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Drei liebliche und besinnliche Weihnachtserzählungen aus dem neunzehnten Jahrhundert: Jugenderinnerungen einer alten Puppe. Goldchen. Christbäume.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Es war einmal eine Frau, die zwar selbst keine Kinder hatte, aber alle Kinder liebte und von ihnen wieder geliebt ward, denn sie verstand es mit ihnen zu fühlen, als sei sie selbst noch ein Kind.
Darum war ihr auch die Weihnachtszeit die liebste im ganzen Jahre, und wenn auch ihr Haar schon anfing grau zu werden, freute sie sich doch noch an dem vielen Spielzeug, das sie für Kinder einkaufte oder selbst zurechtmachte, besonders aber an den Puppen, die sie mit großer Lust ankleidete.
Diese kleinen leblosen Geschöpfe leisteten ihr ordentlich Gesellschaft, wenn sie an langen, dunklen Winterabenden oft ganz allein saß in ihrem einsamen Häuschen auf dem Berge. Sie plauderte mit ihnen und versetzte sich dabei in ihre eigene Kindheit zurück, wo sie ein gar zärtliches Puppenmütterchen gewesen war.
Vor etlichen Jahren bat sie einmal in der Adventszeit eine Freundin in der Stadt um Zeugläppchen zur Kleidung der kleinen Gesellschaft; da sagte diese:
„Ich hab auch noch etwas für dich. Sieh, diesen großen Puppenbalg fand ich neulich in einem Kasten ganz im Winkel einer Bodenkammer, die selten betreten wird. Wer weiß, wie lange er dort liegt; gewiss haben ihn frühere Hausbewohner vergessen. Das Leder ist noch fest, und wenn du einen hübschen Kopf kaufst, gibt’s noch eine Staatspuppe.“
Sehr vergnügt trug die Frau die willkommene Gabe nach Hause, nachdem sie unterwegs einen blonden Lockenkopf mit beweglichen Augenlidern und zierliche Ärmchen gekauft hatte. Die Beine mochten wohl auch einige Mängel haben, waren aber bis weit übers Knie in feste, schwarze Strümpfe eingenäht.
Am Abend dieses Tages saß die Frau wieder allein im warmen Stübchen und draußen war es fast unheimlich still und finster. Der Schnee fiel in dichten Flocken und nur von ferne blickte hie und da ein Lichtschein aus den kleinen Fenstern der Dorfhäuser.
Auf dem Sofa saßen vier fertige Püppchen in Reih und Glied und guckten mit den hellen Augen verwundert nach dem großen Balg, der auf dem Tisch lag und eben die Ärmchen angenäht bekam.
„Ja, guckt ihr nur“, sagte die Frau lächelnd, „das wird ein stattlicheres Fräulein als ihr winzigen Dinger! Dafür wird sie aber viel Arbeit machen und viel Zeug kosten; ich werde ihr wohl das schöne blaue Stück opfern müssen, das eigentlich für zwei reichen sollte. Aber zuerst der Kopf! Der Leim ist ja schon warm.
So, nun lieg ein Weilchen still, mein Kind, bis er trocken ist; indes will ich dein Hemd nähen.“
Als der Kopf fest war, setzte die Frau die Puppe aufrecht, um ihr das Hemd anzuziehen. Die blauen Augen öffneten sich, aber – aber, o Wunder! – der kleine Mund öffnete sich auch, und eine feine Stimme sagte:
„Noch einmal zum Leben erwacht, und in so freundlicher Umgebung! Wer hätte das gehofft?“
Es war gut, dass die Puppe an den Nähkorb gelehnt war, sonst hätte die Frau sie vor Schreck fallen lassen.
Nun schaute sie behaglich um sich und fuhr fort:
„Ich muss sehr lange geschlafen haben, denn die kleinen Wesen auf dem Sofa sind anders als zu meiner Zeit; zierlicher, das ist nicht zu leugnen, aber lange nicht so solid. Keines von ihnen wird mein ehrwürdiges Alter erreichen; wer weiß, ob sie das neue Jahr erleben!“
Das hieß der guten Frau an die Seele greifen. Sie vergaß ihren Schreck und erwiderte:
„Da irrst du dich sehr. Wenn du überhaupt reden willst, so rede vernünftig! Diese niedlichen Dinger werden am nächsten Weihnachtsfest noch wohl erhalten sein. Meine kleinen Dorfmädchen sind nicht so wild wie die verwöhnten Stadtkinder, unter denen du gelebt zu haben scheinst. Sie schätzen ihr Weihnachtspüppchen hoch, spielen Sonntags damit und lassen’s die Woche hindurch ruhen, denn sie müssen selbst schon arbeiten, sobald sie nur die Händlein rühren können.“
„Das freut mich zu hören“, entgegnete die Puppe; „dann hoffe ich auch auf einen friedlichen Lebensabend.“
„Der wird dir auch sicher beschieden sein, denn mein Patchen, ein gar liebes Kind, soll deine Mutter werden. Nun aber sage mir: Woher kommt es, dass du reden kannst? Ich gehe doch viel mit Puppen um und manche hat mich verständnisvoll angeblickt, aber gesprochen hat noch keine seit meiner Kinderzeit.“
„Da haben wir’s!“, rief die Puppe. „Also in der Kindheit verstandest du unsere Sprache?“
„Ei freilich!“
„Nun sieh, deine grauen Haare und die hässliche Brille sind nur Täuschung; im Herzen bist du ein Kind geblieben, und darum spreche ich mit dir. Doch merke wohl: nur heute Abend. Nur in der wunderbaren Zeit vor Weihnachten, wo alles Spielzeug lebendig wird, dürfen wir Puppen manchmal unser Herz ausschütten gegen Leute, die uns verstehen. Morgen werde ich stumm sein wie die andern; jetzt aber will ich dir meine Schicksale erzählen, wenn du sie hören willst.“
„O gerne; beim Zuhören will ich nette Höschen und ein warmes wollenes Unterröckchen für dich nähen.“
„Es war an einem ähnlichen Abend wie dieser“, begann die Puppe, „als ich das Licht der Welt erblickte, d.h. als mir der erste Kopf aufgesetzt ward. Es war ein Pappkopf mit leuchtend roten Backen und blauen Glasaugen.
Mein erster Blick fiel auf ein Frauengesicht, dem deinen etwas ähnlich, nur noch älter, ruhiger und milder; ein echtes Großmuttergesicht.
Wir lächelten einander freundlich zu, doch blieb ich stumm, da ich ja noch nichts zu erzählen hatte. Desto lieber lauschte ich dem Selbstgespräch der guten Alten während der vielen Stunden, in denen ihre schwachen und doch so geschickten Hände meine Kleidung anfertigten.
‚Wie wird sich Hanna freuen!‘, flüsterte sie. ‚Ich musste ihr den Wunsch erfüllen, obgleich sie bald zu groß wird zum Puppenspiel. Ja, sie bleibt doch mein Liebling; sie hat ein so warmes Herz. Wenn sie nur mit der Zeit gesetzter wird, weniger stürmisch und ausdauernder zu Arbeit!‘
Endlich war ich fertig, und zwar als Knabe gekleidet. Ich trug einen buntgestreiften Kittel mit blanken Knöpfen, weißen Hosen, rote Strümpfe und hübsche Lederstiefelchen; ein Sammetmützchen bedeckte den Kopf.
Nun folgten dunkle Tage im engen Schubfach, dann fröhliches Erwachen unter einem kleinen, reich geschmückten Christbaum.
Es war zweiter Weihnachtsfeiertag; ich hörte später, dass die Großmutter jedes Jahr an diesem Tage allen ihren Enkeln bescherte.
Da stand sie so freundlich und heiter, umgeben von der ganzen Schar, wohl fünfzehn an der Zahl. Sie hatten die Hände gefaltet und sangen andächtig ein Weihnachtslied.
Dann aber brach der Jubel aus über die Geschenke, sodass die arme Großmutter fast erdrückt ward vor Dankbarkeit.
Hanna, mein Mütterlein, war ein schlankes, etwa zehnjähriges Mädchen, blauäugig und blond und sehr lebhafter Natur; das merkte ich bei den Spielen, die unter der Großmutter Aufsicht getrieben wurden, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen.
Sorgfältig unter dem Mantel verwahrt, trug mich Hanna durch die Straße der großen Stadt, blieb aber wenigstens zehnmal stehen, um mich beim Schein einer Laterne zu betrachten und zu küssen. Bei dieser Gelegenheit bekam ich den Namen Heinrich.
Nachdem ich von Eltern und Geschwistern genügend bewundert war, legte mich Hanna in ein schönes, weiches Puppenbett, das bisher einem Porzellankind gehört hatte. Dieses nahm von nun an mit einem Körbchen vorlieb, wurde überhaupt sehr gegen mich zurückgesetzt.