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Sammelband 1: Drei gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis!
John Sinclair - das besondere Gruselerlebnis: Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John mit so bekannten Gegnern wie Asmodis, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 1 bis 3 der John Sinclair Sonder-Edition:
1: Angst über London
2: Der goldene Buddha
3: Das Grab in der Hölle
Tausende Fans können nicht irren - über 320 Seiten Horrorspaß garantiert!
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Seitenzahl: 513
Veröffentlichungsjahr: 2018
Jason Dark
John Sinclair Sonder-Edition Sammelband 1 - Horror-Serie
Cover
Impressum
Angst über London
Vorschau
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John Sinclair vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen in einer 80seitigen Heftromanausgabe.
Lesen Sie in diesem Band:
Angst über London
von Jason Dark …
Die medial begabte Miriam di Carlo spürte als Erste, dass etwas nicht stimmte.
Irgendwas war anders in dieser Novembernacht.
Sie schreckte aus dem Schlaf hoch, saß aufrecht im Bett, hatte die Augen weit geöffnet und starrte in die Dunkelheit. Gleichzeitig lauschte sie. Nichts …
Es blieb ruhig in der obersten Etage des hohen Hauses, in dem Miriam mit zahlreichen anderen Mietern wohnte. Hier erreichte sie auch nicht der Widerschein der Leuchtreklamen. Man kam sich vor wie auf einer Insel.
»Warum bin ich wach geworden«, murmelte sie und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das dunkelbraune zerwühlte Haar, als zwischen den Fingern auf einmal Funken sprühten.
Miriams Hand zuckte zurück. Sie war elektrisch aufgeladen, das geschah immer, wenn ein großes Ereignis dicht bevorstand. Wenn sie ihre Ahnungen hatte und spürte, dass eine fremde Macht in diese Welt eingriff.
Miriam hatte aus ihrer Begabung nie ein Geschäft gemacht. So etwas widerte sie an. Sie behielt ihre Ahnungen und Träume lieber für sich, was vielleicht auch nicht immer gut war. Doch Miriam wollte nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Sie hasste Publicity. Sie wollte lieber unerkannt bleiben und als Sachbearbeiterin in einem Industrieunternehmen weiterhin ihre Brötchen verdienen.
Aber noch nie hatte sie die Gefahr mit einer solchen Deutlichkeit gespürt wie jetzt, und das erschreckte sie zutiefst.
Ich muss etwas tun, dachte sie, warf die leichte Bettdecke zurück und schwang ihre langen Beine über die Kante. Auf nackten Sohlen trat sie ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zur Seite.
Miriam schaute durch den Spalt. Dunkelgrau lag der Himmel. Gewaltige Wolken verdeckten die Gestirne.
Miriam di Carlo atmete tief durch. Sie stützte die Handballen auf die kalte Fensterbank. Ihr Atem traf die Scheibe, die leicht beschlug. Das lange Haar fiel nach vorn. Einige Strähnen verdeckten ihr ebenmäßiges Gesicht wie ein Vorhang.
Die dreißigjährige Miriam konnte man als eine schöne Frau bezeichnen. Sie hatte eine sportliche Figur und war genau an den Stellen gerundet, die Männern ins Auge fallen. Sie war immer modisch gekleidet und hatte grünblaue Augen, die eine samtene Wärme ausstrahlten. Sie hätte es leicht gehabt bei Männern, doch sie war gewarnt. Eine Ehe hatte sie hinter sich. Ihr Mann hatte sie betrogen. Miriam hatte es dank ihrer medialen Begabung gespürt, sie hatte es ihm auf den Kopf zugesagt – und das war dem Ehemann unheimlich gewesen. Er hatte sich verdrückt. Vor so einer Frau konnte man ja nichts verstecken.
Das war mittlerweile fünf Jahre her.
Miriam wollte sich gerade umdrehen und zum Bett zurückgehen, als sie das Gefühl hatte, ihr Kopf würde in einen Schraubstock gepresst.
Miriam stöhnte auf, hob die Hände und legte sie auf die Wangen. Mit schreckgeweiteten Augen blickte sie hinunter auf London.
Die Perspektive hatte sich plötzlich verzerrt. Als hätte jemand die Proportionen bei einem Gemälde verschoben. Big Ben befand sich ganz in der Nähe, der Tower, Victoria Station, die hohen Häuser, die Menschen …
»Nein!«, flüsterte sie, »nein, das gibt es nicht, das darf nicht wahr sein, bitte …« Was Miriam di Carlo sah, war der Untergang Londons. Das große Entsetzen, das gewaltige Chaos.
Gebäude stürzten ein, Big Ben zerbröckelte, der Bahnhof zerbrach, die Brücken fielen in die Themse, der Tower sah aus wie nach einem schweren Bombenangriff.
Und dann die Menschen. Sie waren am allerschlimmsten betroffen. Ihre Wohnhäuser waren nicht mehr zu retten. Schreiend rannten die Verzweifelten auf die Straße, wo sie von den einstürzenden Mauern der Häuser begraben wurden.
Viele wollten auch mit ihrem Wagen fliehen. Die Ampeln funktionierten nicht mehr, viele Straßen waren verschüttet.
Dies alles sah Miriam mit erschreckender Deutlichkeit, und sie wusste, dass es auch eintreffen würde. Noch nie hatten ihre seherischen Fähigkeiten versagt.
»Mein Gott!« Sie taumelte zurück und spürte, wie heiß ihre Wangen auf einmal waren. Eine Art Nervenfieber schüttelte sie. Zum Glück befand sich das Bett in ihrem Rücken. Mit den Waden stieß sie dagegen. Sie fiel auf die Decke und blieb liegen.
Ihr Atem ging schnell und keuchend. Der Schweiß lag wie eine Ölschicht auf ihrer Stirn. Sie konnte einfach nicht mehr, dieser Anblick war schwer zu verkraften.
Natürlich hatte sich auch ihr Herzschlag beschleunigt. Das Blut rauschte durch die Adern, in ihrem Kopf hämmerte und pochte es. Sie hatte bereits zahlreiche Visionen gehabt, doch so stark und vor allen Dingen so grauenhaft waren sie noch nie gewesen.
Wach lag Miriam di Carlo auf dem Bett und starrte gegen die Decke, die in der Dunkelheit nur schemenhaft zu ahnen war.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Danach begann sie zu überlegen, was zu tun war.
Sollte sie zur Polizei gehen? Kaum, denn da lachte man sie aus. Nicht zum ersten Mal wäre das geschehen. Bei den nüchtern denkenden Beamten hielt man nicht viel von ihren Wahrnehmungen und Voraussagen.
Diese Möglichkeit fiel also weg.
Sollte sie die Stadt verlassen? Fliehen, solange noch Zeit war? Auch die Alternative schloss sie in ihre Überlegungen mit ein, andererseits wäre sie sich feige vorgekommen. Hatte sie nicht die Pflicht, etwas zu tun?
Sie hing an London. Diese gewaltige, herrliche Millionenstadt an der Themse durfte nicht dem Untergang geweiht werden.
Aber konnte sie das überhaupt verhindern?
Miriam war realistisch genug, um ihre Möglichkeiten abzuschätzen. Nein, sie würde es kaum schaffen. Dazu reichte die Kraft nicht. Sie war nicht so stark.
»Ich werde noch wahnsinnig«, murmelte sie und richtete sich auf. Dabei beugte sie sich zur Seite, und ihre tastende Hand fand den Schalter der Nachttischlampe. Sie machte Licht.
Miriam di Carlo stand auf und schritt um ihr Bett herum. Sie ging wie eine alte Frau. Gebeugt, sorgenschwer …
Die kleine Küche lag dem Schlafzimmer gegenüber. Miriam verspürte plötzlich Durst. Sie wollte sich etwas zu trinken holen, ihre Kehle fühlte sich an wie ein Reibeisen. Sie öffnete die Kühlschranktür und griff zur Flasche mit dem Mineralwasser. Sie nahm sich nicht die Zeit, ein Glas zu nehmen, sondern trank direkt aus der Flasche.
Das kalte Wasser tat gut. Ein paar Mal atmete sie tief durch. Das dumpfe, drückende Gefühl im Kopf war geblieben. Die Angst ließ sich nicht so einfach ausradieren.
Miriam verließ die Küche und ging zurück ins Schlafzimmer. In der Diele hing eine alte Uhr. Es war zwei Stunden nach Mitternacht.
Noch einmal schaute sie aus dem Schlafzimmerfenster. Ihre Augen wurden groß, sie begann zu zittern, denn der Himmel hatte sich verändert.
Er war nicht mehr so grau wie zuvor, sondern zeigte einen rötlichen Schein. Und dieser Schein kam von einem Gesicht, das in seiner kalten Schönheit beeindruckend war. Und irgendwie passten sogar die beiden Hörner dazu, die aus der Stirn wuchsen.
Miriam hatte das Gefühl, als würden die kalten, erbarmungslosen Augen nur sie anschauen, und der Mund verzog sich dabei zu einem wissenden, spöttischen Lächeln.
Miriam di Carlo kannte die Frau nicht, sie hatte sie noch nie gesehen und auch nichts von ihr gehört. Sie wusste nicht, dass es sich um Asmodina, die Tochter des Teufels, handelte.
***
Ich schlief sehr unruhig. Den Grund wusste ich nicht, es war halt so.
Gegen zwei Uhr wurde ich zum ersten Mal wach.
Ich stand sogar auf, streckte mir im Spiegel der Diele die Zunge heraus und ging durch die Wohnung.
Alles war ruhig, verändert hatte sich nichts. Auf dem Tisch stand noch die volle Bierflasche vom Abend. Ich nahm sie mit in die Küche, stellte sie in den Kühlschrank und trank einen Schluck Saft.
Obwohl mein Durst gelöscht war, wollte das unruhige Gefühl in mir nicht weichen. Irgendetwas lag in der Luft, das spürte ich genau, und ich hatte in den vergangenen Jahren gelernt, auf solche Zeichen zu achten.
Auch spürte ich ein leichtes Brennen auf meiner rechten Wange. Dort saß die sichelförmige Narbe, die ich einem meiner Erzfeinde, Dr. Tod, zu verdanken hatte.
Ich ging wieder zurück ins Schlafzimmer und stieß mir an der Tür den linken großen Zeh, weil ich barfuß lief. Ich setzte mich auf die Bettkante. Oft dachte ich über die Zukunft und auch die Vergangenheit nach, vor allen Dingen in Nächten, wo ich wenig Schlaf fand.
Aber warum konnte ich nicht schlafen? Eine Bedrohung, eine Vorahnung, etwas Schlimmes, das in der Luft lag.
Bei diesem Gedanken stockte ich. Sollte das tatsächlich der Fall sein, stand mir was bevor. Manchmal hat man ja einen sechsten Sinn, und ich hatte mir angewöhnt, auf mein Unterbewusstsein zu hören. Es hat mich selten im Stich gelassen.
Zwei Uhr vierundzwanzig! Fast eine halbe Stunde war ich schon auf den Beinen. Das musste sich ändern.
Ich legte mich wieder zurück, schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Es klappte nicht.
Auch das berühmte Schäfchenzählen brachte mir keinen Erfolg, die innere Unruhe war zu groß. Manchmal hatte ich das Gefühl, mein Blut würde schneller als sonst durch die Adern laufen, die Aufregung, die Nervosität machten sich bemerkbar. Ich öffnete die Augen und starrte gegen die Decke.
Wer oder was braute sich da wieder zusammen? Diese Frage quälte mich. Ich lag weiterhin wach, überlegte hin und her, doch zu einem Ergebnis kam ich nicht.
Schließlich fiel ich doch in einen unruhigen Schlaf, der mit seltsamen Träumen gespickt war.
Dann wurde ich wieder wach.
Fünf Uhr! Auf die Minute.
Oder nicht? Die Zeiger meiner Uhr waren stehen geblieben. Es konnte durchaus später sein.
Ich stand auf und schaute aus dem Fenster. Draußen war es noch dunkel, kein heller Streifen zeigte sich am Horizont. Der würde erst später auftauchen.
Demnach war die Uhr doch stehen geblieben und der Wecker auch. Seltsam, wirklich. Wenn eine Uhr stehen geblieben wäre, hätte ich das noch verstanden, aber beide gleichzeitig, das war mehr als ungewöhnlich. Dabei ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht, was mir alles noch widerfahren sollte und dass ich in den schlimmsten Fall meines Lebens hineingeriet. Ich zog die Uhr auf. Zuerst die am Arm, dann den Wecker. Und trotzdem liefen sie nicht.
Das war doch nicht möglich. Zwei Uhren auf einmal defekt. Dahinter steckte schon Methode.
Schlafen konnte ich sowieso nicht mehr, deshalb stand ich auf und überlegte, ob ich Suko fragen sollte. Vielleicht war ihm eine ähnliche Sache passiert.
Nein, Shao und Suko wollten sicherlich noch schlafen. Ich konnte ihn nachher vom Büro aus anrufen.
Ich schlüpfte aus dem Schlafanzug und stellte mich unter die Dusche.
Zuerst heiß, dann kalt und so weiter.
Als ich mich abtrocknete, fühlte ich mich so, als hätte ich sechs Stunden geschlafen und nicht nur drei.
Während ich mit dem Elektrorasierer meine Stoppeln wegschabte, dachte ich wieder über die beiden Uhren nach. Ich wollte sie mit ins Büro nehmen und später bei einem Uhrmacher vorbeibringen.
Noch vor dem Anziehen, setzte ich Kaffeewasser auf, steckte Toast in den Röster und holte Marmelade und Käse.
Ich erzähle das alles der Reihe nach, weil auch die Kleinigkeiten eine große Bedeutung bekommen sollten.
Alles lief völlig normal. Das Einzige war eben, dass meine Uhren nicht mehr tickten und ich fast zwei Stunden früher auf den Beinen stand als gewöhnlich.
Ich trank den Kaffee. Er war nicht mal halb so gut wie der von Glenda Perkins. Auf ihren Kaffee freute ich mich besonders. Hoffentlich kam sie heute ein paar Minuten früher, damit ich nicht so lange zu warten brauchte.
Ich ließ mir Zeit mit dem Frühstück und fuhr gegen sechs Uhr nach unten in die Tiefgarage, wo auch mein Bentley stand. Unterwegs nahm ich noch eine Zeitung mit.
Mit mir zusammen verließen einige Frühaufsteher die Garage.
Zum Glück herrschte noch nicht so viel Verkehr. Ich kam gut voran und benötigte für die Strecke zum Yard zehn Minuten weniger als sonst.
Wie schon oft benutzte ich den Hintereingang. Der Portier sah mich nicht. Er stand gebeugt in seiner Kanzel und kramte in einer Schublade herum.
Ein Lift stand bereit, und ich fuhr hoch in mein Büro.
Ich machte Licht, setzte mich hinter meinen Schreibtisch und hörte auf das Summen der Heizung. Dann blätterte ich die Zeitung durch, las hier und da einen Artikel.
Mein Blick fiel auf den Aktenstapel. Da hatte sich wieder einiges angesammelt, zudem fehlte noch eine Spesenabrechnung.
Die füllte ich aus und legte sie Glenda auf den Schreibtisch. Alles okay.
Die Berichte über die Vorfälle der Nacht waren schon eingetroffen. Bei einer Zigarette sah ich sie durch. Viel war nicht passiert und schon gar nichts, was mich beruflich hätte interessieren können. Das Wetter im November hielt selbst Ganoven zurück und die Dämonen scheinbar auch.
Auf dem Flur schlugen die Türen. Die ersten Mitarbeiter trafen ein. Ich hoffte, dass Glenda auch dabei sein würde. Dann bekam ich endlich meinen Kaffee.
Sie kam noch nicht.
Die Zeit verging viel zu langsam. Ich holte meine Uhren hervor und stellte sie auf den Schreibtisch, damit ich sie nur nicht vergaß. Allerdings fühlte ich mich ohne Armbanduhr irgendwie nackt, deshalb legte ich sie doch um.
Draußen wurde es langsam hell. Der erste graue Streifen kroch über den Himmel und wurde immer breiter. Er schob die Dunkelheit der Nacht regelrecht weg.
Dann kam Glenda.
Ich sah sie nicht, sondern hörte sie. Meine Sekretärin erkannte ich schon am Gang auf dem Flur. Diese schnellen, etwas hastigen Schritte waren zu markant.
Glenda betrat das Vorzimmer. Sie drückte die Tür zu und wandte sich um.
Glenda trug einen Trenchcoat, der in der Taille von einem Gürtel gehalten wurde.
Ich hatte mich erhoben.
Jetzt musste sie mich sehen.
Sie sah mich auch, doch ihr Gesicht nahm einen ungeheuer erstaunten Ausdruck an.
Ich lachte. »Da staunen Sie, was? So früh bin ich schon im Büro, liebe Glenda. Und jetzt seien Sie so gut und kochen mir eine Tasse von Ihrem Besten.«
Glenda schüttelte den Kopf. Anscheinend konnte sie noch immer nicht fassen, mich hier zu sehen.
Mein Lächeln zerbrach. »Ist irgendetwas? Habe … habe ich etwas an mir?«
»Nein, nein, Mister.«
Mister, hatte sie gesagt! Komisch …
»Was ist?«
Glenda Perkins schluckte. »Wer … wer sind Sie, Mister? Und was machen Sie in diesem Büro?«
***
Das gab es doch gar nicht! Glenda Perkins kannte mich nicht mehr oder wollte mich nicht kennen. Ganz ruhig bleiben, sagte ich mir, ganz ruhig.
Ich lächelte noch. »Sie fragen also, wer ich bin, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich bin John Sinclair. Oberinspektor John Sinclair. Angestellter Ihrer Majestät der Königin. Alles klar?«
»Sie sind nicht John Sinclair!«
Die Antwort klang so bestimmt, dass mir mein Lächeln auf den Lippen gefror.
»Wiederholen Sie das noch mal, bitte!«
»Gern.« Glenda sagte mir die gleichen Worte.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Entweder war sie verrückt oder ich. »Okay, ich bin nicht John Sinclair. Dann seien Sie wenigstens so gut und machen mir einen Kaffee.«
»Wie käme ich dazu, für einen Fremden Kaffee zu kochen«, erklärte mir Glenda.
Das war starker Tobak!
Ich setzte mich.
Glenda kam näher. Vor meinem Schreibtisch blieb sie stehen. Ihre dunklen Augen blitzten. »Und jetzt verschwinden Sie hier, Mister. Aber auf der Stelle. Hauen Sie ab. Ich will Sie nicht mehr hier sehen. Machen Sie, dass Sie wegkommen!« Ihr Gesicht wurde rot vor Anstrengung. Sie war auch wütend.
Nicht nur sie. Auch meine Geduld war zu Ende.
»Verflucht noch mal!«, zischte ich. »Was wird hier eigentlich gespielt? Bin ich in einem Irrenhaus gelandet?«
Ich schüttelte den Kopf und schlug mir gegen die Stirn.
»Ich heiße John Sinclair. Soll ich Ihnen, meiner Sekretärin, noch den Ausweis zeigen, um dieses zu beweisen?«
»Nein, das ist nicht nötig.«
»Na bitte. Dann ist ja alles okay.« Ich lächelte wieder. »Kochen Sie mir endlich einen Kaffee. Bitte …«
Glenda ging überhaupt nicht auf das Thema ein. »Sie sind also nicht willens, das Büro zu räumen?«
»Nein.«
»Das ist Ihr letztes Wort?«
»Sicher!«
»Dann lasse ich Sie entfernen.« Glenda machte auf der Stelle kehrt und ging in ihr Büro.
Zwei Sekunden hockte ich wie angewachsen auf meinem Stuhl. Dann sprang ich auf. Ich brauchte weniger Schritte als Glenda. Noch bevor sie den Hörer abnahm, war ich bei ihr und riss sie an der Schulter herum.
»Lassen Sie mich los!«, fauchte Glenda.
»Nein!«
Klatsch! Da hatte ich eine Ohrfeige sitzen. Meine linke Wange fing sofort an zu brennen. Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Glenda Perkins, meine Sekretärin, hatte mir eine Ohrfeige gegeben.
Das gab’s doch nicht. Die musste verrückt geworden sein.
Glenda wandte sich wieder dem Telefon zu. Da jedoch wurde die Tür aufgestoßen.
Sir James Powell erschien.
Glenda wirbelte herum. Erleichterung machte sich auf ihrem, aber auch auf meinem Gesicht breit. Jetzt würde bald alles geklärt sein.
Bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte Glenda schon reagiert. »Sir!«, rief sie laut, und ihre Stimme vibrierte dabei. »Diese Person«, dabei deutete sie auf mich, »saß hier in Sinclairs Büro und behauptet frech, John Sinclair zu sein.«
Sir James nickte. Dann drehte er den Kopf und schaute mir ins Gesicht. Die Augen hinter seinen dicken Brillengläsern funkelten und in mir machte sich so etwas wie eine Ahnung breit.
»Wer sind Sie?«, fragte mich mein Chef.
Nein! Das durfte doch nicht wahr sein. Da lief doch was falsch. Waren denn alle hier wahnsinnig?
»Ich bin John Sinclair!«, wiederholte ich zum x-ten Mal. »Oberinspektor bei Scotland Yard. Und Sie sind Sir James Powell, mein Vorgesetzter und stehen im Range eines Superintendenten. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Das haben Sie. Aber Sie können nicht behaupten, John Sinclair zu sein. Tut mir leid.«
Ich hob die Schultern. Dann lachte ich. Lauthals schallte mein Lachen. Die Kollegen im Flur mussten es hören, bis Sir Powell eingriff.
»Halten Sie Ihren Mund!«
Mein Lachen brach ab.
Der Superintendant fixierte mich scharf. »Wenn Sie nicht freiwillig gehen, lasse ich Sie hinauswerfen!«
»Ich denke gar nicht daran!«
Sir James Powell drehte sich um und ging zur Tür.
»Moment!«, sagte ich. »Brauchen Sie Beweise, dass ich John Sinclair bin?«
»Nein, Sie sind es nicht und fertig.«
»Aber ich habe mein Kreuz, ich habe meine Beretta, meinen Ausweis. Ich kann Ihnen …«
»Sie können nur verschwinden!« Sir Powell öffnete die Tür.
Sekundenlang starrte ich in den Flur. Ich überlegte, ob ich es darauf ankommen lassen sollte, entschied mich aber dafür, den Rückzug anzutreten.
Auf dem Flur schaute ich mich nicht um. Kollegen begegneten mir. Sie grüßten, als wäre ich ein Fremder.
Mit dem Lift fuhr ich nach unten.
Jetzt hielt mich der Pförtner an. »Wo wollen Sie hin?« Er hatte gesehen, dass ich den Hinterausgang benutzte.
»Zum Parkplatz. Dort steht mein Wagen.«
Der Mann schaute mir nach, bis ich die Fahrertür geöffnet hatte. Wütend knallte ich sie ins Schloss.
Ich drehte mich zur Seite und blickte an der Fassade des Yard Building hoch. Es war zu meiner zweiten Heimat geworden. Und man hatte mich rausgeworfen wie einen räudigen Hund.
Was steckte dahinter?
***
Ich fuhr nach Hause. Diesmal allerdings langsam, denn ich wollte und ich musste nachdenken.
Man hatte mich nicht erkannt. Das war alles. Ich war plötzlich für die Kollegen im Yard ein Fremder. Was war geschehen?
An einer Ampel musste ich halten. Ich schaute aus dem Fenster. Links sah ich den St. James Park. Die Bäume hatten mittlerweile ihr letztes Laub verloren. Ein skurriles Gebilde aus kahlen Ästen reckte sich dem bleifarbenen Novemberhimmel entgegen. Einige Krähen hockten auf den Ästen. Die schwarzen Vögel passten zu dieser Zeit.
Hinter mir wurde gehupt. Die Ampel war längst umgesprungen, ich gab wieder Gas und fuhr langsam an.
So etwas war mir noch nie in meinem Leben passiert. Am liebsten hätte ich mich in einen Pub verkrochen und mich volllaufen lassen. Mein Verstand allerdings sprach dagegen. Ein Rausch brachte nichts ein. Ich musste einen klaren Kopf behalten.
Mal sehen, was Suko zu all dem sagen würde. Hoffentlich erkannte der mich noch.
London war völlig normal. Ich schaute aus dem Fenster, sah den fließenden Verkehr, die Menschen auf den Gehsteigen, den Trubel, die Hektik der Morgenstunden.
Ein Tag wie jeder andere. Leicht dunstig nur, ohne Regen oder Schnee. Es war auch nicht sehr kalt. Der Frost der letzten Tage hatte sich verflüchtigt.
Ein schüchterner Sonnenstrahl verirrte sich durch das Wolkengewirr und zeichnete ein helles Quadrat auf die Hausdächer.
Ein Bus überholte mich. Kinder winkten, ich lächelte nicht einmal. Zu schwer waren die Gedanken.
Welche Teufelei steckte dahinter, denn dass es so sein musste, daran gab es für mich keinerlei Zweifel. Nicht ich reagierte unnormal, sondern die anderen. Oder hatte man mich doch magisch beeinflusst.
Das wäre allerdings stark gewesen, denn normalerweise schützt mich mein Kreuz vor solchen Attacken, und das legte ich auch während der Nacht nie ab.
Ich erreichte das Hochhaus, in dem meine Wohnung lag, lenkte den Bentley in die Tiefgarage und fuhr auf meinen reservierten Stellplatz. Eilig hatte ich es nicht, als ich dem Fahrstuhl zusteuerte und mich nach oben bringen ließ.
Ich ging über den Flur. Niemand begegnete mir. Eigentlich hätte ich auch durch den Haupteingang das Haus betreten können, doch instinktiv hatte ich davor zurückgeschreckt.
Zweite, dritte – die vierte Tür.
Dort wohnen Shao und Suko.
Vor der Tür blieb ich stehen. Das, was für mich normal gewesen war, wurde plötzlich zu einem Problem. Ich dachte darüber nach, ob ich klingeln sollte.
Eigentlich Irrsinn. Und doch zögerte ich. Dann wagte ich es. Der Klingelknopf verschwand unter der Spitze meines Zeigefingers.
Ich hörte das Klingeln und leichte Schritte, die sich der Tür näherten.
»Sie wünschen, Mister?«
»Mister?«, echote ich. »Aber Shao, ich bin doch … Himmel, erkennst du mich denn nicht?«
»Nein, ich wüsste nicht, was ich mit Ihnen zu tun haben sollte. Es tut mir leid.«
»Was ist denn los?« Aus der Wohnung vernahm ich Sukos Stimme. Dann tauchte er selbst auf. Suko trug eine Cordhose und ein weit fallendes Hemd.
Shao drehte sich um. »Da behauptet jemand, dass ich ihn kennen müsste.«
»Lass mich mal.« Suko schob seine Freundin zur Seite.
»Ja, erkennst du mich denn nicht?«, sprach ich den Chinesen an.
»Nein. Müsste ich das?«
»Ich bin John Sinclair.«
Sukos Gesicht war bisher noch freundlich gewesen, doch jetzt änderte sich der Ausdruck.
Er wurde abweisend. »Wenn Sie jemanden auf den Arm nehmen wollen, Mister, dann versuchen Sie es woanders. Nicht hier. Diese faulen Ausreden kenne ich jetzt. Ich weiß nicht, wer Sie und was Sie sind. Versuchen Sie nur nicht, mich an der Nase herumzuführen. Verschwinden Sie jetzt.«
Das war ein Ding. Selbst Suko erkannte mich nicht. Ich trat mit dem Fuß auf. »Verdammt, ich bin wirklich John Sinclair!«
»Gehen Sie!«
»Nein!«
Bewusst trat ich noch einen halben Schritt vor, denn ich wollte endlich Klarheit haben.
Den Schlag sah ich gar nicht. Ich spürte wohl seine Wirkung. Etwas explodierte an meiner Brust, ich flog zurück und krachte gegen die gegenüberliegende Wand des Ganges.
Für einen Moment japste ich nach Luft. Suko hatte Kraft, und der Schlag war nicht von schlechten Eltern gewesen.
Breitbeinig blieb der Chinese auf der Türschwelle stehen. »Reicht Ihnen das?«
Ich schüttelte mich. »Ja!«, keuchte ich. »Schätze, es reicht.«
Suko nickte noch und knallte die Tür zu. Ich aber stand dort wie ein begossener Pudel im Gang und verstand die Welt nicht mehr. Ich begriff einfach nichts.
Meine Wohnung lag nebenan. Ich schloss auf und schlug wütend die Tür hinter mir zu. Ohne den Mantel auszuziehen, ließ ich mich im Wohnzimmer in den Sessel fallen.
Ich konnte nicht mehr. Ich brauchte jetzt Ruhe, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Ich musste alles der Reihe nach durchchecken.
Noch einmal ging mir das durch den Kopf, was ich erlebt hatte. Jedes Detail, jede Reaktion, aber zu einem Ergebnis kam ich nicht. Ich wusste nur, dass etwas im Gange war.
Das Telefon stand in erreichbarer Nähe. Ich brauchte nur den Arm lang zu machen.
Bills Nummer kannte ich auswendig.
»Conolly!«, meldete sich der Reporter.
»Ich bin’s.«
»Hi, John.« Bill erkannte mich schon an der Stimme. »Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes? Und dazu noch in dieser frühen Morgenstunde. Geht’s wieder los?«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Bill hatte mich erkannt. Fantastisch. Meine Stimme schien ich doch noch behalten zu haben. »Kann ich zu dir kommen?«
»Klar und wann?«
»Sofort.«
»All right, mach dich auf die Socken, alter Junge. Ich mixe uns einen schönen Rum. Spezialmarke Conolly.«
»Geht in Ordnung«, erwiderte ich lachend und legte den Hörer auf. In diesem Augenblick war ich richtig euphorisch. Ich lebte auf. Bill hatte mich erkannt. Klar, mein alter Freund, mit dem ich so manche Schlacht geschlagen hatte. Mit dem Reporter wollte ich das Problem durchsprechen. Gemeinsam würden wir sicherlich einen Weg zur Lösung des Problems finden.
***
Ich zündete mir die zweite Zigarette an, als ich im Auto saß. Diesmal musste ich quer durch London. Unterwegs tankte ich noch.
Nachdem die Straßenschluchten der City hinter mir lagen, kam ich viel besser voran. Die Conollys wohnten in einem ruhigen Villenviertel, in dem es tatsächlich noch stille Oasen gab.
Ich bog in die Straße ein. Bills Haus lag auf einem künstlich angeschütteten Hügel. Vom Tor aus führte ein breiter Weg zum Bungalow hoch. Bill hatte mich schon gesehen. Die laublosen Bäume nahmen ihm nicht mehr die Sicht.
Automatisch schob sich das Tor zur Seite. Ich fuhr hindurch.
Der Weg zum Haus war für den Bentley breit genug. Ich rollte auf den kleinen Parkplatz, fuhr eine Kurve und stellte den Wagen so ab, dass er mit der Schnauze in Fahrtrichtung zeigte. Dann stieg ich aus.
Bill Conolly stand an der Tür. Er lächelte mir entgegen. Doch als ich näherkam, gefror sein Lächeln.
Ich merkte es, und es traf mich wie ein Hammer. Nein, nicht schon wieder!, schrie es in mir.
Und Bill Conolly fragte: »Wer sind Sie denn, Mister?«
Wie viele Jahre kannten wir uns? Über zehn waren es. Wir hatten gemeinsam gekämpft, hatten zusammengehalten wie Pech und Schwefel und jetzt dies.
Bill kannte mich nicht. Ich war für ihn ein Fremder.
»Ich habe Sie etwas gefragt«, erinnerte mich der Reporter.
Zwischen meinem Wagen und der Haustür war ich stehen geblieben. Ich starrte zu Boden und hob verlegen die Schultern.
»Ich bin’s, John«, sagte ich leise. »Erkennst du mich nicht?«
In diesem Moment erschien Sheila, Bills Frau. Sie hatte den kleinen Johnny auf dem Arm. Ein Hoffnungsfunke durchzuckte mich. Vielleicht würde Sheila mich erkennen.
Nein, ihre nächsten Worte bewiesen es. »Du hast Besuch, Bill?«, fragte sie erstaunt.
»Ja, ein Mann, der sich als John Sinclair ausgibt und sogar einen Bentley fährt.«
Sheila trat unwillkürlich einen Schritt zurück und fasste ihren kleinen Sohn fester.
»Gehen Sie jetzt!«, sagte Bill scharf.
»Natürlich!« Ich öffnete die Wagentür und setzte mich hinter das Lenkrad. Durch die Scheibe schaute ich auf das Ehepaar und den kleinen Johnny.
Die Gesichter wirkten kalt und abweisend. Nein, ich gehörte nicht hierher, ich war ein Fremder geworden, von einer Stunde zur anderen.
Plötzlich kam mir das, was alles einmal so vertraut gewesen war, kalt und leer vor. Ich fuhr zwar durch den Garten dem Tor entgegen. Mein Blick war stur geradeaus gerichtet. Das Tor stand noch offen. Kaum war ich hindurch, als es auch schon wieder in der Schiene zurückrollte.
Wenn ich mein Gefühl beschreiben sollte, ich könnte es gar nicht. In meinem Innern war etwas zerbrochen. Ich war in meiner Heimatstadt zu einem völlig Fremden geworden, zu einer ausgestoßenen Person, und ich wusste nicht einmal, wer dahintersteckte. Ich ahnte es zwar, aber der Feind ließ sich nicht blicken. Er blieb im Dunkeln. Noch, musste man sagen …
Ich fuhr wieder nach London hinein. Mein Ziel war nicht das Yard Building, denn dort hatte ich nichts mehr zu suchen. Ich wollte nach Hause fahren, mich in die Wohnung setzen und überlegen, wie es weitergehen sollte.
***
In einem kleinen Café in Soho machte ich eine kurze Pause. Es war den französischen Bistros nachempfunden. Man saß auf Korbstühlen, trank, aß vielleicht eine Kleinigkeit und unterhielt sich.
Ich bestellte mir eine große Tasse Kaffee und rührte ihn mit der Milch cremig. Da ich einen der kleinen runden Tische am Fenster ergattert hatte, konnte ich nach draußen schauen und die Menschen beobachten.
Sie waren nicht anders als sonst. Nichts wies darauf hin, dass sie sich unter irgendeinem Einfluss befanden. Die jungen Mädchen gaben sich chic, lässig oder waren einfach nur fröhlich. Sie saßen mit ihren Freunden zusammen, plauderten und ließen den Lieben Gott einen guten Mann sein. Alles war normal.
Ich trank die Tasse aus und zahlte. Den Mantel ließ ich offen, als ich zum Parkplatz zurückschlenderte. Meine Hände vergrub ich tief in den Taschen.
Ich war wohl einer der wenigen, der hier Zeit hatte. Die anderen hasteten an mir vorbei.
Ich erreichte meinen Wagen und startete. Langsam rollte ich zu meiner Wohnung. Ich hatte es ja nicht eilig, niemand wartete auf mich. Auch nicht Suko. Er hatte mir drastisch zu verstehen gegeben, was er von mir hielt.
Ich wohne an einer ziemlich befahrenen Straße. Das Haus steht etwas versetzt, so, dass davor noch Rasen war.
Den Weg war ich Hunderte von Malen gefahren und eigentlich lag auch kein besonderer Grund vor, warum ich gerade heute meinen Kopf leicht einzog und durch die Scheibe schräg zu dem hohen Haus hinschielte.
Und da sah ich es!
Das obere Drittel des Hauses begann zu schwanken, als wäre es aus Gummi. Es neigte sich erst nach rechts, dann nach links. Unwillkürlich fuhr ich links heran und bremste, ließ den Motor aber laufen.
Noch hatten andere nichts bemerkt, und ich glaubte an eine Täuschung, bis sich das obere Drittel des Hauses langsam nach vorn neigte und die Tonnen aus Beton, Glas und Steinen der Erde entgegenkippten.
***
Woran ich in diesem Augenblick dachte, waren meine Freunde. Ich dachte an Suko, Shao und daran, dass ich wegmusste, sonst würde ich von den Massen begraben.
Die ersten Schreie. Ich gab Gas!
Der Bentley machte einen gewaltigen Satz. Er sprang vor wie ein Raubtier, das Beute gewittert hatte. Hoffentlich reichte es.
Ich raste, während hinter mir die Hölle los war. Vor mir schaukelte ein Lastwagen. Ich riss das Steuer herum, kam haarscharf an einem Taxi vorbei, und im nächsten Augenblick donnerten die Tonnen von Gestein auf die Erde. Hinter mir versank die Welt in einer Wolke von Staub und Trümmern.
Autos wurden einfach platt gedrückt von der ungeheuren Masse an Steinen.
Menschen schrien ihre Angst heraus. Viele rannten noch und wurden von den Trümmern eingeholt. Auch der Bentley blieb nicht verschont. Etwas krachte auf das Dach und auch an der Seite bekam der Wagen einen heftigen Schlag. Wenige Sekunden später hüllte mich und das Fahrzeug eine Staubwolke ein.
Ich zog den Bentley kurzerhand nach links, fuhr in eine schmale Einfahrt hinein und stoppte.
Gurt los, Tür auf, raus aus dem Wagen.
Dann rannte ich zurück, blieb aber schon nach wenigen Schritten stehen. Mir bot sich ein Bild des Grauens!
Ich stand da, hatte die Hände zu Fäusten geballt und fühlte es vom Magen her heiß in meiner Kehle hochsteigen. Ich glaubte mich in einen Katastrophenfilm versetzt. Auf der Straße lag ein gewaltiger Schuttberg. Er türmte sich dort mehrere Stockwerke hoch auf, hatte sich ausgebreitet und auch die gegenüberliegenden Häuser schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Ein kleineres Gebäude war zerstört worden, bei einem anderen fehlten die Fensterscheiben, und ein Dach war abgerissen worden.
Dann richtete ich meinen Blick nach links, dorthin wo das eingefallene Haus stand.
Es war nur noch ein Fragment. Die obersten Stockwerke waren weggeplatzt. Meine Wohnung gab es nicht mehr, ebenso wenig Suko und Shaos. Ein paar Stahlträger reckten sich noch in den grauen Novemberhimmel, Zeugen des Untergangs, und eine gewaltige Staubwolke trieb langsam davon.
Mir war nichts passiert. Doch anderen Menschen genug.
Ich hörte die Schreie, nahm das Entsetzen wahr, sah die Panik, in der die Menschen wegrannten. Viele glaubten an ein Erdbeben, doch ich allein wusste, dass dies nicht stimmte.
Irgendjemand hatte zu einem gewaltigen Schlag ausgeholt, und es hätte mich nicht gewundert, wenn Asmodina lachend auf dem Schuttberg gestanden und ihren Triumph ausgekostet hätte.
Die Trümmer hatten alles begraben. Bäume, Fahrzeuge, Menschen. Es war das schlimmste Chaos, das ich je gesehen hatte.
Dann heulten die ersten Sirenen. Polizei, Feuerwehren und Rettungswagen rasten heran. Sie würden eine verdammt traurige Aufgabe zu erfüllen haben. Die Menschen mussten die Toten unter den Trümmern bergen. Und vielleicht befanden sich auch meine Freunde darunter.
Eine Lautsprecherstimme erklang. Die Neugierigen sollten die Fahrbahn räumen, damit die Rettungswagen durchkamen.
Ich ging zurück und drückte mich in einen Hauseingang. Die Kollegen konnten vorbei.
Erste Rettungstrupps erkletterten den Trümmerberg. Feuerwehrleute mit Schaufeln und Hacken machten sich an die Arbeit. Als ich das sah, hielt ich es nicht länger in der Hauseinfahrt aus. Ich selbst ging auf den Einsatzleiter der Feuerwehren zu und bat, mitarbeiten zu dürfen. Er gab sein Okay.
Ich bekam die Schaufel genau in dem Augenblick, als die ersten Toten aus den Trümmern geholt wurden. Ich schloss mich einer Gruppe von drei Feuerwehrleuten an, die auf den Trümmerberg kletterten und mit Hacken und Schaufeln sich einen Weg zu den Verletzten oder Toten bahnten.
Neben einem jungen Mann, dem die Tränen über das blasse Gesicht liefen, begann ich zu schaufeln. Verbissen und von einer ungeheuren Trauer erfüllt.
Der junge Feuerwehrmann schaute mich an. »Haben Sie es gesehen, Sir?«
»Ja.«
»Und?«
Ich schaufelte einen gewaltigen Brocken zur Seite. »Es war schlimm, das kann ich Ihnen sagen. Ich habe auch in dem Haus gewohnt. Meine Wohnung gibt es nicht mehr.«
»O Gott«, sagte er.
»Ja, es ist schrecklich.«
Wir arbeiteten weiter. Dann stießen wir auf eine verletzte Frau. Ich kannte sie vom Sehen. Sie starrte mich an, sah mich aber trotzdem nicht. Ihr Blick war leer. Sie musste unter einem gewaltigen Schock stehen.
»Fassen Sie mal mit an!«, forderte ich den Feuerwehrmann auf.
Gemeinsam zogen wir die Frau unter den Trümmern hervor, wo Helfer sie in Empfang nahmen.
Wir machten weiter. Doch bald schafften wir es nicht mehr, mit den Schaufeln und Hacken allein voranzukommen. Da musste schweres Gerät heran, um Schutt wegzuräumen. Die ersten waren schon da. Wir wurden zurückbeordert. Man hatte inzwischen einen gewaltigen Absperrkreis eingerichtet, den niemand durchbrechen durfte.
Hinter dem Ring stauten sich die Neugierigen. Die Polizei hatte große Mühe mit den Menschen, denn es hatte sich blitzschnell herumgesprochen, was geschehen war.
In dem eingestürzten Haus wohnten zahlreiche Verwandte der Leute, die jetzt gekommen waren, um mehr über das Schicksal der Verunglückten zu erfahren.
Ich hatte Freunde dort. Suko und Shao.
Vorhin, während der Arbeit, hatte ich nicht an sie denken können, doch jetzt fielen sie mir wieder ein. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Hatten sie überlebt oder waren sie tot? Wenn ich an die letzte Möglichkeit dachte, wurde mir schwindlig.
Die Räumgeräte schafften viel weg. Mit den gewaltigen Schaufeln fuhren sie den Schutt zur Seite. Dabei mussten die Männer achtgeben, dass sie verletzte Menschen mit ihren Maschinen nicht töteten.
Die Leute vom Katastropheneinsatz arbeiteten vorbildlich. Sie holten zahlreiche Opfer aus den Trümmern.
Ganz in meiner Nähe waren zwei Männer dabei, eine tote Frau aus den Trümmern zu bergen. Sie lag eingeklemmt unter einem Träger, der erst von einer Maschine mit Greifer angehoben werden musste.
»Ja, jetzt geht es!«, rief einer der Männer.
Sie zogen die Frau hervor.
Zuerst sah ich das lange schwarze Haar. Es war blutverklebt, dann die Hose, die ich schon einmal gesehen halte. Heute Morgen. Shao hatte sie getragen …
Shao!
Himmel! Erst jetzt wurde mir die gesamte Tragweite dieser Entdeckung bewusst. Ich rannte auf die beiden Männer zu, die Shao bereits auf eine Trage gelegt hatten.
Neben ihr ging ich in die Knie. Ja, es gab keinen Zweifel. Ich hatte Shao vor mir. Und sie war tot!
Tot, tot, tot! Das eine Wort pochte und hämmerte in meinem Schädel. Shao lebte nicht mehr. Ich sah noch das Entsetzen in ihren Augen, die ich langsam schloss.
Ich konnte nicht vermeiden, dass das Würgen in meiner Kehle stärker wurde. Mit den Fingerspitzen strich ich über ihre Wangen. Ein letztes Abschiednehmen, mehr nicht …
»Sie müssen den Platz räumen, Mister!«, hörte ich neben mir eine Stimme.
»Ja.« Ich stand auf. Ein paar Schritte ging ich zur Seite. Ich konnte gar nicht hinsehen, wie sie Shao wegschafften. Dort, wo sie gelegen hatte, arbeiteten Männer bereits weiter. Sie holten die nächsten Toten oder Verletzten aus den Trümmern.
Die nächsten?
Mein Gott, da war noch Suko. Er und Shao wohnten zusammen. Wenn Shao tot war, dann …
Plötzlich hatte ich das Gefühl, mein Herz würde stehen bleiben. Die Männer bargen soeben einen Mann. Einen fremdländisch aussehenden. Einen Menschen, den ich gut kannte. Suko!
Er musste dicht neben Shao gelegen haben. Lebte er noch? Wieder hielt mich nichts. Ich lief hin, sah das Blut, die verdrehten Glieder und wusste Bescheid.
Auch Suko war tot!
Zwei Freunde hatte ich in diesen Minuten verloren. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen. In meinem Schädel rauschte es. Mich schwindelte, und ich merkte, wie mich jemand stützte.
»Ist Ihnen nicht gut?«, hörte ich die Frage.
»Doch, doch, es geht.«
Ich fing mich wieder, biss die Zähne zusammen und konnte doch nicht vermeiden, dass meine Augen feucht wurden.
Sie waren gemeinsam gestorben. Unter den Trümmern des Hauses, in dem sie gelebt hatten.
Ich sah, wie Suko abtransportiert wurde. Einen letzten, Abschied nehmenden Blick warf ich ihm zu. Verdammt, ich war so hilflos, in meinem Innern schien etwas zu zerbrechen.
***
Ich hatte plötzlich das Gefühl, von allen verlassen zu sein. Völlig allein stand ich auf der Welt. Bisher hatte ich Glück gehabt, doch nun schlug das Schicksal erbarmungslos zu.
War es wirklich nur das Schicksal? Oder hatte man es manipuliert? Griffen hier nicht Kräfte ein, die mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen waren?
Ja, so musste es sein, anders konnte ich es mir gar nicht vorstellen.
Mit zitternden Händen holte ich eine Zigarette aus der Packung. Ich zündete sie an und schaute aus feuchten Augen weiterhin den Rettungsarbeiten zu.
Die Hausbewohner, denen nichts passiert war, hatten sich ebenfalls auf der Straße versammelt. Einige von ihnen hatten das Nötigste gepackt und starrten mit tränenfeuchten Blicken zu ihren Wohnungen hin.
Ich stand da und rauchte. Noch immer war ich unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich hatte die beiden toten Freunde gesehen, das Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
Es würden Hilfsmaßnahmen anlaufen, doch ich wusste nicht, welche Fortschritte sie brachten. Zudem wollte ich mich aus allem heraushalten und eigene Spuren verfolgen. Ich wollte und musste diesen Fall klären.
Ich warf die Kippe weg und trat sie aus. Dann wandte ich mich ab und wollte zu meinem Bentley.
Eine Frau fiel mir auf. Eine Frau mit langen blonden Haaren, die über die Straße lief.
Jane Collins!
Sie erreichte die Absperrung, sprach mit den Polizisten und wollte unbedingt durch. Sicherlich hatte sie im Radio gehört, was geschehen war.
Ich rannte Jane entgegen, brüllte ihren Namen. Sie hörte mich, drehte sich um, schaute mich an und krauste die Stirn.
Da wusste ich, dass sie mich nicht erkannt hatte!
Ich blieb stehen und ließ den Kopf hängen. Jane Collins kam auf mich zu.
»Sie kennen mich?«, fragte sie.
»Sorry, Miss, es war eine Verwechslung.«
Die Detektivin schüttelte den Kopf. »Nein, Mister, Sie haben meinen Namen gerufen.«
»Wie gesagt, eine Verwechslung.« Wir mussten Platz machen, denn einige Retter wollten vorbei.
Jane lächelte kühl. Sofort wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Haben Sie gesehen, wie das Haus zusammengestürzt ist?«
»Ja.«
»Ich habe Freunde dort wohnen. Einen Mann namens John Sinclair. Außerdem ein chinesisches Paar. Können Sie mir sagen, ob die drei vielleicht noch leben?«
Ich schaute Jane an, sah ihr Gesicht, den besorgten Ausdruck in den Augen. Als sie meinen Namen gesagt hatte, war ein eisiger Schauder über meinen Rücken hinuntergejagt.
Ich log bewusst. »Es tut mir leid, Miss, aber mit diesen Namen kann ich nichts anfangen.«
»Danke, das wollte ich nur wissen.«
Ich war drauf und dran, sie in die Arme zu reißen, und ihr die Wahrheit ins Gesicht zu schreien, ich packte es nicht, konnte mich nicht dazu überwinden. So ließ ich sie gehen.
Als ich am Wagen stand, schaute ich mich noch einmal um. Jane wurde von einem Uniformierten dorthin geführt, wo die Toten aufgebahrt lagen.
Ich setzte mich hinter das Steuer und schaute auf das Telefon. Es kam mir in den Sinn, beim Yard anzurufen. Das alles musste sich doch aufklären.
Entschlossen nahm ich den Hörer und wählte die direkte Durchwahl zu Superintendent Sir James Powell, meinem Vorgesetzten.
Er war nicht in seinem Büro.
Auch bei Glenda Perkins hatte ich kein Glück. Klar, diese Katastrophe hatte auch die Leute vom Yard aufgeschreckt. Es war einfach zwecklos, irgendwas zu versuchen.
Ich musste mich mit den Tatsachen abfinden, so schwer es mir auch fiel.
Wo sollte ich eigentlich hinfahren? Ich hockte hier im Wagen, dachte an nichts und versuchte verzweifelt, einen Weg aus der Misere zu finden.
Niemand war da, auf den ich mich verlassen konnte. Ich schaltete das Radio ein.
Keine Musik, sondern Meldungen. Natürlich hatte ich Reporter gesehen. Sie berichteten von dem Einsturz. Der Bürgermeister war auch informiert worden und befand sich auf dem Weg zur Unglücksstelle. Man hatte auch Soldaten mobilisiert, damit sie sich an den Rettungsarbeiten beteiligten.
Dann schreckte mich eine weitere Meldung auf. Die Stimme des Sprechers klang besorgt, als er sagte: »Wie wir soeben erfahren haben, sind in London sämtliche Ampeln ausgefallen. Es muss daher mit einem Verkehrschaos nie gekannten Ausmaßes gerechnet werden. Wir bitten alle Verkehrsteilnehmer, sich diszipliniert zu verhalten und so zu fahren, dass es nicht zu Unfällen kommt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und wir melden uns wieder, sobald es die Lage erfordert.«
Auch das noch. Ampelausfall. Jetzt würde ich im Londoner Verkehr stecken bleiben, dessen war ich mir sicher.
Ich schaltete den Polizeifunk ein. Dort herrschte auch Chaos. Es hatte bereits die ersten Unfälle gegeben. Die Rettungswagen kamen nicht durch, die Hauptverkehrsstraßen waren völlig verstopft. In London brach alles zusammen.
Und die nächste Katastrophenmeldung ließ nicht lange auf sich warten.
Londons berühmteste Brücke gab es nicht mehr. Die Tower Bridge war aus bisher unerklärlichen Gründen zusammengefallen und in die Themse gestürzt. Zwei Schiffe hatten die Trümmer unter sich begraben.
Da wusste ich genau, dass dies alles kein Zufall mehr war, sondern von dämonischen Kräften gelenkt wurde.
Die Feinde aus dem Jenseits wollten die Riesenstadt London vernichten, und ich sah keine Möglichkeit, dies zu verhindern.
***
Die Boeing 747 kam von New York und hatte als Zielflughafen London. Die Maschine war voll besetzt mit Touristen, die sich in den Staaten ein paar vergnügte Tage gemacht hatten.
Der Tower gab noch keine Landeerlaubnis, obwohl diese Riesenmaschinen Vorrang haben.
Das Wetter war zu schlecht. Der Jumbo kreiste. Von den vier Männern im Cockpit waren zwei sauer. Ihre Freundinnen warteten, und sie hatten versprochen, pünktlich zu sein.
Der Pilot bekam gerade die Order, noch eine Warteschleife zu fliegen.
»Möchte wissen, was da los ist«, wandte er sich an den Kopiloten.
Der hob die Schultern. »Hoffentlich kein Streik.«
»Davon hätten wir gewusst.«
Unter der Maschine lag die Riesenstadt. Es war diesig und grau.
Ein mieses Wetter und nicht gerade die idealen Flugbedingungen. Doch die Piloten waren von London anderes gewöhnt. Nebel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte, zum Beispiel, deshalb empfanden sie diese Witterungsbedingungen noch als angenehm.
Der Tower meldete sich. »Landeerlaubnis erteilt«, erklärte der zuständige Mann und gab noch einmal die genauen Daten über Bodensicht und Windgeschwindigkeit durch.
Der Pilot hörte aufmerksam zu, während der Computer im Cockpit die Angaben speicherte.
Langsam schwebte der Jumbo auf das Häusermeer zu, durch das sich, kaum vom Grau des Wetters abhebend, das Band der Themse schlängelte. Keiner der Insassen dachte daran, dass noch etwas schiefgehen würde.
Es begann damit, dass der Kopilot die andere Maschine entdeckte.
Ein Kampfjet der Air Force.
»Ist der denn verrückt geworden?«, flüsterte er.
»Wie?«, fragte der Kapitän.
»Da, verdammt.«
Der Kapitän schaute. »Shit!«, fluchte er, »der Hundesohn hält genau auf uns zu.«
Die graue kleine Maschine war schnell. Schnell und wendig. Im Gegensatz zu ihr wirkte der riesige Jumbo wie ein unbeweglicher Klotz.
Und dann war sie heran.
So schnell konnte niemand von der Besatzung mehr reagieren. Der Flugkapitän hatte den Jumbo noch abfallen lassen, doch das Unheil konnte er durch diese Reaktion auch nicht mehr verhüten.
Mit fast Überschallgeschwindigkeit raste der Kampfjet in den Rumpf des Jumbos.
Die Maschine barst auseinander. Die Menschen kamen überhaupt nicht dazu, Schreckensschreie auszustoßen.
Plötzlich wurde der graue Himmel durch einen gewaltigen Feuerball erhellt, und einen Augenblick später regnete es Trümmer auf die Riesenstadt herab.
***
Es war unmöglich, bis zur Tower Bridge durchzukommen. Das hatte ich auch nicht vor. Ich wusste sowieso, dass nichts mehr zu retten war. Totaler Ampelausfall in London. Allein die Tatsache war schon eine Katastrophe für sich, nun kamen noch die Unglücke hinzu. Jemand hatte es darauf abgesehen, London entweder zu vernichten oder einen Denkzettel zu verpassen.
Nur, wo fand ich diesen Jemand?
Irgendwie war es mir gelungen, an die Grenze zu Soho zu gelangen. Der Bentley stand nicht weit vom Trafalgar Square eingekeilt zwischen mehreren Fahrzeugen, und es ging nur immer yardweise voran, wenn überhaupt. Am Knotenpunkt, am Square, war es zum absoluten Chaos gekommen. Da ging nichts mehr. Weder vor noch zurück.
Ich wollte die Cross Road hoch zum Leicester Square, und ich fragte mich, ob ich es nicht besser zu Fuß versuchen sollte. So kam man kaum weiter.
Ich hatte die Seitenscheibe heruntergelassen. Die meisten Autofahrer waren vernünftig, sie hatten die Motoren ihrer Wagen ausgeschaltet. Vorhin hatte ich für einen Augenblick den Polizeifunk abgehört. Dort überschlugen sich die Meldungen. Es ging zu wie in einem Irrenhaus. Darauf war niemand eingestellt gewesen.
Die Streifenwagen fuhren über die Bürgersteige. Anders konnten sie gar nicht vorankommen.
Auch ich wollte nicht im Wagen sitzen bleiben, sondern stieg wie viele andere aus.
Irgendwo vor mir hörte ich das schrille Geräusch einer Pfeife. Die Bobbys versuchten verzweifelt, sich freie Bahn zu schaffen, was nahezu ein Ding der Unmöglichkeit war, denn die Straßen waren und blieben zu. Ich schaute über die Schlange hinweg.
Die Autos standen sicherlich bis zum Leicester Square. Mein Plan war falsch gewesen. Ich hätte doch vorher abbiegen sollen.
Links von mir sah ich die National Gallery. Aus dem viereckigen Gebäude stach das große, glänzende Kuppeldach im Innenhof besonders hervor.
Weiter vor mir drehte eine Frau durch. Sie sprang aus dem Wagen und warf beide Arme hoch.
»Das ist der Untergang!«, schrie sie. »Der Herrgott straft uns Sünder alle. Das Jüngste Gericht steht dicht bevor!« Die Frau drehte sich um die eigene Achse. »Betet, ihr Verlorenen, betet, solange ihr es noch könnt, denn die nächste Strafe folgt!«
Die Frau war nicht allein. Ein Mann verließ ebenfalls den Wagen, ging zu ihr und schüttelte sie durch.
»Lass mich! Lass mich los! Auch du kannst es nicht verhindern. Du hast immer gespottet und mich ausgelacht. Jetzt bekommst du die Quittung!«
»Steig ein!«
»Nein!«
Sie schrie ihn an, und als der Mann sie schlug, da lachte sie nur und deutete zum Himmel hoch. »Von dort!«, schrie sie, »von dort wird die Strafe kommen!«
Alle, die ausgestiegen waren, folgten ihrer Hand mit den Blicken. Wir sahen nicht viel, nur einen grauen Himmel und über den Wolken einen Jumbo, der seine Warteschleifen zog.
Irgendwie ging es wieder voran. Wahrscheinlich hatte sich am Leicester Square ein Polizist aufgebaut.
Ich stieg ein und fuhr los.
Nach hundert Yards Schritttempo musste ich wieder anhalten. Der nächste Stau.
Motor aus, das Spiel begann von vorn.
Wieder hatte ich Zeit, nachzudenken. Bisher hatte ich nicht viel unternehmen können. Ich war ebenso in der Masse eingekeilt wie jeder andere Londoner auch.
Im Gegenteil, ich hatte es sogar noch schwerer. Man kannte mich nicht, ich war für meine Freunde ein völlig Fremder, und das wiederum bewies mir, dass die gegnerischen Kräfte alles genau geplant hatten.
Es war ein teuflisches Spiel, ein Kreislauf des Bösen, in dem ich mich als Mittelpunkt befand.
Zum x-ten Mal stellte ich mir die Frage, wer dahintersteckte. Die Antwort hatte ich schon. Entweder Asmodina oder Dr. Tod. Nur beweisen musste ich es noch.
Solange ich einem der beiden nicht gegenüberstand, war nichts zu machen. Da musste ich weiter herumlaufen und auf einen glücklichen Zufall hoffen oder warten. Aber Zufälle waren in meinem Leben mehr als selten gewesen.
Ich musste eine Spur finden, eine verdammte Spur. Meine Freunde waren ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden, auf sie konnte ich mich nicht verlassen, sie steckten sicherlich auch im Londoner Verkehr fest.
Und Suko und Shao waren tot!
Jetzt, wo ich im Stau steckte, kamen die schlimmen Gedanken, die Trauer übermannte mich. Hart umkrampfte ich das Lenkrad, dass meine Knöchel weiß hervortraten und fiel nach vorn.
Ein Geräusch schreckte mich auf. Es war ein hohles Pfeifen und gleichzeitig ein wütendes Donnern. Eine Militärmaschine, vielleicht ein Kampfjet.
Ich sah aus dem Fenster und suchte nach der Maschine. Es war zu dunstig, ich sah ihn nicht.
Dafür aber den grellen Blitz. Er spaltete den Dunst regelrecht, dann erfolgte die Explosion, und im nächsten Augenblick brach eine Hölle über London herein, wie ich sie niemals zuvor erlebt hatte.
Gewaltige Trümmerteile wirbelten durch die Luft. Pfeilschnell regneten sie auf die Erde nieder und nicht nur das, sie fielen genau auf das Häusermeer von Soho.
Sie zerstörten alles.
Bauten fielen ineinander, ich sah Flammensäulen zum Himmel steigen, Rauch, hörte Explosionen, Wohnhäuser fielen um, als wären sie aus Pappe gebaut worden.
Und dazwischen die Schreie! Grell, erschütternd, beängstigend. Immer wieder kam es zu Explosionen. Auch vor mir fielen Trümmer vom Himmel.
Plötzlich bekam ich Angst.
Eines der riesigen Räder wirbelte durch die Luft, und ich sah mit Schrecken, dass es nicht weit von mir entfernt zu Boden fallen würde.
Da krachte es schon.
Auf einmal waren einige Wagen gar nicht mehr da. Die Wucht des fallenden Rads hatte sie zerstört. Aber damit war es nicht zu Ende. Das Rad wurde noch einmal hochgeschleudert, ich sah einen Teil des Gestänges und verkroch mich blitzschnell in den Raum zwischen Sitz und Pedalen.
Dann erwischte es den Bentley.
Irgendein Teil traf das Dach und durchschlug es. Ich roch verbranntes Gummi, eine gewaltige Explosion hob den Wagen hoch und kippte ihn kurzerhand um.
Scheiben barsten, ich hörte das Splittern, winkelte die Arme an, um meinen Kopf zu schützen und wurde abermals durchgeschüttelt. Danach schien eine unsichtbare Faust den Wagen zu packen. Sie schleuderte ihn gegen einen anderen.
Das Krachen schmerzte in meinen Ohren. Blech riss entzwei, ich vernahm das schrille Kreischen, hörte das Knirschen und sah plötzlich den Widerschein von Flammen in meiner Nähe.
Nur nicht bewusstlos werden!, schrie es in mir. Um Himmels willen, nein.
Der Wunsch wurde mir nicht erfüllt.
Noch einen Schlag musste der Bentley aushalten. Er schaffte es, ich nicht. Etwas knallte gegen meinen Kopf, Sterne blitzten auf, und um mich herum wurde es dunkel.
***
Ich war mit Sicherheit nicht lange benommen, denn als ich wieder klar denken konnte, sah ich noch immer den Widerschein des Feuers und hörte auch weitere Explosionen.
Meine rechte Kopfseite schmerzte arg. Ich hob ein wenig den Arm und tastete.
Meine Fingerspitzen fühlten das klebrige Blut. Irgendein hartes Teil hatte mich dort getroffen, doch mehr war mir nicht passiert. Zum Glück hatte ich mich verkrochen, denn wäre ich sitzen geblieben, hätte ich es wahrscheinlich nicht überlebt.
Der Fahrersitz war völlig zerfetzt, ein schwelendes Blechteil hatte ihn aufgerissen und auch die Polsterung des Fonds zerstört. Wenn mich das Ding getroffen hätte, wäre ich wahrscheinlich jetzt genauso tot wie Suko und Shao.
Der Wagen lag auf der Seite. Ich musste raus, denn jetzt wurde der Bentley für mich zu einer Falle. Nicht umsonst warnte mich das Feuer. Wenn es sich weiter ausbreitete und auch meinen Wagen erfasste, würde der Bentley in die Luft fliegen, da der Tank noch relativ voll war.
Ich richtete mich keuchend auf die Knie, wand mich unter dem Lenkrad hinweg, streckte die Arme aus, erreichte die Beifahrertür und auch den Hebel.
Die Tür klemmte.
Zweimal versuchte ich es, bekam sie aber nicht auf. Zum Glück besitzt der Wagen vier Türen. Bevor ich mich durch die Scheibe zwängte, wollte ich es erst einmal an der Tür im Fond versuchen.
Ich kletterte über die Lehne des Vordersitzes hinweg und fiel auf die zerfetzte Rückbank. Dort drehte ich mich, erreichte auch die Tür und drückte sie auf.
Ich kroch aus dem Wagen.
Dabei fiel ich auf die Straße und blieb für einen Moment zwischen meinem Bentley und einem zerstörten Mercedes liegen. Dann richtete ich mich auf.
Ich hatte Angst. Angst vor dem Chaos.
Obwohl ich auf einiges gefasst war, bekam ich einen schweren Schock, als ich über die Dächer der zum größten Teil zerstörten Fahrzeuge schaute.
Es war grauenhaft!
Die abgestürzte Riesenmaschine hatte in einem Umkreis von einigen Meilen ein gewaltiges Trümmerfeld hinterlassen. Häuser waren eingestürzt, Autos zerstört, und im Zentrum von Soho, weiter nördlich, musste es wie nach einem Erdbeben aussehen.
Überall schwelten Brände. Ich sah in Flammen stehende Fahrzeuge, und auch jetzt noch flogen einige Wagen in die Luft. Die gewaltigen Explosionen erschütterten die Stille des Todes.
Die Bilder, die sich meinen Augen boten, hatte ich in Katastrophenfilmen gesehen, und nie hätte ich damit gerechnet, dass sie einmal Wirklichkeit würden.
Die City von London war dem Tod geweiht.
Rauch durchzog träge die Luft. Ich konnte kaum atmen. Dann drehte ich mich um und warf einen Blick auf den Bentley. Er war nur noch Schrott.
Ich wischte mir über die Stirn. Plötzlich kam ich mir ungeheuer allein und verloren vor, wie der letzte Mensch auf der Erde.
Eine nahezu gespenstische Stille hatte sich ausgebreitet. Ich hörte nicht einmal das Schreien der verletzten Menschen. Wahrscheinlich saß der Schock noch zu tief.
Ich war völlig hilflos, sah auch die Überlebenden, die verzweifelt zwischen den Trümmern ihrer Fahrzeuge umherliefen und die Namen ihrer Freunde oder Verwandten schrien.
Ein Albtraum war Wirklichkeit geworden. Über London lag die Angst wie ein Leichentuch.
Mir kam es vor, als hätten die anderen, die Feinde, die Festung sturmreif geschossen.
In der Ferne hörte ich die Sirenen der Polizei- und Feuerwehrwagen. Das Jaulen kam jedoch nicht näher, sondern blieb so weit entfernt. Die Fahrzeuge schafften es einfach nicht, den Kordon des Grauens zu durchbrechen.
Rauch wehte mir ins Gesicht. Er biss in meinem Hals. Der Wind trieb brennende Fetzen durch die Luft. Ich schaute wieder nach vorn auf das gewaltige Trümmerfeld.
Nein, hier gab es nichts mehr zu retten. Mindestens die Hälfte des Stadtteils Soho war zerstört.
London siechte dahin. Die andere Seite hatte es geschafft.
Ich schritt weiter durch diese Albtraumlandschaft. Eine Schreckensvision, wie man sie selbst aus seinen tiefsten Träumen verbannte, umgab mich.
Ich fühlte mich so allein, im Stich gelassen. Und dann fiel mir etwas auf.
Die Verletzten schrien nicht. Stumm, apathisch lagen sie entweder auf dem Boden oder in den Wagen. Ich konnte auch nicht erkennen, ob sie tot waren, es war alles so seltsam.
Vor mir war ein kleiner Renault wie ein Blatt Papier vom Wind zur Seite gedrückt worden. Eine Frau und ein Mann krochen daraus hervor. Ich wollte den beiden helfen, sah jedoch, dass es nicht nötig war, sie kamen auch allein zurecht.
Das Gesicht des Mannes war vom Blut rot gefärbt, aber er lebte. Dann jedoch tat die Frau etwas Seltsames.
Sie griff plötzlich in ihre Tasche und holte einen Stielkamm hervor. Ehe ihr Mann und auch ich reagieren konnten, hatte sie die rechte Hand erhoben und zugestochen. Und sie traf genau.
Der Mann riss die Arme hoch, fasste sich an den Hals und brach zusammen. Die Frau wirbelte herum. Jetzt sah sie mich.
Ihre Augen waren blutunterlaufen. Ich schätzte sie auf vierzig Jahre, die vollen Lippen waren zu einem gemeinen Grinsen verzogen, die Hand zitterte.
»Du bist auch dran!«, keuchte sie.
Ich war stehen geblieben und hatte die Arme locker am Körper herabhängen. »Was habe ich Ihnen getan?«, fragte ich.
»Alles, und du bist schuld. Ihr seid alle schuld. Der Tod, nur der Tod zählt!«
Die Worte schrie sie mir entgegen. Die Frau war wahnsinnig oder von einem Dämon besessen, was letzten Endes fast auf das Gleiche hinauskam.
Ohne Warnung stürzte sie mir entgegen. Die Hand hielt sie ziemlich hoch, weil sie mit dem verdammten Stielkamm auf mein Gesicht zielte. Ich unterlief den Angriff glatt, bekam das Handgelenk zu packen und schleuderte die Frau zu Boden.
Dann schlug ich so sacht wie möglich mit der Handkante zu, traf eine bestimmte Stelle, und die Frau wurde bewusstlos.
Im nächsten Augenblick peitschten Schüsse. Ich hörte das Pfeifen der Kugeln, so nahe sirrten sie an meinem Kopf vorbei.
Blitzschnell tauchte ich unter, warf mich hinter einem Wagen in Deckung, wobei das dritte Geschoss in das Blech der Motorhaube sägte. Dann verstummten die Schüsse.
Dafür hörte ich dröhnende Schritte. Der unbekannte Schütze musste über die Wagendächer laufen.
Ich zog ebenfalls meine Beretta, die ich zum Glück bei mir trug, machte mich klein und wartete ab.
Ein Windstoß trieb den beißenden Rauchschleier an mir vorbei, und im Rauch erkannte ich die Gestalt.
Sie sprang von einem Wagendach zu Boden und landete dicht neben mir. Bevor der Kerl herumwirbeln und auf mich anlegen konnte, schnellte ich hoch und hieb meine Handkante auf das Gelenk. Die Waffe fiel zu Boden.
Meine Rechte kam wie ein Torpedo. Sie traf voll ins Ziel. Der Mann verdrehte die Augen und fiel hin. Bewusstlos blieb er liegen.
Verflucht! Was war das nur? Ich wurde hier beschossen, jemand griff mich mit einem Stielkamm an, alles normale Menschen, die sonst nichts Böses taten, aber hier drehten sie durch. Der dämonische Einfluss schien schon weit fortgeschritten zu sein.
Und London siechte dahin. Eine Millionenstadt, vor wenigen Stunden noch von prallem Leben erfüllt, befand sich am Rand des Abgrunds.
***
Es war schwer für mich, mit dieser Tatsache fertigzuwerden, denn ich hing an London. Ich war hier aufgewachsen und hatte hier auch beruflich meine größten Erfolge erzielt.
Ich wandte mich nach links der National Gallery zu. Sie liegt dem Trafalgar Square gegenüber und wird von vier Straßen eingeschlossen. Auch das Gebäude hatte einiges abbekommen. Irgendein Flugzeugteil hatte die hohe Kuppel buchstäblich abrasiert. Die Trümmer lagen weit in der Gegend verstreut. Sie hatten auch Fahrzeuge zerstört.