Joseph Beuys - Reinhard Ermen - E-Book

Joseph Beuys E-Book

Reinhard Ermen

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Beschreibung

Joseph Beuys' Leben (1921-1986) umranken Legenden, seine Werke gelten als bedeutungsschwer und rätselhaft zugleich. Unumstritten ist sein Rang als einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. In seinen Installationen, Plastiken, Objekten und Zeichnungen verschränken sich zeitgenössische Anspielungen, biographische Elemente und eine oft esoterische Naturlehre. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Reinhard Ermen

Joseph Beuys

Über dieses Buch

Joseph Beuys' Leben (1921–1986) umranken Legenden, seine Werke gelten als bedeutungsschwer und rätselhaft zugleich. Unumstritten ist sein Rang als einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. In seinen Installationen, Plastiken, Objekten und Zeichnungen verschränken sich zeitgenössische Anspielungen, biographische Elemente und eine oft esoterische Naturlehre.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Reinhard Ermen, 1954 in Moers am Niederrhein geboren, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln. Er arbeitete als Dramaturg bei den Städtischen Bühnen in Essen und Oberhausen. Promotion 1986 mit einer Arbeit über den Polemiker Hans Pfitzner. Anschließend war er Sachbuchlektor beim Bärenreiterverlag in Kassel, von 1992 bis 2019 war er Musikredakteur beim Kulturprogramm SWR2. Für «rowohlts monographien» schrieb er den Band über Ferruccio Busoni (rm 50483). Daneben widmet er sich intensiv der Gegenwartskunst. Er ist ständiger Mitarbeiter beim «Kunstforum International» und Autor diverser Katalogbeiträge und Künstlerporträts; gelegentliche Überschneidungen mit der Musik nicht ausgeschlossen.

«Straßenbahnhaltestelle»

Auf der Spitze eines über drei Meter in die Höhe ragenden Kanonenrohrs sitzt ein kahler Kopf mit geöffnetem Mund; vier in den Boden gerammte Mörserkessel umgeben die schlanke Stele. Auf der linken Seite ist eine Straßenbahnschiene zu sehen, die kurz aus dem Boden aufzutauchen scheint, im Hintergrund blieb eine kleine Halde mit Erdaushub übrig. Unmittelbar daneben steckt eine eiserne Kurbel im Boden. Straßenbahnhaltestelle heißt dieses Ensemble, das Joseph Beuys 1976 für die 37. Biennale in Venedig baute. Vier Jahre stand der deutsche Pavillon leer, denn 1974 gab es aus organisatorischen Gründen keine Biennale; Beuys hatte darauf bestanden, dass der mittlere Hauptraum der machtbewussten Architektur nicht renoviert oder auch nur gestrichen wurde, sodass seine Skulptur mit ihrer archaisierenden Aura in dem etwas maroden Ambiente anmutete, als habe sie schon immer da gestanden. Das informierte Publikum war nicht wenig irritiert, dass der Mann mit Hut durch solch eine geradezu klassisch auftretende Skulptur die Klischees von Beuys, dem Provokateur, dem Apologeten von Fett und Filz, deutlich erschütterte. Doch enthält die Arbeit genug Implikationen, um auf den zweiten Blick als ‹typisch› erkannt zu werden.

Das ist ein Monument der Erinnerung. Es handelt sich um die wirkliche Restauration eines Platzes, den ich in der Kindheit erlebt habe. Einige Teile stehen noch herum[1], sagt Joseph Beuys aus gegebenem Anlass, und gemeint ist die Straßenbahnhaltestelle «Zum Eisernen Mann» an der Nassauer Allee in Kleve, die dem Schüler Beuys sehr vertraut war. Das zentrale Ensemble mit den Mörserkesseln, die die fast graziös zu nennende Feldschlange wie für eine permanente Konferenz einzäunen, hat seine eigene Geschichte, denn hier versammeln sich die letzten Relikte mehrerer Friedenszeichen, die der brandenburgische Statthalter Moritz von Nassau-Siegen nach dem Dreißigjährigen Krieg in seiner Stadt Kleve aus abgelegtem Kriegsgerät bauen ließ. Der «Eiserne Mann», ursprünglich eine Cupido-Säule, auf die fälschlicherweise der Name eines schon lange zuvor verlorengegangenen Friedenszeichens überging, konnte sich als einziges davon in das 20. Jahrhundert hinüberretten.

Straßenbahnhaltestelle ist als Restauration einer realen Situation Beschwörung von Energieströmen, die im Eisen zur Ruhe gekommen sind; vermessen werden die Vertikalen der Geschichte und die Horizontalen der Bewegung. Im Zugriff der gestaltenden Erinnerung verändern sich die Versatzstücke. Der «Eiserne Mann» war zu Beuys’ Jugendzeit im Kleve der zwanziger Jahre ein anspruchslos geduldeter Rest, das Haupt bekommt der Nachguss im Vorfeld der Biennale verpasst. Dieses Männerbildnis mit dem geöffneten Mund, der nicht zu schreien vermag, dieser kahlköpfige Laokoon geht zurück auf eine Schülerarbeit der Beuys-Klasse 1963 an der Düsseldorfer Akademie. Der Lehrer hat sie sich durch entscheidende Korrekturen und vorausschauendes Einlagern zu eigen gemacht.[2] Im Rahmen der venezianischen Neuverortung wird die ursprüngliche klevische Situation weitergedacht. Der Abraumhügel dokumentiert das Eindringen in den Boden vor Ort. Schutt vom 1902 eingestürzten Campanile zu San Marco, mit dem die Giardini der Biennale seinerzeit aufgeschüttet wurden, kommt zutage. Das Bohrloch daneben reicht 21 Meter tief bis an den Festlandsockel und stellt damit einen Kontakt zur Heimatstadt Kleve her. Die Kurbel, Ende eines entsprechend langen Gestänges, führt vor Augen, dass die Verbindung steht.

Die Erinnerung an einen Ort in der Heimatstadt ist Beuys eine Skulptur wert, weil er dort eine Art Initiation zum Bildhauer gefühlt hat. Ich habe erlebt an dieser Stelle, als kleines Kind, daß man mit Material etwas Ungeheures ausdrücken kann, was für die Welt ganz entscheidend ist, so hab ich’s erlebt. Oder sagen wir, daß die ganze Welt abhängt von der Konstellation von ein paar Brocken Material, sagt Beuys 1977 im Gespräch über Schlüsselerlebnisse zu Georg Jappe: Ich hab nur gesehen, da war eine Eisenstange, und da waren Eisenelemente, die lagen da rum in verschiedener Form in die Erde versunken und guckten raus, und ich habe mich regelmäßig, wenn ich aus der Schule kam, – weil da eine Umsteigestelle für die Straßenbahn war – da hingesetzt und habe mich da, in heutigem Sprachgebrauch könnte man sagen, ganz absinken lassen, in dieses, ja, in dieses Gesehenwerden von den anderen Dingen.[3] Der Augenblick des Absinkens, das Warten auf Kommendes, das unbewusste Verinnerlichen des historisch vorstrukturierten Materials, dessen Geschichte mit der ergreifenden Installation in Venedig noch lange nicht zu Ende ist, wird gefeiert. Der Arbeit, die zurückschaut, um einen Anfang zu beschwören, ist etwas Zukünftiges eingeschrieben, deshalb auch im Untertitel: A monument to the future.

Beuys will die Skulptur als Aktion verstanden wissen; im Anschluss an die Biennale darf die Straßenbahnhaltestelle nur noch liegend gezeigt werden. Der aufrechte, partiell durchaus monumentale Gestus ist dem Werk nur kurze Zeit gestattet; im Kröller-Müller-Museum im holländischen Otterlo, wohin die Arbeit schon während der Biennale verkauft wird, liegt sie zu Füßen der Betrachter, platzsparend abgelegt wie in einem überdimensionalen Werkzeugkasten. Zu sehen sind Aktionsrelikte, wie sie im Werk von Beuys immer wieder vorkommen. Durch den neuen Zustand verändern sich die Kontexte, ganz abgesehen davon, dass eine zweite Version, die niemals die venezianische Ursituation gekannt hat, nicht nur durch das wuchtigere Schienen- bzw. Weichenstück in Details verschieden auftritt, sondern auch durch die etwas andere Ablage des Rohrs auf den Mörsertöpfen – so sieht man es jedenfalls 1979 bei der großen Beuys-Retrospektive im Guggenheim Museum in New York als Leihgabe der Sammlung Marx (heute im Hamburger Bahnhof der Berliner Nationalgalerie). Die abgelegten Werkzeuge machen fast den Eindruck eines provisorischen Gefährts. Die klevische Erinnerungsarbeit ist, selbst in Form eines eisernen Denkmals, immer in Bewegung.

1921–1940

Trotz seiner engen Verbindung mit Kleve: Joseph Heinrich Beuys wurde am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren; erst im Herbst desselben Jahres zog die junge Familie nach Kleve um. Zu gelegentlichen Verwirrungen über den Geburtsort trug Beuys selber bei, schrieb er doch 1961 im ersten Entwurf eines Lebenslaufs, der später als Lebenslauf-Werklauf ein künstlerisches Eigenleben führen sollte: Ich gebe immer Kleve an, weil die Geburt in Krefeld rein zufällig war.[4] Der Vater, Joseph Jakob Beuys (1888–1958) stammte aus Geldern. Nach einiger Zeit als Stadtinspektor auf dem Bürgermeisteramt in Kleve machten er und sein Bruder Hubert sich 1930 mit einem Geschäft für Mehl und Futtermittel im nahe gelegenen Rindern selbständig. Auch die Mutter Johanna Maria Margarete (geb. Hülsermann 1889–1974) stammte aus der Gegend, nämlich dem rechtsrheinischen Spellen bei Dinslaken.

In die flache, melancholisch-schöne wie offene Landschaft des Niederrheins hineingeboren und mit ihr verwachsen, erhielt Joseph Beuys durch die Eltern ein entschieden rheinisches (durch den Vater auch niederländisches) Erbteil, das seinen Tonfall unverwechselbar färben sollte. «Um Beuys zu verstehen», resümierte 1984 der Medienkünstler und Weggefährte Nam June Paik, sei es «unbedingt notwendig, sich vor Augen zu halten, daß er kein Repräsentant ausgesprochen deutscher Kunst ist, sondern ein Künstler aus Flandern am Niederrhein, nahe der niederländischen Grenze.» Die Feldforschung des Koreaners führte Landsleute aus alter und nicht ganz so alter Zeit ins Feld, «Maler wie Jan van Steen, der einen fast surrealistischen, unglaublich präzisen Realismus vertrat. Rembrandt, Rubens, Bosch, Breughel, van Gogh, Ensor, Mondrian», um nach dieser Reihe wahlverwandter Naturen zu dem anregenden Ergebnis zu kommen, «daß dieses Bauernvolk verrückt ist». Die Ethnologie des hellsichtigen Fremden zählte dann eine ganze Reihe allgemeiner Charaktereigenschaften auf, die sich auch in der Person von Joseph Beuys versammeln, also «hingebungsvolle Resignation», ein «knorriges Lachen». Dazu: «Sie sind erdverbunden» und «abergläubisch, geheimnisvoll, unheimlich». Das Fazit dieser Betrachtung für den Katalog der ersten großen Beuys-Ausstellung in Japan im Seibu Museum of Art, Tokio, zog diese Verbundenheit mit seinem Herkommen zu einer weiteren verblüffenden Erkenntnis zusammen: «Wenn man an Beuys’ Regionalismus denkt, wird man unerwartet mit dem Tod konfrontiert; und aus diesem ‹Grübeln über den Tod› erwachsen Beuys’ Universalität und eine Quelle seiner Ausstrahlung, die die Menschen in aller Welt so ungeheuer begeistert.»[5]

Von 1927 bis 1932 besuchte Beuys die Katholische Volksschule, dann wechselte er zum staatlichen Hindenburg-Gymnasium in Kleve. Beuys war kein leichter, aber ein beliebter Schüler. Von Streichen wird berichtet. Er kletterte lieber das Regenrohr hoch, als Tür und Treppe zu benutzen, mit dem Fahrrad fuhr er die Treppen des Gymnasiums hinunter; kurz vor dem Abitur revoltierte er mit einem Fluchtversuch gegen den kleinbürgerlichen Umraum, er riss aus zum Zirkus. Ich war für meine Eltern ein großer Sorgenfall.[6] Beuys selber wollte sich an annähernd zwei Jahre bei dem Wanderzirkus erinnern, wo er alle möglichen Sachen machte, von der Werbung angefangen, bis zu einfachen Drahtseilakten. Ich habe für die Tiere gesorgt.[7] Franz-Joachim Verspohl konnte diese Episode auf «fast ein Jahr» um 1939 konkretisieren.[8] Für den strengen Vater war das womöglich die erste Gelegenheit, eine solide Zukunftsplanung anzumahnen. Meinen Eltern wäre es lieber gewesen, wenn ich hier in der Margarinefabrik Prokurist geworden wäre; daß ich ‹op de botter› arbeite.[9] Beuys, dem später Fett zu einem paradigmatischen Material werden sollte, als Angestellter einer Margarinefabrik – das ist eine Vorstellung, die nicht nur Peter Sager belustigte, der sie bei Gelegenheit eines schwungvollen Porträts für das «ZEITmagazin» 1978 aufzeichnete. Der abenteuerlustige Ausreißer musste die Schule nicht verlassen, der Lehrkörper gewährte eine neue Chance. Ostern 1941 verließ er die Schule mit dem «Reifevermerk».[10]

Die nationalsozialistische Machtübernahme machte nach dem 30. Januar 1933 vor den Toren der konservativ-katholischen Stadt Kleve nicht halt. Die beiden Verfasser einer kritischen, sprich «erweiterten» Beuys-Biographie von 1996 legten Wert darauf, verbunden mit dem Vorwurf, dass Joseph Beuys das in der Erinnerung mutwillig nicht wahrhaben wollte, hatte er doch 1982 auf Fragen einer forschenden Arbeitsgemeinschaft von Kasseler Schülern die grenznahe Lage der Stadt zu den Niederlanden als Grund für eine relative Ferne vom nationalsozialistischen Machtgebaren angeführt und ein Bild beschaulicher Normalität gezeichnet, trotz gelegentlicher Einbrüche, die auch ihm nicht verborgen waren, wie die brennende Synagoge während der so genannten Kristallnacht[11]. Gegen die Recherchen und moralischen Urteile kritischer Chronisten steht Beuys’ eigene Erinnerung, zum Beispiel was die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend angeht, mit der er 1936 am großen Sternmarsch zum Reichsparteitag in Nürnberg teilnahm. Skrupel dagegen gab es bei mir überhaupt nicht, höchstens bei meinen Eltern. Man muß ja zugeben, daß – etwa im Gegensatz zu heute – damals die Situation für die Jugendlichen in gewisser Weise ideal war, um sich auszuleben. Es kann keine Rede sein, daß wir manipuliert worden sind; gut man stand in Reih und Glied und trug eine Uniform, aber ansonsten fühlten wir uns frei und unabhängig. Allerdings empfand ich mich, aus einer inneren Protestsituation heraus, stets als Außenseiter, sowohl im Elternhaus wie in der Schule – aus der man mich einige Male entfernen wollte – als auch in der Hitlerjugend.[12] Diese zuerst etwas irritierende Einschätzung bestätigt eine Wahrnehmung des knapp ein Jahr jüngeren Sozialpsychologen Peter Brückner, der im Rahmen einer gänzlich anderen Sozialisation in seinem Erinnerungsbuch «Das Abseits als sicherer Ort» ähnliche Erfahrungen beschreibt. Die HJ konnte aufgrund ihrer anfänglichen Konkurrenz zur Schule (was sich um 1938 ändern sollte) fast so etwas wie eine «rebellische Chance» bieten, sich zeitweilig der «herrschaftlichen Kontrolle» zu entziehen[13]. Brückner beschreibt sehr plausibel einen Apparat, dessen Befriedigungen ihn noch erreichten, als er längst in widerständigen Milieus verkehrte. Brückner erinnert sich an die Suche nach herrschaftsfreien Zonen, dem stillen «Abseits» im Aktionsradius des Machtkraken Nationalsozialismus: «Es gibt immer Orte zu finden, die leer von Macht sind. Die institutionelle Umklammerung des Lebens ist zu Anteilen Schein.»[14] Die Suche nach einem Abseits, die in der Ausreißergeschichte noch deutlicher wurde, mochte sich für Beuys auch in seiner Naturliebe niederschlagen. Sie realisierte sich in kindlichen Wunderkabinetten, in einem kleinen Zoo, und über alles wurde Buch geführt. Ja. Ich habe mich meinen naturwissenschaftlichen Studien eigentlich seit meinem 14. Lebensjahr gewidmet und hatte ein großes Laboratorium aufgebaut.[15]

Zum langsamen Sich-Einfinden in die Kunst gehört die Musik. Er erhielt Klavierunterricht und war im Rahmen des «6. öffentl. Schülerkonzert[s] veranstaltet von Frau Prof. Steinbach-Neuhaus» am 22. März 1931 das erste Mal als Pianist zu hören, gleich mit drei Stücken: «a Gib mir die Blume b Bald gras ich am Neckar c Jägerchor»[16]. Außerdem spielte er von 1938 bis 1941 im sogenannten Bannorchester der HJ Cello. Dessen Leiter, Hanns Schwarz, war der einzige Träger einer SA-Uniform am Klever Gymnasium – so jedenfalls erzählte es Joseph Beuys, der trotzdem die musikalischen Qualitäten dieses Lehrers zu schätzen wusste.[17] Das besondere musikalische Empfinden, das viele seiner Aktionen bestimmte, die im Rahmen von Fluxus als «Konzerte» firmierten, wurde hier gefördert. Ganz abgesehen davon, dass der Aktionist Beuys oft genug Pianist, häufig auch Vokalist war. Beuys war Musiker, sein fortgeschrittenes Klavierspiel beeindruckte Freunde und Kollegen, aber: Der Musiker war kein Musikant! Ich hatte auch das Gefühl, wenn ich drei Jahre das Klavier nicht angerührt hatte, daß ich dann viel mehr gelernt hatte, als wenn ich dauernd während der drei Jahre gespielt hätte.[18]

Durch die Arbeit des erfolgreichen Künstlers und Aktionisten zieht sich eine Spur von Klavieren; ja, es müsste möglich sein, eine annähernd vollständige Retrospektive mit Hilfe des Assoziationsvehikels Klavier zusammenzustellen. Kaum ein Künstler des 20. Jahrhunderts hat sich so intensiv mit diesem bürgerlichen Möbel auseinandergesetzt wie Joseph Beuys. Mit großer Ehrfurcht hat er es in Filz eingenäht (Infiltration Homogen für Konzertflügel, 1966) oder mit Rosen und Nelken gespickt (Revolutionsklavier, 1969), auch der gelegentlich etwas ruppige Zugriff war eine Form der Liebe. Bis in seine letzten Lebensjahre, als kostbare schwarze Flügel mit einer heiligen Scheu inszeniert wurden, ließ ihn das Klavier nicht los als Instrument anderer Konzerte, aber auch als stummer Repräsentant einer möglichen Musik. Bei dieser Gelegenheit fällt auf, wie schwer es ist, die Frühzeit von Joseph Beuys nicht aus der Perspektive der reifen Arbeit zu sehen, als «Vorzeichnung» des Kommenden durch das unbewusst handelnde Kind.

Die offensichtliche künstlerische Begabung lief zu diesem Zeitpunkt nebenher. Der Kunstunterricht erschien Beuys erst relativ spät interessant. Im Treppenhaus des Gymnasiums hingen einige Landschaftsaquarelle von ihm und gingen mit der Schule im Bombenkrieg am 7. Oktober 1944 unter. Eines aus dieser Zeit wird noch heute, sozusagen als Initial der Werkgruppe Wasserfarben, gezeigt, eine Landschaft mit Pappel, deren souveräne Erfassung von Raum und Natur die große Begabung ahnen lässt[19]. Künstlerische Anregungen ergaben sich außerhalb der Schule, etwa durch Atelierbesuche bei dem flämischen Bildhauer Achilles Moortgart (1881–1957), ein später Protagonist des Jugendstils, der in der Umgebung von Kleve vor allen Dingen auf Friedhöfen seine Spuren hinterlassen hat.[20] Eine von Joseph Beuys immer wieder als ein Wink des Schicksals beschriebene Begegnung mit dem Werk Wilhelm Lehmbrucks (1881–1919) durch eine oder mehrere Abbildungen in einer schlichten Broschüre, muss um das Jahr 1938 stattgefunden haben.

Wilhelm Lehmbruck (1881–1919)

1881 als viertes Kind einer Bergarbeiterfamilie am 4. Januar 1881 in Meiderich bei Duisburg geboren, besucht er von 1895 bis 1899 die Kunstgewerbeschule in Düsseldorf, von 1901 bis 1906 war er Meisterschüler von Karl Janssen an der Düsseldorfer Kunstakademie. 1907 werden erstmals Arbeiten von ihm in Paris gezeigt, wohin er 1910 übersiedelt. 1912 ist er auf der Sonderbundausstellung in Köln zu sehen, 1913 beteiligt er sich an der «Amory Show» in New York, eine erste große Einzelausstellung hat er 1914 in der Galerie Paul Lavesque in Paris. Der Weltkrieg (eingezogen 1914 als Sanitäter eines Lazaretts in Berlin) belastet ihn psychisch schwer: Ab 1916, nach einer fluchtartigen Übersiedlung, eröffnet er ein Atelier in Zürich, ab 1918 ist er in Berlin. Eine wachsende Depression treibt ihn am 25. März 1919 in den Selbstmord. Wilhelm Lehmbruck ist eine Zentralfigur für die Plastik des beginnenden 20. Jahrhunderts. Wie Flammen ergreifen seine schlanken Gestalten den Raum; als eigensinnige Synthese aus Naturalismus und Expressionismus idealisieren oder typisieren sich in ihnen grundsätzliche Haltungen. Schütze die Flamme, assoziiert Beuys im Zusammenhang einer ersten Begegnung mit der Kunst Lehmbrucks. 1937 fallen seine Arbeiten bei den Nationalsozialisten unter das Diktat der «entarteten» Kunst.

Später verdichtete sich in der Erinnerung das Lehmbruck-Erlebnis zu einer Art Berufung. Am eindringlichsten hat er das noch elf Tage vor seinem Tod bei der Verleihung des «Lehmbruck-Preises der Stadt Duisburg» am 12. Januar 1986 beschrieben. Ich bekam also dieses Büchlein ganz zufällig, das auf irgendeinem Tisch lag zwischen anderen, ziemlich zerrupften kleinen Heftchen, in die Hand, schlug die Seite auf und sah eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck, und unmittelbar ging mir diese Idee auf, eine Intuition also: Skulptur – mit der Skulptur ist etwas zu machen. Alles ist Skulptur, rief mir quasi dieses Bild zu. Und in dem Bild sah ich eine Fackel, sah ich eine Flamme, und ich hörte: Schütze die Flamme![21] Die Beschreibung dieser Offenbarung erinnert partiell an das andere Schlüsselerlebnis, an die Initiation bei den Relikten zum «Eisernen Mann», der in Venedig das Denkmal Straßenbahnhaltestelle gesetzt wurde. Das noch unbestimmte Empfinden zwischen Schienen und Relikten, daß man mit Material etwas ungeheures ausdrücken kann, konkretisiert sich im Gegenüber zu der idealisierten Materialität Lehmbrucks, mit der Skulptur ist etwas zu machen.

«Belvedereblatt»

Der Text beginnt wie ein Gedicht mit dem emphatischen Ausruf O Frühling; nach sechs Zeilen rücken die Anfänge ein wenig nach links; es wird mehr Platz gebraucht für Eindrücke, die immer mehr in Prosa übergehen: Ein Morgen im Park des Schlosses Belvedere, etwa drei Kilometer südlich vom Stadtzentrum Weimars gelegen. Der Schreibende kann sich der Gefühle kaum erwehren, sie werden in schlichten, naiven Sätzen gebannt: Drüben fließt der Bach. Silberhell klingt es wenn die kleinen Wellen lieblich über die bunten Kiesel plätschern. Schon über die hoch herausragenden Steine zieht sich neujähriges Moos. Die Beschreibung mündet in einer Reflexion über das Verhältnis von Pflanze, Tier und Mensch. Eine ungeheure Spannung wird wachgerufen zwischen Fauna und Flora. Der Mensch fühlt, daß die Pflanzen und Tiere seine Verwandten sind. Die Möglichkeit einer Verarbeitung durch Kunst scheint schlussendlich auf. Die Prosa klingt aus in Stichworten. Das Problem muss nochmals bearbeitet werden. Im Mai 1942, während eines Kurzurlaubs von der militärischen Ausbildung in Erfurt, schreibt der einundzwanzigjährige Joseph Beuys das nieder.[22] Und das tut er durchaus mit kalligraphischem Ehrgeiz, fließend, durchsetzt mit der in der Schule gelehrten «deutschen Schrift», der bis 1941 verbindlichen «Sütterlin»[23]. Diesen Schrifttyp wird Beuys mit gelegentlichen Abweichungen und Veränderungen weiter pflegen, weshalb manche seiner Autographen für die Unkundigen einer jüngeren Generation nicht leicht zu lesen sind.

Sicher ist, dass er bei dieser Gelegenheit auch das Nietzsche-Archiv, dessen Schätze trotz Kriegszeiten noch nicht ausgelagert waren, besucht hat. Ohnehin ist der Einfluss dieses Philosophen in dem Versuch über Mensch, Natur und Kunst nicht zu überhören, die heroische Schlusswendung spielt mit zwei Nietzsche-Vokabeln. Der Mensch kann wandeln durch sein Genie und seinen faustischen Willen das dionysische ins apollinische. Im Folgenden sind Apollo u. Dionysos durch einen frei gezogenen Kasten extra hervorgehoben. Ohne Frage, das Anfangskapitel in «Die Geburt der Tragödie» hat die Eindrücke inspiriert: «Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen.»[24] Der faustische Wille verweist auf den eigentlichen Genius Weimars, doch wird auch der durch eine Nietzsche-Vokabel, also die adjektivierte Form des «Faust» dargeboten. Anders gesagt: Joseph Beuys ist an diesem Maimorgen 1942 Friedrich Nietzsche näher als Johann Wolfgang von Goethe. Er ist damit ganz Kind dieser donnernden Zeiten, auch die germanische, für Nazi-Deutschland reanimierte Frühlingsgöttin Ostara wandert über allen Matten. Als Entsprechung zur mediterranen Bildlichkeit Nietzsches wird die nordische Mythologie zitiert, vermutlich wurde der Titel Nordischer Frühling, der ganz oben, klein und unauffällig zu lesen ist, bei Gelegenheit dieses letzten Gedankens über das Ganze gesetzt.

Dieses Zeugnis subjektiver Innerlichkeit eines Heranwachsenden wäre als Text nicht mehr als eine biographische Marginalie, wenn das anmutig geschriebene Autograph auf der Rückseite eines Fernschreibeformulars nicht gleichzeitig ein aquarelliertes Blatt wäre, eine seltsame Übereinkunft von Textfond und farbiger Illuminierung: Von unten nach oben ist das ein flammenartiges Gebilde, das sich aus einem zarten Blau ins Rotbraune emporschlängelt, mit einer leichten grünen Beimischung. Abstrakt möchte man das nicht nennen, eher eine Farbetüde, die ihren Ort im Netz der Schrift findet, ohne diesen erklären zu können oder von dort aus gedeutet zu werden; eine Nähe wird angedeutet, vielleicht hat auch ein Zufall mitkomponiert. Mit Text und Bild arbeitet Beuys immer wieder, das palimpsestartige Überschreiben oder Überzeichnen findet sich im Riesenwerk seiner Zeichnungen – oder um es neutraler zu sagen: seiner Arbeiten auf Papier – immer wieder, hier ist es bereits angelegt.

1941–1946

Joseph Beuys hat sich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet. Er war kein Widerstandskämpfer, sondern einer von vielen, ein winzig kleines Rädchen in Adolf Hitlers Wahnsinnskrieg. «Wir beide haben uns unter dem Eindruck des 10. Mai 1940 spontan entschlossen, Soldat zu werden», erinnerte sich ein Klassenkamerad, wobei das Datum auf den Beginn des Krieges im Westen, also den Einmarsch in Frankreich, Belgien und die Niederlande verweist, die dabei aufkommende Euphorie beschreibend heißt es weiter, «weil wir das Gefühl hatten, wir nehmen an etwas sehr Wichtigem und Schicksalhaftem nicht teil, und es wird höchste Zeit, die Waffe in die Hand zu nehmen, um an dieser Auseinandersetzung auch direkt beteiligt zu sein.»[25] Am 1. Mai 1941, unmittelbar nach dem Abitur, begann Beuys seine Ausbildung als Funker und Bordschütze für den Sturzkampfbomber JU 87, zuerst in Posen, dann, ab Dezember, in Erfurt.[26] Nach einem Jahr wurde er Gefreiter, es folgte eine Versetzung auf die Krim, und Beuys nahm an der Eroberung Sebastopols teil. Die Fortsetzung seiner Ausbildung erhielt Beuys ab Dezember 1942 in Königgrätz, anschließend, bis zum Jahreswechsel 1943/44, war er in Kroatien stationiert, mit gelegentlichen Einsätzen im süditalienischen Foggia, wo sich ein Ersatzteillager und ein Übungsplatz befanden. Beuys war Mitglied einer sogenannten Schülerkompanie, die eigentlich nicht an den Kampfhandlungen teilnahm, doch ab Mai 1943 wurden aus den Schülerstaffeln echte Kampfgeschwader. Anfang 1944 war er wieder in Sebastopol, diesmal zur Verteidigung der Stadt, denn die Rote Armee war auf dem Vormarsch.

Am 16. März 1944 stürzte er mit seiner angeschossenen JU 87 ab. Die Umstände dieses Ereignisses, das der Funker und Bordschütze Beuys als Einziger überlebte, die Geschichte seiner Bergung und welche Rolle dabei eine Gruppe umherziehender Tataren spielte, hat mittlerweile in der Beuys-Literatur eine ausgesprochene Eigendynamik entwickelt, partiell mit durchaus sportiven Zügen, was die Korrektur der Beuys’schen Eigenwahrnehmung angeht. Im Rahmen des Beuys-Symposiums «Mapping the Lagacy» 1998 in Sarasota (Florida) sprach Peter Nisbit deshalb schlicht und einfach von «the story»[27]. Einen vorläufigen Höhepunkt dürfte die Rezeption der vielzitierten Überlieferung 2002 in einer flunkernden Beuys-Phantasie von Wladimir Kaminer erreicht haben, dessen Künstlerfreund «Martin» bei Nachforschungen auf der Krim ein seinerzeit gezeugtes Kind entdeckt haben will, einen Jungen mit Namen «Viktor Josefowitsch».[28] Der junge Unteroffizier erlebte nach seiner Genesung noch eine Ausbildung zum Flugzeugführer, wurde aber anschließend als Fallschirmjäger an der Westfront eingesetzt, am Boden und als Teil der sogenannten Gespensterdivision Erdmann, einer «Fallschirmjägereinheit, die aus verschiedensten, teilweise ungeschulten und schlecht ausgerüsteten Truppenkontingenten notdürftig zusammengezogen war»[29]. Joseph Beuys war nicht der Prototyp des geborenen Duckmäusers, Heiner Stachelhaus weiß zu berichten, dass er zweimal wegen «Befehlsverweigerung» degradiert, aber immer wieder aufgrund «seiner außergewöhnlichen Tapferkeit» akzeptiert wurde.[30] Im Mai 1945 geriet er in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er am 5. August 1945 entlassen wurde.

Als Stukaflieger an der Ostfront und gegen Ende des Krieges als Fallschirmjäger an der Westfront, erreichte ich den Dienstgrad eines Feldwebels. Außer mehreren Kriegsauszeichnungen wurde mir das Eiserne Kreuz und mit 5 Verwundungen das goldene Verwundetenabzeichen verliehen.[31] So fasste Beuys selber seine Kriegszeit 1961 im Lebenslauf für die Bewerbung als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie zusammen. Es ist herauszuhören, dass diese kurzen Sätze mehr als eine Formalie bedeuten. «Der große Krieg», so heißt es etwas pathetisch bei Franz Joseph van der Grinten, «war für ihn viel mehr ein existentielles als ein kriegerisches Erlebnis.»[32] Und wenn in der Straßenbahnhaltestelle der Kopf auf dem Kanonenrohr sitzt, als sei er eben aus diesem geboren worden[33], wenn also der Krieg den Geist gebiert, dann mag genau das gemeint sein. Dieser zweite Eintritt in das Leben, diese Prüfung ließ sich auch in Friedenszeiten nicht einfach unter den Teppich kehren, die dabei erlittenen Verletzungen waren Tatsachen: Man hat mich damals zurechtgeschossen.[34] Der Filzhut, das Markenzeichen des erfolgreichen Künstlers, erfüllte in gewisser Weise eine Schutzfunktion für den immer empfindlicher werdenden Kopf; dass er wegen einer Verletzung an der Schädeldecke ein «Edelmetallimplantat» erhalten haben soll, ist ein Gerücht, das Franz-Joachim Verspohl 1995 durch ein Machtwort im «Allgemeinen Künstler-Lexikon» zum Schweigen bringen musste.[35]

Beuys hat sich immer mit großem Ernst zu seiner Zeit als Soldat bekannt, auch als das wenig opportun erschien und bei seinen Schülern Irritationen auslösen musste.[36] Und er hat regelmäßig die Veteranentreffen seines ehemaligen Bombergeschwaders besucht[37], was genauso wenig in das Bild des revoltierenden Avantgardisten der sozialen Plastik passen will wie sein Insistieren auf dem umfassenden Kriegseinsatz: Hier ist der allgemeine Ausdruck Sturzkampfflieger angebracht, da ich alle Sparten der Waffengattung durchgemacht habe; Funker ist falsch.[38] Als Kampfflieger oder Stukaflieger gehörte er ohnehin einer seinerzeit heroisch mystifizierten Waffengattung an, von der junge Draufgänger träumten. Der Sturzkampfflieger war kein anonymer Maschinist des Krieges, sondern Protagonist einer selber höchst gefährdeten fliegenden Mordwaffe, also einer, der mit seiner Maschine den Vormarsch der Truppen unterstützte, sich bis in geringe Höhe auf die gegnerischen Linien stürzte, um (unter ständigem Flakfeuer) im Abfangmanöver seine Bomben zu werfen und sich dann wieder hinter die eigenen Reihen zu retten. Die Besatzung für dieses Himmelfahrtskommando bestand aus zwei Mann, Rücken an Rücken sitzend, dem Piloten und dem Funker (also Beuys), der gleichzeitig Bordschütze war.

Der Absturz am 16. März 1944 wurde zum Mythos, den Beuys selber pflegte. Beim Abfangen wurde die Maschine getroffen, er und der Pilot Hans Laurinck konnten ihr Flugzeug noch hinter die Kampflinie bringen, doch «200 Meter östlich von Freifeld/Krim» war der Flug 1026 zu Ende.[39] Die JU 87 ging zu Boden, nur der Funker und Bordschütze überlebte den Absturz, weil er vermutlich aus der Maschine herausgeschleudert wurde. Ich wurde von Tataren gefunden, von Hirten, die mich in ihre Hütte genommen haben.[40] So erzählte er 1979 Keto von Waberer. Ohne die Tataren wäre ich heute nicht mehr am Leben, resümierte Beuys drei Jahre zuvor seine Rettung für Georg Jappe, und dabei erzählte er einen Tagtraum, in den die Materialempfindungen seiner Reifezeit hineinprojiziert waren: Die Zelte, also die hatten Filzzelte, das ganze Gehabe von den Leuten, das mit dem Fett, das ist sowieso wie … ein ganz allgemeiner Geruch in den Häusern … auch das Hantieren mit dem Käse und dem Fett und Milch und Quark – so wo die mit hantieren, das ist praktisch so in mich eingegangen; ich habe das wirklich erlebt.[41]

Die Geschichte von der Rettung durch eine nomadisierende Tatarengruppe und die erste elementare Begegnung mit Fett und Filz waren bald so allgegenwärtig in der Beuys-Rezeption, dass er sie schon im Gespräch mit Keto von Waberer ins rechte Licht setzten musste. Ich habe ja nicht Filz, Fett und diese Materialien genommen, für die Aktionen und für einige Aktionen, weil ich mit den Tataren war, sondern diese Sache hat sich aus einer Theorie der Plastik entwickelt und ist ganz originell sehr viel später in ganz anderen Zusammenhängen aufgetaucht.[42]