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Sammelband 5: Drei gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis!
John Sinclair - das besondere Gruselerlebnis: Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John mit so bekannten Gegnern wie Asmodis, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 13 bis 15 der John Sinclair Sonder-Edition:
13: Hexenwahn
14: Tokatas Todesspur
15: Der Dämonen-Parasit
Tausende Fans können nicht irren - über 320 Seiten Horrorspaß garantiert!
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Seitenzahl: 542
Veröffentlichungsjahr: 2018
Jason Dark
John Sinclair Sonder-Edition Sammelband 5 - Horror-Serie
Cover
Impressum
Hexenwahn
Vorschau
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Hexenwahn
von Jason Dark
In den Augen des Mannes leuchtete ein fanatischer Glanz, als er langsam an den Schrank herantrat und seine Arme ausstreckte. Die Finger waren dabei gespreizt und zitterten leicht, denn die Erregung des Mannes übertrug sich auf seinen gesamten Körper und ließ keine Stelle aus.
Endlich hatte er es geschafft. Er hatte lange geforscht und immer wieder Enttäuschungen einstecken müssen. Nun gab es kein Zurück mehr. Er hatte das Ziel seiner Wünsche erreicht.
Seine Hände strichen über das dunkle Holz. Es war fast schwarz, und der Mann roch noch die scharfe Beize. Die Oberfläche des Schranks, der etwa in Kopfhöhe an der Wand hing, glänzte matt. Oberhalb der kleinen zweiflügeligen Tür war jedoch ein Name zu lesen. Man hatte jeden Buchstaben in das Holz eingeritzt, und die Furchen waren mit dem Blut eines Menschen ausgemalt worden.
DEVIL. Nur dieses eine Wort stand dort. Devil hieß Teufel, und der Besucher brauchte den Teufel, so wie er ihn schon immer gebraucht hatte, denn erst durch den Satan war er zu Macht und Einfluss gelangt.
Noch fehlte etwas, damit er die große Hochzeit vollziehen konnte. Deshalb hatte er sich so bemüht, den geheimnisvollen Schrank zu finden. Nun stand er davor.
Die Türen waren glatt und verschlossen. Einen Schlüssel, um sie zu öffnen, besaß der Mann nicht. Doch da gab es eine alte Überlieferung, die besagte, dass sich die Tür öffnen würde, wenn ein schwarzmagisch Geweihter sein Blut für diesen Schrank spendete.
Blut wollte der Mann gern geben. Wenn es sein musste, alles. Denn er glaubte fest daran, dass er nicht sterben würde. Satan ließ keinen Diener im Stich.
So viel Blut wurde überhaupt nicht benötigt. Es reichten bereits ein paar Tropfen. Der Mann griff in die Tasche und holte ein kleines Messer hervor. Für einen Moment blitzte die Klinge auf, als er sie etwas hastig bewegte. Er zuckte nicht einmal zusammen und blickte nur auf seinen linken Zeigefinger, der von dem kleinen Messer angeritzt worden war. Blut quoll aus der Wunde. Menschenblut …
Blut für den Teufel!
Der Mann hob seinen linken Arm an und hielt ihn so hoch, dass das Blut nicht aus der kleinen Wunde auf das Oberteil des Schranks tropfen konnte. Der erste Tropfen fiel. Er berührte das dunkle, matt glänzende Holz, und der Mann beobachtete mit Spannung, was geschah. Würde der Schrein das Opfer annehmen?
Es zischte. Plötzlich stieg Dampf auf, und in den Dampf hinein fiel der zweite Tropfen. Wieder ein Zischen. Geruch von Schwefel und Verbranntem traf die Nase des Mannes. Dann löste sich der dritte Blutstropfen von seinem Finger.
Sieben mussten es sein. Sieben Blutstropfen für den Teufel! Und er bekam sie, während der Spender seine Hand hochhielt und mit zitternden Lippen mitzählte. Der sechste – der siebte!
Es war geschehen. Hastig zog der Mann seine Hand zurück. Er schüttelte sie. Weitere Tropfen fielen aus der Wunde und zeichneten auf dem Boden ein rotes Muster.
Er hatte gespendet. Wenn der Satan seine Spende annahm, dann musste jetzt etwas geschehen. Die Türen sollten sich öffnen, um ihm zu zeigen, wie …
Die Gedankenkette des Mannes riss. Vom Oberteil des Schrankes lösten sich beißende Nebelschwaden, die den Schrank selbst von allen Seiten wie ein Tuch einhüllten. Sie bildeten einen regelrechten Ring, der in der Luft stehen blieb und sich nicht weiter ausbreitete, sodass er an einen schützenden Ring erinnerte.
Noch blieb alles still. Der Mann hörte nicht das geringste Geräusch, das auf einen Erfolg hinweisen könnte. Hatte er sich verrechnet? War alles falsch gewesen? Waren seine Forschungen, sein langes Suchen, umsonst? Nein, das durfte nicht sein, die Hexenhochzeit musste stattfinden. Niemand durfte sie stören, denn die Gegner waren zu stark geworden. Mit sicherem Instinkt hatten sie die Hexen aufgespürt, und sie wollten sie verbrennen.
Das Mittelalter kehrte zurück …
Noch waren die Hexen nicht stark genug, aber Satan sollte ihnen die Stärke geben. Und das konnte er nur dann, wenn die Tür sich öffnete.
Sie tat es! Es begann mit einem leisen Knarren. Die Blicke des Mannes hingen gebannt an den beiden Türen, die so zitterten, als würde jemand an dem Schrank herumrütteln. Dann schwangen sie auf. Zuerst die rechte Tür. Das geisterhafte Knarren verstärkte sich. Es war eine schaurige Begleitmusik.
Der Mann ballte die Hände zu Fäusten. Seine Fingernägel gruben sich tief in das Fleisch der Handballen. Aufgeregt fuhr die Zunge über die spröde gewordenen Lippen. Die sonnengebräunte Haut über seinen Gesichtsknochen wirkte wie straff gespanntes Leinen.
Ein Knall! Mit einem heiseren Schrei fuhr der Mann zurück, als aus der Öffnung der Kopf einer Schlange fuhr. Grünlich schillernd mit einer langen Zunge, und der Mann spürte auf seiner Stirn, genau zwischen den Augen, einen scharfen Schmerz.
Er war nicht schnell genug gewesen. Die Schlange hatte ihn dennoch erwischt.
Der Mann taumelte zurück. Er hob seine Hände und presste sie gegen das Gesicht. Noch immer rann aus der kleinen Wunde, die er sich selbst zugefügt hatte, das Blut. Es schmierte auf seiner Haut und gab ihm ein schauriges Aussehen.
Der hochgewachsene Mann mit dem dunkelbraunen, fast schwarzen Haar taumelte und drehte sich dabei im Kreis. Schwer machte ihm der plötzliche Biss der Schlange zu schaffen. Er spürte, wie ihm die Luft knapp wurde, ließ die Arme sinken und schnappte verzweifelt nach Sauerstoff, wobei er den Mund so weit aufgerissen hatte, wie es eben ging. Die Augen drohten aus den Höhlen zu treten, und er spürte einen Druck im Kopf, sodass er das Gefühl hatte, sein Schädel würde jeden Augenblick auseinanderfliegen.
Er fiel. Schwer krachte er auf die Knie, hielt sich noch für einen winzigen Moment und kippte nach vorn. Langsam, fast im Zeitlupentempo, wobei er sich nicht einmal wehtat.
Aus!, schrie es in ihm. Du hast versagt! Es ist vorbei. Der Teufel hat dein Opfer nicht angenommen. Er hat dir nicht verziehen, dass du damals nicht …
Nein, alles war anders. Es ging ihm plötzlich besser. Viel besser als zuvor. Das Gift der grünen Schlange änderte seine Wirkung und kehrte sie sogar ins Gegenteil um. Der Mann fühlte sich wie aufgeputscht.
Als gewaltiger Strom drang die Kraft in seinen Körper. Er richtete sich wieder auf, sein Gesicht verkantet, die Augen glühten voller Fanatismus, der Atem der Hölle wehte in ihm, der Teufel hatte sich seiner erbarmt. Er war wieder jemand!
Der Mann merkte überhaupt nicht, wie er auf die Beine gekommen war. Er stand plötzlich da und sah den Schrank an. Und der war offen. Ein paar Schritte brachten den Mann so weit an den Gegenstand heran, dass er ihn anfassen konnte. Vor allen Dingen wollte er hineinsehen. Und das tat er auch.
Das Innere des Schranks sah so aus, wie es in den alten Büchern beschrieben worden war.
Die Rückwand war mit pechschwarzem Samt bespannt. Das musste auch so sein, denn umso deutlicher hob sich das ziegenköpfige Gesicht des Satans in seiner blutroten Farbe ab.
Der Teufel grinste den Mann an. Von der Schlange war nichts mehr zu sehen. Dann begann der Teufel zu reden. Er zischte jedes Wort, und zwischen seinen stiftförmigen Zähnen drangen kleine, grüne Wolken hervor, die augenblicklich zerflatterten, als sie aus dem Hängeschrank quollen.
»Du hast die Probe bestanden«, sagte der Teufel. »Willkommen, Gordon Schreiber …«
***
Der pechschwarze Jaguar sah aus wie ein zum Sprung geducktes Raubtier. Er parkte am Straßenrand. Die nächste Bogenleuchte befand sich mehr als dreißig Yards weiter, und ihr bläulich schimmerndes Licht erreichte nicht einmal mit seinen Ausläufern den Wagen.
Das Fenster an der Fahrerseite war einen Spalt hinunterlassen worden, sodass der Rauch des würzigen Zigarillos Platz fand, nach draußen an die Luft zu kriechen.
Es war kalt in dieser Nacht. Ein klarer Himmel spannte sich über London, und die Sterne blitzten wie kleine Diamantsplitter. Längst waren die Temperaturen unter den Gefrierpunkt gesunken, und mit Glatteis in den frühen Morgenstunden mussten die Autofahrer immer rechnen.
Hin und wieder glühte es in dem Wagen auf. Immer dann, wenn die Person an ihrem Zigarillo zog. Sie passte in dieses Fahrzeug, denn wenn man etwas suchte, mit der man sie vergleichen konnte, dann musste man wirklich an ein Raubtier denken. Allerdings an ein zweibeiniges.
Die Person hinter dem Lenkrad war eine Frau. Schwarz wie Kohle präsentierte sich ihr langes Haar, das genau über der Stirn einen Mittelscheitel zeigte. Ebenso schwarz waren auch die Augenbrauen, die glatt auf der hellen Haut wuchsen, wobei nur die Wangen mit den hochstehenden Knochen einen rosigen Schimmer zeigten. Die Pupillen erinnerten an dunkle Perlen auf weißen Kissen, die Nase war klein und vielleicht ein wenig zu breit. Unter der schmalen Oberlippe begann ein Mund, dessen Winkel einen zynischen Zug zum Kinn hin zeigten und ahnen ließen, dass mit dieser Person nicht gut Kirschen essen war.
Das stimmte auch, denn die Frau in dem dunkelblauen, eng anliegenden Kostüm war keine Geringere als Wikka, die oberste aller Hexen auf der Erde.
Überall auf der Welt gab es Kulte und Vereinigungen, die nur ihr huldigten. Wikka war das Sinnbild aller Hexen. Sie betete man an, ihr wurde gehuldigt, und sie hatte es geschafft, die einzelnen Hexenklubs auf der Welt zu verbinden. Sie waren wie in einem gewaltigen Netz gefangen, in dessen Mittelpunkt Wikka wie die fette Spinne saß und alles beobachtete.
Diesmal hatte sie der Weg nach London und damit zu einem Mann geführt, der sich seit einiger Zeit hier aufhielt und die Hexenklubs in der Stadt aktivierte. Der Zulauf zu diesen Klubs war in den letzten Jahren enorm geworden. Die Menschen hatten es einfach satt, nur seelenlose Maschinen einer Industriegesellschaft zu sein. In den Klubs wurden sie nicht so offen unterdrückt, da konnten sie ihren Trieben frönen und Exzesse ausleben.
Wikka liebte so etwas. Sie brauchte dies. Je mehr Dienerinnen und Diener, desto stärker wurde ihre Macht, besonders jetzt, wo die Kraft der Teufelstochter Asmodina langsam aber sicher schwand. Wikka wollte ein Gegengewicht aufbauen, die Menschen sollten keine Ruhe finden, sie sollten wissen, wo sie hinkommen konnten, wenn sie alles anwiderte. Der Teufel konnte jeden brauchen.
Doch Wikka hatte auch viele Feinde. Vor allem in London, wo nicht nur der Geisterjäger John Sinclair, ein Erzfeind des Bösen, lebte, sondern sich auch Menschen zusammengefunden hatten, die eine Gegenbewegung aufzogen.
Sie bezeichneten sich selbst als moderne Hexenjäger und verfolgten die Personen, die sie als angebliche Hexen erkannt hatten, mit unbarmherziger Härte. Das ging so weit, dass sie wie im Mittelalter Scheiterhaufen anzündeten, um die Hexen zu verbrennen. Dabei kamen auch Unschuldige um, aber einige Hexen hatten sie tatsächlich verbrannt. Bisher war dies alles nur im Geheimen geschehen, und es hatte auch fast ein Jahr gedauert, doch nun war etwas an die Öffentlichkeit gedrungen, und die Polizei hatte sich eingeschaltet.
Das war in diesem Fall der Geisterjäger John Sinclair. Von ihm ging eine ebenso große Gefahr aus wie von den Hexenjägern. Nur entsprachen Sinclairs Methoden dem geltenden Gesetz, während sich die eigentlichen Hexenjäger darum nicht kümmerten. Das alles wusste Wikka, und das war auch ihrem Freund, Gordon Schreiber, bekannt, einem Günstling des Teufels, der mit Wikka die Hexenhochzeit zelebrieren sollte.
Wikka war einverstanden, denn es schadete nicht, wenn ihr ein Verbündeter zur Seite stand. Schreiber hatte Einfluss, er kannte den Jetset, hatte allerdings schon eine Niederlage erlitten. Die verdankte er John Sinclair. Der Geisterjäger und seine Freundin Jane Collins hatten ihn aus der Seelenburg vertrieben. Das vergaß Schreiber nie. Seit dieser Zeit verfolgte er die beiden mit glühendem Hass.1)
Er war auch deshalb nach London gekommen, um Rache an ihnen zu nehmen, vor allem an der blondhaarigen Jane Collins, die, wenn alles glattging, die Hexenhochzeit mitfeiern sollte. Allerdings als Blutopfer für den Teufel.
Dies waren Zukunftsgedanken, mit denen sich Wikka beschäftigte. Erst einmal musste Gordon Schreiber den Schrein finden und ihn herbringen. Als Wikka daran dachte, drehte sie den Kopf. Versteckt hinter den kahlen Bäumen eines großen Vorgartens lag das einsame Haus. Es hatte mal einem Adeligen gehört, war dann verkauft worden und stand seit zehn Jahren leer. Niemand hatte sich für das Gebäude interessiert, das dennoch einen so kostbaren Schatz in sich barg wie den geheimnisvollen und doch mächtigen Teufelsschrein.
Wikka warf einen Blick auf die Uhr an dem mahagonigetäfelten Armaturenbrett. Mitternacht war vorbei. Eigentlich musste Gordon Schreiber den Schrank schon geöffnet haben. Dass etwas schiefgehen konnte, daran glaubte sie nicht. Schreiber war ebenso würdig wie sie, denn nur Würdige durften den Schrein öffnen.
Asche fiel vom Zigarillo und stäubte auf Wikkas Beine. Sie blies das Zeug weg und richtete sich wieder auf, als plötzlich mit einem Ruck die Beifahrertür aufgerissen wurde und sich ein Mann in den Jaguar warf.
Er hielt eine Pistole in der Hand und drückte die Mündung gegen Wikkas Hals.
»Hab ich dich endlich!«, zischte er voller Hass.
***
Wikka blieb ruhig sitzen. Sie verspürte keine Angst. Ihre Hände lagen auf dem Lenkrad.
Dieser Mann war ihr schon seit Tagen auf den Fersen. Sie wusste sogar seinen Namen. Clint Cannon hieß er, hatte früher mal als Filmschauspieler gearbeitet und war dann Privatdetektiv geworden, als seine Streifen nicht mehr gefragt waren.
Irgendjemand hatte ihm den Auftrag gegeben, Wikka zu beobachten. Da Cannon dafür bekannt war, einen Job schnell und kompromisslos auszuführen, hatte er sich sofort auf die Spur der Hexe gesetzt. Er war verbissen gewesen und hatte es tatsächlich geschafft, Wikka zu finden.
Und nun saß er neben ihr. Mit einer geladenen Pistole, deren Mündung den Hals der Frau berührte.
»Was wollen Sie jetzt machen?«, erkundigte sich Wikka. Sie blieb noch immer starr sitzen und blickte durch die breite, leicht gebogene Frontscheibe.
»Wenn du irgendwelche Tricks versuchst, werde ich dich umbringen, Hexe!«
»Ich verstehe.«
»Dann ist es ja gut.« Clint Cannon verzog das Gesicht und atmete heftig. Ein wenig ähnelte er dem französischen Schauspieler Belmondo, und bei manchen Frauen hatte er gute Chancen. Er stand in dem Ruf, mit Klientinnen ins Bett gestiegen zu sein, aber bei dieser Hexe würde er nie schwach werden.
»Wollen wir hier sitzen bleiben?«
»Nein«, erwiderte der Detektiv. »Du steigst mit mir zusammen aus. Dann gehen wir zu meinem Wagen …«
»… und fahren zu Ihrem Auftraggeber. Stimmt’s?«
»Genau.«
»Wer ist es denn?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren. Auf jeden Fall ein Mann, der dich bestimmt nicht am Leben lässt.«
»Möglich.«
»Keine Angst?«
»Nein.«
Clint Cannon lachte. »Ach ja, ich vergaß, du bist ja eine Hexe.« Er zog die Nase hoch und drückte mit der Mündung fester zu. »Wo bleiben denn deine Fähigkeiten, Wikka? Wenn du tatsächlich eine Hexe bist, dann musst du sie auch anwenden.«
»Lass dich überraschen.«
»Okay, Hexe, ich lasse mich überraschen. Aber wir spielen nach meinem Takt. Dreh dich jetzt vorsichtig zur Seite, und steig aus. Eine falsche Bewegung, und ich jage dir die Kugel in den Schädel. Ich glaube kaum, dass du dagegen gefeit bist.«
»Wohl nicht.«
Dann sind wir uns ja einig.« Clint Cannon grinste. Das hatte besser geklappt, als er dachte. Alles war wunderbar gelaufen. Er hatte mit stärkerem Widerstand gerechnet, umso mehr freute es ihn, dass alles so glatt über die Bühne lief.
Wikka war nicht angeschnallt. Um jedoch an den Hebel der Tür zu gelangen, musste sie sich ein wenig zur Seite beugen. Sie tat es langsam, damit der andere nur nicht auf falsche Gedanken kam.
Cannon passte auf. Keine Sekunde ließ er die Frau aus den Augen, die ihm den Rücken zuwandte und die Wagentür aufstieß, die weit nach außen schwang. Kalte Luft strömte in den Wagen und vertrieb den letzten Rest des Zigarillorauchs.
Wikka verließ das Fahrzeug. Sie bewegte sich geschmeidig und stand kaum draußen, als Clint Cannon einen Befehl zischte.
»Halt, nicht weiter! Bleib so stehen!«
Die Hexe gehorchte. An der linken Seite deckte sie die offen stehende Tür. Rechts war der Weg frei. Cannon warf einen schnellen Blick dorthin und sah einen schmalen Bürgersteig, der leer und verlassen war. Weiter hinten verlief er in der Dunkelheit, die sich wie das riesige Maul eines Drachens präsentierte.
Der Detektiv rutschte auf den Fahrersitz. Dass die Mündung der Waffe dabei immer auf den Rücken der schwarzhaarigen Wikka wies, war kein Zufall, sondern Können. Der Detektiv hatte Routine. Nicht umsonst zählte man ihn zu den besten Schnüfflern Londons.
»Geh einen Schritt vor!«, befahl er der Hexe, als er auf dem Fahrersitz saß. »Und lass die Finger von der Tür. Den alten Trick kenne ich. Meine Kugel ist schneller. Du wirst es nicht schaffen, mir die Tür entgegenzuschleudern.«
»Keine Bange. Zu so billigen Tricks greife ich nicht, mein Junge.«
»Zu welchen dann?«
»Lass dich überraschen.«
Nach dieser Antwort spürte Wikka die Mündung der Pistole in ihrem Rücken. Clint Cannon war ausgestiegen und stand hinter ihr.
»Nach rechts!«, ordnete er an.
»Und wohin da genau?«
»Wir machen einen Spaziergang zu meinem Wagen. Er steht ein wenig weiter. Ich musste sicher sein, dass du mein Kommen nicht bemerktest.«
»Vielleicht habe ich es.«
»Nein.« Clint Cannon lachte breit. »Dann hättest du anders reagiert, Hexe!«
Sie gingen hintereinander. Cannon hielt immer den nötigen Abstand, um sich nur nicht überraschen zu lassen. Er kannte die Spielregeln. Wohl allerdings fühlte er sich auch nicht. Die Gegend war sehr einsam. Das Haus, vor dem der Jaguar geparkt hatte, war das einzige in der Nähe. Cannon wusste auch, dass die Hexe nicht allein unterwegs gewesen war. Sie hatte noch einen Begleiter, der sich im Haus befand, denn Cannon hatte ihn hineingehen sehen.
Wikka war gefährlich. Auch wenn ihr Gang, der wiegend und irgendwie erotisch wirkte, darüber hinwegtäuschen konnte. Clint Cannon ließ sich nicht beirren. Er hatte diese Hexe genau studiert und wusste, wie er sie einzuordnen hatte.
»Sie machen einen Fehler«, sagte Wikka plötzlich.
»Das lassen Sie mal meine Sache sein.«
»Wirklich!« Die Hexe blieb stehen.
»Weitergehen!«, zischte der Detektiv.
Wikka kümmerte sich nicht um den Befehl. Sie drehte sich sogar um. Deshalb bekam sie den Lauf der Pistole nicht in den Rücken, sondern in den Magen.
»Du gehst weiter, Hexe!«
Da lächelte Wikka. »Bis jetzt habe ich das Spiel mitgemacht. Denn irgendwie mag ich dich, Detektiv. Nun ist es aus. Ich habe keine Lust mehr, durch dich meine Pläne gefährdet zu sehen. Entweder stellst du dich auf meine Seite, oder du stirbst!«
Nach dieser Drohung war es einen Moment lang still zwischen den ungleichen Personen. Cannon spürte nur die Kälte, die langsam ihren Weg durch seine Kleidung fand. Der Atem dampfte vor seinem Mund. In seinen Augen blitzte es.
»Nun?«, fragte Wikka. »Wie hast du dich entschieden, mein Freund?«
»Geh weiter!«
»Du stellst dich also nicht auf meine Seite?«
»Nein.«
»Dann bist du an deinem Tod selbst schuld, Detektiv«, erwiderte die Hexe. »Schau mich an!«
Das tat Clint Cannon tatsächlich. Er blickte der Hexe ins Gesicht, und er sah in ihre Augen.
Waren das wirklich Augen? Clint Cannon kamen sie nicht so vor. Nein, das waren gefährliche Löcher, dunkle Höhlen, tief, unergründlich. Pechschwarze Perlen aus einem verwunschenen Reich. Augen, die ihn anzogen, die …
»Ja, komm näher …« Wie aus weiter Ferne vernahm Clint die Stimme der Hexe.
Verdammt, er wollte doch nicht. Nein, sie war sein Feind. Er durfte sich nicht einlullen oder hypnotisieren lassen. Er musste diese Hexe seinem Auftraggeber bringen. Er durfte sich jetzt nicht fertigmachen lassen.
Er hob den rechten Arm und drehte gleichzeitig seinen Kopf, weil er ihr nicht mehr in die Augen blicken wollte. Da sah er das Unfassbare. Aus ihren Haaren knapp oberhalb der Ohren waren plötzlich Schlangen gewachsen. Zwei fingerdicke, grün schillernde Schlangen, die sich dem Detektiv entgegenringelten, vorstießen und zubissen.
***
Die rechte Schlange erwischte ihn zuerst. Ihr Biss erreichte seine Wange.
Der Detektiv zuckte zusammen. Er spürte noch den kurzen, stechenden Schmerz und fiel zur Seite, genau mit dem Gesicht der anderen Schlange entgegen.
Wieder ein Biss. Clint Cannon brach in die Knie. Er streckte seine Arme aus, als wollte er sich an Wikka abstützen. Die dachte nicht daran, ihm das Sterben zu erleichtern. Sie trat kurzerhand einen Schritt zurück und begann zu lachen.
Clint Cannon fiel auf die Knie. Der Aufprall war verflucht hart. Er spürte ihn bis in den letzten Winkel seines Gehirns. Vor seinen Augen leuchteten Sterne auf. Blitze, die Zickzack fuhren und irgendwo einschlugen. Das Pflaster des Bürgersteigs drehte sich vor seinen Augen. Es wurde zu einem rasenden Wirbel, in den etwas hineintropfte. Von seinem Kopf! Blut und Haut. Sie bildeten ein Gemisch, fielen einfach ab und blieben liegen.
Neiiin! Es war ein letzter, verzweifelter, aber auch stummer Aufschrei in seinem Innern. Danach war es um Clint Cannon, den Privatdetektiv, endgültig geschehen. Lang fiel er auf den Bürgersteig und blieb liegen.
Als Toter …
Wikka stand neben ihm. Sie sah aus wie immer. Die beiden Schlangen hatten sich wieder zurückgezogen. Diese beiden Tiere und die Hexenaugen waren Wikkas gefährlichste Waffen, denn sie verdankte dem Teufel persönlich, dass sie sich auf diese Art und Weise so gut wehren konnte.
Das Lächeln auf ihren Lippen war breit und zeigte all die Verachtung, zu der Wikka fähig war. »Narr!«, flüsterte sie, wobei sie auf die Leiche blickte. »Verfluchter Narr. Du hättest mitmachen sollen.«
Dann drehte sie sich um, weil sie hastige Schritte hörte. Gordon Schreiber lief herbei. Er atmete heftig und ruderte während des Laufens mit den Armen.
Neben Wikka blieb er stehen. Er blickte zuerst sie an, dann den Toten auf dem Bürgersteig. »Wer ist das?«
»Ein Detektiv, der mich schon lange verfolgt hat. Wahrscheinlich gehört er zu den Hexenjägern.«
»Du hast ihn erledigt?«
»Natürlich.«
»Das war gut. Der Knabe hätte uns alles verdorben.« Schreiber bückte sich. »Weißt du, für wen er gearbeitet hat?«
»Nein, er hat nichts gesagt.«
»Das ist natürlich dumm.« Schreiber fasste den Toten an der Schulter und wälzte ihn auf den Rücken.
Ein normaler Mensch wäre zurückgezuckt, hätte er das Gesicht des Mannes gesehen. Es war nur noch eine blutige Masse, nicht mehr menschlich zu nennen. Schreiber aber interessierte es nicht. Seine Hände glitten unter die pelzgefütterte Jacke, und die Finger tasteten sich bis zur Innentasche vor. Wahrscheinlich trug dieser Mann Papiere bei sich, und vielleicht ließ sich auch irgendein Hinweis auf den Auftraggeber finden.
Schreiber holte die Brieftasche hervor und öffnete sie. Ein Ausweis und das Bild eines Mädchens fielen ihm in die Hände. Beides interessierte ihn vorerst nicht. Viel wichtiger war ein schmaler Brief, dessen weiße Papierkante aus einem Fach in der Brieftasche hervorlugte.
Mit spitzen Fingern zog ihn Schreiber hervor. Er blickte sofort auf den Absender und öffnete erst dann den Umschlag.
Geld fiel ihm in die Hände. Eine Tausend-Pfund-Note. Mehr allerdings nicht.
»Und?«, fragte Wikka.
»Harold Doyle!«
»Was?«
»Ja, dieser Kerl hat für Harold Doyle gearbeitet, meine Liebe. Jetzt wissen wir mehr.«
»Doyle also.«
Überrascht sah Schreiber die Hexe an. »Das hört sich an, als würdest du ihn kennen.«
»Doyle ist ziemlich mächtig. Er hat Einfluss in der Politik und steht sehr auf der rechten Seite. Zudem ist er Grundstücksmakler und besitzt ein großes Vermögen.«
»Aber was hat er gegen uns?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Wikka. »Wir werden es jedoch herausfinden.« Sie warf ihre langen Haare zurück, damit ihr Scheitel wieder ordentlich lag. »Jetzt etwas anderes. Hast du den Schrein gefunden, Gordon?«
Schreiber nickte heftig. »Ja«, sagte er. »Ich habe ihn gefunden. Er ist wunderbar. Das Gesicht des Teufels schimmert auf schwarzem Samt. Eine Schlange kam hervor und hat mich gebissen, aber ich bin nicht gestorben und wurde auch nicht verletzt. Im Gegenteil, alles wurde sogar besser.«
»Das ist ja wunderbar«, entgegnete Wikka. »Dann bist du der richtige Partner.«
»Hattest du daran gezweifelt?«
Die Hexe schob die Unterlippe vor. »Ein wenig schon. Ich brauchte hundertprozentige Gewissheit, denn der Kampf gegen die Hexenjäger wird ungemein viel Kraft kosten. Erst wenn wir London von unseren Feinden gesäubert haben, können wir darangehen, unsere Machtposition aufzubauen.«
»Zählst du da auch Sinclair hinzu?«
»Ja. Ihn und auch deine spezielle Freundin Jane Collins, um die wir uns als Nächste kümmern. Sie hat dir nicht umsonst eine Niederlage beigebracht.«
»Nein«, erwiderte der Mann, »das hat sie wirklich nicht. Dafür wird sie auch das Opfer sein, das bei unserer Hochzeit stirbt.«
Wikka lachte. »So ist es richtig, mein Lieber.«
***
»Schuldig«, sagte der Erste.
»Schuldig.« So sprach auch der Zweite.
Der Dritte und Vierte stimmten zu. Und auch der fünfte Vermummte zögerte nicht.
Vermummt waren sie alle. Sie trugen lange, rote Kutten. Aus dem gleichen Material und von der gleichen Farbe waren auch die Kapuzen, die ihre Gesichter bedeckten. Nur Löcher für ihre Augen und Münder waren zu sehen, ansonsten verdeckten die Kapuzen ihre Köpfe völlig. Das hatte seinen Grund. Sie wollten nicht erkannt werden, denn sie gehörten dem geheimnisvollen und verbotenen Klub der Hexenjäger an. Es waren die fünf Männer, die Londons Hexen jagen und verbrennen wollten.
Irgendwie erinnerten sie in ihrer Verkleidung an die Mitglieder des Ku-Klux-Klan, der in den Staaten immer mehr Auftrieb und neue Mitglieder gewann. Nur trugen diese Männer hier in London keine weißen Kutten, sondern dunkelrote, wie ihre großen Vorbilder aus den Zeiten der Inquisition.
Sie hatten den Klub schon vor einiger Zeit gegründet und trafen sich immer heimlich. Es waren abgelegene Orte und Plätze in der Riesenstadt London. Davon gab es noch zahlreiche, auch wenn das kaum zu fassen war, bei so einem Bevölkerungspotenzial.
Für diese Nacht hatten sie sich einen Schrottplatz ausgesucht. Er lag in Southwark, nicht weit von den Hafenanlagen entfernt. Aber er diente nicht nur als Schrottplatz, sondern auch als Müllkippe. Das war zu riechen.
Auf Müllkippen kohlte und kokelte immer etwas. Der Wind trieb den beißenden und streng riechenden Rauch auf die Männer zu. Die Hügelspitzen der hohen Abfallhaufen waren in zitternde Wolken gehüllt, die aus dem Innern hochstiegen.
Über ihnen lag ein klarer Nachthimmel. Es war kalt, und es würde Frost geben. Die fünf Vermummten waren unter ihren blutroten Gewändern dick angezogen. Im Gegensatz zu der jungen Frau, um die sie einen Kreis gebildet hatten.
Sie war vielleicht neunzehn oder zwanzig Jahre alt und lag am Boden. Ihr Gesicht zeigte Spuren von Schlägen, die Haut war aufgeplatzt, und die Kleidung hing nur noch in Fetzen am Körper herab.
Sie hieß Celia und sollte eine Hexe sein, das hatten die fünf Vermummten beschlossen. Sie bezeichneten sich als den harten Kern der Hexenjäger und waren dabei, ihre verbrecherische Organisation weiter auszubauen.
»Schuldig für den Scheiterhaufen!« Die Stimme hinter der Kapuze klang dumpf, und die anderen vier Männer nickten, während die auf dem Boden sitzende Celia angstvoll in die verdeckten Gesichter starrte.
Endlich fasste sie sich ein Herz. »Ihr … ihr wollt mich verbrennen?«
»Ja!«
»Aber was habe ich euch denn getan?«, schrie Celia.
»Du bist eine Hexe«, erwiderte der Sprecher mit seiner dumpfen Stimme.
»Neiiin!« Celia schrie, wollte aufspringen, als sie zu Boden gestoßen und von drei Füßen runtergedrückt wurde.
Wimmernd sank sie zusammen.
»Du bist eine Hexe«, wiederholte der Anführer drohend. »Wir haben dich lange genug beobachtet. Du hast dich heimlich mit anderen getroffen und den Teufel angebetet. Du hast Kirchen geschändet und entweiht. Es bleibt nur der Scheiterhaufen, der für dich bereits aufgebaut ist.«
»Nein, nicht. Es war doch ganz anders!«
Der Sprecher schüttelte den Kopf. »Wir irren uns nie, denn wir haben in London den Hexen den Kampf angesagt. Ich weiß, dass Wikka zurückgekehrt ist und ihre Anhänger sucht. Auch du fällst darunter, und deshalb wirst du sterben. Es ist eine Warnung für sie, sich nie mehr in die Angelegenheiten der Menschheit einzumischen. Wir räumen auf mit euch Hexenpack!«
Celia schüttelte den Kopf. Tränen schossen aus ihren Augen. Sie schnappte nach Luft und presste ihre Hand gegen die Brust.
»Ihr irrt euch«, flüsterte sie. »Ihr wollt eine Unschuldige verbrennen! Ihr seid Mörder. Mörder!«, schrie sie.
Ein Fußtritt warf sie zurück. Blut schoss aus ihrer Nase, und der Schrei erstickte.
»Noch nie haben wir uns geirrt. Wir kennen euch Hexen, und wir werden nicht nachlassen, euch zu vernichten. Und zwar endgültig für alle Zeiten. Packt sie!«
Auf diesen Befehl hatten die vier übrigen Männer nur gewartet. Alle hatten sie das Mädchen schuldig gesprochen, und sie wollten zusehen, wenn die Hexe endlich brannte.
Kräftige Hände packten zu und rissen Celia auf die Beine. Selbst halten konnte sie sich nicht. Ihre Knie knickten ein, und sie musste von den Männern gestützt werden. Eine Chance zu entkommen gab es für sie nicht. Acht Hände hielten sie fest, und der Anführer dieses Mörderclans schritt voraus. Er würde auch den Scheiterhaufen anzünden, den sie bereits Stunden zuvor aufgebaut hatten.
Sie hatten auch den Weg zuvor ausgekundschaftet. Zwischen den Bergen aus Blech und abgewrackten Fahrzeugen fanden sie einen schmalen Pfad, der sie ihrem Ziel näher brachte.
Es lag dort, wo sich der Teil der Müllkippe befand, die den Abfall der Großstadt aufnahm. Es war ein Lagerplatz, und jenseits davon befanden sich die Verbrennungsanlagen, wo der Müll im Recycling-Verfahren vernichtet wurde. Mit der freigewordenen Energie trieb man die Turbinen eines Kraftwerks an, und so ging keine Energie verloren.
Es war schon ein extremer Gegensatz. Auf der einen Seite die moderne Verbrennungsanlage, auf der anderen der Scheiterhaufen, ein Relikt des späten Mittelalters, als Tausende von Frauen verbrannt wurden, weil man in ihnen Hexen sah.
Diese schlimme Zeit war nun zurückgekehrt. Hexenwahn in London. Da hatten es finstere Gestalten geschafft, sich Hexenjäger zu nennen und zahlreiche Menschen aufzuwiegeln, denn auch in einer Zeit der Technik und des relativen Überflusses waren die primitiven Gefühle und Triebe der Menschen nach wie vor existent. Man brauchte sie nur zu wecken, und es gelang einigen Leuten sehr gut, diesen Hass an die Oberfläche zu spülen.
Nicht umsonst hatte der Hexenjägerklub immer mehr Zulauf bekommen. Flüsternd hatte es sich herumgesprochen, und zahlreiche Frauen oder Mädchen, die nicht der Norm entsprachen, die man sich vorstellte, hatten Angst.
Natürlich gab es die echten Hexen. Aber sie hielten sich verborgen. Es starben zumeist Unschuldige. Die Polizei hatte schon zweimal Frauenleichen aus der Themse gefischt und bei ihnen Hinweise gefunden, dass sie hatten sterben müssen, weil sie angeblich Hexen waren.
Die Scheiterhaufen werden leuchten …
So lautete der Wahlspruch der Hexenjäger, und in dieser Nacht wollten sie damit beginnen. Celia sollte die Erste sein!
Apathisch hing das Mädchen im Griff der vier Männer. Den Widerstand hatte Celia längst aufgegeben. Sie wusste, dass sie den Häschern nicht entkam, die bewiesen hatten, dass sie weder Gnade noch Erbarmen kannten.
Die fünf Männer und ihr Opfer hatten jetzt den eigentlichen Schrottplatz hinter sich gelassen und gelangten auf den Teil, wo der Abfall sich zu Bergen türmte. Ein widerlicher Geruch schwebte über diesem Paradies für Ratten. Hier fanden die Tiere ihre Nahrung, denn die Menschen warfen vieles weg, von dem die Ratten satt werden konnten.
Der Weg wurde etwas breiter. Am Himmel leuchtete das kalte Licht der Sterne. Dazwischen stand wie gemalt ein Halbmond. Fahl sah er aus, und es schien, als würde er die vier Männer bei ihrem grausamen Tun beobachten.
Der Scheiterhaufen! Auch Celia konnte ihn sehen. Wie ein Denkmal aus einer längst vergessenen Zeit stand er vor einem hohen Berg aus Müll, in dessen Innern es Schwelbrände gab. Der Qualm fand immer einen Weg, sich durch zahlreiche Ritzen und Spalten nach oben zu winden, sodass über dem Berg eine Dunstwolke lag.
Ein Pfahl ragte aus dem Scheiterhaufen. Bei Beginn der Dunkelheit hatten ihn die fünf Männer in die Erde gerammt, Reisig und Papier um ihn herum deponiert und auch sehr trockenes Holz. Er würde sofort Feuer fangen, wenn die ersten Flammen aufleckten.
Celia stemmte sich mit beiden Hacken in den hier weichen Boden. Der Scheiterhaufen, der zu ihrem Grab werden sollte, flößte ihr eine ungeheure Angst ein. Sie schüttelte den Kopf, ihre Augen wurden groß und mit gellender, sich überschlagender Stimme schrie sie: »Ich will nicht! Nein, das könnt ihr nicht tun! Das ist …«
Der Schlag mit dem Handrücken traf ihren Mund, und Celia verstummte.
»Weiter!«, befahl der Anführer mit dumpfer Stimme.
Die vier Gefolgsleute rissen die junge Frau vor. Sie weinte nur noch. Ihr Körper zuckte unter dem krampfhaften Schluchzen. Zum ersten Mal wurde es ihr richtig bewusst, dass dies kein Spiel war, die Hexenjäger machten ernst. Sie wollten sie tatsächlich verbrennen. Eine Unschuldige!
Die Männer hatten zuvor den Platz vor dem Scheiterhaufen leergeräumt. Kein störendes Hindernis lag ihnen mehr im Weg. Bis zum Pfahl hatten sie ebenfalls eine Gasse geschaufelt, damit ihnen das Reisig und das Holz nicht im Weg waren und an ihren Kutten zerrte, wenn sie auf den Pfahl zuschritten.
»Bindet sie fest!« Der vermummte Anführer war stehen geblieben, hob seinen Arm, ließ ihn wieder fallen und streckte einen Finger aus, wobei er auf den Pfahl deutete.
Zwei Männer traten zurück. Auch gegen die beiden anderen kam Celia nicht an. Sie wehrte sich zudem kaum. Die Vermummten schleiften sie an den Pfahl.
Unheimlich sahen sie aus. Und es wirkte gespenstisch, wie diese Vermummten das wehrlose Mädchen auf den Pfahl zu schleiften. Einer hielt schon die Stricke bereit, während der andere Celia an den Pfahl drückte.
Sein Kumpan trat augenblicklich in Aktion. So rasch es ging, wickelte er den Strick um den Körper des erbarmungswürdigen Mädchens. Er zog ihn sehr fest, denn Celia konnte sich vor Angst und Entsetzen nicht allein auf den Beinen halten. Sie wäre nach vorn gekippt, wenn die Stricke sie nicht gehalten hätten.
Aber ihre Mörder wollten es so machen wie vor Hunderten von Jahren. Aufrecht an einen Pfahl gebunden sollte Celia sterben. Als Hexe verbrennen …
»Ich warte schon auf deine Schreie, du Hexe!«, brüllte der Anführer. »Du wirst nie mehr mit dem Satan buhlen, denn der Wind wird deine Asche in alle Himmelsrichtungen wehen. Der Teufel erleidet auch durch dich eine Niederlage.«
Noch einmal hob das Mädchen den Kopf. »Nein!«, schrie es. »Das könnt ihr nicht machen. Ich bin unschuldig!«
»Das sagen sie alle!« Die Männer kannten kein Erbarmen. Die Hexe sollte und sie würde auch brennen.
Der Anführer hatte sich etwas abseits gestellt. Seine Kumpane bildeten vor dem Reisighaufen einen Halbkreis. Sie waren still geworden, kein Laut drang unter ihren Kapuzen hervor. Gespannt beobachteten sie ihren Meister, wie er sich bückte und aus dem Reisig einen besonders langen Ast hervorholte. Dann griff er in die Tasche, zog ein Sturmfeuerzeug heraus und einen alten Lappen, den er um die Spitze des Stabs wickelte.
»Das Benzin!« Dieser Befehl galt einem der Männer.
Der Vermummte drehte sich um und ging ein paar Schritte zurück. Schon vorher hatten die Männer hier einen Kanister abgestellt. Er bestand aus grauem Kunststoff und war bis zum Rand mit Benzin gefüllt.
Der Mann wusste genau, was er zu tun hatte. Er trat bis an den Reisighaufen vor, löste die Verschlusskappe und kippte den Kanister so, dass das Benzin herausfließen konnte. Deutlich war in der Stille das Gluckern zu vernehmen. Das Benzin fand seinen Weg, rann aus der Öffnung, und Celia beobachtete aus weit aufgerissenen Augen die Vorbereitungen zu ihrem Tod.
Schon stiegen die ersten Dämpfe hoch. Der Wind trieb sie direkt auf Celia zu. Sie nahm den scharfen Geruch wahr und wusste, dass auch die Flammen in ihre Richtung gedrückt wurden, damit sie verbrennen konnte.
Sie bäumte sich in ihren Fesseln auf. Das Gesicht war verzerrt. Eine ungeheure Angst leuchtete in ihren Augen. Greifbar nah war der Tod. Sie sollte als Hexe sterben. Dabei war sie keine Hexe. Andere waren es. Sie kannte sie, wusste sogar, wer die beiden Anführer waren, aber die Hexenjäger glaubten ihr kein Wort. Sie wollten sie lodern sehen.
Der Kanister war leer, und der Vermummte trat zurück. Er hatte das Benzin gut verteilt.
»Alles klar!«, meldete er.
Der Anführer hielt sein Feuerzeug noch in der Hand. Er drehte mit dem Daumen an einem Rädchen, ein Funke leuchtete auf und entzündete das aus der Düse strömende Gas.
Klein war die Flamme, nicht größer als ein halber Finger. Doch aus ihr sollte ein gewaltiger Feuersturm werden, wenn es nach dem Willen der Vermummten ging. Der Anführer hielt die Flamme gegen die umwickelte Spitze des Holzstabs. Ein kurzes Flackern, das Glühen des Stoffs, dann hatte er Feuer gefangen.
Die Hexenjäger standen stumm da. Ihre Gesichter waren dem Reisighaufen und dem Pfahl zugedreht, der in wenigen Sekunden nur noch eine lodernde Flammenhölle sein sollte.
Langsam trat der Vermummte vor. In der rechten Hand hielt er den brennenden Ast.
Celia wimmerte. »Nein … nein …« Sie schüttelte den Kopf, formte die Worte und sank apathisch in ihren Fesseln zusammen.
In diesem Augenblick schleuderte der Anführer den brennenden Ast in den Reisighaufen. Es gab ein puffendes Geräusch, und im nächsten Moment zuckte eine lange Feuerwand hoch, die sich wie ein Vorhang zwischen das Mädchen und die Vermummten legte.
***
VERBRENNT DIE HEXEN!
Mit diesen Schmierparolen auf Hauswänden und öffentlichen Gebäuden hatte es angefangen. Vielleicht vor zwei Monaten. Auch ich hatte diese Parolen gelesen und darüber mit meinem Chef, Superintendent Sir James Powell, gesprochen.
Damals war noch nichts geschehen. Ich hatte andere Fälle zu bearbeiten, aber Sir James hatte mir versprochen, etwaige Aktivitäten genau zu verfolgen.
Und nun steckten wir schon mittendrin. Wie ein Feuer hatte sich dieser Hexenwahn ausgebreitet und selbst uns überrascht. Wir – das waren Suko, Bill Conolly und ich. Vor allen Dingen war es Bill, dem Reporter, zu verdanken, dass wir überhaupt etwas erfahren hatten.
Bill hatte sein Ohr am Pulsschlag der Stadt. Er hörte viel, sah viel und kam viel herum. Seine Frau Sheila und er mussten hin und wieder gesellschaftliche Verpflichtungen eingehen, denn Sheila stand als Konzernerbin oft genug im Rampenlicht, obwohl sie die Geschäfte in die Hände fähiger Manager gelegt hatte.
Auf einer dieser Partys hatte der Reporter zuerst ein Gespräch belauscht und war dann mit hineingezogen worden. Mehrere Männer hatten sich über Hexen unterhalten! Man hatte erst allgemein über die Hexenverbrennungen im Mittelalter gesprochen, doch nach und nach war man zum Kern der Sache gekommen.
Auch im heutigen London sollte es Hexen geben. Und zwar wurden sie angeführt von einer Hexe namens Wikka, die sich selbst als die oberste Hexe auf der Welt bezeichnete. Ihr unterstanden sämtliche Hexenklubs, deren Mitglieder aus den oberen Bevölkerungsschichten kamen, Reiche und Tagträumer, die ihr sattes Leben leid waren. Sie wollten etwas erleben und schlossen sich den Hexenklubs an.
Ein Mann hatte sich besonders in seinem Hass gegen die Klubs hervorgetan. Bill kannte auch den Namen. Es war ein bekannter Makler, der seine Frau an einen Hexenklub verloren hatte. Harald Doyle hieß der Mann, und er hatte dafür gestimmt, dass die Klubs ausgemerzt wurden, und zwar wie in vergangenen Zeiten.
Die anderen hatten darüber gelacht. Bill hatte sich nicht einmal ein Lächeln erlaubt, aber er hatte jedes Wort des Mannes registriert und nichts vergessen.
VERBRENNT DIE HEXEN!
Als Bill Conolly diese Parolen gelesen hatte, da hatte er sofort Bescheid gewusst und mich informiert. Mit Hexen hatte ich bereits meine Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel in der Seelenburg, einem gewaltigen Kastell, das inmitten der Schweizer Berge lag. Hier hatte ich gegen vier Hexen und einen Mann namens Gordon Schreiber gekämpft, der allerdings entkommen war.
Suko und ich hatten Jane Collins schwer verletzt aus den Klauen des Mannes gerettet. Die Detektivin hatte einen Job als Gordons Schreiber Privatsekretärin angenommen, um ihm auf die Spur zu kommen. Und wir glaubten nun, dass sich Schreiber irgendwann an Jane rächen würde.
Bei den Hexen war Wikka die Frau im Hintergrund, wie ich erfahren hatte, aber konnte nicht auch Gordon Schreiber mitmischen? Einen Beweis für diese Theorie hatte ich bisher noch nicht bekommen, aber wir standen erst am Beginn.
Es war schwer gewesen, überhaupt mit den Hexenklubs oder deren Feinden Kontakt aufzunehmen. Da Suko und ich als uns offizielle Yard-Beamte zurückhalten wollten und mussten, hatten wir Bill Conolly vorgeschickt. Der Reporter erinnerte sich noch gut an das Gespräch mit Harold Doyle, doch er biss bei ihm auf Granit.
»Vergessen Sie das, was ich gesagt habe. Es war nur ein Spaß!« Mehr wollte Doyle zu diesem Thema nicht sagen, obwohl Bill sicher war, dass er einiges wusste.
Der Reporter ließ nicht locker. Auf der anderen Seite forschte auch Scotland Yard. Sir James Powell, der Superintendent und ein Meister im Organisieren, hatte durch V-Leute und Spione herausgefunden, dass in den letzten zwei Monaten mehrere Hexenklubs gegründet worden waren. Und ein Name geisterte durch alle Klubs: Wikka!
Sie stand an der Spitze, und sie musste man erledigen, wenn etwas zerschlagen werden sollte. Aber die Klubs hielten zusammen. Vor allen Dingen waren ihre Mitglieder zum Schweigen verpflichtet worden. Da es zudem die Hexenjäger als Feindgruppe gab, dachten die einzelnen Mitglieder nicht im Traum daran, auch nur den Mund aufzumachen. Deshalb mussten wir uns an die Hexenjäger halten.
Das hatten wir geschafft. Bill Conolly war es gelungen, seine Beziehungen so spielen zu lassen, dass er an einen Kontaktmann herankam, der enger mit den Hexenjägern zu tun hatte. Es hatte ihn einen großen Schein gekostet, bevor der Mitläufer den Mund aufgemacht hatte.
Er habe da etwas von einer Verbrennung läuten gehört. Außerdem seien zwei Hexen schon in der Themse ertränkt worden. Als Bill konkreter nachgehakt hatte, hatte der Informant auch nicht mehr viel gewusst. Er hatte nur noch einen Schrottplatz irgendwo in London erwähnt.
Daraufhin hatte Bill sich mit dem Yard kurzgeschlossen. Sir James hatte Beamte abgestellt und heimlich Schrottplätze überwachen lassen. Zusätzlich hatten auch Nachtwächter die Augen offenalten sollen. Nach zwei Wochen endlich war die Meldung gekommen. Auf einem Schrottplatz in Southwark, direkt an der alten Müllkippe, war über Nacht ein Scheiterhaufen errichtet worden.
Nun hatten wir die erste Spur, und sie war verdammt heiß, wie wir festgestellt hatten. Fünf Männer hatten sich auf dem Schrottplatz getroffen. Vermummte Gestalten in langen roten Gewändern und mit Kapuzen über den Köpfen.
Leider hatten wir nicht genügend Zeit gehabt, uns das Gelände vorher genau anzusehen. Als wir endlich eintraten, waren die anderen bereits da. Wir hörten ihre Stimmen und die verzweifelten Schreie des Mädchens, das brennen sollte.
Ob Hexe oder nicht, niemand hatte das Recht, einen Menschen einfach anzuzünden wie einen toten Gegenstand. Diesen Hexenjägern mussten wir ebenso das Handwerk legen wie den echten Hexen, denn dass Wikka existierte, daran glaubte ich fest. Ebenso war ein Mann wie Gordon Schreiber keine Einbildung.
Wir trugen Taschenlampen bei uns, die wir hin und wieder einschalteten, um uns zu orientieren. Der Nachtwächter hatte uns den Weg gezeigt, war aber in seiner Bude geblieben.
So lautlos wie möglich versuchten wir uns zu bewegen. Das war schwer, denn die Wege zwischen den Abfallhaufen waren längst nicht frei. Zweimal schon war ich gegen eine verrostete Büchse getreten. Es hatte dann überlaut gescheppert.
Jetzt deckte uns noch ein Abfallhügel vor den Männern, die wir einmal kurz gesehen hatten, aber nicht angreifen konnten.
Suko hatte die Führung übernommen. Er konnte sich am besten von uns bewegen und schien zu einem Schatten zu werden, der mit der Dunkelheit verschmolz. Uns hatte er zurückgelassen, als er sich direkt am Rand des Abfallhügels weiterbewegte.
Innerhalb des Hügels brannte und kokelte es. Der Rauch hatte bereits ein kratziges Gefühl in unseren Kehlen hinterlassen.
Bill Conolly stand neben mir. Wir beide waren voll konzentriert und warteten gespannt auf Sukos Meldung.
»Die machen das tatsächlich wahr«, hauchte Bill. »Verdammt, die stecken das Mädchen an.«
Ich nickte. Danach schwiegen wir. Es lag auf der Hand, dass sich meine Gedanken um die vorliegenden Ereignisse drehten. Die fünf Vermummten wollten ein junges Mädchen verbrennen. Das Vorhaben dieser fünf Männer schockierte auch mich.
Hexenklubs konnten einerseits harmlos sein, aber auch gefährlich. Wenn sich nur Spinner versammelten, war dieser Klub nicht mehr wert als ein Kopfschütteln. Doch es gab andere. Vereinigungen, die tatsächlich einen heißen Draht zur Hölle hatten, und die musste man ausmerzen. Zumeist waren die Oberhexen echt. Dämoninnen. Oft in anderen Dimensionen geboren und dann auf die Erde geschickt, um Menschen zu verführen und in den Dunstkreis der Hölle zu ziehen.
Allerdings war die andere Seite nicht besser, wenn es im ersten Moment vom Motiv her auch so schien. Die Hexenjäger erinnerten sich an die Traditionen ihrer Vorgänger im auslaufenden Mittelalter. Diese Männer hatten ebenfalls furchtbar aufgeräumt und keinen Unterschied zwischen schuldig und unschuldig gemacht. Zumeist waren es Unschuldige gewesen, die in den Flammen der Scheiterhaufen umgekommen waren. Diese schrecklichen Zeiten durften auf keinen Fall wieder aufleben, auch wenn einige Fanatiker es so wollten.
Suko kam zurück. Er bewegte sich hastiger und schneller als auf dem Hinweg. Wir sahen ihn winken und liefen ihm ein Stück entgegen. Seine Augen blitzten in der Dunkelheit.
»Was war?«, wisperte ich.
»Wir müssen uns beeilen«, erklärte Suko. »Diese Narren haben bereits das Benzin geholt.«
»Verdammt!«, fluchte Bill.
Auch mir war zum Fluchen zumute, doch ich hielt mich zurück und zupfte den Reporter an der Jacke. »Los.«
Wir schlichen hinter Suko her, der wieder vorgegangen war. Jetzt nahmen wir auch keine Rücksicht darauf, leise zu sein, wir hörten die Stimmen der Hexenjäger, und sie waren laut genug, um unsere Schritte zu übertönen.
Ich sprang über ein sperriges Hindernis aus Blech, schreckte dabei eine fette Ratte auf und wäre fast noch auf sie getreten, als ich weiterlief.
Das Ende des Abfallhügels! Noch drei, vier Schritte, dann mussten wir den Scheiterhaufen und das Mädchen sehen können.
Ich machte den Anfang und drängte mich an Suko vorbei. Im selben Augenblick puffte vor mir eine Feuerwand hoch und setzte den Reisighaufen um den Pfahl in Brand.
Wir waren zu spät gekommen!
Ich wollte es nicht glauben. Noch brannte nur das Reisig und nicht die Frau. Verdammt, sie musste doch zu retten sein.
Es war eine schaurige Szene, die ich innerhalb einer Sekunde in mich aufnahm. Noch hatten uns die fünf Männer nicht gesehen, weil wir schräg hinter ihnen standen und ihre Blicke nur der breiten Feuerwand galten, in der das Reisig zerplatzte und knisterte, sodass Funken aufsprühten und als glühender Regen hoch über die Flammen hinwegstiegen.
Die Vermummten hatten die Arme hoch erhoben. Sie schrien und brüllten so laut, dass wir den einen Satz, den sie immer wiederholten, gut verstehen konnten.
»Die Hexe soll brennen!«
Immer wieder schrien sie ihn. Und sie brüllten auch noch, als ich längst gestartet war und auf den verdammten Feuervorhang zu rannte. Der Atem der Hölle empfing mich. So jedenfalls kam mir die Hitze vor, in die ich hineinstolperte.
Hinter mir hörte ich Schreie, sogar einen Schuss, aber darum konnte ich mich nicht kümmern. Das Mädchen war wichtiger. Ich stürzte vor!
***
Suko und Bill Conolly hatten John laufen lassen. Sie wussten selbst, dass sie nicht mithelfen konnten, das Mädchen zu retten, denn die fünf Vermummten würden dies auf keinen Fall zulassen. Sie waren vom Auftreten des Geisterjägers überrascht, und ihr Schreien verstummte abrupt.
Bill und Suko zogen ihre Waffen. Beide konnten sich nicht vorstellen, dass die Kerle ihnen kampflos das Feld überlassen würden.
Und da reagierten sie auch schon. Der Anführer der Gruppe fuhr herum.
»Verrat!«, brüllte er. »Verrat! Da wollen welche die Hexe retten. Schießt, Freunde, schießt ihnen in den Rücken!«
Sie griffen zu den Waffen, während Bill und Suko sahen, wie John Sinclair bereits in die ersten Qualmschleier hineintauchte und dann in die Feuerhölle hineinjagte. Der Reporter feuerte.
Geduckt stand er da, während Suko ein wenig zur Seite gegangen war, sodass sie beide die Vermummten im Auge behalten konnten. Die Kugel pfiff in Schulterhöhe zwischen zwei Hexenjägern durch, und der Klang der Beretta hatte selbst das Prasseln der Flammen übertönt.
Auch die Hexenjäger hatten ihn gehört. Sie fuhren herum.
»Keine Bewegung!«, schrie Bill. »Das reicht, Freunde, bleibt so stehen, und lasst die Finger von den Kanonen, sonst ergeht es euch verflixt dreckig!«
Die Männer rührten sich tatsächlich nicht. Für einen Moment standen sie wie festgeleimt da. Denkmäler unter den Kapuzen und langen Gewändern, die über den schmutzigen Boden schleiften.
»Zur Seite!«, befahl der Reporter. »Weg vom Feuer. Los, Beeilung, macht schon!«
Jetzt hatten sich die Kerle wieder gefangen. Sie dachten nicht daran, dem Befehl zu folgen, während aus der Feuerhölle gellende Schreie ertönten, sodass es Bill und Suko angst und bange wurde.
»Wer seid ihr?« Die Stimme des Mannes unter der Kapuze klang dumpf. Sie zitterte sogar vor Wut.
»Polizei«, sagte Suko.
»Bullen!«
»Genau!«, hieb Bill in die gleiche Kerbe. »Und wir werden es nicht zulassen, dass ihr hier Unschuldige verbrennt.«
»Unschuldig?«, kreischte der Anführer. »Sie ist eine Hexe. Eine verdammte Hexe!«
»Okay, das hast du schon mal gesagt«, gab Bill zurück »Und jetzt nehmt eure albernen Lappen ab, sonst gibt es wirklich Zunder.«
Bisher war alles gut gelaufen. Bill und Suko waren sehr zufrieden – bis aus irgendeinem Grund ein Windstoß heranfauchte und von der anderen Seite aus in die Flammen fuhr. Er ließ sie heller auflodern, wirkte wie ein gewaltiger Blasebalg und drückte dabei die Feuerwand auf Bill und Suko zu.
Qualm und Rauch trieben in ihre Gesichter. Funken flogen wie kleine, glühende Raketen, bildeten einen rötlichen Wirbel, und ihnen folgten die langen, leckenden Flammenzungen.
Suko stand zu dicht am Brandherd. Er hörte Bills Warnung, doch da war es bereits zu spät. Etwas Glutheißes fuhr über seinen Hinterkopf, den Nacken und Rücken. Wenn seine Kleidung nicht Feuer fangen wollte, dann musste Suko den Standort wechseln.
Das merkten auch seine Gegner. Sie waren ein verflucht gut eingespieltes Team. Als hätten sie von einer sechsten Person einen Befehl bekommen, stürmten sie nach allen Seiten weg. Sie waren so schnell dabei, dass sie innerhalb der folgenden Sekunde für ihre beiden Bewacher kein Ziel mehr boten. Zudem trauten Suko und Bill sich nicht zu schießen, sie waren keine Killer, denn die Vermummten hielten keine Waffen in den Händen.
Das änderte sich sehr schnell. Geschickt rollten sie trotz ihrer Kutten über den Boden und fanden in dem unübersichtlichen Wirrwarr des Schrottplatzes Deckung.
Der Anführer schoss als Erster.
Bill Conolly zuckte zurück. Er hörte sogar das Pfeifen der Kugel. Mit einem gewaltigen Satz warf er sich zu Boden und stellte fest, dass Suko das Gleiche getan hatte.
Mündungslichter blitzten rasch hintereinander vor den Waffen auf, als wollten sie mit der Helligkeit und dem Widerschein des Feuers um die Wette leuchten.
Bill und Suko mussten sich einige Male um die eigene Achse rollen, anders konnten sie sich nicht fortbewegen.
Ein gellendes Lachen ertönte. »Jagt ihnen die Kugeln in ihre verdammten Bullenschädel! Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Los, Freunde, schießt. Beweist ihnen, dass wir die Besseren sind!«
Suko und Bill hielten sich zurück. Sie wollten nicht unnötig geweihte Silbermunition verfeuern, und andere Pistolen trugen sie nicht bei sich. Noch immer prasselten und loderten die Flammen.
Bill lag hinter einem alten Eisenträger. Was Suko sich als Deckung ausgesucht hatte, konnte er nicht erkennen, doch der Chinese lag zumindest so, dass die Flammen ihn nicht mehr erfassen konnten, auch wenn ein Windstoß in sie hineinfauchte.
Träge trieb der Rauch über den Platz, wo sich die fünf Vermummten zuvor versammelt hatten. Es war ein fetter beißender Qualm, der für beide Parteien die Auseinandersetzung erschwerte, denn er drang bei den Vermummten ebenfalls durch die Schlitze in die Augen.
Bill und Suko ging es nicht besser, im Gegenteil. Sie lagen näher am Feuer und somit auch näher am Qualm.
Ein kurzer, fahlgelber Mündungsblitz, und dicht neben Bills Kopf klatschte das Geschoss gegen den ihm als Deckung dienenden Eisenträger. Das war Warnung genug gewesen. Der Schütze musste eine verdammt gute Position haben, wenn er so genau zielen konnte, denn viel hatte wirklich nicht gefehlt.
Der Reporter drehte sich um seine Achse, blieb jedoch auf dem Rücken liegen. Eine zweite Kugel fauchte heran. Diesmal hätte sie fast Bills Haare versengt, so genau hatte der Schütze gezielt.
Bill wollte schon hochspringen und seinen Standort wechseln, als er den Vermummten sah. Er stand schräg vor ihm und etwas erhöht, da er sich eine mit Papier und Kartons übersäte Schlackenhalde ausgesucht hatte, die es hier auch noch gab. Seine Waffe hielt er mit beiden Händen fest, und er wurde vom Widerschein der Flammen gestreift, deshalb konnte ihn Bill Conolly so genau erkennen.
Weg kam der Reporter nicht mehr, da war er Realist, das sah er auch ein, denn eine abgefeuerte Kugel würde ihn immer schneller erreichen. In seinem Magen bildete sich ein Klumpen. Bill bekam Angst vor dieser unheimlichen Gestalt in der langen roten Kutte, die eine Waffe auf ihn gerichtet hielt.
Dann peitschte der Schuss.
In einem Reflex riss Bill den Mund auf, er erwartete den Einschlag der Kugel irgendwo in der Brust, doch als sich nach zwei Sekunden noch immer nichts tat und er den Mann wanken sah, da wusste er Bescheid. Ein anderer hatte geschossen und ihm somit das Leben gerettet.
Suko!
Schon bekam der Reporter die Bestätigung.
»Alles klar, Bill, du bleibst uns noch erhalten.«
»Okay«, stöhnte der Reporter, aber das hörte nur er. Tief atmete er ein, stand auf und blickte dabei zu dem Schlackenberg hinüber, wo noch immer sein Gegner stand, als könnte er sich nicht entschließen, endlich zu fallen.
Er hatte die Arme sinken lassen. Blut und das Einschussloch waren auf seiner Kutte nicht zu sehen, aber jetzt geriet sein Körper in eine Schräglage, kippte um und landete auf dem nach unten laufenden Hang des Schlackenbergs, wo er hinabrollte und sich mehrere Male überschlug. Er riss Kartons und Papiere mit sich, bis er vor dem Hang endlich ruhig liegen blieb.
Suko erreichte ihn schneller und kniete schon neben ihm. Mit einem harten Griff riss er ihm die Kapuze um Kopf, und das schmerzverzerrte Gesicht eines jungen Mannes kam zum Vorschein.
»Ich kümmere mich um John«, sagte der Reporter, als er einen Blick auf das Gesicht geworfen hatte.
Suko nickte. »In Ordnung. Die anderen sind verschwunden! Aber wir haben ihn ja.«
Bill rannte weg. Die Sorge um seinen Freund John Sinclair beflügelte seine Schritte.
Suko sah das Einschussloch. Es befand sich an der rechten Seite. Er selbst hatte auf die Schulter des Vermummten gezielt, wegen des flackenden Lichts jedoch nicht richtig treffen können. Aus der Wunde rann kaum Blut, der Verletzte musste jedoch irrsinnige Schmerzen haben, denn er wimmerte zum Steinerweichen.
Sorge stahl sich in das Gesicht des Inspektors. Wenn der Mann nicht auf schnellstem Weg in ärztliche Behandlung kam, konnte er sterben.
Da kehrte Bill Conolly zurück. Sein Gesicht war bleich.
»Was ist?«, fragte Suko.
»John und das Mädchen sind …«
Das Gesicht des Inspektors wurde hart. »Verbrannt?«
»Ich … ich weiß es nicht, Suko!«
***
Ich warf mich hinein in die tanzende, lodernde, brutheiße Hölle. Leider hatte ich mich vorher nicht schützen können. Ich hatte kein Wasser zum Anfeuchten und auch keine Decke, die ich mir hätte über den Kopf werfen können. Aber wenn ich das Mädchen retten wollte, dann musste ich einfach durch diese Flammenwand.
Die Glut wollte meine Lunge zerfressen. Ich erkannte nichts. Nur diese verdammte Flammenwand vor mir. Ein Inferno aus Rauch, Feuer und Hitze.
Ich kam kaum voran, es fiel mir schwer, das Gleichgewicht zu halten, und ich musste mit den Armen rudern, um nicht hinzufallen. Immer wieder stoben Funken auf. Winzige, glühende Teile, die sich auf meine Haare setzten, in die Augenbrauen und auch in meine Haut stachen, die inzwischen sicherlich so gerötet war wie die eines gekochten Krebses.
Es war ein erbitterter, verzweifelter Kampf gegen die mörderische Macht des Feuers, das schneller war als ich und schon fast den Pfahl erreicht hatte, an dem das Mädchen angebunden war.
Es schrie. Diese Schreie gellten in meinen Ohren und mobilisierten bei mir schlummernde Kräfte. Ich wühlte mich weiter vor und sah die Gestalt der jungen Frau bizarr hinter den tanzenden Rauchschleiern erscheinen.
Sie zuckte und wand sich in den Fesseln, doch die Stricke saßen einfach zu stramm, dafür hatten ihre Peiniger gesorgt.
Ich wühlte mich weiter vor, nahm die letzten Schritte in Angriff. Auch hinter dem Pfahl sah ich das aufgeschichtete Reisig. Allerdings hatte man es dort nicht mit Benzin übergossen, sodass die Flammen jetzt nur in meinem Rücken loderten und ich nicht noch einmal mit der jungen Frau durch die Hölle musste.
Sie schrie. Mit dem Silberdolch schnitt ich die Stricke entzwei. Endlich fielen sie. Es war eine mühevolle Arbeit gewesen. Zweimal hatte ich auch das Mädchen geritzt – nur was spielte das für eine Rolle?
Ich riss die Frau einfach mit, konnte mich selbst nicht mehr auf den Beinen halten, und gemeinsam fielen wir, eingehüllt in eine Wolke von Rauch, in das Reisig hinein.
Schläge peitschten gegen mein Gesicht, das sowieso schon malträtiert genug war. Zum Glück machte die Gerettete keine Schwierigkeiten, ich konnte sie aus dem verdammten Reisig herausziehen, genau dorthin, wo die Luft besser war.
Gemeinsam und ineinander verkrallt wälzten wir uns über den Boden. Dabei bemerkte ich, dass meine Jacke brannte, doch durch das Drehen und Wälzen erstickte ich die kleinen Flammen.
Luft konnte ich kaum einatmen. Meine Lungen waren zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich keuchte und würgte, atmete pfeifend und saugend und hatte dabei das Gefühl, als wollten meine Lungen den Sauerstoff gar nicht annehmen.
Wie zwei Tiere krochen wir weiter. Uns fehlte beiden die Kraft, auf die Beine zu kommen. Zurück ließen wir eine Flammenhölle, in der jetzt auch der Pfahl lichterloh brannte. Die junge Frau hätte wirklich keine Chance gehabt. Die Verbrecher hätten sie eiskalt über die Klinge springen lassen, das stand fest.
Auf matschigem, öltriefenden Boden blieben wir völlig erschöpft liegen. Nebeneinander schnappten wir nach Luft, während träge Rauchschleier über uns hinwegzogen.
Ich hörte das Weinen des Mädchens und auch entfernt klingende Rufe. Jemand wollte etwas von mir, er rief meinen Namen. Ich war einfach nicht in der Lage, zu antworten. Apathisch lag ich auf der Erde und atmete pumpend.
Wir hatten es irgendwie geschafft. Jetzt spürte ich meinen Magen, wie er langsam in die Höhe wanderte und auch meine Kehle erreichte. Dann musste ich mich übergeben. Es ging einfach nicht anders.
»Mister.« Schwach drang die Stimme an meine Ohren. »He, Mister, hören Sie mich?«
Ich stützte meine Handflächen auf den Boden, was schmerzte, denn die Haut hatte einiges abbekommen. Mühsam hob ich den Kopf.
»Danke«, sagte das Mädchen. »Ohne Sie wäre ich jetzt verbrannt. Ich weiß nicht …«
»Vergessen Sie es!«, keuchte ich und versuchte, auf die Beine zu kommen.
Hinsetzen konnte ich mich noch. Mehr aber auch nicht. Ein Schwindel erfasste mich, alles drehte sich vor meinen Augen, und dann wusste ich einfach nichts mehr. Vorbei …
***
Die Privatdetektivin Jane Collins war das, was man eine moderne junge Frau nannte. Sie stand auf ihren eigenen Beinen, verdiente genug, um sich gut über Wasser halten zu können und war im Laufe der Zeit zu einer begehrten Detektivin geworden, die es sich auch erlauben konnte, einmal einen Fall abzulehnen.