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VERFÜHRT, VERLASSEN - VERHEIRATET? von ANGELA BISSELL
"Hallo, Annah." Ein eiskalter Schauer überläuft sie bei dem sexy italienischen Akzent. Denn Annah weiß, warum der mächtige Luca Cavallari nach England gekommen ist: Er will ihr das Wertvollste in ihrem Leben nehmen! Ihren gemeinsamen Sohn - süße Folge einer heißen Liebesnacht …
GESTRANDET AUF DER INSEL DER LEIDENSCHAFT von NINA MILNE
Gestrandet! April sitzt mit dem gefühlskalten Millionär Marcus Alrikson auf einer einsamen Insel fest. Dabei wollte sie ihn doch nur für ein Interview begleiten. Jetzt lernt sie Marcus sehr viel besser kennen als je gedacht … Was schon bald zu einem Skandal führt!
IM BANN DES FREMDEN WÜSTENPRINZEN von SUSAN STEPHENS
Ein Flirt, eine Einladung auf eine Jacht, eine heiße Liebesnacht: Lucy genießt die Stunden mit Tadj, aber in der Morgendämmerung verschwindet sie von Bord. Sie ahnt nicht, wer er ist - bis sie ihn drei Monate später wiedersieht. Und diesmal lässt er sie nicht einfach gehen …
RISKANTES SPIEL IN LAS VEGAS von JULIA JAMES
Dieser Mann ist gefährlich für ihr Herz: In Las Vegas begegnet die adlige Francesca dem attraktiven Nic Falcone. Jedes Risiko im Spiel, das man Liebe nennt, ist er ihr wert. Dabei darf Nic niemals erfahren, dass sie aus einer Welt kommt, mit der er nichts zu tun haben will …
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Seitenzahl: 701
Veröffentlichungsjahr: 2020
Angela Bissell, Nina Milne, Susan Stephens, Julia James
JULIA EXTRA BAND 480
IMPRESSUM
JULIA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 480 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2019 by Angela Bissell Originaltitel: „The Sicilian’s Secret Son“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Valeska Schorling
© 2018 by Nina Milne Originaltitel: „Marooned with the Millionaire“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Elke Schuller-Wannagat
© 2018 by Susan Stephens Originaltitel: „Pregnant by the Desert King“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Trixi de Vries
© 2019 by Julia James Originaltitel: „Heiress’s Pregnancy Scandal“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Trixi de Vries
Abbildungen: Harlequin Books S. A., lekcej / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733714802
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Er hat einen Sohn? Schockiert erfährt Luca, dass die Nacht mit Annah süße Folgen hatte. Sie und der Junge gehören zu ihm, nach Sizilien. Aber wie kann er Annah von einer gemeinsamen Zukunft überzeugen?
Als Marcus mit der neugierigen Reporterin April auf einer Insel strandet, verflucht er sein Schicksal. Doch ein gewaltiger Sturm bringt die beiden, so fremd sie sich auch sind, ganz nah …
Emir Tadj brennt vor Verlangen: Als standesgemäße Braut kommt die kesse Lucy nicht infrage, als Geliebte dagegen schon! Doch das hat ungeahnte Konsequenzen für sein Herz – und seinen Thron …
Nic Falcone bekommt immer, was er will! Und er will die schöne Fran, die ihm in Las Vegas begegnet ist. Er ahnt nicht, wen er da sinnlich verführt: eine reiche Adlige aus einer Luxuswelt, die er verabscheut …
Dino Rossini beugte sich vor, das Gesicht zu einer höhnischen Fratze verzerrt. „Du machst einen Fehler, Cavallari. Glaubst du, dein Vater hätte das gewollt?“
Luca, der hinter dem Schreibtisch seines verstorbenen Vaters saß, hielt Rossinis hasserfülltem Blick stand. Wegzusehen oder auch nur zu blinzeln würde Schwäche zeigen, und der Mann vor ihm kannte keine Gnade mit Menschen, die er für schwach hielt – so wie alle Tyrannen.
Genau deshalb hatte Luca ihn ja gerade gefeuert.
„Was mein Vater wollte, spielt keine Rolle mehr, seitdem er tot ist. Wir machen die Dinge jetzt auf meine Art.“
Rossinis Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Früher …“
„Die alten Zeiten sind vorbei. Das habe ich schon vor zwei Monaten klargemacht.“ Eine Warnung, die der Sicherheitschef seines Vaters einfach ignoriert hatte. Abscheu schwang in Lucas Stimme mit. „Was du gestern getan hast, war unverzeihlich.“
„Er hat dich bestohlen“, verteidigte Rossini sich, als könnte das seine Brutalität rechtfertigen.
„Du hättest die Polizei rufen können.“
Rossini lachte kalt. Bösartig. „Wir sind hier nicht in New York. Du glaubst, ein schicker Anzug und ein guter Haarschnitt reichen, damit man dir Respekt zollt?“ Er schüttelte den Kopf. „Amerika hat dich verweichlicht, Cavallari. Wenn einen hier jemand bestiehlt, sich respektlos verhält, ruft man nicht die Polizei. Man erteilt ihm eine Lektion.“
Luca sprang auf und hieb die Faust auf seinen Schreibtisch. „Eine Lektion?“, brüllte er. „Du hast deine Männer – deine Schläger – auf einen Sechzehnjährigen angesetzt! Er hat ein gebrochenes Bein, gebrochene Rippen, eine ausgekugelte Schulter und eine schwere Gehirnerschütterung!“ Luca schmeckte Galle und zwang sich, ruhiger zu atmen. Er setzte sich wieder. „Raus“, sagte er kalt.
„Was ist mit meinen Männern?“
„Die sind auch gefeuert.“
Rossini stand auf, das Gesicht hochrot vor Wut. „Es wird nicht leicht werden, uns zu ersetzen.“
„Schon erledigt.“ Luca lächelte kalt und zufrieden. „Vor der Tür warten zwei Männer, um dich nach draußen zu begleiten.“
Rossinis Gesicht rötete sich noch heftiger. Er marschierte zur Tür, warf Luca einen letzten hasserfüllten Blick zu und verließ das Zimmer.
Luca erhob sich von seinem Schreibtisch und ging zum Fenster, um zu beobachten, wie zwei große, muskulöse Männer Rossini zu seinem schwarzen Sedan begleiteten. Rossini stieg ein, startete den Motor und raste davon, dass der Kies aufspritzte. Luca sah dem Wagen hinterher, bis er in der Ferne verschwunden war.
Endlich war er ihn los!
Er hätte ihn schon vor zwei Monaten feuern sollen, zwanzig Jahre Dienstzeit hin oder her. Obwohl der Kerl bis zu einem gewissen Grad vielleicht sogar recht hatte, so ungern Luca das auch zugab. Er war zwar nicht „verweichlicht“ – im Gegenteil sogar –, aber seine Jahre im freiwilligen Exil in Amerika hatten ihn nicht gerade gut auf den Job vorbereitet, der jetzt vor ihm lag.
„Signor Cavallari?“
Er drehte sich zu Victor um, dem langjährigen Butler seiner Familie, bevor er sich wieder an den geschnitzten Schreibtisch setzte – den Platz, von dem aus Franco Cavallari sein Imperium und seine Familie mit eiserner Faust regiert hatte. „Was gibt es, Victor?“, fragte er geistesabwesend, während der den Blick über den riesigen Haufen Papierkram gleiten ließ, den er noch erledigen musste.
„Ich muss Ihnen etwas zeigen.“
Victors aufgewühlter Tonfall weckte Lucas Aufmerksamkeit. Er hob den Blick zu dem Mann. Wie immer lag bei Victor jedes Haar korrekt, und sein Nadelstreifenanzug sah aus wie frisch gebügelt. Doch auf seiner Stirn standen Schweißperlen, und er hielt einen großen Umschlag an die Brust gepresst.
Luca lehnte sich zurück. Sieh mal einer an. Irgendetwas hatte Victor – die Gleichmut in Person – aus dem Konzept gebracht. „Setzten Sie sich, um Himmels willen“, sagte er. „Bevor sie mir noch umkippen.“
Victor ließ sich auf den Stuhl fallen, auf dem eben noch Rossini gesessen hatte. „Danke, signor.“ Er zog ein schneeweißes Taschentuch aus seiner Brusttasche und betupfte sich damit die Stirn.
Ungeduldig streckte Luca eine Hand aus.
Victor zögerte, öffnete den Mund, überlegte es sich dann anders und reichte Luca wortlos den Umschlag.
Luca zog den Inhalt heraus. Anders als vermutet handelte es sich nicht um irgendwelche Unterlagen, sondern um Fotos. Auf dem obersten war eine junge Frau auf einer Rasenfläche zu sehen – anscheinend ein öffentlicher Park. Sie trug Shorts, ein ärmelloses T-Shirt und einen Strohhut, der ihr Gesicht beschattete. „Hübsch“, murmelte er beim Anblick ihrer tollen Kurven und der langen, schlanken Beine.
Victor schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Ich meine die anderen Fotos.“ Er zeigte auf den Stapel. „Das Kind …“
Luca legte das oberste Foto weg und betrachtete das nächste, auf dem ein kleiner Junge zu sehen war. Er hatte dunkles Haar, braune Augen und olivfarbene Haut. Luca betrachtete den Jungen verwirrt. Das war ja er selbst, als er noch klein gewesen war.
Aber das konnte nicht sein. Laut Datumstempel war das Foto nur zehn Monate alt.
Was zum Teufel?
Verwirrt hob er den Bick zu Victor, der sich erneut über die Stirn wischte. „Woher haben Sie die?“
„Aus der Wohnung Ihres Vaters in Rom. Ich habe seine Sachen wie gewünscht packen und hierherschicken lassen. Signora Cavallari hat mich gebeten, die Kartons durchzusehen, und …“
„Hat sie die Fotos schon gesehen?“
„Selbstverständlich nicht“, antwortete Victor eine Spur empört. „Ich bin direkt zu Ihnen gekommen.“
Gut. Luca stand seiner Mutter zwar nicht besonders nahe, wollte ihr die Demütigung jedoch trotzdem ersparen. Es war zwar gut möglich, wahrscheinlich sogar, dass Eva Cavallari von der Geliebten ihres Manns gewusst hatte – aber ein illegitimes Kind? Ein Halbbruder?
Er biss die Zähne zusammen. Noch mehr Chaos, das beseitigt werden musste! Und das hier ging über Geldwäsche und illegale Geschäftspraktiken hinaus.
Hier ging es um ein Kind. Ein Kind, das eines Tages Anspruch auf einen Teil des Cavallari-Vermögens erheben konnte.
Luca blätterte die restlichen Fotos durch, griff wieder nach dem ersten und betrachtete es näher. Die junge Frau war blond und schön. War ja klar. Eins musste man Franco Cavallari lassen: Er hatte einen exquisiten Geschmack gehabt, was Frauen anging. Sie war sogar bildschön. Tolle blaue Augen, hohe Wangenknochen, makellose Haut …
Luca runzelte die Stirn.
Die kenne ich doch, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf, aber das wäre völlig verrückt. Die Welt war schließlich voller blauäugiger, blonder Schönheiten.
Und trotzdem …
Er hielt sich das Foto etwas dichter vor die Nase und betrachtete den hübschen Mund der Frau.
Die Kamera hatte sie in einem Moment erwischt, als sie ernst dreinschaute.
Trotzdem hatte Luca plötzlich das untrügliche Gefühl, dass er ihr Lächeln kannte. Er wusste, wie ihre Gesicht strahle, sobald ihre Mundwinkel sich hoben, und wie ihre blauen Augen funkelten. Wie ihr Lachen klang …
Er schluckte. Ihr Lachen war das schönste, reizvollste Geräusch gewesen, das er je gehört hatte.
Luca schloss die Augen und versetzte sich zurück in eine eiskalte Februarnacht in London. Tief in Gedanken versunken war er auf dem Rückweg zu seinem Hotel gewesen, als er plötzlich gegen etwas gestoßen war, das einen leisen Schreckenslaut ausgestoßen hatte und in einem schmutzigen Schneehaufen gelandet war.
Nicht etwas, aber jemand, wie er festgestellt hatte, als sein Blick auf die junge Frau gefallen war, die er aus Versehen umgerannt hatte.
Sie hätte ihn anfauchen können, er solle gefälligst aufpassen, wo er hinging, doch stattdessen hatte sie nur lächelnd ihre Kapuze zurückgeschoben und dabei blondes Haar und hübsche blaue Augen enthüllt.
Ihr Anblick hatte Luca für ein paar Sekunden die Sprache verschlagen, bevor er sich einen Ruck gegeben, ihr hochgeholfen und sich bei ihr entschuldigt hatte. Anschließend hatte er sie in die schicke Hotelbar eingeladen und ihr einen großen Becher heißer Schokolade bestellt.
Und damit hätte ihre zufällige Begegnung eigentlich vorbei sein sollen.
Doch ihre natürliche Schönheit, ihr Lächeln und ihr ansteckendes Lachen … eigentlich alles an ihr hatte ihn so fasziniert, dass die Versuchung, sie zu berühren, sie in die Arme zu nehmen und sich in ihr zu verlieren – sein schreckliches Leben wenigstens eine Nacht lang zu vergessen – einfach zu groß geworden war.
Schwer atmend blätterte Luca die restlichen Fotos durch. Er brauchte mehr – einen Hinweis, irgendetwas – um zu verstehen, wie es sein konnte, dass die Frau, mit der er vor fünf Jahren eine unvergessliche Nacht erlebt hatte, nicht nur die Geliebte seines Vaters war, sondern auch ein uneheliches Kind mit ihm hatte.
Hass stieg in ihm auf. Typisch Franco, das einzig Gute zu zerstören, das Luca je erlebt hatte!
Er schüttelte den Umschlag aus, und ein zusammengefaltetes Blatt Papier fiel heraus. Er klappte es auf. Es handelte sich um eine Fotokopie der Geburtsurkunde eines Jungen namens Ethan Sinclair – vermutlich der Kleine auf den Fotos.
Luca überflog das Dokument, um den Namen der Mutter zu finden.
Annah Sinclair.
Plötzlich hörte er wieder ihre sanfte, melodische Stimme.
„Annah mit H“, sagte sie, während sie ihn über den Rand ihres Bechers mit heißer Schokolade anlächelte.
Zuerst verstand er sie falsch. „Hannah?“
Lachend schüttelte sie den Kopf und buchstabierte ihren Namen.
Luca verdrängte die Erinnerung und konzentrierte sich wieder auf die Geburtsurkunde. Bei „Vater“ stand „unbekannt“. Das Geburtsdatum war der 31. Oktober 201…
Luca erstarrte.
„Signor Cavallari?“
Luca hob das Gesicht zu Victor, nahm ihn jedoch kaum wahr, da er im Kopf die Anzahl der Monate und Wochen zwischen dem siebzehnten Februar und dem einunddreißigsten Oktober überschlug. Ihm rauschte so laut das Blut in den Ohren, dass er die Worte des älteren Mannes nur gedämpft hörte.
Er hatte die Fotos falsch interpretiert. Völlig falsche Schlüsse gezogen.
Der Junge auf den Fotos war nicht sein Halbbruder – er war sein Sohn!
„Oh nein!“ Hastig legte Annah ihre Schere weg und griff nach der Rolle silberfarbenem Organzaband, die über ihren Arbeitstisch kullerte, doch sie war nicht schnell genug. Mit einem Plumps hörte sie die Rolle auf dem Boden aufprallen.
Sie stöhnte genervt. Na toll! Hoffentlich rollte sich das sündhaft teure Band nicht gerade vollständig unter ihrem Arbeitstisch auf.
„Tut mir leid“, sagte sie bedauernd zu den lila Tulpen in ihrer linken Hand. „Ich fürchte, ihr werdet euch noch einen Moment gedulden müssen.“ Sie legte die Blumen auf den Tisch und bückte sich, um die Rolle vom Fußboden aufzuheben.
Keine Spur davon zu sehen.
Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und kroch auf allen vieren unter ihren Arbeitstisch.
Hoffentlich kommt nicht ausgerechnet jetzt ein Kunde rein!
Sie mochte Kunden, so wie jeder Selbstständige. Aber da Chloe, ihre Freundin und Geschäftspartnerin, gerade in London eine kranke Freundin besuchte, hatte Annah auch ohne Laufkundschaft alle Hände voll zu tun.
Sie schob eine Hand in die Lücke zwischen ein paar Kartons mit buntem Wickeldraht. „Da bist du ja!“, sagte sie erfreut. Genau in dem Moment, als sie nach der Rolle griff, klingelte die altmodische Glocke über der Tür.
Verdammt!
In der Hoffnung, die nackten Beine ihres Lieferanten zu sehen, spähte sie unter dem Tresen hervor.
Nein. Das waren nicht Brians Beine. Brian trug keine dunklen Anzüge oder teure Lederschuhe. Handgefertigt, so wie es aussah.
Der Kunde war anscheinend nicht von hier. Die Männer in und um Hollyfield in South Devon trugen normalerweise Gummistiefel oder Arbeitsschuhe – nichts, das einen Marsch über einen schlammigen Acker oder durch den Schnee nicht überstehen würde.
„Bin sofort da“, rief sie und kroch rückwärts aus der Lücke.
„Nur keine Eile“, hörte sie eine tiefe, männliche Stimme über sich.
Eine mit italienischem Akzent.
Annah erstarrte für einen Moment, bevor sie zu hastig aufstand und sich schmerzhaft den Kopf an der Arbeitsplatte stieß. „Au!“
Der Mann kam um den Tresen herum. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“
„Ja“, log sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Alles bestens.“
Ist es nicht. Ich stehe kurz vor einer dieser albernen Panikattacken. Nach all den Jahren!
Sie stützte die Hände auf dem Fußboden auf und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Es gab keinen Grund, so hysterisch zu reagieren. Ein Mann hatte ihren Laden betreten. Ein Mann mit einem sexy italienischen Akzent. Das hatte noch lange nichts zu bedeuten.
Oder war das …?
Nein!
Sie biss die Zähne zusammen und verdrängte ihre Panik. Sie wollte nicht mehr in ständiger Angst leben. Sich verstohlen umsehen und bei jedem dunklen Schatten zusammenzucken. Bedrohungen sehen, wo keine existierten. Das war Ethan gegenüber nicht fair. Ihr Sohn hatte kein nervöses Wrack als Mutter verdient.
„Sind Sie sicher?“, hakte der Mann nach.
Annah stand auf. Sie würde ihn jetzt ansehen und feststellen, dass ihre Befürchtungen völlig unbegründet waren. Mit etwas Glück war er klein und untersetzt – ganz anders als der großgewachsene, dunkelhaarige Teufel, der sie in einer kalten Winternacht vor fünf Jahren verführt hatte.
Wichtiger noch, er sah bestimmt ganz anders aus als Ethans Großvater väterlicherseits – ein Mann, dem sie hoffentlich nie wieder begegnen musste.
„Ja“, antwortete sie und legte die Rolle mit dem Stoffband auf den Tresen. Ihr Hinterkopf schmerzte zwar immer noch, aber trotzdem setzte sie ein professionelles Lächeln auf und drehte sich zu dem Mann um. Er kam wahrscheinlich nur zufällig vorbei und hatte spontan beschlossen, seiner Freundin oder seiner Frau ein paar Blumen zu kaufen. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Ihr Blick fiel auf den Kragen eines schmal geschnittenen Kamelhaarmantels über einem eleganten schwarzen Pullover. Die Schultern darunter waren extrem breit. Dieser Körper strahlte Kraft und Männlichkeit aus.
Ihr Lächeln erstarb. Halb ängstlich, halb hoffnungsvoll hob sie den Blick … und sah in zwei allzu bekannte dunkelbraune Augen.
„Hallo, Annah.“
Erschrocken keuchte sie auf, wich zurück und stieß gegen die Arbeitsplatte.
Luca Cavallari ging einen Schritt auf sie zu. „Vorsichtig!“
„Fass mich nicht an“, stieß sie hervor und griff nach dem erstbesten scharfen Gegenstand, den sie in die Hände bekam – ihrer Floristenschere.
Eher verwirrt als alarmiert senkte er den Blick zu dem kleinen Instrument und hob ihn dann wieder zu Annah. „Willst du mich etwa erstechen, Annah?“
„Schon möglich.“ Sie festigte den Griff um die Schwere. Natürlich wollte sie das nicht, aber das brauchte er ja nicht zu wissen. Er kannte sie schließlich nicht. Obwohl sie gemeinsam neues Leben geschaffen hatten, waren sie Fremde.
Außerdem waren Menschen zu allem Möglichen fähig, wenn das, was sie liebten, bedroht wurde. Annah würde alles tun, um ihren Sohn zu beschützen – erst recht vor den Menschen, die ihn nie gewollt hatten.
Als die Türglocke klingelte, blickte Annah instinktiv Richtung Eingang. Ein Fehler, wie ihr bewusst wurde, als Luca Cavallari sie am Handgelenk packte und sie geschickt entwaffnete. Er warf die Schere auf den Arbeitstisch – außer ihrer Reichweite.
„Nein!“ Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hielt sie zu fest.
Panisch betrachtete sie den Neuankömmling – ein stiernackiges, ganz in schwarz gekleidetes Ungetüm, bei dessen Anblick ihr fast das Herz stehen blieb. Sie nahm all ihren Mut zusammen und funkelte Luca wütend an. „Ist das dein Ernst? Du hast Verstärkung mitgebracht?“
Er runzelte die Stirn, als verwirre ihre Feindseligkeit ihn, was ihren Zorn nur noch anfachte. Womit hatte er denn gerechnet? Dass sie ihm vor Freude um den Hals fiel? Hätte sie doch nur die Geistesgegenwart gehabt, so zu tun, als würde sie ihn nicht erkennen! Ihre gemeinsame Nacht war inzwischen fünf Jahre her. Es wäre glaubwürdig erschienen, wenn sie behauptet hätte, sich nicht an ihn zu erinnern.
Aber sie erinnerte sich nur allzu gut.
Wie hätte sie ihn auch vergessen können? Diesem Mann hatte sie ohne Zögern ihre Jungfräulichkeit geschenkt. Ja, er war der Einzige, mit dem sie überhaupt je geschlafen hatte – und täglich wurde sie mit seinem Ebenbild konfrontiert, wenn sie ihren Sohn ansah.
Beim Gedanken an Ethan wurde ihre Angst noch größer. Annah hatte ihre einzige Chance vertan, ruhig zu bleiben. Sie hatte überreagiert und sich damit verraten. Sollte Luca bisher nicht geahnt haben, dass sie etwas zu verbergen hatte, so wusste er es spätestens jetzt.
Lucas Stirnrunzeln vertiefte sich. Er sagte etwas auf Italienisch zu dem anderen Mann, der den Laden daraufhin verließ und sich in einen großen, schwarzen SUV auf der anderen Straßenseite setzte.
„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben“, sagte Luca mit jener samtweichen Stimme, der sie nicht mehr traute. „Ich will nur mit dir reden.“
Dabei hielt er sie immer noch am Handgelenk fest. Annah straffte die Schultern und versuchte das Kribbeln zu ignorieren, das seine Berührung in ihr auslöste. Beim Anblick seiner markanten Gesichtszüge und seiner espressobraunen Augen schienen ihre Hormone verrücktzuspielen.
Sie rief sich ins Gedächtnis, wie schlimm sein Vater sie behandelt hatte. Das Kind – damals nur ein hilfloses Wesen in Annahs Bauch – hatte ihn nicht im Geringsten interessiert. Sein eigenes Enkelkind!
Wo hatte Luca damals gesteckt? Bei einer anderen Frau vermutlich. Während Annah mit der dauerhaften Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht hatte leben müssen – an den einzigen leichtsinnigen Augenblick ihrs Lebens –, hatte er sie längst vergessen gehabt.
„Worüber denn?“ Noch immer klammerte sie sich an der Hoffnung fest, dass er nur zufällig hier vorbeigekommen war und keine Ahnung von Ethan hatte.
Doch diese schwache Hoffnung machte Luca mit nur zwei Worten zunichte: „Über unseren Sohn.“
„Meinen Sohn“, erwiderte sie heftiger als beabsichtigt. Er konnte schließlich nicht einfach nach all den Jahren auftauchen und Interesse an einem Sohn heucheln, den er nie gewollt hatte. Wieder versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. „Lass mich los!“
Er gehorchte, und sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Wie und wann hatte er von ihrer Schwangerschaft erfahren? Warum kam er erst jetzt? Und vor allem – was wollte er von ihr?
Nicht Ethan. Bitte, bitte nicht Ethan.
Sie wollte ihren Sohn noch nicht mal in der Nähe der Familie seines Vaters wissen!
In ihren Augen war Luca nichts weiter als ein Gangster. Zugegeben – ihre Meinung über ihn basierte auf Gerüchten eines italienischen Kochs mit einem Hang zur dramatischen Darstellung, mit dem Chloe in London zusammen gewesen war. Aber Annah hatte ihm sofort geglaubt, nachdem sie Franco Cavallari begegnet war. Der Mann hatte ihr eine Heidenangst eingejagt. Noch nie war sie jemandem begegnet, der so mitleidlos war … und so einschüchternd.
„Annah …“
Abwehrend hob sie eine Hand und schloss die Augen, weil ihr plötzlich schwindlig wurde. „Ich … Gib mir einen Moment Zeit“, sagte sie.
Sie musste sich gut überlegen, was sie zu ihm sagen sollte. Sie war völlig unvorbereitet auf dieses Gespräch, und dabei überließ sie sonst nie etwas dem Zufall!
Innerlich wappnete Annah sich gegen seinen Anblick, dann schlug sie die Augen wieder auf. Wie zu erwarten, beschleunigte sich ihr Herzschlag, als sie sein dunkles, wie gemeißelt wirkendes Gesicht sah. Wenigstens hatten sie gerade keinen Körperkontakt. Es war völlig lächerlich, dass sie sich immer noch zu diesem Mann hingezogen fühlte.
„Alles okay mit dir?“, erkundigte er sich wieder. „Soll ich mir mal deinen Kopf ansehen?“
Als er mit erhobenen Händen auf sie zukam, wich sie instinktiv zurück. Eine zärtliche Berührung von ihm würde den Rest ihrer Selbstbeherrschung auslöschen.
„Mit meinem Kopf ist alles in Ordnung“, versicherte sie ihm. „Ich bin nur etwas … durcheinander. Ehrlich gesagt hätte ich nie damit gerechnet, dass du hier auftauchst.“
Er musterte sie aus schmalen Augen. „Du hast nicht damit gerechnet, dass ich eines Tages meinen Sohn kennenlernen will?“
Seine Worte lösten sofort Schuldgefühle in ihr aus, und das ärgerte sie. „Du bist meinem Sohn noch nicht mal begegnet. Wie kommst du darauf, dass du der Vater bist?“
„Ich habe seine Geburtsurkunde gesehen. Und Fotos.“
Annah blinzelte erschrocken. Fotos von Ethan? Wie war das möglich? Sie war doch immer so vorsichtig. Sie nutzte die sozialen Medien nur geschäftlich und stellte grundsätzlich keine Fotos von sich oder Ethan online.
Luca schob die Hände in die Taschen seines teuren Mantels. Mit seiner olivbraunen Haut, seinem schlanken, muskulösen Körper und seiner lässigen Haltung würde er gut auf einen Pariser oder Mailänder Laufsteg passen. In Hollyfield hingegen wirkte er ebenso fehl am Platz, wie Annah sich vorgekommen war, als sie und Chloe das idyllische, kleine Dorf zum ersten Mal betreten hatten.
„Dein Sohn wurde genau sechsunddreißig Wochen und fünf Tage nach unserer gemeinsamen Nacht in London im Royal Devon und Exeter Hospital geboren“, erklärte er. „Ich bin zwar kein Schwangerschaftsexperte, aber ich kann rechnen. Solange du nicht zur gleichen Zeit mit einem anderen Mann geschlafen hast, der mir bemerkenswert ähnlich sieht …“, Annah schoss das Blut ins Gesicht, „… bin ich auch ohne DNA-Test ziemlich sicher, dass Ethan Sinclair nicht nur dein, sondern auch mein Sohn ist.“
Wütend funkelte sie ihn an. Leider fiel ihr keine schlagfertige Antwort ein. „Was für Fotos?“, fragte sie stattdessen.
Luca zögerte einen Moment. „Sie wurden heimlich gemacht.“
Annah keuchte erschrocken auf. „Du hast uns beobachten lassen?“, fragte sie entsetzt. Hatte er etwa auch Fotos von ihr? Ihr wurde ganz schlecht bei der Vorstellung.
„Nicht ich.“
„Wer denn dann?“
Luca presste die Lippen zusammen. „Mein Vater.“
Es überlief sie eiskalt. „Aber warum?“
„Ich habe keine Ahnung.“
Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Hast du ihn denn nicht gefragt?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Mein Vater ist tot.“
Luca fragte sich, was es eigentlich über ihn aussagte, dass er bei der Erwähnung seines toten Vaters nichts weiter als Abscheu für den Mann empfand.
Annah riss erschrocken die blauen Augen auf, wünschte ihm jedoch kein Beileid. Ihr Schweigen verstärkte seinen Verdacht, dass sein Vater mehr getan hatte, als sie und ihren Sohn überwachen zu lassen.
Annah und sein Vater waren sich anscheinend irgendwann begegnet. Luca hatte zwar keine Ahnung, wann oder warum, aber Franco hatte ihr offensichtlich eine Heidenangst eingejagt. Warum sonst hätte sie bei Lucas Anblick nach einem scharfen Gegenstand greifen sollen? Die Vorstellung, dass sein bloßer Anblick Panik auslöste, erst recht bei dieser Frau – der Mutter seines Kindes – war erschreckend.
Sein Privatdetektiv hatte drei Tage gebraucht, um sie ausfindig zu machen. Während dieser drei Tage hatte Luca sich allmählich an den Gedanken gewöhnt, dass er einen Sohn hatte. Und während des Flugs in seinem Privatjet von Palermo nach Exeter hatte er Zeit genug gehabt, sich zu überlegen, was er zu ihr sagen wollte.
Diesen Luxus hatte er Annah nicht gegönnt und daher mit Schock und sogar Schuldgefühlen gerechnet, aber Angst? Sie hatte reagiert wie ein Tier in der Falle. Und bei der Erwähnung ihres Sohns war sie so besitzergreifend geworden wie eine Löwin, die ihr Junges beschützte.
Aus irgendeinem Grund fand er ihre Stärke wahnsinnig attraktiv.
Der Klang der Glocke über der Tür erinnerte Luca an die altmodische Eisdiele, in der er und sein Bruder als Kinder oft gewesen waren. Wie immer, wenn er an seinen Bruder dachte, bekam er schlechte Laune. Er verdrängte seine Emotionen und sah Richtung Eingang. Hoffentlich war sein Bodyguard nicht zurückgekehrt. Sein Anblick schien Annah Angst zu machen.
Doch nicht Mario betrat den Laden, sondern ein drahtiger, kahlköpfiger Mann.
Annah ging etwas auf Abstand zu Luca. „Hi, Brian“, begrüßte sie den Neuankömmling. „Sorry, ich bin noch nicht ganz fertig. Kannst du noch einen Moment warten? Es dauert nicht lange.“
„Kein Problem, bediene ruhig zuerst deinen Kunden“, sagte der Mann und nickte Luca freundlich zu.
Annah schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss erst Carolines Strauß fertig machen. Sie braucht ihn für einen Mandantentermin um drei.“ Sie lächelte Luca steif zu. „Tut mir leid. Kannst du vielleicht in zehn Minuten wiederkommen?“
Luca erwiderte ihren Blick streng. „Ich warte gern.“
„Prima“, sagte Brian. „Dann gehe ich mal schnell rüber zu Dot’s.“ Er meinte den einzigen Lebensmittelladen des Dorfes auf der anderen Straßenseite. „Bin gleich zurück.“
Als Luca sich ans andere Ende des Arbeitstisches lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte, stützte Annah die Hände in die Hüften und sah ihn erbost an.
Er starrte zurück. „Du und ich, wir müssen uns demnächst unterhalten.“
„Schön“, sagte sie in einem Tonfall, der das genaue Gegenteil suggerierte. Sie zeigte hinter ihn. „Ich brauche meine Schere.“
Luca warf einen Blick über eine Schulter auf die „Waffe“, die er ihr vorhin entwendet hatte. Er griff danach und reichte sie ihr, eine Augenbraue erhoben. „Kann ich sie dir wirklich anvertrauen?“
Mit einem vernichtenden Blick riss sie ihm die Schere aus der Hand und machte sich an die Arbeit.
Luca sah sich um. Der Laden war nicht besonders groß, aber der Platz war gut genutzt und die Einrichtung schick und zeitgemäß. Ein elegantes Logo mit dem Namen „Scent Floral Boutique“ war in Großbuchstaben auf das Schaufenster geklebt.
Dem Bericht seines Privatdetektivs zufolge war Annah Miteigentümerin. Luca wusste noch, wie sie ihm in London von ihren Plänen erzählt hatte, mit einer Freundin einen Blumenladen zu eröffnen.
„Herzlichen Glückwunsch zum Laden übrigens“, sagte er.
Sie hielt beim Tulpenschneiden inne und sah ihn irritiert an.
„Das war doch dein Ziel, oder nicht?“
„Ja, das war es“, bestätigte sie nach kurzem Zögern.
„Du kannst stolz auf dich sein.“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, wurde ihm bewusst, wie herablassend er klingen musste, auch wenn es nicht so gemeint war.
Luca wusste aus Erfahrung, wie anstrengend es war, sich eine Existenz aufzubauen. In New York hatte er sich als Anlageberater selbstständig gemacht. Fünf Jahre lang hatte er von morgens bis abends geschuftet, um seine Firma aufzubauen, aber er bereute keine Minute davon. Es war ein unglaublich befriedigendes Gefühl, sein Geld auf anständige Weise zu verdienen – etwas, das seinem Vater trotz Lucas wiederholter Bemühungen, ihn auf den rechten Weg zu bringen, nicht im Traum eingefallen wäre.
Ein Blumenladen in einem Dorf und eine milliardenschwere Firma waren zwar nicht vergleichbar, aber der Weg dahin war ähnlich anstrengend.
Und Annah hatte nicht nur einen Laden – sie zog auch ein Kind groß.
Sein Kind.
Es war nicht gut, dass sie diese Verantwortung allein trug – und wenn es nach ihm ging, brauchte sie das von jetzt an auch nicht mehr.
Während sie weiter mit dem Strauß beschäftigt war, zog Luca sein Handy aus seiner Tasche, um sich von ihrem Anblick abzulenken. Sonst würde er sie die ganze Zeit ansehen, und das brachte ihn nur auf dumme Gedanken. Sie gefiel ihm schon jetzt wieder viel zu sehr. Ihr schönes Gesicht. Ihre makellose Haut. Ihre schlanke, aber weibliche Figur. Ihre auffallend blauen Augen und ihr golden glänzendes Haar.
Vor fünf Jahren hätte er es nicht für möglich gehalten, dass Annah Sinclair noch schöner werden konnte, aber er hatte sich geirrt.
Stirnrunzelnd konzentrierte Luca sich auf seine Mails, bis Brian zurückkehrte. Annah überreichte ihrem Kunden den großen, kunstvoll arrangierten Blumenstrauß, schloss die Tür hinter Brian und drehte das Schild vor dem Fenster auf „Geschlossen“, bevor sie ihre rote Schürze abnahm. Darunter trug sie eine figurbetonte schwarze Hose und ein langärmeliges weißes Oberteil.
Sie hängte die Schürze an einen Haken. „Du hast eine halbe Stunde. Danach muss ich meinen Sohn abholen.“
Luca steckte sein Handy wieder ein. „Von wo?“
„Vom Kindergarten.“ Sie wandte ihm den Rücken zu. „Wir können oben reden“, sagte sie über eine Schulter und stieg eine schmale Treppe hoch.
Luca folgte ihr. Die steilen Stufen knarzten unter seinem Gewicht. Er versuchte, sich auf seine Schritte und nicht auf den hübschen Anblick von Annahs Rückseite zu konzentrieren.
Im ersten Stock öffnete sie eine Tür und führte Luca in ein großes, von Sonnenlicht durchflutetes Zimmer. Er ließ den Blick über einen Wohn- und Essbereich und eine kleine Küche mit Frühstückstresen gleiten.
Im Bericht des Privatdetektivs hatte dieselbe Adresse für Annahs Wohnung und Geschäft gestanden. Luca wurde bewusst, dass er sich jetzt dort befand, wo sein Sohn lebte – er stand auf einem Teppich, auf dem Ethan vermutlich tausende Male gekrabbelt und gelaufen war.
Ein seltsames Gefühl stieg in ihm auf. Erst jetzt fielen ihm die Spielzeugkiste neben dem Sofa und das blauweiße Plastikauto unter dem Couchtisch auf. Auf einem Sessel lag eine rote Katze, und an einer Wand hing ein schönes, gerahmtes Foto von Annah und Ethan. Mutter und Kind strahlten in die Kamera.
Luca löste den Blick davon. „Wie lange wohnt ihr hier schon?“
„Ich bin hier vor Ethans Geburt eingezogen.“ Annah schloss die Tür und ging Richtung Küchenzeile. „Ich setzte uns schon mal Wasser auf und koche einen Tee.“
Eine Tasse Tee – die englische Antwort auf jedes Problem. Luca wäre ein Espresso oder sogar ein Whisky lieber gewesen, aber wenn es Annah beruhigte, Tee zu kochen und das den Einstieg in ein vermutlich sehr schwieriges Gespräch erleichterte, trank er gern fünf Liter von dem Zeug.
Während Annah den Tee zubereitete, ging Luca zum Fenster und sah hinaus. Es gab eine kleine Dachterrasse mit einem Metalltisch, zwei Stühlen und ein paar Blumentöpfen. Sie war sowohl von der Küche aus als auch einer Außentreppe zugänglich, die zu einem Hof führte, auf dem ein dunkelblauer Wagen stand. Eine schmale Einfahrt bog um eine Ecke des Hauses, und eine Ziegelmauer trennte die Rückseite des Grundstücks von einem Waldgebiet.
Unwillkürlich dachte Luca an das riesige Anwesen, in dem er und sein Bruder als Kinder frei herumgetollt waren – die vielen Gärten, Zitronen- und Olivenhaine und die Weinberge.
Wie gern würde er seinem Sohn die Freiheit bieten, herumzulaufen, zu spielen und das Land zu erkunden, das eines Tages ihm gehören würde. Land, von dem Luca bis vor Kurzem gedacht hatte, es sei für immer verloren – wie alles, was mit dem Erbe der Cavallaris zusammenhing.
Doch jetzt hatte er die Chance, es auf seine Art zu gestalten. Das, was Franco Cavallari beschmutzt hatte, in etwas Gutes zu verwandeln. Etwas, das sich an die nächste Generation weiterzugeben lohnte.
Der Wasserkocher brodelte laut und schickte eine Dampfwolke in die Luft. Luca blickte Richtung Küche. Annah stand reglos mit dem Rücken zu ihm am Tresen, vor sich eine Teekanne, die noch darauf wartete, mit Wasser gefüllt zu werden.
Er ging auf sie zu. „Annah?“
Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. „Du könntest einfach gehen.“
„Wie bitte?“, fragte er verwirrt.
Sie sah ihn aus großen Augen an. „Wir können einfach so tun, als seiest du nie hier gewesen. Du wirst auch nie von uns hören, versprochen. Ich werde dich weder kontaktieren noch dich um Geld bitten. Um gar nichts.“
Wut stieg in ihm auf. Hielt sie ihn etwa für jemanden, der seinem Sohn – seinem eigenen Fleisch und Blut – einfach den Rücken kehren und so tun würde, als würde er nicht existieren?
„Luca …“
Ihre Stimme klang so heiser und beschwörend, dass plötzlich eine weitere Erinnerung in ihm aufstieg – so heiß und lebhaft, als hätte Annah erst letzte Nacht unter ihm gelegen und ihn mit ihrem leisen verführerischen Flehen zum Orgasmus gebracht.
Hör nicht auf, Luca. Bitte … hör nicht auf.
Dabei hätte er um ein Haar genau das getan. Als er ihren erstickten Schmerzensschrei gehört und ihm klar geworden war, dass sie noch Jungfrau gewesen war, hatte er sich fast reflexartig zurückgezogen, doch es war zu spät gewesen. Er konnte ihr ihre Unschuld nicht mehr zurückgeben.
Luca verdrängte die Erinnerungen, streifte seinen Mantel ab und hängte ihn über eine Stuhllehne. „Ich trinke meinen Tee schwarz“, sagte er und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ohne Zucker. Und schön stark, bitte.“
Annah blinzelte. Ihr flehentlicher Gesichtsausdruck verschwand. Schweigend machte sie den Tee.
Erst als sie sich mit ihren dampfenden Bechern an den kleinen Esstisch setzten, ergriff sie wieder das Wort. „Wann ist dein Vater gestorben?“
„Vor zwei Monaten.“
Sie nickte langsam, den Blick zu ihrem Becher gesenkt, um den sie die Hände geschlungen hatte. Sie schwieg so lange, dass sie Lucas Geduld auf eine harte Probe stellte.
„Willst du mir erzählen, was passiert ist, Annah, oder muss ich dir alles aus der Nase ziehen?“
Ruckartig hob sie den Kopf und sah ihn an. „Das ist doch offensichtlich, oder? Ich habe nicht das getan, was du wolltest.“
„Wie meinst du das?“, fragte er verdutzt.
„Ich bitte dich, Luca!“ Jetzt klang ihre Stimme nicht mehr flehentlich, sondern hart und kalt. „Du hattest anscheinend nicht die Nerven, mich persönlich auszuzahlen, aber dein Vater hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er in deinem Sinne handelt.“
Luca überlief es eiskalt. Er wollte erfahren, was passiert war, doch gleichzeitig wollte er sich am liebsten die Ohren zuhalten, weil er wusste, dass das, was er gleich hören würde, auch noch den letzten Funken Respekt zerstören würde, den er vor seinem Vater hatte.
„Wann hast du mit meinem Vater gesprochen?“
„Warum willst du das …?“
„Bitte, Annah“, fiel er ihr ungeduldig ins Wort. „Erzähl es mir einfach.“
Sie ließ ihren Becher los, lehnte sich zurück und schlang wieder die Arme um ihren Oberkörper. „Ende März in London. In eurer Firma.“
Ihre Worte verschlugen ihm den Atem, als hätte ihm jemand einen Schlag gegen die Brust versetzt.
Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Was ist?“
Luca brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu sortieren. „Weißt du noch, was ich dir damals in London erzählt habe? Dass ich am nächsten Tag in die Staaten wollte?“
„Ja. Du hattest deinen Job gekündigt und wolltest nach New York ziehen.“
Sosehr er Annah in jener Nacht auch begehrt hatte – sein Gewissen hatte ihm nicht gestattet, sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu verführen. Sein Flug nach New York war bereits gebucht gewesen, und in Europa hatte ihn nichts mehr gehalten. Sein Vater hatte ihn verstoßen und ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er in Sizilien nicht länger erwünscht war. Also hatte er Annah von seiner bevorstehenden Abreise erzählt. Eine Nacht hatte er ihr geboten, nicht mehr.
Er schob seinen Tee zur Seite und beugte sich vor. „Drei Tage vor unserer Begegnung haben mein Vater und ich uns überworfen. Der Job, den ich damals gekündigt habe, war meine Stelle bei Cavallari Enterprises in London.“
Er hatte sein Büro und seine Wohnung noch am selben Tag verlassen, in ein Hotel eingecheckt und nur ein paar wenige persönlichen Dinge mitgenommen, weil er nichts von dem hatte behalten wollen, das mit Franco Cavallaris schmutzigem Geld bezahlt worden war. „Nach meiner Abreise hatte ich keinen Kontakt mehr zur Firma, meinen Vater eingeschlossen.“
Annah sah ihn schockiert an. „Was sagst du da?“
„Mein Vater und ich haben nie wieder ein Wort miteinander gesprochen. Als ich ihn das nächste Mal gesehen habe, lag er im Sarg.“ Luca schwieg einen Moment, um ihr Zeit zu geben, seine Worte sacken zu lassen. „Was hast du eigentlich mit ‚auszahlen‘ gemeint? Auszahlen wofür?“
Annahs Augen waren immer noch vor Entsetzen geweitet. „Für eine Abtreibung“, flüsterte sie.
Annah und Luca starrten einander über den Tisch hinweg an.
„Erzähl mir alles“, befahl er mit grimmigem Gesichtsausdruck.
Sie holte tief Luft. Es fiel ihr schwer zu glauben, was Luca ihr gerade erzählt hatte. Wenn das stimmte, war alles, was sie in den letzten fünf Jahren geglaubt hatte, ein Irrtum gewesen!
„Fang einfach ganz von vorn an“, fügte er etwas sanfter hinzu, damit sie sich etwas entspannte. „Wann hast du herausgefunden, dass du schwanger bist?“
„Vier Wochen später.“ Sie schluckte. „Vorher wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich schwanger sein könnte. Ich meine … wir haben schließlich verhütet.“
Errötend wandte Annah den Blick ab. Sie wollte nicht an Sex mit Luca denken. Nicht, wenn er ihr direkt gegenübersaß und immer noch so verdammt gut aussah.
„Kondome sind nicht hundertprozentig zuverlässig.“
„Offensichtlich nicht.“ Wieder holte sie tief Luft. „Da du ein Recht hattest, von der Schwangerschaft zu erfahren, wollte ich dir davon erzählen, aber ich wusste nicht, wie ich dich kontaktieren sollte.“ Sie errötete, als ihr auffiel, dass ihr Tonfall etwas vorwurfsvoll klingen musste. Er hatte ihr schließlich gesagt, dass er in die USA gehen würde. Sie hatte genau gewusst, worauf sie sich einließ: eine unverbindliche Nacht.
Luca rieb sich nachdenklich das Kinn und lenkte Annahs Blick damit auf seinen dunklen Bartschatten. „Ich hätte nie mit irgendwelchen … Konsequenzen gerechnet“, sagte er tonlos.
Ein Schweigen breitete sich am Tisch aus.
„Erzähl mir, wie – und warum – es dazu kam, dass du dich mit meinem Vater getroffen hast“, forderte er sie schließlich auf.
Annah griff wieder nach ihrem Tee und trank einen Schluck. „Spielt das denn noch eine Rolle?“, fragte sie. Ihr wurde schon schlecht, wenn sie nur an die Begegnung mit Franco Cavallari dachte. „Was passiert ist, ist passiert. Die letzten fünf Jahre lassen sich nicht mehr ungeschehen machen.“
„Für mich spielt das sehr wohl eine Rolle“, erwiderte Luca. Sein störrischer Gesichtsausdruck erinnerte sie an Ethan, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Annah seufzte tief. „Ich habe versucht, dich im Internet zu finden“, erklärte sie, ohne zu erwähnen, dass sie auch schon Nachforschungen über ihn angestellt hatte, bevor sie entdeckt hatte, dass sie schwanger war. Es war ihr schwergefallen, ihn zu vergessen, sodass ihre Neugier schließlich die Oberhand gewonnen hatte.
Weit war sie allerdings nicht gekommen. Sie hatte nur seinen Namen gewusst, sonst nichts. Sie hatte jede Menge Online-Profile von Männern gefunden, die Luca Cavallari hießen, doch keiner von ihnen war der sexy Fremde gewesen, mit dem sie eine Nacht in einem Luxushotel in London verbracht hatte.
„Ich bin nicht im Internet zu finden.“
„Habe ich gemerkt.“ Sie stellte ihren halb leeren Becher auf den Tisch zurück. „Also habe ich deinen Namen auf gut Glück mit ‚Rom‘ in eine Suchmaschine eingegeben. Es hat eine Ewigkeit gedauert, aber irgendwann habe ich ein Foto von dir auf einer Wohltätigkeitsgala in Rom gefunden.“
Er hatte im Smoking so gut ausgesehen, dass ihr Herz sofort einen Satz machte, doch beim Anblick der glamourös zurechtgemachten Frau an seinem Arm war sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt. Obwohl das Foto zwei Jahre alt gewesen war, hatte Annah einen Anflug von Eifersucht verspürt.
„Darunter stand der Firmenname deiner Familie. Ich habe herausgefunden, dass ihr eine Niederlassung in London habt, und habe dort angerufen, um nach deinen Kontaktdaten zu fragen, aber in der Zentrale hat man mir gesagt, dass du nicht mehr da seist und sie keine Nummer oder Adresse hätten. Da ich mir nicht vorstellen konnte, dass niemand in der Firma etwas weiß, habe ich öfter angerufen, aber jeder, zu dem ich durchgestellt wurde, hat mir das Gleiche gesagt.“
Es war total frustrierend gewesen – und demütigend. „Irgendwann habe ich die Nerven verloren und etwas Dummes gemacht“, gestand sie. „Ich bin damit herausgeplatzt, dass ich schwanger von dir bin, und habe darum gebeten, dass man dir die Nachricht ausrichtet.“ Sie lachte freudlos. „Da habe ich dann endlich eine Reaktion bekommen. Eine Frau hat mich angerufen und mich zu einem Termin zwei Tage später gebeten.“
Annah senkte den Blick zu ihren Händen. „Ich dachte, ich könnte dir vielleicht persönlich begegnen“, erzählte sie, wobei sie verschwieg, wie aufgeregt sie insgeheim bei der Aussicht gewesen war – trotz der unangenehmen Umstände. „Aber stattdessen war dein Vater da.“
Sie hob wieder den Blick zu Luca. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine steile Furche gebildet.
„Er hat mich nicht gerade freundlich empfangen“, fuhr sie fort, obwohl das die Untertreibung des Jahres war. „Er hat es so dargestellt, als hätte ich es nur auf dein Geld abgesehen, mir einen Scheck über zehntausend Pfund ausgestellt und mir gesagt, dass ich abtreiben soll.“ Ihre Stimme zitterte bei der Erinnerung daran. „Ich habe mich geweigert, den Scheck anzunehmen, aber er hat ihn mir einfach in meine Handtasche gesteckt und mich aus dem Gebäude eskortieren lassen. Ich habe den Scheck zerrissen, sobald ich zu Hause war.“
„Was hat er noch gesagt?“
„Nicht viel.“
„Annah!“
Sie seufzte tief. „Er hat gesagt, du hättest mir den Scheck selbst ausgestellt, wenn du noch in London wärst. Dass du mir alles Gute wünschst und hoffst, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.“
Das hatte heftiger geschmerzt als alles andere. Von Kopf bis Fuß zitternd war sie davongeeilt, hatte in einem Einkaufszentrum eine Toilette aufgesucht und sich erst mal übergeben.
„Hat er dir gedroht?“
„Nicht wirklich, aber er war … furchteinflößend.“
Und sehr überzeugend. Annah war davon ausgegangen, dass Luca weder sie noch sein ungeborenes Kind wollte und nur nicht den Mut oder den Anstand hatte, ihr das persönlich zu sagen.
Als ihr die Tränen in die Augen schossen, stand sie auf und ging zur Terrasse. Mit zitternden Händen versuchte sie, die Tür zu öffnen, aber der Rahmen klemmte mal wieder. Annah fluchte leise. Warum hatte ihr Vermieter das noch nicht wie versprochen reparieren lassen?
Ihre Sicht verschwamm, doch sie blinzelte die Tränen entschlossen zurück. Sie würde jetzt nicht weinen. Sie brauchte nur etwas frische Luft. Wenn diese dämliche Tür doch endlich …
Plötzlich gab die Tür nach. Annah riss sie auf und stolperte auf die Terrasse. Sie spürte Lucas Gegenwart hinter sich, noch bevor sie seine tiefe Stimme hörte.
„Ich hatte keine Ahnung, dass du schwanger warst, Annah. Hätte ich davon gewusst, wäre alles anders gelaufen. Es ist mir sehr wichtig, dass du das weißt.“
Sie hielt sich am Geländer fest und betrachtete die Bäume und Hügel hinter der Ziegelmauer. Es war ruhig in Hollyfield – manchmal zu ruhig –, aber die Gegend war idyllisch, die Dorfbewohner waren sympathisch, und sie fühlte sich wohl hier.
Ethan und sie waren hier zu Hause. Sie war zufrieden. Sie wollte nicht, dass Ethans Leben durcheinandergewirbelt wurde, so wie ihres so oft während ihrer Kindheit.
Aber Luca war nun mal da und hatte offensichtlich nicht die Absicht, wieder zu verschwinden. Sie würde sich also an die neue Situation gewöhnen müssen.
Und an ihn.
Sie ließ das Geländer los, straffte die Schultern und drehte sich wieder zu ihm um. „Und wie geht es jetzt weiter?“
„Ich will meinen Sohn sehen.“
Luca kehrte zum SUV zurück, stieg hinten ein und wies Mario an, Annahs Wagen zu folgen. Anscheinend befand sich der Kindergarten seines Sohns eine knappe Viertelstunde mit dem Auto entfernt in einem Nachbardorf.
Sie hatte nicht gerade begeistert ausgesehen, als er seinen Wunsch geäußert hatte, seinen Sohn zu sehen, doch schließlich hatte sie widerstrebend zugestimmt. Anscheinend würde Luca sich auf eine Menge Widerstand gefasst machen müssen. Annah Sinclair war keine schwache Frau. Sie war härter als vor fünf Jahren und längst nicht mehr so vertrauensselig.
Er ballte die Hände auf seinen Schenkeln zu Fäusten. Wäre sein Vater nicht bereits tot, würde er den Bastard erwürgen! Was er getan hatte, war unverzeihlich. Hatte er Luca wirklich so sehr gehasst? Leider hatte Franco Cavallari die Antworten auf viele Fragen mit ins Grab genommen. Warum hatte er Fotos von Annah und Ethan in seinem Besitz und – Luca wagte nicht, es sich auszumalen – was hatte er damit vorgehabt?
Zehn Minuten später parkte Annah in einer Seitenstraße, und Mario bremste hinter ihr und stellte den Motor aus.
Sie stieg aus, überquerte die Straße und verschwand durch ein hohes Tor hinter einem Holzzaun.
Eine ganze Minute verstrich, ohne dass sie wieder auftauchte, und dann noch eine. Ungeduldig trommelte Luca mit den Fingern auf seinen Oberschenkel. Wie lange konnte es denn dauern, ein Kind abzuholen?
Er beobachtete, wie andere Eltern vorfuhren, durch das Tor verschwanden und kurz darauf mit einem oder mehreren Kindern im Schlepptau erschienen. Unruhig stieg er aus dem SUV und ging auf dem Bürgersteig auf und ab. Alle zwei Sekunden blieb er stehen, um ungeduldig auf die andere Straßenseite zu sehen. Als Mario ihm einen leicht belustigten Blick zuwarf, funkelte Luca ihn gereizt an.
Wieder richtete er die Aufmerksamkeit auf das Tor. Als er gerade mit dem Gedanken spielte, nach drinnen zu gehen, erschien Annah, einen dunkelhaarigen Jungen an der Hand.
Luca erstarrte. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er bekam feuchte Hände.
Gleich würde er seinem Sohn begegnen. Er wusste nicht, wie man in so einer Situation reagierte. Nichts, was er je erlebt hatte, hätte ihn auf diesen Augenblick vorbereiten können.
Bei Ethans Anblick stieg eine Erinnerung in ihm auf. Eine Momentaufnahme der Cavallari-Familie aus glücklicheren Zeiten – lange bevor hässliche Enthüllungen ihn und seinen Vater auseinandergerissen und einen unüberwindbaren Abgrund zwischen ihnen geschaffen hatten.
Damals picknickten sie oft auf dem Anwesen der Familie. Luca war noch jung – nicht älter als Ethan heute –, und er ritt vor Vergnügen kreischend auf den Schultern seines papà, der mit ausgebreiteten Armen die Flügel eines Flugzeugs imitierte und über den Rasen rannte. Lucas Mutter trug ein hübsches Sommerkleid und saß mit seinem kleinen Bruder Enzo auf dem Arm unter einer großen Eiche. Luca hörte sie fröhlich lachen – etwas, das in späteren Jahren nur noch selten vorgekommen war.
Luca hatte seinen Vater geliebt. Es tat weh, sich das einzugestehen, aber so war es nun mal. Er hatte ihn förmlich angebetet. In seinen Augen war Franco Cavallari unfehlbar gewesen – reich, erfolgreich, gut aussehend und charismatisch. Andere Männer begegneten ihm mit Ehrerbietung und Respekt.
Erst als Teenager hatte Luca begriffen, dass das, was sein Vater anderen Männern einflößte, nicht Respekt war, sondern Angst.
In der Nacht, als Franco seinem Ältesten dabei helfen wollte, erwachsen zu werden, hatte Lucas Liebe zu seinem Vater sich in eine Mischung aus Abscheu, Liebe und Hass, verwandelt, die ihn lange verwirrt hatte.
Sein erster großer Fehler war gewesen zu glauben, er könne seinen Vater ändern. Sein zweiter war es, Franco nicht zugrunde zu richten, als er die Chance dazu bekommen hatte. Seine Gefühle für seinen Vater hatten ihn schwach gemacht. Unfähig, das zu tun, was getan werden musste.
Wäre er stärker gewesen, hätte er seinen Bruder vielleicht retten können.
Tief Luft holend fasste Luca einen Vorsatz: Ethan würde er nicht so im Stich lassen, wie er Enzo im Stich gelassen hatte. Er war ein besserer Mensch als Franco und würde ein besserer Vater sein. Er musste sich nur auf das Wesentliche konzentrieren und sich nicht von seinen Emotionen in die Irre leiten lassen.
„Ist er das, Mummy?“, fragte Ethan und zog an Annahs Hand.
Sie unterdrückte ein nervöses Lachen. „Ja, mein Schatz“, antwortete sie, den Blick auf die andere Straßenseite gerichtet. „Das ist er.“
„Oh mein Gott“, hörte sie eine andere Frau sagen und blickte nach links. Harriet, eine immer gestresste, aber gut gelaunte Mutter von fünf Kindern, stand mit ihrer Jüngsten auf dem Arm neben ihr und starrte fasziniert auf die andere Straßenseite. Annah konnte ihr das nicht verdenken. Luca Cavallari war eine schwindelerregende Mischung aus Sexappeal und unverfälschter Männlichkeit.
„Wer ist denn das?“
Ethan beugte sich vor, an Annahs Beinen vorbei. „Das ist mein Daddy“, verkündete er stolz.
Oh Gott! Annah wurde für einen Moment so schwindlig, dass sie die Augen schließen musste. Als sie wieder aufblickte, starrte Harriet sie verblüfft an.
„Wow“, sagte Harriet. „Das kommt etwas … unerwartet.“
Diesmal konnte Annah ihr nervöses Lachen nicht mehr unterdrücken. „Kann man wohl sagen.“
Harriet legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. „Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“
Annah lächelte angespannt. „Danke.“
Als Harriet zu ihrem Wagen ging, blickte Annah wieder auf die andere Straßenseite, aber Luca sah nicht zu ihr. Sein Blick war auf Ethan gerichtet.
„Mummy?“
„Ja?“
„Du hältst mich zu fest.“
„Oh!“ Annah lockerte ihrem Griff um Ethans Hand. „Entschuldige, mein Schatz.“ Sie lächelte ihm zu, und er strahlte zurück.
„Gehen wir jetzt rüber?“, fragte er so eifrig, dass Annahs Herz sich schmerzlich zusammenzog.
Ethan konnte es anscheinend kaum erwarten, seinen Vater kennenzulernen, während sie immer noch unter Schock stand. Sie hätte lieber ein paar Tage Zeit, um erst mal ihre Gefühle zu sortieren, bevor sie Ethan seinem Vater vorstellte – nur Luca hatte anscheinend andere Pläne.
Andererseits hatte er die ersten vier Lebensjahre seines Sohns verpasst, da war es verständlich, dass er nicht länger warten wollte.
Annah ermahnte Ethan, nach links und rechts zu schauen, dann überquerte sie die Straße mit ihm. Luca wartete auf der anderen Straßenseite. Er trug keinen Mantel, und in seiner schwarzen Kleidung und mit seinem angespannten Gesichtsausdruck wirkte er ziemlich einschüchternd. Doch als er sich lächelnd hinhockte, um auf Augenhöhe mit Ethan zu sein, wurden seine harten Gesichtszüge viel weicher. Annahs Herzschlag beschleunigte sich bei dem Anblick.
„Hallo, Ethan“, sagte er freundlich. „Ich bin Luca.“
Ethan blinzelte und blickte scheu zu Annah hoch.
Sie lächelte ihm beruhigend zu. „Ist schon okay, Schatz. Sag ruhig Hallo.“
Ethan richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Luca. „Hallo.“ Er streckte eine Hand aus und berührte Lucas Knie, als wolle er sich davon überzeugen, dass er echt sei, bevor er lächelnd hinzufügte: „Du bist mein Daddy.“
Luca warf Annah einen überraschten Blick zu.
Sie zuckte die Achseln. „Ich dachte, es wäre das Beste, ehrlich zu sein.“ Sie hätte sich auch etwas ausdenken können, Luca als ihren „Freund“ vorstellen, aber sie wollte ihn nicht belügen. Ethan würde die Wahrheit früher oder später sowieso erfahren.
Für ein paar Sekunden nahm Lucas Blick sie gefangen. „Danke“, sagte er leise.
Annah lächelte. Seine Dankbarkeit wärmte ihr überraschenderweise das Herz, auch wenn sie nicht wusste, was sie davon halten sollte. Schließlich konnte diese Angelegenheit immer noch in einen erbitterten Sorgerechtsstreit ausarten.
Luca richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Ethan. „Stimmt, ich bin dein Vater“, sagte er. „Obwohl man papà sagt, da, wo ich herkomme.“
„Wo kommst du denn her?“, fragte Ethan.
Erst jetzt wurde Annah bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wo Luca lebte. In New York? London? Rom? Auf Sizilien?
Ihr Magen verkrampfte sich wieder. Wie konnten sie sich gemeinsam um ihren Sohn kümmern, wenn sie in unterschiedlichen Ländern lebten?
„Weit weg.“
„Hast du mich deshalb noch nie besucht?“
Annah wand sich innerlich vor Verlegenheit, als sie Lucas Unbehagen sah. „Komm, mein Schatz“, sagte sie zu ihrem Sohn. „Die Enten fragen sich bestimmt schon, wo wir bleiben.“
Ethan drehte sich aufgeregt zu seinem Vater um. „Kommst du mit, Enten füttern?“
Annah hielt die Luft an. Mit seinen Designerschuhen war Luca nicht gerade passend für einen Spaziergang im Naturschutzgebiet gekleidet, aber letztlich musste er selbst entscheiden, ob er bei ihrer wöchentlichen Routine mitmachen wollte oder nicht.
„Klar.“ Luca stand auf. „Gern.“
Ethan strahlte über das ganze Gesicht. „Toll!“
Annah zwang sich zu einem Lächeln. Sie empfand Ethans Begeisterung für seinen Vater wie einen Schlag ins Gesicht, so albern das auch war. „Dann kommt“, sagte sie mit vorgetäuschtem Enthusiasmus. „Lasst uns aufbrechen, bevor es zu kalt wird.“
Eine halbe Stunde später saß Annah fröstelnd auf einer aus einem alten Baumstamm geschnitzten Bank.
Eigentlich war es gar nicht so kalt. Hier war es windgeschützt, und die Frühlingssonne schenkte etwas Wärme, aber ihr war vor allem innerlich kalt. Sie hatte Angst, und daran würde sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern – zumindest nicht, bis sie wusste, was für Absichten Luca hatte.
Sie beobachtete, wie er zusammen mit Ethan am Ufer des Sees den Enten Hände voll Hafer, Samen und Pellets aus einer Papiertüte zuwarf.
Sie liebte diesen See. Überall blühten wilde Narzissen. Noch ein paar Wochen, dann würden die Bäume grün werden. Dann begann die Hochzeitssaison, und Chloe und sie würden gut zu tun haben.
Annah wünschte, ihre Freundin wäre schon wieder zurück. Sie war nicht nur ihre Geschäftspartnerin, sondern auch ihre beste Freundin. Ihre einzige enge Freundin sogar. Annah kannte zwar jede Menge Leute und verstand sich mit den meisten gut, doch es fiel ihr nicht leicht, Freundschaften zu schließen. Da sie als Kind gelernt hatte, sich nur auf sich selbst zu verlassen, legte sie großen Wert auf ihre Unabhängigkeit und neigte dazu, etwas zu abweisend zu sein, selbst wenn sie das eigentlich nicht wollte.
Aber das hatte auch seine Vorteile. Vor allem, wenn man nicht wusste, wem man trauen konnte.
Konnte sie Luca trauen?
Chloes Ex zufolge war Franco Cavallari ein korrupter und einflussreicher Geschäftsmann mit Beziehungen zur Mafia gewesen. Dass Luca sich mit ihm überworfen hatte, hieß noch lange nicht, dass er nicht genauso skrupellos war.
Und skrupellose Menschen taten schlimme Dinge, oder? Zum Beispiel … ihre eigenen Kinder entführen. Oh Gott!
Sie versuchte, ihre Angst zu zügeln. Bisher hatte Luca ihr keinen Anlass gegeben, ihm zu misstrauen. Sie hatten zusammen Tee getrunken, um Himmels willen! Und jetzt stand er am schlammigen Seeufer und fütterte mit Ethan die Enten.
Fast musste sie bei dem Anblick lächeln. Seine schicken Lederschuhe waren bestimmt ruiniert.
„Wir sind fertig, Mummy“, rief Ethan ihr zu und drehte die Papiertüte mit der Öffnung nach unten, um zu zeigen, dass sie leer war. „Können wir jetzt zu Sandy?“
„Ja.“ Annah stand auf und zwang sich zu einem Lächeln, als Ethan und Luca auf sie zukamen. Sie zusammen zu sehen, Seite an Seite, machte ihr Gefühlschaos noch komplizierter. Die äußerliche Ähnlichkeit zwischen den beiden trieb ihr fast die Tränen in die Augen.
Ethan drückte Annah die leere Tüte in die Hand. „Sandy hat acht Babys!“, erzählte er seinem Vater.
Luca reagierte mit angemessenem Staunen. „Acht?“, hakte er nach und sah Annah fragend an.
„Welpen“, erklärte sie. „Sandy ist ein Golden Retriever. Sie gehört der Familie, die das Café betreibt.“
„Letztes Mal waren sie noch zu klein, und ich durfte sie nicht auf den Arm nehmen. Aber diesmal geht es vielleicht“, schaltete Ethan sich wieder ein. Auf dem Weg zum Café erzählte er aufgeregt weiter. Jedes Mal, wenn er zu seinem Vater aufblickte, sah Annah fast so etwas wie Ehrfurcht in seinem Blick.
Als sie das Café betraten, unterdrückte Annah einen Anflug von Eifersucht, versuchte jedoch, sich damit zu trösten, dass sie nicht um Ethans Zuneigung kämpfen musste. Er liebte sie. Sie war seine Mummy. Lucas plötzliches Auftauchen änderte nichts daran.
Als sie auf den Tisch am Fenster zusteuerte, an dem sie und Ethan meistens saßen, streifte sie ihre Jacke ab. Sie hängte sie über die Rückenlehne ihres Stuhls und blickte hoch. Erst jetzt sah sie, dass Lucas vierschrötiger Begleiter auch da war. Er saß an einem Ecktisch.
Als er aufstand, begann Annahs Herz vor Nervosität zu klopfen. Er war zwar nicht derselbe Mann, der sie vor fünf Jahren so grob aus dem Büro von Cavallari Enterprises herauskomplimentiert hatte, aber die Ähnlichkeit war groß genug, dass sie sich unbehaglich fühlte.
Instinktiv griff sie nach Ethan und zog ihn an sich, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.
Als Luca sah, dass sie Ethans Schultern umklammerte, als rechne sie damit, Mario würde ihr das Kind entreißen und damit davonlaufen, legte er Annah beruhigend eine Hand auf den Rücken. Sie zuckte zusammen und sah ihn mit großen Augen an. Sie hatte zwar gerade keinen scharfen Gegenstand in der Hand, aber ihr Blick verriet, dass sie immer noch Angst vor ihm hatte.
Wie oft in den Monaten seit seiner Rückkehr nach Sizilien hatte er die gleiche Angst in den Augen anderer Menschen gesehen. Viel zu oft.
Das Vermächtnis seines Vaters hatte den Namen Cavallari beschmutzt. Viele Menschen warfen Luca und Franco in einen Topf. Ihre Wahrnehmung zu ändern und ihr Vertrauen zu gewinnen, war ein schwieriger und langwieriger Prozess.
Luca winkte Mario zu sich. „Annah, das ist Mario Russo, mein Chauffeur“, stellte er den anderen Mann vor. „Mario, das ist Annah Sinclair. Und das hier …“, er legte eine Hand auf Ethans Kopf, „… ist unser Sohn.“ Die Worte zum ersten Mal laut auszusprechen, erfüllte ihn fast mit Stolz.
Ein Lächeln erhellte Marios Gesicht und verwandelte ihn von einem Grizzly in einen Teddybären. „Es ist eine Freude, Sie kennenzulernen, Miss Sinclair“, sagte er und streckte ihr seine große Pratze entgegen.
Annah zögerte einen Moment, bevor sie ihm die Hand schüttelte. „Ganz meinerseits.“
Mario richtete den Blick auf Ethan, der ihn aus großen Augen ansah. „Hallo, Ethan.“
„Mario hat eine Tochter in deinem Alter, Ethan“, erzählte Luca.
Ethan sah zwischen den beiden Männern hin und her. „Wie heißt sie?“
„Liliana“, antwortete Mario.
„Was für ein hübscher Name“, sagte Annah lächelnd.
Mario strahlte. Er nickte Luca kurz zu und verließ das Café, um zum SUV zurückzukehren.
Annah erwiderte Lucas Blick und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, wurde jedoch von einer Frau mit dunklen Locken unterbrochen. Luca unterdrückte einen Anflug von Frust.
„Hi, Annah“, begrüßte die Unbekannte sie und musterte Luca mit einer Spur Neugier. Als Annah keine Anstalten machte, ihn vorzustellen, zauste die Frau Ethan das Haar. „Hey, kleiner Mann. Willst du dir die Welpen ansehen?“
„Au ja!“
„Dann komm mit nach hinten“, sagte die Frau lächelnd. „Laura ist gerade aus der Schule zurückgekommen.“ Sie richtete den Blick auf Annah und Luca. „Was kann ich euch bringen? Kaffee? Etwas zu essen?“
Luca bestellte einen Kaffee und Annah eine Kanne Earl Grey.
Als Ethan mit der Frau verschwunden war, setzten Annah und Luca sich. „Du musst lernen, mir zu vertrauen, Annah“, sagte er eindringlich.
Sie senkte den Blick zu der blau-weiß karierten Tischdecke. „Ich versuche es ja“, antwortete sie nach kurzem Zögern. „Es ist nur …“ Sie stockte.
„Nur was?“, hakte er nach.
Sie hob den Blick zu ihm. „Ich kenne dich eigentlich gar nicht, Luca.“
„Im Zweifel für den Angeklagten, oder?“ Es fiel ihm schwer, sich seinen Frust nicht anmerken zu lassen. „Du musst mir glauben, dass weder ich noch jemand von meinen Angestellten dir oder Ethan etwas antun würde.“
Sie biss sich für einen Moment auf die Unterlippe, und Luca richtete seine Aufmerksamkeit unwillkürlich auf ihren Mund. Im Laufe der Jahre hatte er vergeblich zu vergessen versucht, wie sich ihre weichen Lippen auf seinen anfühlten. Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Dass ihn schon diese kleine Geste erregte, war erschreckend.
„Ich habe Gerüchte gehört“, sagte sie schließlich leise. „Über deinen Vater. Dinge, die mir Angst gemacht haben.“
„Von wem?“
„Dem Freund einer Freundin – er ist Italiener und hat Verwandtschaft in Sizilien.“
„Was für Dinge?“, hakte er nach, obwohl er schon so eine Ahnung hatte.
„Dass er korrupt war und sich mit den falschen Menschen umgeben hat. Und dass es nicht ratsam war, sich mit ihm anzulegen.“ Erwartungsvoll sah sie Luca an, so als hoffe sie, dass er das alles als bloßes Gerede abtun würde.
Leider war es kein leeres Gerede.
Als die Cafébetreiberin mit den Getränken zurückkehrte, bedankte Luca sich höflich und wartete, bis sie wieder gegangen war, bevor er antwortete. „Mein Vater ist tot“, sagte er. „Er stellt für dich und Ethan keine Bedrohung mehr. Ich leite Cavallari Enterprises jetzt – und ich kann dir versichern, dass die Dinge bei mir anders laufen.“