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Zwei Halloween Folgen des Kult-Geisterjägers in einem Band. Genießen Sie diese zwei schaurigen Geschichten von John Sinclair aus der Feder von Jason Dark:
Blutiges Halloween:
Halloween - ein Fest, das in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November gefeiert wird. Stunden, in denen die Masken regieren.
Doch dieses Mal war eine Maske echt. Eine schreckliche Rache nahm ihren Anfang, und ein fröhliches Fest wurde zur Party des Schreckens.
Während sich die Dunkelheit wie ein Mantel um die Menschen legte, blitzte das Messer des Killers, und ich geriet in einen Strudel aus Angst und Grauen ...
Das Fest der Köpfe:
Samhain ist das keltische Halloween: In dieser Nacht, so besagt die Legende, kriechen die Toten aus ihren Gräbern und in die Betten der Schlafenden, um sich an den Lebenden zu wärmen.
Auch in der irischen Ortschaft Kimberly wurde das "Fest der Köpfe" einmal im Jahr gefeiert, doch diesmal hatte es im Vorfeld zwei mysteriöse Todesfälle gegeben. John Sinclair, der Geisterjäger von Scotland Yard, sollte sie aufklären ? und war auf einmal spurlos verschwunden!
Sein Freund und Partner Suko machte sich auf nach Irland, um herauszufinden, was John widerfahren war ? und fuhr direkt in die keltische Zombie-Hölle!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 357
Veröffentlichungsjahr: 2020
Jason Dark
John Sinclair Special
Cover
Impressum
Blutiges Halloween
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Lukas Gojda
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3623-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Blutiges Halloween
von Jason Dark
»Macht es tot! Macht es tot! Macht es tot!«
Sie standen vor dem Kind und schrien. Immer öfter und hektischer wiederholten sie diesen einen Satz, der wie eine Woge gegen das Kind schwappte und es nervlich dem Ende entgegentrieb.
»Macht es tot! Macht es tot!«
Die Angst verzerrte das Gesicht des Angesprochenen. Von den anderen sehr deutlich zu erkennen, weil sich das Licht der Taschenlampen auf die Züge konzentrierte. Das Licht blendete auch, sodass es dem Kind nicht möglich war, seine Peiniger zu erkennen.
Und die Stimmen hallten. Immer wenn diese schrecklichen Worte geschrien wurden, kamen sie als Echo zurück, vermischten sich mit den nachfolgend gerufenen Sätzen und wurden für das Opfer zu einem Wirbel des Schreckens.
Es wusste nicht, wohin es sollte. Mit dem Rücken lehnte es hart gegen die Fensterbank. Durch das geöffnete Fenster fuhr kalt der Wind. Er griff in den Nacken des Kindes, und es spürte die Kühle auf der schweißnassen Haut.
Der Psycho-Terror ging weiter. Irgendjemand gab den Befehl, die Lampen zu drehen, und die anderen folgten dem Beispiel. Plötzlich wirbelten die Lichter über seinen Körper, streiften das Gesicht, zuckten auf und nieder, und mit einer Geste der Verzweiflung riss das Mädchen beide Arme hoch, um sein Gesicht zu schützen.
»Hört doch auf!«, wimmerte es. »Bitte, lasst mich in Ruhe! Ich habe euch nichts getan …«
»Macht es tot! Macht es tot …« Immer wieder brandeten die Worte dem erbarmungswürdigen Opfer dieses Terrors entgegen, als wollten sie die Seele zerstören.
Dazwischen gellte ein Lachen auf. In der hohen Halle gab es nicht nur das Licht der Taschenlampen, sondern auch die gespenstischen Schatten, die bizarre Muster auf die Wände zeichneten.
»Hört auf!«
Das Kind war am Ende. Es schrie verzweifelt, schüttelte den Kopf, während aus den Augen Tränen rannen und sich mit Schweiß auf den Wangen vermischten. Urplötzlich wurde es ruhig. Keine Stimme war mehr zu hören. Alles war still. Totenstill.
Selbst das Atmen schienen die anderen eingestellt zu haben. Allerdings nur für Sekunden, dann waren die schweren Atemzüge wieder zu hören. Flüsternde Stimmen geisterten durch die Halle. Dazwischen ein nur wenig unterdrücktes Lachen, das sich anhörte wie ein Glucksen. Das Kind stand am Fenster. Seine Knie zitterten. Die Haare klebten schweißnass am Kopf, der Mund stand offen. Über die Lippen floss der Atem stoßweise. Das Kind hatte die Hände zusammengekrampft, und durch das offene Fenster fuhr der kalte Wind.
Draußen lag die Dunkelheit wie ein Sack. In dem großen Park brannte nicht ein Licht. Es war dort unheimlich und gespenstisch. Bäume und Büsche schienen zu Geistern zu werden, die aus einer anderen Welt gekommen waren.
War der Terror zu Ende? Das Kind wollte es nicht glauben. Es schluckte und hob den Blick.
In diesem Moment wurde es angesprochen. Eine wispernde Stimme sagte: »Hallo, kleine Angela, hörst du mich?«
Das Mädchen zuckte hoch. Es hob den Kopf. Da hatte jemand seinen Namen gerufen, aber Angela konnte die Stimme nicht identifizieren.
»Angela?«
»Ja?«
»Weißt du, wer ich bin?«
»Nein!«, hauchte die Kleine, und ein Schauer rann über ihren Körper.
»Du weißt es wirklich nicht?«
Angela schüttelte den Kopf.
»Dann will ich es dir sagen«, raunte die Stimme. »Hör genau zu, und du wirst merken, wie seltsam ich klinge. Weißt du, weshalb ich so seltsam klinge?«
»Nein!« Die Antwort klang gequält.
»Weil ich deine Mutter bin, Angela!«
Deine Mutter, hatte sie gesagt. Angela stand da wie erstarrt. Die Worte flossen durch ihr Gehirn. Nein, das war nicht möglich. Das konnte nicht ihre Mutter sein. Niemals!
»Du bist es nicht!«, schrie Angela. Ihre Stimme hallte laut durch den Flur. »Du bist niemals meine Mutter!«
»Und weshalb nicht?«
»Sie ist tot!«, brüllte Angela. »Meine Mutter lebt nicht mehr! Sie kann nicht zurückkommen! Man hat sie getötet! Sie ist im Himmel …«
Ein hohes Kichern unterbrach die Stimme des Mädchens. Zuerst lachte nur eine Person, dann stimmten die anderen ebenfalls mit ein, bis sie abrupt stoppten. Die Stimme sagte: »Nein, sie ist nicht im Himmel, sie ist aus der Hölle zurückgekehrt, Angela. Hörst du, was sie dir mitgeteilt hat? Aus der Hölle!«
Das Kind hob die Hände. Es spreizte die Finger, sein Mund öffnete sich, und es schrie: »Hört auf, verdammt! Ihr sollt aufhören. Ich will nicht, dass ihr …«
»Gleich kommt sie …«
Angela versteifte sich. Bisher hatte sie dem Druck widerstehen können und war noch nicht zusammengebrochen. Nun aber spürte sie, dass es allmählich dem Ende zuging. Sie konnte die schrecklichen Belastungen nicht mehr ertragen. Sie musste irgendetwas tun, sonst drehte sie noch durch.
»Du kannst sie sehen, kleine Angela! Schau nach vorn! Da im Flur steht sie …«
Angela gehorchte. Die Stimme hatte Macht über sie. Das Mädchen tat, was man ihm befahl, obwohl es das eigentlich nicht wollte. So richtete Angela ihren Blick in die mit den Schatten der Umstehenden ausgefüllte Dunkelheit.
Dort sah sie etwas. Zunächst war es nur ein heller Umriss in der Tiefe des Gangs. Obwohl sich Angela sehr anstrengte, konnte sie nicht genau erkennen, was da auf sie zukam.
Der helle Fleck bewegte sich im Dunkel des Gangs. Etwas Unheimliches ging von ihm aus. Angela konnte es nicht begreifen und sich nicht erklären, was da auf sie zukam.
Ihre Mutter? Das hatten ihr die anderen gesagt, doch sie wollten ihr nur Angst einflößen.
Durch das offene Fenster in ihrem Rücken kam die Kälte, und vor ihr schimmerte das Licht. Es wanderte in Angelas Richtung und nahm eine gelbrote Farbe an. Es schien keine natürliche Quelle zu haben, musste von einer Fackel oder Kerze stammen, wie Angela plötzlich zu wissen glaubte.
War es tatsächlich ihre Mutter?
Nein, das durfte nicht wahr sein. Ihre Mutter war tot, die stand nicht aus dem Grab auf …
»Deine Mutter!«, unterbrach eine wispernde Stimme die Stille. »Deine Mutter kommt. Ihre Seele hat sich aus den Tiefen der Hölle gelöst, um dich zu suchen, Angela …«
Das Mädchen hatte sich auf die Stimme konzentriert und das Licht für diese Zeitspanne aus den Augen gelassen. Nun sah Angela wieder hin und bekam den Schock ihres Lebens. In fast greifbarer Nähe war das Licht zur Ruhe gekommen. Nein, das konnte nicht ihre Mutter sein, das ging nicht, denn vor ihr schwebte eine grässliche Fratze. Eine Maske!
Sie sah aus wie ein Kürbis, der von innen ausgehöhlt war. Man hatte aus der »Haut« Augen, Mund und Nase herausgeschnitten und in das Innere des Kürbisses eine Kerze gestellt. Das flackernde Licht ließ der Fantasie eines sensiblen Menschen freien Lauf, sodass Angela glaubte, die Maske wäre mit einem unheimlichen Leben erfüllt!
Sie verkrampfte sich. Die nächsten Augenblicke gehörten zu den schrecklichsten in ihrem Leben, und hinter der Maske bewegten sich die anderen, um sie durch einen Halbkreis einzuengen.
Dann sprachen sie. Zuerst war es nur eine Stimme, die das Wort durch die Lippen zischte.
»Halloween!«
Angela lauschte. Ja, es war Halloween. Die Nacht vom 31. Oktober auf den ersten November.
»Halloween!« Eine weitere Stimme fiel ein, denn die erste wiederholte das Wort laufend.
»Halloween!« Nun flüsterten alle dieses Wort. Es drang aus ihren Mäulern, als wäre es von Hexen gesprochen worden. Immer wieder.
Halloween! Die Nacht des Schreckens! Die Nacht der Geister. Uralte Tradition. Nie lagen Spaß und Angst so dicht beieinander wie in dieser einen schrecklichen Nacht.
»Wir haben Halloween. Der Geist deiner Mutter meldet sich, Angela. Hör genau zu …«
»Ich will nicht!« Das Mädchen brüllte die Worte. Sie hallten durch den kahlen Gang, pflanzten sich fort, wurden gebrochen, und das Echo kam unheimlich und schaurig zurück.
»Es ist Halloween …«
Angela konnte es nicht mehr aushalten. Sie drückte sich zurück. Doch da gab es nichts mehr, wo sie sich verstecken konnte. Keine Nische, nichts.
Angela musste fliehen. Sie konnte diesem Terror nicht länger standhalten. Die Maske schwebte jetzt dicht vor ihr. Furchterregend sah der ausgehöhlte Kürbis aus. Ein verzerrtes Gesicht, eine widerliche Fratze, in der das Kerzenlicht flackerte.
»Deine Mutter ist da. Sie kommt dich am Halloween-Tag besuchen!«, vernahm Angela eine dünne Stimme.
Angela drehte durch. Es begann mit einem markerschütternden Schrei. Er schwebte noch in der Luft, als Angela ihre Hände auf die Bank stützte und sich mit großer Kraft in die Höhe stemmte. Plötzlich stand sie auf der Fensterbank.
Vor ihren Augen begann alles zu tanzen. Die Maske drehte sich ebenso wie die Schatten der Mitschüler. Sie wurden zu einem Wirbel, einem Kreisel, der sich immer schneller bewegte und sie in die Tiefe zu reißen drohte.
In die Tiefe!
»Angela!!!«
Es war ein gellender Warnruf, aber er das Mädchen ignorierte ihn. Es hatte sich selbst Schwung gegeben und war im Nu von der Fensterbank verschwunden. Nur das graue Rechteck blieb zurück.
Auf einmal verstummten die Stimmen. Stille breitete sich aus. Nach einer Weile schluchzte jemand auf. Gleichzeitig wurde die Kerze im Innern der Maske ausgeblasen.
»Das habe ich doch nicht gewollt«, sagte derjenige, der die Maske gehalten hatte.
»Es war nur Spaß«, versuchte sich ein anderer Mut zu machen.
»Ja, nur Spaß.«
Danach schwiegen sie. Obwohl es keiner zugeben wollte, lauschten alle nach draußen. Sie hörten nichts. Die Stille war beklemmend. Selbst der Wind schien eingeschlafen zu sein, und nicht einmal das bunte Laub an den Bäumen raschelte noch.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte jemand.
Er bekam keine Antwort. Niemand wollte die Verantwortung übernehmen. Den Kindern hatte der Schreck übel mitgespielt.
»Sagt doch etwas!«
»Wir müssen nachsehen!«
»Wo?«
»Unten! Da muss sie ja noch liegen.«
»Vielleicht ist sie nur verletzt«, meldete sich eine dünne Mädchenstimme.
Sie bekam eine Antwort, die sie erschreckte. »Wieso das denn? Fall du mal aus dem vierten Stock.«
Danach wurde es wieder still.
»Wenn sie tot ist, haben wir sie ermordet«, sagte das Mädchen wieder.
»Quatsch. Angela hat Selbstmord begangen. Oder hat sie einer von euch angerührt?«
»Nein.«
»Na also.«
»Verdammt, ich habe Angst!«, flüsterte das Mädchen. »Ich will hier weg. Dieser Bau ist mir unheimlich. Wer kommt mit? Außerdem müssen wir nachsehen.«
Plötzlich wollten alle nicht mehr länger bleiben. Der Maskenträger warf den Kürbis weg. Die Maske knallte mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, rollte noch ein Stück und wurde schließlich von der Wand gestoppt.
Halloween! Aus dem Spiel war blutiger Ernst geworden. Jeder wusste es, und keiner war da, der sich Hoffnungen machte. Angela konnte nicht überlebt haben.
Sie erreichten die breite Steintreppe, die nach unten führte und erst in der großen Halle ihr Ende fand. Die Schüler blieben dicht zusammen. Das alte Haus machte ihnen plötzlich Angst. Sie hatten das Gefühl, als wäre mit dem Tod ein neuer Gast eingezogen.
Selten waren sie so rasch die Treppen nach unten gelaufen. Die große zweiflügelige Tür war nicht verschlossen. Finger umkrallten die Kante und zogen die Tür auf.
Kalte Luft empfing die kleine Gruppe Heranwachsender. Im Park hatte sich Nebel gebildet. Die Schwaden wirkten unheimlich, wenn sie sich lautlos über den Rasen bewegten.
Sie ließen auch die Treppe hinter sich, blieben für einen Moment stehen und sahen sich um.
»Nach rechts«, sagte jemand.
Alle waren einverstanden, denn es war genau die Richtung, wo auch Angela liegen musste.
Niemand sprach mehr ein Wort, als sie losliefen. Die Angst steckte ihnen in den Knochen und trieb sie voran. Ihre Schritte wirbelten Laub auf oder stampften über den feuchten Boden. Niemand traute sich plötzlich weiter. Sie blieben stehen, als wären sie vor eine Wand gelaufen. Die sechs sahen sich an. Jedes Gesicht sah in der Dunkelheit wie ein bleicher Fleck aus. Sie wollten etwas sagen, aber sie brachten kein Wort heraus.
»Da muss sie liegen!«, hauchte eine dünne Mädchenstimme.
»Dann geh doch vor!«
»Ich habe Angst.«
»Okay, Ronny, du hast die Maske getragen, und du wirst nachsehen. Alles klar?«
Ronny drehte sich scharf herum. »Warum ich?«
»Das habe ich dir doch gesagt.«
»Du kannst ebenso …«
»Keine Widerrede. Wir haben beschlossen, dass du es bist, der nachsehen wird.«
Die anderen nickten zustimmend.
Ronny ballte die Hände zu Fäusten. Für einen Moment verzerrt sich sein Gesicht vor Angst. Dann nickte er. »Ich gehe …«
Die fünf anderen sahen zu, wie er sich auf den Weg machte. Zögernd setzte er seine Schritte. Über seinen Rücken kroch eine Gänsehaut. Er zitterte am gesamten Leib, machte sich Vorwürfe, und seine Füße drückten die ersten sperrigen Bodengewächse in die feuchte Erde. Mit den Händen teilte er im Weg stehende Zweige, damit er einen besseren Blickwinkel bekam.
Dann senkte er den Kopf. Ronny sagte nichts. Seine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt, aber er starrte auf die leblose Gestalt.
Angela lag auf dem Rücken. Deutlich konnte er die verdrehten Augen erkennen. Für ihn ein Zeichen, dass in dem schmalen Mädchenkörper kein Leben mehr steckte. Das Gesicht kam ihm seltsam blass vor, die Hände hatte sie zu Fäusten verkrampft.
Hinter sich vernahm er Schritte. Die anderen kamen und blieben neben ihm stehen.
»Ist sie tot?«, fragte ein Mädchen stockend.
»Ja«, antwortete Ronny.
»Und wir haben sie umgebracht«, flüsterte ein anderer.
***
Nach diesen Worten war es lange still. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, die sich zumeist um Angela drehten. Sie war ihre Klassenkameradin gewesen, ein stilles, liebes Mädchen, nur eben ein wenig ängstlich. Deshalb hatten sich die sechs zusammengefunden, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen.
Es hatte mit Angelas Tod geendet!
Ein Wahnsinn. Eine irre, verwerfliche Tat. Sie hatten dem Mädchen die Angst austreiben wollen, und nun war so etwas passiert.
Stumm standen sie da. Vier Jungen und zwei Mädchen. Die weiblichen Schüler standen dicht zusammen, und jeder spürte das Zittern des anderen.
Das Schweigen lastete wie eine Glockenhaube über ihnen. Niemand wollte den Anfang machen und ein Wort sagen. Sechs stumme Gestalten standen um das tote Mädchen herum und wurden eingehüllt von den dampfenden Nebelwolken, die träge herbeizogen, auch die Mauern berührten, als wollten sie mit ihren hellgrauen Händen an der Hauswand hochkriechen.
»Was machen wir denn jetzt?«, unterbrach Carries Stimme unterbrach das Schweigen.
»Wir müssen doch etwas tun!« Diesmal klang ihre Stimme schon lauter.
»Die Polizei …«
»Nein!«, rief Ronny, als sein Nebenmann das Wort aussprach. »Keine Polizei.«
»Man wird die Leiche finden«, sagte Rusty Keene. »Dann kommen die Fragen sowieso.«
»Wirklich?« Diese Worte sprach Paul Frye aus.
»Wie meinst du das denn?«, wollte Julie, das zweite Mädchen, mit zitternder Stimme wissen.
Paul lachte. »Lass die Bullen kommen. Schaut mal nach oben. Das sieht alles nach Selbstmord aus. Angela hat sich aus dem Fenster gestürzt. Sie war schon immer sehr seltsam und ängstlich. Wir können das schließlich bezeugen, und uns kann keiner an den Kragen. Oder wie seht ihr die Sache?«
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Carrie Blake und hob ihre Schultern. »Es ist mir unwohl dabei.«
»Ja, mir auch«, gab Rusty zu.
»Der Plan ist gut.« Rusty bekam von Ronny Wilder Unterstützung. »Der ist sogar ausgezeichnet. Wenn wir uns gegenseitig versprechen, zu keinem ein Wort von diesem Abend zu erzählen, wird alles klargehen. Jedenfalls bin ich der Überzeugung.«
Die übrigen fünf hielten sich zurück. Niemand wollte so recht zustimmen.
»Los, sagt was!«, forderte Ronny Wilder.
»Wir machen es!« Rusty entschied für die anderen mit. »Oder will sich jemand querstellen? Wenn das passiert, reißt er nicht nur uns rein, sondern auch sich selbst. Das ist doch jedem von euch inzwischen klar geworden.«
Die anderen nickten.
»Dann werden wir uns gegenseitig schwören, zu keinem ein Wort zu sagen«, meldete sich Jack Mitchum. »Auch nicht zu den Eltern und Geschwistern. Niemand darf und wird je etwas erfahren.«
Die anderen nickten.
Wenig später hatten sie einen Kreis gebildet und sich an den Händen gefasst.
Sie sprachen den Schwur.
Ihre flüsternden Stimmen wurden von den grauen Nebelschwaden geschluckt. Eine Armlänge weiter waren sie schon nicht mehr zu verstehen. Doch die Schüler hörten sie.
Jeder vermied es tunlichst, auf die Tote zu schauen. Sie hatten ihr Bild lange genug in sich aufgenommen und wollten nicht mehr hinsehen. Nachdem sie ihre Hände wieder gelöst hatten, drang irgendwie befreiendes Atmen über ihre Lippen.
»Das wär’s also«, sagte Ronny Wilder. Da er die Maske gehalten hatte, war seine Angst am größten gewesen.
»Und jetzt verschwinden wir«, schlug Jack Mitchum vor.
»Was denkst du denn?«, sagte Rusty Keene.
Sie drehten sich um und gingen wieder zurück. Vor ihnen lag der Park, der zu dem Komplex gehörte.
Kaum hatten sie die ersten Schritte zurückgelegt, als sie die Stimme hörten und wie angenagelt stehen blieben.
»Halloween …«, klang die dünne, helle, unheimliche Stimme durch den immer dichter werdenden Nebel. »Bald ist wieder Halloween …«
Die sechs Gesichter der Schüler froren ein. Niemand konnte noch etwas sagen. Jeder hatte diese geisterhafte Stimme vernommen, und jeder hörte das gemeine Lachen, das abermals mit dem Wort Halloween ausklang.
Die Freunde duckten sich, als hätten sie Schläge bekommen. Sie starrten sich an. In den Gesichtern und ihren Augen war die Angst zu lesen. So etwas konnten sie einfach nicht begreifen. Das war so schaurig, so unheimlich, dass es ihnen den Atem verschlug.
»Halloween …«
Wieder hörten sie die dünne Stimme.
Trotz des Nebels wussten sie, aus welcher Richtung sie aufgeklungen war. Sie drang aus der Höhe zu ihnen nieder.
Niemand hatte ihnen den Befehl gegeben, aber jeder legte den Kopf in den Nacken, um an der Hauswand hochzublicken. Da sahen sie es. Der Nebel hatte noch nicht die Höhe erreicht, sodass ihre Sicht einigermaßen klar war. Und sie sahen im vierten Stock das Fenster, aus dem Angela gefallen war.
Dort schimmerte etwas. Es war die Maske, die Ronny Wilder weggeworfen hatte. Sie schwebte inmitten der grauen Öffnung, war von innen erleuchtet, und als die sechs sie ansahen, hörten sie wieder den klagenden Schrei.
»Halloween …«
Das war das Zeichen. Sie wussten, dass etwas Schreckliches im Gange war, gegen das sie nicht ankamen. Sie hatten ein junges Menschenleben auf dem Gewissen und zusätzlich noch einen Zeugen.
War es wirklich ein Zeuge? Eigentlich deutete alles darauf hin, wenn nur nicht die Stimme gewesen wäre. Sie gehörte nämlich der toten Angela.
Noch nie in ihrem Leben waren die Schüler so gerannt. In panischer Angst verließen sie den Ort des Grauens und hörten noch in der Ferne einen Ruf.
»Halloween …«
***
Freitagabend – Wochenende!
Jedenfalls für einen Großteil der Menschen in London. Aber auch für mich, den Geisterjäger John Sinclair? Ich hoffte es inständig, obwohl mir das Wetter draußen nicht danach aussah, als könnte man in den nächsten beiden Tagen etwas Großartiges unternehmen. Aber das spielte keine Rolle. Hauptsache war, dass ich mal so richtig ausspannte. Hoffentlich kam nichts dazwischen.
Und das war der Haken, denn ich hatte mal wieder so ein komisches Gefühl, und das nicht zu Unrecht, wie ich meinte.
Der Grund war mein Chef, Sir James Powell. Er hatte mich zu sich bestellt, und mir klang jetzt noch seine honigsüße Stimme im Ohr nach. Wenn er so sprach – und das kam selten genug vor –, wollte er mich zumeist um einen privaten Gefallen bitten.
»Sie könnten mal nach dem offiziellen Feierabend zu mir kommen, John«, hatte er gesagt.
Ich hatte natürlich nach dem Grund gefragt.
»Es ist eine private Sache.«
Darauf war ich gespannt. Natürlich wusste mein Freund Suko, mit dem ich das Büro teilte, Bescheid. Er sah auch meine Unruhe und amüsierte sich köstlich.
»Der Alte schickt dich bestimmt in die Wüste«, meinte er.
Ich hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt und rauchte eine Zigarette. »In welche Wüste? Sahara oder Gobi?«
»Wie ich den Alten kenne, schickt er dich nach Asien.«
»Und du kümmerst dich um Glenda.«
»Unter anderem.«
»Übernimm dich nur nicht.«
»Keine Sorge, ich bin Kummer gewohnt.«
Ich schüttelte den Kopf und drehte ihn gleichzeitig. Suko legte eine Hektik an den Tag, die ich von ihm überhaupt nicht gewohnt war. Er räumte nämlich seinen Schreibtisch auf, und das tat er mit einer erstaunlichen Akribie.
Bei mir lag alles durcheinander, ich hatte einfach keine Lust, aufzuräumen. Irgendwann würde ich mal Glenda bitten, dies zu tun.
Mein Blick fiel durch das Fenster. Es war dunstig draußen und sah nach Regen aus, da blieb man am besten im Haus, falls Sir James nichts anderes mit einem vorhatte.
Ich konnte mich noch gut an einen ähnlichen Fall erinnern, der auch einen etwas außerdienstlichen Charakter gehabt hatte. Da hatte er mich nach Deutschland in die »Disco Dracula« geschickt, weil ich dort einen Fall lösen sollte, und ich war auf einen schrecklichen Vampir namens Drago gestoßen.1)
Ob der Alte wieder etwas Ähnliches auf Lager hatte?
Glenda erschien. Sie war schon herbstlich gekleidet. Der Pullover zeigte eine dunkle Farbe. Mir gefielen die blauen Streifen dazwischen. Einer führte in Schlangenlinien über Glendas Oberweite.
»Möchte einer von euch noch Kaffee?«, fragte sie.
Suko schüttelte den Kopf, lehnte dankend ab und räumte weiter auf, wobei er die Schubladen zuknallen ließ.
»Und du, John?«
»Eigentlich ja, wenn du mich so fragst. Aber nicht jetzt.«
»Wann denn?«
»Ich muss noch zum Alten.«
»Stimmt, sicher.«
»Willst du solange warten?«, fragte ich sie.
»Auf dich?«
»Falls du keinen besseren findest.«
Glenda überlegte, und ein feines Lächeln umspielte dabei ihre vollen Lippen.
Ich schwang die Beine von der Schreibtischplatte. »Wir könnten uns den Abend so richtig gemütlich gestalten«, schlug ich vor. »Zunächst gehen wir einmal essen. Ich habe von einem neuen Restaurant gehört, in dem es keine Fish and Chips gibt, sondern ein hervorragendes Essen à la France. Man hat es im Bistro-Stil eingerichtet, der Koch verwertet nur frische Nahrungsmittel, aber wir können auch chinesisch, balkanesisch oder …«
Glenda begann zu lachen. »Hör auf, John, hör auf! Ich muss an meine Figur denken.«
»Die ist doch prächtig.«
»Und was machen wir nach dem Essen?«, fragte sie.
»Da gibt es mehrere Möglichkeiten«, sagte ich. »Wir könnten, zum Beispiel, eine kleine, sehr intime Bar besuchen. Auch da gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man mir versichert hat. Wenn wir dann getanzt haben, braucht der Abend nicht beendet zu sein. Im Gegenteil, danach zeige ich dir meine …« Zwei Dinge unterbrachen mich. Erstens Sukos Räuspern, zweitens das Telefon.
»Meinst du Briefmarkensammlung?«, fragte mich Glenda, als ich den Hörer abhob.
»So ähnlich.«
»John?« Es war Sir Powell. »Wenn Sie bitte jetzt zu mir kommen würden …«
»Sofort, Sir.« Ich stand auf und wandte mich an Glenda: »Wartest du?«
»Vielleicht.«
In der offenen Tür trafen wir uns. Meine Hände fuhren über ihre Wangen. »Wenn eine Frau vielleicht sagt, ist das schon fast ein sicheres Ja.«
»Toll, wie du dich auskennst.«
»Bei dir immer.«
»Beeil dich, sonst wird Sir James sauer.«
»Aber nicht nach Feierabend.«
Ich war ganz locker. Allerdings wollte ich damit mein ungutes Gefühl überspielen, das mich trotz allem nicht losgelassen hatte.
Ich schritt über den Flur, blieb vor Sir James’ Tür stehen, klopfte und hörte schon bald sein kräftig gesprochenes: »Come in!«
Wenige Sekunden später breitete sich auf meinem Gesicht ein Ausdruck der Überraschung aus. Das durfte es doch nicht geben, da war Sir James über seinen eigenen Schatten gesprungen.
Auf seinem Schreibtisch standen eine Flasche Whisky und ein funkelndes Kristallglas.
Sir James merkte natürlich, was in mir vorging und er fragte mich mit ein wenig lauernd klingender Stimme: »Ist irgendetwas, John?«
»Ja und nein.«
»Was denn?«
»Der Whisky, meine ich.«
»Ja, der ist für Sie. Ich darf leider bei meinem Magen keinen trinken. Aber setzen Sie sich doch.«
»Zu viel der Ehre, Sir.«
»Aber wieso denn?«
Ich hob die Schultern und ließ mich auf den gepolsterten Besucherstuhl fallen. Dabei schielte ich auf das Flaschenetikett. Es war ein Getränk der besten Sorte. Mein Vater war auch auf schottischen Malzwhisky spezialisiert.
»Schenken Sie ruhig ein, John.«
»Das mache ich auch. Geht der auf Spesen?«, fragte ich, als ich die Flasche in die Hand nahm.
»Nein, er stammt aus meinem Privatbesitz.«
»Dann wird er mir doppelt gut schmecken«, erwiderte ich und lauschte dem Geräusch nach, das entstand, als der Whisky in das Glas gluckerte. Es war eine Wohltat, und mir lief bereits das Wasser im Munde zusammen. Ich schenkte mir zwei Fingerbreit ein, hob das Glas und prostete meinem Chef zu. »Auf Ihr Wohl, Sir!«
Der Alte grinste, und die Augen hinter den Brillengläsern leuchteten. »Hoffentlich schmeckt es Ihnen.«
Ich genoss den ersten Schluck. Beinahe zart rann der Whisky über meine Zunge. »Doch, ausgezeichnet«, erwiderte ich, als ich das Glas absetzte und Sir James fragend ansah.
Der Superintendent legte die Hände zusammen, runzelte die Stirn und räusperte sich leicht. »Es ist ein wenig kompliziert, John. Sie haben sich das Wochenende redlich verdient …«
»Und Sie wollen es mir zerstören, Sir.«
»So darf man das nicht sehen. Es kann für Sie sehr nett und erholsam werden, aber auch anders enden. Das liegt noch in der Schwebe, wie Sie sich sicherlich denken …«
»Kommen Sie zur Sache, Sir.«
»Geben Sie damit Ihre Zustimmung? Ich kann Sie nicht zwingen, John, sondern nur um einen Gefallen bitten.«
»Ja, natürlich.«
Sir James rollte mit seinem Stuhl ein wenig zurück und öffnete eine Schublade seines Schreibtischs. Dort holte er ein Blatt Papier hervor. Ich sah es nur von der Rückseite, doch eine Handschrift schimmerte durch.
»Ein Freund aus dem Klub sprach mich vor einigen Tagen an. Er heißt Edward Phillip Blake, ist ein Mann des Managements und berät Firmen in puncto Geldanlagen. Mein Freund hat eine Tochter, die kurz vor der Schulentlassung steht. Ein junges Mädchen von achtzehn Jahren. Carrie mit Vornamen. Carrie möchte zusammen mit anderen Schülern am nächsten Tag ein Halloween-Fest feiern, und zwar auf dem Grund und Boden des Internats. Das ist alles gut und schön, die jungen Leute lassen auch die alten Traditionen wieder aufleben, und ich wäre der Letzte, der darin etwas Schlechtes sähe – wenn es da nicht einen Haken gäbe.«
»Welchen, Sir?«
»Diesen Brief!«
Mein Chef reichte ihn mir. Ich nahm ihn entgegen, strich das Papier glatt und begann zu lesen.
Meine liebe Carrie, ich freue mich außerordentlich, dass in diesem Jahr ein großes Halloween-Fest stattfindet. Ihr werdet alle kommen, und auch ich halte mich bereit. Ihr wisst, das Halloween-Fest ist der Beginn des Winters und das Fest der Masken. Auch ich trage eine Maske, und ich trage noch etwas. Ein Messer. Und dieses Messer ist für euch, meine Lieben. Ich freue mich schon, wenn es in eure Körper dringt. Eine alte Rache, mögen auch Jahre vergangen sein, erlischt nie.
Unterschrieben waren die Zeilen mit einem großen A. Nur ein Buchstabe, mehr nicht.
Ich ließ den Brief sinken und blickte Sir James an.
»Hat diesen Brief die Tochter Ihres Bekannten bekommen, Sir?«
»So ist es.«
»Und wie hat sie reagiert?«
»Mit ihr selbst habe ich leider nicht gesprochen. So kann ich nur das wiedergeben, was man mir berichtet hat.«
»Ihr Vater?«
»Sicher. Er zeigte sich ein wenig geschockt, denn auch die Reaktion seiner Tochter gab ihm zu denken.«
»Wieso?«
»Carrie wurde sehr blass, wie er meinte.«
Ich verzog den Mund. »Das wäre wohl jedem von uns so ergangen, kann ich mir vorstellen.«
»Da will ich nicht widersprechen.« Sir James deutete mit einem Bleistift auf den Brief. »Was auf dem Papier steht, John, das ist eine Morddrohung. Daran gibt es auch weiter nichts zu rütteln, wie mir scheint.«
»Das denke ich auch.«
»Würden Sie diese Drohung ernst nehmen?«
Eine Frage, die ich im Moment nicht beantworten konnte. Da hätte ich mich erst einmal mit dem Mädchen unterhalten und weitere Informationen sammeln müssen.
Überhaupt hatte ich nicht viel in der Hand. Nur den Brief!
»An einen Scherz glaubt keiner der Blakes«, erklärte mir Sir James Powell.
»Und weshalb nicht?«
»Denken Sie an die Entführungen und Anschläge in der Welt. Das ist alles kein Spaß. Ich nehme die Morddrohung ernst.«
Ich runzelte die Stirn. Innerlich hatte ich mich längst entschlossen, dem Internat einen Besuch abzustatten, und die nächste Frage war gezielt gestellt.
»Wo finde ich das Internat?«
»Es liegt ein wenig außerhalb von London. Auf dem Land. Kennen Sie Canterbury?«
»Natürlich.«
»Von dort aus müssten Sie dann in Richtung Dover fahren. Sie nehmen die Autobahn A2!«
»Sie haben sich gut erkundigt, Sir.«
»Das gehört zu meinen Aufgaben. Dennoch, John, ich möchte Sie noch einmal fragen, ob Sie den Job übernehmen wollen. Schließlich haben Sie am Wochenende frei und wahrscheinlich etwas anderes vor.«
»Nun ja …« Ich hob die Schultern.
Sir James fixierte mich. Dann stellte er seine Frage. »Haben Sie mit Miss Perkins etwas arrangiert?«
»Wie kommen Sie darauf, Sir?«
Der alte Fuchs verzog seine Lippen. »Es gibt Geheimnisse, die sind offen. Ich laufe zudem nicht mit geschlossenen Augen durch die Gegend und erkenne am Blick der jeweiligen Personen, wie sie zu den anderen stehen. Bei Miss Perkins habe ich schon Manches beobachtet, John. Sie sind dieser netten Dame nicht gleichgültig.«
Verdammt, jetzt wurde ich trotz allem noch rot. Das hatte Sir James wahrlich geschafft. Rasch leerte ich mein Glas.
Sir James wechselte das Thema. »Das Internat nennt sich Monkfort House und hat einen guten Ruf. Falls Sie jemanden mitnehmen wollen, steht dem nichts im Wege. Ich darf aber auch an die Gefahren erinnern, die Sie eventuell erwarten werden.«
»Oder auch nicht.«
»Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Wie Sie sich entscheiden, John, ist Ihre Sache.«
»Und welches Entree verschaffe ich mir?«, wollte ich wissen.
»Sie sind ein Bekannter von Mister Blake. Ihn finden sie ebenfalls auf dem Halloween-Fest, denn er hat Angst um seine Tochter.«
»Gut, Sir, dann werde ich mich an ihn wenden.« Ich stand auf und schob den Stuhl zurück.
Sir James reichte mir die Hand. Seinem Gesichtsausdruck las ich ab, dass ihm ein Stein vom Herzen gefallen war. Ich hoffte nur, dass alles glattlief und sich die Morddrohung als Scherz herausstellte.
Im Flur dachte ich über den Halloween-Tag nach. Was wusste ich alles darüber?
Sehr viel war es nicht, denn das Fest wird oft, trotz einiger bestehender Regeln, verschiedenartig gefeiert. In den angelsächsischen Ländern feiert man es immer am Vorabend von Allerheiligen.
Eigentlich stammt dieses Fest noch aus der Keltenzeit. Dort hatte es aber einen anderen Namen gehabt. Samhain. Man gab es zur Feier des Winteranfangs. Gewisse Opfer sollten die Dämonen vertreiben. Diese Opfer waren sinnbildlich dargestellt in Maskeraden und hohen lodernden Feuern. Der Tag galt auch als günstig für Weissagungen und Eheschließungen. In späterer Zeit wurde die Symbolfigur des Halloween der Jack O’Lantern, der Nachtwächter. Man höhlte einen Kürbis aus, schnitt Löcher hinein, sodass er einer dämonischen Fratze glich und stellte eine Kerze hinein, die das Innere des zweckentfremdeten Kürbisses ausleuchtete.
Das wusste ich über Halloween.
Suko war mittlerweile verschwunden, aber Glenda hatte noch auf mich gewartet. Sie saß an ihrem Schreibtisch, hatte die Beine hochgelegt und sah mir entgegen.
Ich blickte auf ihren Rock. In dieser Position zeigte er viel Bein.
Als Glenda mich hereinkommen sah, schwang sie die Beine wieder nach unten.
»Lass sie doch so.«
»Du Lüstling, das könnte dir so passen.«
Ich schloss die Tür. »Tja«, sagte ich und schabte mit dem Daumen über meinen Scheitel. »Es sieht nicht gut aus für den heutigen Abend. Da bin ich ehrlich.«
»Sir James hat dir einen Job aufgehalst.«
»So kann man es nicht unbedingt sehen«, erwiderte ich. »Es könnte ein Job werden.«
»Wie das?«
Ich berichtete Glenda von dem, was mir der Superintendent alles mitgeteilt hatte.
Sie hörte schweigend zu und hob schließlich die Schultern. »Da kann man nichts machen. Wochenende ade.«
»Bis auf eine Einschränkung«, sagte ich lächelnd. »Er hat nicht davon gesprochen, dass ich allein zu diesem Internat fahren soll. Außerdem steht es nicht fest, ob es sich bei dieser Sache um etwas Ernstes handelt.«
Glendas Lippen verzogen sich in die Breite. »Du meinst also, dass ich mitfahren könnte?«
»Unter Umständen.«
»Ich bin natürlich damit einverstanden. So ein Halloween-Fest habe ich noch nie erlebt.«
»Es könnte aber auch gefährlich werden«, warnte ich.
»Das war es bei anderen Fällen auch. Ich brauche nur an mein Rom-Abenteuer zu denken.«
»Stimmt.«
Glenda erhob sich. »Also fahre ich mit. Wie hast du dir das überhaupt alles gedacht? Wie soll es weitergehen? Wann können wir starten?«
»Das Fest findet erst Morgen statt. Du kannst dich noch eine Nacht ausruhen. Ich würde vorschlagen, dass wir am späten Vormittag abdampfen, einverstanden?«
Glenda nickte. »Und wie verbringst du die Nacht?«
»Schlafend«, gab ich lächelnd zur Antwort. »Das solltest du auch, denn wir werden verdammt lange auf den Beinen sein …«
***
Sie hatten sich im Schulzimmer getroffen, saßen im Kreis, starrten sich an und sagten kein einziges Wort. Obwohl sie so verschieden aussahen, wirkten sie irgendwie gleich, denn eins hatten sie gemeinsam.
Angst!
Sie stand in ihren Augen zu lesen, und die Haut ihrer Gesichter war fahl geworden.
Sechs junge Leute fühlten und dachten das Gleiche, denn sie waren von einer Vergangenheit eingeholt worden, die sie längst schon aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatten.
Zwischen ihren Fingern schimmerte weißes Papier. Die Briefe. Der Text war der gleiche, und sie hatten die Briefe, die an sie persönlich adressiert waren, keinem gezeigt.
Bis auf Carrie Blake.
Zufällig hatte ihr Vater den Brief in die Hand bekommen und gelesen. Allerdings wusste sie nicht, dass er sich davon hatte eine Kopie machen lassen, und in Carries Augen war es auch unnötig, ihre Freunde über diesen Vorgang zu informieren.
Betreten sah sie zu Boden, während draußen die Vorbereitungen für das abendliche Fest in vollem Gang war. Es sollte gleichzeitig ihr Abschlussfest sein, denn sie wurden von der Schule entlassen.
»Sechs Jahre ist alles her«, flüsterte Jack Mitchum und schüttelte den Kopf. Seine dunklen Locken sahen aus wie vom Friseur gelegt, dabei war es Naturkrause. Auf der Oberlippe des jungen Mannes wuchs ein dichter Schnauzer. »Ich kann es einfach nicht glauben. Warum haben wir nicht früher davon gehört?«
Keiner gab Antwort. Schwer lastete das Schweigen zwischen ihnen. Sie hingen ihren eigenen Gedanken nach.
Carrie Blake starrte auf die Tür. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen. Der Rock fiel bis an die Waden. In der Tat gehörte Carrie zu den hübschesten Mädchen der Schule. Sie hatte sich prächtig entwickelt. Das lange schwarze Haar trug sie an den Seiten hochgesteckt. Vom Teint her neigte sie immer zur Sonnenbräune, aber auch die war verschwunden. Carries Gesicht war ebenso blass wie das der anderen.
Ronny Wilder unterbrach das Schweigen schließlich, indem er mit der Fußspitze auftippte. Das Geräusch wiederholte er mehrmals, und Rusty Keene fuhr ärgerlich herum.
»Hör doch damit auf, verdammt!«
Ronny grinste. Er gehörte zu den absoluten Assen in der Schule. Doch nur im Sport. Er spielte Fußball, Tennis, schwamm gut und bezeichnete sich selbst als den großen Aufreißer. Ronny hatte einen kräftigen Körper, und das fast hellblonde Haar trug er sehr kurz. Sein Gesicht wirkte hager. Der Leistungssport hatte seine Spuren hinterlassen.
»Nervös?«, fragte er.
»Ja, verdammt.«
»Braucht ihr doch nicht zu sein.« Demonstrativ knüllte Ronny seinen Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche seiner Jeans. »Das macht man damit, Freunde.«
»Ist doch nur Angabe«, sagte Paul Frye.
Er galt als der Stille. Von sportlicher Leistung hielt er im Gegensatz zu Ronny nicht viel. Dafür zählte er zu den intelligentesten Schülern. Ein Studienplatz in Cambridge war ihm jetzt schon sicher. Paul machte immer einen etwas abwesenden Eindruck. Sein braunes Haar fiel ihm stets in die Stirn, und er hatte immer damit zu kämpfen, es wieder zurückzukämmen.
»Das musst du gerade sagen, du Hänfling«, regte sich Ronny auf und spannte seine Brustmuskeln an, auf die er immer so stolz war.
»Streitet euch nicht«, mischte sich die blonde Julie Jackson ein. »Wir haben genug Probleme.«
»Ich nicht«, erklärte Ronny.
Jack Mitchum rutschte vom Tisch. »Also, Freunde, was machen wir jetzt? Wir waren immer eine Clique, haben unser Geheimnis bewahrt. Man nennt uns nicht umsonst die sechs Verschworenen, und wir müssen diesmal beweisen, dass wir auch zusammenhalten können. Bisher ist es uns einfach zu gut gegangen, es gab keine Probleme, nun tauchen zum ersten Mal welche auf, wir müssen uns ihnen stellen und reagieren.«
»Das meine ich auch«, sagt Rusty Keene. Er war der Kleinste unter ihnen und trug eine Brille.
»Hast du einen Vorschlag?«, fragte Julie.
»Wir feiern einfach so, wie in den Jahren zuvor und tun so, als wäre nichts passiert.«
»Du hast Nerven«, sagte Carrie Blake.
»Was bleibt uns übrig? Sollen wir jetzt vor Angst zittern, wenn der Killer kommt?«
»Das hast du gesagt«, mischte sich Paul Frye ein.
Julie Jackson schüttelte den Kopf. »Wer redet denn hier überhaupt von einem Killer?«
Rusty zog ein erstauntes Gesicht. »Das nehme ich an.«
»Und wie kommst du darauf?«
»Ich habe mal einen Film gesehen.«
Ronny Wilder begann zu lachen »Du hast doch einen Riss im Hirn. Mensch, das war ein Film und keine Wirklichkeit.«
»Aber verdammt gut gemacht«, verteidigte sich Rusty. »Ich erinnere mich noch an den Titel: Prom Night. Ein Hammer, sage ich euch.«
»Der hatte nichts mit Halloween zu tun«, mischte sich Carrie Blake ein. »Ich habe den Streifen nämlich auch gesehen.«
»Ist doch alles Unsinn, was wir hier machen«, sagte Paul Frye. »Wir sind hier nicht im Kino, sondern auf einem Halloween-Fest, und der Briefschreiber kann auch ein Spinner sein.«
»Und wer sollte den Brief geschrieben haben?«, fragte Jack Mitchum.
Eine wirklich entscheidende Frage, auf die niemand eine Antwort wusste. Die sechs schwiegen sich aus. Selbst Ronny Wilder hielt seinen vorlauten Mund, obwohl er sonst um eine Antwort nie verlegen war.
»Es gab doch einen Zeugen«, murmelte Julie nach einer Weile. »Erinnern wir uns. Als wir bei der Leiche standen, hörten wir, dass jemand das Wort ‚Halloween’ rief und auch die Maske plötzlich am Fenster schwebte. Der hat den Brief geschrieben.«
»Ein Geist?«, fragte Ronny.
»Wieso Geist?«
»Weil ich keinen anderen in der Schule gesehen habe. Die war leer, verlassen. Wir hatten Ferien, und nur wir sieben waren dageblieben. Dabei habe ich Angela mitgezählt.«
Rusty tippte auf den Hausmeister, doch davon wollten die anderen nichts wissen.
»Der lag in den Ferien immer besoffen in der Ecke. Außerdem ist er vor zwei Jahren gestorben«, erklärte Julie.
»Dann ist guter Rat teuer«, sagte Rusty.
»Hat nicht doch einer von euch mit anderen über den Unfall gesprochen?«, fragte Paul.
Seine Freunde schüttelten nur die Köpfe.
»Am besten wird es sein, wenn wir uns völlig normal verhalten.« Ronny Wilder wollte der fruchtlosen Diskussion ein Ende bereiten. »Ich bin wenigstens dafür. Wir feiern Halloween wie in jedem Jahr und denken nicht dabei an irgendwelche komischen Mörder, die angeblich in der Schule lauern sollen.«
»Das ist leichter gesagt als getan. Ich meine …« Was Julie Jackson meinte, erfuhr keiner mehr, denn es wurde ziemlich energisch an die Klassentür geklopft.
Die sechs staunten sich an. Niemand wusste, wer es sein konnte. Sie hatten aber auch keine Lust, zu öffnen, denn sie wollten unter sich bleiben. Ronny grinste und legte einen Finger auf die Lippen.
Wieder das Klopfen. Diesmal noch lauter. Und dann vernahmen sie die Stimme einer Frau.
»Ich weiß, dass ihr da drin seid. Macht doch endlich die Tür auf! Oder störe ich euch bei irgendwas?«
»Die Graves …« Ronny verdrehte die Augen.
»Was hast du denn? Ich finde sie nett«, sagte Carrie Blake, rutschte vom Tisch und schritt auf die Tür zu, um zu öffnen.
Caroline Graves war Lehrerin an der Schule. Eine Person, die von fast allen Schülern anerkannt wurde. Erst seit zwei Jahren unterrichtete sie und hatte frischen Wind in das Internat gebracht. Ihr burschikoses Auftreten imponierte auch manchen Schülern der höheren Klassen. Es gab nicht wenige, die versucht hatten, mit der Fünfundzwanzigjährigen anzubändeln, doch Caroline hatte diese Angebote immer überhört.
Auch Ronny Wilder war es so ergangen. Wahrscheinlich war er aus diesem Grund sauer.
Carrie schloss auf, und die Lehrerin betrat den Klassenraum. Sie schüttelte den Kopf. »Weshalb sondert ihr euch eigentlich von den anderen ab?«, beschwerte sie sich. »Zudem schließt ihr noch die Tür. Was soll das alles?«
»Das geht Sie nichts an«, erklärte Ronny Wilder und baute sich vor Caroline Graves auf.
»Ronny, sei friedlich. Ich weiß, dass du Muskeln hast. Aber streng auch mal deine geistige Potenz.«
»Was soll das heißen?«
»Genau das«, erwiderte die Lehrerin und schob sich an dem jungen Mann vorbei.
Sie trug einen flotten Hosenanzug und eine weiße Bluse unter der Jacke. Das brünette Haar hatte sie hochgesteckt. Auf dem Kopf wurde es durch bunte Klammern und Spangen gehalten. Ihr Gesicht war fein geschnitten, die Augen groß und dunkel, und ihr schlanker Körper hatte die Biegsamkeit einer Gerte.
»Was gab es so Wichtiges zu besprechen?«, erkundigte sie sich und blickte in die Runde.
»Wir unterhielten uns über das Fest«, erwiderte Carrie.
»Und deswegen bin ich gekommen« Caroline Graves sah auf die Uhr. »Es wird allmählich Zeit. Die meisten Eltern sind schon da, die Aula ist fertig und die Wagen, die das Essen bringen, rollen auch in einer halben Stunde an. Im Park stellen sie schon die Reisighaufen für die ersten Feuer zusammen, sogar die alte McQuade ist gekommen.«
»Die Wahrsagerin?«, fragte Julie.
»Ja.« Caroline lachte. »Sie hat es sich nicht nehmen lassen. Der Andrang ist groß.«
»Zu der gehe ich«, sagte Ronny, nickte seinen Freunden zu und verschwand pfeifend.
Carrie wollte ihn noch zurückhalten, doch da war er schon verschwunden.
Die Lehrerin blieb stehen, schüttelte den Kopf, stemmte die Hände in die Hüften und wunderte sich. »Was ist eigentlich mit euch los?«, fragte sie.
»Wieso?«, fragte Rusty Keene.
Sie sah ihn an. »Ihr seid so komisch, so still, so anders …«
Keene hob die Schultern. »Kann ich nicht behaupten, wirklich nicht. Oder was meint ihr?«
Allgemeines Kopfschütteln.