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Das Horror-Restaurant
London hatte wieder eine Sensation mehr: das Horror-Restaurant. Klein, fein - makaber.
Die Gäste saßen auf Särgen, wenn sie ihr Grusel-Menüs zu sich nahmen. Natürlich trank man nur blutrote Drinks, die bleiche Zombies servierten.
Ein Spaß? Zu Beginn ja - bis einige Gäste das Restaurant nicht mehr verließen. Als sie später wieder auftauchten, waren sie verändert.
Und so bekam das Horror-Restaurant einen neuen Gast - mich, John Sinclair ...
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Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Das Horror-Restaurant
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7658-6
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Das Horror-Restaurant
von Jason Dark
Dass unter ihm der Tod lauerte, ahnte der Mann nicht!
Casey Edson fühlte sich sicher in dem Schlauchboot, das auf den schmutzig grauen Fluten der Themse schaukelte und von der Strömung allmählich in Richtung Osten getrieben wurde.
Der dunkelhaarige Mann in dem wasserfesten Parka lag auf dem Bauch. Er lugte über den Wulst des Bootes hinweg. Allerdings nicht mit zwei, dafür mit drei Augen. Letzteres war künstlich. Es gehörte zu einer Spezialkamera, die es dank ihres Restlichtverstärkers auch bei Dunkelheit schaffte, hervorragende Aufnahmen zu schießen.
Die brauchte Casey Edson als Beweis. Wenn ihm die Fotos gelangen, war er ein berühmter Mann. Dann hatte er die Sensation. Zwar musste er den Ruhm mit seinem Partner Bill Conolly teilen, das jedoch machte ihm nichts. Die Story war derart heiß und außergewöhnlich, daran konnten sich mehr als zwei Leute gesundstoßen.
Er zitterte inner- und äußerlich. Den Verlauf der Strömung hatte er zuvor genau berechnet. Sein Schlauchboot würde dicht an das Ziel herantreiben. So nahe, dass er die Aufnahmen schießen konnte.
Die Kamera war bereit, er ebenfalls. An den Beinen spürte er den Druck der innen liegenden Ruder. Wenn etwas passierte, wollte er Bill Bescheid geben. Sie standen durch drahtlose Sprechfunkgeräte in ständiger Verbindung.
Seine Kehle war trocken geworden. Die Aufregung hielt ihn gepackt. Ausgerechnet einen Mann wie ihn, der schon einiges hinter sich hatte und an allen Brennpunkten der Welt die heißesten Fotos geschossen hatte. Was hier allerdings lief, übertraf Szenen in Beirut oder in Südafrika bei Weitem.
Sein Ziel rückte näher.
Von vorn sah es toll aus. Es war die Schau auf der Themse! Ein umgebautes Hausboot als irres Restaurant. Ein Gourmet-Tempel, der mit einigen Sternen ausgezeichnet war, nein, dieses Hausboot war etwas anderes. Der Verkehr auf dem Fluss war fast eingestellt worden. Die Dunkelheit lag über der Stadt wie eine Schicht aus grauschwarzer Watte. Weißgelbe Farbkleckse tanzten auf den Wellen. Es waren die Lichter der Gebäude, die den Fluss säumten.
Edson zog die Beine noch weiter an. In den folgenden zwei Minuten würde die Strömung ihn so nahe an das Boot heran treiben, dass er es einfach schaffen musste.
Da meldete sich das Gerät. Das Piepen neben seinem rechten Ohr erschreckte ihn.
Er schaltete das Gerät auf Empfang und hörte Bill Conollys Stimme. »Alles okay, Ed? Bist du dran?«
»Fast.«
»Bei mir tut sich nichts. Es ist alles ruhig.«
»Ja, ich weiß. Tu mir einen Gefallen. Halte dich jetzt fünf Minuten zurück. Wenn sich etwas Außergewöhnliches ereignet, werde ich mich melden. Klar?«
»Geht in Ordnung. Scharfe Linse.«
»Klar doch.«
Casey schaltete das Gerät ab. Er räusperte sich und hätte jubeln können, denn er sah die Rückfront des Restaurants fast zum Greifen nahe.
Im Gegensatz zum normalen Eingang brannte dort kein Licht. Sie lag im Düstern, und bei der einen Lampe konnte man wirklich nicht von Licht sprechen.
Aber da sollte es passieren.
Er richtete die Kamera noch einmal aus. Auf seine Fotos kam es an, die mussten scharf werden.
Dass man seine Aktivitäten längst entdeckt haben könnte, daran verschwendete er keinen Gedanken. Es war aber so. Der Tod folgte ihm mit unerbittlicher Härte. Er hatte ihn gewittert und würde ihn nicht mehr aus den Klauen lassen.
Er war nahe, sehr nahe …
Dicht unter der Oberfläche bewegte er sich und wurde eins mit der quirlenden Strömung, die seine lang gestreckte Gestalt zu einem auseinanderfließenden Schatten verzerrte.
Darin verschwand auch die Waffe.
Edson konnte ihn weder sehen noch hören. Er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Aufgabe. Das Teleobjektiv stellte er noch einmal von Hand nach. Schärfe war Trumpf.
Das Wasser umgurgelte sein Boot. Schaumstreifen flossen vorbei. Kalter Wind strich über die Themse und erreichte auch sein Gesicht.
Es war alles wunderbar getimt. Wenn seine Informationen stimmten, musste sich in den nächsten Sekunden etwas tun.
Dann war Mitternacht.
»Komm schon!«, flüsterte er, »komm schon.« Gebannt starrte er durch den Sucher. Das Licht fiel auf einen noch geschlossenen Ausschnitt der Rückseite. Edson wusste aber, dass es sich dabei um eine Tür handelte, die sich um Mitternacht öffnen würde.
Das geschah.
Wer sie aufstieß, konnte er nicht erkennen, aber es erschien jemand auf der Schwelle.
Er fotografierte.
Der Motor transportierte den Film weiter. Was Edson zu sehen bekam, war derart ungeheuerlich, dass es ihm den Atem verschlug. Das übertraf seine kühnsten Erwartungen. Wenn das an die Öffentlichkeit drang, gab es nicht nur einen Skandal, da würde London in einen regelrechten Schock versinken.
Aber der Tod war schon nahe. Er hing am Schlauchboot. Manchmal tauchte etwas von ihm auf. Da streckten sich bleiche Klauen aus dem Wasser, Haare schwemmten hoch und sahen aus wie eine Perücke, die weggetrieben werden sollte.
Der 36er-Film war durch. Das waren die heißesten und grausamsten Fotos, die er je gemacht hatte.
Er selbst glich einer Leiche, so bleich war er geworden. Mit zitternden Händen griff er zum Sprechgerät und nahm Kontakt zu Bill Conolly auf.
Der meldete sich nicht sofort. Casey Edson wurde nervös. »Verdammt, Bill, ausgerechnet jetzt.«
»Ja, Casey …«
»Endlich, Bill, endlich«, sprudelte er hervor.
»Was ist denn?«
»Die Hölle, Bill. Das ist Anarchie, das ist furchtbar. Ich kann es nicht fassen.«
»Rede schon.«
»Also, ich habe …« Den Rest verschluckte er, weil das Boot so ungewöhnlich schaukelte. Es war mit dem Heck nach unten gedrückt worden, als wäre es belastet worden.
Edson drehte sich um.
Er sah die Gestalt, schüttelte den Kopf. Sein Gesicht verzerrte sich in panischer Angst.
»Neiinnnn!« Es war ein Wort, ein Schrei, der ihm nicht mehr half. Etwas flog auf ihn zu. Lang, blitzend und auch tödlich.
Eine Harpune durchbohrte sein Herz.
Er kippte zur Seite. Bevor er über die Bordwand fallen konnte, fing der andere ihn auf. Seine Hände erinnerten an gewaltige Klumpen, als er den Toten packte und herumschleuderte, damit er vor ihm lag. Mit einem Ruck riss er ihm die Harpune aus der Brust.
Danach drang aus der Öffnung seines Gesichts ein Schmatzen und Schlürfen.
Das Rauschen der Wellen übertönte die Laute. Einen normalen Menschen hätten sie kaum nervös gemacht, aber der Killer war auch kein Mensch. Er hatte mit der Leiche noch etwas vor …
Aus dem eingeschalteten Gerät aber drang quäkend die Stimme des entfernt sitzenden Bill Conolly. »Verdammt, Ed, melde dich, so melde dich doch, zum Teufel!«
Doch Casey Edson würde sich nie mehr melden …
☆
»Scheiße, verdammt!« Bill Conolly schlug mit der flachen Hand auf das Gerät, aber auch damit konnte er nichts erreichen. Es blieb relativ stumm.
Bill hörte Edsons Stimme nicht mehr, dafür die Hintergrundgeräusche. Das Rauschen der Strömung, manchmal ein Klatschen, das Ähnlichkeit mit einem Schlürfen und Schmatzen besaß, als wäre jemand dabei, etwas in sich hineinzustopfen.
Wurde das nur vom Wasser produziert?
Daran wollte Bill nicht glauben. Zu frisch war noch die Erinnerung an Edsons Schrei. Ein furchtbarer Laut, der das Gerät fast gesprengt hätte.
Es war Bill Conolly nicht möglich, dem Fotografen schnell zu Hilfe zu eilen. Die räumliche Trennung zwischen ihnen war einfach zu groß. Sein Wagen stand schräg vor dem Lokal, das auf den Wellen der Themse dümpelte und durch einen breiten, gut abgesicherten Steg mit dem Land verbunden war.
Das Fahrzeug parkte nahe einer Baumgruppe. Bill konnte durch die Zwischenräume schauen, den Steg und auch den Eingang des Lokals unter Kontrolle halten.
Dort lief nichts. Das Grauen musste sich auf dem Wasser abgespielt haben. Der Reporter versuchte es noch einmal. Wieder vergebens. Casey Edson gab keinen Laut von sich.
Die Farbe war aus Bills Gesicht verschwunden. Er schluckte einige Male hart hintereinander. Er empfand es als natürlich, dass eine Gänsehaut auf seinem Rücken lag. Auf der Stirn hatten sich die Schweißtropfen versammelt.
Dass mit Casey etwas passiert war, lag auf der Hand. Der Schrei hatte sich so verflucht endgültig angehört. Bill ging davon aus, dass Ed, wie er den Mann nannte, nicht mehr lebte.
Getötet in seinem Boot. Wer oder was lauerte dort? Er hatte versucht, für einen Vorgang Beweise zu bekommen, der so gut wie unglaublich klang. Worum es im Einzelnen gegangen war, wusste der Reporter auch nicht, da hatte sich Casey Edson leider ausgeschwiegen, doch es hing mit dem neuen Restaurant zusammen, das von Casey den Namen Horror-Restaurant bekommen hatte.
Bill hielt es nicht mehr länger in seinem Porsche. Er schälte sich aus dem Fahrzeug, duckte sich, weil Gäste über den Steg schritten, die das Restaurant verlassen hatten. Zwei Pärchen gingen dicht hintereinander. Sie waren guter Laune, lachten und redeten durcheinander. Nach Verlassen des Stegs bogen sie nach links ab, um den offiziellen Parkplatz zu erreichen, wo die Karosserien der abgestellten Fahrzeuge regennass glänzten. Bis vor einer Stunde hatte es noch genieselt. Vom Wind war der Sprüh wie Wolken durch die Straßen der Stadt getragen worden.
Bill stellte den Kragen seiner Lederjacke hoch. Er wollte dem Restaurant keinen Besuch abstatten. Sein Interesse galt dem Wasser. Vielleicht konnte er das Schlauchboot oder seinen Partner Edson irgendwo entdecken. Er lief mit der Strömung. Seinen Berechnungen nach musste das Schlauchboot weiter abgetrieben worden sein.
Bill lief schnell. An diesem Teil der Themse konnte er sich noch auf Uferwiesen bewegen, die bei Überschwemmungen das Wasser von der Straße abhielten.
Sein Blick war ziemlich frei. Es gab so gut wie keine Hindernisse, die ihn einschränkten.
Das Wasser gurgelte schaumig und wellig seiner Mündung entgegen. Die Themse hatte im Lauf der Jahre ein breites Bett gefunden. Auf den Wellenkämmen funkelten Lichter, manchmal reflexhaft blitzend, dann wieder als längliche, hellgelbe Streifen mit den Wellenkämmen laufend.
Nicht dass Bill diese Lichter stark gestört hätten, sie lenkten ihn von einer klaren Sicht ab. Seine Füße bewegten sich über sehr weichen Boden. Gras und Moos hatten den Teppich gebildet. Dazwischen lagen Abfälle, die der Fluss angeschwemmt hatte. Der Atem dampfte vor Bills Mund. Diese Nacht verdiente das Prädikat nasskalt. Hinzu kam ein steifer Wind, der in Bills Gesicht schnitt.
Er hielt den Kopf nach links gerichtet, um auf die Wasserfläche schauen zu können. Auch wenn das Schlauchboot zerstört worden war, die Teile mussten zu sehen sein.
Anders verhielt es sich mit Casey Edson. War er tatsächlich tot, schaffte es die starke Strömung, seine Leiche unter Wasser zu drücken und sie erst später wieder auftauchen zu lassen.
Bill Conolly lief noch näher an den Strom heran. Die Themse führte viel Wasser, so wurden die langen in den Fluss reichenden Inselzungen von den Wellen schaumig überschwemmt, und auch die darauf liegenden Steine waren nicht zu sehen.
In der Nacht herrschte so gut wie kein Schiffsverkehr. Wer jetzt noch auf dem Wasser unterwegs war, der gehörte entweder zur River Police oder besaß, wie die Wasserschutzpolizei, ein Radargerät für Nachtfahrten.
Der Reporter beschleunigte sein Tempo. Es war nicht leicht, auf dem weichen Boden zu laufen. Öfter, als ihm lieb war, rutschte er aus, konnte sich jedoch immer wieder fangen. Grundlos strengte sich der Reporter nicht so an. Er hoffte, schneller zu sein als die Strömung.
An einer Stelle, wo die Uferwiesen schmaler wurden und sich die normale Straße dem Fluss näherte, blieb der Reporter stehen und sorgte zunächst dafür, dass er seinen Atem unter Kontrolle bekam. Er strich die feucht gewordenen Haare zurück, bückte sich und stemmte beide Hände flach gegen die Kniescheiben.
In dieser Haltung starrte er über den Fluss.
Die Wellen rollten und schmatzten. Gischtflocken umwirbelten sie. Es war schwer für Bill, etwas zu erkennen.
Er wollte schon aufgeben, als ihm der dunkle Gegenstand ins Auge stach, der über das Wasser geschoben wurde und sich dabei rhythmisch bewegte.
Das konnte dieses Schlauchboot sein. – Es war das Boot! Soviel Bill erkennen konnte, sogar unbeschädigt. Nur befand sich niemand mehr darin. Bill stand ziemlich günstig, zum Schlauchboot hin sogar etwas erhöht, damit er hineinschauen konnte.
Keine Spur von Casey Edson. Damit erlosch Bills letzter Hoffnungsfunke. Er ging jetzt davon aus, dass der Fotograf tot im Wasser des Flusses trieb.
Vor Wut ballte er die Hände. Das Boot trieb zu weit vom Ufer entfernt, als dass er es hätte erreichen können. In den Fluss zu steigen, erschien ihm zu gefährlich.
Bill entschloss sich, die Wasserschutzpolizei zu informieren. Sollten sie sich um das Boot kümmern und auch um die Leiche des Fotografen. Er hatte sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, als ihm abermals etwas auffiel.
Zwischen ihm und dem Schlauchboot schaukelte ein Gegenstand auf den Wellen, der Ähnlichkeit mit einer Decke besaß. Bill ärgerte sich jetzt, dass er seine Taschenlampe im Wagen gelassen hatte. Doch er hatte Glück. Die Strömung meinte es gut mit ihm. Der Gegenstand geriet in einen Strudel, wurde wieder hervorgeschleudert, trieb weiter, aber jetzt dem Ufer entgegen, an dem Bill wartete.
Er hielt Ausschau nach einem Gegenstand, den er als Angel benutzen konnte. An dieser Stelle war ziemlich viel Treibgut angeschwemmt worden. Bill hatte Glück und fand einen handlichen Ast von beachtlicher Länge.
Er selbst kletterte auf einen Stein, der aus dem Wasser ragte, holte sich nasse Füße und feuchte Knie, was ihn nicht weiter störte. Wichtig war der treibende Gegenstand. Bill glaubte einfach daran, dass er zum Boot gehören musste.
Eine Decke war es nicht. Bill hangelte nach ihm und schaffte es, das Ende des Stockes unter den Gegenstand zu schieben, sodass dieser sich festhaken konnte.
Sehr vorsichtig zog Bill ihn heran. Die Wellen rollten unter ihm hindurch, sie schwemmten ihn hoch. Luft bauschte sich auf, er glitt an zwei Stellen auseinander und bekam eine andere Form.
Jetzt erkannte Bill, um was es sich dabei handelte. Es war eine Parkajacke, die auf den Wellen ritt. Und eine solche Jacke hatte Casey Edson getragen.
Für Bill der endgültige Beweis, dass der Fotograf nicht mehr am Leben war.
Das Kleidungsstück hatte sich vollgesaugt und war dementsprechend schwer geworden. Der Ast bog sich durch, als Bill das Fundstück ans Ufer ziehen wollte. Er keuchte, fluchte hin und wieder und hatte es endlich geschafft. Die Jacke klatschte gegen den Stein, auf dem der Reporter stand. Sehr vorsichtig, um nur nicht abzurutschen, bückte er sich nach der Parkajacke. Den Ast ließ er los.
Bill fasste die Jacke mit beiden Händen und holte sie hervor. Genau in dem Augenblick geschah es.
Fast zum Greifen nahe schoss etwas aus den grauen Fluten hervor. Eine unheimliche, bleiche, aufgequollene Gestalt, die an eine Wasserleiche erinnerte.
Bill sah sie zwar, doch sein Augenmerk richtete sich auf die Waffe in den Händen.
Es war eine Harpune!
☆
Der Pfeil steckte drauf. Im nächsten Moment konnte das Monstrum abdrücken. Bill entschied sich sofort. Er schleuderte die Jacke gegen die Gestalt und katapultierte sich gleichzeitig zurück. Er klatschte mit dem Rücken in das flache Wasser. Steine bohrten sich durch seine Kleidung, aber Bill achtete nicht darauf, als er sich herumrollte, wieder auf die Füße kam und nass die nächsten Schritte bis ans Ufer hetzte.
Dort ließ er sich auf die Knie fallen, zog seine Waffe – und gleichzeitig den Kopf ein.
Der auf ihn zurasende Harpunenpfeil hätte seinen Hals durchbohrt, so aber wischte er hautnah vorbei und landete irgendwo im Hintergrund auf weichem Boden.
Bill wollte schießen, als er hochkam. Er hätte die Beretta auch stecken lassen können.
So schnell, wie das Monstrum aufgetaucht war, hatte es sich wieder zurückgezogen. Er konnte nicht einmal erkennen, wo es sich unter der Wasserfläche befand. Ein Schaumstrudel verbarg es vor den Blicken des frierenden Reporters.
Eine Minute gab er sich.
Nichts war zu sehen.
Träge wie immer schob sich der Strom durch sein breites Bett der Mündung entgegen.
Nun spürte Bill den kalten Nachtwind richtig. Wie mit Eisfingern durchfuhr er seine Kleidung. Der Reporter konnte gar nicht so schnell zittern, wie er fror. Für ihn war jetzt wichtig, ins Warme zu kommen. In den Wagen und die Heizung einschalten.
Er rannte los, nieste unterwegs und war froh, als er in den Porsche tauchen konnte, der eine Standheizung besaß, die Bill anstellte. Er kam etwas zur Ruhe, dachte über die Vorgänge nach, und ihm wurde klar, dass sich in der Umgebung des Restaurants etwas anbahnte, das ihm allein über den Kopf wuchs.
Da brauchte er Hilfe, und er wusste auch schon, von wem. Die Mordkommission oder die Flusspolizei wollte er vorerst nicht einschalten. Eine groß angelegte Suche nach dem Fotografen wäre seiner Ansicht nach zu auffällig gewesen und hätte andere warnen können.
Wenn der Fall gelöst werden sollte, dann mit ganz anderen Mitteln, und natürlich mit John Sinclair.
Zu ihm fuhr Bill nicht. Er wollte ihn am anderen Tag im Büro besuchen. Der Reporter wollte so schnell wie möglich nach Hause, um heiß zu duschen.
Die Heizung erwärmte den Wagen sehr schnell. Diese warme Luft tat Bill gut, dennoch fror er in seinen nassen Klamotten und nieste mehr als einmal wie ein Weltmeister.
Sheila, Bills Frau, bekam große Augen, als sie ihren Ehemann sah. Sie war noch auf gewesen und hatte gelesen. »Wie siehst du denn aus?«, hauchte sie, sich aus dem Sessel erhebend. »Bist du in den Fluss gefallen?«
»So ähnlich.«
»Und was ist mit Casey Edson?«
Bill hob die Schultern. »Ich glaube kaum, dass er noch lebt. Ihn hat es erwischt, mich nicht.«
»Ja, aber …«
Bill war schon auf dem Weg zur Dusche. »Komm mit, Sheila, dann erzähle ich dir alles.«
Verstört lief Sheila Conolly hinter ihrem Mann her. Sie wusste, dass Bill mal wieder voll in ein magisches Fettnäpfchen hineingetreten hatte …
☆
Auf dem Schreibtisch, zwischen Bill Conolly und mir, lag der Harpunenpfeil wie ein tödliches Souvenir.
»Das ist er«, sagte mein ältester Freund. »Der hätte mir fast das Lebenslicht ausgepustet.«
Ich hob die Schultern und grinste. »Was treibst du dich auch des Nachts an Flussufern herum.«
»Bestimmt nicht grund…« Bill nieste und sprach das Wort erst dann zu Ende.
»Ja, ich weiß. Du hättest nach Casey Edsons Leiche suchen lassen müssen.«
»In der Nacht?«
»Er hätte noch leben können.«
Bill Conolly schüttelte entschieden den Kopf. »John, das stimmt nicht. Ed ist tot.«
»Wer hat ihn getötet?«, fragte Suko, der auch noch bei uns saß. Er trank Tee, wir Kaffee.
»Dieser Killer aus dem Fluss.«
»Von dem du nicht weißt, wie er aussah?«
»Richtig, Suko. Es ging alles zu schnell. Ich weiß nur, dass er keinen Taucheranzug trug, der ist so durch die Themse geschwommen. Ich will euch noch einmal sagen, dass der Vergleich mit einem Wassermonstrum nicht zu weit hergeholt ist.«
Ich schaute gegen das Bürofenster. Von außen trommelte der Dezemberregen gegen die Scheibe. Schon am frühen Morgen hatte es geschüttet wie aus Eimern. Suko und ich waren mit der U-Bahn zum Dienst gefahren, denn die Londoner Straßen waren bei diesem Wetter hoffnungslos verstopft. Meine momentanen Gedanken waren bei den Kollegen von der River Police. Sie suchten jetzt offiziell nach der Leiche. Damit hatte ich Bills Wunsch entsprochen, denn eine Suche in der Nacht wäre wegen der Scheinwerfer zu sehr aufgefallen. Man hätte Leute warnen können, von denen wir bisher nicht wussten, wer sie waren.
»Was genau hattet ihr denn vor, Bill?«
»Wenn ich das wüsste.«
Ich schaute ihn mit einem leicht traurig wirkenden Blick an. »Erzähl mir doch nichts. Du musst gewusst haben, was …«
»Nein, Ed wollte darüber nicht sprechen.«
»Und weshalb nicht?«, fragte Suko.
»Er redete nicht gern über ungelegte Eier. Er wollte Beweise haben, um sie dir präsentieren zu können, John.«
»Weshalb hat er sich dann nicht direkt an mich gewandt?«
»Eben wegen der Beweise. Er hatte wohl Furcht davor, dass du ihn auslachen würdest.«
Ich zwinkerte ihm zu und drückte mich mit dem Stuhl leicht zurück. »Oder ging es ihm um die Story?«
»Die hätte ich ja geschrieben.«
»Um die Fotos«, sagte Suko.
»Ja.«
»Was war Edson für ein Typ? Konnte man sich auf ihn verlassen?«
Bill trank einen Schluck Kaffee. »Ed gehörte zu der Kaste Fotografen, die nichts anbrennen ließen. Wo sich die Action abspielte, war er zu Hause. Und damit möchte ich die gesamte Welt bezeichnen. Der trieb sich überall herum. In letzter Zeit allerdings mehr in London.«
»Wie lange ungefähr?«
»Na ja, seit zwei Monaten.« Der Reporter nieste wieder und schüttelte den Kopf.
»Dann hat er hier etwas aufgerissen«, bemerkte ich. »Es hängt mit dem Restaurant zusammen.«
»Ja, dem Horror-Restaurant.«
»Komischer Name«, meinte Suko und sprach mir dabei aus der Seele.
»Mich wundert nur«, sagte Bill, »dass ihr noch nichts davon gehört habt.«
»Wie sollten wir? Ist denn etwas passiert?«
»Man sagt, dass einige Gäste hinein- aber nicht mehr herausgekommen sind. Auch nicht als Leiche. Sie waren einfach verschwunden!«
»Das soll uns nicht zu Ohren gekommen sein?«, hakte ich nach.
»Wenn sie niemand vermisst hat …«
Ich wiegte den Kopf. »Das ist mir alles etwas sehr undurchsichtig.«
»Das war es Ed auch. Deshalb wollte er ja die entsprechenden Beweise sammeln.«
»Sehr schwammig«, meinte Suko.
»Stimmt«, gab Bill zu. »Deshalb möchte ich euch auch zu einem Besuch und einem Essen in das Horror-Restaurant einladen. Ich habe mir erlaubt, einen Tisch zu bestellen.«
»Für uns drei?«, fragte ich.