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Sammelband 3: Drei gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis!
John Sinclair - das besondere Gruselerlebnis: Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John mit so bekannten Gegnern wie Asmodis, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 1 bis 3 der John Sinclair Sonder-Edition:
7: Die Vampir-Flotte
8: Die Seelenburg
9: Ghouls in Manhattan
Tausende Fans können nicht irren - über 320 Seiten Horrorspaß garantiert!
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 537
Veröffentlichungsjahr: 2018
Jason Dark
John Sinclair Sonder-Edition Sammelband 3 - Horror-Serie
Cover
Impressum
Die Vampir-Flotte
Vorschau
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Die Vampir-Flotte
von Jason Dark
Überall auf der Welt kann das Grauen lauern!
In einsamen Schlössern, schaurigen Grüften und modernen Städten, ebenso auf hohen Bergen, verlassenen Friedhöfen und in menschenleeren Eiswüsten.
In diesem Fall aber lauerte es woanders.
Auf dem tiefsten Grund des Meeres, wo kaum ein Sonnenstrahl hindrang, lag das uralte Segelschiff, dessen Besatzung aus Wesen bestand, die nach dem Blut der Menschen dürsteten.
Vampire.
***
Simon Rock war ein Star!
Zwar war er kein Schauspieler oder Sänger, trotzdem galt er auf seinem Gebiet als der absolute Supermann.
Simon Rock war Taucher. Er und seine Crew von vier eisenharten Männern hatten ein irres Geschäft an der Ostküste Floridas aufgezogen. Sie tauchten nach versunkenen Schiffen, die vor vierhundert und mehr Jahren mit Siedlern aus Spanien gekommen waren, das Gold der Inkas und Azteken geraubt hatten und mit prall gefüllten Schiffsbäuchen zurückgesegelt waren.
Viele Galeeren waren so überladen gewesen, dass sie auf der Rückfahrt selbst einem kleinen Sturm nicht hatten trotzen können. Sie waren gesunken.
Vor der Küste Floridas lagen sie auf dem tiefen Meeresgrund. Algen und Plankton hatten einen festen Mantel über die Schiffe gelegt, hatten die oft zerstörten Aufbauten überwuchert und neue Lebensbereiche für unzählige Fische, Pflanzen und Kleinsttiere geschaffen.
Jahrhundertelang hatte sich niemand um die versunkenen Galeeren gekümmert. Bis es eines Tages einen regelrechten Run gegeben hatte. Irgendjemand hatte den Anstoß gegeben.
Plötzlich fuhren zahlreiche Taucher aufs Meer hinaus und glitten in die Tiefe, um an die unermesslichen Reichtümer der versunkenen Galeeren zu gelangen. Die Abenteurer schlossen sich zusammen, gründeten Firmen, die aufsehenerregende Prozesse gegen die amerikanische Regierung um eine Lizenz führten, denn Vater Staat wollte ebenfalls mitkassieren. Und auch Gangsterbanden.
Es kam zu Feuergefechten auf dem Meer. Tote und Verwundete blieben zurück. Regelrechte Kriege um das Gold der Spanier brachen aus. Die Polizei schritt ein. Es hagelte Verbote, Verhaftungen, und immer wieder fingen neue Taucher an, um sich ein Stück vom großen Goldkuchen abzuschneiden.
Simon Rock und seine Männer waren da vorsichtiger. Er hatte sich die Leute aus aller Welt zusammengeholt und eine kleine, aber schlagkräftige Mannschaft zusammengestellt. Dazu gehörte noch Pretty Benson, seine schwarzhaarige Freundin, in deren Adern jamaikanisches Blut floss. Sie wollte Simon unbedingt heiraten, doch der große blondhaarige, sonnenbraune und athletisch gebaute Mann hatte kein Interesse, sich ehelich zu binden.
An diesem Tag waren sie schon seit den frühen Morgenstunden auf dem Wasser. Ihr schneeweißes Boot, Flying Star genannt, schaukelte sachte in der hohen Dünung. Die Sonne warf einen goldenen Teppich auf die Wellen und erinnerte die vier Taucher immer daran, dass ein Vermögen unter der Oberfläche des Meeres lag.
Es war später Nachmittag. Gefunden hatten sie nicht viel. Nur wenige Münzen, die allerdings nicht sehr viel wert waren. Es kamen nicht einmal die Spesen für den heutigen Tag dabei heraus.
Deshalb überlegten sie, ob sie an diesem Tag noch einmal tauchen sollten. Sie hatten sich am Heck versammelt und hingen in den bunten Liegestühlen, schlaff und abgespannt. Doch der äußere Eindruck täuschte. Diese Männer konnten von einer Sekunde zur anderen explodieren. Zudem lagen die Waffen immer griffbereit, Schnellfeuergewehre und Pistolen. Zweimal waren sie bereits von Seebanditen überfallen worden, beide Male hatten sie die Attacken blutig zurückgeschlagen.
»Ich habe keine Lust mehr«, sagte Ted Lawrence, der Schwarze unter ihnen. »Ich habe mich heute genug geärgert.«
Rock verzog die Lippen. Wie auch die anderen trug er nur seine kurzen Badeshorts. »Seit wann gibst du so schnell auf?«
»Ich habe einen schlechten Tag.« Ted rollte mit den Augen und blickte an Simon vorbei, denn aus dem Niedergang tauchte Pretty Benson auf.
Sie war eine Augenweide. Ihre Haut hatte einen Farbton, der an Milchkaffee erinnerte. Auf dem Kopf saß eine wilde Frisur, die man mit dem Wort Afrolook umschreiben konnte. Die Beine der Frau schienen unendlich lang zu sein und endeten dort, wo der schneeweiße Tanga mehr als knapp saß.
Von Prettys Gesicht war nicht viel zu sehen, weil es von einer großen Sonnenbrille verdeckt wurde. Die Lippen waren leicht aufgeworfen, ohne ordinär zu wirken. Der hoch angesetzte Busen hätte eigentlich kein Oberteil nötig gehabt. Pretty trug es trotzdem, obwohl das winzige Stoffteil nicht einmal die Brustwarzen völlig bedeckte.
Diese Frau war heiß!
Das wussten auch die Männer. Vier von ihnen hätten sie gern einmal im Bett gehabt. Einer, Simon Rock, konnte sich das Vergnügen gönnen, wann immer er wollte, so mussten sich die anderen damit begnügen, diesen weiblichen Vulkan mit Blicken vollends auszuziehen, denn gegen Rock kam keiner an. Der ehemalige Bodybuilder wusste seine Fäuste ausgezeichnet einzusetzen.
Pretty trug ein Tablett auf den ausgestreckten Armen. Eine große Karaffe mit Fruchtsaft, Eiswürfel und mehrere Gläser standen darauf. Die junge Frau hatte Mühe, durch ihre Bewegungen das Schwanken des Schiffes abzugleichen, aber sie schaffte es mit Glück und Routine. Als sie sich vorbeugte und das Tablett abstellte, wurden die Einblicke der Männer noch besser, und O’Brien, ein rothaariger Ire, leckte sich genießerisch die Lippen.
»Ich habe euch eine kleine Erfrischung gebracht«, sagte Pretty. Ihre Stimme klang leicht rauchig, etwas verrucht, an Sünde erinnernd.
»Danke, Darling.« Simon Rock lächelte und klopfte ihr auf das wohlgerundete Hinterteil, das sie mit einem Kieksen quittierte. »Leg dich wieder in die Sonne.«
»Zu euch?«
»Nein, wir haben geschäftliche Dinge zu bereden. Du lenkst uns zu sehr ab.«
»Aber ich tue doch nichts«, sagte sie und wiegte sich in den Hüften.
»Das reicht schon, Darling.«
Sie lachte, warf Simon eine Kusshand zu und verschwand.
»Mann, die ist eine Sünde wert«, sagte Lawrence und schnippte mit den Fingern.
Er fing sich einen schrägen Blick von Simon Rock ein.
»Komm zur Sache«, forderte Ike Clanton, der Mann aus Kanada, Simon auf. Er war der Schweigsamste. Für ihn ging es fast nur ums Geschäft. Wenn er Geld hatte, kaufte er sich Frauen. Clanton sah aus wie Kojak, nur war er wesentlich schlanker und trug einen dichten Vollbart.
Rock Simon schenkte ein, kippte auch noch Eiswürfel in die Gläser und verteilte die Getränke. »Okay, Freunde, ihr habt keine Lust. Ich will aber noch tauchen. Wer kommt mit?«
Montana nickte. Wie er richtig hieß, wusste er selbst nicht. Er war in Helena, der Hauptstadt Montanas, geboren, hatte an der Westküste getaucht und sich in allen möglichen Jobs durchgeschlagen. Angeblich sollte ihn auch die Polizei in mehreren Staaten der Westküste suchen, aber das war Rock egal. Montana war ein Mann, auf den er sich verlassen konnte, und mit zweiundzwanzig Jahren der jüngste unter den Tauchern.
»Ist gebongt«, erwiderte Rock.
»Und wann?«
Simon sah auf die Uhr. Es war sechs. »In einer halben Stunde könnten wir fertig sein.«
Montana nickte. Er griff nach den Zigaretten, die neben ihm lagen, zündete sich eine an und blickte aufs Meer, wo in der Ferne der Himmel und das Wasser eine Linie bildeten. Dort war auch ein dunkler Punkt zu sehen …
Montana nahm das Fernglas und presste es gegen seine Augen, während er sich erhob.
»Was ist?«, frage Simon.
»Ein Schiff.«
»Und?«
Montana hob die Schultern. »Eigentlich nichts. Ich kann nicht erkennen, zu wem es gehört. Ist zu weit weg.«
»Die Konkurrenz«, meinte O’Brien grinsend.
»Wenn es Piraten sind, kriegen sie Blei«, sagte Ike Clanton und grinste hart.
Die anderen lachten. Noch sehr gut konnten sie sich an Einzelheiten der letzten Auseinandersetzungen erinnern.
Montana schnippte die Kippe ins Meer und setzte sich wieder. Simon Rock war aufgestanden. Er holte die neuen Pressluftflaschen und auch die gelben Neoprenanzüge. Da unten war es verdammt kalt, denn die Schiffe lagen sehr tief.
Simon Rock stieg in seinen Taucheranzug. Dabei konnte jeder das Spiel seiner Muskeln beobachten. Er hatte wirklich einen enormen, gut durchtrainieren Körper. Breite Schultern, schmale Hüften, kein Gramm Fett zu viel. In seinem Gesicht stach die markante Nase hervor, unter der ein heller Bart wuchs.
Langsam zog er den Reißverschluss hoch. Der Anzug saß wie eine zweite Haut.
Auch Montana hatte sich inzwischen »umgezogen«. Er überprüfte noch mal die beiden Pressluftflaschen, denn davon hing ihr Leben ab. Ein kleiner Fehler konnte tödlich sein.
»Alles klar?«, fragte Ted Lawrence.
Montana nickte.
Auch Simon Rock fand keinen Fehler. Beide warfen zur gleichen Zeit die Pressluftflaschen über ihre Schultern und befestigten sie an Rücken und Hüfte. Sie stülpten die Tauchermasken über den Kopf und überprüften die Atmung.
Keine Schwierigkeiten. Danach schlüpften sie in die Schwimmflossen. Das Gold lockte. Leider konnten sie nicht alles für sich behalten. Wenn sie einliefen, wurde das Schiff von speziell ausgebildeten Beamten der Coast Guard untersucht. Sie mussten die Hälfte an den Staat abliefern. Das wurmte sie alle.
Das Werkzeug bestand aus einer kleinen Schaufel, einer ebenso kleinen, aber harten Spitzhacke und aus zwei lichtstarken Taschenlampen, die auch in der Tiefe genügend Helligkeit brachten, um sich orientieren zu können.
»Wann seid ihr ungefähr wieder oben?«, fragte Lawrence.
»In einer Stunde«, antwortete Rock.
»Okay.«
Die beiden Männer traten an die Bordwand, öffneten dort ein Gitter und ließen sich kopfüber ins Wasser fallen. Simon Rock trug noch das Werkzeug.
Die anderen drei sahen ihnen nach. Keiner der Männer ahnte, was auf sie zukam. Denn wer das Grauen weckte, der wurde verschlungen …
***
Das Wasser schlug über ihnen zusammen, und sie befanden sich in einer anderen, faszinierenden Welt. Die Stille des Ozeans umgab sie, die Schweigsamkeit des Meeres. Über ihnen versanken die letzten Sonnenstrahlen, unter ihnen breitete sich die geheimnisvolle, grünschwarze Tiefe aus, die immer wieder mit neuen Abenteuern und gewaltigen Eindrücken lockte, sodass die Taucher ihrer Fremdartigkeit und ihrem Reiz oft genug erlagen und sämtliche Sicherheiten vergaßen.
Simon Rock und Montana erging es anders. Sie waren keine Hobbytaucher, für sie war das Wasser kein Urlaubselement, sie sahen die Taucherei als reines Geschäft an.
Ihre Körper hatten sich gestreckt. Mit kräftigen Beinschlägen und Hilfe der Schwimmflossen tauchten sie in die Tiefe.
Schon auf dem Boot hatte Simon Rock sich entschlossen, nicht dort zu tauchen, wo sie am Morgen schon vergebens nachgesehen hatten. Er wollte sich weiter nördlich halten und somit in ein Gebiet gelangen, das sie noch nicht abgesucht hatten.
Auf der Seekarte hatte er sich das Areal angesehen. Auf der Erde würde man es mit einer Wildnis vergleichen oder einem undurchdringlichen Gebiet, denn hier hatte die Natur in einer überschäumenden Laune ein gewaltiges Korallenriff gebildet, das sich wie ein Gebirge meilenweit ausbreitete. Es war noch längst nicht erforscht worden. Da gab es Spalten, Trichter, Höhlen, gefährliche Tunnels und zahlreiche Verstecke für Raubfische.
Das Gebiet war gefährlich. Simon Rock wusste mit der Gefahr umzugehen, er kalkulierte und rechnete sie aus. Deshalb wollte er auch nicht tief in das Riff hineintauchen, sondern sich nur an dessen Rand aufhalten und einen ersten Eindruck gewinnen. Zudem sollten dort zahlreiche Schiffe gesunken und von den scharfen Ecken und Kanten des Riffs regelrecht aufgespießt worden sein. Simon Rock war fest davon überzeugt, innerhalb des Korallenriffs ein Millionenvermögen zu finden.
Sein Tauchpartner wunderte sich, als der vorausschwimmende Rock plötzlich abbog. Montana gab aber kein Zeichen, sondern folgte dem Boss der Tauchercrew.
Ein Fischschwarm, silbrig glänzend, kam ihnen entgegen. Die kleinen Tiere nahmen überhaupt keine Notiz von den beiden Männern. Ungehindert konnten die beiden den Schwarm durchqueren.
Sie waren inzwischen ziemlich tief. Licht drang so gut wie gar nicht hierher. Ein grünliches, diffuses Dunkel umgab sie, aber noch konnten sie auf das Einschalten der Lampen verzichten.
Plankton, Algen und nur unter dem Mikroskop sichtbare Einzeller-Lebewesen sorgten dafür, dass aus dem Wasser eine ziemlich trübe Brühe wurde.
Dann huschte ein Schatten heran. Blitzschnell war er da. Beide Männer kannten sich aus. Das war ein Hai. Unwillkürlich tastete Simon Rock nach seinem breiten Messer im Gürtel. Er dachte an die zahlreichen Kämpfe, die er schon gegen Haie geführt und überlebt hatte. Doch der schlanke Fischleib glitt vorbei.
Sie schwammen weiter.
Ruhig und gleichmäßig atmeten sie. Die Luft reichte für zwei Stunden. So lange hatten sie nicht vor, unter Wasser zu bleiben. Sie wollten auch nicht konkret suchen, nur das Gebiet erkunden, damit sie am anderen Tag richtig beginnen konnten.
Simon Rock schwamm etwas langsamer und ließ seinen Partner aufkommen. Dann streckte er den rechten Arm aus und deutete nach vorn.
Montana verstand. Sie würden noch weiter schwimmen. Fünf Minuten vergingen, dann wuchs vor ihnen eine gewaltige Wand hoch, die erst nur als Schatten zu erkennen war. Das Riff!
Dreißig Meilen vor der Küste gab es dieses gewaltige aus Korallen, Muscheln, Plankton und Kalk bestehende Gebirge, das bisher kaum erforscht war. Die meisten trauten sich nicht hierher, sie wollten schneller und risikoloser Geld verdienen, doch den beiden Spitzentauchern machte dies nichts aus.
Sie glitten weiter, durch die fast beängstigende Stille der tiefen See.
Simon Rock schaltete als Erster seine starke Unterwasserlampe ein. Das Glas war durch ein kleines Gitter geschützt, damit es nicht so leicht zerbrechen konnte.
Der Strahl bahnte sich seinen Weg durch die Finsternis. In ihm tanzten und wirbelten kleine Lebewesen, die nie zur Ruhe kamen und einen ewigen Kreisel bildeten.
Je näher sie an die Wand herankamen, desto faszinierender wurde es für sie. Sie war nicht glatt, da gab es gewaltige Kerben und Spalten, in denen Muränen lauerten und auf Beute warteten. Sie sahen Höhlen, die von irgendwelchen farbenprächtigen Fischen besetzt waren. Es gab überhängende Wände, Einschnitte und regelrechte Täler, in und durch die sie schwimmen konnten.
Aufgeschreckt durch das Licht, verließ ein winziger Krake seine Höhle, sonderte seine dunkle Flüssigkeit ab und verschwand. Auch andere Fische wischten blitzschnell davon, denn die beiden Taucher waren Störenfriede im friedlichen Nebeneinander des Korallenriffs.
Simon Rock deutete mit dem Daumen nach oben. Er wollte steigen. Eine geschmeidige Bewegung seines Körpers, der Schlag mit den Flossen, und er glitt an der Wand entlang hoch.
Etwa fünf Meter weiter hörte die Wand auf. Simon Rock beugte sich wieder nach vorn, sodass er in das Tal blicken konnte, das hinter dieser Korallenwand lag.
Es war ein regelrechter Korallengarten, der in zahlreichen Farben blühte, als er vom Licht der beiden eingeschalteten Unterwasserleuchten getroffen wurde. Da wuchsen Seesterne auf dem kalkreichen Untergrund neben Algen und langstieligen Pflanzen, die sich im Rhythmus der Unterwasserdünung bewegten und mit ihren Köpfen zu nicken schienen. Sie bewegten sich nur nach einer Seite, ein Zeichen für die Taucher, dass sie es hier unten nicht mit gefährlichen Gegenströmungen zu tun hatten. Das war viel wert.
Sie drangen ein in den Tiefsee-Garten, der vor ihren Augen solch eine Pracht entfaltete. Das Tal dehnte sich weit aus. Es war auf dem Grund auch nicht flach. Im Laufe der Jahre hatten sich neue Korallenbänke gebildet, die dabei waren, sich unter diesen idealen Lebensbedingungen auszudehnen.
Die Männer ließen sich nicht ablenken. Sie schwammen sehr langsam weiter. Die Strahlen kreisten, glitten über den Grund und über Wände oder tasteten sich in Spalten und Höhlen hinein, wo sie sich manchmal in der Dunkelheit verloren.
Rock und Montana suchten eines der zahlreichen gesunkenen Schiffe. Es war nun nicht so, dass die Galeeren einfach nur dalagen, sodass sie jeder Taucher schnell finden konnte, nein, man musste schon einiges an Erfahrung mitbringen, um ein Schiff überhaupt zu finden. Denn im Laufe der Jahrhunderte war aus jedem gesunkenen Wrack eine eigene Korallenbank geworden, die unzählige Lebewesen bevölkerten.
Und doch gab es Hinweise. Manchmal war es die Form. Hin und wieder glänzte auch ein Stück Metall, das aus irgendeinem Grund nicht überwuchert worden war, oder die geknickten Masten, die ein über dem Grund liegendes Wirrwarr bildeten. Man brauchte wirklich ein gutes Auge, um eine solche Galeere zu entdecken.
Simon Rock schwamm noch immer als Erster. Das ließ er sich nie nehmen, denn er war der Anführer, er begab sich auch als Erster in Gefahr.
Plötzlich stoppte er, blieb stehen und trat Wasser. Sofort war Montana neben ihm.
Beide Männer drehten den Kopf und schauten sich unter den Sichtmasken her an.
Bis Rock nach links deutete. Fast wären sie vorbeigeschwommen, denn in die Felswand hinein stach ein etwa zwei Yards breiter Riss, als hätte ihn jemand dort mit einem Messer geschnitten. Er war also breit genug, um die beiden Taucher aufzunehmen.
Montana nickte, und Simon Rock schwamm wieder los. Langsam, mit Beinschlägen wie in Zeitlupe. Er tauchte in den Spalt und brauchte wirklich die Lampe, denn jetzt wurde es dunkel. Ein langer Fisch huschte an ihnen hautnah vorbei und hätte sie fast noch berührt.
Unabhängig voneinander fühlten es Simon Rock und Montana. Dieses Gebiet, in das sie schwammen, war irgendwie anders. Fast körperlich spürten sie die Bedrohung, die es ausstrahlte, eine Gefahr, die für beide nicht greifbar war.
Montana tastete nach seinem Messer. Natürlich kannte auch er die Geschichten, die man sich von Unterwassergeistern und mächtigen Ungeheuern erzählte. Wenn Taucher zusammensaßen und die Flasche rundging, wurden diese Geschichten oft ausgegraben und erzählt. Dabei lief so manchem ein Schauer über den Rücken.
An Geister glaubte Montana nicht, und eine menschenfressende Seeschlange hatte er auch noch nicht gesehen. Das war Seemannsgarn.
Beide leuchteten die Wände ab. Sie kamen ihnen dunkler vor als die übrigen des Riffs. Auch hier sahen sie die kleinen Spalten und Einschnitte, entdeckten winzige Höhlen und Löcher im porösen Kalkgestein.
Der Einschnitt war ziemlich lang. Ungewöhnlich eigentlich, dann aber verbreiterte er sich, was ein Beweis dafür war, dass sein Ende bald kommen würde.
Simon Rock schwenkte seinen rechten Arm und leuchtete jetzt mit der Lampe nach vorn.
Plötzlich traf der Strahl etwas Rundes, Großes, das, vom Wasser getragen, vor ihm schwebte. Es war kein Kugelfisch, der hatte eine andere Form, und der hatte auch keine Haare.
Der Taucher glitt noch näher an den Gegenstand heran und konnte ihn jetzt genau erkennen. Es war ein Kopf!
Der Kopf eines Menschen. Mit einem offenen Mund, in dessen Zahnreihe zwei lange Vampirzähne schimmerten!
***
Simon Rock hatte schon viel in seinem Leben gesehen, aber so etwas noch nicht. Der Anblick war einfach zu grauenhaft. Dieser im Wasser schwebende Kopf war abgerissen worden. So sahen die Opfer von Haien aus, die unglücklich zwischen deren mächtige Zähne gerieten.
Dann musste dieser Mann ein Haiopfer gewesen sein. Aber wie kam er zu den spitzen Eckzähnen, warum war kein Blut zu sehen, und wo steckte der Killerhai?
Simon Rock wandte den Blick. Er sah Montana an und blickte in dessen bestürztes Gesicht hinter der Taucherbrille. Auch er wusste keine Erklärungen.
Langsam trieb der Schädel vorbei. Er wurde von der Strömung gepackt und verschwand in einer Felsspalte.
Montana hob die Hand und deutete den Rückmarsch an. Simon Rock schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt weitermachen. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt, aufgeben war nicht drin, jetzt ging es zur Sache.
Sauerstoff hatten sie noch genug. Sie konnten also weiterschwimmen und die Gegend erforschen, die hinter dem Spalt lag. Irgendetwas war dort, zudem hatte eine Gegenströmung ihnen den Kopf vor die Sichtbrillen getrieben.
Simon Rock streckte seinen Körper und glitt mit ein paar leichten Beinschlägen voran. Montana folgte ihm. Wie auch bei Simon lag seine rechte Hand auf dem Griff des großen Tauchermessers. Er wollte kein Risiko eingehen, denn beide ahnten, dass die Gefahren noch längst nicht vorbei waren. Zumindest der Hai, der diesen Körper zerrissen hatte, musste sich noch irgendwo in der Nähe aufhalten.
Simon Rock dachte darüber nach, woher der Kopf wohl stammte. Die Zähne gingen ihm nicht aus dem Sinn. Sie hatten wirklich ausgesehen wie bei einem Vampir. Doch die gab es nicht, ebenso wenig wie ein Seeungeheuer.
Simon versuchte sich zu erinnern, ob vielleicht in der letzten Zeit in diesem Gebiet ein Horror-Film gedreht worden war. Denn dann wäre dieser Vampirkopf unecht gewesen und ein Überbleibsel der Filmerei. Das schien jedoch nicht der Fall gewesen zu sein. Simon hätte von diesem Filmprojekt sicherlich erfahren, zudem drehten die Leute aus der Traumfabrik keine dreißig Meilen vor der Küste.
Er fand keine Lösung, so sehr er auch grübelte.
Es wurde wieder etwas heller. Ein Zeichen dafür, dass sie den Spalt im Fels hinter sich gelassen hatten.
Noch zwei Schwimmstöße, und eine andere Welt lag vor den beiden Tauchern. Es war ein großes Korallental, mit weiten Muschelbänken, mit bizarr geformten Korallenfelsen, farbigen Blumen, Gewächsen, Höhlen, Verstecken und einer prächtigen Tierwelt.
Langsam glitten die beiden Männer tiefer. Sie saugten die Eindrücke in sich auf, denn selbst sie, die sie schon sehr viel gesehen hatten, waren von diesem geheimnisvollen Tal unter Wasser begeistert. Vergessen war der Kopf, die Männer ließen sich ganz von ihrer Umgebung gefangen nehmen.
Sie glitten durch die Stille. Fische, die ihnen entgegen schwammen, glotzten sie an und verschwanden wieder mit blitzschnellen Bewegungen ihrer Flossen.
Dann wurden ihre Augen groß. Zur gleichen Zeit sahen sie genau das, was sie gesucht hatten. Ein Schiff!
Es war links von ihnen gesunken und schien an der Felswand zu kleben. Mit der Steuerbordseite drückte es gegen das rissige Gestein. Das gesamte Schiff stand schief, war mit Algen und Muscheln überkrustet, aber noch sehr gut erhalten.
Die drei Masten gab es noch vollständig. Sogar noch Reste des Segeltuchs bewegten sich in der Strömung. Am Bug zeigte sich ein großes Leck, durch das das Wasser strömte. Die Aufbauten waren zu sehen und unzerstört.
Mann, das ist ein Ding!, dachte Simon Rock und konnte sich an diesem Anblick gar nicht sattsehen. Das war kein spanisches Schiff, es musste später gesunken sein. Eine Dreimastbark, vielleicht englischen Ursprungs.
Sie schwammen langsam näher.
Allerdings war eins verwunderlich: Normalerweise wurden die gesunkenen Schiffe immer von zahlreichen Fischen frequentiert, hier jedoch war kaum einer zu sehen. Die Fische machten seltsamerweise um dieses Schiff einen Bogen. Wenn dem Kahn mal einer zu nahe kam, dann zuckte er kurz vor dem Ziel zurück und glitt davon.
Sehr seltsam …
Die beiden Taucher waren so in den Anblick des Schiffes vertieft, dass sie die Gefahr vergaßen.
Der Hai kam von der Seite! Lautlos, schnell und gefährlich. Er war noch immer auf der Suche nach einer Beute. Jetzt sah er die beiden Taucher.
Montana bemerkte die Gefahr zuerst. Eigentlich machte ihn erst der Schatten aufmerksam, er drehte den Kopf, sah den Hai und reagierte sofort. Eine Rolle nach hinten, wobei er gleichzeitig Simon Rock gegen den Körper trat und ihn somit warnte. Dann zog Montana sein Messer hervor.
Als der Hai da war, stach auch die Klinge in die Höhe. Ihr hatte auch der Hai nichts entgegenzusetzen. Sie schlitzte ihn an der Unterseite auf. In einem langen Bogen floss das Blut aus der Wunde und färbte das Wasser rot. Das würde natürlich noch mehr Haie anlocken, die ihren Artgenossen dann zerrissen, doch das Risiko mussten beide Taucher eingehen, wollten sie sich nicht zerreißen lassen.
Der Hai war noch nicht erledigt. Er drehte durch. Montana sah zu, dass er aus seinem unmittelbaren Bereich kam, denn der lange, kräftige graue Körper peitschte das Wasser.
Der Hai wurde rasend. Er kämpfte gegen sein Schicksal an, wirbelte in einer Wolke von Blut, zuckte, warf sich hin und her, drehte durch und verschwand plötzlich in dem Spalt, aus dem die beiden Taucher auch gekommen waren. Er würde ins offene Wasser schwimmen, unterwegs eine Blutspur hinter sich herziehen und von den anderen Haien zerfetzt werden.
Simon Rock winkte Montana zu. Ein Zeichen der Anerkennung. Montana war ein guter Haikiller.
Jetzt hielt sie nichts mehr davon ab, sich das geheimnisvolle Schiff anzusehen.
In schräger Linie schwammen sie auf den Kahn zu. Und beide spürten unabhängig voneinander die Gefahr, die vor und unter ihnen lauerte. Andererseits übte dieses Schiff einen gewissen Reiz auf sie aus. Sie mussten es sich einfach ansehen.
Und wieder waren sie überrascht, als sie zwischen den Masten herschwammen. Es war noch alles sehr gut erhalten. Sogar die Wanten waren zu erkennen.
Eine Rolle nach vorn, und beide Taucher glitten dem Deck entgegen. Sie trennten sich jetzt nicht mehr, sondern blieben dicht beieinander. Das Wasser war durch den gesamten Schiffsleib geströmt. Sie sahen die offenen Luken und Klappen zu den Niedergängen, durch sie konnten sie in den Bauch des Schiffes gelangen.
Wieder schalteten sie die Lampen ein. Auf dem Achterdeck befand sich ein Ruderhaus mit offener Tür.
Die Männer interessierten sich für die Ladung. Und die lag nun mal im Bauch des Schiffes. Sie mussten runter.
Zuerst glitt wieder Simon Rock durch die offene Luke und tauchte ein in das Dunkel des Schiffsbauchs. Der starke Lampenstrahl bahnte sich seinen Weg durch die trübe Flut. Auch hier unten, wo sich die Lade- und Stauräume befanden, hatten Muscheln und Kalk fremdartige Kunstwerke an den Innenwänden des Schiffes gebildet.
Von der Ladung fehlte jede Spur. Keine Kiste und kein Fass waren irgendwo vertäut.
Dieser Vorratsraum präsentierte sich den beiden Tauchern völlig leer. Sie durchschwammen ihn ganz, bis Montana mit der Lampe winkte und somit ein Zeichen gab.
Simon Rock glitt neugierig näher.
Montana hatte den Durchgang zum nächsten Lagerraum entdeckt. Ein offenes Rechteck. Die dazu gehörige Tür lag auf den Planken. Sie musste wohl aus den Angeln gerissen worden sein, als das Schiff so plötzlich gesunken war.
Die beiden Männer leuchteten die Tür an und wunderten sich, als sie das Kreuz sahen, das auf die Tür genagelt worden war. Obwohl Muscheln und Kalk es überwuchert hatten, waren die Umrisse doch deutlich zu erkennen.
Rock und Montana hatten schon zahlreiche Schiffe durchsucht und leergeräumt, sie kannten sich inzwischen sehr gut aus, aber ein Kreuz vor einer Tür hatten sie noch nie auf einem gesunkenen Schiff gesehen. Das musste seine Bedeutung haben.
Ob der Stauraum dahinter vielleicht etwas Besonderes beinhaltete? Sehr wertvolle, kirchliche Schätze? Vielleicht Messkelche oder andere goldene Kreuze, die zusätzlich mit Edelsteinen geschmückt waren?
Die Taucher dachten das Gleiche. Ihr Forscherdrang ließ sich nicht mehr bremsen, die Neugierde war größer als die im Unterbewusstsein lauernde Gefahr. Sie glitten durch die Öffnung. Lautlos, wie zwei Fische. Ein paar zerplatzende Luftperlen waren das Einzige, was in dem ersten Raum zurückblieb und noch an die Taucher erinnerte.
Abermals nahm sie eine dunkle, unheimlich anmutende und fremde Welt gefangen. Auch in diesem Laderaum schien auf den ersten Blick nichts zu sein.
Als die beiden Taucher jedoch die Lampen schwenkten, da sahen sie die Kisten. Sie waren vor dem Untergang vertäut gewesen. Doch als das Schiff gegen die Felswand geprallt war, war die Vertäuung gerissen, sodass die Kisten hatten durcheinanderrutschen können. Jetzt standen sie kreuz und quer.
Simon Rock und Montana glitten über die Ladung hinweg, erreichten das Ende des Laderaums und drehten sich wieder, um die Kisten genauer zu untersuchen. Sie schwammen unter der Decke, kippten jetzt ihre Körper und stießen dem Boden entgegen. Die Strahlen der Lampen bohrten sich in das trübe Dunkel, trafen auch die Kisten von einer geringeren Entfernung, und jeder der beiden Taucher konnte sehen, dass es sich nicht um Ladekisten handelte, sondern um etwas anderes. Um Särge!
***
Sieben Särge waren es, die sich in diesem Stauraum befanden. Über ein halbes Dutzend Totenkisten, die seltsamerweise nicht mit Tang, Algen oder Muscheln überdeckt, sondern so geblieben waren wie zuvor.
Die rasch aufsteigenden Luftperlen zeugten davon, wie schnell und überrascht die beiden Taucher waren. Sie traten Wasser und sahen sich an.
Montana drehte die Faust mit dem aufgerichteten Daumen und deutete nach unten.
Simon Rock verstand das Zeichen. Montana wollte die Särge untersuchen. Das hätte er auch vorgeschlagen, denn es war schon des Öfteren passiert, dass irgendwelche Seefahrer wertvolle Ladungen in außergewöhnlichen Verstecken untergebracht hatten. Dazu zählten auch Särge.
Aber Simon zögerte. Er wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte, denn er dachte an den treibenden Vampirkopf, der ihnen begegnet war. Ein Kopf und jetzt die sieben Särge!
Standen die beiden in einer unmittelbaren Verbindung? Und war es vielleicht möglich, dass sie in einem der Särge den zum Kopf gehörigen Körper fanden?
Als Simon Rock daran dachte, glitt selbst ihm, dem Hartgesottenen, ein Schauer über den Rücken. Daran wollte er lieber nicht denken. Vernünftig wäre es eigentlich gewesen, den Rückweg einzuschlagen, doch die Gier nach Gold war stärker. Deshalb nickte er.
Auch Montana war einverstanden. Er hatte sich während Rocks Überlegungen ein wenig umgesehen. Ein Sarg fiel wegen seiner Größe auf. Er war in seinen Ausmaßen fast doppelt so groß wie die anderen. Den wollten sich die Männer als Ersten vornehmen. Gemeinsam schwammen sie auf ihn zu.
Der Sarg war verschlossen. Die Schlösser hatten im Lauf der Zeit Rost angesetzt und würden nicht so leicht zu knacken sein. Aber die Männer Hatten ihre scharfen Messer aus bestem Stahl. Und zusätzlich noch die Pickel.
Montana hatte sein Messer bereits gezogen. Er wollte es in den Spalt zwischen Deckel und Unterteil klemmen, während Simon Rock sich an den Schlössern zu schaffen machte. Dazu nahm er den harten Pickel und hämmerte dagegen.
Der größere Sarg stand ziemlich allein in einer Ecke. Etwas weiter entfernt von den übrigen. Deshalb sahen beide Taucher nicht, wie sich ein Deckel plötzlich hob und eine bleiche, grünblau schimmernde Hand erschien, deren Finger zur Klaue gekrümmt waren.
Ein Ruck, und der Deckel rutschte ab. Sachte berührte er den Boden, wo er liegen blieb. Aus dem Sarg aber stieg eine Gestalt, die wie ein Seeräuber aussah und deren Kleidung zerfetzt am Körper hing.
Bleich, aufgedunsen und blutleer war die Haut. Ein regelrechtes Monster kletterte da aus dem Sarg. Als es die aufgerissenen Lippen zurückschob, wurden zwei spitze Vampirzähne sichtbar, die einzigen, denn die übrigen Zähne hatte dieser Unhold verloren.
Der Vampir wurde von der Strömung gepackt, die auch hier unten herrschte.
Sein Körper trieb voran. Er hatte die Arme ausgebreitet und streckte sie jetzt vor, wobei er weit die Hände öffnete, um mit seinen Fingern den Luftschlauch des ersten Tauchers abzureißen.
***
Es war ein Gegensatz, wie er im Buche stand.
In der Bodega die heiße, stickige, schwüle, parfümgeschwängerte und nach Schweiß riechende Luft auf der einen Seite und die kalte Klinge des Messers auf der anderen.
Das Messer lag an meiner Gurgel!
Ich traute mich nicht mehr zu atmen, sondern hielt die Luft an. Der Kerl hinter mir war ein gewaltiger Brocken. Ich sah ihn zwar nicht, aber der linke Arm, der meinen Oberkörper in Gürtelhöhe umspannt hielt, hatte fast den Durchmesser eines Baumstamms.
Dieser Typ hatte mich überrascht, als ich auf dem Weg zur Toilette gewesen war. Im toten Winkel hatte er gelauert, und ich war voll in die Falle gelaufen, weil ich an nichts Böses gedacht hatte.
Jetzt war es zu spät. Ich roch seinen widerlichen Schweiß. Er schien sich ein paar Monate nicht mehr gewaschen zu haben. Seine Arme waren nackt. Ich sah die Tätowierung. Sie zeigte eine Meerjungfrau mit riesigen Brüsten.
Fünf Sekunden vergingen. Mein Herzschlag hatte sich wieder beruhigt.
»Was willst du?«, presste ich hervor.
»Dich!«
»Okay, du hast mich. Und jetzt?«
»Schneide ich dir die Kehle durch!«
Er sagte dies mit so einer Bestimmtheit, dass mir angst und bange wurde. Es wäre auch keineswegs unnormal gewesen, denn in dieser Gegend am Hafen trieb sich allerlei lichtscheues Gesindel herum.
Wir befanden uns in Key Largo, Florida, wo die Welt auch nicht mehr heil ist. Das erlebte ich jetzt auf drastische Art und Weise. Der Taxifahrer hatte Bill und mich schief angesehen, als wir ihm unser Ziel genannt hatten, aber wir hatten in diese verdammte Bodega gemusst, daran hatte kein Weg vorbeigeführt. Ich hätte mich auch lieber ins Hilton gesetzt und da meinen Whisky geschlürft.
»Willst du Geld?«, fragte ich leise.
»Auch.«
»Und warum willst du mich sonst umbringen?«
»Weil du deine dreckigen Finger an Conchita gelegt hast.«
Oje. Conchita Duarte also. Sie war unsere Informantin. Wegen ihr waren Bill Conolly und ich überhaupt in diese Bodega gekommen. Getan hatten wir ihr nichts, nur geredet. Und jetzt kam dieser eifersüchtige Gockel und wollte mir die Kehle durchschneiden. Dabei hatte der Fall noch gar nicht richtig begonnen.
»Sie wissen, was auf Mord steht«, sagte ich.
Er lachte rau. »Du bist nicht der Erste, den ich zu seinen Ahnen geschickt habe.«
Reizende Aussichten im Land der unbegrenzten Möglichkeit.
»Geh vor«, sagte er. »Und denk daran, das Messer bleibt an deiner Kehle.«
»Und wo soll ich hin?«
»Nur weitergehen«, befahl er. »Aber keine Dummheiten, sonst bist du sofort tot.«
»Okay, Bruder«, sagte ich und grinste schief, obwohl mir danach überhaupt nicht zumute war.
Die Toiletten lagen weiter links, hinter schmutzigen Wänden, die mit schweinischen Sprüchen vollgekritzelt waren.
Der Gang führte zu einer Hintertür. Leere Coladosen, Papier und Dreck bedeckten ihn. Aus der Bodega hörte ich schwach das Klimpern einer Gitarre. Es schien meine Todesmelodie zu werden.
Vor einer Bohlentür blieben wir stehen. Dicke Fliegen umsummten mich. Sie schillerten blau. Es waren diese Insekten, die sich auch in den Everglades, den Sümpfen, aufhielten, die nur ein paar Meilen entfernt lagen.
Hinter mir hörte ich Stimmen. Zwei Gäste, die die Bodega verließen und die Toiletten ansteuerten. Die Männer waren längst nicht mehr nüchtern, das entnahm ich ihren Gesprächen. Sie würden mir kaum helfen.
Vor der Tür musste ich stehen bleiben. Der Kerl mit dem Messer war ein wahrer Künstler. Während wir gingen, war die Klinge keinen Millimeter von meiner Kehle abgewichen.
Die andere Hand verschwand von meiner Hüfte. Der Typ hinter mir griff in die Tasche und holte einen Schlüssel hervor, den er mir zwischen die Finger drückte.
»Aufschließen!«
Ich schob den Schlüssel in das verrostete Schloss und drehte ihn zweimal herum.
Die Tür war offen.
Sie ließ sich nach außen aufstoßen, und wir betraten einen Hof, der ein Tummelplatz für Ratten sein konnte und auch war, denn ich sah die widerlichen fetten Tiere über die Abfallberge huschen. Als die uns sahen, flohen sie nicht, sondern starrten uns an und widmeten sich anschließend wieder ihrer Beschäftigung.
Vor mir sah ich eine Mauer. Links und rechts grenzte Stacheldraht den Hof ein. Die Nähe der See roch man, ich hörte auch das Schreien der Wasservögel, eine ewige Begleitmusik hier in Key Largo.
Wir gingen auf den großen Abfallhaufen zu, das Paradies für Schmeißfliegen und Ratten. Die Insekten umtanzten den Berg, sie fanden hier genügend Nahrung und auch Brutstätten für ihre Eier.
Verdammt, warum kam Bill denn nicht? Er musste doch bemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Wahrscheinlich jedoch hielt ihn Conchita fest, dieses schwarzhaarige Luder.
Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass es knirschte. Dann hörte ich die erste Frage. »Was wolltet ihr von Conchita?«
»Mit ihr reden.«
»Worüber?«
Das konnte ich dem Kerl wirklich nicht sagen. Eigentlich war sie es gewesen, die uns auf die Spur gebracht hatte. Die Polizei hatte Conchita vor einer Woche beim Taschendiebstahl erwischt, verhört und eingelocht.
Bei den Verhören war eine interessante Sache herausgekommen. Conchita hatte den Polizisten ins Gesicht gelacht sprach von einer furchtbaren Bedrohung gesprochen, die sich erfüllen würde.
Man hatte nachgehakt, weil man in den Staaten inzwischen aufgewacht war. Anschläge auf hohe Politiker hatten die Polizei so misstrauisch gemacht, dass sie selbst kleinsten Spuren nachgingen und alles recherchierten. So auch hier. Das FBI war eingeschaltet worden. Und die Spezialisten hatten sich um Conchita Duarte gekümmert. Sie hatten ihr Straffreiheit versprochen, wenn sie mehr über die Sache erzählte, die sie gehört hatte.
Und Conchita hatte geredet. Die Namen Dr. Tod und Mordliga waren gefallen. Die Amerikaner hatten sich sofort für sie interessiert.
Man hatte die Namen überprüft, und sie waren tatsächlich im Computer gespeichert gewesen. Allerdings nur als Randinformation der Engländer, die in gewissen Dingen mit der amerikanischen Bundespolizei zusammenarbeiten wollten. Vor allem dann, wenn es um eine weltweite Bedrohung ging.
Die Kollegen in den Staaten hatten sofort reagiert und die Aussageprotokolle weitergeleitet. In London hatte man aufgehorcht. Und besonders lange Ohren hatte Superintendent Powell bekommen, er hatte mich sofort informiert. Ich sollte dem Fall nachgehen und wurde in die Staaten geschickt. Florida war mir zwar nicht unbekannt, ich hatte hier mal den Fall mit dem doppelköpfigen Vampir gelöst, trotzdem konnte ich Bill Conolly überreden, mitzukommen. Der Reporter kannte diesen Staat wie seine Westentasche. In früheren Zeiten hatte er hier des Öfteren recherchiert und auch manchen Bericht geschrieben.
Bill war also mitgeflogen. Und nicht nur er. Suko durfte mich begleiten. Sir Powell hatte es sogar verlangt, denn die Worte Mordliga und Dr. Tod hatten auch ihn nervös gemacht. Er wusste genau, wie gefährlich diese Clique war. Schließlich brauchte er nur an den Todesnebel zu denken, der uns ganz schön Kopfzerbrechen bereitet hatte. Überall wo Dr. Tod und seine Mordliga auftauchten, verbreiteten sie Angst und Schrecken. Jeder auch nur noch so kleinen Spur wollten wir konsequent nachgehen. Kosten spielten dabei keine Rolle, denn Sir James hatte all seine Vorstellungen durchgebracht und seine finanziellen Möglichkeiten erweitert. Der Innenminister gab ihm Rückendeckung.
Wir waren ins schöne Florida geflogen. Man hatte Conchita Duarte wieder auf freien Fuß gesetzt. Sie tanzte und sang in einer Bodega. Dort hatten Bill und ich sie auch aufgestöbert, während Suko untergetaucht war. Er wollte einige seiner Vettern besuchen, die er überall auf der Welt sitzen hatte. Vielleicht wussten die mehr, was uns weiterhelfen konnte.
Nicht mehr als fünf Sätze hatten wir mit Conchita wechseln können, dann hatte sie weggemusst, weil der Auftritt bevorgestanden hatte. Ich war zur Toilette gegangen, und dort hatte der Kerl auf mich gelauert.
Jetzt stand ich auf dem Hof, und der Kerl mit dem Messer lauerte noch immer auf eine Antwort.
»Du bist doch nicht von hier«, sagte er.
»Nein, ich bin Engländer.«
Er lachte. »Um dich kräht kein Huhn, wenn ich dich umlege.«
»Das würde ich nicht sagen. Soweit ich informiert bin, schaltet sich das FBI in die Ermittlungen ein, wenn man die Leiche eines Ausländers findet.«
»Man wird dich nicht finden. Die Everglades sind groß.«
Da hatte er recht. Und meine nächste Hoffnung war zerplatzt. Wenn dieser Hundesohn endlich das Messer wegnehmen würde, aber daran dachte er gar nicht. Nach wie vor befand sich die Klinge dicht vor meiner Kehle. Die Haut hatte sie nicht einmal geritzt. Er war wirklich ein Fachmann.
Ich blickte in den Himmel. Hellblau stand er über uns. Es war fast Mittag. Draußen herrschte eine wesentlich angenehmere Temperatur als im Innern der Bodega, denn vom Meer her wehte immer eine frische Brise.
Vor dem Abfallhaufen musste ich stehen bleiben. Die Ratten unterbrachen ihre Beschäftigung und beäugten uns misstrauisch.
»Was wolltest du von Conchita?«, fragte er noch einmal.
»Nur mit ihr reden, wirklich.«
»Sie weiß nichts.«
»Dann ist es ja gut.«
»Nein, es ist nicht gut.« Er holte tief Luft. Für mich ein Zeichen, dass er dicht vor dem Mord stand.
Ich zitterte innerlich. Dabei schielte ich nach unten, sah die Klinge vor meiner Kehle und auch das breite Handgelenk.
Ich musste es wagen. Bisher hatte ich mich ja nicht gerührt, der Kerl würde sicherlich nicht mit großem Widerstand rechnen, deshalb setzte ich alles auf eine Karte. Blitzschnell fuhr meine rechte Hand hoch, umpackte das Gelenk und riss es zur Seite. Gleichzeitig senkte ich den Kopf, damit er, falls er dennoch rasch zustach, nicht meine Kehle, sondern nur das Kinn traf.
Die Klinge ritzte mich nicht einmal. Zu überraschend war für ihn der Angriff gekommen. Ich tauchte unter dem Messer hinweg, griff mit der anderen Hand zu und hebelte seinen Arm herum.
Er schrie auf, war aber nicht so leicht zu packen, sondern trat nach mir.
Der Fuß hätte mich in den Unterleib getroffen. Auf Fairness konnte ich bei diesem Mann nicht hoffen, der kannte sämtliche dreckigen Tricks des Straßenkampfs. Der Tritt streifte mich nur am Oberschenkel, ich musste den Mann loslassen.
Zum ersten Mal sah ich ihn von vorn. Er war wirklich ein halber Riese. Ein gewaltiger Vollbart wuchs in seinem Gesicht. Das Haar war lockig und glänzte, wie mit Öl überschüttet. In dem Gesicht waren Nase und Mund kaum zu erkennen. Nur die kleinen Augen leuchteten tückisch und gemein.
»Ich stech dich ab!«, versprach er mir. »Glaub ja nicht, dass du so wegkommst.«
Ich hätte ihn erschießen können, aber das war nicht Sinn der Sache. Trotzdem zog ich die Waffe, vielleicht ließ er das Messer fallen.
»Es reicht«, sagte ich scharf und ließ ihn in die Mündung der Beretta blicken.
Er blieb stehen. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. In den tückischen Augen las ich die Mordabsicht.
»Weg mit dem Messer!«
Er zögerte.
»Willst du die Kugel in den Arm oder ins Bein?«
Er stierte mich an. Wahrscheinlich konnte er noch immer nicht begreifen, dass ich den Spieß umgedreht hatte. Er wollte es auch nicht wahrhaben.
Er griff an. Es war eine wilde, ungestüme Attacke. Er schleuderte zuerst das Messer, dann kam er selbst.
Der Stahl hätte mich am Hals getroffen, doch mit einer raschen Bewegung wich ich aus. Ich spürte den Luftzug, als das Messer an der Haut vorbeiwischte, dann hieb ich zu.
Die Faust mit der Waffe traf ihn im Sprung. Es war ein harter Schlag, der so manchen auf die Bretter geschickt hätte, nicht aber meinen Gegner. Zwar war er geschlagen, aber nicht außer Gefecht gesetzt. Und solche Leute waren die Gefährlichsten.
Er sprang mich an.
Wieder empfing ich ihn mit einem Hieb. Diesmal mit der linken Faust. Ich konnte seinen Drang nicht stoppen, er prallte gegen mich, doch der Treffer schüttelte ihn durch. Er bekam kaum noch Luft. Seine Arme schienen mit Blei gefüllt zu sein. Er hob sie und wollte mich packen. Viel zu langsam.
Ich stellte ihn mir zurecht. Dann schlug ich mit dem Waffenlauf zu. Schräg traf er den dicken Hals des Mannes, der mich mit dem Messer hatte umbringen wollen. Der Hieb raubte ihm sämtliche Kraft. Zuerst wankte er nur, dann wurden seine Augen glasig, und danach sackte er langsam in die Knie. Er wollte sich noch an mir festhalten.
Mit zwei Fingern tippte ich gegen seine Brust. Das reichte, um ihn vollends von den Beinen zu holen. Der Mann kippte in den Abfallhaufen und blieb liegen. Aus.
Der Bulle hätte mich fast geschafft. Ich holte keuchend Luft und spürte, wie sehr ich zitterte. Das war der nachträgliche Schock, der immer nach diesen Stresssituationen eintrat.
Die Ratten würden den Mann nicht anknabbern, die hatten Nahrung genug. Deshalb ließ ich ihn in dem Abfallhaufen liegen und betrat durch den Hintereingang die Bodega.
Conchita Duarte sang. Ich vernahm ihre leicht rauchige Stimme. Als ich die Tür aufstieß, saßen die Gäste still auf ihren Plätzen und lauschten der Frau, die auf einer provisorischen Bühne stand.
Conchita war sehr sexy. Manchen Männern war sie vielleicht zu schlank, aber mir gefiel ihre Figur. Sie trug einen schwarzroten, weit geschwungenen Rock und eine weiße Bluse, die sie über dem Bauchnabel zusammengeknotet hatte. Das Mädchen stammte aus Kuba und war irgendwann geflohen. Ihr schwarzes Haar fiel bis auf die Schultern. Es war zu unzähligen Locken gedreht. Die rote Blüte bildete einen besonderen Kontrast zu ihrer Haarfarbe.
Ich schob mich zwischen den Sitzreihen und Tischen entlang, bis ich den Platz erreichte, wo Bill Conolly saß. Er sah mich gar nicht, sondern blickte zur Bühne hin.
Eine dicke Rauchwolke lag über dem Raum. Der Boden war mit Sägespänen bedeckt, die den verschütteten Schnaps und das Bier aufsaugten. Dazwischen lagen unzählige Zigarettenkippen, und auch manch ausgeschlagener Zahn ließ sich dort finden. Ich setzte mich.
Bill Conolly schielte mich von der Seite her an. »Hat aber lange gedauert«, sagte er.
»Klar, ich hatte auch leichte Schwierigkeiten.«
In den Augen des Reporters blitzte es auf. »Wieso?«
»Man wollte mich erstechen.«
»Du bist verrückt!«
»Nein.« Ich berichtete im Flüsterton, was ich erlebt hatte. »Unsere Conchita scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben«, fügte ich noch hinzu.
»Sieht mir auch so aus.« Bill zündete sich eine Zigarette an. »Und jetzt?«
»Wir holen sie trotzdem.«
»Das meine ich auch.«
Wir warteten darauf, dass Conchita ihren Song beendete. Sie bewegte sich zum Rhythmus der Gitarrenklänge, die ein schwarzhaariger junger Mann seinem Instrument entlockte.
Ich sah mich um. Das Publikum war bunt gemischt. Es gab außer uns noch drei Weiße. Und die sahen verdammt heruntergekommen aus. Denen wollte ich auch nicht im Dunkeln begegnen.
Conchita war der große Star. Als sie ihr Lied beendet hatte, brach ein wahrer Beifallsorkan los, sodass man Angst haben konnte, die ganze Kneipe würde zusammenbrechen. Einige Männer sprangen auf, wollten zur Bühne und Conchita zu sich holen, doch sie kannte das Spiel und entwich den zupackenden Händen mit ein paar schnellen Bewegungen, sodass die Kerle ins Leere griffen und sich noch gegenseitig behinderten.
Hinter einer Theke stand der dicke Wirt. Er trug einen breitkrempigen Hut, mit dem er wohl auch ins Bett ging, denn bisher hatte er ihn nicht abgenommen. Wenn er sich zu weit vorbeugte, berührte die Krempe den Ventilator, der sich müde drehte.
Wir tranken Cola aus der Dose. Den Gläsern traute ich hier nicht. Die enthielten sämtliche Krankheitserreger zusammengenommen.
Bill sah auf die Uhr.
Ich stand auf. Wir konnten es wagen, denn Conchita hatte eine kleine Garderobe, in der sie sich umzog. Tagsüber sang und tanzte sie nur. Nachts, wenn die Stimmung besonders hochschlug, dann strippte sie auch.
»Man muss leben«, hatte sie uns erklärt.
Wir drängten uns dorthin, woher ich auch gekommen war. Es gab eine alte Holztreppe, die nach oben führte. Die Stufen knarrten unter unserem Gewicht.
Niemand folgte uns. Wir waren die Einzigen, die Conchita einen Besuch abstatten wollten.
Hier oben war es noch schwüler. Wir gingen durch einen schmalen Gang, von dem mehrere Türen abzweigten. Der Parfümgeruch wies uns den Weg. Vor der Tür blieben wir stehen.
Bill klopfte. Keine Antwort.
Ich drückte die Tür auf. Ein Schritt brachte mich über die Schwelle. Das Zimmer war mies. Ein wackliger Tisch, mit einem Spiegel darauf, der schon bessere Tage gesehen hatte. Ein Hocker davor, eine alte Liege und ein Tisch, auf dem eine Vase stand, in der ein paar verwelkte Blumen ihre Köpfe hängen ließen.
Conchita lag auf dem Bett. Blutüberströmt!
***
Wir waren zu spät gekommen!
Vielleicht nur um eine halbe Minute, aber zu spät. Das Fenster stand offen.
»Mein Gott«, sagte Bill und ging neben Conchita in die Knie. Er fühlte nach ihrem Puls.
»Und?«, fragte ich.
»Nichts zu machen, John. Sie ist tot. Verdammt, wer kann das nur getan haben?«
Das wollte ich auch wissen, stand bereits am Fenster, schwang mich hoch und kletterte hindurch. Hinter dem Fenster und mit ihm in gleicher Höhe begann sofort das Dach. Es lief schräg nach unten weg, hatte keinerlei Schindeln, sondern nur schmutzige Teerpappe.
Bis an den Dachrand kam ich, blieb stehen und blickte in den Hinterhof.
Der Messerheld lag noch immer auf dem Abfallhaufen. Diesmal jedoch war er nicht allein.
Gebückt stand vor ihm eine gewaltige Gestalt, die aus einem Albtraum entsprungen zu sein schien. Vampiro-del-mar!
***
Die beiden Taucher merkten nichts. Hier in der Tiefe und der absoluten Stille konzentrierten sie sich voll ganz auf ihre Arbeit. Sie wollten den größten der Särge öffnen, was wiederum nicht so einfach war, denn ihre Schläge wurden durch das Wasser gebremst, und sie mussten doppelt so viel Kraft aufwenden, wenn sie etwas erreichen wollten.
Der Vampir, der seinen Sarg verlassen hatte, trieb weiter. Eine günstige Strömung bewegte ihn auf die beiden Taucher zu. Hin und wieder schlenkerten seine Arme und Beine, als würden sie überhaupt nicht zu ihm gehören. Immer näher kam er.
Es war Montana, der es schließlich schaffte, das erste Schloss zu knacken. Die Pickelspitze drückte er unter das Schloss und benutzte sein Werkzeug als Hebel. Es klappte, das Schloss sprang auf, der schwere Riegel schnackte zurück.
Hinter seiner Tauchermaske grinste der Mann aus Montana. Er richtete sich wieder auf. Das genau war sein Fehler.
Der Vampir griff blitzschnell zu. Die Finger krallten sich um den Luftschlauch, zerrten daran, und bevor sich Montana versah, hatte der Vampir ihm das Mundstück zwischen den Lippen hervorgerissen. So schnell und überraschend, dass Montana Wasser schluckte und vergaß, seinen Mund zu schließen.
Sofort perlten Sauerstoffblasen aus der Öffnung und zerplatzten unter der Decke.
Montana fuhr herum. Er spürte den Ruck im Rücken, denn der Vampir dachte nicht daran, den Schlauch loszulassen. Im nächsten Augenblick starrte der Taucher in das aufgedunsene Gesicht des Blutsaugers.
Er hätte geschrien, wenn er nicht unter Wasser gewesen wäre. So zeichnete sich der Schrecken auf seinem Gesicht ab. Seine Züge schienen zu erstarren. Er sah zu, wie sich ihm die grauenhafte Gestalt näherte und ihren Mund aufriss. Zähne wir Dolche kamen zum Vorschein.
Jetzt erst wurde Simon Rock aufmerksam. Auch er glaubte sich im ersten Augenblick in einem Albtraum versetzt, sah aber, dass es keiner war, denn sein Freund wurde angegriffen.
Rock schwamm auf ihn zu. Das Tauchermesser hielt er in der rechten Hand. Damit stach er zu.
Er traf den Untoten in die Hüfte. Normalerweise hätte Blut aus dem Körper dringen müssen, das war nicht der Fall. Nicht ein Tropfen quoll aus der Wunde. Es war so, als hätte der Vampir überhaupt nicht bemerkt, dass er verletzt worden war.
Er wollte das Blut!
Montana wurde gegen die Wand gedrängt. An seine Waffen dachte er nicht mehr, er wollte nur Luft bekommen, sonst würde er hier elendig ersticken. Doch der Blutsauger hielt nach wie vor den Pressluftschlauch fest.
Wieder stach Simon zu.
Diesmal traf er den Hals des grausamen Wiedergängers, und abermals brachte das keinen Erfolg. Der Vampir schüttelte sich nur und drückte Montana zu Boden.
Simon zog das Messer aus dem Fleisch. Er hatte gesehen, dass es keinen Zweck hatte, es auf diese Art und Weise zu versuchen, deshalb musste er zu anderen Mitteln greifen.
Er wollte den Luftschlauch. Zuerst musste Montana das Mundstück zwischen die Zähne bekommen.
Da geschah es. Auch Simon Rock hatte nicht mehr auf die anderen Särge geachtet. Bis auf den einen, dessen Deckel sie lösen wollten, lagen die anderen Deckel ziemlich leicht auf den Särgen. Man brauchte nicht viel Kraft, um sie in die Höhe zu hieven.
Fünf Deckel öffneten sich. Fünf Hände erschienen. Bleiche Krallen, die sich um die Ränder der Särge klammerten und sich in die Höhe zogen. Fünf Vampire kletterten aus den Totenkisten, in denen sie so lange gelegen hatten.
Sie waren von einem wahren Blutrausch besessen, hatten die Jahrhunderte in den Särgen liegen müssen, und nun war die Zeit reif, dass man sie holte, denn sie hatten den Ruf ihres Kaisers empfangen.
Das Wasser trieb die Gestalten hoch. Sie waren, wie auch der erste Blutsauger, in der Kleidung ihrer Zeit angezogen. Sie trugen noch die Lumpen der Seeräuber, und sie waren bewaffnet. Mit Enterhaken, Säbeln, Äxten, Kurzschwertern und gefährlichen Dolchen.
Eine Armada des Schreckens, die sich da breitmachte. So lautlos, dass Simon Rock nichts hörte und Montana erst recht nicht, denn er stand schon kurz vor dem endgültigen Aus.
Der Vampir hielt noch immer den Luftschlauch fest. Aus der Öffnung des Mundstücks schäumten die Perlen wie eine lange Schnur, liefen dann auseinander und zerplatzten an der Decke.
Simon Rock wusste nicht, wie er den Schlauch in die Hände bekommen sollte, er kam an dem verdammten Vampir einfach nicht vorbei.
Den Arm abschneiden! Das war die einzige Chance.
Da kannte Simon auch keine Hemmungen mehr. Er brauchte sich nur seinen Partner anzusehen, der zusammengekrümmt im Wasser schwebte und beide Arme ausgebreitet hatte, wobei sein Kopf immer weiter nach vorn sank.
Der Vampir folgte ihm. Er beugte seinen Körper einfach nach vorn, um den anderen zu packen.
Im selben Augenblick stieß auch Simon Rock sich ab. Er musste jetzt den Arm kappen, sonst war alles verloren.
Der Hieb mit dem Entermesser riss seine Schulter auf. Es kam so überraschend, dass Simon Rock nicht wusste, wie ihm geschah. Er war wie gelähmt.
An der linken Schulter hatte ihn die Waffe getroffen, und als er hinschielte, sah er den dunklen Streifen, der aus der Wunde floss und sich rasch mit dem Wasser vermischte.
Sein Blut! Zum ersten Mal wurde Simon Rock bewusst, dass dieses Schiff zu einer Todesfalle geworden war.
Sein Partner Montana kämpfte inzwischen mit dem Tod. Durch ungeheure Selbstbeherrschung hatte er es bisher geschafft, die Luft so lange anzuhalten. Das war nun vorbei.
Unsichtbare Hände schienen seinen Mund aufzureißen. Er öffnete die Lippen, das Wasser strömte hinein, sein Gehirn schien sich auszudehnen, er hörte das Hämmern hinter seinen Schläfen, und jede Faser seines Köpers schrie nach Luft.
Er bekam keine. Es war aus. Noch eine letzte, grelle Explosion vor seinen Augen, dann stürzte er in den endlosen Schacht des Todes und versank für immer.
Die Vampire aber hatten ihr Opfer. Zwei von ihnen bissen zu. Sie hatten schon an Montanas Hals gehangen, als sein Herz noch geschlagen hatte, und ihm so das Blut ausgesaugt.
Übrig geblieben war noch Simon Rock. Er bekam weiterhin Luft, allerdings konnte er seinen linken Arm nicht mehr bewegen, und das Blut würde auch Haie anlocken, dessen war er sicher.
Trotzdem wollte er nicht aufgeben. Er musste hier weg, diesen verdammten Raum verlassen, aber die Blutsauger hatten sich einfach zu gut verteilt. Sie lauerten an allen Stellen, hatten die strategisch günstigen Punkte besetzt und bekamen sogar noch Verstärkung.
Ihr Anführer erschien. Der Deckel des größten Sargs wurde von einer unglaublichen Kraft aus der Verankerung gesprengt. Sofort quoll das Wasser in den Sarg, und zwei bleiche Hände erschienen.
El Sargossa kam, der Kapitän des Piratenschiffes. Er trug noch die alte Uniform des ehemaligen Piratenchefs. Bunt zusammengewürfelt, ebenso wie auch die Waffen, mit denen er sich behängt hatte. Sein Maul stand offen, er war ein Vampir, wie er im Buche stand. Seine Eckzähne schienen besonders lang zu sein, um an das Blut der anderen zu kommen.
Das alles sah auch Simon Rock. Er war Realist, und er rechnete sich aus, dass seine Chancen sanken. Nein, gegen diese Brut kam er nicht an. Die machten ihn fertig – eiskalt.
Die sieben Blutsauger schwammen oder trieben hin und her, während Montana zusammengesunken am Boden saß. Er war gar nicht gefallen. Als Rocks Blick über ihn streifte, geschah das in dem Augenblick, als Montana die Augen öffnete.
Simon erstarrte. Der Schreck hatte ihn bis ins Mark getroffen. Sein Kumpan öffnete nicht nur die Augen, nein, er tat auch noch etwas ganz anderes. Er stemmte sich hoch. Montana lebte!
Hinter der Taucherbrille weiteten sich Rocks Augen. Was er hier unter Wasser in diesem engen Stauraum, der von den lichtstarken Lampen erhellt wurde, sah, war ein wahr gewordener Albtraum. Alle Gruselgeschichten, die er gehört und auch selbst erzählt hatte, konnte man vergessen, wenn man das hier sah.
Montana öffnete seinen Mund, und Simon Rock sah die beiden spitz gewordenen Eckzähne, als sein Kumpel die Lippen zurückschob. Montana war ebenfalls ein Mitglied des schrecklichen Vampir-Reigens geworden!
Die gesamte Szene, das Erkennen der Wahrheit, hatte nur Sekunden gedauert. In dieser Zeitspanne hatten sich zwei Wiedergänger formiert, sie schwammen auf Simon Rock zu. Sie waren bewaffnet.
Beide hatten ihre Säbel gezogen. Leicht gekrümmte Waffen, die Klingen mit dickem Rost besetzt, aber dennoch brandgefährlich. Die Untoten wollten den Taucher damit angreifen.
Simon Rock glitt zur Seite. Fast hätte ihn der erste Säbel am Rücken erwischt. Er verfehlte ihn nur knapp. Der zweite aber stieß in seine Wade.
Abermals spürte Rock den glühend heißen Schmerz. Und in einer wilden Bewegung stach er mit dem Messer zu. Er hatte das Glück, eine Hand zu treffen, die nach dem Luftschlauch greifen wollte. Die Klinge fuhr in den Teller, und abermals drang kein Tropfen Blut aus der Wunde.
Die Vampire waren leer …
Rock schoss dem Boden zu. Obwohl sein Bein schmerzte, zog er es an und stieß es wieder vor. Er wollte so schnell wie möglich weg und schwamm dicht über die Planken auf die Öffnung zu, die sich schattenhaft in der Lukenwand abzeichnete.
Drei kamen von oben, um ihn den Weg abzuschneiden.
Er schwamm schneller.
Ebenso schnell war Montana. Seine Arme hielt er ausgestreckt, die Hände waren Krallen, damit wollte er zugreifen und seinen ehemaligen Partner erwürgen.
Simon Rock zog das Messer hoch.
Ein breiter roter Streifen war plötzlich auf der Brust des Vampirs zu sehen. Dieser Untote hatte noch Blut, das jetzt aus der Wunde quoll und verlief.
Simon hatte Glück. Die anderen waren um eine Idee zu langsam, und er schoss durch die Öffnung in den zweiten Stauraum hinein.
Die Lampe wies ihm den Weg. Der Raum war leer. Sein Herz machte einen regelrechten Freudensprung, vergessen waren die Schmerzen, als er seinen Rücken durchbog und hoch glitt, denn dort befand sich die Luke.
Simon Rock schaffte sie und schwamm über das Deck des gesunkenen Schiffes. Er wandte sich sofort nach links, wollte raus aus dem verdammten Talkessel und hatte plötzlich das Gefühl, von einem Hammerschlag getroffen zu werden.
Vor ihm kreisten drei Haie. Der Lampenstrahl fiel genau auf ein geöffnetes Maul der langen Zahnreihe.
Diesen Anblick verkraftete Simon Rock nicht. Er zögerte zu lange, zudem blutete er noch, und die drei Haie waren schnell wie der Blitz. Plötzlich tauchte der erste Rachen dicht vor dem Gesicht des Tauchers auf.
Im nächsten Augenblick schnappten die langen Zähne zu. Das Wasser schäumte auf, eine Mischung aus Luftperlen und Blut entstand, und Simon Rock hatte ebenfalls das Schicksal ereilt.
***
Der Anblick traf mich ziemlich hart.
Vampiro-del-mar war ein Supermonster. Ein Kaiser der Vampire. Allerdings der Uralt-Vampire, denn er hatte sie irgendwann vor langer Zeit angeführt, bevor er auf den Meeresgrund verbannt worden war. Wieso und warum, das war mir bis heute ein Rätsel geblieben. Nur eins zählte: Ich hatte es mit dem wiedererstarkten Monster zu tun, das gegen Silberkugeln immun war.
Er war größer als ein Mensch. Ein halber Riese, wie Tokata, der Samurai des Satans. Sein graues Haar schien nur aus borstigen Strähnen zu bestehen, das Gesicht wies Narben und Risse auf, und die Zähne waren am allerschlimmsten.
Es waren Reißer, die wie Stahlstifte in seinem Maul saßen. Besonders stachen natürlich die Eckzähne hervor. Sie waren so lang, wie ich sie noch nie bei einem Vampir zuvor gesehen hatte, sodass mich dieser Blutsauger an einen Säbelzahntiger erinnerte.
Was er mit diesem bärtigen Mann vorhatte, war klar. Er sollte auf die gleiche Art und Weise sterben wie Conchita, denn für mich gab es keine Zweifel, dass Vampiro-del-mar der Mörder des Mädchens war.
Ich schätzte kurz die Entfernung ab. Okay, bis zum Hof musste ich es packen können, das war kein großes Kunststück. Ich sprang.
Bis jetzt hatte mich der Kaiser der Vampire noch nicht gesehen, doch als ich hinter seinem Rücken aufkam und er das Geräusch hörte, da fuhr der riesige Blutsauger herum.
Ich zog mein Kreuz. Es rutschte unter dem Hemd hervor und lag nun frei auf meiner Brust. Die Sonne schien darauf, das Metall reflektierte und schien grell zu explodieren.
Vampiro-del-mar vergaß sein erstes Opfer, jetzt hatte er nur noch Blicke für mich.
Er wollte mich töten. Unbedingt und mit aller Macht. Jeder Vampir hatte Angst vor einem Kreuz, nur dieser nicht, denn er stammte aus einer Zeit, als es noch keine christliche Religion gegeben hatte und somit nicht dieses Abwehrmittel gegen Blutsauger.