben gekommen. Viele hatten sich retten können und sich mit anderen Völkern vermischt. So konnte es durchaus sein, dass von der Insel stammende Menschen auf Malta eine neue Heimat gefunden hatten.

Davon ging Abbé Bloch aus. Und er dachte noch einen Schritt weiter. Die Templer hatten im elften Jahrhundert die Insel ebenfalls besetzt und sehr genau kontrolliert und durchsucht. Möglicherweise hatten sie exakte Spuren des ausgestorbenen Volkes gefunden und durch eine gewisse Magie eine Verbindung geschaffen.

Die Vorzeichen waren also interessant. Jetzt kam es allein auf die neue Entwicklung an.

Ein erstes Zeichen war gegeben worden. Das Erscheinen des gewaltigen Blutmondes. Wie es weiterging, würden wir noch erfahren.

Im Bauch des Schiffes herrschte eine stickige Luft. Es gab zwar eine Klimaanlage, die arbeitete jedoch nur mit halber Kraft.

Wir gingen durch den niedrigen Gang. Ich zog den Kopf etwas ein, um nicht an der Decke anzustoßen. Irgendwo summten Aggregate. Das Geräusch hörte sich irgendwie beruhigend an.

Suko und ich teilten uns eine Kabine. Die größte war für den Abbé reserviert, durch dessen Initiative wir uns auf diesem Schiff befanden.

Vor seiner Kabinentür blieben wir stehen.

Ich klopfte zweimal und hörte das energisch klingende Herein.

Der Abbé war allein. Er saß vor einem festgeschraubten Tisch und schien uns anzusehen. Doch er war blind, seit einem Unfall. Eine Silbermaske war geschmolzen und hatte ihm die Sehkraft genommen.

Dennoch war der Abbé, der Führer der Templer, nicht außer Gefecht gesetzt. Sein ungeheurer Wille war angestachelt worden, und er hatte es geschafft, den Kampf gegen die Mächte der Finsternis und besonders gegen die abtrünnigen Templer, die Baphomet-Diener, aufzunehmen.

Auch mithilfe des Würfels, den ich ihm übergeben hatte. Die Sinne des Blinden waren durch den Besitz des Würfels noch mehr gestärkt worden, sodass es ihm nun gelang, hinter die Kulissen zu schauen und das aufzunehmen, was dem normalen Menschen verborgen blieb.

Suko, der hinter mir die Kabine betreten hatte, schloss die Tür. Ein Lächeln streifte das Gesicht des Abbés. Die dunklen Brillengläser verdeckten viel von seinem Gesicht, ließen aber genügend frei, um die etwas grau wirkende Haut erkennen zu können, mit den scharfen Falten, dem hohen Stirnansatz und dem weißen, schon leicht schütteren Haar, das er zurückgekämmt trug.

»Nehmt bitte Platz, Freunde«, sagte er mit leiser Stimme und deutete dabei auf zwei Stühle. Er wusste genau, wo sie standen. Ihm gegenüber nämlich. Zwischen uns befand sich der rechteckige Tisch.

»Ihr habt den Blutmond gesehen?«, erkundigte er sich mit leiser Stimme.

»Ja!«, sagte ich, wobei ich nicht einmal überrascht war, dass der Abbé von der Existenz des veränderten Mondes wusste. Er brauchte ihn nicht zu sehen, er spürte ihn.

»So ist denn das eingetroffen, was ich befürchtet habe.«

»Noch ist alles normal und nichts passiert«, sagte Suko. »Uns stört allein die Farbe des Mondes.«

»Sie ist rot wie Blut. Oder rot wie dieser Würfel, den du, John, mir geschenkt hast.«

Er hob eine der beiden Hände an, die er übereinandergelegt hatte. Unter seinen Handflächen war der Würfel verborgen. Dann lag er frei vor ihm, wir konnten ihn sehen und waren, obwohl wir ihn gut kannten, fasziniert.

Es existierten zwei Würfel. Der eine wurde der Würfel des Unheils genannt, der andere nannte sich Würfel des Heils. Den ersten, den negativen, besaß der Spuk, ein mächtiger Dämon, ein amorphes Wesen und Hüter der Dämonenseelen. Er war Herr im Reich der Schatten und hätte durch die Kraft des Würfels die Welt aus den Angeln heben können.

Wenn es nicht noch den zweiten gegeben hätte. Er – gleichstark – hob die Kräfte des ersten auf. So war ein Gleichgewicht entstanden, eine Waage, die um Himmels willen nicht kippen durfte.

Der Würfel gab unserem Freund zwar keine unbegrenzte Macht, doch dank seiner Hilfe konnte er viele Tatsachen erkennen, die sich auf der anderen Seite abspielten.

Er sah den Fluss der drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Würfel vermittelte ihm Informationen, die er zum Positiven verwenden konnte.

Dabei sah er völlig normal aus, wäre nicht seine tiefrote Farbe gewesen, die einen Stich ins Violette bekommen hatte. Diese Farbe besaß Ähnlichkeit mit der des Blutmondes am Nachthimmel. Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass es eine Verbindung zwischen Würfel und Blutmond gab.

Abbé Bloch legte seine schmalen Hände um die Würfelseiten. Auf uns wirkte diese Geste so, als hätte er etwas sehr Kostbares angefasst, das um alles in der Welt nicht zerstört werden durfte. Der Kontakt zwischen Hand und Würfel aktivierte die Kräfte, die in ihm wohnten.

Es waren kleine Schlieren von heller, fahler Farbe, die sich zuckend in Bewegung setzten.

Informationsträger, vergleichbar mit Chips auf dem elektronischen Gebiet. Nur gaben diese hier magische Informationen ab, die den Kreislauf Raum und Zeit einschlossen.

»Ich freue mich«, sprach er uns an, »dass ihr meiner Einladung gefolgt seid. Ich habe den Zeitpunkt nicht mehr länger hinauszögern können, ich wusste, dass etwas geschieht, dass gewisse Dinge in Fluss gekommen sind, die in tiefer Vergangenheit ihre Geburtsstunde erlebt haben und nun wiederkehren.«

»Was ist es?«, fragte ich.

»Zwei Dinge sind wichtig. Sie hängen mit uns, den Templern zusammen, aber auch mit dem Urvolk, das einst, vor knapp siebentausend Jahren, die Insel besiedelt hat.«

»Niemand weiß, woher dieses Volk kam.«

Der Abbé nickte. »Das ist sehr wichtig. Man spekuliert nicht einmal in den Kreisen der Wissenschaftler. Aber …«, er räusperte sich und holte tief Atem, »ich bin darüber informiert. Der Würfel hat mir das Wissen gegeben, und so sind Spekulationen zur Wahrheit geworden, auch wenn sie nur für mich gilt.«

»Atlantis!«

Der Abbé zögerte noch, bevor er nickte. »Ja, es müssen Atlanter gewesen sein. Oder zumindest Abkömmlinge dieses alten Volkes, das mehr als fünftausend Jahre verstreut irgendwo gelebt hat, viel von seiner einst sehr hochstehenden Kultur vergaß, sich mit anderen Urstämmen vermischte und schließlich nach Malta wanderte, wo es eine neue Heimat fand und die ältesten Spuren hinterlassen hat. Heute geht man davon aus, dass es in vorgeschichtlicher Epoche eine Verbindung zwischen Malta und Sizilien gegeben haben muss. Ob sie damals, als Malta besiedelt wurde, noch Bestand hatte, weiß niemand zu sagen.«

»Dieses Volk ist verschwunden«, sagte Suko. »Ausgestorben, wie von einer Seuche dahingerafft.«

»So ist es.«

»Niemand kann sagen, wie es geschehen konnte.«

»Man wagt nur nicht auszusprechen, was ich weiß. Schon die Templer des Mittelalters, die auf der Insel für kurze Zeit Fuß gefasst haben, hatten sich mit dem Urvolk beschäftigt, und sie sind der Wahrheit sehr nahegekommen. Sie haben erfahren, dass dieses Volk einem besonderen Totenkult frönte, der es schließlich ins Verderben riss. Unter dem Blutmond muss es vernichtet worden sein, aber nicht für alle Zeiten, da der Totenkult eine starke Magie beinhaltet und gewisse Wege zwischen dem Diesseits und dem Jenseits offenließ.«

Ich hatte über die Worte nachgedacht und kam zu einem Entschluss. »Heißt das, dass Jenseits und Diesseits miteinander in Verbindung stehen und die alten Templer darüber Bescheid wussten?«

»Davon gehe ich aus.«

»Dann konnte das Bindeglied zwischen den beiden Welten nur das hier ansässige Urvolk gewesen sein.«

Der Abbé stimmte mir durch sein Nicken zu. »Wobei die Frage entsteht, wer überlebt hat. Die Erinnerung oder die Magie?«

»Das Volk ist verschwunden!«, stellte ich noch einmal fest.

»Ja, verloren, nicht verschwunden. Möglicherweise wird es durch die nicht zerstörte Magie noch einmal zurückkehren. Das aber weiß ich alles nicht. Der Würfel hat mich gewarnt.«

»Inwiefern?«

»Er zeigte mir auf mentalem Weg, dass bald etwas geschehen wird. Wenn der Blutmond seine Kraft verbreitet, werden die alten Mächte geweckt. Das Meer hat vieles verschlungen, es wird aber einiges wieder hergeben, davon bin ich überzeugt.«

»Und was?«

»Wir müssen uns auf fürchterliche Dinge einstellen. Als unsere Templervorfahren die Insel besuchten, da haben sie es gewusst und gespürt. Sie kannten das Rätsel des Urvolks.«

»Du nicht mehr?«

»Nein, ich bin zu schwach, leider, und trotz meines Würfels. Der Blutmond ist erschienen. Niemand wird seine Strahlung stoppen können. Er ist einfach zu mächtig. Was einst in Vergessenheit geriet, kann wieder hochkommen. Die alten Templer wussten mehr. Deshalb habe ich mich zu einer Tat entschlossen, die euch möglicherweise ungewöhnlich erscheinen wird. Sie ist auch ungewöhnlich, das gebe ich zu. Einer von euch möge aufstehen und die Decke zur Seite schlagen, die in meiner Koje liegt.«

Suko und ich schauten uns an.

»Du?«, fragte Suko.

»Okay.« Ich erhob mich. Bis zur Koje brauchte ich nicht einmal zwei Schritte.

Glatt wie gestrichen lag die Decke über einem Gegenstand, der sich unter dem Laken nicht einmal abmalte. Mit einer heftigen Bewegung zog ich die Decke zur Seite – und erstarrte.

Vor mir lag ein silbernes Skelett!