Joseph Goebbels - Abgrund - Detlef Rilling - E-Book

Joseph Goebbels - Abgrund E-Book

Detlef Rilling

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Beschreibung

Liebe Leserinnen und Leser, Joseph Goebbels – Abgrund, Ein Unikat des Bösen, ist nicht als Aufarbeitung von Joseph Goebbels Lebensgeschichte zu verstehen. Es geht darum, Goebbels im Labyrinth seines Psychogramms zu finden. Ich versuche, seine Gedanken und Gefühle in den Rahmen der tatsächlichen Geschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten. Dabei stütze ich mich auf Tagebuchaufzeichnungen, wissenschaftliche Literatur, auf schriftliche und überlieferte Aussagen von Zeitzeugen. Es gibt zwei unterschiedliche Erzählperspektiven: einen Ich-Erzähler und einen auktorialen Erzähler. Ersterer wendet sich in Einleitung und Schluss direkt an den Leser. Im Hauptteil wird die Geschichte Joseph Goebbels-Abgrund wie eine Art Theaterstück erzählt. Hier gibt der auktoriale Erzähler dem Leser Informationen zu jedem einzelnen Charakter in der Geschichte. Detlef Rilling

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Liebe Leserinnen und Leser,

Joseph Goebbels – Abgrund, Ein Unikat des Bösen, ist nicht als Aufarbeitung von Joseph Goebbs´ Lebensgeschichte zu verstehen. Es geht darum, Goebbels im Labyrinth seines Psychogramms zu finden.

Ich versuche, seine Gedanken und Gefühle in den Rahmen der tatsächlichen Geschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten.

Dabei stütze ich mich auf Tagebuchaufzeichnungen, wissenschaftliche Literatur, auf schriftliche und überlieferte Aussagen von Zeitzeugen.

Es gibt zwei unterschiedliche Erzählpersprektiven: einen Ich-Erzähler und einen auktorialen Erzähler. Ersterer wendet sich in Einleitung und Schluss direkt an den Leser.

Im Haupttteil wird die Geschichte Joseph Goebbels-Abgrund wie eine Art Theaterstück erzählt. Hier gibt der auktoriale Erzähler dem Leser Informationen zu jedem einzelnen Charakter in der Geschichte.

Detlef Rilling

Inhalt

Vorwort

Prolog

Erster Akt

Damals

Im Bunker

Suchen

Im Bunker

Hitler

Der Führer

Bunker

Berlin

Im Bunker

Zum Erfolg

Propaganda

Im Bunker

Zweiter Akt

In der Politik

Im Bunker

Die Kampfzeit

Im Bunker

Liebe

Zur Macht

Im Bunker

Auf dem Gipfel

Minister

Im Bunker

Hürden

Der Herr Minister

Im Bunker

Feinbilder

Im Bunker

Dritter Akt

Machtpolitik

Im Bunker

Krieg

Im Bunker

Der Tanz auf dem Vulkan

Im Bunker

Aufbäumen

Im Bunker

Dein Kampf – Deutscher Michel

Im Bunker – Das Finale

Nachwort

Vorwort

Das Schreiben der Lebensgeschichte des Reichspropagandaministers Dr. Joseph Goebbels haben Andere getan. Sie endet am 1. Mai 1945 gewaltsam in den Abendstunden durch Selbstmord. An seiner Seite stirbt die Ehefrau Magda Goebbels, die „Hohe Frau“ des Nazi-Regimes. In diesem Essay wird versucht, den Goebbels im Labyrinth seines Psychogramms zu finden. Eine Art Spurensuche.

Wir tauchen in ein Kammerspiel mit drei Akten, wo wir ein Ein-Personen Theaterstück im Führerbunker Adolf Hitlers´ sehen und Teil haben an den Träumen des Joseph Goebbels.

Wir erleben Reflexionen und seine Lebensangst in den letzten Tagen und Stunden. Dabei wird versucht, das in den Rahmen der tatsächlichen Geschichte der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts einzufügen. Der Essay ist ein Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland.

Prolog

Joseph Goebbels ist Reichskanzler. Hitler, der Führer des Dritten Reiches, tot. Samt frisch angetrauter Gattin Eva Braun. Gemeinsam haben sie am 30. April 1945 den Freitod gewählt. Testamentarisch bestimmt der gebürtige Österreicher Hitler, dass Goebbels sein Nachfolger als Reichskanzler wird. Joseph Goebbels, der kleine Doktor, wie Viele ihn nennen, am Ziel seiner Träume und Sehnsüchte? Weit gefehlt. Das weiß der Goebbels auch. Was will er auf dem Posten noch bewirken?

Er, der glühende Apologet, ist nun ein jämmerlicher Konkursverwalter eines Trümmerhaufens. Von ihm selbst und zu vielen Anderen. Was ist aus seinen hochtrabenden Zielen und Phantastereien geworden? Auf der einen Seite ein am Boden liegendes und der sinnlosen Todesopfer überdrüssiges, deutsches Volk. Wenn die Deutschen gesehen hätten, von welchen, blutleeren Wesen sie befehligt werden. Auf der anderen Seite, Hitlerjungen, die unsinnig fanatisiert mit der Pistole in der Hand gegen feindliche Panzer kämpfen. Für Adolf Hitler. Den Führer. Ihren Führer. Hitlerjungen und Mädchen, die noch im Volkssturm die Feinde töten, sich barbarisch an wehrlosen Kindern und Frauen austoben. Besonders die in den Konzentrationslagern eingessenen Menschen, die dieses Martyrium überlebt haben und nun im Frühjahr 45 am Ende der Todesmärsche unzählig dahin gemetztelt werden, fallen ihnen zum Opfer.

Wenn das von Goebbels und Konsorten so gepriesene Volk einen Blick auf den Wesenszustand ihrer amtierenden und einst gewählten Regierung, jetzt, tief unter der Erde, verschanzt hinter meterdicken Betonmauern im Führerbunker, hätte werfen können. Den Menschen wären ihre Adolf Fantastereien aus dem Gesicht gefallen. Ein Marionettenregime, was Geisterarmeen befehligt, die nur auf dem Papier stehen.

Reichskanzler Goebbels weiß, dass das Spiel für ihn endgültig verloren ist. Ne rien ne va plus. Spiel, denn als solches, menschenverachtendes Treiben sehen es die Hasardeure nationalsozialistischer Machtpolitik an, was sie da viele Jahre betrieben.

Nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Keine Spur von Verantwortung und Erhik.

Dabei sind dem ausgebildeten Humanisten Goebbels die Gedanken nicht fremd. Hat er sich doch in der Studienzeit in diese geistigen Refugien geflüchtet. Doch das ist lange her.

Aus dem Studenten Goebbels ist der Reichskanzler Goebbels geworden. Er hat es, so gesehen, weit gebracht. Bis zum Regierungschef. Doch der steile Aufstieg hat einen Preis gehabt und zu viele Opfer gekostet.

Wer ist dieser Goebbels? Wie ist er zu dem geworden, der er war? Ist noch etwas in ihm von dem kleinen Joseph, dem Juppche, wie er zuhause liebevoll genannt wird. Er, der Spross aus einer Kleinbürgerfamilie, wie es sie zu Millionen gibt, der als Einziger der Geschwister studieren darf und es zum Doktor bringt.

Hier ist einer, der aufsteigt, ohne zu ahnen, welche kometenhafte Karriere er, ein belächelter Krüppel, mit einem durch Kinderlähmung verformten Fuß, machen wird.

Er schwört, als ausgelachtes und gehänseltes Kind, es den Menschen zu zeigen.

Es ist nun einfach, Psychologen zu bemühen, die exakt Goebbels´ Charakter aufgrund der körperlichen Behinderung diagnostizieren.

Doch wir wollen es uns nicht einfach machen. Bestätigen doch Ausnahmen die Regel. Um das Psychogramm Joseph Goebbels´ erfassen zu können, ist es notwendig, sämtliche Mosaiksteine zu sammeln, die dazugehören.

Erster Akt

Damals

Wir sind im Vorkriegsdeutschland, die Jahre nach 1900. Rheydt, ein Flecken Industrielandschaft, zugehörig zur preußischen Rheinprovinz im Landkreis Gladbach, aufstrebend im industriellen Prozess des Deutschen Kaiserreiches.

Hauptsächlich getragen von der Leute Tüchtigkeit, vom Schweiß des Arbeiters. In dieser katholischen, strebsamen und einfachen Umgebung wächst der Goebbels, geboren im Oktober 1897, auf.

Sonntag ist Familientag. Die Familie macht einen Spaziergang nach Geistenbeck. Tags darauf liegt der junge Joseph zu Hause in der Stube auf dem Sofa und laboriert an seinem alten Fußleiden.

„Mutter dabei am Waschtrog. Schreien. Wahnsinniger Schmerz. Masseur Schiering. Lange Behandlung. Fuß fürs Leben gelähmt. In Bonn in der Universitätsklinik untersucht. Achselzucken. Jugend von da ab ziemlich freudlos. Eins der richtunggebenden Ereignisse meiner Kinderzeit.

Ich wurde auf mich angewiesen. Konnte mich nicht mehr bei den Spielen der anderen beteiligen. Wurde einsam und eigenbrödlerisch. Meine Kameraden liebten mich nicht“.

So erinnert sich der Student Goebbels, der 1917 das Studium in Bonn am Rhein aufnimmt. Davor liegt der Kriegsausbruch 1914. Der Erste Weltkrieg. Wie die Meisten, meldet er sich freiwillig und wird wegen der Behinderung am Fuß abgewiesen. Was ihm weh tut.

„Kriegsausbruch. Mobilmachung. Alles zu den Fahnen. Schmerz, dass ich nicht mitkann“.

Im Bunker

Goebbels sitzt am Schreibtisch in einem winzigen Raum, acht Quadratmeter groß, tief unter der Berliner Erde, aber sicher gegen den Bombenhagel, der die Stadt erschüttert. Doch eingesperrt ist eingesperrt, denkt der Reichspropagandaminister. Die Gedanken schwirren ihm durch den Kopf. Es ist drei Uhr nachts. Der 23. April 1945.

Seit gestern wohnt der Goebbels mit Ehefrau Magda und den Kindern im Führerbunker. Er weiß, was das für ihn und die Familie bedeutet. Das Ende. Den Tod. Zuerst will er, dass Magda und die Kinder nach Süddeutschland fliehen. Doch Magda sieht darin keinen Sinn. Sie will jetzt, als das Ende abzusehen ist, bei ihrem Mann und Hitler sein und gemeinsam mit ihnen aus dem Leben scheiden.

Goebbels kann nicht schlafen. Darum sitzt er hier und starrt auf die vor ihm liegende Aktennotiz.

„Anweisung für Fritzsche“, notiert er mit der grünen Tinte, dann stoppt er, hebt den Kopf und lässt sich erschöpft in die Stuhllehne zurückfallen.

Kalter Schweiß bedeckt die hohe Stirn. Er greift ins Jackett zu einem weißen Taschentuch, wischt sich mehrmals damit über das Gesicht und tupft die nassen Lippen ab. Man sieht, dass er Angst hat. Angstschweiß umhüllt seinen Körper. Jeder kann es sehen. Das Weiße seiner Gesichtshaut schimmert deutlich durch die künstliche Bräune der jahrelangen Solariumbehandlung. Doch Goebbels hat in dieser Kammer Gott sei Dank keinen Spiegel, so dass ihm der eigene Anblick erspart bleibt. Er fühlt das Unwohlsein auch so.

Er sehnt sich tagsüber nach diesen einsamen Stunden hier unten. Hier darf er er selbst sein. Hier darf er auch Angst haben. Hier darf er weinen und zürnen. Hier schwenkt sein Blick zurück in die Kindheit, zu Vater und Mutter. Zur Schule. Zum Abitur. Zur Feier danach, als er die Festrede hält und der Herr Direktor ihm hinterher sagt:

„Goebbels, Sie werden alles, nur kein guter Redner“.

Goebbels schmunzelt bei der Erinnerung. Auch Lehrer können sich täuschen, obwohl sie den Schüler jahrelang beobachten. Ein Redner ist er gewiss geworden. Aus Sicht der Nachwelt, kein guter.

Der Sekundenzeiger der Wanduhr in dem Verlies tickt monoton. Es ist zehn nach drei in dieser Nacht. Die Zeit läuft davon, denkt der Goebbels. Das ist immer so gewesen, nur früher, Ostern 1917, da lief sie, wie bei jedem jungen Menschen, zu langsam.

Dem Goebbels erscheint es, als sei es Gestern gewesen, als lägen keine fast dreißig Jahre dazwischen.

„Das das schon so lange her ist“, murmelt er vor sich hin. Dabei atmet er tief durch und schenkt sich noch eine Tasse Kaffee aus der messingfarbenen Thermoskanne ein.

Auf dem Drehverschluss ist eine Prägung seiner Person mit ausgestrecktem Arm, also mit Hitlergruß zu sehen. Immer wenn er den Drehverschluss mit den Händen bearbeitet, dann sieht er auch sein Bild und den ausgestreckten Arm.

„Götzenanbetung ist das“, seufzt er jetzt, als er es sieht. Alle Mitarbeiter des Reichspropagandaministeriums und der angeschlossenen Diensttstellen haben diese Kannen im Einsatz. Zuerst findet er den Einfall einer verzierten Kanne genial. Inzwischen weniger.

Weil er bei der Idee nicht bedacht hat, das Essensreste, jetzt im Krieg Margarine oder oder noch weniger Schmackhaftes die Prägung verunreinigen und es einfach nur noch eklig anzuschauen ist, weil schmierig glänzend.

Er nimmt nun einen kräftigen Schluck des heißen Kaffees. Zumindest hat die geschilderte Götzenanbetung nicht das Funktionelle der Kanne zerstört. Das Getränk wirkt beruhigend auf seine kranken Magennerven. Die Bilder von damals beginnen, wieder vor seinen Augen zu tanzen. Die Stille der Nacht beflügelt seine Reise in die Vergangenheit.

Verschwommenes wird wieder durchsichtiger. Scheinbar Starres in die wild umher schwirrenden Einzelteile zerlegt. Das unzerbrechliche Puzzle Joseph Goebbels zerfällt dabei in seine Bestandteile. Unbarmherzig zerschmettert von der Hauptperson selbst, von ihm.

Wer bin ich, und was bin ich für ein Mensch? Warum bin ich so geworden? War es mir vorbestimmt? Schicksal? Gewiss auch, denkt der Goebbels. Was wäre aus mir geworden, wenn ich, wie es die Eltern gewünscht, Theologie studiert und im Namen der Kirche Karriere gemacht hätte? Vielleicht wäre ich sogar Kardinal geworden, oder säße heute im Vatikan im Rom und hätte dann noch gut dreißig Jahre Leben vor mir.

Goebbels´ Fuß schmerzt und er schiebt deshalb den Stuhl ein Stück zurück, so dass er bequemer die Füße weg strecken kann. Ja, Rom vielleicht, aber bestimmt würde ich heute im Erzbischöflichen Ordinariat zu Köln sitzen und darauf warten, dass dieser elende Krieg zu Ende geht, damit Deutschland, mein geliebtes Rheinland neu aufgebaut werden kann.

Doch, meine Mithilfe ist dafür nicht mehr gefragt. Ich habe schon vor langer Zeit die Fronten gewechselt und einen ganz anderen Weg gewählt. Meinen Weg. Einen Weg, der mir als der Bessere vorkam.

Goebbels´ Gedanken suchen den Vater, der schon 1929 verstorben und aus seiner Sicht leider nicht seinen Aufstieg miterleben konnte. Nur die schweren Anfänge.

„Vielleicht so das Beste“, sagt er halblaut. Denn mit ihm lag er immer im Clinch. Warum?

Goebbels runzelt die Stirn. Eine Antwort auf die Frage weiß er nicht. Nur, Vater und Sohn, der ewige Kampf, solange die Menschheit besteht, denkt er. Wenn er nicht weiter weiß, dann flüchtet er in das Allgemeine hinein.

Bei Goebbels kommt noch Manches dazu. Der Vater, Friedrich Goebbels, hat sich in seiner Firma vom Laufburschen zum Prokuristen hochgedient. Fleiß, Erdverbundenheit und ein fester, katholischer Glaube waren die Erfolgsbausteine.

Der Sohn Joseph ist aus Sicht des Vaters geschaffen für ein kirchliches Amt, die theologische Laufbahn. Gerade im Rheinland ein schöner Beruf.

Kurz gesagt: Eigene Wünsche und Lebensträume des Vaters soll der hochbegabte Junge erfüllen.

Doch der hat in der Stille der häuslichen Dachkammer, im bescheidenen Reihenhaus, so viel Bücher verschlungen, dass er als 20jähriger nicht anders kann, als forschend weiter zu lesen in Literatur, Geschichte und der Philosophie.

Aber nicht in der Theologie. Nein, nicht Pfarrer, Schriftsteller will er werden. Es ist für den jungen Goebbels, nachdem er zu Ostern 1917 ein sehr gutes Abitur gemacht hat, keine Frage, dass er nach Bonn geht und sich dort in der Philosophischen Fakultät einschreibt.

Hier hat er Einblicke in die Literaturgeschichte. Goethes Dramen lernt er kennen, Schiller natürlich. Doch ist das nur geistiges und kein richtiges Brot.

1917 ist ein Hungerjahr in Deutschland. Diese Last teilt er mit Millionen. Zu dem Studentenleben gesellen sich auch erste erotische Freuden.

„Abschied von Lene. Nachts im Kaiserpark. Ich küsse zum ersten Male ihre Brust. Sie wird zum ersten Male zum liebenden Weib“.

La dolce vita für den Zwanzigjährigen. Vielleicht hat der junge Student bei Goethe gelesen, dass Reisen bildet. Jedenfalls begibt er sich auf die Wanderschaft, ist im Sommer 1918 in Freiburg im Breisgau an der Alma Mater und trifft hier Pille, den Schulfreund Karl-Heinz Kölsch aus Rheydt.

Der ist mit Anka befreundet. Eine Studentin. Ein hübsches Mädchen. Der junge Goebbels verliebt sich. An einem verregneten Sonntag kommen sie sich näher. Zwei junge Herzen und Leiber taumeln im Liebesrausch. Joseph musiziert. Sie lesen Gottfried Kellers „Grünen Heinrich“. Joseph erfährt das, was Liebe für den 20jährigen ist.

Es gibt Zärtlichkeit, Lust und Verlangen, Tränen und dramatische Szenen. Hat er doch den besser aussehenden Pille bei Anka ausgestochen. Mit seinem weit entwickeltem Verstand, einer versteckten Sensibilität und einer Prise Bohemien, was Anka gefällt. Doch kann die Pflanze Liebe zwischen den Beiden auf Dauer nicht gedeihen.

Trennendes kommt zum Vorschein. Hier die begüterte Tochter, dort der arme Student. Der monatliche Scheck vom Vater ist vom Munde gespart und erlaubt kein flottes Leben, auch kein spärliches Vergnügen. So kommt, was kommen muss.

Das Umfeld für die Zwei passt nicht. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich alles löst.

Doch noch jubelt der junge Goebbels:

„Anka ist mein…Nur Anka und tausendmal Anka… Selige Tage. Nur Liebe. Vielleicht die glücklichste Zeit meines Lebens“.

Kein Zweifel. Den Goebbels hat es erwischt. Er liebt. Das Semester ist zu Ende. Anka fährt heim nach Recklinghausen. Und Joseph? Er schickt ihr gleich einen Brief und leidet an der Trennung:

„Ich bin lustlos und unglücklich. O, diese langen Ferien… Ich bin ein anderer. Was ist mit mir geschehen?…süße, liebe Frau. Du hast mich geweckt aus tiefem Schlaf“.

Goebbels ist in Beschlag genommen von der Liebe, deren Leiden und von Schiller und Dostojewski.

Ein gewöhnliches Studentenleben, auch darin, dass es vom leeren Geldbeutel bestimmt ist. Die monatlichen Zuwendungen des Vaters und ein Darlehen des Albert-Magnus-Vereines helfen zum Überleben, mehr nicht. Doch immerhin. Die Verhältnisse nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg sind, wie sie sind.

Die meisten Menschen in Deutschland hungern und hoffen auf Besserung. Wir schreiben Ostern 1919. Noch interessiert den Studenten der Germanistik und Geschichte die Politik nicht. Noch lebt er in einer anderen Welt. In der Welt der Bücher und Romane. Ziellos liest er. Aber er liest viel.

Er weiß aus der Schulzeit, gerade über ihn, den körperlich Gezeichneten, lacht man, wenn man ihn daher humpeln sieht, den Fuß nachziehend.

Doch mit Wissen und Verstand kann er die Anderen auslachen. Wissen ist Macht, das fühlt er instinktiv, auch wenn er sie noch nicht hat und daher auch nicht benutzen kann.

Je mehr er liest, je mehr Fakten und Wissen er dem Gehirn eintrichtert, desto größer werden die Zweifel an diesem Schatz, was normal ist. Doch ihn irritiert es.

„Ich kenne mich in der Welt nicht mehr aus. Steigendes… Gefühl. Politika. Nun erst zögernd“.

Chaos beherrscht die Anfangsphase der Weimarer Republik. Die Jahre 1919 und 1920. Es geht darum, welchen Kurs das Staatsschiff „Deutschland“ steuert.

Zum Kapitän fühlen sich Viele berufen, doch niemand will das Steuer kräftig in die Hand nehmen. So ist nicht verwunderlich, dass die Mannschaft schnell meutert.

Revolutionswirren gehören zum Weimarer Alltag der Zeit. Erster Reichspräsident wird der SPD Parteisoldat Friedrich Ebert. Der hat aber keine Freude am Regieren und spürt die schwere Last der nationalen Verantwortung auf der Seele. Das sieht man ihm auch an. Pflichterfüllung ja, aber keine Begeisterung ist zu spüren.

Nun soll seriöse Politik kein Hurra Schreien darstellen, aber der Mensch auf der Straße sucht auch fröhlich zur Schau getragenen Optimismus. Kein Wunder, das der bisher politisch völlig desinteressierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch notiert:

„Reichspräsident Ebert. Schmählicher Eindruck“.

Oberflächlich und falsch ist der Kommentar. Doch in damaliger Zeit ist es keine einzelne Stimme.

Im Winter 1919/1920 studiert Goebbels in München. Eine Stadt, die durch Revolutionswirren, Räterepublik und wildes Politisieren auf sich aufmerksam macht.

Goebbels spürt das Chaos. Jeden Nachmittag sucht er ein kleines Cafe´ in der Sendlinger Straße auf. Hört den Diskussionen hier und auf der Straße zu. Sieht das Leid der Menschen in schmutzigen Hinterhöfen der Mietskasernen; sieht den Gestrandeten zu. Viele verkrüppelte Kriegsopfer sitzen am Boden der Rinnsteine.

Auch Goebbels gehört zum Lumpenproletariat. Er muss seine Anzüge versteigern, um zu leben, zu essen und zu schlafen. Anka, die auch da ist, hilft und versetzt beim Pfandleiher ihre goldene Uhr. Joseph gibt seine uralte, abgewetzte noch dazu. Doch lebt er mehr von Ankas Geld, als von seinen paar Groschen.

Die Geliebte bringt ihm jeden Tag Zigaretten. Dankbar und mit schlechten Gewissen darüber fristet Goebbels dahin.

Zu Weihnachten fährt Anka allein nach Füssen. Joseph bleibt in München zurück und ist verzweifelt. Vermisst sie. Einen Tag vor Silvester hält er die Qual des Alleinseins in der großen Stadt nicht mehr aus und kommt zu ihr nach Füssen ins verschneite Allgäu. Anka ist geschmeichelt.

Das Liebespaar verbringt in der schneeverzuckerten Berglandschaft harmonische Tage. Abends wird Schach gespielt. Sie lesen Tolstois „Krieg und Frieden“.

Gemeinsam haben sie die Liebe zur Literatur, erfreuen sich an der Sprache und am Schicksal ihrer Helden.

Er schenkt ihr Heinrich Heines „Buch der Lieder“.

Witz, Ironie und Scharfsinn bewundert er an dem jüdischen Literaten.

Doch das schöne Versinken in die Welt der russischen Literaturfürsten, der Tolstoi, Dostojewski und anderer Dichter wird durch die Sorge um das tägliche Brot flankiert. Ja mehr noch. Die am eigenen Leib zu spürende, zu fassende Not lässt die geschriebene Welt der Poeten in Joseph Goebbels wirklicher werden.

Roman und Tatsächlichkeit verschwimmen in seiner Weltsicht zu einem geheimnisvollen Puzzle, dessen Konturen nur er glaubt zu kennen, woraus er sich bei Gebrauch einen gefälligen Mosaikstein schnappt und das Chaos der Welt zu deuten versucht.

Unterdessen erlebt die Weimarer Republik den Kapp Putschversuch. Joseph ist zuhause bei den Eltern in Rheydt. Anka bei ihren Eltern.

„Anka will nach Rheydt kommen…Rote Revolution im Ruhrgebiet. Sie lernt dort den Terror kennen. Ich bin aus der Ferne begeistert. Anka versteht mich nicht“.

Das kann sie auch nicht, da in ihr nicht der Puls der Revolution schlägt. Der Bruch zwischen Anka und Joseph ist schon da, mehr geistig als erotisch, und so versucht die Flamme der Leidenschaft und Begierde, zu retten, was nicht zu retten ist.

Joseph findet Anlehnung bei jemand anderem. Bei Richard Flisges. Ostern 1920 schreibt Goebbels:

„Richard wird mein bester Freund“.

Flisges ist ein anderer Typ, als der junge Goebbels. Das ganze Gegenteil. Groß und stattlich im Wuchs, im Ersten Weltkrieg zusammengeschossen. Er ist jemand, der an nichts mehr glaubt, sich zu Karl Marx und den Lehren des Kommunismus geflüchtet hat. Er versucht, Goebbels dafür zu begeistern und gibt ihm die einschlägigen Werke zur Lektüre. Man spricht nächtelang darüber. Goebbels ist neugierig, wissbegierig und verschlingt die Wälzer.

Im jungen Goebbels brodelt das Erlebnis des sozialen Elends, das tägliche Sehen und Erleben dieser Marter. Flisges und er sind angekettet im Suchen nach einer Antwort auf das Chaos der Welt. Auf das, was sie für Chaos halten. Ihr eigenes Elend. Ihren Hunger nach Sinn und Leben.

Gemeinsam mit Flisges, der zwar ein hochdekorierter Kriegsheld, aber in der Welt, wie sie jetzt ist, nicht mehr zurechtkommt, vertieft sich Goebbels in die Schriften des Industriellen und Staatsmannes Walther Rathenau.

Aspekte der sozialen Frage werden debattiert. Goebbels ist begeistert. Doch das ist nur Strohfeuer. Auch bringt Flisges dem Freund das literarische Werk Fjedor Dostojewskis näher.

Das ist eine phantastische, neue Welt, die sich da für Joseph auftut. Er verschlingt jetzt „Schuld und Sühne“, „Die Brüder Karamsow“ und vieles mehr. Der Blick des russischen Dichters in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele, seine rabiate Christus Kritik, die Idee des russischen Volkes und seines Sendungsbewusstseins, Gewaltiges und Erschütterndes sind die Themen Dostojewskis. Joseph inhaliert kräftig davon.

Er schreibt ein Christus Drama und dann den autobiographischen Roman „Michael“. Für ihn steht fest: Ich will Schriftsteller werden, ja in meinen Augen bin ich es schon.

Doch kann ihm der männliche Freund Richard, Kumpan geistiger Ausflüge, nicht die Sehnsucht nach der liebenden Frau ersetzen. So kommt es zum Streit mit dem Freund, der sich danach auf und davon macht, um als Arbeiter unter Tage sein Glück zu machen.

Später wird Goebbels die Freundschaft mit Flisges glorifizieren, aber erst nach dessen Tod. Bei einem Arbeitsunfall kommt der alte Freund ums Leben. Doch ist es überhaupt Freundschaft? Der Goebbels hatte in seinem Leben nie einen wirklichen, männlichen Freund. Auch Richard ist keiner.

Es ist nur der kurze Geistesrausch zweier Suchender, nach Halt Suchender, den sie einander aber nicht geben können.

Goebbels ist nun in Heidelberg eingetroffen. Er will seine Doktorarbeit schreiben. Inzwischen hat sich Anka mit einem angehenden Rechtsanwalt verlobt. Joseph ist darüber verzweifelt, deprimiert, ergibt sich dem Suff, empfindet Ekel vor dem Leben und fordert in verletztem Stolz seine Liebesbriefe von Anka zurück. Bei Licht betrachtet sind das nur normale Reaktionen eines Liebeskranken. Und das Leben geht weiter.

Goebbels kramt alle mögliche Literatur zusammen, um eine Dissertation über den vergessenen Dramatiker, Wilhelm von Schütz, zu schreiben.

Er zieht sich in das Elternhaus zurück und geht hier in der Dachkammer in Klausur. Es wird eine gute Arbeit und das opus magnum an die Professoren abgeschickt. Während der Kandidat auf heißen Kohlen sitzend auf den Examenstermin wartet:

„Warten auf Nachricht aus Heidelberg… Eines morgens Telegramm. In zwei Tagen Termin. Also los. Nach Heidelberg. Schwierige Fahrt. Besuch bei den Professoren. Im Zylinder… Die letzte Nacht durchgepaukt. Ein starker Mokka.

Und dann ins Examen. Hals- und Beinbruch. Am Freitag den 18. November (1921). Prüfung bei Paum, Waldberg Oncken und Neumann. Neumann, der Schweinehund. Richard wartet draußen. Vor der Verkündigung. Ich bin wie aufgelöst. Diese Tierquälerei! Herein. Die üblichen Phrasen.

Richard gratuliert. Ich bin wie erschlagen. Telegramm nach Haus. Abends im Seminar Kränzchen. Waldberg redet mich zuerst als „Herr Doktor“ an. Ins Hotel. Mit Richard durchgesoffen. Am anderen Morgen wir beide im Zylinder nach Bonn. Nach Hause. Alle an der Bahn. Zu Hause geschmückt, viel Blumen. Das ist die Geschichte meiner Promotion zum Dr. Phil….Pläne mit Richard und Nolles zur Auswanderung nach Indien. Alles zerschlagen“.

Joseph Goebbels ist nun Dr. phil.. Die Familie ist stolz auf ihn, das Juppche. Was nun?

Den Roman „Michael“ hat der angehende Schriftsteller hoffnungsvoll bei Verlagen eingeschickt, doch die Reaktion ist niederschmetternd. Niemand will den „Michael“ veröffentlichen. Also ist kein Verkaufshonorar in Sicht. Ebenso ergeht es ihm mit anderen, schriftstellerischen Versuchen. Artikel und Essays. Keine guten, aber auch keine schlechten. Doch der Kelch des schriftstellerischen Durchbruchs geht an ihm vorbei. Eine Anstellung mit einem regelmäßigen Einkommen ist trotz der guten Examensnote nicht in Sicht.

Joseph reiht sich in das Millionenheer der Arbeitslosen ein. Er kann keinen Pfennig Unterstützung vom Staat bekommen, da er noch nichts in die Sozialkassen einbezahlt hat. Der frischgebackene Doktor muss zuhause in der Dachkammer wohnen bleiben und den Eltern weiter auf der Tasche liegen. Frustrierend ist das für beide.

Doch eine neue Liebe vertreibt die trübseligen Gedanken; vorerst zumindest. Wer ist sie?

Else Janke, Lehrerin von Joseph´s jüngerer Schwester Maria. Eine bildhübsche, brünette junge Frau. Halbjüdin.

„Auf einem Fest vom kaufmännischen Verein durch Herrn Cox Else Janke vorgestellt. Ich schwärme bei allen für sie. Stille, platonische Liebe. Ich träume von ihr“, vertraut der verliebte Goebbels seinem zweiten Ich, dem Tagebuch, an. Dabei soll es nicht bleiben. Aber Hindernisse müssen weggeräumt werden. Else muss sich gewöhnen, einen Freund zu haben, der einen Klumpfuß hat.

Verliebt hat sie sich zuerst in seine Augen.

„Er war ganz Auge“

sagt sie später. Dunkelbraune Augen. Was hat er an der Liebsten auszusetzen? Sie erzählt ihm, dass sie Halbjüdin ist.

Noch siegt sein Herz, seine Sehnsucht nach Wärme und Zärtlichkeit über Anflüge eines langsam wachsenden, nebulösen Judenhass Zinnobers in ihm. Die Liebesbeziehung ist für den jungen Goebbels ganz praktisch.

Else bewundert seine schriftstellerischen Ergüsse; ja noch mehr. Sie tippt sein Handschriftliches auf Maschine und sitzt ihm zum Diktat. Zwar nur in der bescheidenen Dachkammer, doch immerhin. Und die fleischliche Lust kommt dabei auch nicht zu kurz.

Dann besorgt Else ihm 1923 eine Stellung bei der Dresdner Bank in Köln. Der aus seiner Warte zu Höherem berufene Joseph empfindet beim Effektenwesen und Spekulieren nur Widerwillen.

Was auch zu verstehen ist. Was hat ein engagierter Geisteswissenschaftler in einer Bank verloren? Gegensätzliche Welten prallen dort aufeinander. Die Tätigkeit als Börsenausrufer ist nur kurzweilig.

Was tut der Gestrandete in dieser Lage? Er klammert sich immer mehr an Else und flucht über das Judentum. Schließlich kontrollieren weite Teile von ihnen Bank und Industrie. Goebbels sieht es so. Denn da hat er ja einen Einblick bekommen. Sie haben Geld, und er hat keins. Sie beherrschen das Geld und die Menschen.

Die Pflanze Hass gegen das Judentum bekommt im täglichen Erleben Nahrung. Kräftige Nahrung. Der verzweifelte Kampf um das tägliche Brot stößt Goebbels ab. Er denkt, wenn schon arbeiten, dann wenigstens in meinem Metier. Nachts sitzt er bis in die frühen Morgenstunden über seinen neuen, schriftstellerischen Arbeiten.

Er schreibt Artikel, vorwiegend Literarisches, was er an den Chefredakteur des Berliner Tagblattes Theodor Wolff schickt. Den verehrt er. Er bittet das große Vorbild um Veröffentlichung. Doch diese Liebe bleibt unerwidert.

Der Postbote bringt alles zurück. Nichts wird gedruckt. Goebbels verfällt in depressive Stimmungen. Er grollt. Nicht ganz zu Unrecht. Denn, er kann schreiben, mit Stil und Pfiff. Seine Artikel sind nicht schlechter, als die anderer Redakteure beim Berliner Tageblatt. Doch Goebbels gibt nicht auf.

Als eines Tages bei seinem Lieblingsblatt, eben diesem Berliner Tageblatt, eine Redakteur Stelle ausgeschrieben ist, 1924, setzt er sich hin und schreibt eine feine Bewerbung. Und schickt sie los. Und hofft. Doch man nimmt ihn nicht. Warum?, denkt er verzweifelt. Warum gibt man mir keine Chance?

Im Innersten verletzt und sich gedemütigt fühlend, flüchtet er erneut in die Welt der Literatur. Thomas Mann´s „Die Buddenbrooks“, dann Heinrich Mann „Der Untertan“, wieder Dostojewski „Der Idiot“. Das ist dann „von größtem Eindruck“ für ihn. Es gärt in ihm.

„Revolution in mir. Pessimismus gegen alles“, notiert er.

Er geht in die Oper, sieht „Palestrina“. „Deutsche Musik. Wagner. Abkehr vom Internationalismus“.

Der 27 jährige ist dabei, sich eine eigene Welt zusammen zu zimmern. Er nimmt von hier und dort, meistens dann das, was ihm dazu passt. Vieles wird verdrängt, später schlicht vergessen. So kristallisiert sich ein besonderes Weltbild im Laufe der Zeit heraus.

Was zwar von einem scharfen, analytischen Verstand getragen, doch stark tendenziös, manipulativ und willensstark ist. Wo steht Goebbels 1924 politisch? Er, der Dr. phil., aber ein Habenichts, wofür er nichts kann. Es ist halt so. Auf jeden Fall steht er im Chaos.

Die Wirtschaft schlägt die tollsten Kapriolen in Deutschland. Später werden Fachleute, die davon etwas verstehen, von einer galoppierenden Inflation sprechen. Der Dollar, die Leitwährung der Welt, und damit auch immens wichtig für das Wirtschaftsgeschehen in Westeuropa und Deutschland, klettert und klettert. Armut wächst. Finanzielle Spieler oder auch gescheite Leute, wie sie sich nennen, machen gekonnt ihr Schnäppchen.

Und in München?

Obwohl die königlich-bayerische Monarchie im Oktober 1918 eilig verschwand, lässt sich hier ein Österreicher, der Weltkriegsgefreite Adolf Hitler, als „neuer König“ von München feiern.

Am 9. November 1923 versucht er zu putschen und will von der Isar aus nach Berlin marschieren, um dort die Regierung zu übernehmen. Doch dem Spuk wird rasch ein Ende gemacht. Hitlers Zeit ist noch nicht gekommen, aber er hat schon mal an die Tür geklopft. Seinen Namen wird man sich merken müssen.

Es gehört Alles zusammen in dieser Zeit. Politisches und finanzielles Elend bedingen einander.

Und Goebbels?

Er meint dazu:

„Ja, das Chaos muss kommen, wenn es besser werden soll… Ich bin deutscher Kommunist“.

Was tut der deutsche Kommunist? Er lässt sich bei seinem Arbeitgeber, der Dresdner Bank, krank schreiben und fährt mit seinem Schatz an die Nordsee. Setzt hier von Nessmersiel auf die Insel Baltrum über. Endlich Urlaub. Die Wirtschaft in Deutschland macht, was sie will. Sie kann getrost auf unser Liebespaar, auf Joseph und Else, verzichten. Und schlimmer, wie es ist, kann es kaum noch kommen, denn Geld hat man keines mehr. Das, was Joseph noch von der Dresdner Bank bekommt, soll man ihm aus Köln auf die Insel schicken. Hier will er es sich dann gut gehen lassen.

„Else. Süße Stunden mittags auf ihrem Zimmer und in den Dünen. Sie ist so graziös. Knospenmädchen“.

Doch das Leben beendet die Idylle. Ein Brief von Richard Flisges Mutter zerstört das Glück abrupt. Richard ist im Bergwerk ums Leben gekommen.

Goebbels tut schockiert:

„Qual und Verzweiflung. In Deutschland Chaos. So habe ich denn alles verloren. Nervöse Abspannung bis zur Empfindngs-losigkeit. Else fasst mich nicht“.

Wie soll sie auch? In der Tat empfindet Joseph den plötzlichen Tod des früheren Freundes intensiver als sie.

Aber Else sieht auch, dass so groß die Freundschaft zu Richard nicht war. Doch der Liebesurlaub wird abgebrochen. Rückkehr nach Köln. Hier erwartet Joseph die nächste Überraschung.

Die Bank entlässt den Mitarbeiter Goebbels, der nun in der Stadt herumlungert und vergebens eine neue Anstellung sucht. Doch wie soll er eine finden; in einer Zeit in der das Rheinland von den Franzosen besetzt ist und der passive Widerstand der dortigen Bevölkerung seinen Tribut fordert?

Joseph notiert:

„Ich schreibe nach Haus, dass ich krank bin. Vater bittet mich zurück zu kommen. Ja, ich komme“.

Der verlorene Sohn kehrt heim. Hier hat er ein Dach über dem Kopf. Verzweiflung, wohin er blickt. Ihm bleibt Else. Denn:

„Die Politik ist zum Weinen und zum Lachen. Auf der Straße. Else ist mein Kamerad. Fast wie ein Junge. Nur dann und wann der Eros. Wilde Tage des Saufens aus Verzweiflung“.

Die Not kettet die Liebenden aneinander. Man wärmt sich gegenseitig, glaubt und hofft auf ein besseres Morgen. Obwohl Joseph viel Liebe und Zuneigung bekommt, wird sein Herz kälter.

Er sieht die menschliche Gesellschaft in Deutschland und Europa als überlebt an. Er träumt von einer neuen; von einem neuen Geschlecht.

Er überträgt das fatale, hautnahe Erleben der Armut, seiner Chancenlosigkeit, seiner Hilflosigkeit, auf die Allgemeinheit. Denn, wenn einer wie er, hochbegabt, willig, zu scheinbar Höherem befähigt, nicht nach oben kommt, sich überhaupt nicht von der Stelle bewegen kann, dann muss diese Gesellschaft krank sein, morsch, überreif, verfault; kurzum nicht lebens- und erhaltenswert.

Die Sehnsucht nach dem neuen Menschen in einer neuen Welt will er sich nun erfüllen. Er will die Revolution, und zwar rigoroser und radikaler, als es sich der kühnste Gedanke ausmalen kann. Er hat die Französische Revolution, hat Robespierre vor Augen. Nur er, Joseph Goebbels, wird es besser machen, viel besser.

Im Bunker

In Gedanken versunken, langsam wieder zu sich kommend, sitzt Goebbels, die Wolldecke über die Füße geschlagen, hinter dem kleinen Schreibtisch. Er schaut auf. Es ist fünf Uhr in der Früh. Er hat nicht geschlafen. Er hat an früher gedacht, an zuhause, an das Studentenleben, an Anka und an Else. Was wohl aus ihr geworden ist? Er hat sie seit jenem regnerischen Herbstabend, als sie ihn in Elberfeld zum Zug nach Berlin brachte, nicht mehr gesehen.

Damals war er von Hitler zum Gauleiter in Berlin berufen worden. Das bedeutet das endgültige Aus zwischen Else und ihm. Es war schon länger aus. Doch der Eros hat bei ihm immer über den Verstand gesiegt. So denkt er.

Linker Hand, an der drei Meter langen Wand, hängt das einzige Bild, was man aus dem Reichspropagandaministerium, dem Schinkel-Palais, mit hierher unter die Erde mitgenommen hat.

Ein großes Bild Friedrichs des Großen. Es nimmt die ganze Wand in Beschlag und wirkt als Tapete. Grotesk. Goebbels dreht den Kopf ein wenig nach links und betrachtet das makaber und komisch wirkende Bildnis. Stumm liegt sein Blick auf Friedrich, der ebenso stumm zurückschaut.

Der Reichspropagandaminister öffnet ein goldenes Zigarettenetui, nimmt eine Zigarette der Marke Juno und steckt sie an. Die Zigarette nimmt den gewohnten Platz zwischen den beiden Fingern der langgestreckten Hand ein. Es sieht so aus, als ob sie jeden Moment zu Boden fallen wird, so leicht hält er sie mit seinen Fingerspitzen. Mit der anderen Hand gießt Goebbels sich dann den Kaffee nach. Aber der schmeckt inzwischen nur lau. Goebbels denkt daran, wie alles begann.

Suchen

Es ist September 1924. Joseph Goebbels hat eine Anstellung als Hilfsredakteur bei der „Völkischen Freiheit“ für 100 Reichsmark im Monat gefunden. Das er gerade hier gestrandet ist? Mehr Zufall als Neigung. Gewiss ist er national eingestellt, aber völkisch? Doch egal. Hier hat er endlich die Chance, zu wirken und zu schreiben, den Kopf zu strapazieren, die Gehirnzellen zu aktivieren. Denn er ist Geistesarbeiter mit Leidenschaft.

So übernimmt er auch schnell die Schriftleitung des Blättchens. Er berichtet den wenigen Lesern dieser Postille über „die neusten Untaten des Reichspräsidenten Friedrich Ebert“ und stellt den Liberalen Gustav Stresemann als „genialen Darsteller des Berliner Flaschenbierhandels und gegenwärtigen Reichsminister des Äußeren“ vor.

Und der junge Mann fällt damit auf. Im Nord-Westen Deutschlands entwickelt sich die neugegründete Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) Adolf Hitlers, des gescheiterten Bierkellerputschisten. Die Strafe für seine „nationale Tat“ war mild. Jetzt ist er wieder frei und engagiert am Werk.

Zuständig für das Gebiet Nord-West-Deutschland sind die Gebrüder Strasser, die aus Bayern stammen. Gregor Strasser, ein gestandenes, bajuwarisches Mannsbild in der Erscheinung, wird auf den jungen Hilfsredakteur Joseph Goebbels aufmerksam. Er liest dessen Artikel im Konkurrenzblättchen und wirbt ihn ab. Was ihm nicht schwer fällt. Schließlich bietet er dem „Talent“ 200 Reichsmark im Monat.

Goebbels soll als redaktionelle Hilfe bei der Herausgabe der „Nationalsozialistischen Briefe“ agieren, und dem rheinischen Gauleiter der NSDAP zur Hand gehen. Da Goebbels sich finanziell verbessern kann, zögert er nicht, die gebotene Möglichkeit wahrzunehmen. Das Zentrum seines neuen Wirkens ist nun Elberfeld. Ein kleines Städtchen in der rheinischen Provinz. Doch auch mit den 200 Mark kann er nicht leben.

„Geld, Geld, Geld! Ich bin wieder schwer im Druck. Es ist zum Kotzen!“

Schon aus diesem Grund fährt er am Wochenende heim nach Rheydt, um die leeren Taschen und den Magen aufzufüllen. Doch jenseits dieser finanziellen Dauerkalamitäten stürzt sich Goebbels jetzt richtig in die Arbeit.

Die „Nationalsozialistischen Briefe“ erscheinen erstmals im Oktober 1925. Goebbels sieht sich dabei bereits als weltberühmten Publizisten.

„Verleger Strasser, Chefredakteur c´est moi“.

Nach dem Motto: klein, aber fein. Und die neue Zeitschrift wird tatsächlich ein Erfolg. Welche politischen Ziele verfolgt Goebbels? Hat er überhaupt welche? Oder sind es nur Sprüche ohne Substanz?

Sicher, er spricht von der Revolution, doch wie soll sie in Angriff genommen werden? Und gegen wen soll sie sich richten? Natürlich gegen das Bürgertum an sich. Der Bürger, so wie sich Goebbels ihn vorstellt, ist wohlbeleibt, satt und feige.

Der soll verschwinden. Dieser hat die Existenzberechtigung für ihn verloren. Er gehört ausradiert. Warum?

Vielleicht weil Joseph Goebbels keiner dieser Art geworden ist?

Also ein beträchtlicher Anflug von Hass auf sich selbst und Neid auf die anderen. Davon spielt in seinen Gedankenkunststückchen gewiss etwas eine Rolle. Und ebenso färben die „Geistesblitze“ der neuen Weggefährten, der Otto und Gregor Strasser und Carl Kaufmanns, auf ihn ab.

Das deren nebulöses Gerede vom sogenannten Judenfeind einseitig und hausgemacht ist; Goebbels weiß das und bekennt:

„… weil ich voreingenommen bin. Man kann als Mensch so schlecht aus seiner Haut heraus. Und jetzt ist meine Haut doch eine etwas einseitige antisemitische. Hoffentlich werde ich bald klar und gerecht“.

Doch er geht mutig in der einmal eingeschlagenen Richtung voran. Das laute Pfeifen im Wald wird die Angst und auftauchende Skrupel schon vertreiben. Schließlich ist es ja Politik, die er nun betreibt und da gehört das Trommeln zum Handwerk.

Also tönt er:

„Unser schlimmster Feind in Deutschland ist das Judentum und der Ultramontanismus“.

Typische Leerformeln sind das, denn sie meinen nichts Konkretes und treffen doch Alles.

Weiter: „Uns fehlt in Deutschland eine starke Hand. Schlussmachen mit Experiment und Phrase. Anfangen mit Ernst und Arbeit. Das Judenpack, das sich in den verantwortlichen Gedanken der Volksgemeinschaft nicht fügen will, an die Luft setzen. Auch verhauen…Deutschland sehnt sich nach dem Einen, dem Mann, wie die Erde im Sommer nach Regen. Herr, zeig dem deutschen Volk ein Wunder! Ein Wunder!! Einen Mann!!! Bismarck, sta up! Hirn und Herz sind mir wie ausgetrocknet um mich und mein Vaterland. Eine drückende Schwere liegt über Deutschland. Man muss auf das Schlimmste warten. Ich wollte mithelfen am Wiederaufbau. Und überall weist man mich ab. Der heutige Kampf um das Gesichts Deutschlands ist der uralte Kampf zwischen Vater und Sohn. Verzweiflung! Verzweiflung! Ich mach nicht mehr leben, um all das Unrecht mitanzusehen. Ich muss mitkämpfen für Recht und Freiheit! Verzweiflung! Hilf mir, großer Gott! Ich bin am Ende meiner Kraft!!!“

Die Sätze dokumentieren die Antriebskräfte, die den Goebbels auf seinen, politischen Weg führen. Eine gefährliche Mischung aus Angst, Verzweiflung und leiser Hoffnung; es sind in der Regel alles menschliche Eigenschaften.

Doch hier kommt ein gewaltiger Schub Verbitterung dazu, so dass, für sich genommen, ungefährliche Gefühlserlebnisse zu einem enormen Cocktail heranreifen, heran gären. Kräftiges Schütteln wird dann dieses Gebräu zum Opium und selbstzerstörerischen Gift Joseph Goebbels machen. Denn mit welcher Ausdauer er die Menschheit peinigen will, zuerst meint er dabei sich selbst als Mensch. Nicht physisch, aber psychisch.

Der junge Goebbels erkennt die kranke Innerlichkeit noch nicht in seiner unheilvollen Bedeutung. Noch kann er die radikalen Schwankungen seiner Seele nicht einordnen. Noch versucht er, die erkennbaren Abgründe seiner Seele zuzuschütten. Noch flüchtet er in die Arme der Verlobten Else.

Denn nur Else kann ihn verstehen, hofft und glaubt er manchmal.

„Mit Else wieder einmal auf das innigste vertragen. Eine köstliche Stunde gegenseitigen Verstehens… Sie ist so lieb und so anhänglich… Ich höre Else auf dem benachbarten Schulhof kommandieren.

Sie freut sich bestimmt schon auf unser Zusammensein heute Nachmittag. Sie kann ohne mich nicht mehr sein. Ich bin ihr Alles. Warum gibt das Geschick mir so viel Liebe? Warum kann ich nicht so viel an Liebe wiedergeben? Bin ich anders als die anderen alle? Ein Glückskind gar? Oder darf ich das Leben stärker kosten mit seinen Schätzen, weil ich einmal früh davon scheiden muss? Manchmal habe ich so eine Ahnung“.

Hier schimmert Goebbels´ Sehnsucht nach Normalität durch. Eine bürgerliche Existenz mit der Schullehrerin als Ehefrau an der Seite. Doch das Leben hat Anderes mit ihm vor. Wie von unsichtbarer Hand geführt, begibt er sich auf die Suche nach dem starken Mann.

In der Literatur und politischen Publizistik, verstärkt seit der 1900 er Jahrhundertwende, eine immer wieder auftauchende Fama.

Und je schlechter die Zeiten, um so mehr Nahrung finden, auch heute noch, solche Zwangsvorstellungen.

Goebbels sagt:

„Bismarck sta up!“.

Zum Einen neigt der Mensch an sich dazu, Vergangenes verklärter zu sehen; so kommt auch die Figur des Reichskanzlers Otto von Bismarck in der geschichtlichen Perspektive besser weg, als manch betroffener Zeitgenosse ihn sieht.

Zum anderen ist Goebbels´ Ruf ein Akt der Hilflosigkeit, weil eben in der Weimarer Republik die Führer der politischen Parteien sich mehr durch Masse als durch Klasse auszeichnen.

Zu wem soll Goebbels aufschauen, an wen und was glauben? Den Halt zur katholischen Kirche hat er verloren. Diese Zweifel betreffen weniger die Institution der Kirche an sich, als das Bodenpersonal Christus´.

Bestärkt durch die Romanwelt Dostojewskis hofft der an nichts mehr Glaubende, weil allzu oft enttäuscht und verletzt, auf einen neuen Christus.

Ein neues Licht, was ihm den rechten Weg leuchten soll. Und er meint in seinem Kampf, in seinem Suchen nach dem neuen Menschen, nicht allein zu sein.

Und richtig. Es gibt viele Menschen, überwiegend junge, wie ihn. Alle sind mehr oder minder Opfer des Krieges. Eine Solidargemeinschaft der Entrechteten, der Hoffnungslosen, darunter auch aus anderen Gründen gescheiterte Existenzen, auch Abenteurer und Träumer.

Kurz gesagt ist es ein diffuses Sammelsurium von Menschen, was sich in der NSDAP Adolf Hitlers und Gregor Strassers zusammenfindet.

Viele kommen von den Kommunisten, manche wechseln zu ihnen, auch hin und her, andere wiederum sehen sich als die besseren Verfechter der kommunistischen Idee.

Auch Goebbels:

„Bolschewismus ist gesund in seinem Kern. Was wir heute davon sehen ist Krippenjagd, Unfähigkeit, Unreife und Feigheit. Diese phantastisch – extremistischen Führer des deutschen Kommunismus gehen am deutschen Spießer zu Grunde. An der deutschen Dummheit – oder Einsicht – je wie mans nimmt“.

In der Tat scheint den Deutschen jene Spur Radikalität fremd, um wirklich Revolutionen zu machen. So wie Goebbels sie versteht. Er weiß, dass sich auch seine Mitkämpfer bei den Nazis weitgehend aus diesem ihm so verhassten Spießermilieu rekrutieren.

Doch vielleicht wird man sie zu etwas Anderem umerziehen können, so denkt und hofft er.

Doch, was jetzt noch wichtiger ist: Er ist zu diesen Leuten gekommen, und er will bei Ihnen bleiben, weil sie ihn, seinen Verstand brauchen, und er es hier zu etwas bringen kann. Denn sonst will ihn niemand. Nun heißt es kräftig strampeln an dieser Stelle.

Die ideologischen Inhalte der NSDAP sind ihm nicht wichtig. Wichtig ist, dass er nun glauben kann. Egal an was. Er erlebt ein Gemeinschaftsgefühl. Zusammen sind wir stark.

Obwohl er sich schon jetzt als hervorragenden Vertreter eines neuen Geschlechtes, das Adel und Bourgeoisie hinwegfegt, versteht, fühlt er doch mehr instinktiv das Kranke, das Wahnhafte dieser Idee:

„Warum lieben wir Modernen alle das Kranke? Sind wir selber krank? Wir haben zu viel gelitten! Dekadenz ist süß und bitter zugleich. Aber die Mischung ist verführerisch für den Zeitgenossen. Aufpassen Freund. Nicht daran denken! Opfern! Deine Mission erfüllen!“

Hier spricht der Siebenundzwanzigjährige des Pudels Kern an. Er will schon wieder abtauchen, sich aus dem Staub machen.

„Zum Flug in die blaue Ferne“.

Doch andererseits, hier kann er „Einer“ werden und eine Mission erfüllen, die ihm keiner streitig macht. Er erfasst intuitiv die Chance. Denn er hat sich auch für Anka, die unglückliche Studentenliebe, die aus seiner Sicht daran kaputtging, dass er ein armer Schlucker war, geschworen, gerade für sie, „auch Einer“ zu werden. Koste es, was es wolle.

Hans Fallada und sein Roman „Ein Mann will nach oben“; auch bei Joseph Goebbels trifft davon Einiges zu. Aber diese Gier nach Leben und Erfolg beeinflusst und zerdrückt, zerstört letztendlich sein ganzes eigentliches Ich. Er korrumpiert sich selber und weiß das.

Je länger und deutlicher er es weiß, umso weniger macht es ihm aus, sich selbst und dann auch andere zu belügen. Es ist Alles Makulatur. Das Leben ist ein Dreck. Jetzt kann er schauspielern. Darin ist er begabt. Bei den Schulaufführungen, als Talent gepriesen.

Nun dient ihm das, seine Mission zu erfüllen. Vor allem aber, seinen Messias, den neuen Christus zu finden. Denn schon in seinem autobiographischen Roman „Michael“ schreibt er, dass er um so größer ist, je ragender er wiederum Gott macht. Ein Wechselspiel also.

Es ist nun nur noch die Frage, wer von den vielen, selbsternannten Führern dieser Tage der Richtige ist. Den er, „ragender“ machen kann, um selbst zur Größe emporzusteigen. Goebbels hat Einige von ihnen kennengelernt. So den legendären Generalfeldmarschall des Ersten Weltkrieges Erich Ludendorff, anlässlich einer völkischen Feierlichkeit in Weimar.

Der Schulfreund Fritz Prang hat ihn ins thüringische Land mitgenommen. Goebbels ist dort ganz begeistert von dem Treiben in der Goethe- und Schillerstadt. Völkische Gruppen und Nazis, Hitlers „Gardisten“ haben sich zusammengefunden. Ein buntes Treiben:

„… dieses Festleben in der Stadt. All diese Jugend, die mit mir kämpft. Das Herz geht mir auf! O, unsere gesegnete Jugend! Wir Begeisterten. Heilige Flamme glüh“.

Es werden Reden gehalten. Ludendorff spricht. Goebbels steht, obwohl nie gedient, stramm in Reih und Glied. Sein Herz schlägt höher:

„Ludendorff spricht. Scharf, schneidend… Der Offizier. Der Befehlshaber. Alle singen mit“.

Dann darf Goebbels noch seine Hand schütteln und ein paar Worte sagen.

Ludendorff hört ihm auch zu.

„Auch ich spreche. Lege ihm die Verhältnisse dar… Er nickt mir Beifall. Gibt mir dann Recht. Er mustert mich einmal scharf. Auf Herz und Nieren. Er scheint nicht unzufrieden“.

Goebbels sieht sich vom Kriegshelden des Ersten Weltkriegs nachträglich für kriegstauglich eingestuft. Damit ist die Schmach, die er erlitt, als Siebzehnjähriger wegen des kranken Fußes nicht gemustert zu werden, vergessen. Ludendorff ist ja nicht irgend ein kleiner Stabsarzt.

Goebbels´ Selbstbewusstsein wächst. Beflügelt lustwandelt er vor Ort in Weimar und Umgebung auf Goethes und Schillers Spuren. Er besucht das Schillerhaus und da geschieht für ihn Passendes. Er sieht ein Bild von Schiller und meint eine Ähnlichkeit mit sich im Gesichtsschnitt festzustellen. Eine zufällig anwesende Dame, die das Bild aufmerksam betrachtet, stutzt, und Goebbels folgert daraus sofort:

„sie hat auch diese Ähnlichkeit entdeckt“.

Diese Episode ist nur ein Beweis für sein krankhaft übersteigertes Ego; das Werden eines völlig verzerrten und gänzlich haltlosen Charakters beginnt.

Goebbels lebt in einer Traumwelt. An sich ist das nichts Verderbliches, wenn es sich nicht um jenen Joseph Goebbels handeln würde, der Revolutionen machen und neue Menschen schaffen will. Nein, nicht als Romancier, aber in der deutschen und europäischen Wirklichkeit.

In Weimar lernt Goebbels auch noch jemand anderen kennen. Julius Streicher, den berüchtigten Frankenführer der NSDAP. Dieser Nazi Haudegen spricht über sein Lieblingsthema.

Goebbels lauscht:

„Er redet direkt von antisemitischen Fragen. Der Fanatiker mit den eingekniffenen Lippen. Berserker. Vielleicht etwas pathologisch. Aber er ist gut so. Auch die haben wir nötig. Für die Massen zu packen. Hitler soll ja auch schon etwas davon weg haben“.

Hier billigt Goebbels das, was dann Jahre später an Grauen und Schrecken, Unvorstellbarem, über Juden und Andere kommt. Nicht weil er von dieser Irrlehre überzeugt, weil sie im europäischen Zeitgeist wieder einmal in der Mode ist, nein, weil sich im Judentum ein bequemer Sündenbock für Alles und Nichts, was scheinbar nicht in guter, deutscher Ordnung ist, personifizieren lässt.

Und weil Antisemitismus, mehr oder minder von Osteuropa nach Mitteleuropa überschwappend, schlimme Tradition hat, ist es nunmehr von Streicher, Hitler und Konsorten ein Leichtes, dieses Thema in ihren Versammlungen mundgerecht unter die Leute zu bringen, die dann diesen Fiebertrank genüsslich schlürfen.

Doch Goebbels sieht das Ganze rein praktisch:

„… um die Massen zu packen“.

Der Goebbels hat Großes mit den Menschen vor.

Er hat Bücher über die Psychologie der Massen gelesen. Das hat Ihm gefallen und imponiert. Er wird schließlich besessen davon und hat sich nun für seine Mission das ihm Passende aus diesen Werken herausgesucht. Denn er weiß, um eine Revolution erfolgreich durchzuführen, braucht er nun mal die Masse Mensch.

Die ihm so verhasste Masse. Doch sie ist ja nur Mittel zum Zweck und außerdem, denkt er, kann er es ja dirigieren, dieses Massentier. Dem geschieht es recht, das es gebraucht und missbraucht wird.

Denn für Joseph Goebbels ist der Mensch die entfesselte Bestie in dieser Welt. Darin sieht er selbst eine grausame Dissonanz. Mit den Menschen ist, laut Goebbels, nicht viel los.

Denn:

„Es gibt Menschen, die sind so verlogen, das man schon instinktiv bei ihren Reden 90% als unwahr abzieht. Ein Teil dieser Menschen pathologische Aufschneider (…vielleicht auch ich)“.

Eine Menschenverachtung, angefangen bei sich, drückt auf seine düstere Seele. Die Grundlagen für den weiteren, unheilvollen Werdegang sind gesetzt. Es kann nichts Gutes für ihn und die Welt dabei herauskommen.

Doch verfolgen wir seine Geschichte, die auch irgendwie unsere ist, weiter. Vielleicht wäre für Goebbels dann doch noch alles anders gekommen, wenn sich sein Lebenstraum, Schriftsteller zu werden, erfüllt hätte.

Noch hat er Hitler nicht persönlich kennengelernt. Gehört hat man voneinander. Der Österreicher in München von ihm wohl noch nicht so viel.

Die große Nummer der NSDAP in Nord-West-Deutschland ist Gregor Strasser. Vielleicht soll der Goebbels doch noch aus der Politik aussteigen.

Die Tagespolitik ist nichts für ihn. Altklug stellt er fest:

„Ich eigne mich nur für die Politik auf weite Sicht, wie ich überhaupt nur auf weite Sicht arbeiten kann. Tagesarbeit ist mir zuwider. Das Jahrhundert ist mir gerade weit genug“.

Das ist sein Problem. Zuerst kniet er sich in die Arbeit bei den Gebrüdern Strasser rein. Doch schnell erkennt er auch deren Halbheiten und Unzulänglichkeiten. Goebbels ist jemand, der die Mitmenschen gebraucht, ihr Wissen, wenn es ihm von Nutzen ist, wie eine Zitrone, ausquetscht. Dann sind sie langweilig für seinen Geist. So auch jetzt wieder.

In solchen Stimmungen zitiert er gern seinen Lieblingsspruch von Oskar Wilde:

„Deine beste Gesellschaft bist du doch immer selbst“.

In einer solchen Phase, in seinem innersten Kämmerlein, da ist er auch ehrlich zu sich selber:

„Ich bin zu wenig zäh und ausdauernd. Deshalb komme ich auch im Leben zu nichts. Dieses haltlose Phantasieren in die Zukunft hinein. Die Angst vor der Bindung. Mein Ideal: schreiben können und davon leben. Aber niemand bezahlt mir etwas für meinen Mist. Mut, my boy! Du musst für den Tag arbeiten… Nach uns die Sintflut!

… Verantwortung? Das gibt’s ja nur in Romanen (aus dem vergangenen Jahrhundert). Lerne das Leben nehmen, wie es ist. Das füllt den Geldsack und nährt den Wanst. Von Idealen wirst Du nicht satt“.

Hier präsentiert sich ein verzweifelter und amoralischer Nihilist in Perfektion. Hätte doch jemand, ein Buchverleger, ein Mäzen, für seinen schriftstellerischen Mist, wie er selbst die Ergüsse nennt, etwas bezahlt.

Goebbels wäre sofort aus der Politik ausgestiegen und hätte sich gleich als homme des lettres gesonnt. Damit wäre der Welt die Bekanntschaft der zwei Gestrandeten Hitler und Goebbels erspart worden. Doch nun schlittern die zwei gescheiterten Künstlerexistenzen aufeinander zu.

Einer wäre ohne den Anderen nichts geworden. So nimmt das traurige Schicksal des Dr. Goebbels und das der Welt seinen Verlauf. Wer soll Goebbels in seinen geistigen Verirrungen und in seiner kolossalen Selbstüberschätzung folgen?

Die Verlobte Else, nach deren „weißen Leib“ er sich immer wieder schmachtend sehnt? Nein, sie kann ihm nicht folgen in jene turbulenten Geisteshöhen- und tiefen schlichter Absurdität.

Der Vieldenker verschlingt weiter gierig Absurdes und längst überholtes Pseudowissen über den Kampf ums Dasein und über die Macht des Stärkeren. Wie im Tierreich, so ist es auch unter Staaten, Völkern, den Menschen also, und ähnlichen, geistigen Schabernack.

Der Feuerkopf liest Richard Wagners „Mein Leben“.

„Die Lektüre seiner Pariser Erinnerungen war für mich ein Stahlbad“.

Und er zieht Lehren aus der Lektüre. Sieht sich bestätigt und bestärkt in seinen Visionen. Giert nach dieser bitteren Medizin:

„So ein Buch sollte jeder junge Künstler, der an der Welt verzweifeln möchte, jedes Jahr lesen müssen. Das ist eine Quelle des Mutes, der Ausdauer, des Durchhaltens“.

Na also! Übertreibungen, wohin man blickt. Bei einem Schachspiel mit Else spricht er von einer langen, strategischen Vorbereitung und beklagt, dass sie eine gewisse Raffinesse beim Spiel habe. Weiberschlauheit nennt er das.

Es muss für Else über die Jahre zu einer anstrengenden Liebe geworden sein, mit diesem von Depression, Wolkenkuckucksheim, Faszination, Irritation und Emotion getriebenem Mann zu leben. Doch sie liebt ihn, meint ihre beschützende Hand über ihn legen zu können und sieht auch Reizvolles und Charmantes an ihm, bringt ihm

„eine Schüssel mit Pfirsichen, Schokolade und Zigaretten“.

Und doch meint er, ihr nicht all seine Liebe schenken zu können. Denn, das Anka ihn damals als Student verließ, hat er nicht verwunden.

Und jetzt müssen alle anderen Frauen dafür leiden.

Er palavert:

„Alle Menschen, die ich liebe und noch einmal in meinem Leben lieben werde, müssen sich damit zufrieden geben, dass sie das weniger bekommen, was ich einmal an Anka Stahlherm verschwendete“.

Eine spätpubertäre Verhaltensstörung? Eine narzisstische Auffälligkeit? In der Richtung etwas. Doch Goebbels kümmert sich nicht um die Ursachen der Gemütsschwankungen. Im Gegenteil. Seine Sicht der Dinge verfestigt sich. Er gerät ins Dozieren: