Jupiter 3: Galileo City - Kai Hirdt - E-Book + Hörbuch

Jupiter 3: Galileo City E-Book und Hörbuch

Kai Hirdt

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Beschreibung

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück. Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge verbreitet sich über die Welten des Sonnensystems. Die Spur führt zum Jupiter, und auf Ganymed, seinem größten Mond, bricht ein uraltes Artefakt aus dem Eis. Welche Zusammenhänge bestehen zu den Aktivitäten der Kristallfischer? Perry Rhodan, Mondra Diamond und Reginald Bull suchen nach Antworten – sie reisen zur Dreitausendjahrfeier von GALILEO CITY ...

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Seitenzahl: 145

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Zeit:3 Std. 23 min

Sprecher:Marco Sven Reinbold

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Nr. 3

Galileo City

Ganymed feiert Geburtstag – ein Mond im Schatten der Kristallfischer

Kai Hirdt / Hubert Haensel

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation.

Eine mysteriöse Droge verbreitet sich über die Welten des Sonnensystems. Die Spur führt zum Jupiter, und auf Ganymed, seinem größten Mond, bricht ein uraltes Artefakt aus dem Eis. Welche Zusammenhänge bestehen zu den Aktivitäten der Kristallfischer?

Perry Rhodan, Mondra Diamond und Reginald Bull suchen nach Antworten – sie reisen zur Dreitausendjahrfeier von GALILEO CITY ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Der Terraner sehnt sich nach Bratwürsten.

Chayton Rhodan – Das Tau-acht-Opfer sinnt auf Rache.

Mondra Diamond – Rhodans Lebensgefährtin wittert Anrüchiges.

Kaci Sofaer – Die Bürgermeisterin muss eine Schlange bändigen.

Reginald Bull

1.

MERLIN

11. Februar 1461 NGZ

Chayton Rhodan rekelte sich wohlig. Sein neues Versteck war geräumiger als die Wartungsschächte, in denen er sich nach seiner Flucht verkrochen hatte. Dafür war es ziemlich kalt in dem verwaisten Lagerraum. Aber unter seinen vier Thermosiegeldecken war das kein Problem. Decken waren auf der Jupiteratmosphärenstation MERLIN leicht zu stehlen, seit so gut wie niemand mehr schlief.

Mit leisem Bedauern und lautem Ächzen stemmte er sich empor. Sein Rücken war steif. Eine brauchbare Unterlage hatte er bislang nicht beschaffen können. Matratzen wurden auf MERLIN derzeit selten gebraucht – jedenfalls nicht zum Schlafen. Bei einem seiner diversen Einbrüche hätte er problemlos eine an sich nehmen können. Er hatte bloß noch keinen Weg gefunden, sie unauffällig aus den Wohnbereichen hinauszubringen.

Viel Seltsames geschah dieser Tage auf MERLIN – aber selbst in der immerwährenden Party der Tau-acht-Süchtigen wäre ein entflohener Häftling aufgefallen, der eine Matratze über einen belebten Flur schleifte.

Wenn er seine Entdeckung riskierte, dann für ein lohnenderes Gut.

Waffen, beispielsweise. Der Strahler, den er bei der Flucht aus dem Labor erbeutet hatte, taugte nur als Briefbeschwerer. MERLINS Hauptpositronik hatte ihn gesperrt. Chayton hatte bislang keinen Weg gefunden, die Blockade aufzuheben, und die Hoffnung inzwischen aufgegeben. Er hatte so manches kleine Sonderprogramm an den wachsamen Algorithmen vorbeigeschmuggelt, aber hier stieß er an seine Grenzen.

Er schlurfte zu dem Tisch, den er aus diversen leeren Transportboxen improvisiert hatte. Eine weitere Box diente ihm als Hocker. Mit einem erneuten lauten Ächzen ließ er sich darauf nieder. Rückenschmerzen hatte er immer nur nach dem Aufstehen. Schon allein deshalb vermisste er die Monate, in denen er nicht geschlafen hatte. Kein Hinlegen: kein Aufstehen.

Er schaltete seinen zweitwertvollsten Besitz an – die tragbare Positronik, die er beim Ausbruch aus seinem Gefängnis erbeutet hatte.

Ein schlichtes Hologramm erschien. Nur die einfachsten Grundfunktionen waren aktiviert. Kein Prozess fuhr hoch, der in irgendeiner Form die Aufmerksamkeit von MERLINS Zentralpositronik erregen konnte. Wenn DANAE erfuhr, wo er sich befand, könnte er sich genauso gut direkt zurück in Gefangenschaft begeben. Dann konnte MERLINS Chefwissenschaftlerin mit ihm wieder ihre irrsinnigen Experimente beginnen. Ihn schauderte, wenn er an Anatolie von Pranck zurückdachte.

Chayton ging die notwendigen Schritte durch, um Identität und Sendeort zu verschleiern. Er war damals Positronikexperte geworden, weil der Job gut bezahlt war. Dass seine Kenntnisse ihm irgendwann den Hals retten würden, hatte er während seiner Studienjahre nicht geahnt. Man lernte eben nie aus. Nun dienten ihm die Verschleierungstaktiken dazu, unauffällig Informationen zu sammeln und Nachrichten auszutauschen, ohne dass DANAE ihm auf die Spur kam.

Die angeforderten Dienstpläne wurden sichtbar. Hevmen Talum hatte gerade Schicht, und wie geplant wachte er über eine der Waffenkammern des Sicherheitsdienstes.

Gut.

»Kannst Du liefern?«, schickte Chayton eine Textbotschaft über verschlungene Pfade durch das Kommunikationsnetz der Faktorei.

Er wartete.

Talum ließ sich Zeit. Wahrscheinlich kaute der Mann an den Fingernägeln und fragte sich, wie viele Sekunden verstreichen mussten, damit seine Reaktion nicht allzu verzweifelt wirkte.

Kurz war Chayton in Versuchung, sich in eine Überwachungskamera einzuhacken. Aber das wäre zu auffällig gewesen. Später, bei der Transaktion, würde er es nicht vermeiden können. Aber zweimal an einem Tag in die visuelle Überwachung eindringen – das ging nicht. Seine Manipulationen durften kein erkennbares Muster hinterlassen.

»Natürlich«, erschien ebenfalls als Textnachricht. »Wann?«

»Halbe Stunde«, schrieb Chayton zurück.

»Gut«, antwortete der Tau-acht-abhängige Sicherheitsmann.

Chayton stand auf. In einer halben Stunde konnte er die Waffenkammer problemlos erreichen, selbst wenn er sich von den allzu exponierten Wegen fernhielt.

Er nahm seinen wertvollsten Besitz an sich: den handtellergroßen, flachen Metallzylinder aus von Prancks Labor, bis unter den Deckel gefüllt mit Tau-acht.

*

Chaytons Hände zitterten. Das taten sie fast immer, wenn er die Droge bei sich hatte. Sie im Versteck zurückzulassen, traute er sich jedoch nicht. Er freute sich auf seinen letzten großen Ritt ins Universum, und er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass ihm jemand sein Transportmittel stahl. Die nächste Dosis Tau-acht würde ihn töten. Jeder starb, der die Droge nach langem Entzug erneut probierte.

Es störte ihn nicht. Das war es absolut wert.

Aber zuvor hatte er noch etwas zu erledigen. Er würde die Frau jagen und töten, die ihn von Tau-acht abhängig gemacht hatte. Die sein Gehirn zerstört hatte. Seine Familie bedeutete ihm nichts mehr. Richtig und Falsch bedeuteten nichts mehr. Alles, was ihm früher Freude oder Halt geboten hatte, war verloren. Nur Selbstsucht und Zorn waren ihm geblieben. Und Fragen.

Dafür würde Pao Ghyss bezahlen.

Danach würde er selbst auf seine letzte Reise gehen.

Er verließ sein Versteck und trat hinaus in den Hangar. Es war viel los im Augenblick: Zwei Ernteboote wurden entladen. An jedem der beiden bildeten zwei Dutzend Arbeiter eine Kette und reichten Boxen weiter, bis die Letzten in der Reihe sie auf Förderbänder stellten, die aus dem Hangar Richtung Raffinerie führten. Eine automatische Entladung per Antigrav und Zugstrahl schadete den empfindlichen Kristallen, hatte man Chayton in seinen ersten Tagen auf MERLIN erklärt.

Er ging zielstrebig hinter den Erntebooten entlang, als gehöre er hierher. Danach passierte er ein paar nur noch bedingt flugfähige Space-Jets mit der Sonderausstattung zum Manövrieren im Jupiter. Man ließ die Wartung schleifen, seit die Techniker lieber Tau-acht nahmen.

Die allgegenwärtige Droge beeinträchtigte zudem die Aufmerksamkeit. Unbehelligt erreichte er den Hangarausgang. Die Waffenkammer lag einige Decks höher, in den belebteren Etagen von MERLIN, jedoch weit genug von der Zentrumsachse entfernt. Der Ausflug war ein Risiko, aber man konnte es eingehen.

*

Hevmen Talum war eine jener traurigen Gestalten, die man immer häufiger auf MERLIN antraf. Ihre Geschichte war stets gleich: Sie nahmen den Tau, sie fühlten sich wie der Herr des Universums, und irgendwann machten sie einen leichtsinnigen Fehler. Chayton war es nicht anders ergangen, als er im Casino das Roulette manipuliert hatte und dabei aufgeflogen war.

Talums Fehler war noch dümmer gewesen. Er hatte all seine Ersparnisse verzockt, weil er sich schlicht nicht vorstellen konnte zu verlieren. Und kein Geld hieß kein Tau-acht. An allen möglichen Stellen hatte er um Kredit gebettelt und war abgewiesen worden. Einige digitale Notizen hierüber hatte Chayton entdeckt, als er sich unauffällig in DANAES Kommunikationsnetz umgesehen hatte.

Sie waren sich schnell einig geworden. Talum hatte, was Chayton wollte: einen ganzen Raum voller Schutzanzüge und Waffen. Chayton hatte, was Talum wollte und brauchte: Tau-acht.

Vor der letzten Abzweigung wartete Chayton bis zu dem Zeitpunkt, ab dem seine Positronik falsche Bilder von der Waffenkammer ins Überwachungssystem spielte. Genau nach der vereinbarten halben Stunde stand er vor der Tür. Mit leisem Zischen öffnete sie sich. Talum winkte ihn hektisch herein.

Chayton sah den Mann das erste Mal in Fleisch und Blut. Er war klein, hatte etwas schiefe Zähne und sehr dünnes, blondes Haar. Zudem war er bleich und schwitzte leicht – doch das mochte daran liegen, dass seine letzte Dosis zu lange zurücklag. Bald würde er in den Entzugsschlaf fallen.

»Hast du es?«, fragte Talum hektisch.

»Natürlich.« Chayton nickte und holte das Döschen, in dem er früher seinen eigenen Tau aufbewahrt hatte, aus der Tasche. Er brauchte es nicht mehr. Er hatte einen ganzen Zylinder voll.

Talum sprang beinahe danach. Chayton zog die Hand weg. »Erst die Ware.«

Für einen Moment stand brennender Hass in Talums Blick. Dann nickte er. An seinem Arbeitstisch gab er einen Kode ein. Eine große Lade fuhr aus der scheinbar fugenlosen Wand. Der Sicherheitsmann nahm einen Schutzanzug und einen Kombistrahler mit Paralyse-, Thermo- und Desintegratormodus heraus.

Sehnsüchtig schielte Chayton nach den SERUNS in der Lade – aber diese schweren Einsatzanzüge mit all ihren luxuriösen Schutz-, Nutz- und Versorgungsfunktionen waren viel zu auffällig. Für eine Flucht von MERLIN waren sie ohnehin nicht geeignet. Dafür bräuchte er einen der speziellen Skaphander-Anzüge.

Aber Flucht war schließlich nicht sein Ziel.

Er nahm den rot-blauen Anzug des bordeigenen Sicherheitsdienstes SteDat entgegen. Die Uniform bot immerhin einen Individualschirm, und sie gehörte zum Alltagsbild auf MERLIN. Als Nächstes prüfte Chayton den Kombistrahler. Die Sperre war desaktiviert. Er konnte das Gerät nutzen.

»Gib es mir!«, verlangte Talum.

Chayton reichte ihm das Döschen.

Eilig schraubte der süchtige Sicherheitsmann es auf und stäubte sich die Droge ins weit aufgerissene linke Auge. Er wiederholte die Prozedur rechts. Talum blinzelte ein paar Mal, dann begann er zu grinsen und zu kichern.

»Hast du noch mehr?«, fragte er schließlich.

»Jede Menge.« Chayton war erstaunt, dass er antwortete. Eigentlich hatte er nach der Transaktion so schnell wie möglich verschwinden wollen.

»Hast du es bei dir?«

»Hier.« Chayton klopfte auf seine vom Zylinder ausgebeulte Hosentasche.

Was tat er da? Sein Tau-acht-Vorrat war sein bestgehütetes Geheimnis!

»Gib es mir!«

Chayton griff in die Tasche. Seine Finger fassten den Zylinder, gegen seinen Willen. Alles in ihm sträubte sich, aber er konnte nicht anders ...

»Gib es mir!«

Er konnte den Tau aber auch nicht hergeben. Es ging nicht. Es war sein wertvollster Besitz.

»Gib es mir!«

Chayton riss den Strahler hoch und paralysierte Hevmen Talum. Völlig überrascht sackte der SteDat-Mann zusammen.

Chaytons Gedanken klärten sich sofort. Offensichtlich verfügte Talum unter Tau-acht über hypnotische Kräfte und konnte anderen seinen Willen aufzwingen. Für einen Tau-acht-Mutanten war seine Gabe ungewöhnlich stark – aber nicht stark genug, um einen Abhängigen von der Droge zu trennen.

»Du hättest dich an unsere Abmachung halten sollen«, sagte Chayton zu dem betäubten Bündel Mensch am Boden. Kurz überlegte er, ob er ihn töten sollte, um seine Spuren zu verwischen. Er zögerte; er war sich ziemlich sicher, dass er vor Tau-acht nicht auf einen solchen Gedanken gekommen wäre.

Letztlich beschloss er, dass ein toter SteDat-Mann bedeutend mehr Aufsehen erregen würde als ein betäubter. Wahrscheinlich würde Talum den Waffendiebstahl sogar selbst decken.

Chayton steckte sein Tau-acht-Döschen wieder ein. Sollte der Betrüger sehen, von wem er die nächste Ration bekam. Mit seinen Drogen, der SteDat-Uniform und dem Strahler machte sich Chayton Rhodan auf den Rückweg.

In seinem Quartier begrüßte ihn ein Hinweis seiner Positronik.

Chayton war elektrisiert.

2.

Terrania

11. Februar 1461 NGZ

Morgennebel zog auf. Terrania City badete in künstlicher Helligkeit, im Osten regierte noch die Nacht. Nur ein schmaler Silberstreif ließ den beginnenden Tag erahnen. Der ferne Horizont mutete an wie ein ausgefranster Scherenschnitt.

Zaghaft stachen erste Sonnenstrahlen in die Höhe, als der Transportgleiter mit dem Emblem der Liga Freier Terraner auf den Goshun Space Port einschwenkte.

Ein leichter Wind wehte den Nebel über die Landefelder hinweg. Es schien, als kröche ein grauer Moloch der Stadt entgegen. Einzelne Bodenfahrzeuge, mit dem bloßen Auge aus der Distanz kaum auszumachen, quälten sich durch den Dunst.

Im stadtnahen Bereich des Hafenareals standen fünf Kugelschiffe – Einhundert-Meter-Kreuzer, die sich angesichts des vor wenigen Stunden gelandeten Raumriesen wie Spielzeuge ausnahmen.

Langsamer werdend, überflog der Gleiter die Kreuzer.

Wie ein stählernes Gebirge ragte der ENTDECKER voraus auf. Der Kugelraumer der SATURN-Klasse durchmaß 1800 Meter, die untere Polschleuse lag bei voll ausgefahrenen Landebeinen beachtliche vierundsechzig Meter über dem Boden. Irgendwo über dem wuchtigen Äquatorringwulst, der vor allem geräumige Kreuzerhangars enthielt, entdeckte Perry Rhodan den fahlen Schimmer einer geöffneten Beibootschleuse.

CHARLES DARWIN II – der Schiffsname prangte in riesigen, leuchtenden Lettern auf dem Rumpf.

Langsam stieg der Gleiter höher.

Leise Stimmen erklangen aus der Pilotenkanzel. Die Abstimmung mit der Anflugkontrolle erfolgte manuell. Goshun Space Port war mit seiner Gesamtfläche von achtzig Quadratkilometern lediglich als Zivilhafen für Privatraumer ausgewiesen. Obwohl sogar die großen Fernraumschiffe der Flotte hier landen konnten, geschah dies höchst selten.

Ein Hauch von Ruhe und Gelassenheit hing in der Luft. Der kleine Raumhafen machte einen verschlafenen Eindruck – Provinzflair trotz der nahen Metropole, eine Gemütlichkeit, die Perry Rhodan und vor allem Reginald Bull durchaus zu schätzen wussten.

Mancher Gast in den Raumfahrerkneipen hatte schon an seinen Sinnen gezweifelt, wenn er Bull am Tresen sitzen sah und hörte, dass der Verteidigungsminister der Liga Freier Terraner Geschichten aus seinem langen Leben zum Besten gab. Die Betreffenden hatten sich zumeist ungläubig nach Sicherheitspersonal und Robotern umgesehen und noch verwirrter gewirkt, weil alles wie immer gewesen war.

Rhodan bemerkte, dass der Freund sinnend zu den Hafengebäuden hinabschaute und sich gedankenverloren das Kinn massierte. Im nächsten Moment richtete Bull sich ruckartig auf. Er hatte den Blick des Residenten bemerkt und nickte zögernd.

Rhodan lachte leise.

»Alles in Ordnung?«, fragte Dion Matthau, den seine Kollegen meist »Buster« nannten. Seine eben noch angespannte Aufmerksamkeit wich wieder legerer Haltung, als Rhodan ein »Okay« murmelte.

Matthau war einer der Agenten des Terranischen Liga-Dienstes TLD, die Rhodan, Mondra Diamond und Bull begleiteten. Drei Personen – ein Minimum an Sicherheitsanforderung. Rhodan hätte am liebsten ganz darauf verzichtet.

Auf »Buster« ganz besonders. Nicht, dass der Mann vom TLD irgendetwas dafür konnte. Aber der zufällig gleiche Spitzname erinnerte Rhodan stets an seinen Ur-hoch-x-Großcousin Buster in Manchester. Busters Vater Chayton war auf einer Hyperkristall-Erntestation im Jupiter verschwunden. Damit waren die Rätsel noch nicht am Ende: In Manchester hatten zwei Mutanten vorzutäuschen versucht, Chayton sei zur Erde zurückgekehrt. Busters Schwester Caruu hatte dabei eine Überdosis einer mysteriösen neuen Droge abbekommen.

Perry Rhodan hatte in den drei Wochen seit den Ereignissen von Manchester nichts, aber auch gar nichts darüber herausgefunden, was hinter dem Verschwinden von Buster Rhodans Vater steckte oder warum seine Schwester nun im Krankenhaus liegen musste – und das ärgerte Perry. Er bemühte sich jedoch, seinen Frust nicht auf den Agenten zu projizieren. Buster Matthau ahnte nicht einmal, welche Assoziationen sein Name bei Rhodan auslöste.

Der Gleiter stieg bis auf tausendzweihundert Meter.

Die beiden zur Delegation gehörenden Journalisten erweckten den Eindruck, als dösten sie. Dass sie gerade in diesem Zustand auf jede Regung achteten, war Rhodan klar. Allerdings schätzte er Don Toman als eloquent und absolut zuverlässig ein. Der Zweiundsechzigjährige arbeitete für Solvision, einen erst seit knapp fünfzig Jahren bestehenden Ableger des First Terrestrian Network. Er verfügte über ein feines Gespür für solide Berichterstattung, seine Sendungen galten stets als perfekt recherchiert.

Der zweite Mann hieß Jahn Saito. Dass ihn das Büro des Residenten ebenfalls akkreditiert hatte, verdankte der Junge seinem Chef und Mentor Toman. Andererseits war der Name Saito seit Wochen in vieler Munde, seit sein Meisterwerk »Freunde« die höchste Medienauszeichnung errungen hatte. Die Holografie in Sepia und Grau war derzeit in der Begegnungsstätte Berlin-Mitte ausgestellt, dem musealen Zentrum extraterrestrischer Kulturen auf Terra.

Saitos Bild zeigte einen verkrümmt auf felsigem Boden liegenden Menschen. Der Mann war tot. Neben ihm kniete ein Jülziish, die Hände verschränkt wie in betender Haltung, die Arme leicht ausgestreckt und den Tellerkopf in Ehrfurcht geneigt. Der Blue weinte. Wie erstarrt hingen die Tränen seiner vier Augen am Rand der Kopfscheibe. Zudem hatte der Blitz zwei fallende Tränen eingefroren – strahlende Edelsteine, in denen sich der Mensch und der Blue spiegelten und einander nahe waren.

Das Bild war in der Tat ein Meisterwerk an Schärfe, Komposition und Aussagekraft. Es berührte, ließ jeden Betrachter innehalten und weckte Gefühle.

Rhodan hatte den mit zweiundzwanzig Jahren sehr jungen Medienfotografen erst vor dem Start des Gleiters persönlich kennengelernt und ihn auf die Holografie angesprochen. Der gebürtige Tokio-Islander, schlaksig, das schwarze Haar in wirren Strähnen, war dem Aktivatorträger wie ein Besessener erschienen, getrieben von dem Verlangen, sein Holo »Freunde« nochmals zu übertreffen.

Der Gleiter schwebte in den Hangar ein. Lauflichter in Decke und Boden führten zur Parkposition.

Saito hob die rechte Hand und wischte sich mit den Fingerknöcheln über die Wange. Für einen Moment war sein Blick auf Rhodan gerichtet.

Der Resident lächelte, er schüttelte aber auch leicht den Kopf.

Dass Tomans Aufmerksamkeit ebenfalls nichts entging, wurde sofort deutlich, als er mit der Linken nach dem Jungen griff und seine Finger quer über dessen Handrücken legte.

Rhodan schwieg dazu. Schon im Residenzpark war ihm der Leberfleck auf Saitos Handrücken aufgefallen. Nicht größer als ein halber Zentimeter, die Ränder unregelmäßig verfärbt: eine der sündhaft teuren Implantat-Mikrokameras, deren funktionsfähigen Einbau nur ein guter Nano-Gefäßchirurg garantieren konnte.

Der Gleiter setzte auf, die Lauflichter erloschen.

»Was du da in der Haut trägst, mein Junge, ist ein gutes Weitwinkelobjektiv«, sagte Bull in dem Moment. »Siganesische Mikrofertigung, aber die Lichtstärke lässt ein wenig zu wünschen übrig. Außerdem neigt dieser Typ zur Unschärfe, vor allem, wenn der Träger mit einer zu hohen Adrenalinausschüttung belastet ist. Ich persönlich halte nichts von der Energieversorgung über die Mitochondrien, der menschliche Körper ist zu kompliziert in seinen Reaktionen. Jede überschießende Hormonproduktion wird deine Aufnahmen ruinieren.«

Saito schaute Bull entgeistert an, dann wandte er sich Rhodan zu. Er ballte die rechte Hand zur Faust, legte die linke Hand über den Handrücken und neigte entschuldigend ruckartig den Oberkörper nach vorn.