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Die gefühlvolle Roadtrip-Romance von Autorin Annabeth Albert — voller Herz und Charme In dem queeren New-Adult-Roman»Journey to You« begeben sich zwei Rivalen auf einen Roadtrip quer durchs Land, bei dem nicht nur ihre Herzen auf dem Spiel stehen … Conrad und Alden könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Conrad charmant, lässig und bei allen beliebt ist, ist der brillante Alden zurückhaltend und unendlich ehrgeizig. Kein Wunder also, dass die beiden ständig aneinandergeraten. Entgegen ihrem perfekt scheinenden Leben jedoch hat jeder von ihnen Geheimnisse, die er vor der Außenwelt verbirgt. Als sie sich plötzlich allein auf einem Roadtrip quer durchs Land zur größten Fan-Convention ihres Lebens wiederfinden, tritt ihre berüchtigte Rivalität allerdings nach und nach in den Hintergrund, und es entsteht eine unerwartete Verbindung. Doch beide haben einen gewichtigen Grund, warum sie das bevorstehende Odyssey-Gaming-Turnier gewinnen müssen ... Wird ihre Rivalität erneut aufflammen und die neu entdeckte Verbundenheit zwischen ihnen gefährden? Romantisch, queer und herzergreifend: Annabeth Albert schafft mit ihrem New-Adult-Roman »Journey to You« die perfekte Symbiose aus einer bezaubernden Boy-meets-Boy-Romance, einem Roadtrip-Roman und garniert das Ganze mit dem Trendthema Gaming.
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Seitenzahl: 542
Veröffentlichungsjahr: 2025
Annabeth Albert
Wenn nicht nur Liebe auf dem Spiel steht
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Kristina Koblischke
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Conrad und Alden könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Conrad charmant, lässig und bei allen beliebt ist, ist der brillante Alden zurückhaltend und ehrgeizig. Kein Wunder also, dass die beiden ständig aneinandergeraten. Entgegen ihrem perfekt scheinenden Leben jedoch hat jeder von ihnen Geheimnisse, die er vor der Außenwelt verbirgt. Als sie sich plötzlich allein auf einem Roadtrip quer durchs Land zur größten Fan-Convention ihres Lebens wiederfinden, tritt ihre berüchtigte Rivalität allerdings nach und nach in den Hintergrund, und es entsteht eine unerwartete Verbindung. Doch beide haben einen gewichtigen Grund, warum sie das bevorstehende Odyssey-Gaming-Turnier gewinnen müssen … Wird ihre Rivalität erneut aufflammen und die neu entdeckte Verbundenheit zwischen ihnen gefährden?
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Tropes
Karte
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Karte
Bonusmaterial
Quellen
Annabeth Albert über »Conventionally Yours«
Danksagung
Wer steckt hinter den Illustrationen?
Für all die Date-Night-Spieleabende und all die Erinnerungen – Runde für Runde, ob gewonnen oder verloren.
Conrad
Du kannst mich nicht umbringen«, sagte ich. »Du bist nicht stark genug.«
In Wahrheit war ich schon tot. Hatte mein Schicksal durch meine eigene Dummheit besiegelt, aber ich würde nicht winselnd untergehen. Mochte auch der letzte Rest meiner Lebenskraft aus mir herausrinnen und mich mit nichts als einer schwindenden Sammlung von Schriftrollen und meinem Verstand zurücklassen, so würde ich doch lieber kämpfend untergehen – oder wenigstens mit einem Lachen.
Also lehnte ich mich mit gespieltem Selbstvertrauen zurück und versuchte, möglichst unbeeindruckt zu wirken. »Na, dann komm doch.«
»Du bist ziemlich zuversichtlich für jemanden ohne Verteidigungsstrategie.« Alden, mein verhasstester Gegner, klang fast gelangweilt, was meine Entschlossenheit, weiterzukämpfen, nur noch bestärkte.
»Und du bist leicht zu durchschauen«, entgegnete ich. Vielleicht konnte ich ihn anstacheln, ihn dazu bringen, einen Fehler zu machen. Zumindest schien es die einzige Option zu sein, die mir noch blieb.
»Mann. Du bist so was von am Arsch. Aber wenigstens gibst du eine hübsche Leiche ab.« Mein Manchmal-Freund Jasper war nicht gerade hilfreich, während er sich an meiner misslichen Lage ergötzte.
»Du könntest um Gnade flehen.« Payton war da pragmatischer, wie immer.
Weder brauchte noch wollte ich für diese letzte Erniedrigung ein Publikum, also blendete ich alles aus und verwendete all meine Ressourcen darauf, am Leben zu bleiben.
»Ich greife an«, sagte Alden. Dann schlug er zu, genauso wie ich es erwartet hatte, mit allem, was er hatte, in dem Versuch, einen tödlichen Treffer zu landen.
»Na, dann versuch mal, das hier anzugreifen.« Ich warf eine Karte auf den Tisch, die vier winzige Froschsoldaten schuf. Nicht viel, wenn man gegen alles antrat, was Alden auf der Hand hatte, aber es war mein bester Versuch.
Noch eine Runde. Das war während des letzten schweren, scheinbar endlosen Jahres eine Art Mantra für mich geworden. Und ja, das hier war nur ein Kartenspiel, und nein, noch eine Niederlage gegen Alden wäre nicht das Schlimmste, das mir passieren konnte. Aber trotzdem würde ich nicht zulassen, dass er mich aufgeben sah.
»Ernsthaft? Das ist deine Antwort?« Alden schüttelte den Kopf, und sein gelangweilter Gesichtsausdruck ließ ihn viel älter aussehen als dreiundzwanzig. Er schien nicht im Geringsten eingeschüchtert. Überlegenheit ausstrahlen konnte er besser als irgendwer sonst. Er schürzte die vollen Lippen, während ihm eine Locke seines dunklen Haares in die Stirn fiel und er mich mit einem Glitzern in den haselnussbraunen Augen ansah. Neues Grauen sammelte sich in meiner Magengrube. Meine billig-aber-effektiven Söldner hätten gerade ausreichen sollen, um ihn abzuwehren und mich in die nächste Runde zu bringen. Aber dann schüttelte Alden nur den Kopf und aktivierte mit langen, eleganten Fingern fünf Schriftrollen, indem er sie seitlich drehte. »Unaufhaltsame Queste.«
Eine Hundert-Dollar-Karte, die Art Comeback, die professionelle Spielende wie Bonbons verteilten und so weit über meinem aktuellen Gaming-Budget lag, dass sie auch mit Echtgold hätte überzogen sein können. Aber mir blieb noch eine finale Aktion, meine letzte Karte und meine letzte Schriftrolle, die ich aktivieren konnte. »Friedensopfer.«
Es würde bedeuten, dass ich einen meiner Soldaten opfern musste, aber wenigstens hieße es auch noch eine Runde mehr.
»Conrad.« Der genervte Tonfall, mit dem Alden jedes Mal meinen Namen seufzte, ließ mich mit den Zähnen knirschen. »Friedensopfer ist eine der Karten, die beim letzten Regel-Update rausgeflogen sind. Bei Wettkämpfen nicht mehr zugelassen. Hast du dein Deck letzte Woche nicht auf den neuesten Stand gebracht, so wie alle anderen?«
Nein, nein ich hatte absolut gar nichts auf den neuesten Stand gebracht, weil ich meine letzten vierzig Dollar gebraucht hatte, um mir statt Spielkarten etwas zu essen zu kaufen. Aber das verriet ich Alden nicht, die Befriedigung, mich zu bemitleiden, würde ich ihm nicht schenken. Stattdessen hielt ich ihm die ausgestreckte Hand hin. »Hab ich wohl vergessen. Gutes Spiel, Mann.«
»Ja, war gut.« Alden sah mich kaum an, als er mir der Form halber die Hand schüttelte.
»Stimmt ja. Du hast letzte Woche den Release verpasst, als die neuen Karten und das neue Regelwerk vorgestellt wurden. Heißes Date gehabt?«, fragte Payton. Beim Vorbeugen fiel siem das Haar über die Schulter. Der leichte Anklang sieses Südstaaten-Akzentes ließ das Wort Date gleichzeitig anrüchig und altmodisch klingen.
»Ach, du weißt schon.« Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. Ich hatte nicht die Absicht zuzugeben, dass ich Extraschichten in der Pizzeria geschoben hatte, um das Geld wieder reinzubekommen, das ich im Supermarkt ausgegeben hatte. Also war ich stundenlang um genervte Eltern und aufgekratzte Kinder herumgelaufen, statt hier in meinem Lieblings-Gamestore bei der Vorstellung des neuen Kartensets dabei zu sein, auf das ich mich seit Monaten gefreut hatte.
Alden machte ein missmutiges Geräusch. »Können wir jetzt seinen Todeskampf abfilmen?«
»Na klar.« Professor Tuttle schwenkte die Handkamera in meine Richtung. »Stirb, Conrad. Gib alles.«
Auf sein Stichwort sank ich in meinem Stuhl zusammen und glitt bis fast unter den Tisch, während ich Geräusche von mir gab, als würde ich schmelzen wie eine Comicfigur nach einer Säureattacke. Professor Tuttles Publikum liebte Todesszenen beinahe genauso sehr wie seine Gamer-Grandpa-Spiel-Analysen. Gamer Grandpa war einer der beliebtesten Odyssey-Vlogs, auf dem Professor Tuttle nicht nur unsere realen, sondern auch einige der Spiele der wahnsinnig erfolgreichen OnlineVersion analysierte. Er machte Spieltheorie für die breite Masse verständlich, und wir alle trugen regelmäßig zu seinem Channel bei. Jasper übernahm den Großteil der Videobearbeitung für ihn, Payton die Special Effects und Alden …
Na ja, Alden gewann. Er hatte eine Mischung aus dem besten Blatt und gerade so viel verfluchtem Talent, um ihn nahezu unbesiegbar zu machen.
Oh, und ich? Ich malte mir gerne aus, ich sei der Hingucker der Gruppe. Oder wenigstens der Komiker. Meine Rolle war es, die Art von Großspurigkeit an den Tag zu legen, die unsere Community so liebte. Dass es Alden zuverlässig auf die Palme brachte, war nur ein Bonus. Und ich würde es jederzeit vorziehen, für selbstverliebt gehalten zu werden, als die Wahrheit zuzugeben, die darin bestand, dass ich des Professors neuester Wohltätigkeitsakt war – ein kampfeswilliger Spieler mit billigen Karten und einem beschissenen Leben ohne Zukunft.
»Großartig. Das wär’s dann für dieses Spiel.« Professor Tuttle legte die Handkamera beiseite und eilte geschäftig hin und her, um die Deckenkameras auszuschalten, die auf unsere Spielmatten gerichtet waren.
»Der Raum wird auch gleich wieder gebraucht.« Jasper kam ihm zu Hilfe, sammelte Würfel und Punktezähler ein und rollte die Matten zusammen. Er jobbte im Gamestore und war der Grund, warum wir den privaten Spieleraum so oft nutzen konnten.
»Arthur kann warten.« Payton, eine der wenigen Personen, die sich von der ruppigen Art des Ladenbesitzers nicht im Geringsten beeindrucken ließen, sammelte in aller Ruhe sies Zeug ein.
»Warte mal eine Minute, Conrad, dann hole ich dir eins von den neuen Kartenpaketen. Ich habe zwei Set-Boxen gekauft, da habe ich was übrig.«
Ohne auf Payton zu achten, arbeitete Jasper weiter an der Auszeichnung als Angestellter des Jahres und wischte den Tisch ab.
»Danke, Kumpel.« Es hatte mal eine Zeit gegeben, zu der ich einer der besten Kunden des Ladens gewesen war, aber das war lange her, und jetzt konnte ich es mir sogar mit Jaspers Angestelltenrabatt kaum noch leisten, weiterzuspielen. Eigentlich war ich zu stolz, um die Karten anzunehmen, aber wahrscheinlich war es meine einzige Chance, meine Decks auf den neuesten Stand zu bringen. Ich konnte es mir nicht leisten, wie Payton oder Alden auf dem Zweitmarkt einzelne Karten zu kaufen. Nein, ich musste mich mit dem zufriedengeben, was in den Sammelpaketen enthalten war. Und vielleicht hatte ich ja auch Glück und es waren ein paar Rares dabei, allerdings waren das Glück und ich in letzter Zeit nicht gerade per Du.
»Ich habe auch noch ein paar Commons, die du durchgucken kannst.« Alden griff nach seiner Kartentasche – eine dieser maßgefertigten, in denen gleich mehrere Decks in ihren Boxen sicher verstaut werden konnten, ohne dass etwas herumflog, so wie in meinem alten Ding, in dem gute Karten allzu oft für immer verloren gingen.
»Passt schon. Mir reicht sicher, was Jasper loswerden will.« Mit Almosen vom Professor und Jasper konnte ich leben, aber nicht von Alden. Eher würde ich aufhören zu spielen, als seine abgelegten Karten anzunehmen.
»Wie du willst.« Alden zuckte mit seinen eleganten Schultern. Sie waren nicht breit. Nicht aufgepumpt. Nicht mal vom athletischen Körperbau eines Schwimmers, aber auch das technisch gesehen angemessene schlank passte nicht. Nein, das einzige Wort, das Aldens Statur beschrieb, war elegant. Vielleicht sogar majestätisch, wenn man sich sehr poetisch fühlte, was ich entschieden nicht tat. Aber es war unbestreitbar, dass Alden eine gewisse Präsenz besaß, die viel mehr Platz für sich beanspruchte, als er eigentlich brauchte, und die mich regelmäßig vergessen ließ, dass ich technisch gesehen der Größere, Kräftigere war.
»Wartet. Bevor ihr geht, habe ich noch was für euch.« Professor Tuttle trug stolz ein graues T-Shirt mit der Aufschrift »Gamer Grandpa« zur Schau, darunter sein einsteinesques Strubbelhaar-Logo. Wie Alden trug er eine professionelle Deck-Tasche bei sich, dazu mehrere Kamera- und Laptoptaschen. Er durchwühlte drei von ihnen, bis er schließlich einen dicken, braunen Briefumschlag hervorzog. »Wisst ihr, was das hier ist?« Er wedelte mit dem Umschlag vor uns hin und her, bevor er hineingriff. Er vibrierte beinahe vor Aufregung und wartete gar nicht erst ab, dass einer von uns Vermutungen anstellte. »Das hier, meine Lieben, ist die Reise eures Lebens.«
Er legte fünf weiße Tickets auf den Tisch. Sie sahen edel aus – große Rechtecke aus dickem, cremeweißem Tonpapier mit goldenen Lettern, die stolz verkündeten: »Massive Odyssey Con West.«
Es wurde still im Raum, eine angespannte Stille, wie früher zu Hause vor einem Sommersturm. Aber in diesem Fall war es kein Tornado, der sich zusammenbraute, sondern Erwartung, die knisternd anstieg wie elektrische Spannung, während ich darauf wartete, wer zuerst etwas sagen würde.
»Aber die MOC West ist seit Monaten ausverkauft. Das weiß ich genau. Ich habe versucht, Tickets zu bekommen.« Paytons grüne Augen waren weit aufgerissen. Von uns allen war sier wahrscheinlich die einzige Person, die sich den hohen Eintrittspreis für die Fan-Convention, die nächsten Monat in Las Vegas stattfinden würde, locker leisten konnte. Die Veranstaltung war so gigantisch, dass sie sogar besser besucht war als die größte Comic Con. Und darüber hinaus wurde nicht nur die Spielwelt vorgestellt, sondern es fand auch ein riesiges Turnier statt, bei dem nicht nur Preisgelder, sondern sogar Plätze in der Pro-Tour winkten.
Ein Platz in der Pro-Tour könnte lebensverändernd sein.
»Ich weiß. Aber mein Kontakt bei Odyssey Games sagte, sie seien echt beeindruckt von der Arbeit unseres Kanals. Also haben sie uns eingeladen – ich soll an ein paar Panels teilnehmen und ein paar Fans treffen, und ihr sollt beim Turnier mitspielen. Und hinterher machen wir eine Videozusammenfassung.«
»Wow.« Ich stieß einen leisen Pfiff aus, während vor meinem inneren Auge die Vision einer Einladung zur Pro-Tour und dem Ende meiner Geldprobleme aufstieg.
»Wir müssen nur irgendwie hinkommen.« Professor Tuttle nickte so enthusiastisch, dass sein widerspenstiges weiß-graues Haar auf und ab wippte.
Verdammt. Meine Vision löste sich in nichts auf, als sie von einer Welle der Realität überflutet wurde. »Das heißt, wir müssten die Flugtickets selbst zahlen?«
»Nun ja, wir müssen für die Reisekosten aufkommen, genauso wie für die Verpflegung und …«
»Kein Problem.« Payton hatte bereits das Handy in der Hand und tippte wild, wahrscheinlich, um siesem Trust-Fund-Manager mitzuteilen, dass ein Cash Boost notwendig war.
»Für dich vielleicht«, brummte ich und zog meine Tasche unter dem Tisch hervor. Zeit zu gehen. Dieses Ticket war vielleicht meine letzte echte Hoffnung, mich aus dem Loch zu befreien, in das sich mein Leben verwandelt hatte, aber die Kosten für ein Flugticket lagen nicht mal annähernd in meinem bedauernswerten Budget, und ich musste der Begeisterung der anderen dringend entkommen, bevor meine Enttäuschung ihnen den Spaß verdarb.
»Immer langsam, Conrad.« Wenn er wollte, konnte Professor Tuttle durchaus streng sein. Ich ließ mich zurück auf meinen Stuhl fallen, die Tasche auf dem Schoß. »Ich habe einen Reiseplan für diejenigen von uns erstellt, die sich … mit gewissen Herausforderungen konfrontiert sehen.«
Eher diejenigen von uns mit gegen null tendierenden Kontoständen, aber ich sagte nichts. Ich hatte hart daran gearbeitet, dass so wenige Leute wie nötig vom Ausmaß meiner Situation erfuhren. Der Professor wusste mehr als die meisten, aber auf gar keinen Fall wollte ich, dass der Rest der Crew erkannte, wie sehr am Arsch ich wirklich war.
»Ich fliege nicht.« Alden starrte die Tickets an, als könnten sie aufspringen und ihn beißen. Der Kommentar ließ mich blinzeln. In den paar Jahren, die ich nun schon mit Alden und dem Rest der Truppe herumhing, hatte ich nie erlebt, dass er irgendetwas nicht absolut unter Kontrolle hatte. Unser dauernder Sieger hatte einen schwachen Punkt?
»Seit wann das denn?«, fragte ich, bevor ich mich besinnen konnte. Eigentlich hatte ich schon vor langer Zeit gelernt, dass Alden, eine Unterhaltung und ich uns selten gut vertrugen.
»Seit schon immer.« Alden warf mir den vernichtenden Blick zu, den ich erwartet hatte. »Ich … fliege einfach nicht.«
»Was vollkommen in Ordnung ist.« Professor Tuttle hatte sich vom strengen Lehrer wieder zurück in einen Mediator verwandelt. »Du fliegst nicht. C… einige von uns haben nur begrenzte Ressourcen. Und ich habe einen Plan.«
Mit klopfendem Herzen betrachtete ich die Tickets noch einmal. Scheiß auf Alden und seine Hochglanz-Decks. Ich könnte in diesem Turnier bestehen, das wusste ich. Ich könnte so viele meiner Probleme damit lösen. Aber statt hoffnungsfroh schwindlig fühlte ich mich, als hätte ich Aldens riesige Karten-Tasche verschluckt, die mir jetzt die Luft zum Atmen nahm.
Wie auch immer dieser Plan aussehen mochte, ich war mir ganz und gar nicht sicher, ob er mir gefallen würde.
Alden
Ich straffte meine Schultern, um zu verhindern, dass mein Körper sich nach vorne lehnte, wie er es gerne wollte. Auf keinen Fall wollte ich der Freude zu viel Raum geben. Noch nicht. In der echten Welt hatten Pläne für gewöhnlich nicht die Angewohnheit, sich zu meinen Gunsten zu entwickeln, was der Grund war, aus dem ich Odyssey so sehr liebte. Beim Spielen trugen all meine sorgfältig geplanten Strategien Früchte, genau wie bei meinem Sieg über Conrad vor ein paar Minuten. Jetzt saß er mir gegenüber und war blass geworden, sein Disney-Helden-Gesicht eingefallen und mehr als nur ein bisschen grün.
»Einen Plan?«, krächzte er. Zugegeben, es war schön, den Prinzen der Aufschneider so neben der Spur zu sehen, wenigstens ein Stück weit. Er hatte es verdient, dass ihn mal jemand aus seiner Komfortzone herausschubste, nicht zuletzt wegen seiner endlosen Sticheleien und Überheblichkeiten. Er nannte es ›seine Show‹, aber ich hatte den Unterschied zu seinem normalen Verhalten nie erkannt. Es war schwer, seine Kommentare nicht persönlich zu nehmen, so zielgenau, wie er sie abschoss.
Es kribbelte mir in den Fingern, nach den Tickets zu greifen, nachzugucken, ob sie wirklich echt waren, aber ich würde mir nicht als Erstes die Blöße geben. Ich wollte Conrad – und allen anderen – nicht verraten, wie sehr ich mir wünschte zu fahren. Payton und Conrad wollten ganz sicher eine Karte, um in Vegas eine große Party zu feiern, und Jasper dachte wahrscheinlich schon darüber nach, welche Cosplay-Möglichkeiten ihm das Ganze bieten würde, aber alles, woran ich denken konnte, war das Turnier. Ein Platz in der Pro-Tour. Ja, das wäre den Flächenbrand wert, in den sich mein Abschlussjahr verwandelt hatte.
Ein solcher Gewinn würde die ganze Zeit rechtfertigen, die ich damit verbracht hatte, meine Taktik auszufeilen, aber was noch wichtiger war, es würde mir genau das geben, das meinem Leben so bitter fehlte: Kontrolle. Im vergangenen Jahr hatte ich eine Enttäuschung nach der anderen erlebt, und hier lag nun meine Chance, einen neuen Pfad in Richtung einer Zukunft einzuschlagen, die nichts mit dem zunehmend klaustrophobisch werdenden Weg zu tun hatte, den meine Familie für mich im Kopf hatte.
Wirklich, ich konnte fast schon den Jubel hören, das Gewicht des Pokals spüren, den unglaublichen Stolz, der mich durchflutete. Aber auf den Tagtraum folgte der bittere Realitätscheck. Ich verabscheute das Fliegen. Das war es, was mich bislang auf Cons und Turnieren in Fahrreichweite hier an der Ostküste festgehalten und mich daran gehindert hatte, mich für die MOC West zu registrieren, als die Tickets in den Verkauf gegangen waren.
»Und der Plan beinhaltet kein Flugzeug?«, fragte ich und versuchte, nicht so skeptisch zu klingen wie Conrad.
»Nein.« Professor Tuttle lächelte breit. »Eine ganze Reihe von Gamestores aus dem mittleren Westen fragt schon eine Weile nach signierten Büchern, und am liebsten wäre ihnen eine Art Tour. Ich habe mir also überlegt, dass ich mit dem Auto fahre und alle mitnehme, die sich mir anschließen wollen. Wir können uns beim Fahren abwechseln, unterwegs bei all meinen Lieblings-Gamestores anhalten, mit den Leuten vor Ort ein paar Runden Odyssey zocken, uns die Sehenswürdigkeiten angucken … ein Riesenspaß.«
Er hatte gut reden. Dank seiner sagenumwobenen Karriere als Mathematikprofessor und des Rufes, den er sich mit seinem Vlog aufgebaut hatte, hatte er Bekannte im ganzen Land. Er liebte Reisen, aber mir war klar, dass er nur vorschlug, zu fahren, weil er es für die beste Möglichkeit hielt, uns alle dort hinzubekommen. Er war schon lange genug mit meiner Familie befreundet, um über meine Flugangst im Bilde zu sein. Außerdem war Jasper ständig knapp bei Kasse, und was mit Conrad in letzter Zeit los war, wusste ich nicht so recht. Aus irgendeinem Grund, mit dem er nicht rausrücken wollte, hatte er vor einiger Zeit das College sausen lassen, und ich konnte nie sagen, ob er so pleite war wie Jasper oder ob ihm einfach alles egal war oder vielleicht eine Mischung aus beidem. Trotz seiner Aufschneidernummer war er schwer zu lesen – was mich noch ärgerlicher machte als seine Großspurigkeit und seine andauernden Sticheleien.
»Kann es die Art Riesenspaß sein, von der ihr mir alle erzählt, wenn wir uns auf der Convention sehen? Roadtrips sind echt nicht mein Ding, und ich habe die Flugtickets schon hier auf dem Handy.« Payton schwenkte sies Telefon und schaffte es, abschätzig zu klingen, ohne den Plan des Professors unverblümt zu verurteilen. Diesen Trick, immer irgendwie über den Dingen zu stehen, ohne dabei unhöflich zu sein, würde ich mir gerne abschauen. Sier schien nie wirklich von irgendetwas bewegt, seien es nun Noten, Beziehungen oder unser Spiel. Ich dagegen? Das Adrenalin des Sieges strömte noch immer durch meine Adern, mein Magen hatte sich noch nicht von dem Gefühl der Übelkeit erholt, als ich gedacht hatte, Conrad könnte mich vielleicht schlagen. Seine Soldatenkarte zurückzuhalten war ein Geniestreich gewesen.
Nicht, dass ich ihm das je sagen würde. Diesen Ego-Boost brauchte er nicht.
»Die Convention ist gleich zu Beginn der Semesterferien.« Professor Tuttle unterrichtete immer noch in Teilzeit, obwohl er die meiste Zeit seines Ruhestands in seinen Vlog steckte. »Ich würde sagen, wir nehmen uns zwei Wochen Zeit – fünf oder sechs Tage für die Hinfahrt, drei Tage auf der Con, fünf oder sechs Tage für den Heimweg. Das wird ein Abenteuer. Wer ist dabei?«
Ich erwartete, dass Conrad sich zuerst melden würde, weil er definitiv keine Chance verpassen würde, mit Payton zu feiern und als kleine Berühmtheit im Fahrwasser von Gamer Grandpa mitzuschwimmen. Über die Jahre hatte ich mir schon zu viele Geschichten ihrer wilden Eskapaden anhören müssen, um von etwas anderem auszugehen.
Aber am Ende war es Jasper, der als Erstes nickte. »Ich bin dabei. Ich muss aber zuerst mit meiner Familie sprechen und Arthur fragen, ob er auf mich verzichten kann.«
»Hervorragend. Conrad?«, fragte Professor Tuttle. Erleichterung durchflutete mich, dass er nicht als Nächstes mich gefragt hatte. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wie ich auf die Entwicklung der Ereignisse reagieren sollte. Anders als der Rest der Gruppe war ich nicht besonders gut darin, Situationen zu lesen, und plötzliche Veränderungen bereiteten mir Schwierigkeiten. Ich wollte mit. Das war nicht das Problem, aber mir gingen einfach tausend unterschiedliche Dinge durch den Kopf, die es mir schwer machten, mich zu entscheiden.
»Äh …« Conrad saß mir immer noch gegenüber, hielt sich nach wie vor an seiner Tasche fest wie an einem Schild. »Also, schwierig mit der Arbeit … Müsste wahrscheinlich erst mal was umplanen …«
Typisch vage. Ich war nicht ganz sicher, was Conrad im Moment arbeitete. Er schien einen endlosen Vorrat an Neben- und Teilzeitjobs zu haben, die nie besonders lange gingen. Die Gerüchte besagten, dass er fast so oft gefeuert wurde, wie er feiern ging. Einmal hatte ich versucht, ihm dabei zu helfen, einzusehen, dass die beiden Dinge wahrscheinlich miteinander in Verbindung standen, aber er hatte mir beinahe den Kopf abgebissen, also gab ich mir seitdem Mühe, mich rauszuhalten. Ging mich ja ohnehin nichts an.
»Ist in Ordnung. Wie wär’s, wenn ihr einfach in Ruhe darüber nachdenkt? Die Tickets gehören euch, aber ihr könnt mir sagen, wie ihr euch entschieden habt, wenn wir uns am Sonntagnachmittag zur Spielrunde treffen.«
»Nachdenken ist gut.« Zwar blieben uns nur etwas weniger als achtundvierzig Stunden, aber das war besser, als gleich entscheiden zu müssen. Zusammen mit Conrad nickte ich.
»Die Tickets gehören uns?« Conrad fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe, während er eines vom Stapel nahm. Ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er in Gedanken ausrechnete, was ihm sein Ticket einbringen könnte, wenn er es weiterverkaufte. Und genau das war eben der Grund, aus dem ich fahren musste. Ich war der Einzige von uns, dem das Spiel und das Turnier wirklich etwas bedeuteten. Ich schnappte mir meines, bevor irgendjemand sonst daran denken konnte, es für sich zu beanspruchen.
»Dann glaubst du, dass du hingehst?« Mit einem Nicken deutete Conrad auf das Ticket in meiner Hand. Wenn er aufgeregt war, hörte man seinem Akzent plötzlich an, dass er vom Land kam. Ich habe nie herausgefunden, woher genau – irgendein Bauern-Bundesstaat, der vom Maisanbau lebte und wo die Jungs von Natur aus sportlich und groß wie Wassertürme wurden. Conrad sah immer so aus, als sei er einem Minor League Baseball-Team entlaufen, um mit uns Nerds im Gamestore rumzuhängen.
»Vielleicht. Ich habe ja gesagt, ich denke darüber nach.« Ich war ihm keinen Einblick in meinen inneren Aufruhr schuldig, wollte nicht, dass er wusste, wie durcheinander ich war, und mein Tonfall war deutlich zu schnippisch. Irgendetwas an Conrad gab mir immer noch mehr das Gefühl, mein Sozialverhalten sei völlig inadäquat, und diese Unsicherheit brach sich oft als Streitlustigkeit Bahn – kleine verbale Sticheleien, die zu nichts führten, außer dazu, dass wir uns ständig in den Haaren lagen.
»Chill, Alden.« Jasper war eher Conrads Freund als meiner, und der leidgeprüfte Blick, den sie austauschten, raubte mir den letzten Nerv.
Egal. Ich war nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Ich war aus einem einzigen Grund hier – das Hochgefühl des Sieges. Ja, die Befriedigung, sein Deck aufzubauen, war nett, und die Ästhetik des Spiels ging nicht komplett an mir vorbei, aber nichts war vergleichbar mit dem Rausch, zu gewinnen. Und an dem Punkt meines Lebens, an dem ich gerade stand, hatte ich diesen Rausch dringend nötig.
Payton würde mir vorwerfen, überdramatisch zu sein, also würde ich es niemals laut zugeben, aber es gab Tage, da hielt mich nur das Spiel am Leben. Allein das Wissen, dass wir heute filmen würden, hatte mir gutgetan. Das Ganze professionell zu betreiben? In der Lage zu sein, es einen Beruf zu nennen, statt eines teuren Hobbys? Das war es vielleicht wert, den Preis zu zahlen, um diesen Platz in der Tour zu bekommen, ganz egal, wie hoch er war. Professor Tuttles Plan hatte mich noch nicht ganz überzeugt, aber dieses Ticket gehörte mir, und ich würde es nicht mehr hergeben.
Conrad
Das Ticket hätte genauso gut fünfzig Kilo wiegen können, so schwer lastete es auf jeder Faser meines Bewusstseins, während ich vom Gamestore zurück nach Hause lief. Der Riemen meiner Tasche schien sich in meine Schulter zu graben und ließ meine Schritte schwer werden. Als die anderen damit abgelenkt waren, sich zu verabschieden und Pläne für unsere Sonntagsrunde zu schmieden, hatte ich über das WLAN im Laden kurz gecheckt, wie viel die Eintrittskarte wert war. Die Con war ausverkauft, und für ein All-Access-Ticket mit Turnierteilnahme-Slot könnte ich problemlos mehrere Hundert Dollar bekommen. Wenn ich die Karte heute Abend online stellte, hätte ich das Geld in ein paar Tagen auf dem Konto.
Aber …
Ich seufzte, als ich durch den Park von Gracehavens idyllischer Hauptstraße in das historische Viertel mit den alten Häusern lief, die um das kleine Stadtzentrum herum errichtet worden waren. Vor meinem inneren Auge sah ich Professor Tuttles enttäuschten Gesichtsausdruck, wenn ich ihm am Sonntag erzählte, dass ich das Ticket zu Geld gemacht hatte. Was ehrlich gesagt die beste Option für mich war. Auf gar keinen Fall wollte ich mich mit Alden dem Allwissenden auf einen Roadtrip begeben. Fünf komplette Tage auf beengtem Raum mit einem voreingenommenen Typen, der immer etwas an mir auszusetzen hatte? Und meine Hoffnung, er würde vielleicht nicht mitkommen, ging gegen null. So viel Glück hatte ich einfach nicht, und ich hatte genau gesehen, dass er diese Tickets angestarrt hatte wie ein Stück von der Rotkäppchentorte meiner Oma. Er wollte mit, wahrscheinlich, damit er und seine Decks sich mal einer »echten« Herausforderung stellen könnten, wie er immer lamentierte, als sei unsere Gruppe eine Art Kindergartenveranstaltung und er der einzige Anwärter für die Profi-Liga.
Scheiß drauf. Ich war ein mindestens ebenso guter Spieler wie er. Und vorhin hätte ich es ihm beweisen können – ihm beweisen sollen –, wenn ich es einfach nur geschafft hätte, noch diese eine Runde weiterzukommen. Klar, ich neigte dazu, während der Spiele eine Show abzuziehen, und ich wusste ganz genau, dass es Mr Ernsthaft um den Verstand brachte, aber wozu spielen, wenn man nicht wenigstens ein bisschen Spaß haben konnte?
»Conrad! Hey, Conrad!« Eine Gruppe Kinder spielte Fußball im Park, eine Ansammlung aus Eltern und anderen Aufsichtspersonen sah von den Bänken am anderen Ende des Spielfelds zu. Der kleine Dünne, der mich gerufen hatte, war Dominic, Sohn des Pizzeria-Besitzers. »Komm und spiel mit uns!«
»Kinder«, stöhnte ich, als ich näher kam und meine Tasche abstellte, bevor sie über mich herfielen. »Ich bin müde. Es war ein langer Tag. Ich kann nicht …«
»Bitte.« Dominics Schwester, Maria, hatte geflochtene Zöpfe und zwei Zahnlücken und erinnerte mich so sehr an meine eigenen Schwestern, dass ich einen Stich in der Brust verspürte.
»Ein paar Schüsse«, gab ich nach und spulte in Gedanken kurz zum Morgen zurück, um sicherzugehen, dass ich meine Medikamente heute genommen hatte. Immerhin hatte ich diesen Monat Medikamente, was auch schon was war. Obwohl meine Müdigkeit nicht vorgetäuscht gewesen war, spürte ich doch den vertrauten Energieschub, als ich mit den Kids in Richtung Tor trabte. »Willst du zuerst ins Tor, Maria?«
Sie nickte, und ich blieb so lange mit ihnen im Park, bis alle mal im Tor gestanden und meine sanften Schüsse abgewehrt hatten. Schließlich entschuldigte ich mich, bevor sie mich dazu überreden konnten, mich selbst noch mal als Torwart aufzustellen.
»Du könntest das als Beruf machen«, erklärte Dominic. »So wie im Fernsehen. Tooooooooor!«
»Ha«, lachte ich. Du bist zu gut, um aufzugeben, Conrad. Meine Söhne geben nicht auf. Strenge Stimmen aus der Vergangenheit hallten in meinem Kopf wider und machten mir das Lächeln schwer, aber ich zwang mich zu einem heiteren Tonfall. »Nicht mal annähernd. Aber danke euch für das Training.«
Und damit machte ich mich auf den Weg durch den Park in Richtung des dreistöckigen viktorianischen Hauses, das mit seinem blauen Anstrich mit apfelgrünen Zierleisten zwar nicht ganz mein Zuhause war, aber doch fast. Als ich um das Haus nach hinten lief, traf ich Maxine auf einem niedrigen Hocker neben einem ihrer makellosen Blumenbeete. Sie nutzte das letzte Tageslicht, um noch ein wenig Unkraut zu jäten, und das gelockte graue Haar klebte ihr an der Stirn.
»Hey! Ist das nicht eigentlich mein Job?« Ich stellte meine Tasche auf der Veranda ab und eilte hinüber, um ihr zu helfen, als sie versuchte aufzustehen, um mich zu begrüßen. »Mir macht es Freude.« Sie schenkte mir ein müdes Lächeln, das allerdings ihre dunklen Augen nicht erreichte. »Und du hast schon genug Jobs. Was machst du heute Abend?«
»Nachtschicht beim Regaleauffüllen im Supermarkt«, seufzte ich, während sie es zuließ, dass ich sie zu den Adirondack-Stühlen auf der hinteren Veranda führte. »Und morgen Abend dann in der Pizzeria. Und ich weiß, es ist der dritte, und die Miete …«
»Gibst du mir, wenn du sie hast. Ich vertraue dir.« Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken, und ihr ausbleibender Protest verriet, dass sie noch müder war, als sie zugeben wollte. »Aber da wir gerade schon von der Miete sprechen, ich muss mit dir reden.«
Mist. Meine Rückenmuskulatur verkrampfte sich, bis mein Schultergürtel sich anfühlte wie eine gespannte Gitarrensaite. Vorsichtig ließ ich mich auf der Lehne des Stuhls neben ihr nieder. »Ach ja?«
»Ich habe eine Entscheidung getroffen. Auch in Teilzeit wird mir das Unterrichten langsam zu viel. Das hier wird mein letztes Semester sein. Danach lasse ich mich emeritieren und reite in den Sonnenuntergang.«
»Was? Die armen Erstsemester. Das Einstiegsseminar wird ohne dich nie wieder dasselbe sein.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, obwohl meine Angst immer größer wurde. Anders als Professor Tuttle, der auch im hohen Alter noch Seminare für höhere Semester gab, hatte Maxines Leidenschaft immer den Studienanfänger-Kursen gegolten, vor allem dem Seminar, in dem ich sie damals als Professor Jackson kennengelernt hatte. Sie hatte sich schnell als meine Lieblingsprofessorin entpuppt, und sie war einer der wenigen Menschen außerhalb der Verwaltung, die die ganze Geschichte darüber kannten, warum ich das Studium hatte an den Nagel hängen müssen. Ich hatte damals einige schwere Entscheidungen treffen müssen, und eines ihrer leer stehenden Zimmer gegen die Mithilfe im Garten zu einem äußerst günstigen Preis zu mieten war eine der besseren davon gewesen. Danach hatte sie den Großteil des Jahres daran gearbeitet, mich dazu zu bewegen, sie Maxine zu nennen.
»Du bist zu liebenswürdig.« Sie tätschelte meinen Arm. »Ich werde das Unterrichten vermissen. Und dieses Haus.«
»Du ziehst um?« Die Angst verwandelte sich in eiskalte Übelkeit, die mir bis in die Kehle stieg. Niemals würde ich etwas anderes zu einem annähernd so niedrigen Preis finden.
»Sogar mit deiner Hilfe ist das hier eine Menge Haus für eine alte Frau …«
»So alt bist du doch gar nicht«, protestierte ich, auch wenn ich wusste, dass sie mindestens siebzig war und länger unterrichtet hatte als die meisten anderen Profs.
»Doch.« Sie lachte, ein volltönender Klang, der ihrer schmalen Statur zu widersprechen schien. »Und DeShawn und seine Frau kriegen diesen Herbst Nummer Drei. Maya heiratet im Sommer, und sie hat auch schon diesen gewissen Gesichtsausdruck. Ich wette, bei ihr und Carol wird es auch nicht mehr lange dauern. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich näher an meine Enkelkinder ziehe.«
»Dagegen kann ich natürlich nichts vorbringen«, seufzte ich. Maxines zwei Kinder waren beide liiert und lebten in der Nähe von DC, wo sie sich nach dem College niedergelassen hatten, und ich konnte der Logik ihres Wunsches, näher bei ihnen zu sein, nicht widersprechen. Ihre Familie war ihr wichtig, so sollte es ja auch sein, und ich war schließlich nur ihr Mieter. »Dann verkaufst du das Haus?«
»Ja. Demnächst. Alle sagen mir, es wird sich schnell jemand finden – das Haus gegenüber war schon nach acht Tagen wieder vom Markt.«
»Aha.« Ich kaute auf meiner Unterlippe und versuchte auszurechnen, wie viel Zeit mir blieb.
»Warum behältst du nicht die Miete für diesen Monat, Conrad?« Sie war schon immer entschieden zu aufmerksam. »Du kannst sie als Sicherheit brauchen, wenn du eine neue Wohnung suchst. Und ich kann mich ja mal umhören.«
»Du hast schon so viel für mich getan.« Auf keinen Fall würde ich zulassen, dass sie mir aus Mitleid das nächste Fakultätsmitglied mit einem leer stehenden Zimmer suchte. Es war schon lange Zeit, dass ich mir darüber klar wurde, was in dem schwelenden Trümmerhaufen, in den sich mein Leben verwandelt hatte, als Nächstes kommen sollte. Eine Vision des MOC-West-Tickets erschien vor meinem inneren Auge. Wenn ich gewinnen würde, einen Platz in der Pro-Tour ergattern könnte, dann wäre das mein nächster Schritt. Geld für die Miete, eine Atempause von all den Rechnungen, und die Chance, in dem Spiel, das ich liebte, so richtig abzuräumen. Was könnte besser sein?
Aber es bedeutet einen Roadtrip mit Alden, rief ich mir in Erinnerung. Und dir mit deinem letzten Ersparten zwei Wochen Urlaub zu finanzieren, wäre mehr als bescheuert. Ach, verdammt. Ich hasste die Unberechenbarkeit der Realität. War es die Chance auf den Sieg wirklich wert, sich einem Roadtrip mit Alden, dem Dauernörgler zu stellen? Ich war mir immer noch nicht sicher.
»Also, in Ordnung.« Maxine nickte langsam. »Aber es gefällt mir nicht, dich so hängenzulassen.«
»Das tust du doch gar nicht«, log ich. »Mir fällt schon was ein.«
Und das würde es auch. Das war es, was ich konnte – spontane Strategien entwickeln, Gelegenheiten erkennen, wo andere nur Niederlagen sahen. Aber als später am Abend die Filialleiterin des Supermarktes auf mich zukam, fiel es mir schwer, in ihrem traurigen Blick nicht meine eigene Verdammnis zu erkennen.
»Wir müssen uns verkleinern. Sowohl was die Stunden als auch was die Leute angeht. Bis zum Ende des Monats kann ich dich noch beschäftigen, aber danach …« Bian sah auf eine Auslage mit Frühstückszerealien statt mir in die Augen. »Du bist der Letzte, den wir eingestellt haben.«
»Alles klar.« Der Letzte geht immer als Erstes. Ich verstand das System. Ich verlor nicht zum ersten Mal meinen Job, weil ich kürzer dabei war als die anderen. Und die Filialleiterin war eigentlich eine nette Frau – sie arbeitete schon seit zwanzig Jahren hier und schaffte es immer noch, geduldig zu sein, wenn ich nicht gleich wusste, wo die Dinge hinkamen. »Hören Sie, machen Sie sich keine Sorgen um mich. Mir fällt schon etwas ein.«
Allerdings war ich mir dessen immer weniger sicher, und als ich am nächsten Morgen um sieben Uhr dreißig quer auf meinem Bett zusammenbrach, war alles, was ich noch sehen konnte, die Tasche am Fußende. Dieses Ticket. Es könnte sich in ein paar Hunderter verwandeln, die mir ein neues Zimmer zur Miete verschaffen könnten, oder es war meine letzte und beste Hoffnung, mein Glück endlich zu wenden. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich gewann, den Scheck überreicht bekam, die allumfassende Erleichterung beim Zählen der Nullen. Und wenn ich den Platz in der Pro-Tour ergatterte, gäbe es noch mehr solche Schecks – genug, um mir eine Zukunft zu kaufen, ein Sieg nach dem anderen.
Vielleicht, ganz vielleicht, war ein Roadtrip nicht die schlechteste Idee, vor allem, wenn er mir half, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen.
Alden
Du bist wunderschön.« Mit der Hand strich ich über Emmas goldenen Kopf, genoss ihre ruhige Präsenz und unvoreingenommene Akzeptanz. Das hier war ganz sicher eines der Highlights meines Tages, was ziemlich viel über den derzeitigen Zustand meines Lebens verriet.
»Ich bin mir ziemlich sicher, du bist nur gekommen, um den Hund zu besuchen, nicht uns, oder?«, fragte meine Mom aus der Tür zur Küche.
»Euch wollte ich natürlich auch sehen«, protestierte ich von meiner Position am Fuß der Treppe, wo ich Emma kämmte. Meine Hand schloss sich fester um die Bürste. Schuldig im Sinne der Anklage. Das Wissen, dass Emma auf unsere wöchentliche Samstagslaufrunde zählte, während die Moms den Brunch vorbereiteten, hatte mich viel eher aus dem Bett getrieben als der Gedanke an French Toast oder Truthahnwürstchen. Oder die Tatsache, dass sie mich wieder in die Mangel nehmen würden.
»Jedenfalls ist das Essen jetzt fertig. Und nein, du kannst deinen Teller nicht mit nach hinten nehmen.«
»Hey, so schlimm bin ich gar nicht.« Auch wenn ich vor zwei Wochen genau das getan und unter dem Vorwand, einen Anruf machen zu müssen, meine Waffeln mit in die Remise hinter dem alten viktorianischen Haus genommen hatte, in der ich derzeit wohnte. Denselben Trick konnte ich wohl nicht noch einmal abziehen. Also beugte ich mich ein letztes Mal zu Emma hinunter, um sie zu kraulen. »Wer möchte hier ein Leckerli?«
»Du verwöhnst sie.«
»Das hat sie verdient.« Und es stimmte. Auch wenn ich gleich hinten im Garten wohnte, waren meine Besuche im Haupthaus während des letzten Jahres höchstens sporadisch gewesen – alles Teil des vergeblichen Versuchs, mich dem Druck zu entziehen, den meine Moms auf mich ausübten. Außerdem hatte die Hündin meine Gemütslage im letzten Jahr weitaus besser angenommen als meine Moms. Heute Morgen war sie begeistert noch eine zusätzliche Runde um den Teich gelaufen, während ich darüber nachgegrübelt hatte, was ich mit meinem Ticket anstellen sollte.
Ich wünschte, ich wüsste mit Sicherheit, ob Conrad kneifen würde. Das würde es mir leichter machen. Ich wollte nicht mehrere Tage mit jemandem im Auto verbringen, der kein Geheimnis daraus machte, dass er mich nicht leiden konnte, obwohl er sich mit fast allen anderen verstand. Irgendetwas an uns beiden vertrug sich so schlecht wie Diet Coke und Mentos – bei einem Zusammentreffen kam es sofort zur Explosion. Natürlich war ich daran nicht ganz unschuldig. Mir war klar, dass ich die Tendenz hatte, gereizt auf seine Sticheleien zu reagieren. Genauso, wie ich mich in die Remise zurückzog, um unangenehme Begegnungen mit meinen Moms zu vermeiden, floh ich mich in die relative Sicherheit des Spiels, wenn ich mit dem Rest der Gamer-Grandpa-Crew zusammen war, weil die Regeln und Vorschriften so viel gefahrloser waren als die Komplexität sozialer Interaktion.
Und okay, ein Teil von mir würde sich nicht dagegen wehren, mit jemandem, der so gut aussah und roch wie Conrad, auf den Rücksitz eines Autos gestopft zu werden, aber dieser Teil meines Ichs war nicht der, dem ich gestattete, wichtige Lebensentscheidungen zu treffen, und ich gab mir bereits seit zwei Jahren äußerst viel Mühe, Conrad nicht auf diese Weise zu betrachten. Ganz sicher würde ich mich nicht jetzt in jemanden vergucken, der mich hasste.
Und nicht zuletzt kannte ich mich. Reisen und ich vertrugen sich nicht gut. Wenn ich aufgeregt war, fühlte ich mich in sozialen Situationen noch hilfloser – und das war ein Gefühl, das neue und unangenehme Situationen ohnehin schon oft triggerten. Schon als Kind waren Sommercamps und Schulausflüge die reinste Qual für mich gewesen, und sogar jetzt noch waren Tagesreisen zu lokalen Cons eine Herausforderung. Und Vegas wäre noch mal eine ganz andere Hausnummer.
Trotzdem hielt mich das alles nicht davon ab, fahren zu wollen, spielen, gewinnen. Unbedingt.
Nachdem ich Emma ihr Leckerli gegeben hatte, folgte ich meiner Mutter in die Frühstücksecke, wo Mimi, meine andere Mom, gerade den Tisch mit der bunten Töpferware deckte, die sie sammelte. Mimi – die eigentlich Judith hieß – war schon Teil meiner Familie, seit ich sechs war, und in vielerlei Hinsicht kam ich besser mit ihr zurecht als mit meiner biologischen Mutter. Tatsächlich sah ich ihr sogar ähnlicher – kleiner, dunkles Haar, schmale Statur – und die Lehrkräfte verwechselten häufig, wer wie mit wem verwandt war. Es machte mir nichts aus. Ich liebte beide, auch wenn sie mich an den Rand des Wahnsinns trieben, vor allem in letzter Zeit. Meine Bio-Mom war größer, von klassischer Schönheit, immer mit hell gesträhnten Haaren und einer Figur, die eher an ein erwachsen gewordenes Filmsternchen denken ließ als an die renommierte Neurologin, die sie tatsächlich war. Sie setzte sich neben Mimi, was mich dazu zwang, ihnen gegenüber Platz zu nehmen, ein Erwartungskreuzverhör.
»Das Essen sieht toll aus. Vielen Dank.« Die Wochenenden boten ihnen die seltene Gelegenheit, groß zusammen zu kochen, und als Kinder hatten wir uns auf die Samstagsmahlzeiten gefreut wie auf eine Mini-Chanukka.
»Das ist das Challah, das ich gebacken habe, als Rebecca in den Frühlingsferien zu Hause war«, schwärmte Mimi. Die Erwähnung meiner genialen älteren Schwester, die in ihrem letzten Jahr an der Harvard Medical School war, ließ meinen Kiefer schmerzen. Aber Mimi redete unverdrossen weiter, während sie uns allen großzügige Portionen gebackenen Omeletts auftat, dazu gab es Truthahnwürstchen und aufgeschnittenes Obst. »Ich dachte, das könnten wir uns jetzt mal wieder gönnen, wo die Hektik des Semesterendes beginnt.«
»Stimmt. Hast du viel zu korrigieren?« Ich gab mir Mühe, so lange wie möglich nicht in den Fokus des Gesprächs zu geraten.
»Na ja, meine wissenschaftlichen Hilfskräfte haben viel zu korrigieren.« Mimi lachte leicht. Sie war Biochemikerin und arbeitete schon seit Jahren an der Universität – wo sie weit mehr als ihren Teil an Drittmitteln für ihre wegweisenden Forschungsarbeiten einwarb. »Und du? Viele Arbeiten abzugeben?«
Da wären wir. »Ein paar. Ist ein entspanntes Semester.«
»Sag einfach, wenn ich noch mal was Korrektur lesen soll.« Auch wenn Mimi eines der vielbeschäftigtsten Mitglieder der Fakultät war, nahm sie sich immer Zeit für uns Kinder, egal ob es um Uni- oder Herzensangelegenheiten ging.
»Und vergiss das Schreibzentrum nicht«, fügte Mom hinzu.
»Mache ich nicht.« Schreiben war nicht meine größte Stärke, aber meine Kurse für das Postbachelor-Zertifikat waren berüchtigt leicht. Die meisten Studierenden nutzten es genauso, wie ich es vorhatte – als Sprungbrett für andere weiterführende Studiengänge. Ein paar der Studierenden saßen im selben Boot, da sie im Abschlusssemester keine Zusagen erhalten hatten und jetzt das Ziel verfolgten, sich noch einmal bei den Masterstudiengängen zu bewerben, die sie wirklich absolvieren wollten. Aber selbst das Wissen, dass ich nicht allein war, machte meine Situation nicht leichter zu verdauen.
»Alden. Nimmst du deine Prüfungen auch ernst?« Die Augen meiner Mom verengten sich, als sie die Gabel beiseitelegte, um sich ihrem Lieblingsthema zu widmen – wie man mein Leben wieder in Ordnung bringen könnte. »Es ist höchste Zeit, dass wir uns mal darüber unterhalten, wie du dir deine Zukunft nach diesem Jahr vorstellst.«
»Muss das sein?«, stöhnte ich, während sich die paar Bissen Omelett, die ich geschafft hatte, in meinem Magen in Sekundenkleber verwandelten.
»Wir wissen, dass du enttäuscht bist.« Mimis warmer Blick war voll Mitgefühl, aber es lag auch eine Spur Resignation darin, die den Wunsch in mir weckte, zu fliehen. Das hier war eine Neuauflage der Abschlusszeit an der Highschool, als sie einfach nicht verstehen konnten, warum meine Noten völlig in Ordnung, mein Sozialleben aber eine Katastrophe war. Das ständige Drängen, mir noch ein paar außerschulische Aktivitäten für meinen Lebenslauf zu suchen, um mich an renommierten Colleges wie Gracehaven zu bewerben. Das Gefühl, nie wirklich gut genug zu sein, ihre Erwartungen ein ums andere Mal nicht erfüllen zu können.
Enttäuscht traf es nicht mal ansatzweise. Enttäuscht war ich letztes Jahr gewesen, als die erste Welle der Ablehnungen meiner Bewerbungen für das Medizinstudium eingetroffen war. Aber alle hatten mir geraten, es noch einmal zu versuchen, andere Unis in Betracht zu ziehen, flexibler zu sein. Noch ein Zertifikat zu machen, noch härter zu arbeiten, bessere Referenzen zu bekommen. Und Geduld zu haben.
Das hier? Das Gefühl, nachdem all das vergeblich gewesen war, nachdem ich keine einzige Zusage bekommen hatte, als sogar die Chancen, irgendwo über die Warteliste hineinzurutschen, sich in Nichts aufgelöst hatten, war Verzweiflung. Mit Enttäuschung konnte ich umgehen, aber dieses Gefühl der Leere in mir war so groß, dass ich noch nicht einmal eine Vorstellung davon hatte, wie ich es verarbeiten sollte.
»Schließlich hast du noch ein paar Optionen.« Mom hob ihre Hand und zählte mit ihren gepflegten Fingern ab. »Du kannst dein Zertifikatsprogramm fertig machen und dich im zweiten Jahr auf Gesundheitsmanagement konzentrieren. Oder in einen MBA-Studiengang wechseln.«
»Oder auch ein anderes naturwissenschaftliches Fach«, fügte Mimi hinzu. »Vor allem bei deinen guten Noten. Mit deinen Kursen in Mathe, Biologie und Chemie stehen dir noch jede Menge Optionen offen.«
Ah. Optionen. Meine Moms waren groß, wenn es um Planung und die Auswahl annehmbarer Optionen ging. Aber niemand wollte sich die Option anhören, die mir wirklich gefallen hätte, nämlich, Odyssey zu spielen, bis ich vergaß, dass ich jemals davon geträumt hatte, Arzt zu werden. Aber das sagte ich nicht, sondern nickte nur und zwang mich, noch einen Bissen zu essen, um Zeit zu kaufen.
»Ich wünschte wirklich, du hättest im Bewerbungsaufsatz darüber geschrieben, wie es ist, neurodivers zu sein. Ich glaube, das hätte geholfen.« Mom schüttelte den Kopf.
»Ja, sich mit seinen persönlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen auseinanderzusetzen, hätte noch mal ein anderes Licht auf deinen Lebenslauf geworfen«, stimmte Mimi zu.
»Sagen jedenfalls meine Mütter«, stöhnte ich. »Aber wenn sich nicht mal die medizinischen Fachkräfte einig sind …«
»Was auch etwas ist, worüber du schreiben könntest.« Meine Mom tat immer so, als sei der Diagnostik-und-Therapie-Marathon, den sie mir in der Highschool auferlegt hatten, ein lustiger Ausflug gewesen, eine lebensbereichernde Erfahrung, und sie beide hatten keinerlei Probleme damit, das Ganze in Anwesenheit anderer zu besprechen.
Ich dagegen hielt nicht viel davon, meine persönlichen Angelegenheiten öffentlich zu machen – und erinnerte mich nur äußerst ungern an ihren Versuch, mich zu heilen, weil sie nicht in der Lage gewesen waren, zu verstehen, warum mir die Dinge so viel schwerer fielen als meinen älteren Schwestern, die mit beinahe graziöser Leichtigkeit durch ihre Schulzeit geschwebt und an renommierten medizinischen Fakultäten aufgenommen worden waren.
»Jetzt ist es sowieso zu spät.« Ich wollte nicht den ganzen Morgen meine Verfehlungen durchgehen. Wenigstens brachten sie nicht auf, wie oft ich den Zulassungstest gemacht und wie viel Geld die ganzen Eingangstests, Bewerbungsgebühren und Vorbereitungskurse verschlungen hatten. Meine Noten stimmten, keine Frage, aber diese Tests. Ich verfiel einfach jedes Mal in Schockstarre. »Ich … denke über meine Optionen nach.«
Ich gab mir Mühe, absichtsvoll zu klingen, so wie sie Unsicherheit oft als Bedachtsamkeit ausgaben, aber es klappte nicht. Beide schüttelten gleichzeitig den Kopf.
»Du brauchst eine Richtung«, sagte Mom entschlossen, und Mimi machte ein zustimmendes Geräusch. »Ich will, dass du dir Gedanken darüber machst, wie du weitermachen willst. Bald. Das Ende der Bewerbungsfristen rückt immer näher. Du brauchst einen angemessenen Plan für deine Zukunft. Du kannst dich nicht weiter vor der Welt verschließen und dich in diesem Spiel verstecken.«
Dieses Spiel war gerade der einzige Silberstreif in meinem Leben, aber das war ein alter Streitpunkt zwischen uns, den ich jetzt nicht wieder aufbringen wollte. Stattdessen leuchtete das Ticket und alles, wofür es stand, wie eine neonfarbene Leuchtreklame vor meinem inneren Auge auf. Nach Vegas fahren. Gewinnen. Ein Platz in der Pro-Tour. Einen Weg finden, meine Flugangst zu überwinden. Die Verpflichtungen als Profispieler dazu nutzen, die großen Entscheidungen aufzuschieben, die drohten, mich zu verschlingen. Herausfinden, wie mein eigenes Leben, mein eigener Weg aussehen sollte, weit weg von all ihren Erwartungen. Es war kein schrecklicher Plan.
»Das tue ich nicht. Tatsächlich denke ich darüber nach, einen Roadtrip zu machen. Mit … Freunden.« Freunde war wohl etwas übertrieben. Professor Tuttle war eher eine Art Mentor. Jasper und Payton tolerierten meine Anwesenheit, luden mich aber nie zu irgendetwas außerhalb unserer Spielerunde ein, und Conrad und ich waren eher Feinde als alles andere. Aber ich wusste, das Wort Freunde würde meine Moms sofort beruhigen und dafür sorgen, dass sie mich in Ruhe ließen.
»Das ist ja wunderbar.« Mimi strahlte.
»Ein bisschen soziale Interaktion ist immer gut für dich.« Genauso hatte Mom geklungen, als sie mich als Kind zu den neun Millionen AGs hatte überreden wollen, aber dann nahm ihre Stimme plötzlich einen weitaus unheilvolleren Tonfall an. »Aber ich will, dass du mit einem festen Entschluss zurückkommst, was deine Zukunft angeht. Sonst müssen wir eine andere Art Unterhaltung führen. Über deine Wohnsituation.«
Mist. An meinem Haaransatz bildeten sich Schweißperlen. Mir war bewusst, dass ich mit meinen dreiundzwanzig Jahren nicht einfach aufgrund ihrer Mildtätigkeit zu Hause wohnen bleiben konnte, aber ich hatte gehofft, noch ein wenig mehr Zeit zu haben. Und jetzt, da mich beide mit ernstem Nicken ansahen, hatte ich wohl keine andere Wahl, als mitzufahren, ganz egal, welche Vorbehalte ich hatte … und ganz egal, wer noch mit im Wagen sitzen würde.
Conrad
Zu spät. Ich kam zu spät zur Sonntagsrunde, und auch wenn das wahrlich nichts Neues für mich war, hasste ich es trotzdem. Aber ein durchgehender Sprint von Maxines Haus zum Gamestore war auch keine Option, also entschied ich mich für halb gehen/halb joggen, was mich mit zehn Minuten Verspätung ans Ziel kommen ließ – eigentlich nicht weniger als ein kleines Wunder, in Anbetracht der Tatsache, dass ich von meiner Nachtschicht im Supermarkt nach zwei Stunden Schlaf als Krankheitsvertretung zum Mittagsansturm wieder in der Pizzeria gestanden hatte, danach wieder nach Hause gerast war, weil ich meine Spieltasche vergessen hatte, nur um dann wieder in die Stadt zu rennen. Ich fiel beinahe hinten über vor Erschöpfung, aber ich war da. Das musste doch etwas zählen.
Als ich den Laden betrat, entspannten sich meine Schultern, so wie mein Körper es dort immer tat. Die gläsernen Schaukästen, Regale voller Brettspiele, Aufsteller voller Accessoires, die lockeren Spielrunden an den Tischen gaben mir ein Gefühl der Sicherheit, wie es sonst nur wenig konnte. Das hier war mein Ort. Es war nicht mein Heimat-Gamestore, der kleiner und dunkler gewesen war, aber der Duft nach neuen Karten und altem Kaffee war der gleiche, genauso wie mein Gefühl der Zugehörigkeit. Nachdem ich Arthur zugenickt hatte, der mal wieder echt bedrohlich aussah, während er einen der Schaukästen abwischte, als beleidige ihn seine Anwesenheit, fand ich meine Gruppe an einem der hinteren Tische. Alden starrte finster auf die geschlossene Tür zum Hinterzimmer, aber alle anderen hingen entspannt auf den Klappstühlen.
»Ich bin da. Überzieht die Gruppe vor uns?«, fragte ich, als ich mich auf den Stuhl neben Jasper fallen ließ. »Dann bin ich wohl gar nicht richtig zu spät.«
»Es ist Viertel vor vier. Wir haben halb vier gesagt«, betonte Alden. »Dass die andere Gruppe auch Verspätung hat, macht deine Verspätung nicht ungeschehen.«
Blinzelnd sah ich ihn an und fragte mich nicht zum ersten Mal, was zur Hölle sein Problem war. Eine seiner Haupteigenschaften war, alles hyperwörtlich zu nehmen, vor allem, wenn irgendetwas nicht so lief, wie er es geplant hatte. Sein Tonfall war zwar eher informativ als vorwurfsvoll oder streitsüchtig, aber ich verspürte dennoch einen kleinen Stich. Obschon weniger anklagend, klang er immer noch wie mein Dad, ständig diese Leier von persönlicher Verantwortung ohne Interesse an irgendwelchen Gründen.
»Spät geworden gestern?« Payton warf mir ein müde aussehendes Grinsen zu. Sier trug eine dunkle Sonnenbrille, einen riesigen Kuschel-Hoodie und litt zweifellos an einem Weltklasse-Kater. Früher waren wir oft zusammen rumgehangen, aber das war eine Ewigkeit her, als meine größte Wochenend-Sorge noch darin bestand, herauszufinden, wo was los war, egal ob bei einem nächtelangen Gaming-Marathon oder auf einer Party außerhalb des Campus.
»Bin erst um halb acht wieder zu Hause gewesen.« Ich entschied mich für Ehrlichkeit, wenn auch nicht für die ganze Wahrheit.
»Mega.« Jasper gab mir ein High Five. »Ich liebe es, stellvertretend durch euch ein wildes Leben zu führen.«
Ich bezweifelte, dass er gerne stellvertretend sechs Stunden lang verschiedene Sorten Tiernahrung in Regale sortieren würde, nickte aber trotzdem. »Und du? Was hast du getrieben?«
»Ich hab’s richtig krachen lassen.« Jasper zog eine Deck-Box aus der Tasche und entnahm ihr einen Stapel Karten. »Habe noch ein paar Pakete aufgemacht, bin die sinnlose Einzelkarten-Sammlung durchgegangen und ta-da! Absolutes Chef-Deck. Jede enthaltene Kreatur kann sich verwandeln.«
»Beeindruckend.« Bevor ich ihn fragen konnte, ob ich es mir mal ansehen durfte, kam Arthur zu uns herüber. Der Kerl war gebaut wie ein Wrestler, mit Tattoos und muskelbepackten Armen. Gerüchte besagten, er sei frühzeitig aus einer Sondereinheit beim Militär ausgeschieden, und seine tiefe Stimme verwies jeden Möchtegern-Ladendieb sofort an einen weniger gefährlichen Ort. Aber er hatte auch jede Menge Respekt für Professor Tuttle, wovon das ehrerbietige Nicken zeugte, das er ihm schenkte.
»Tut mir leid wegen der anderen Gruppe. Die sollten gleich rauskommen. Ich hab hier was, von dem ich dachte, dass es euch vielleicht gefällt.« Er streckte die Hand aus und zeigte uns ein paar regenbogenfarbene Einhorn-Kartenhüllen.
»Oh, allerdings.« Grazil nahm Payton ihm das Paket aus der Hand. »Wir können ja nachher abrechnen.«
»Hast du noch mehr davon?« Professor Tuttle strich sich übers Kinn. »Vielleicht würden die Julio endlich davon überzeugen, mal mitzuspielen.«
»Ich bringe dir ein Paket mit, wenn ich Payton abkassiere. Aber ich bezweifle, dass dein Mann hier in absehbarer Zeit zum Stammkunden wird.«
Professor Tuttle lachte. Sein eleganter Ehemann würde sich ganz sicher nicht für bunte Einhörner begeistern, und seine Unfähigkeit, das Spiel zu begreifen, war eine Art Running Gag bei uns.
Der Laden war nicht auf LGBTQ-Gaming spezialisiert oder so, aber wir waren auch nicht Arthurs einzige Gruppe, die mit einiger Wahrscheinlichkeit ein paar regenbogenbegeisterte Mitglieder hatte. Das war einer der Gründe dafür, warum ich mich hier so sicher fühlte. Arthur mochte zwar entsetzlich Furcht einflößend sein, aber er hatte seinen Laden fest im Griff und duldete keinerlei beleidigendes Verhalten. Und auch wenn Professor Tuttle in seiner Show nie etwas Persönlicheres über uns offenbarte als unsere Vornamen, war er Gründungsmitglied der Safe Space Alliance auf dem Campus. Ich würde es niemals laut zugeben, aber ich bewunderte seine vierzigjährige Partnerschaft mit seinem Ehemann, einem emeritierten Schauspiel-Professor, fast genauso sehr wie seine beeindruckende Kenntnis des Spiels.
Sie hatten diese Art Beziehung, die normale Leute niemals erreichten – wie aus einem Kinofilm. Ich konnte es beneiden, wusste aber gleichzeitig, dass so etwas für mich nicht in den Sternen stand. Himmel, ich war mir nicht mal sicher, ob ich so etwas in meinem Leben überhaupt wollen würde. Zu oft hatte ich mit angesehen, wie die Liebe den Leuten übel mitspielte. Diese Art von Verbindlichkeit brachte einen nur in die Position beinahe unvermeidbarer Verletzungen.
»Also.« Professor Tuttle wandte sich zu mir, als Arthur unseren Tisch wieder verließ. »Wer ist beim Roadtrip dabei? Wir sollten anfangen, Pläne zu schmieden.«
»Ich«, sagte ich in genau demselben Moment, in dem auch Alden es tat. Mein Blick fing seinen auf, erhaschte den Moment, in dem seine Augen sich verengten, sein Gesicht in sich zusammenfiel und seine herabsinkenden Schultern klar verrieten, wie enttäuscht er war. Ja, er hatte richtig gehört. Und es war mehr als nur offensichtlich, dass er gehofft hatte, ich würde nicht mitfahren, aber jetzt kam er aus der Nummer nicht mehr raus. Genauso wie ich. Verdammt. Ich konnte meine Zusage nicht mehr zurückziehen, ohne auszusehen wie der letzte Arsch.
Mir gegenüber schwang Aldens Gesichtsausdruck wieder zurück auf neutral, auch wenn seine Haltung dabei steif wurde, als wolle er auf keinen Fall, dass wir ihm seine Verunsicherung ansahen. Arrogant. Verstockt. Perfektionistisch. Besserwisserisch. Das alles war er. Wollte ich damit wirklich zwei Wochen verbringen?
Aber noch während ich meine Entschlossenheit infrage stellte, sah ich vor meinem inneren Auge, wie ich das Turnier gewann, konnte die Erleichterung spüren, fast schon fühlen, wie sich das Papier des Schecks zwischen meinen Fingern anfühlte. Ja. Ich würde fahren.
»Hast du denn freibekommen?«, fragte Jasper mich. »Ich musste jede Menge Gefallen einfordern, um das hinzukriegen. Arthur war zwar großzügiger als sonst, aber er will, dass wir T-Shirts mit Werbung für den Laden mitnehmen, wie eine Art Sponsor.«
»Ja, das habe ich geregelt bekommen.« Ich schaffte es, gelassen und nicht panisch zu klingen. Niemand, schon gar nicht Alden, musste mitkriegen, dass ich mein letztes Geld für diesen Trip ausgab, alles was ich hatte, zusammen mit der Miete für diesen Monat, die Maxine nicht haben wollte. Ich würde quasi um mein Leben spielen. Wenn ich versagte, standen die Chancen gut, dass ich bei meiner Heimkehr keinen Job mehr hätte, keine Wohnung und keinen Plan B. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass ich von vorne anfangen müsste. Es war einfach ein Risiko, das ich eingehen musste.
»Hervorragend. Ich freue mich schon so.« Professor Tuttle lächelte noch breiter als das Gamer-Grandpa-Logo auf seinem Shirt.
Als sich die Tür zum Hinterzimmer endlich öffnete, kam eine unerträgliche Gruppe älterer Erwachsener heraus, deren Passion ein beliebtes Kinderkartenspiel war. Als wir die Kameras aufstellten, begann Alden zu schnüffeln.
»Haben die anderen hier drin was gegessen? Die Regeln gibt es ja nicht ohne Grund. Jetzt stinkt es hier drin nach Peperoni.«
Ich wandte mich ab. Bei jedem anderen würde ich lachen und zugeben, dass der Geruch zweifellos von mir stammte, weil ich immer noch das schlichte schwarze T-Shirt trug, das uns in der Pizzeria als Arbeitskleidung vorgeschrieben war, da ich schlichtweg keine Zeit gehabt hatte, zu duschen und mich umzuziehen, bevor ich hergekommen war. Aber bei ihm konnte ich nur finster vor mich hinstarren.
»Gott sei Dank, dass Arthur uns hier hinten wenigstens was trinken lässt. Er könnte ein Vermögen machen, wenn er eine Espresso-Bar einbauen würde, statt immer diese Brühe auszuschenken.« Payton ließ sich in einen der Stühle sinken. »Und bitte sagt mir, dass ich nicht zuerst dran bin. Wir spielen heute eins gegen eins Turnier-Style, oder?«
Das Video am Freitag hatte eine ungezwungenere Odyssey-Runde mit vier Spielenden gezeigt, aber heute wollte Professor Tuttle zwei Abläufe im beliebteren Zwei-Spieler-Turnier-Format abdrehen.
»Korrekt. Und wenn du die erste Runde aussetzen möchtest, dann fangen wir mit Conrad versus Jaspers neues Deck an.«
»Super.« Dankbar, mich nicht Alden stellen zu müssen, rollte ich meine Spielmatte aus und richtete mich Jasper gegenüber ein.
»Brauchst du ein Deck mit Turnierzulassung?« Alden durchsuchte bereits seine Tasche, als sähe er es als gegeben an, dass ich etwas würde ausleihen müssen.
»Nein. Hab mir gestern was zusammengebastelt.« Wie immer hatte ich ein einsatzfähiges Deck aus den Karten, die ich bereits besaß, und den abgelegten von Jasper zusammengestellt.
Als es losging, wartete ich auf das Einsetzen des Adrenalinkicks, aber alles, was ich verspürte, war Müdigkeit. Drei Tage mit deutlich zu wenig Schlaf holten mich langsam ein. Während ich darauf wartete, dass Jasper seinen Zug machte, konnte ich ein Gähnen nicht unterdrücken. Er spielte einen riesigen Zyklopen-Zauberer, der mich schnell dazu brachte, meine Strategie zu ändern. Aber es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, als ich mein Blatt betrachtete.
»Ich schlage ihn mit Spontaner Vernichtung«, sagte ich, als ich die Karte auf den Tisch klatschte.
»Conrad.« Alden seufzte noch vor Jasper. »Du kannst keine Vernichtungskarte gegen einen Zauberer ausspielen. Das solltest du wissen.«
»Mist.« Natürlich wusste ich das. Aber ich war einfach so verdammt müde, dass mir die Zehen wehtaten. Dummer Anfängerfehler. Und natürlich war es Alden, der mich darauf hinwies. Wäre es jemand anders gewesen, hätte es nicht so gebrannt. Irgendetwas an Alden ließ mich die Erniedrigung umso heißer spüren, gab mir jedes Mal das Gefühl, ein unerfahrener Neuling zu sein.
»Weißt du, die Leute gehen aus verschiedenen Gründen auf die MOC West. Du musst ja nicht im Turnier mitspielen.« Alden verlieh sich die Aura von Vernunft. Und es war ja auch keine Lüge, solche Cons waren für ihre sozialen Möglichkeiten genauso bekannt wie für die Turnierspiele. Ich war schon bei genug regionalen Veranstaltungen gewesen, um mich auf das Miteinander zu freuen, auf die Vorträge und Workshops, die Partys am Abend, die spontanen Spiele am Rande, das ständige Leute-Gucken. Aber anders als ein Tagespass für die Regional-Cons enthielt dieses Ticket einen Platz im Turnier – normalerweise ein kostspieliges Extra. Auf keinen Fall würde ich das ausschlagen, wenn es doch mein einziger Grund war, mitzufahren und mich Alden und dem Stress dieser ganzen Tour auszusetzen.
»Ich spiele«, knurrte ich durch zusammengebissene Zähne. Und das würde ich. Ich würde ihm beweisen, dass er falschlag. Es allen beweisen. Ich würde spielen. Ich würde gewinnen. Und vielleicht würde es der längste Zwei-Wochen-Trip meines Lebens werden, vielleicht würde ich pausenlos Kopfhörer tragen müssen, um Alden und seine Besserwisserei auszublenden, aber ich würde fahren, und nichts würde mich davon abbringen.